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Eine Novelle, die als wichtigste Quelle für Gottfried Kellers "Kleider machen Leute" gilt: Als der Schneidergeselle Labakan sich mit einem kostbaren Gewand des Sultans aus dem Staub macht, trifft er auf seiner Reise auf den Sultanssohn Omar, der zu seinem Vater möchte, bei dem er nicht aufwuchs. Labakan bestiehlt Omar und gibt sich als dieser aus, doch Omars Eltern sind misstrauisch und testen den vermeintlichen Prinzen. Mithilfe einer Fee wird Labakan entlarvt, jedoch kommt auch er wie erhofft zu Glück und Reichtum... -
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Seitenzahl: 41
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Wilhelm Hauff
Saga
Das Märchen vom falschen Prinzen
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1826, 2020 Wilhelm Hauff und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788726701395
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, Namens Labakan, der bei einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man konnte nicht sagen, dass Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im Gegenteil, er konnte recht seine Arbeit machen. Auch tat man ihm unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt, aber ganz richtig war es doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenlang in einem fort nähen, dass ihm die Nadel in der Hand glühend ward und der Faden rauchte, da gab es ihm dann ein Stück, wie keinem andern. Ein andermal aber, und dies geschah leider öfters, sass er in tiefen Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen etwas so Eigenes, dass sein Meister und die übrigen Gesellen von diesem Zustande nie anders sprachen als: „Labakan hat wieder sein vornehmes Gesicht.“
Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und stolzer Schrittes durch die Plätze und Strassen der Stadt, und wenn ihm einer seiner Kameraden ein „Friede sei mit dir,“ oder „Wie geht es, Freund Labakan?“ bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spass zu ihm sagte: „An dir ist ein Prinz verloren gegangen, Labakan,“ so freute er sich darüber und antwortete: „Habt Ihr das auch bemerkt?“ oder „Ich habe es schon lange gedacht!“
So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, und der Meister gab es Labakan, weil dieser die seinste Arbeit machte. Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstätte zurück, wo das Kleid des kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Sammets und der Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er musste es anziehen, und siehe da, es passte ihm so trefflich, wie wenn es für ihn gemacht worden wäre. „Bin ich nicht ein Prinz so gut als einer?“ fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. „Hat nicht der Meister selbst schon gesagt, dass ich zum Prinzen geboren sei?“ Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz königliche Gesinnung angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei ein unbekannter Königssohn, und als solcher beschloss er, in die Welt zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so töricht gewesen waren, unter der Hülle seines nieberen Standes nicht seine angeborene Würde zu erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von einer gütigen Fee geschickt; er hütete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmähen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und wanderte, begünstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren.
Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen wollte gar nicht passen für einen Fussgänger. Wenn man ihn darüber befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, dass das seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, dass er sich durch seine Fusswanderungen lächerlich mache, kaufte er um geringen Preis ein altes Ross, welches sehr für ihn passte, da es ihn mit seiner gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in Verlegenheit brachte, sich als geschickten Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war.