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Nadja Kutscher

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Beschreibung

Geburtenzahlen und Migration als Untergangsmythos: Der »große Austausch« hat sich in den vergangenen Jahren zur wohl wichtigsten sinnstiftenden Erzählung der sogenannten Neuen Rechten entwickelt. Nadja Kutscher macht anhand einer Analyse einschlägiger Texte deutlich, wie auf vermeintlicher Faktenbasis mit rassistisch-sexistischen Markern ein Volksaustausch konstruiert wird. Der rassifizierte Feind erscheint hier als Gefahr für das deutsche Volk und die deutsche Frau. Es wird deutlich: Ziel dieses Narrativs ist nicht die Rettung eines - selbst in den Augen der Neurechten rein illusionären - deutschen Volkes, sondern die Zementierung von Grenzen und Verachtung.

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Nadja Kutscher

Das Narrativ vom »großen Austausch«

Rassismus, Sexismus und Antifeminismus im neurechten Untergangsmythos

Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2023 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unter dem Titel »Paradoxien illusionärer Narrative. Rassismus, Sexismus und Antifeminismus in der neurechten Semantik vom Volksaustausch« als Dissertation angenommen.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell.

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld

© Nadja Kutscher

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

https://doi.org/10.14361/9783839469668

Print-ISBN: 978-3-8376-6966-4

PDF-ISBN: 978-3-8394-6966-8

EPUB-ISBN: 978-3-7328-6966-4

Buchreihen-ISSN: 2702-9050

Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff

Inhalt

 

 

Vorwort

I.Einleitung

II.Hauptteil

1.Geschichte des Volkstod-Diskurses

2.Volksstrukturen

2.1.Rassismus und Sexismus als Machtphänomene

2.2.Wer ist das Volk – und wer nicht?

2.2.1.Rassistische Trennlinien

2.2.2.Geschlecht im Volk

2.2.3.Körper-Geist-Dichotomie

3.Der ›große Austausch‹ in neurechten Medien

3.1.Die Kritische Diskursanalyse

3.2.Materialauswahl

3.2.1.Zeitschriften

3.2.2.Auswahl von Artikeln und Inhalten

3.3.Analyseinhalte

3.3.1.Vom Austausch des deutschen Volkes

3.3.2.Die Frage nach dem Anderen

3.3.3.Die Frage nach dem Eigenen

4.Wir und Die: Überraschend anders

4.1.Paradoxe Volksillusionen

4.1.1.Leerstellen

4.1.2.Volksdiskrepanzen

4.1.3.Das rassistische Privileg

4.1.4.Die Illusion verteidigen

4.2.Der Fluch des Andersartigen

4.2.1.Bewunderung

4.2.2.Unsichtbare Andere

5.Früchte des Hasses

5.1.Manifeste Gewalt

5.2.Einschüchterungsversuche

5.3.Spaltung

III.Fazit und Ausblick

Literatur

Anhang

Abbildungen

Textquellen

Vorwort

 

Bei diesem Buch handelt es sich um meine dem Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der FAU Erlangen-Nürnberg im Mai 2022 vorgelegte Dissertation. Die zu diesem Zweck analysierten Texte aus extrem rechten Publikationen stammen aus den Jahren 2015 bis 2018; die darin gespiegelten Ideologien sind jedoch heute gleichermaßen aktuell. Die Analyse legt diese im Detail offen und kann damit zur Identifizierung diskriminierender Narrative, wie auch als Basis zur Schaffung von Gegennarrativen genutzt werden.

Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Professor Dr. Dr. Heiner Bielefeldt für die Betreuung meiner Arbeit, seine kritischen Rückfragen und steten Ermutigungen. Auch die Teilnehmenden des Doktorand:innenkolloquiums haben mir immer wieder dabei geholfen, neue Perspektiven auf meine Forschung einzunehmen.

Nicht zuletzt danke ich meiner Familie und meinen Freund:innen, dass sie während dieser Zeit auf ganz unterschiedliche Weise an meiner Seite standen. Der Unterstützung meines Partners war es zu verdanken, dass ich einer wichtigen Empfehlung Rosa Luxemburgs stets in ausreichendem Maße nachkommen konnte, welche ich an alle Schreibenden weitergebe: »Seien Sie viel im Freien, botanisieren Sie viel.« (Luxemburg, Rosa 2013: Briefe aus dem Gefängnis. Berlin: Dietz)

I.Einleitung

 

»Volksaustausch. Geburtenabsturz und Überfremdung« – so lautet der Titel einer Sonderausgabe des extrem rechten Compact-Magazins (s. Anhang Abb. 1). Darunter zu sehen ist ein (weißer1) Körper unter einem Leichentuch, am Fuß gekennzeichnet mit der deutschen Flagge. Die Titelseite steht für einen Diskurs der Angstmache, wie er in jüngster Zeit verstärkt von extrem rechten Medien und Think Tanks unter dem politischen Begriff der Demografie oder dem neurechten Topos des ›großen Austauschs‹2 geführt wird. Den Akteur:innen zufolge habe das ›deutsche Volk‹ nicht nur dramatische Geburtenrückgänge zu verzeichnen, sondern werde gleichzeitig durch Menschen ersetzt, die als nicht-volkszugehörig, als fremd, verstanden werden. So würde Migration in Kombination mit einem falsch verstandenen Familienbild zum Aussterben der Deutschen führen.

Es wird ein Bild Deutschlands (und Europas) gezeichnet, in dem die als heimisch betrachtete Bevölkerung mindestens bereits in einer gefährdeten Position sei und mittelfristig vollständig ausgetauscht würde. Dieser Austausch finde dabei nicht zufällig oder als Folge gesellschaftlicher Entwicklungen statt, sondern wird als strategisches Mittel dargestellt, gesteuert von mächtigen Eliten. Diese würden Migrationsströme gezielt nach Deutschland lenken und gleichzeitig die hiesige kulturelle Hegemonie in eine Richtung rücken, in der kollektiver Zusammenhalt, Familienwerte und Stolz auf die Herkunft geschmäht werden. Selten wird in den Debatten offen ausformuliert, wer denn nun zu den ›Deutschen‹ zu zählen sei, wie sich Deutschsein überhaupt definiere, wer genau als fremd zu gelten habe oder ob ein solcher Fremder deutschwerden könne.

Das so gezeichnete Bedrohungsszenario dient der Zusammenführung und Nutzbarmachung einiger der wichtigsten extrem rechten Topoi. Dargestellt wird es jedoch als bevölkerungswissenschaftliche Tatsache. Spricht die extreme Rechte über ›Demografie‹, dann möchte sie nicht Rentenmaßnahmen, den Arbeitsmarkt oder die Gesundheitsversorgung thematisieren, sondern nutzt den Begriff und die dahinterstehende Wissenschaft, um Debatten um Ein- und Ausschlüsse zu konstruieren. Ihre Anschlussstelle findet sie etwa bei bevölkerungswissenschaftlichen Debatten um Migration zum Ausgleich fehlender Arbeitskräfte. Denn sie begreift den Zuzug von Migrant:innen, aber gerade auch Geburten unter diesen, als direkte Bedrohung für das, was sie als das deutsche Volk betrachtet.

Diese Themenverbindung ist nicht neu und entsprechende Debatten werden – wenn auch in anderer Sprache und Intensität – seit Jahren in unterschiedlichen Milieus geführt. Schon im Jahr 2000 wurde CDU-Politiker Jürgen Rüttgers für seinen Slogan »Kinder statt Inder« gescholten, mit dem er sich gegen die Anwerbung von Computerfachleuten aus dem Ausland aussprach (vgl. Rüttgers verteidigt verbalen Ausrutscher 2000). 17 Jahre später warb die AfD im Bundestagswahlkampf mit dem Slogan: »Neue Deutsche? Machen wir selber.« (s. Anhang Abb. 2); Björn Höcke präzisierte die so von seiner Partei geschaffene Angstmache mit einer Grafik mit den Worten »Willkommenskultur für deutsche Kinder« (s. Anhang Abb. 3).

Besonders hervorgetan mit eben dieser Themenverknüpfung hat sich in den vergangenen Jahren jedoch die sogenannte Neue Rechte unter der Begrifflichkeit des ›großen Austauschs‹, ursprünglich geprägt durch den französischen Schriftsteller Renaud Camus. Dieser beschrieb in seinem Buch »Le Grand Remplacement« (2011) – als »Revolte gegen den großen Austausch« (2016) ins Deutsche übersetzt von Sezession-Autor und bekanntem Neurechten Martin Lichtmesz – einen vermeintlich gezielten und schnell voranschreitenden Austausch der weißen Bevölkerung durch »Eroberer«, also Migrant:innen, Geflüchtete und deren Kinder, in verschiedenen Ländern (vgl. ebd.: 65). Die angeblich von Eliten gesteuerten Migrationsströme würden gerade solche Menschen nach Europa bringen, die überproportional gewalttätig und besonders gebärfreudig seien und dadurch auf gleich zwei Ebenen eine Gefahr darstellten (vgl. Camus 2016).

Der ›große Austausch‹ hat sich zum Kampfbegriff neurechter Bewegungen in verschiedenen Ländern u.a. in Deutschland und Österreich entwickelt, maßgeblich propagiert durch Zusammenschlüsse wie die selbsternannte ›Identitäre Bewegung‹ (vgl. Goetz 2020).3 Deren führendes Mitglied in Österreich, Martin Sellner, beschreibt in einem Kapitel der deutschen Übersetzung von Camus’ Buch, der »große Austausch« sei genau das, was der Bewegung als übergreifender Begriff lange gefehlt habe, um Themen wie »[…] Masseneinwanderung, Islamisierung, Demographiekollaps und andere negative Erscheinungen, die wir als Bedrohung unserer Identität erkannten« in einen Kontext zu bringen (Camus 2016: 190f).

Doch wer genau ist dieses bedrohte Volk und wen umfasst die von Sellner benannte Identität? Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, darauf eine Antwort zu liefern – und zwar aus einer dezidiert antirassistischen, feministischen und intersektionalen Perspektive. Denn es fällt bei der Lektüre neurechter Texte immer wieder auf, dass unter dem Bevölkerungsdispositiv gerade Rassismus und Sexismus ineinandergreifen und wirken. Die beiden Dimensionen bestimmen maßgeblich – wenn auch nicht exklusiv – wer in den Augen der Akteur:innen dem Volk schaden und wer ihm nutzen kann.

Entlang dieser Linien entsteht mit dem ›großen Austausch‹ ein Szenario, das eine unmittelbare Gefahr für Deutschland, aber auch jedes Individuum, darstellt und das deshalb entschiedenes Handeln notwendig werden lässt. Folgt man den Gedanken extrem rechter Akteur:innen darf es nicht bei der Zustandsbeschreibung bleiben; jede und jeder Bedrohte müsse zum Schutz des Eigenen aktiv werden. Wie solche Anrufungen enden können, zeigte sich 2019 in Neuseeland, wo der Terrorist von Christchurch sein rassistisches Manifest mit den Worten »It’s the birthrates. It’s the birthrates. It’s the birthrates.« begann (Tarrant o.D.).

Inhalte Zum Einstieg in die Thematik zeichne ich in Kapitel 1 eine kurze Geschichte des hier betrachteten Diskursstrangs nach. Denn ob nun vom ›Volkstod‹ oder dem ›großen Austausch‹ die Rede ist: eine rechte Argumentation, die Geburtenzahlen und Migration bzw. die Anwesenheit von Menschen, die nicht dem eigenen Volk zugerechnet werden, verbindet, ist keineswegs neu. Kontinuitäten innerhalb des Diskurses zeigen sich außer in rassistischen Ausschlüssen und sexistischen Bezügen etwa hinsichtlich einer angeblichen Elitensteuerung der Volksentwicklung und in der Bezugnahme auf wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Quellen.

In Kapitel 2 ist zunächst zu klären, wie die Phänomene Rassismus, Sexismus und Antifeminismus zu verstehen sind. Ich begreife sie als wirkungsvolle Machtphänomene, die in besonderem Maße Überschneidungen aufweisen, aus welchen sich ganz eigene Formen der Diskriminierung ergeben. Mit dem Konzept der Intersektionalität (vgl. Crenshaw 1989) kann deutlich gemacht werden, wie beim Betrachten nur einer Diskriminierungsdimension Identitäten aus dem Blick geraten und Stereotypen nicht in Gänze erfasst werden können. Ich werde darüber hinaus präzisieren, mit welchem Bereich der Phänomene Rassismus und Sexismus sich meine Arbeit befasst. Da ich mich auf empirisches Material aus der neurechten Szene stütze, betrachte ich (mit Ausnahme von Kapitel 5) ausschließlich das, was Kerner als die »epistemische Dimension« von Rassismus und Sexismus bezeichnet. Diese umfasst »rassistisches und sexistisches Wissen und entsprechende Diskurse samt Bildern und Symbolen« (Kerner 2009: 38). Ausklammern werde ich hingegen weitestgehend Phänomene wie institutionelle Diskriminierung oder die persönlichen und alltäglichen Erfahrungen Betroffener. Es soll deutlich werden, welche Bilder der untersuchte Diskurs erzeugt und von welchen Grundannahmen er ausgeht.

Nach der theoretischen Konzeption der beiden betrachteten Diskriminierungsarten werde ich darlegen, welche Rolle sowohl Rassismus als auch Sexismus in der Konstruktion von Ein- und Ausschlüssen spielen, auch historisch betrachtet. Hierbei werden vor allem Bezüge zu zwei Epochen hergestellt, die in dem behandelten Zusammenhang – natürlich nicht ausschließlich – von großer Bedeutung zu sein scheinen: Die europäische Kolonialzeit und die Zeit vor und während des Nationalsozialismus in Deutschland. Wenngleich die vorliegende Dissertation kein geschichtswissenschaftliches Dokument ist und keinerlei Anspruch auf eine vollständige Abbildung des Themenkomplexes Gender/Race in den jeweiligen Zeiträumen erhebt, sind gewisse Parallelen in den Ideologien und Argumentationssträngen nicht von der Hand zu weisen.

Denn sowohl während der Kolonialisierung – hier beispielhaft betrachtet hauptsächlich anhand der deutschen Kolonialmacht auf dem afrikanischen Kontinent4 – als auch während der NS-Diktatur wurde auf besonders gewaltsame und offenkundige Weise deutlich, wie sich in der Ablehnung und Erniedrigung von Menschen Rassismus und Sexismus auf ergiebige Weise verbinden und den Grundstein legen für ihre absolute Andersmachung – ein Grundstein, auf den, wie ich zeigen werde, noch heute rassistische und sexistische Narrative aufbauen. Selbstverständlich hätte man für die Verbindung von Rassismus und Sexismus auch andere Gesellschaften oder etwa Deutschland auch nach dem zweiten Weltkrieg betrachten können. Jedoch schienen mir die gewählten Beispiele in ihrer Wucht, Klarheit und ihrem zahlreichen Auftreten als passende Schablone, anhand derer sich die Kontinuitäten völkischer Konstruktionen am besten nachzeichnen lassen.

Foucaults Konzept der Biomacht, auf das ich als nächstes eingehe, bietet darüber hinaus Erklärungspotenzial, was die Rolle von Rassismus in Gesellschaften und den Zusammenhang mit dem Thema Reproduktion anbelangt. Anschließend wird der Blick auf den Rassismus präzisiert durch eine Differenzierung unterschiedlicher Formen der Rassifizierung. Vor allem die Frage, inwiefern biologistischer und kulturalistischer Rassismus als separate Phänomene verstanden werden können, wird hier von Belang sein.

Nachdem dargelegt wurde, wie durch Rassismus Trennlinien zwischen dem Eigenen und dem Anderen entstehen, geht es im zweiten Teil des Kapitels um den Faktor Geschlecht. Abgestimmt auf das später betrachtete empirische Material wird untersucht, wie Frauen in ultrakonservativen und rechten Geschlechterbildern die Rolle der Volksreproduzentin zugewiesen wird – und zwar sowohl im direkten Sinne als Gebärende nachfolgender Generationen als auch im Sinne einer kulturellen Repräsentation der Volksidentität. In einem strikt geschlechterbinären Schema agiert neben dieser Frau der Mann als Verteidiger des Volkes. Identitäten außerhalb der Geschlechterbinarität sind im völkischen Konzept nicht vorgesehen.

Im letzten Teil des Theoriekapitels werden Rassismus und Sexismus noch einmal zusammen betrachtet, wo in beiden entlang einer Dichotomie aus Geist versus Körper bzw. Kultur versus Natur unterschieden wird. Derart dichotome Bilder durchziehen rassistisch-sexistische Narrative ausgrenzender Gemeinschaften wie ein roter Faden, der zum einen trennt zwischen dem, was das Eigene nicht ist und das Andere ist, und der zum anderen das Eigene im Inneren organisiert.

Das 3. Kapitel stellt den empirischen Teil der Arbeit dar. Bevor in das Material eingeführt wird, gehe ich auf die von mir angewandte Methode der Kritischen Diskursanalyse nach Jäger (2015) ein. Dabei verstehe ich Diskurse als Instrumente, denen durch die Produktion und Reproduktion von Informationen Macht innewohnt. Entsprechend geht es bei der Analyse nicht darum, den Wahrheitsgehalt einzelner neurechter Äußerungen zu prüfen oder zu entlarven, wie sich die Wahrheit entgegen den aufgestellten Behauptungen tatsächlich darstellt, sondern um den Diskurs als solchen. So werde ich etwa nicht darauf eingehen, wo die Neue Rechte Bevölkerungszahlen und andere demografische Daten umdeutet oder falsch darstellt5; ebenso wenig ist es Ziel der Arbeit, konkrete rassistische Vorwürfe oder sexistische Äußerungen zu widerlegen – das würde schnell in absurden Klarstellungen enden, betrachtet man die vorurteilsbeladenen, von Ablehnung und Verachtung durchzogenen Texte. Vielmehr geht es mir darum, wie die Neue Rechte mittels eines Diskurses rund um Bevölkerungszahlen, Zuwanderung und Geburten rassistische, sexistische und antifeministische Narrative (re)produziert und wo die genutzten Topoi zu verorten sind. Der Blick auf einen bestimmten Diskurs zeigt, was in einer Gesellschaft – oder in einem gesellschaftlichen Milieu – zu einem bestimmten Zeitpunkt sagbar ist und was nicht (Jäger 1999). Daraus ergibt sich seine politische Relevanz.

Es widerspricht der KDA als wissenschaftlicher Analyse nicht, von gewissen wertebezogenen Grundannahmen auszugehen – ganz im Gegenteil ist es nur in ihrem Sinne (vgl. Jäger/Jäger 2007: 37). Ich sehe schon deshalb davon ab, den Versuch zu unternehmen, auf das Unwahrsein einzelner verächtlicher, pauschalisierender Äußerungen in den betrachteten Texten einzugehen, weil meine Analyse auf klar antirassistischen, feministischen Prämissen fußt. Die Gleichwertigkeit von Menschen soll hier nicht angesichts abwertender und diskriminierender Vorwürfe gerechtfertigt werden. Die Situiertheit der Äußerungen wird ohnehin durch die kritische Kontextualisierung deutlich.

Auch geht es mir nicht darum, die Gründe dafür zu beleuchten, warum sich die Autor:innen der untersuchten Medien auf bestimmte Weise äußern oder weshalb sie diesem Milieu angehören. Rommelspacher (1992) hat bereits vor 30 Jahren herausgearbeitet, dass extrem rechte Täter:innen auch in wissenschaftlichen Untersuchungen teils zu Opfern der Verhältnisse stilisiert und ihre vermeintlichen Sorgen in den Fokus gerückt werden, was den Blick auf das Wesentliche – nämlich die Wirkung ihres Handelns auf die Betroffenen – verstellt. Ich werde die Positionen der Akteur:innen darstellen, was jedoch keinesfalls den Eindruck erwecken soll, den Äußerungen lägen berechtigte Ängste zu Grunde, die diese rechtfertigen könnten.

Um dieses Ziel zu erreichen – und auch, um der Reproduktion der diskriminierenden, gewaltvollen Inhalte der Artikel entgegenzuwirken – sollen mir im Verlauf der Arbeit drei Strategien hilfreich sein. Zum einen setze ich auf das Aufzeigen diskursiver Kontinuitäten, die deutlich machen, aus welchen Zusammenhängen die vorgefundenen Topoi stammen und welche Zwecke seit jeher damit verfolgt werden und wurden. Zweitens soll das beharrliche Zitieren der vorgefundenen Textstellen dafür stehen, dass es – dem Ansinnen der Kritischen Diskursanalyse entsprechend – darum geht, den Diskurs abzubilden und zu analysieren, nicht maßgeblich um die psychologisch-sozialen Motive der Akteur:innen. Und drittens werde ich deutlich machen, inwiefern die Debatten der Neuen Rechten in das politische und gesellschaftliche Leben einsickern – sei es durch personelle Verflechtungen oder Diskursverschiebungen –, um damit darzulegen, welche politischen Motive die Aussagen der Akteur:innen befeuern.

Mein empirisches Material entstammt zwei extrem rechten Online-Publikationen, namentlich der Sezession und dem Compact-Magazin. Diese auch als Druckzeitschriften aufgelegten Publikationen bedienen zwei unterschiedliche Milieus – das eine pseudointellektuell, das andere eher populistisch. Und doch zeigt sich, dass das Narrativ des ›großen Austauschs‹ für beide ein Schlüsselelement darstellt. Die Erzählung bietet beiden für ihre jeweiligen Zielgruppen die Möglichkeit, Migrationsfeindlichkeit und völkisches Denken auf fruchtbare Weise unter pseudowissenschaftlichem Anstrich nutzbar zu machen. Während der Entstehung dieser Arbeit gerieten sowohl das Compact-Magazin als auch die Sezession aufgrund ihrer Gesinnung stärker unter öffentlichen Druck; das Compact-Magazin gilt laut Verfassungsschutz mittlerweile als »gesichert extremistisch« (Götschenberg 2021), ebenso das Institut für Staatspolitik, aus dessen Hause die Sezession stammt (Litschko/Joswig 2023).

Nachdem die Magazine vorgestellt und auch einige personelle Verbindungen dargelegt wurden, komme ich mit Kapitel 3.3. zu den empirischen Inhalten der Arbeit. Bei der Auswahl der Texte und im Anschluss auch konkreter Textstellen, ließ ich mich von der Frage leiten, wen die neurechten Akteur:innen in ihren Texten als dem in ihren Augen deutschen Volk zugehörig und wen sie als nicht zugehörig zeichnen. Denn in einem Narrativ, in dem es maßgeblich um die angebliche Gefährdung des eigenen Kollektivs durch ein anderes Kollektiv geht, muss zunächst klar sein, wer diesem ›Eigenen‹ und wer dem ›Anderen‹ zugerechnet wird. Schnell wird hier deutlich, dass es den Autor:innen der untersuchten Texte bei ihrem deutschen Volk nicht um Menschen geht, die in Deutschland leben oder auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sondern um ein ethnisch homogenes Kollektiv.

Die in diesem Zusammenhang rassistisch ausgegrenzten Personen werden im Verlauf meiner Arbeit häufig als »der Andere« benannt. Mit dieser Begriffswahl, die sich aus den Theorien zum sogenannten Othering (vgl. Spivak 1985; Hall 2013) ableitet, versuche ich die machtbehaftete, essentialisierende und objektifizierende Differenzierung zwischen dem, was als Eigenes und dem, was als nicht-Eigenes verstanden wird, zu greifen. Die männliche Form wird deshalb gewählt, da die rassifizierten Referenzfiguren der empiriebasierten Analyse größtenteils als Männer vorgestellt werden oder zumindest von einer männlich-normativen Ordnung ausgegangen wird.6

Das Kollektiv, das so als Gefahr für das deutsche Volk erscheint, entsteht in der Erzählung als absoluter Anderer, als kulturelles und biologisches Gegenstück zu dem, was als deutsch empfunden wird. Ich werde im Detail nachzeichnen, wo dieser Andere geografisch, aber auch religiös oder charakterlich verortet wird. Der Blick auf die Artikelinhalte zeigt dabei, dass das vermeintlich eigene Volk wesentlich schemenhafter umrissen ist als die Gefahr des Anderen – und dass die Darstellungen beider Publikationen durchzogen sind von Rassismus, Sexismus, und zum Teil auch Antifeminismus.

Die sexistischen Inhalte lassen sich hauptsächlich an den vorgefundenen Geschlechterbildern ausmachen, während mit Blick auf rassistische Abwertungen sowohl Elemente eines kulturalistischen als auch eines biologistischen Rassismus festzustellen sind. In besonderem Maße ist jedoch offensichtlich, dass sich die beiden Dimensionen an vielen Stellen verschränken und spezifische Formen der intersektionalen Diskriminierung hervorbringen. Das ist etwa dort der Fall, wo der rassifizierte Mann stets auch als sexualisierte Gefahr für die weiße Frau gezeichnet wird; oder, wo die weiße Frau mit als falsch dargestelltem Reproduktionsverhalten zwar zur potenziellen Gefahr für das Volk wird, diesem jedoch aufgrund ihrer Verortung als weiß-deutsch stets zugehörig bleibt.

Kapitel 4 analysiert die vorgefundenen Inhalte und ordnet sie unter Nutzung der theoretischen Grundannahmen aus Kapitel 2 ein. Die Struktur des Kapitels folgt ebenfalls den leitenden Fragen von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, ist jedoch aufgebaut entlang einer Reihe überraschender Erkenntnisse, die sich aus den Analyseinhalten hervortaten. Denn die Darlegung der Inhalte soll nicht den bloßen Zweck erfüllen, erwartbare rassistische, sexistische und antifeministische Topoi zu belegen. Sie soll gerade auch auf Aussagen hinweisen, die so in dem untersuchten Kontext eher nicht zu erwarten gewesen wären. Als Beispiel bietet sich die stellenweise zu beobachtende (scheinbare) Bewunderung des rassifizierten Anderen an oder auch die Tatsache, dass die Vorstellung vom eigenen Volk kaum mit konkreten Inhalten gefüllt wird.

Im Original trug diese Dissertation den Titel »Paradoxien illusionärer Narrative«. Kapitel 4 macht deutlich, warum. Paradoxien finden sich in den Diskrepanzen zwischen dem, was das Eigene Volk sein soll und doch nicht einmal in den Augen der neurechten Autor:innen selbst ist, und dem, wie die stilisierte Gefahr als absoluter Anderer erschaffen werden soll – was doch nicht recht funktioniert, da ihm implizit all jene Charakterzüge zugeschrieben werden, die dem eigenen Volk vermeintlich fehlen. Daraus ergibt sich ein in sich widersprüchliches Bild, das von Verachtung und Überlegenheitsdenken geprägt ist. Das reale deutsche Volk – also, die deutsche Bevölkerung – wird abgelehnt; dem rassifizierten Anderen schlägt der blanke Hass entgegen.

Kapitel 5 dient der Kontextualisierung der analysierten Narrative. Denn das, was die Neue Rechte in ihren Organen publiziert, bleibt nicht einfach abgekapselt wie in einer neurechten Blase hängen – es steht im Austausch und Zusammenhang mit Debatten und Ereignissen, die auch außerhalb des extrem rechten Randes stattfinden. Hier liegt die Relevanz der vorliegenden Arbeit begründet. Würde man annehmen, der untersuchte Diskurs finde bloß innerhalb eines mehr oder weniger geschlossenen Kreises als Erzählung statt, würde nur dort reproduziert und habe auf den Rest der Gesellschaft keine Wirkung, dann wäre dies sicher ebenfalls ein interessanter Untersuchungsgegenstand – schon aus psychologischer Perspektive; doch die volle Kraft derartiger Erzählungen wird erst deutlich, wenn man den Blick auch dorthin schweifen lässt, wo sie in die Gesellschaft einsickern.

Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, in diesem letzten Kapitel Orte aufzuzeigen, an denen das Narrativ des ›großen Austauschs‹ und all seine Ideologiestränge ganz realweltlich zum Wirken gebracht werden, und zwar in Form von Gewalttaten, durch die Einschüchterung von Menschen sowie Spaltungsmechanismen innerhalb der Gesellschaft. Die Beschreibung erhebt dabei zwei Ansprüche explizit nicht: Zum einen kann sie kein vollständiges Bild aller Wirkungsweisen, Vorfälle und Erfahrungen bieten, die im Zusammenhang mit dem Narrativ stehen, sondern nur eine illustrative Übersicht, um die Relevanz des Untersuchten greifbarer werden zu lassen. Zum anderen soll damit auch nicht angedeutet werden, die betrachteten neurechten Texte bzw. ihre Inhalte wären der Anfang einer linearen Entwicklung, deren Ende beispielsweise in einer Gewalttat zu finden ist. Wie mein in Kapitel 3.1. ausführlicher beschriebenes Diskursverständnis zeigt, gehe ich davon aus, dass die neurechten Medien in einem Resonanzraum arbeiten, in dem sich Diskurse, die aus verschiedenen Richtungen kommen, stärken, verschränken und reproduzieren können. Informationen wie die Auflagenstärke der Medien, die Arbeitsweise neurechter Bewegungen, oder die konkrete Bezugnahme von Gewalttäter:innen auf die betrachteten Narrative geben dabei freilich Hinweise darauf, wo die Akteur:innen und ihre Erzählungen im breiteren Diskurs zu verorten sind.

Perspektive Da ich mich im Verlauf dieser Arbeit immer wieder auf Konzepte wie Rasse, Ethnizität oder Geschlecht/Gender beziehen werde, muss zunächst klargestellt werden, dass ich solche Konzepte als Konstrukte betrachte. Im Gegensatz zu einer primordialistischen Betrachtungsweise, die sie als vordiskursiv und naturgegeben auffassen würde, gehe ich davon aus, dass sie aus »Diskursen und sozialem Handeln hervorgehen« (Sökefeld 2007: 33). Deshalb sollen sie nicht als biologische Tatsachen, sondern als »diskursive Konzeption[en]« verstanden werden, die in wirkmächtigen Narrativen entstehen (vgl. Hall 1989: 57; Sökefeld 2007: 32f).

Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass etwa Geschlechtsidentitäten »ein bloßes Hirngespinst« seien; wenngleich sie und andere Zugehörigkeitskategorien als soziale Konstrukte entstehen, sind ihre Wirkungen ganz real. Sie können Menschen zu bestimmten Handlungen bewegen und Realitäten schaffen (vgl. Sökefeld 2007: 33). Das gilt sowohl für eigens empfundene Zugehörigkeiten, etwa zu einem Geschlecht oder auch einer Ethnie, als auch für Fremdzuschreibungen. Im ersten Fall wird die eigene Identität davon geprägt, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen und sich zumindest in einem gewissen Rahmen dementsprechend zu verhalten. Im zweiten Fall werden Menschen von Außenstehenden einer solchen Gruppe zugerechnet, was wiederum Auswirkungen auf das Identitätsempfinden der Personen selbst wie auch das Handeln derer hat, die die Einstufung vornehmen. Wie sich solche Fremdzuschreibungen manifestieren, wird in den Kapiteln 3 bis 5 deutlich werden.

Der in der vorliegenden Arbeit betrachtete neurechte Diskurs ist von Stereotypen und als unverrückbar dargestellten sozialen Kategorien durchsetzt. Auch wenn ich diese als soziale Konstrukte denke, muss ich sie an vielen Stellen benennen, um sie für meine Analyse nutzen zu können. Das betrifft etwa Begriffe wie »weiß« und »Schwarz«, »männlich« und »weiblich« oder auch die nicht im Sinne einer Staatsbürgerschaft, sondern als völkisch verstandene Bezeichnung »deutsch«. Ich werde mein Verständnis dieser Kategorien teils durch eine entsprechende Markierung des Textes (s. Erläuterungen zu »weiß« und »Schwarz« in Fußnote 1) zum Ausdruck bringen, teils aber auch durch eine Kontextualisierung und Situierung, wie etwa beim Blick auf Geschlechterbilder (vgl. Baßler 2016: 88).

In den untersuchten Narrativen werden Menschen von außen in vermeintlich fixe Kollektive gruppiert und man schreibt ihnen ganz bestimmte, scheinbar vorzeitliche Gemeinsamkeiten zu. Eben diese essentialistische Sicht auf Menschengruppen im Sinne kollektiver Einheiten soll in der vorliegenden Arbeit vermieden werden, geht es doch gerade darum, einen Diskurs kritisch zu beleuchten, in dem primordialistische Kollektivierungen und mit ihnen die damit verbundenen Ein- und Ausschlüsse stetig reproduziert und gestärkt werden. Deshalb soll hinter allen Analysen die Annahme stehen, dass unser Wissen in Zusammenhängen entsteht und somit im Umkehrschluss »Vieles, was uns alltäglich und deshalb selbstverständlich erscheint, […] grundsätzlich auch anders sein [könnte]« (Hardmeier/Klöti 2004: 12).

Ich gehe entsprechend von einer Diskursmacht aus, die in der Bildung von Kollektiven eine tragende Rolle spielt. Einerseits handelt es sich dabei um Kollektive, welche die eigene Identität als Teil einer Gruppe festlegen; andererseits von außen aufoktroyierte Kollektivzuschreibungen, basierend auf stereotypen Vorannahmen. Zwischen diesen beiden Formen der im Diskurs gebildeten Kollektive muss grundsätzlich unterschieden werden. Was ich in meiner Arbeit nicht beleuchte, sind selbstdefinierte Kollektive marginalisierter Menschen. Betrachtet wird statt dessen zum einen das von den neurechten Autor:innen erschaffene Eigenkollektiv – das, was sie als das deutsche Volk verstehen, zu dem sie selbst sich zählen – und zum anderen das von denselben Akteur:innen gezeichnete Fremdkollektiv eines rassifizierten Anderen. Ich werde argumentieren, dass sich das Eigenkollektiv maßgeblich aus der Abgrenzung zum Fremdkollektiv ergibt.

In der detaillierteren Darstellung der genannten Kollektive laufen unterschiedliche Diskriminierungsdimensionen zusammen. Wie bereits angesprochen, sollen mittels eines intersektionalen Blicks auf die Narrative insbesondere Stellen aufgedeckt werden, an denen sich die Dimensionen Rassismus, Sexismus und/oder Antifeminismus kreuzen und so – eigen- und fremdverortete – Identitäten auf bestimmte Weise formen. Doch warum gerade diese Machtdimensionen? Offenkundig birgt das skizzierte Narrativ Potenzial auch für andere Diskriminierungsformen; schließlich geht es um den Erhalt eines sinnierten Volkes und darum, wer ein solches Volk auf- bzw. abwertet. Dass Dimensionen wie etwa Ableismus oder Klassismus ebenfalls eine Rolle spielen, wäre nicht nur denkbar, sondern ist tatsächlich der Fall. So wird etwa die Abwertung von Menschen mit Behinderung durch extrem rechte Akteur:innen teils gekoppelt mit anderen Formen der Abwertung, z.B. Rassismus (vgl. AfD-Fraktion im Bundestag 2018); und der sozioökonomische Hintergrund gebärender oder potenziell gebärfähiger Frauen spielt nicht nur in der Rechten, sondern in vielen gesellschaftlichen Diskussionen um Bevölkerungsentwicklung eine Rolle (vgl. Schultz 2016).

Wie in Kapitel 3 deutlich wird, fallen in den hier untersuchten Artikeln jedoch gerade die beiden Dimensionen Rassismus und Sexismus, teils ergänzt durch Antifeminismus, ins Auge und lassen sich immer wieder nachweisen. Andere Dimensionen werden höchstens gestreift oder treten als Komponenten von Rassismus und Sexismus zu Tage, etwa in Form einer angeblich privilegierten wirtschaftlichen Stellung von nicht als deutsch gelesenen Personen, oder indem das Thema Alter immer wieder berührt wird, wo die Bedrohung des Volkes hauptsächlich mit jungen rassifizierten Männern konstruiert ist.

Forschungsstand und Forschungsfragen Die vorliegende Arbeit betrachtet ein bestimmtes Narrativ (den ›großen Austausch‹) in einem bestimmten Milieu (zwei Publikationen der Neuen Rechten) in Hinblick auf eine bestimmte Verflechtung von Diskriminierungsformen (Rassismus, Sexismus). Mit dieser Perspektive kann sie auf die bestehende Forschung zu rechtsextremer Ideologie und rassistisch konnotierten Bevölkerungsdiskursen aufbauen, dabei aber zugleich einen präzisierenden Beitrag leisten.

Im Forschungsfeld Rechtsextremismus liegen bereits zahlreiche Arbeiten vor, die sich mit Geschlechterbildern in extrem rechten Milieus befassen, darunter Selbst- und Fremdbilder von Frauen und Männern in verschiedenen extrem rechten Szenen (vgl. Claus et al. 2011; Bitzan 2000; Büttner et al. 2012; Lang 2020; Wamper 2016; Rommelspacher 2000). Teilweise wurden hierbei auch gezielt Schnittstellen zwischen Rassismus und unterschiedlichen Spielarten des Sexismus beleuchtet, beispielsweise der Antifeminismus der extremen Rechten (vgl. Müller 2011; Culina 2018), die Bedeutung von Weiblichkeit und Reproduktion in rassistischen Bewegungen (vgl. Overdieck 2011) oder auch die Rassifizierung von Sexismus (vgl. Jäger 1999).

Dass das Thema Reproduktion in extrem rechten Kreisen stets die Diskriminierungsdimensionen Rassismus und Sexismus berührt und dass eine vermeintlich falsche Reproduktion und Sexualität als »Völkermord« verhandelt werden, wurde ebenfalls erforscht (Overdieck 2011: 100f). Goetz (2020) widmet sich dieser Themenverknüpfung konkret in Bezug auf die ›Identitären‹, die auch im Verlauf meiner Arbeit immer wieder auftauchen werden. Sie verdeutlicht, wie die Akteur:innen mit ihrer vermeintlichen Bezugnahme auf eine wissenschaftliche Debatte – die der Demografie – eine passende Anschlussstelle gefunden haben, um ihre diskriminierenden Inhalte zu Migration und Reproduktion in den Diskurs zu tragen. Ähnlich wie meine Arbeit geht Goetz auf die Rolle des wehrhaften Mannes in dem betrachteten Milieu ein, auf den Wert der Familie und den Blick auf die Frau. Letztere wird ihrer Analyse zufolge im Sprechen über den ›großen Austausch‹ gleichzeitig als Betroffene (von migrantischer Gewalt), als Verursacherin (aufgrund ihres Wahlverhaltens) und als Mutter, welche den Volksaustausch verhindern kann, betrachtet (vgl. Goetz 2020: 37ff).

Doch auch außerhalb extrem rechter Milieus konnten Verknüpfungen von Rassismus und Sexismus in diesem Kontext festgestellt und nachgewiesen werden. So erörtert etwa Schultz (2019; 2016), dass Diskussionen um Demografie und Bevölkerungsentwicklung auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen häufig von Rassismus durchzogen sind und dass teils eine rassistisch-differenzierende Betrachtung von Reproduktion stattfindet (vgl. Schultz 2019: 171ff).

Meine Arbeit soll ein detailliertes, gleichzeitig jedoch umfassendes und übergreifendes Bild dieser Gemengelage bieten. Einerseits werden die von der Neuen Rechten gezeichneten Bilder über den ›großen Austausch‹ en détail ausbuchstabiert und ganz konkret am Beispiel zweier in hohem Maße relevanter Publikationen belegt. Wie genau zeichnet das Milieu dieses Volk, das angeblich ausgetauscht werden soll und wie entsteht in dieser Erzählung der abgelehnte Fremde? Gerade, da die Neue Rechte bestrebt ist, sich selbst fernab früherer extrem rechter Bewegungen zu positionieren (Goetz 2020: 40f), gilt es aufzuzeigen, wie sich der doch erwartbare Rassismus in den betrachteten Magazinen gestaltet. Auch wird von Belang sein, wie und auch warum Sexismus und Feminismus in diesem Gesamtbild eine Rolle spielen – und zwar nicht nur in Bezug auf den gezeichneten Feind von außen, sondern auch mit Blick auf das Volk im Inneren. Die vorgefundenen Topoi sollen dabei, sofern möglich, in einen weiteren theoretisch-historischen Zusammenhang gestellt werden, um die Konstruktion des Diskurses deutlich zu machen und aufzuzeigen, wo das Gesagte ideologisch zu verorten ist.

Neue Rechte in altem Gewand Ich spreche in meiner Arbeit von der extremen Rechten sowie der Neuen Rechten. Deshalb soll an dieser Stelle konkretisiert werden, wer damit gemeint ist und warum meine Wahl auf diese Begriffe fiel. Wenngleich die verschiedenen Akteur:innen der extremen Rechten in Deutschland in einigen Grundannahmen übereinstimmen, so gibt es doch graduelle ideologische Unterschiede, weshalb es schwierig ist, von einer einheitlichen Denkrichtung oder gar Bewegung zu sprechen (vgl. Weiß 2017; Gessenharter/Pfeiffer 2004). Entsprechend uneinig ist sich die Wissenschaft auch über den Begriff des Rechtsextremismus (vgl. Winkler 2000). Stöß verweist auf die Vielschichtigkeit des Rechtsextremismus; der Begriff sei als »Sammelbegriff für verschiedenartige gesellschaftliche Erscheinungsformen, die als rechtsgerichtet, undemokratisch und inhuman gelten« zu verstehen (Stöß 2010: 19).7 Daran anknüpfend begreife ich Rechtsextremismus als Überbegriff, welcher unter anderem die Neue Rechte8 umfasst. Als Merkmale des Rechtsextremismus verstehe ich bezogen auf meine Arbeit neben der Ablehnung des parlamentarischen Systems und dessen Werten vor allem die Negierung des Freiheits- und Gleichheitspostulats aller Menschen (vgl. Backes/Jesse 1993: 40). Stöß ergänzt hierzu den Wunsch nach einer rassistisch konstruierten »Volksgemeinschaft« [Kursivierung im Original] (ebd. 20).

Volker Weiß zeichnet in dem Buch »Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes« (2017: 15ff) anschaulich die Entwicklung extrem rechter Bestrebungen und Akteur:innen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nach. Er macht deutlich – wie es auch andere Autor:innen immer wieder betonen –, dass viele Aspekte der sogenannten Neuen Rechten keineswegs neu sind (vgl. Gessenharter/Pfeiffer 2004: 223f; Gießelmann et al. 2016: 14ff). Ich werde im Folgenden einerseits deshalb von der Neuen Rechten sprechen, da die Bezeichnung in weiten Teilen der interessierten Öffentlichkeit und der Wissenschaft verbreitet ist. Andererseits aber auch, um die Strömung ein Stück weit einzugrenzen, wenngleich eine einheitliche Abhandlung der relevanten Akteur:innen schwierig erscheint (vgl. Weiß 2017: 19f). Diese Eingrenzung mache ich hauptsächlich an drei Aspekten fest, die in unterschiedlicher Gewichtung auch in anderen wissenschaftlichen Betrachtungen immer wieder zur Sprache kommen (vgl. Gießelmann et al. 2016; Gessenharter/Pfeiffer 2004; Keßler 2018).

Zum einen an der – zumindest vordergründigen – Ablehnung des Nazi-Regimes und entsprechenden Referenzen. Die Neue Rechte gibt sich nach außen friedfertig und spricht von einem ›Ethnopluralismus‹, der keine Hierarchien zwischen den Kulturen zulasse (dazu später mehr). Ebenfalls typisch ist die Bezugnahme auf rechtsintellektuelle Strömungen der Vorkriegszeit, welche die Bewegung gerade als Gegenpol zum Nationalsozialismus präsentiert, allen voran die sogenannte ›konservative Revolution‹. Und drittens erscheint mir besonders ausschlaggebend die angestrebte maßgebliche Wirkungsweise der Neuen Rechten, die sie in einem ›metapolitischen‹ Arbeiten zu erkennen meint und damit auf eine Art kulturelle Revolution hinwirken möchte – ihr Ziel ist es, die Grenzen des Diskurses zu verschieben (vgl. Gießelmann et al. 2016: 15f).

Trotz der Nutzung der Begriffe der extremen oder Neuen Rechten möchte ich zwei Dinge betonen, die auch im Verlauf meiner Arbeit deutlich werden: Die heutige Neue Rechte unterscheidet sich in entscheidenden Ideologieelementen und Narrativen nicht maßgeblich von früheren extrem rechten Bewegungen. Und obwohl ich von der extremen Rechten spreche, soll nicht der Eindruck entstehen, extrem rechte Bewegungen und Akteur:innen ließen sich trennscharf von einem Rest oder einer vermeintlichen Mitte der Gesellschaft differenzieren und seien als eine Art abgekoppelte Außenseiter-Strömung zu verstehen (vgl. Stöß 2010: 17; Zick/Klein 2014: 17ff). Wie ich aufzeigen werde, beinhaltet der betrachtete Diskurs zahlreiche Versatzstücke, die seit Langem an unterschiedlichen gesellschaftlichen Orten präsent sind. Zudem entfaltet er seine gewaltvolle Wirkung weit über das untersuchte Milieu hinaus. Ich betrachte es als essenziellen Teil des intersektionalen, postkolonialen Verständnisses meiner Arbeit, diesem Punkt in den theoretischen Ansätzen wie auch in der Analyse des empirischen Materials Rechnung zu tragen.

1Die Adjektive »weiß« und »schwarz« werden als Konstrukt verstanden und sollen deshalb aus dem Schriftbild hervortreten. In der Antirassismusforschung verbreitet ist etwa die Kursivierung des Begriffs »weiß« und die Großschreibung des Begriffs »Schwarz«, da letzterer als politische Selbstbezeichnung verstanden wird (vgl. Sow 2009: 25; Hornscheidt/Nduka-Agwu 2010: 32f). Dieser Groß- bzw. Kleinschreibung schließe ich mich an, werde jedoch beide Begriffe kursiv schreiben, um ihren Konstruktionscharakter zu betonen.

2Ich verwende doppelte Anführungszeichen für Zitate und einfache Anführungszeichen, wo eine Distanzierung zu dem genannten Begriff bzw. seiner im hier dargestellten Kontext zugewiesenen Deutung erfolgen soll.

3Als Bezeichnung spreche ich im Folgenden nicht von der »Identitären Bewegung«, sondern im Anschluss an Goetz (2020: 47) von den »Identitären«, um die selbstgewählte Charakterisierung als »Bewegung« nicht zu reproduzieren.

4Kritiker:innen postkolonialer Ansätze schreiben dem deutschen Kolonialismus aufgrund seines geringeren Ausmaßes im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch immer eine zu vernachlässigende Bedeutung zu. Barskanmaz (2019: 70ff) macht jedoch deutlich, dass die in Deutschland bis heute vorherrschenden kolonialen Wissensbestände bei weitem nicht ausschließlich der konkreten kolonialen Praxis entstammen.

5Wie Bevölkerungsprognosen wirken, über welche Zeiträume sie prognostizierend anwendbar sind und wo ihre Grenzen liegen, wurde in der Wissenschaft vielfach besprochen (vgl. z.B. Butterwegge 2006; Hummel 2000; Etzemüller 2007).

6Der »Andere« wird als aus dem Diskurs hervorgehendes Konstrukt verstanden, der Begriff jedoch aufgrund der Vielzahl seiner Nutzung nicht in Anführungszeichen gesetzt, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. Ebenso handhabe ich es mit der Gegenkonstruktion des Anderen, dem »Eigenen«. Um den Konstruktionscharakter hervorzuheben, werden die Begriffe auch in adjektivischer Nutzung großgeschrieben (z.B. »der Andere Mann«).

7Vgl. Salzborn (2020, 13ff) für eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Für und Wider verschiedener Phänomenbezeichnungen. Eine Distanzierung von der sog. Hufeisen-Theorie findet in diesem Buch durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem menschenverachtenden Gedankengut der extremen Rechten und dessen Versatzstücken im breiteren gesellschaftlichen Diskurs statt.

8Aus diesem Grund schreibe ich die »Neue Rechte« als klarer umgrenztes Phänomen groß, die als Sammelbegriff verstandene »extreme Rechte« nicht.

II.Hauptteil

 

 

1.Geschichte des Volkstod-Diskurses

Die aktuelle Bezugnahme extrem rechter Kreise auf den Bevölkerungswandel ist nicht aus dem Nichts hervorgegangen: Die Mär vom »Volkstod« gehört »seit jeher zum Kernarsenal völkischer Degenerations- und Untergangsszenarien« (Botsch/Kopke 2018: 66) und wird verstärkt wieder seit den 1990er Jahren unter verschiedenen Begrifflichkeiten geführt (vgl. Kellershohn 2016b: 282). Doch ob nun »Volkstod«, »Austausch« oder »Umvolkung« (ebd.) – gemeint ist und war dasselbe. Denn auch unter dem »Volkstod« wurde nie verstanden, dass das als eigen empfundene Volk ersatzlos aussterbe – gemeint war stets das Aussterben des eigenen Volkes und dessen Ersetzung durch Angehörige anderer Völker (vgl. Botsch/Kopke 2015). Ein kurzer Rückblick in die Geschichte des Diskurses macht deutlich, auf welchen Kontinuitäten die heutigen Warnungen vor dem Volkssterben fußen und dass sich das nun von der Neuen Rechten gezeichnete Gefahrenbild aus einer langen Geschichte der Angstmache vor dem ›Ersatz-Volk‹ nähren kann.

Ein von extrem rechten Akteur:innen heute noch gerne zitiertes Werk ist das nach dem ersten Weltkrieg von Oswald Spengler veröffentlichte Buch »Der Untergang des Abendlandes«, in dem der Autor Aufstieg und Untergang von Kulturen als naturgesetzlich darstellt. Spengler beschreibt Völker, die er als unzivilisiert bzw. »naturnah« betrachtet, als besonders fruchtbar, da deren Frauen ihre Mutterschaft noch als natürliche Pflicht zum Volkserhalt begreifen würden (vgl. Botsch/Kopke 2018: 66ff). Hier wie auch in aktuellen Untergangsfantasien laufen die beiden Diskursstränge Migration und Geburten zusammen, beide zudem mit besonderem Blick auf die Frau im eigenen Volk.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte das Thema Migration durch verbesserte Transportmittel bereits an Bedeutung gewonnen. Diese Veränderung gab Raum für Theorien über die Folgen gesteigerter Migration, die oftmals mit der Bewertung der Entwicklung der eigenen Bevölkerung einhergingen. Der Soziologe Edward Ross vertrat die Ansicht, Angehörige »unterlegener« Völker, die in fremden Landen ansiedelten, würden die einheimische Bevölkerung zwangsläufig verdrängen. Als Grund stellte er die Theorie in den Raum, die Zugewanderten würden, da sie meist einer niedrigeren Klasse angehörten, ihre einheimische Konkurrenz per Gebärverhalten überflügeln, da ihre Klasse weniger auf die Geburtenbeschränkung fokussiert sei (vgl. Ross 1929: 328). Einen niedrigeren Lebensstandard setzte er mit höheren Geburtenzahlen und darüber hinaus mit einer Verantwortungslosigkeit gegenüber der eigenen Familie gleich (vgl. ebd.: 332).

Wie bei Spengler werden bei Ross Einwander:innen zu Naturmenschen, die sich ungezügelt fortpflanzen und in den Tag hineinleben, ohne an die Zukunft zu denken. Interessant in Bezug auf die in Kapitel 2 dargelegten rassistischen Trennlinien zur Konstruktion des Volkes ist, dass Ross Einwander:innen in verschiedene Kategorien der Andersartigkeit sortiert und auch weiße europäische Einwander:innen zur Gefahr stilisiert. Er beschreibt sie als »Parasiten an der höheren Kultur der Einheimischen«, die in ihren Herkunftsländern eine hohe Kindersterblichkeit aufwiesen. Diese entfalle in der neuen Umgebung aufgrund der besseren Versorgung – da aber das Gebärverhalten unverändert bliebe, würden sich die Einwander:innen proportional zu den Einheimischen stärker fortpflanzen (vgl. Ross 1929: 332f).

Ross stellt die von ihm als einheimisch betrachteten weißen Amerikaner:innen darüber hinaus ehemals versklavten Menschen gegenüben. Ihnen wirft er das unkontrollierte Gebären von Kindern und damit verbunden die Ausbeutung von Frauen vor. Die Männer würden ihre Frauen »verbrauchen« und alsdann zur nächsten Frau übergehen. Da im Gegensatz dazu weiße Amerikaner »auf ihre Frauen Rücksicht nehmen« würden, sei ein Verdrängen der Einheimischen per Geburtenzahlen unausweichlich (Ross 1929: 330f).

Ross zufolge entsteht – ganz im Sinne des sogenannten Ethnopluralismus der Neuen Rechten – im Zusammenleben von Einheimischen und Migrant:innen unweigerlich eine Problematik: Nicht nur, dass Migrant:innen die einheimische Bevölkerung mittelfristig per Gebärverhalten verdrängen würden; auch ein gemeinsames gesellschaftliches Leben in einem demokratischen Staat hält er für unmöglich. Dies führt er maßgeblich darauf zurück, dass die von außen Kommenden andere »Traditionen, eine andere Erziehung und Denkweise« hätten, die nicht mit der Lebensweise der Einheimischen vereinbar sei. Ein demokratisches System sei unter solchen Voraussetzungen langfristig nicht haltbar. An dieser Stelle nimmt Ross nun doch eine Differenzierung zwischen weißen Einwander:innen und allen nicht-weißen Menschen im Land vor: Er geht davon aus, die Problematik im Zusammenleben könne mit der Zeit womöglich schwinden, jedoch nur, wo zwischen Einheimischen und Migrant:innen keine »Farbgegensätze« vorhanden seien (Ross 1929: 236f).

Doch nicht nur ein als dauerhaft geplanter Zuzug von nicht als weiß gelesenen Menschen in mehrheitlich weiße Länder rief Warnungen vor einem Volksaustausch hervor; die bloße Anwesenheit eines rassifizierten Anderen – wenn auch temporär – genügte. Die Stationierung Schwarzer Soldaten durch Frankreich während der alliierten Rheinlandbesetzung nach dem ersten Weltkrieg wurde in Deutschland als gezielte Unterwanderung des Volkes dargestellt. Sie galt als Plan der französischen Staatsführung, um Deutschland durch Beziehungen zwischen Schwarzen Soldaten und weißen deutschen Frauen zu »afrikanisieren« (Wigger 2017: 318; Ritter von Eberlein 1921).

Im Rahmen einer regelrechten Kampagne wurden Bilder gezeichnet, die erschreckende Kontinuitäten zu heutigen Debatten aufweisen. Nicht nur wurde einer politischen Elite ein angeblicher Plan zur Zerstörung des deutschen Volkes angedichtet, auch spielte ein bestimmtes Frauenbild eine tragende Rolle in diesem Narrativ. Die deutsche Frau wurde einerseits als von den Schwarzen Soldaten bedroht und schützenswert dargestellt, andererseits als naiv und impulsgeleitet, weshalb sie sich auch freiwillig mit dem rassifizierten Anderen einlasse und so nicht nur die eigene Ehre verletze, sondern auch dem »Volkskörper« schade (vgl. Wigger 2010: 38ff).

Betrachtet man heutige Debatten, in denen es um ein vermeintliches Aussterben des Volkes geht, fallen zudem gleich mehrfache Bezüge zu nationalsozialistischen Narrativen auf. Zum einen schon aufgrund von Begrifflichkeiten: Nicht nur die ständige Bezugnahme auf das ›Volk‹ als Gemeinschaft sticht heraus, sondern auch die Tatsache, dass rechtsradikale Medien im Zusammenhang von Demografie und Migration häufig von »Umvolkung« sprechen, was klar einem Topos der NS-Zeit folgt, als die Nationalsozialisten eine »Umvolkung« Richtung Osten anstrebten (vgl. Niehr 2017: 72).

Botsch und Kopke (2015) sehen eine weitere Verbindung im Narrativ der beschworenen Zurwehrsetzung und im Konstrukt einer aufoktroyierten Verschwörung. Beides ist in heutigen extrem rechten Bewegungen zu beobachten und kann als Weiterführung einer historisch-fiktionalen Gegenerzählung zur Entlastung des NS-Regimes verstanden werden. Das Regime, so heißt es, habe lediglich defensiv gehandelt, um die Vernichtung des deutschen Volkes abzuwenden. Derartige Narrative erfüllen in extrem rechten Kreisen in Deutschland den Zweck, positive Rückgriffe auf die NS-Zeit ziehen zu können, ohne jedoch die Gräueltaten des Regimes offen zu verherrlichen – die Verbrechen der Nazis werden durch die einfache Erklärung der puren Verteidigung gerechtfertigt bzw. schlichtweg außen vor gelassen. Auch in der aktuellen Debatte rund um den angeblichen Austausch der Bevölkerung wird, wie wir im empirischen Teil sehen werden, immer wieder gefordert, das deutsche Volk müsse sich zur Wehr setzen gegen die Bedrohung von außen – also gegen die von Eliten und Politik gesteuerte Migration nach Deutschland, gepaart mit der Verhinderung ausreichender Geburten innerhalb des Volkes.

Im Nationalsozialismus wurden Juden und Jüdinnen zur gefährlichen ›Rasse‹ stilisiert, die das Volk unterwandere. Der Unterschied zu früheren derartigen Zuschreibungen, etwa an die Schwarzen Soldaten im Rheinland oder in Bezug auf ›Mischehen‹ in den Kolonien, lag darin, dass die in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen Teil der Bevölkerung waren und die ihnen zugeschriebene Gefahr somit im Inneren des Volkes saß. Um sie dennoch ausschließen und abgrenzen zu können, mussten sie rassifiziert werden. Sie wurden mit Begrifflichkeiten beschrieben, die sonst zur Rassifizierung Schwarzer Menschen dienten – beispielsweise als »schwarz«, mit »Kraushaar« oder »affenähnlich«. Wie auch in den Zuschreibungen an die Schwarzen Soldaten im Rheinland warf man ihnen vor, eine sexuelle Gefahr für weiße deutsche Frauen darzustellen und das deutsche Volk durch »Bastadisierung« zersetzen zu wollen. Im Gegensatz zu den Schwarzen Soldaten, die eher als Marionetten der französischen Führung gezeichnet wurden, ließen die Nationalsozialist:innen die jüdische Bevölkerung selbst als Schuldige des gezielten Vorgehens zur Volksschädigung erscheinen (vgl. Essner 2002: 33; 60).

Nach 1945 verschwand zwar nicht die krude Idee der Verdrängung des deutschen Volkes, doch der Diskurs wurde weitestgehend unter anderen Begrifflichkeiten geführt – zu belastet schien der von den Nationalsozialist:innen genutzte Wortschatz. Als Ersatz für die »Umvolkung« kamen nun eher wissenschaftlich anmutende Begriffe wie »Ethnomorphose« zum Einsatz. Das Sprechen von der »Umvolkung« begann erst Ende der 1980er Jahre wieder in rechten Kreisen (vgl. Kellershohn 2016b: 286ff).