Das Pandora Prinzip - Norbert Georg Schwarz - E-Book

Das Pandora Prinzip E-Book

Norbert Georg Schwarz

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Beschreibung

Was bedroht unser Überleben? Wachstum wird auf den meisten Organisationsebenen unterhalb der Organisationseinheit Menschheit als positiv betrachtet und belohnt. Gleichzeitig führt stabiles globales Wachstum, Bevölkerungs- oder Wirtschaftswachstum, durch Ressourcenverbrauch oder Konkurrenzkämpfe zur Beeinträchtigung der Lebensqualität auf der Erde. Wo vordergründig geistig-ethische Werte den Diskurs bestimmen, gilt hintergründig das Recht der Stärkeren. Die Wissenschaft hat inzwischen unzählig viele Pandora-Büchsen geöffnet, mit deren Folgen die Menschheit nun zurechtkommen muss. Man kann etwas erfinden, aber man kann nichts "entfinden". Ein Wissen, das in der Welt ist, kann nicht mehr aus der Welt entfernt werden. Wir können theoretisch alle Waffen beseitigen, wir können aber nicht die prinzipielle Fähigkeit des Menschen, Waffen zu bauen, aus der Welt schaffen. Ich kann rückwärts laufen, ich kann zu etwas zurücklaufen, ich kann an etwas zurückdenken. Rückwärts denken kann ich aber nicht. Fortschritt ist immer auch mit Zerstörung verbunden. Wo Städte entstehen sollen, muss gerodet werden, wo eine neue Technologie eingeführt wird, wird eine ältere Technologie verdrängt, und wo die Einen Ressourcen an sich reißen, nehmen sie diese anderen weg. Die schöpferische Kraft der Zerstörung ist die zerstörerische Kraft der Schöpfung. Norbert Schwarz beschäftigt sich als Infektionsepidemiologe mit Seuchen- und Gesundheitsrisiken für Einzelne und Gruppen. In diesem Buch beleuchtet er existentielle Risiken, für die größtmögliche Homo-sapiens-Gruppe, die Menschheit.

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Dieses Buch wurde durch eine Themenwoche „Große Fragen“, die unterstützt von der Alexander von Humboldt Stiftung im Rahmen der Alumniarbeit des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg im Sommer 2018 stattfand inspiriert. Herzlichen Dank an Hagen Frickmann für die kritische Durchsicht des Manuskripts und fruchtbare Diskussionen. Dieses Werk spiegelt allein die Ansichten des Autors wieder, die sich nicht zwingend mit offiziellen Haltungen des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin oder der Alexander von Humboldt Siftung decken.

Inhaltsübersicht

Prolog: Intelligenz einer Art und Überleben

Nichtexistenzielle und existenzielle Bedrohungen

Die Nichtnachhaltigkeit Nachhaltigen Wachstums

Öl

Die unendliche Endlichkeit von Wasser und Sand

Klimawandel

Wirkung des Menschen auf andere Arten

Massenaussterben

Die atomare Bedrohung

Die Besonderheit des

Homo sapiens

Armut & Hunger

Seuchen

Das Pandora-Prinzip

Referenzliste

Index

Inhaltsverzeichnis

Prolog: Intelligenz einer Art und Überleben

Nichtexistenzielle und existenzielle Bedrohungen

Über die Unsicherheit des Sicherheitswissens

Die Nichtnachhaltigkeit Nachhaltigen Wachstums

Real stattgehabte Bevölkerungsreduktionen

Gesellschaftszerfall als schmerzliche Seite der sanften Bevölkerungsreduktion

Wachstum: lokal erwünscht, global katastrophal

Wann spüren wir die Grenzen des Wachstums?

Öl

Ölbarone

„Peak Oil“

Ölkolonialismus

Die Carter-Doktrin: Anspruch auf Öl, egal wo

Ölkriege

Die Zerschlagung Libyens

„Peak Gas“

Fossile Brennstoffe sind endlich

Wie können sich die Menschen individuell an die Herausforderungen der zu Ende gehenden Ära der fossilen Brennstoffe anpassen?

GM-Suburbia: Der Siegeszug des Individualverkehrs

Alternativen zu fossilen Energieträgern

Die unendliche Endlichkeit von Wasser und Sand

Wassermangel

Sandmangel

Klimawandel

Religionifizierung der Klimawandeldebatte

Mechanismen des menschgemachten Klimawandels

Versauern der Meere

Mögliche Veränderungen der thermohalinen Zirkulation

Die Verlangsamung der Jet Streams und deren Effekt auf Wetterlagen

Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt

Weitere den Treibhauseffekt antreibende Prozesse

Schmilzt das arktische Eis tatsächlich?

Schmilzt das antarktische Eis?

Konsequenzen eines Meeresspiegelanstiegs und extremer Stürme

Dürre

Wissen wir zu wenig über den menschgemachten Klimawandel, um über Maßnahmen zu reden?

Wirkung des Menschen auf andere Arten

Der Mensch als existenzielle Bedrohung für andere Arten

Wale

Wisente

Mammuts

Artenschutz

Massenaussterben

Erste Spuren von Leben auf der Erde

Entstehung vielzelligen Lebens

Die fünf großen Massenaussterben

Das sechste Massenaussterben komplexer Arten

Vergleich von Mensch, Nutztier und Wildtiermassen im Anthropozän

Genetische Flaschenhälse und historische Demografie

Das Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum (vor 56 Mio. Jahren)

Extraterrestrische Bedrohungen

Die atomare Bedrohung

Das Gleichgewicht des Schreckens

Stanislaw Petrow

Sprengköpfe zählen

Wie überlebt man eine Atombombenexplosion?

Wie überlebt man einen ausgedehnten Atomkrieg (und lohnt sich das)?

Abklingen von Radioaktivität: Die Halbwertszeit

Strahlungsarten und deren Schadwirkung

Die schmutzigen Kriegspläne mit sauberen Bomben

Die Besonderheit des

Homo sapiens

„Auserwählte Nationen“ und „saubere“ Massenvernichtungswaffen

Globale Eliten und „saubere“ Massenvernichtungswaffen

Eugenik

Genozid

Armut & Hunger

Relative Armut

Existenzielle Armut

Hunger heute

Seuchen

Biowaffen

Antibiotikaresistenz

Das Haus der Krankheiten

Lungenkeim im Anflug!

Die spanische Grippe 1918

Zusammenspiel von Mikroorganismen und Makroorganismen

Eine neue Welt

Wege zur (Selbst-)Auslöschung

Das Pandora-Prinzip

Giftstoffe als existenzielle Bedrohung der Menschheit

Designerorganismen und deren unabsehbare Folgen

Unmittelbare und langfristige Folgen technischer Innovationen

Referenzliste

Index

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Weltbevölkerung und Weltbevölkerungswachstum zwischen 1750 und 2015 und Weltbevölkerungsprojektion bis 2100 (Die US-amerikanischen Angabe Billion entspricht im Deutschen einer Milliarde) [7] Quelle: Roser & Ortiz-Ospina (CC BY-SA 3.0 AU), Our World in Data.

Abbildung 2:

Rohölfördermenge auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten zwischen 1940 und 2015 in Millionen Barrel pro Tag [21] Quelle: U.S. Energy Information Administration, Public Domain.

Abbildung 3:

Wöchentliche Rohölfördermenge auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten zwischen 1983 und Juli 2018 in Tausend Barrel pro Tag mit Angabe der aktuellen Fördermenge im Juli 2018 [22] Quelle: U.S. Energy Information Administration, Public Domain.

Abbildung 4:

Eiskernbasierte CO

2

-Messungen für Messpunkte, die dem Zeitraum 1006–1978 entsprechen [82, 83] Quelle: Etheridge et al. Scientific Journal of Geophysical Research 1996.

Abbildung 5:

Ausdehnung der arktischen Eisfläche in den Junimonaten 1979–2018. [100] Quelle: (US)-National Snow and Ice Data Center (http://nsidc.org/), University of Colorado, Boulder.

Abbildung 6:

Landsäugetierkarbonmasse für Menschen, domestizierte Landsäugetiere und wilde Landsäugetiere im Jahr 1900 und 2000. [149] Datenquelle Smil et al. Population Development Review 2011

Abbildung 7:

Strahlenschutzwirkung verschiedener Räume in verschieden konstruierten Gebäuden. Quelle: US-Federal Emergency Management Agency [165].

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Vierfeldertafel zur Darstellung von Bekanntheit vs. Nicht-Bekanntheit von Bekanntem vs. Unbekanntem

Tabelle 2:

Al Bartletts Gegenüberstellung von Maßnahmen, die die Bevölkerungszahl erhöhen, und Maßnahmen, die die Bevölkerungszahl reduzieren

Tabelle 3:

Effekt verschiedener CO

2

-Konzentrationen in der Atemluft auf den menschlichen Organismus

Tabelle 4:

Treibhauspotenzial von CO

2

, Methan (CH

4

), Lachgas (N

2

O) und FCKW, deren Treibhausgaskonzentrationen in den Jahren 1750, 2005 und 2011 sowie deren anteilige Wichtigkeit an der Treibhauswirkung angegeben in % des RF (Radiative Forcing)

Tabelle 5:

Einteilung der Gefährdungsgrade in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature, IUCN, http://www.iucnredlist.org) mit Einordnung der beschriebenen Arten Grönlandwal, Pottwal, Blauwal und Wisent, sowie dem Jangtse Delfin, der in der roten Liste immer noch als CR geführt wird, obwohl seit 2002 kein Exemplar mehr gesichtet wurde. Die Kategorie CR wird manchmal mit dem Hinweis „possibly extinct“ ergänzt.

Tabelle 6:

Fünf große Massenaussterben komplexer Arten

Tabelle 7:

Geologische Zeitperioden der letzten 541 Mio. Jahre (Phanerozoikum). Die fünf großen Massenaussterben sind mit kleinen Ziffern 1– 5 neben den Erdären verzeichnet.

Tabelle 8:

Massenvergleich Menschen, wilde Landsäugetiere und domestizierte Landsäugetiere

Tabelle 9:

Offizielle und faktische Atommächte mit geschätzter Zahl der Atomsprengköpfe laut der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN)

Tabelle 10:

Strahlungsreduktion für eine Strahlungsquelle mit einer Halbwertszeit von 5 Jahren. Dargestellt sind die Zahl der Halbwertszeiten, die dazugehörige Dauer und die nach entsprechender Zeit zu erwartende Strahlungsreduktion.

Tabelle 11:

Bevölkerungsentwicklung in Indien und China 2016–2026 in Milliarden. Projektionen basierend auf einem Bevölkerungswachstum von 1,2 % in Indien und 0,5 % in China.

Tabelle 12:

Zahlenbeispiel für bakterielles Wachstum beginnend mit 100 Bakterien und einer Verdoppelungszeit von 20 Minuten (unter Idealbedingungen in Kultur).

Tabelle 13:

Präkolumbianisch domestizierte Tiere Eurasiens und Amerikas

Tabelle 14:

Infektionskrankheiten, die aus Eurasien nach Amerika eingeschleppt wurden, und Infektionskrankheiten, die aus Amerika nach Eurasien kamen

Prolog: Intelligenz einer Art und Überleben

In einer Diskussion mit dem Astrophysiker Carl Sagan bezeichnete der Biologe Ernst Mayr Intelligenz als eine letale Mutation. In der Tat sind Arten, die schon lange auf der Erde bestehen und sich weit verbreitet haben, solche, die schnell mutieren und ansonsten eher keine besondere Komplexität aufweisen (z.B. Bakterien). Mit seinem Argument wollte Mayr den Optimismus von Carl Sagan hinsichtlich der Existenz intelligenten Lebens auf anderen Planeten dämpfen. Denn Sagan hatte argumentiert, dass es im Universum aufgrund der unvorstellbar großen Zahl genug Planeten geben müsse, die gute Voraussetzungen für intelligentes Leben böten [1]. Mayrs Argumentation ist sinngemäß, dass Intelligente Wesen, die in der Lage wären, mit uns in Kontakt zu treten, wohl kaum existierten, da dies einen Technologie- und Zivilisationsstand vorraussetzen würde, der schon zur Selbstzerstörung geführt haben müsste, sei es durch Umweltzerstörung, Ressourcenverbrauch oder Massenvernichtungswaffen.

Vielleicht geht Komplexität einer intelligenten Art mit einer höheren Fragilität einher, die ihr Langzeitüberleben einschränkt. Wenn Intelligenz die Voraussetzung wäre, um die Fähigkeit zur Selbstzerstörung (zum Beispiel durch einen Atomkrieg) zu erlangen, dann wäre gar ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Intelligenz und einer möglichen Verkürzung der Artbestandsdauer gegeben. Natürlich enthalten diese Aussagen ein paar Vereinfachungen. In einem Gedankenexperiment können wir uns ja mal die Langzeitüberlebensperspektive intelligenter vermehrungs- und mutationsfreudiger Bakterienarten gegenüber gleich großen normal nichtintelligenten Bakterien vorstellen.

Dennoch hat Intelligenz neben ihrem zweifellos vorhandenen destruktiven selbstzerstörerischen Potenzial auch das Potenzial, Probleme zu lösen. Wenn potenziell lebensbedrohliche Probleme intelligent gelöst werden, könnte das Überleben der Art Homo sapiens verlängert und der Exitus verzögert werden. Für ein Individuum der Art Homo sapiens scheint Intelligenz ein Vorteil zu sein. Auch als Art hat es Homo sapiens im direkten Bestehen in der Welt und im Wettbewerb um Nahrung und Ressourcen mit anderen Arten in den etwa 300.000 Jahren seiner Existenz recht weit gebracht. Ohne Intelligenz und die damit einhergehenden Anpassungsmöglichkeiten wären unsere Vorfahren vielleicht schon vor Zehntausenden von Jahren von anderen Arten oder durch widrige Umstände vom Planeten gefegt worden.

1 Nichtexistenzielle und existenzielle Bedrohungen

Bei Sicherheitsüberlegungen für die ganze Menschheit ist zu unterscheiden, ob eine Bedrohung existenziell ist, also das Ende der Menschheit bedeuten könnte, oder nicht. Existenzielle Bedrohungen können zum Aussterben der Menschheit führen. Die meisten Bedrohungen sind nicht existenziell, können aber von katastrophalem Ausmaß sein; man denke an die Pestzüge des Mittelalters. Ein solches Massensterben von Menschen ist nicht automatisch eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit. Dennoch gilt es so etwas zu verhindern.

Die Unterscheidung zwischen existenziellen und nichtexistenziellen Bedrohungen wird in diesem Buch nicht konsequent durchgehalten. Denn es ist nicht möglich, eine Bedrohung als eindeutig existenziell oder nichtexistenziell zu identifizieren. Dies hängt letztendlich vom Endeffekt ab, den die Bedrohung auf die Menschheit gehabt haben würde: Eine nichtexistenzielle Bedrohung könnte in Zukunft zu einer existenziellen Bedrohung werden. Und nach einer manifest gewordenen existenziellen Bedrohung gäbe es keinen Menschen mehr, der die Bedrohung abschließend als solche einordnen könnte.

Die Beschäftigung mit Bedrohungen – ob existenziell oder nicht – kann niemals allumfassend sein. Wir können im Vorhinein nicht wissen, ob eine wahrgenommene Bedrohung eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit ist. Dieses Unwissen ist uns bekannt.

Über die Unsicherheit des Sicherheitswissens

Der ehemalige Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten Donald Rumsfeld ist nicht nur für die Vorbereitung völkerrechtswidriger Angriffskriege gegen Afghanistan und den Irak bekannt, sondern hat durch seine Aussage auf einer Pressekonferenz vom 12.12.2002 eine rege erkenntnisphilosophische Debatte ausgelöst.

Rumsfeld wurde damit konfrontiert, dass es keine Anhaltspunkte für Massenvernichtungswaffen auf Seiten des ehemaligen US-Verbündeten, jedoch inzwischen verfeindeten irakischen Präsidenten Saddam Hussein gab. Mit seiner Erwiderung wich Rumsfeld der Frage aus. Daher ist der Vorwurf, er habe mit einer verwirrenden Antwort davon ablenken wollen, dass die Kriegsgründe für den vorherigen Angriffskrieg vorgeschoben waren, durchaus berechtigt. Dafür wurde seine Aussage als kondensierte Verdichtung einer philosophischen Debatte anerkannt [2]. Hier zunächst das Rumsfeld-Zitat im Original:

“[…] there are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns – the ones we don’t know we don’t know.” (Donald Rumsfeld)

Hier die wörtliche Übersetzung:

„Es gibt bekannte Bekannte, es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt; das heißt, wir wissen, es gibt einige Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“

Oder als leicht modifizierte Übersetzung:

„Es gibt bekanntes Wissen, es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekanntes Nicht-Wissen gibt; das heißt, wir wissen, es gibt einige Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekanntes Nicht-Wissen – es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“

In Rumsfeld Aussage sind drei Dimensionen enthalten:

bekannte Bekannte (bekanntes Wissen)

bekannte Unbekannte (bekanntes Nicht-Wissen); gewissermaßen bekannte Fragen mit unbekannter Antwort)

unbekannte Unbekannte (unbekanntes Nicht-Wissen; unbekannte Fragen; Existenz der Frage nicht bekannt)

Eine weitere Dimension, die known-unknown-Konstellationen wurde von dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek nachgeliefert [3, 4]. Žižek verbreitete seine Aussage auf der Internetplattform Youtube:

“I think he [Rumsfeld] should have gone on. Making the next step to the fourth category, which is missing, which is not the known unknowns but the unknown knowns. Things we don’t know we know them. We know them they are part of your identity, they determine our activity, but we don’t know that we know them […] The tragedy of today’s American politics is that they are not aware of theses unknown knowns, which is why […] Americans don’t even control themselves.” (Slavoj Žižek)

Demnach besteht die vierte Konstellation aus den unbekannten Bekannten (unbekanntem Wissen), also aus Dingen, von denen wir nicht wissen (wollen), dass wir sie wissen, die also eigentlich bekannt sind, aber nicht eingestanden werden. Žižek verweist ausdrücklich auf das psychoanalytische Konzept des Unterbewussten.

Die vier Dimensionen des Wissens lassen sich wie folgt in einer Vierfeldertafel kreuztabellieren (Tabelle 1).

Tabelle 1: Vierfeldertafel zur Darstellung von Bekanntheit vs. Nicht-Bekanntheit von Bekanntem vs. Unbekanntem

Wissen

Wissen (Bekanntes)

Unwissen (Unbekanntes)

Metawissen

bekanntes

bekanntes

Wissen

bekanntes

Unwissen

unbekanntes

unbekanntes

Wissen

unbekanntes

Unwissen

Gerade die nicht vorhergesagten Ereignisse sind es, die oftmals den Lauf der Dinge beeinflussen und die Weltgeschichte prägen, wie Nassim Taleb in seinem Buch der Schwarze Schwan ausführlich dargelegt hat [5].

Während ein Oxymoron den Widerspruch unabhängig von der Einstellung des Betrachters in sich trägt, können Widersprüche auch erst in Abhängigkeit von der Interpretation des Betrachters entstehen. Solche „Pseudooxymorons“ werden häufig mit propagandistischen Effekten in Nachrichten verwendet. Beispiel hierfür sind „humanitärer Kriegseinsatz“ oder „freundlicher Beschuss“. Derartige im Auge des Betrachters entstehende Widersprüche laden zu ironisch-humoristischen Überspitzungen ein, wie z.B. in den Pseudooxymorons „military intelligence“ oder „schöpferische Zerstörung“. Oder „nachhaltiges Wachstum“ und „Homo sapiens“ (weiser/vernünftiger Mensch); Pseudooxymorons, deren Absurdität in diesem Buch aufgezeigt werden soll.

2 Die Nichtnachhaltigkeit Nachhaltigen Wachstums

Al Bartlett war ein Physiker an der Universität Colorado in Boulder, der am 7. September 2013 im Alter von 90 Jahren starb. Bekannt geworden war er vor allem durch eine einstündige Vorlesung „Arithmetik, Bevölkerung und Energie“, die er seit 1969 bis zu seinem Tod insgesamt 1742 Mal gehalten hat. Jede dieser Vorlesungen begann er mit dem Satz: „Die größte Schwäche der Menschheit ist das Unvermögen, die Exponentialfunktion zu verstehen“ [6].

Stabiles Wachstum oder nachhaltiges Wachstum – das klingt erst mal gut und unproblematisch. Bartlett legt dann aber beeindruckend verständlich dar, was das überhaupt bedeutet. Um zu illustrieren, was ein stabiles prozentuales Wachstum von zum Beispiel 5 % bedeutet, gibt er dem Zuhörer eine einfache Faustformel zur Berechnung der Verdoppelungszeit der Ausgangsgröße an die Hand:

Stellen wir uns eine Kleinstadt mit 60.000 Einwohnern vor – das war die Größe von Boulder/Colorado im Jahr 1969, als Bartlett zum ersten Mal seine Vorlesung zum Unvermögen der Menschheit, die Exponentialfunktion zu verstehen, hielt. Das Bevölkerungswachstum der Stadt liege stabil bei 5 % pro Jahr. Mit obiger Faustformel haben wir die Verdoppelungszeit auf 14 Jahre berechnet. Hätte das jährliche Wachstum Boulders zu Lebzeiten Bartletts stabil bei 5 % gelegen, hätte sich die Bevölkerungszahl im Jahr 1983 auf 120.000 verdoppelt, wiederum 14 Jahre später, im Jahr 1997 auf 240.000 vervierfacht und schließlich im Jahr 2011 auf 480.000 verachtfacht. Dieses einfache Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass sich hinter „stabilem prozentualem Wachstum“ die Exponentialfunktion verbirgt. (In Wirklichkeit hatte Boulders im Jahr 2011 nur etwa 100.000 Einwohner.)

Abbildung 1: Weltbevölkerung und Weltbevölkerungswachstum zwischen 1750 und 2015 und Weltbevölkerungsprojektion bis 2100 (Die US-amerikanischen Angabe Billion entspricht im Deutschen einer Milliarde) [7] Quelle: Roser & Ortiz-Ospina (CC BY-SA 3.0 AU), Our World in Data.

Die Erde hat eine Landfläche von 150 Mio. km2. Die derzeit weltweite landwirtschaftlich genutzte Fläche wird auf etwas weniger als etwa 50 Mio km2 geschätzt [8]. Dies entspricht also einem Drittel der weltweiten Landfläche. Bei einer Weltbevölkerung von derzeit 7,5 Mrd müssen sich durchschnittlich 150 Menschen einen Quadratkilometer landwirtschaftlicher Nutzfläche teilen, somit stehen für die Ernährung jedes einzelnen Menschen im Durchschnitt 6666 m2, also ein Quadrat mit einer Seitenlänge von etwa 80 m x 80 m zur Verfügung. Sollte die Weltbevölkerung stabil mit 1,1% weiterwachsen, wären nach 2080, in 64 Jahren 15 Milliarden Menschen auf der Welt, was 100 Menschen pro km2 (1000 m x 1000 m) Landfläche und 300 Menschen pro km2 landwirtschaftlicher Nutzfläche entspräche. Für den einzelnen Menschen bliebe ein Quadrat von 100 m x 100 m Landfläche – de facto noch deutlich weniger, da ja nicht alle Landflächen der Erde bewohnbar sind, bzw. für die landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion gebraucht werden.

Ein auf Wachstum ausgerichtetes Weltwirtschaftssystem gibt Machthabern Anreize, wachsende Bevölkerungszahlen zu propagieren. Wachsende Bevölkerung ist oft mit wachsendem Bruttoinlandsprodukt assoziiert und ein Land mit einer großen Einwohnerzahl hat mehr Macht auf dem internationalen Parkett.

Maßnahmen zur Reduktion der Bevölkerung

Die Bevölkerungsentwicklung in einer Region der Erde wird beeinflusst durch die Geburten- und Sterberate (natürliche Bevölkerungsentwicklung) sowie durch die Zu- und Abwanderung. Die Weltbevölkerung hingegen wird nur durch die Geburten- und Sterberate beeinflusst. Al Bartlett stellte in seiner berühmten Vorlesung in einer tabellarischen Auflistung auch Maßnahmen, die die Bevölkerungszahl erhöhen, und Maßnahmen, die die Bevölkerungszahl reduzieren, mit nüchterner Brutalität und ohne ethische Wertung gegenüber. Diese Tabelle wird hier auf Deutsch übersetzt wiedergegeben (Tabelle 2).

Tabelle 2: Al Bartletts Gegenüberstellung von Maßnahmen, die die Bevölkerungszahl erhöhen, und Maßnahmen, die die Bevölkerungszahl reduzieren

Erhöhung der Bevölkerungszahl

Reduktion der Bevölkerungszahl

Zeugung von Nachwuchs

Enthaltsamkeit

Mutterschaft

Verhütung

Große Familien

Abtreibung

Einwanderung

Kleine Familien

Medizinische Versorgung

Einwanderung stoppen

Öffentliches Gesundheitswesen

Krankheiten

Hygiene und Gesundheitspflege

Krieg

Frieden

Gewalt mit Mord und Totschlag

Recht und Gesetz

Hungersnöte

Wissenschaftliche Landwirtschaft

Unfälle

Unfallverhütung

Luftverschmutzung (Rauchen)

Saubere Luft

Ignoranz des Exponentialphänomens

Einige dieser „Maßnahmen“ (zum Beispiel Krieg oder Krankheiten) sind sicherlich nicht wünschenswert und es wäre ethischmoralisch verwerflich, sie zu implementieren. Dennoch sollte man sie nicht ignorieren. Einige der Maßnahmen zur Bevölkerungsreduktion könnten durch Ressourcenknappheit (zum Beispiel Hunger) bzw. durch Kriege um Ressourcen (und gegen konkurierende Menschen) von selbst eintreten . Denkbar wäre deren aktive Implementierung aber auch in einem bestialisch brutalen, totalitären System, wie es der Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert darstellte, oder aber durch Eliten, die sich gegenüber der Masse der Menschen derart überlegen fühlen (zum Beispiel genetisch optimierte Menschen), dass sie sich berechtigt fühlen, die unterlegenen Menschen auszurotten (ähnlich wie wir heute ganze Tierpopulationen keulen, wenn wir dies für sinnvoll halten, z.B, um eine Tierseuche einzudämmen).

Viele der das Bevölkerungswachstum begünstigenden „Maßnahmen“ sind positiv besetzt. Hygiene, medizinische Versorgung und Frieden sind Maßnahmen, deren Umsetzung ich mich als Arzt und Epidemiologe selbst verpflichtet fühle und von denen ich überzeugt bin, dass sie das menschliche Leben auf der Erde verbessern.

Das Bevölkerungswachstum ist in den meisten Teilen der Welt ein recht neues Phänomen, das erst mit Einsetzen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert als Problem wahrnehmbar wurde. Vorher war Bevölkerungswachstum ein Zeichen von Prosperität und Wohlstand, und im Grunde wurde es das auch so in aufstrebenden Ökonomien der Industrialisierung wahrgenommen. Die Wahrnehmung eines normalen Menschen, der mit anderen normalen Menschen um Ressourcen, Wohnraum und Arbeit konkurriert, mag jedoch weniger optimistisch sein.

Real stattgehabte Bevölkerungsreduktionen

Die Weltbevölkerung wächst, jedoch ist dieses Wachstum keineswegs ausgeglichen. Während das natürliche Bevölkerungswachstum in Afrika mit durchschnittlich 4,7 Kindern pro Frau sehr hoch ist, liegt es in Europa und Japan bereits deutlich unter der für die Erhaltung der bestehenden Bevölkerung (ohne Zu- und Abwanderung) erforderlichen Quote von 2,1 Kindern pro Frau [9]. Dies stellt diese Länder vor neue Herausforderungen, nämlich die einer überalternden Bevölkerung mit Belastung der Generationenausgleichs- und Sozialsysteme. Auch könnten von Arbeitgeberseite Bedenken bestehen, dass Arbeitskräfte auf Lange Sicht teurer werden, da bei einem geringeren Arbeitskräfteangebot die Löhne steigen sollten. Interessanterweise reduziert sich die Zahl der Kinder insbesondere in den Mittelschichten, die besonders ins Arbeitsleben eingespannt sind, während arme und reiche Familien nach wie vor überdurchschnittlich viele Kinder haben [10, 11]. Durch das Fehlen kreativer junger Leute wird wird zudem eine Abnahme der Innovationsfähigkeit und ein Rückgang des Wirtschaftswachstums der Gesellschaft befürchtet.

Da nachhaltiges Wachstum de facto exponentiell wird, erscheint ewiges globales Wachstum (auch der Wirtschaft) nicht erstrebenswert. Das Problem ist, dass bei weltweiter Konkurrenz die Größe der Volkswirtschaft ein bedeutender Machtfaktor im internationalen Wettbewerb ist, was wiederum Anreizsysteme für Wachstum schafft (zumindest für die Eliten einer Gesellschaft).

Betrachten wir, was in Ländern passiert ist, deren natürliches Bevölkerungswachstum sich normalisiert hat bzw. unter die Bevölkerungsreproduktionsziffer von 2,1 Kindern pro Frau gefallen ist. Dies sind die eurasischen Länder zwischen Lissabon und Wladiwostock und Japan (sowie China dank seiner bis vor Kurzem verordneten Ein-Kind-Politik). Ganz platt kann man sagen, dass materieller Wohlstand und Reichtum mit einem Rückgang des natürlichen Bevölkerungswachstums assoziiert zu sein scheinen. Auch höhere Bildung, insbesondere von Frauen, und eine Gleichberechtigung der Geschlechter sind mit einem Rückgang der Geburtenzahl assoziiert.

Gesellschaftszerfall als schmerzliche Seite der sanften Bevölkerungsreduktion

Allerdings hat in den Ländern mit rückläufiger Bevölkerungsentwicklung auch eine Verschiebung des Wertekanons stattgefunden. So hat Familie enorm an Wert verloren. Waren für frühere Generationen Familie und eigene Kinder das zentrale sinnstiftende Moment im Leben, ist dies heute nicht mehr der Fall. Dies gilt insbesondere für Frauen: Früher stand die Familie im Mittelpunkt der weiblichen Selbstverwirklichung, und in deren Mittelpunkt stand meist die Frau als Mutter. In den letzten 50 Jahren wurden Mädchen jedoch immer mehr dahingehend erzogen, dass die rein familiäre Lebensgestaltung zunehmend gering geschätzt wird und der Beruf ins Zentrum der Selbstverwirklichung gerückt ist. Für die Wirtschaft ist dadurch das Angebot an Arbeitskräften gestiegen, was sicherlich die Lohnkosten reduziert und ein beträchtliches Wirtschaftswachstum ermöglicht hat. Der ursprüngliche Akt der Befreiung durch Erwerbsarbeit ist für viele Frauen inzwischen von einer Möglichkeit zur Lebensgestaltung zu einem ökonomischen Sachzwang geworden.

Die Tatsache, dass die Bevölkerungsexplosion in vielen Ländern aufgehalten wurde, ist im Ganzen zu begrüßen. Für den Einzelnen können sich jedoch Einsamkeit durch die zunehmende Auflösung traditioneller Familienstrukturen und Entfremdung einstellen.

Während der Industrialisierung hat sich der Arbeitsplatz vom heimischen Umfeld abgekoppelt. Bauern, Handwerker und Kleingewerbetreibende bestritten früher meist ihren Lebensunterhalt im familiären Umfeld. Auch wenn der Mann einen Großteil der Arbeit, die wir heute als Berufsarbeit sehen würden, bestritt, fassten alle anderen Haushaltsmitglieder mit an und beteiligten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten am Unterhalt der Familie. Für alleinstehende Frauen oder Frauen, die ihren Mann verloren hatten, war es jedoch wesentlich schwerer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Außereheliche Geburten waren für die Frau katastrophal, da sie dann nicht nur ein weiteres Kind durchzufüttern hatte, sondern hierfür noch gesellschaftlich geächtet wurde. Die Überlebenschancen außerehelich geborener Kinder waren entsprechend reduziert.

In der Zeit der Industrialisierung koppelte sich der Arbeitsplatz zunehmend vom heimischen Umfeld ab. Dabei war der Anstieg des materiellen Wohlstands mit einem enormen Bevölkerungsanstieg assoziiert. Für den Einzelnen löste sich auch allmählich der direkte Zusammenhang zwischen Arbeit und Ernährung der Familien auf, der in der bäuerlichen Subsistenzwirtschaftshaushalt bestand. Früher wurden Nahrungsmittel selbst hergestellt und zur Ernährung der Familie verwendet. In der industriellen, arbeitsteiligen Gesellschaft wurde der Lohn in abstrakter Form als Geld ausgezahlt, für das Güter und Nahrungsmittel eingekauft werden konnten.

Neben den Gleichberechtigungsbestrebungen wurden schon früh kapitalistisch orientierte Narrative in den Forderungen der Frauenbewegung laut. Gleiche Teilhabe am Erwerbs- und Arbeitsleben ist inzwischen die zentrale Forderung des Feminismus geworden. Dies ist nicht selbstverständlich, da es in der unmittelbaren Lebenswelt von Frauen viele andere Formen von Benachteiligung gegeben hat. Statt die weibliche Lebenswelt aufzuwerten, zum Beispiel durch finanzielle Anerkennung der Familienarbeit und bessere soziale Absicherung für alleinstehende Frauen, wurde die weibliche Lebenswelt des familiären Umfelds demontiert.

Dies ist wohl eine logische Konsequenz des kapitalistischen Wirtschaftens: Eine finanzielle Anerkennung (Lohn) für Familienarbeit verursacht nur Kosten und könnte nicht direkt gegenfinanziert werden, da sich die Familienarbeit nicht verkaufen und zu Geld machen lässt. Durch die Implementierung der Forderung nach beruflicher Teilhabe der Frauen wurde das Arbeitskräfteangebot vergrößert, dadurch der Preis der einzelnen Arbeitskraft (Lohn) reduziert wurde, was die Unternehmensgewinne steigerte. Im kapitalistischen Wettbewerb der Nationen wurde somit die Mobilisierung der weiblichen Arbeitskraft für die privatwirtschaftliche lohnabhängige Arbeit zu einem Wettbewerbsvorteil.

Der hiermit einhergehende Geburtenrückgang ist angesichts der weltweiten Bevölkerungsexplosion zu begrüßen, hat allerdings auch zu den bereits genannten gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen geführt. Wer Schwierigkeiten mit dem Alleinsein hat und dies schnell als schmerzliche Einsamkeit empfindet, hat es in modernen westlichen Gesellschaften trotz materieller Absicherung schwer, glücklich zu werden.

In ganz Europa ist das natürliche Bevölkerungswachstum unter dem Reproduktionsniveau von 2,1 Kindern pro Frau. Die daraus entstehenden Probleme (Überalterung der Gesellschaft, Vereinsamung und Entfremdung) erscheinen jedoch angesichts endlicher Ressourcen besser zu bewältigen zu sein als die aus einer stark wachsenden Bevölkerung entstehenden Probleme. Für den afrikanischen Kontinent wird eine Bevölkerungsverdoppelung von 1,2 Mrd. Menschen im Jahr 2015 auf 2,5 Mrd. Menschen im Jahr 2050 erwartet (Verdoppelungszeit 35 Jahre → Bevölkerungswachstum 2 % pro Jahr).

Wachstum: lokal erwünscht, global katastrophal

Ein dauerhaft stabiles globales Wachstum, zum Beispiel ein Bevölkerungs- oder Wirtschaftswachstum, führt irgendwann durch Ressourcenverbrauch oder Konkurrenzkämpfe zur Beeinträchtigung der Lebensqualität auf der Erde. Gleichzeitig wird Wachstum auf den meisten Organisationsebenen unterhalb der Organisationseinheit „Menschheit“ (zum Beispiel auf der Ebene Staat, Region, Stadt oder Firma) als positiv betrachtet und belohnt.

Erinnern wir uns an Al Bartletts einfache Faustformel zur Berechnung der Verdoppelungszeit:

Bei einem Wirtschaftswachstum von 2 % verdoppelt sich die Wirtschaftsleistung in 35 Jahren. So sehen Erfolgsgeschichten aus!

Wenn die Bevölkerung einer dieser subglobalen Einheiten (zum Beispiel eines Staates oder einer Stadt) wächst, geht dieses Wachstum mit einem Zugewinn an Macht und Wirtschaftskraft einher. Staatslenker großer bevölkerungsreicher Staaten beanspruchen mehr Macht – genauso wie Staatslenker großer Volkswirtschaften. Wirtschaftswachstum führt zu Wohlstand und einem guten Leben. Der Wohlstand nimmt zu, je leichter und billiger Energie verfügbar ist. Staaten, die billige Rohstoffe nicht für sich nutzen oder verkaufen, sondern aus Rücksicht auf knappe Ressourcen Verzicht üben, gewinnen hierdurch keinen Vorteil [12].

Als Menschheit ist unser Lebensraum auf globaler Ebene jedoch begrenzt. Wie soll die Menschheit auf Erden Bestand haben, wenn alle Belohnungssysteme Wachstumsvorgänge begünstigen, die unweigerlich zu einem Ressourcenverbrauch und einer Überschreitung der sprichwörtlichen Grenzen des Wachstums führen?

Aber ist ein Überschreiten der Grenzen des Wachstums eine existenzielle Bedrohung für den Fortbestand der Art Homo sapiens oder könnte man davon ausgehen, dass trotz Massensterben und Zivilisationszusammenbruch genug Menschen überlebten, um den Fortbestand des Menschen zu sichern? Dies würde wohl davon abhängen, wie stark das Überschreiten der Grenzen des Wachstums mit einer Zerstörung der Biosphäre des Planeten einhergeht und ob die zu erwartenden Kriege um Ressourcen mit Massenvernichtungswaffen geführt werden, die das Potential haben, die Menschheit restlos auszurotten.

Wann spüren wir die Grenzen des Wachstums?

Wann spüren wir als Menschheit, ob die Grenzen des Wachstums nahe sind? Wahrscheinlich erst kurz bevor sie überschritten werden.

Al Bartlett zieht in seiner legendären Vorlesung zu stabilem Wachstum den Vergleich zu einer Bakterienkultur: Man stelle sich eine Bakterienkultur vor, die sich jede Minute verdoppelt. Die Kulturflasche, in der sich die Bakterien befinden, stellt einen begrenzten Lebensraum dar. Wenn die Flasche um zwölf Uhr Mitternacht voll ist, zu welchem Zeitpunkt war die Flasche halb voll? Die Antwort ist: eine Minute vor zwölf, da der letzte Verdoppelungsschritt von halb voll zu voll nur eine Minute beansprucht!

Wann würde ein Bakterium spüren, dass der Platz in der Kulturflasche ausgeht? Schauen wir uns die Bakterienflasche in den fünf Minuten vor Mittenacht an. Eine Minute vor Mitternacht ist sie halb voll, zwei Minuten vor Mitternacht ein Viertel voll, drei Minuten vor Mitternacht ein Achtel voll, vier Minuten vor Mitternacht ein Sechzehntel voll und fünf Minuten vor Mitternacht ein Zweiunddreißigstel voll. Fünf Minuten vor Mitternacht wird also nur 3 % des insgesamt vorhandenen Platzes von Bakterien beansprucht. Als einzelnes Bakterium habe ich also fünf Minuten vor zwölf noch viel Platz und Entfaltungsraum und ahne nicht im Geringsten, dass sich das schon in wenigen Minuten ändern wird. (In diesem Gedankenexperiment wurde ignoriert, dass Bakterien, ab einer bestimmten Dichte, in einen stationären Zustand übergehen, also das Wachstum einstellen).

3 Öl

Bartlett hatte im zweiten Teil seiner Vorlesung den Schwerpunkt auf den ständig steigenden Ressourcenverbrauch gesetzt. Hierbei hat er sich insbesondere dem Erdöl zugewendet.

Die weltweite Abhängigkeit vom Öl ist ein recht junges Phänomen und besteht erst seit rund 250 Jahren. Zuvor haben Menschen auf ihre eigene Muskelkraft und die von Tieren gesetzt. Präindustrielle Anlagen (zum Beispiel Mühlen) wurden durch Wasser- oder Windkraft angetrieben. Über Jahrtausende war Holz der wichtigste energieliefernde Brennstoff und in der Frühzeit der Industrialisierung waren Braun-, Stein- und Holzkohle die wichtigsten fossilen Brennstoffe. Erdöl war auch seit Jahrtausenden bekannt, erlangte aber erst Mitte des 19. Jahrhunderts die Bedeutung, die es heute hat.

Erdöl zählt wie Erdgas, Torf, Braun- und Steinkohle zu den fossilen Brennstoffen. All diese stark kohlenstoffhaltigen Stoffe sind durch das Absterben von Pflanzen, Tieren und Kleinstlebewesen in grauer Vorzeit entstanden. Kohle entstand durch Verrottung von Pflanzen am Grunde von Mooren unter Luftabschluss. Durch die folgende Absenkung des verrotteten Materials in tiefere Erdschichten oder Überlagerung durch neue Erdschichten erhöhten sich Kompressionsdruck und Temperatur. So entstanden stark verdichtete kohlenstoffreiche Verbindungen. Durch Verbrennung kann diese Energie freigesetzt werden und dank der Verdichtung kann der Energieträger in begrenztem Raum (Tender der Dampflokomotive, Tank eines Autos) transportiert werden. Steinkohle ist sehr dicht und rein, Braunkohle weniger verdichtet, unreiner und schwefelhaltiger, weshalb deren Verbrennung die kohlendioxidintensivste Art der Energieerzeugung darstellt.

Das meiste Erdöl, das wir heute fördern „lebte“ vor etwa 150 Millionen Jahren als die Dinosaurier die Erde beherrschten. Erdöl und Erdgas entstanden aus zu Schlamm verrotteten Algen und treten entsprechend oft gemeinsam auf. Durch Überlagerung und Absenkung gelangte dieser kohlenstoffreiche Algenrückstand in tiefere Schichten, wo Druck und Temperatur einwirkten und für eine Umwandlung in flüssige (Erdöl) und gasförmige Aggregatzustände (Erdgas) sorgten. Erdgas hat einen hohen Methananteil. Methan ist unverbrannt ein potentes Treibhausgas. Glücklicherweise verbrennt Erdgas sehr effizient mit wenig Freisetzung des Treibhausgases Methan. Daher ist es sauberer als andere fossile Brennstoffe.

Durch seine geringe Dichte gelangt Erdöl von selbst an die Erdoberfläche, wenn es die Porosität des Gesteins zulässt. Als Rohstoff für Salben und Schmierstoffe und zur Herstellung teeriger Massen (zum Beispiel zur Abdichtung von Schiffen) wurde es schon lange verwendet. In Regionen, in denen Erdöl an die Oberfläche trat, konnte man mehr Erdöl finden, wenn man in der Nähe grub oder bohrte.

Heute verbinden wir die größten Erdölreserven mit Ländern im Mittleren Osten, allen voran Saudi-Arabien. Die erste Ölnation waren jedoch die USA. Im äußersten Nordosten des US-Bundesstaats Pennsylvania befindet sich Oil City, eine Kleinstadt mit etwa 10.000 Einwohnern. Hier fließt der Oil Creek River in den Allegheny River. Als besondere Attraktion gibt es hier das Drake Well Museum. Edwin L. Drake leitete 1859 eine Bohrung, mit der die industrielle Erdölförderung und damit das Erdölzeitalter begann. Die besondere Innovation an Drakes Bohrverfahren war die Verwendung von Bohrrohren, die das Bohrloch stabilisierten und dadurch sichere Bohrungen in die Tiefe erlaubten. Bei der Bohrung im Jahr 1859 bohrten die Männer um Drake 21 Meter tief, bevor sie auf Öl stießen.

Erdöl war der ideale Brennstoff – scheinbar in rauen Mengen überall verfügbar, recht leicht zu transportieren (Pipelines) und als Brennstoff für mobile Maschinen (Autos, Schiffe, Flugzeuge) wesentlich besser geeignet als feste Brennstoffe wie Kohle: Während der Brennstoff für kohlegetriebene Dampflokomotiven mit Muskelkraft oder Kränen in den Kohletender geschaufelt werden musste, konnte man Öl einfach in einen anderen Tank pumpen oder fließen lassen [13].

Die industrielle Nutzung von Erdöl als Brennstoff kam zur richtigen Zeit. Seit Ende der 1840er Jahre wurde Lampenöl, mit dem europäische Städte beleuchtet wurden, immer teurer. Die Gier nach diesem auf Waltran basierenden Brennstoff hatte die Pottwalbestände kollabieren lassen, sodass der Markt hungrig nach Alternativrohstoffen war.

Ölbarone

Man könnte vermuten, dass Drake durch seine Erfindung des neuen Verfahrens zur Erdölbohrung unermesslich reich geworden ist. Dem war aber nicht so. Drake war gesundheitlich angeschlagen und immer mehr auf einen Rollstuhl angewiesen. Seine Frau versuchte durch Gelegenheitstätigkeiten wie Näharbeiten Geld zu verdienen. Schließlich wurde die wirtschaftliche Lage der Familie so prekär, dass die Bürger der Stadt Titusville 1873 durch eine Petition an das Parlament von Pennsylvania eine Pension für die Familie einforderten, von der die Familie auch nach dem Tod Edwin Drakes im Jahre 1880 leben konnte. Obwohl der Name Drake im Zusammenhang mit dem in Amerika des 19. und 20. Jahrhundert entstehenden Ölreichtum steht, gehörte er selbst nicht zu den Ölbaronen.

Auftrag- und Kapitalgeber der Drake’schen Ölbohrung war die Seneca Oil Company, benannt nach dem Irokesenstamm der Seneca. Die Seneca hatten das am Oil Creek hervorquellende Rohöl schon lange vor Ankunft der europäischen Siedler als Medizinrohstoff verwendet. Doch auch die Seneca wurden durch das auf ihrem (ehemaligen) Land geförderte Öl nicht reich.

Echte Ölbarone waren hingegen John D. Rockefeller, H. L. Hunt und J. Paul Getty. Mit dem Namen Rockefeller ist die Firma Standard Oil verbunden, die im Jahr 1870 aus der Firma Rockefeller, Andrews & Flagler hervorging. Henry M. Flagler brachte Kapital ein, das er in der Montanindustrie gewonnen hatte, und war später als Eisenbahngesellschafter maßgeblich am Bau des Florida East Coast Railway beteiligt. Samuel Andrews war Chemiker und machte durch Verbesserung der Rohölraffinierung den Aufstieg des Unternehmens erst möglich. In den 36 Jahren nach 1870 entwickelte sich Standard Oil zu einem Industrieimperium von zuvor nie gesehener Größe und Macht – bis die Regierung unter Theodore Roosevel die Standard Oil Company durch den Sherman Antitrust Act, die erste wettbewerbsrechtliche Regelung der Vereinigten Staaten, in 34 Gesellschaften zerschlug. In der Folge stürzte der Aktienwert ab. Hiervon profitierte erneut J. D. Rockefeller, indem er die einmalig günstigen Aktien aufkaufte und enorme Gewinne machte, als deren Kurs wieder stieg. (Auch Rossevelt war Spross einer amerikanischen Familiendynastie. Im Grunde ließe sich sich wohl die Geschichte der USA als Geschichte von Familienstreitigkeiten zwischen verschiedenen Machtdynastien erzählen.).

Das Aufkommen des Automobils führte zu einem stets steigenden Ölbedarf. Die aus Standard Oil hervorgehenden Firmen gehören zum Rückgrat der heutigen weltweit mächtigen US-Ölfirmen und sind mächtige Komponenten im militärisch industriellen Komplex der Vereinigten Staaten.

Haroldson Lafayette (H. L.) Hunt wurde durch das East Texas Oil Field steinreich. Der Name Hunt reicht zwar nicht an den Bekanntheitsgrad der Rockefellers heran, was möglicherweise an Rockefellers philanthropischen Aktivitäten (Rockefeller Stiftung) liegt. Jedoch spielte der Hunt-Clan im Umfeld von Macht und Reichtum in den USA des 20. Jahrhunderts eine große Rolle. H. L. Hunt steht im Verdacht, am Plot zur Ermordung des demokratischen Präsidenten J. F. Kennedy 1963 beteiligt gewesen zu sein. Ein Motiv hatte er wohl: Kennedy plante den Abbau von Steuerprivilegien für Ölfirmen, welche die Einnahmen der texanischen Ölbarone um mehrere hundert Millionen US-Dollar im Jahr reduziert hätten (was diese nicht ruiniert hätte) [14, 15]. Hunt muss eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein. Er stand Pate für den fiktionalen Charakter J. R. Ewing, der zur zentralen Figur der US-Seifenoper Dallas wurde, die Ende der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre international erfolgreich war.

Ein Erbe der Getty-Dynastie hat sich mit der Gründung der Bildagentur Getty Images eine feste Position in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts gesichert. Auch diese Macht geht auf Ölgeld zurück, das von Jean Paul Getty über Paul Getty II zu Marc Getty über Generationen hinweg geflossen ist. Auch Jean Paul Getty versuchte schon zu Lebzeiten, seinen Reichtum mit Bedeutung zu füllen, wurde Kunstsammler, Stifter und Mäzen.

Auch der Bush Clan, der bislang zwei amerikanische Präsidenten (George H.W. Bush, 1989-1993 und George W. Bush, 2001-2009) hervorgebracht hat, ist gewissermassen eine Industrie- und Öldynastie. Prescott Bush, der Vater des späteren Präsidenten George H.W. Bush und Großvater des noch späteren Präsidenten George W. Bush baute das Vermögen der Yankee-Industriellenfamilie (Stahlindustrie in Ohio) aus, indem er Besitzungen deutscher Stahlindustrieller in den USA verwaltete und auch vor Beteiligungen an Industriebetrieben, die in der Nazizeit Zwangsarbeiter einsetzten nicht zurückschreckte. Der Sohn Prescott Bushs, der spätere President George H.W zog nach seinem Yale-Abschluss im Jahr 1948 nach Texas, um dort zu einem Ölbaron aufzusteigen, was ihm durch die Vernetzung des Bush Clans mit der internationalen Hochfinanz ermöglicht wurde. Später führte ihn seine politische Karriere über UN-Botschafterposten, CIA Direktorposten, Direktor des „Council on Foreign Relations“ und Vizepräsidentenamt auf den Präsidentensessel im Weißen Haus. Die Bush Familie mischte also in den fünf Schlüsselbereichen amerikanischer Macht mit, nämlich i) dem US-Investmentbanking, ii) dem militärisch-industriellen Komplex, iii) der CIA, iv) der Kontrolle über internationale Ölvorräte und v) der engen Kooperation mit der Vorgänger-Imperialmacht Großbritannien [16], (sowie in den informellen Machtmechanismen der Think Tanks wie dem Council on Foreign Relations). Auch dem Sohn Georg H.W. Bushs, George W. Bush, wurde durch die Einbettung des Bush Clans in die globalen Machtsrukturen der Weg ins Weiße Haus geebnet. 1977 gründete George W. Bush mit Geldern des Clans eine Ölgesellschaft in Texas, Arbusto Energy. Allerdings nahmen die konventionell förderbaren Ölreserven in Amerika bereits ab (siehe folgendes Kapitel) und die Ölbohrungen in texanischer Erde blieben erfolglos. Sein Vater, Georg H.W. Bush half, indem er 1982 die Kontakte des Bush Clans mit der Familie Saud vertiefte, die im Besitz des Landes mit den größten Ölreserven, (Saudi Arabien) waren (sind). Georg W. Bush’s Arbusto ging 1984 in die Ölfirma „Spectrum 7“ über, die 1986 von Harken Energy aufgekauft wurde. Nach Georg Soros, einem der Hauptanteilseigner von Harken Energy galt dieser Kauf eher den guten Kontakten des Bush Clans in die Golf Region und zum Saud Clan als dem eigentlichen Unternehmen und tatsächlich wurde Harken Energy plötzlich unheimlich attraktiv für Saudische Investoren und bekam die Exklusivrechte für Bohrungen vor der Küste Bahreins. 1989 wurde Georg H.W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Die im Rahmen des Harken Energy Deals auszuführenden Finanztransaktionen wurden von einer Luxemburger Bank (Bank of Credit and Commerce International, BCCI) abgewickelt, die 1991 auf Veranlassung der Bank of England zwangsgeschlossen wurde, wobei 20 Mrd US-Dollar spurlos verschwanden. Der Untergang der BCCI ist der bislang größte Finanzskandal der Geschichte [17]. Neben den guten Beziehungen zur Familie Saud hat die Bush Familie enge Geschäftsbeziehungen zur Saudischen Bauindustriellenfamilie Bin Laden (deren wohl berühmtester Spross Osama Bin Laden ist) [18, 19]. Die engen Beziehungen des Haus Saud zu den amerikanischen Oligarchenclans sind heute fest wie eh und je. Saudi Arabien hat dem derzeitigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump zugesagt, Waffen im Wert von hunderten Mrd Dollar zu kaufen [20] und Trumps Schwiegersohn Jared Kuchner ist aufgrund privater Schulden unmittelbar von den Sauds abhängig [17]. Blut ist dicker als Wasser, aber Öl ist dicker als Blut.

„Peak Oil“

Rockefeller, Hunt und Getty – allein an diesen Namen lässt sich erahnen, wie stark die US-Ölindustrie die Geschichte der globalimperialen Supermacht USA geprägt hat. Bush, und Trump – allein an diesen Namen lässt sich erahnen, wie stark die Saudisch-Amerikanische Ölindustrie die Gegenwart der globalimperialen Supermacht USA prägt.

Nachdem die US-Ölförderung seit den Siebziger Jahren zurückging richteten sich die ölgierigen Augen der Industrienationen auf andere Regionen der Welt, vor allem den Mittleren Osten. Was ist aber aus den amerikanischen Erdölfeldern geworden?

Nun, was das einigermaßen leicht zugängliche Öl angeht, das nicht durch Fracking oder aus Hunderten oder Tausenden Meter Tiefe hervorgeholt werden muss, gilt: Es ist schlicht aufgebraucht. Im Jahr 1956 meldete sich Marion King Hubbert, Chefgeologe der Shell Laboratories in Houston/Texas, mit einer beunruhigenden Feststellung zu Wort. Er beschäftigte sich mit der Kapazität von Öl- und Gasfeldern und sagte im Jahr 1956 voraus, dass das Ölfördermaximum („Peak Oil“) in den USA um 1970 erreicht sein werde; danach werde die jährliche Erdölfördermenge von Jahr zu Jahr sinken. So war es auch: Nach 1970 ging die Menge des mit konventionellen Technologien geförderten Öls von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zurück (Abbildung 2 und 3).

Abbildung 2: Rohölfördermenge auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten zwischen 1940 und 2015 in Millionen Barrel pro Tag [21] Quelle: U.S. Energy Information Administration, Public Domain.

Erst durch die Frackingtechnologie, die in den USA im Jahr 2008 eine Trendwende einleitete, war es möglich, wieder an die US-Fördermengen der 1970er Jahre anzuschließen. Während ich diese Zeilen schreibe (im Februar 2018), liegt die tägliche US-Ölfördermenge bei 10,27 Mio. Barrels pro Tag und damit knapp über dem Peak-Oil-Wert von 1970. Bei Fertigstellung dieses Buches im Dezember 2018 wurde eine neue Peak-Oil-Marke von 11,6 Mio Barrels pro Tag erreicht.

Abbildung 3: Wöchentliche Rohölfördermenge auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten zwischen 1983 und Juli 2018 in Tausend Barrel pro Tag mit Angabe der aktuellen Fördermenge im Juli 2018 [22] Quelle: U.S. Energy Information Administration, Public Domain.

Auch für die Weltölförderung sagte Hubbert 1956 ein Fördermaximum in etwa einem halben Jahrhundert voraus; dies wäre somit um 2006 gewesen. Seitdem ist die jährliche Fördermenge sogar noch gestiegen, und durch die Frackingtechnologie sind die Vereinigten Staaten wieder eine der wichtigsten Erdölfördernationen der Welt geworden, die mit Saudi-Arabien um den Spitzenplatz der jährlichen Ölfördermenge konkurriert. Derzeit gibt es also keinerlei Anzeichen von Ölmangel. Stattdessen ist der Ölpreis so niedrig, dass die Ölförderstaaten große Probleme haben – Venezuela, das Land mit den größten Ölreserven auf dem amerikanischen Kontinent (möglicherweise sogar weltweit), steht kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Wie kam es zu diesem Ölpreisabfall? Der Ölpreis unterliegt nicht nur Marktgesetzen, sondern ist politischen Interessen unterworfen. Tonangebend sind dabei die OPEC-Länder und die Vereinigten Staaten, an deren Währung („Petrodollar“) alle Erdöltransaktionen gekoppelt sind. (Möglicherweise war die Absicht, Erdöl auch gegen andere Währungen als den Dollar zu verkaufen, ein wichtiger Grund für den Angriff westlicher Militärmächte auf den Irak und Libyen). Die USA, die mächtigste Militärmacht der Welt, hält also das Privileg, dass der wichtigste Rohstoff der Welt (Erdöl) nur gegen die eigene Währung – die zugleich die Weltleit- und somit Hauptreservewährung ist – gehandelt werden darf.

Zudem hat die Frackingtechnologie die USA seit 2008 wieder zu einem der größten Erdölförderer der Welt gemacht. Allerdings ist die Förderung von Frackingöl wesentlich teurer, weshalb einige Konkurrenzländer (zum Beispiel Saudi-Arabien) nicht davon ausgingen, dass die amerikanischen Förderfirmen einen derart niedrigen Ölpreis überleben würden. Die USA fördern derzeit jedoch mehr Erdöl als jede andere Nation (auch mehr als Saudi-Arabien). Aus geostrategischen Erwägungen heraus gehe ich auch nicht davon aus, dass die USA die Erdölförderung durch Fracking aufgeben würden, selbst wenn die Firmen staatlicher Unterstützung bedürften. Als aus US-Sicht durchaus erwünschter Nebeneffekt leiden rivalisierende Erdölfördernationen, deren Wirtschaft stark vom Ölpreis abhängig ist (zum Beispiel Russland, aber vor allem Venezuela).

Wenden wir uns einem Parameter zu, der paradoxerweise kaum mit dem Ölpreis zusammenhängt: der Nachfrageseite, dem Weltölverbrauch. Dieser lag im Jahr 2008 bei etwa 86 Mio. Barrels pro Tag und nach neun Jahren stetigem Wachstum bei 97 Barrel pro Tag im Jahr 2017 [23]. Der jährliche Verbrauchszuwachs liegt somit im Schnitt bei etwa 1,22 %.

Mit Al Bartletts Faustformel, die wir zu Beginn eingeführt haben, lässt sich leicht die Verdoppelungszeit berechnen:

Demnach würde sich der Weltölverbrauch bei gleichbleibendem Verbrauchszuwachs bis etwa 2065 verdoppeln. In dieser Zeit wird die Weltbevölkerung von 6,8 Mrd. im Jahr 2008 über 7,6 Mrd. im Jahr 2017 auf etwa 10,4 Mrd. im Jahr 2065 angestiegen sein. Diese 10,4 Mrd. entsprechen der mittleren UN-Bevölkerungsprojektion für 2065; die niedrige liegt bei 8,6 und die hohe bei 12,4 Mrd. Menschen [24]. Allen diesen Projektionen (auch der hohen) liegt die Annahme eines abnehmenden Bevölkerungswachstums zugrunde. Wenn die Bevölkerung jedoch genauso weiterwächst wie zwischen 2008 und 2017, werden im Jahr 2065 etwa 13,5 Mrd. Menschen auf der Erde leben.

Der niedrige Ölpreis ist also trügerisch. Wer denkt, die Furcht, uns könnte das Öl ausgehen, sei allein auf Panikmache zurückzuführen, dem sei gesagt: Die Nachfrage nach Öl kennt derzeit nur eine Richtung: nach oben! [23