Das Pups-Tabu - Jan Rein - E-Book

Das Pups-Tabu E-Book

Jan Rein

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Über Blähungen spricht man nicht? Vor allem nicht, wenn man selbst darunter leidet? Jan Rein bricht dieses Tabu. Offen und humorvoll schildert er seine unangenehmen Erfahrungen mit heftigen Blähungen – und wie er den Blähbauch loswurde. Er erklärt die komplizierten Vorgänge, die im menschlichen Darm stattfinden, und liefert unzählige Tipps zur Optimierung der Verdauung. Diese sind allesamt sehr einfach umzusetzen und praxisnah – und das Wichtigste: Sie wirken. So kann es jedem ganz leicht gelingen, Blähungen loszuwerden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 276

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über Blähungen spricht man nicht? Vor allem nicht, wenn man selbst darunter leidet? Jan Rein bricht dieses Tabu. Offen und humorvoll schildert er seine unangenehmen Erfahrungen mit heftigen Blähungen – und wie er den Blähbauch loswurde. Er erklärt die komplizierten Vorgänge, die im menschlichen Darm stattfinden, und liefert unzählige Tipps zur Optimierung der Verdauung. Diese sind allesamt sehr einfach umzusetzen und praxisnah – und das Wichtigste: Sie wirken. So kann es jedem ganz leicht gelingen, Blähungen loszuwerden. Ende gut, alles gut!

Zum Autor:

Jan Rein, geboren 1992, ist YouTuber, Blogger und Student der Ökotrophologie (Haushalts- und Ernährungswissenschaften). Durch leidvolle Erfahrungen mit heftigen Blähungen wurde sein Leben für über ein Jahr zur Tortur. Inzwischen lebt er völlig beschwerdefrei und gibt sein Wissen und seine Erfahrungen weiter. Er lebt mit seiner Partnerin in Gießen.

Jan Rein

Das

Pups-Tabu

Was wirklich gegen Blähungen hilft – und dem Darm guttut

Wilhelm Heyne Verlag

München

Dieser Titel erschien bereits in einer früheren Fassung und mit anderer Ausstattung bei Books on Demand unter der ISBN 978-3-7392-1958-5.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschätzt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Alle Hinweise und Empfehlungen in diesem Buch dienen ausschließlich der prophylaktischen Gesundheitserhaltung und der Wohlbefindenssteigerung als Vorsorgemaßnahme für körperlich gesunde Menschen. Konsultieren Sie bitte einen Arzt, sollten Sie somatische Erkrankungen, Störungen oder Beschwerden mit Krankheitswert haben. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personenschäden ist ausgeschlossen.

Originalausgabe 11/2017

Copyright © 2017 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von © Laura Merten

Illustrationen: © Doris Baumgart

Satz und E-Book-Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-20571-3V001

www.heyne.de

Inhalt

Einleitung

Laut und tödlich

So viel Wind um nichts?

Teil 1: Tabus regieren die Welt

Die ältesten Gesetze der Menschheit

Namenlos

Der Sinn und Unsinn von Tabus

Menschlichkeit ist tabu

Tabumaskerade

Von Körperfunktionen, Mord und Behinderung

Das Pups-Tabu

Tipps für die Praxis

Teil 2: Mein persönliches Pups-Tabu

Pampersrocker

Vorstadtrebell

Das Henne-Ei-Problem: Was war zuerst da – Essstörung oder Blähungen?

Essstörung

Blähungen

Wie kann ich Ihnen helfen?

Scheiß auf die Broschüre

Stuhlproben-Blues

Das längste Jahr

Teil 3: Verdauung verstehen

Wie wir verdauen

Die Reise beginnt

Ganz schön sauer

Nebenschauplätze

Leber

Gallenblase

Pankreas

Die menschliche Tankstelle

Dickes Ding

Unsere bessere (und größere) Hälfte

Auf dem stillen Örtchen

Was wir verdauen

Die Hauptdarsteller

Kohlenhydrate

Fette

Proteine

Klein, aber oho!

Wasser

Warum wir pupsen

Die Entstehung eines Pupses

Gasbildung im Verdauungstrakt

Verschluckte Luft

Anatomie eines Darmwinds

Wie oft ist noch normal?

Depressiv furzt es sich besser

Geschlechterkampf: Mr. und Mrs. Fart-a-lot

Teil 4: Die Low FART Diet, was sonst noch gegen Blähungen hilft und was ganz sicher nicht

Gesunde Verdauung nach Michelangelo

Das Pups-Pareto-Prinzip

Stufe 1: Die Low FART Diet

Warum die Low FART Diet wirkt

Bevor es losgeht …

Wenig heißt nicht nichts

Verzicht heißt Ersatz

Low F – Flatulent foods

Nicht jedes Böhnchen gibt ein Tönchen

Fluch und Segen: Ballaststoffe

Lösliche vs. unlösliche Ballaststoffe

Resistente Stärke

Isolierte Ballaststoffe

Der Gluten-Komplott

Zöliakie

Glutenunverträglichkeit

Milch: Gut für Kalb und Mensch?

Obst ist gesund, aber …

Süßer Blähbauch

Süßstoffe

Zuckeraustauschstoffe

Der Eiweißpups

Geruchsbelästigung

Low FA – Aerophagie

Leise Getränke

Von Kaugummis in losen Mundwerken

Rauchen

Low FAR – Rebellis intestinalis

Den Systemfeind ausfindig machen mithilfe des Ernährungstagebuchs

Deine persönliche Low FART Diet

Low FART – Thieves

Eigenbeschuss

Schadensbegrenzung: Probiotika

Probiotika und ihre Wirkung

Präbiotika

Die Low FART Diet – Das Wichtigste im Überblick

Die Vorgehensweise

Die Lebensmittelliste

Vorübergehend meiden

Stufe 2: Lifestyle

Psyche

Statussymbol Stress

Weniger (Pups-)Stress durch richtiges Atmen

Die Drei-Minuten-Atemübung

Schlaf den Blähbauch weg

Essverhalten

Morgens wie ein Kaiser ... Oder doch nicht?

Preußische Pünktlichkeit am Esstisch

Fast Food

Genussmittel

Kaffee

Alkohol

Sündigen will gelernt sein

Bewegung

Dem Blähbauch davonlaufen

Sportliche Blähungen

Stufe 3: Extras

Gewürze und Kräuter

Nahrungsergänzungsmittel

Nützliche Nahrungsergänzungsmittel?

Einläufe

Teil 5: Die Natur kennt keinen Anstand

Über den Wolken muss der Blähbauch wohl grenzenlos sein

Pupsen beim Sex: Erotisch ist anders

Teil 6: Rezepte

Süßes und Fruchtiges

Hirsebrei mit Banane und Walnüssen

Low-FART-Porridge

Chia-Kokos-Pudding

Pancakes mit Papayapüree

Mandel-Zimt-Muffins

Würzig-süßer Kakao

Herzhaftes und Eingelegtes

Avocado-Reiswaffeln

Grüner Hirsesalat

Fenchel-Orangen-Salat

Mediterraner Kichererbsensalat

Buchweizen-Blutorangen-Salat à la Lena Pfetzer

Sommerlicher Buchweizensalat à la Sofia Konstantinidou

Soba-Nudelsalat mit Mandel-Miso-Soße

Tomaten-Zucchini-Suppe

Süßkartoffelscheiben in Tomaten-Kichererbsen-Soße

Gefüllter Kürbis

Kartoffel-Linsen-Stampf mit Gemüse

Injera

Sauerkraut

Kimchi

Ingwerwasser

Zu guter Letzt

Fart proudly

Häufig gestellte Fragen

Empfehlungen

Zum Lesen

Zum Anschauen

Dank

Quellen

Einleitung

In den letzten 24 Stunden haben rund 111 Milliarden Pupse das Licht der Welt erblickt. Und jeder von uns steuert seinen Anteil dazu bei – im Schnitt 15 Mal pro Tag. Mal laut, mal leise, mal geruchsneutral, mal mit markanter Duftnote. Meist schaffen wir es, sie in angemessenen Momenten rauszulassen. Weil wir nicht wissen, was uns die Luft im Bauch beschert, wenn sie mit der Außenluft in Kontakt tritt, sind wir dankbar für die Fähigkeit, einen Pups zurückhalten zu können. Und geht das Ganze doch mal schief, wird’s peinlich.

Doch warum eigentlich? Ein Erwachsener pupst in etwa so oft, wie er lacht. Der Unterschied: Wir zeigen uns gerne lachend, aber pupsend? Das muss nicht sein! Ob auf Fotos oder Videos in den sozialen Netzwerken, beim Date oder Vorstellungsgespräch, im Fernsehen oder Radio – Lacher sieht und hört man überall. Doch wo bleiben die Pupse? Schaut man sich die Statistik an, müssten sie uns doch genauso oft begegnen.

Die Verdauung – und insbesondere ihre hör- und riechbaren Begleiter – gilt in unserer Kultur als Tabuthema. Jede Gesellschaft kennt sie – jene Dinge, die man nicht tut, über die man nicht spricht oder an die man gar nicht erst denkt. Es scheint, als entständen Tabus umso willkürlicher, je fortschrittlicher eine Gesellschaft ist. Während bei vielen Naturvölkern das Hören, Riechen und Sehen alltäglicher Körperausscheidungen zur Normalität gehört, verstecken wir unsere animalischen Wurzeln nur zu gerne hinter Deos, Duftsprays oder Musikbeschallung auf stillen Örtchen.

Schafft es doch mal ein Pups in die Öffentlichkeit, handelt es sich oft um ein Stilmittel zur Belustigung. Witze waren schon immer eine Art, mit Tabus umzugehen. Im geschützten humoristischen Raum lassen sich nicht nur Gesellschaft und Politik einfacher kritisieren, auch Tabubrüche gehen leichter von der Hand. In Filmen wimmelt es nur so vor Pupsszenen. So zum Beispiel in Jay und Silent Bob schlagen zurück, wo sich die Schauspielerin Ali Larter mit akrobatischer Grazie an Laserstrahlen, die bei Berührung einen Alarm auslösen würden, vorbeiwindet – und nach einem Sprung pupst. Das lautstarke Malheur löst nicht nur den Alarm aus, sondern sorgt auch für herzhafte Lacher beim Zuschauer. Eine attraktive Frau, die furzt? Das passt nicht in unser Bild der durchtrainierten Schönheit.

Die Macher der Komödie Harold & Kumar setzen ebenfalls auf geschlechterbezogene Unterschiede im Umgang mit Fäkalgeräuschen. Um den Tabubruch perfekt zu machen, zeigt der Film wie zwei junge Frauen »Wurst versenken« spielen – eine Abwandlung von »Schiffe versenken«, die in der Originalfassung »Battleshits« heißt. Auf einem öffentlichen Klo furzen und kacken sie lautstark um die Wette, während sich die zwei männlichen Protagonisten Harold und Kumar in der Toilettenkabine zwischen den Damen verstecken und ihren Ekel darüber nicht verbergen können. Auch Ben Stiller wird in Nach 7 Tagen – Ausgeflittert Zeuge eines Frauenpupses. Als seine Frau Lila, gespielt von Malin Åkerman, die Kuschelszene im Bett verlässt, um Pipi zu machen, hört man ein scheinbar eindeutiges Geräusch aus dem Bad. Doch Lila gibt zu verstehen, dass es nicht das gewesen sei, woran ihr Mann gedacht haben könnte – sondern ein Flatus vaginalis. Ein Vaginalpups.

Wer glaubt, dass Filme aus früheren Jahrzehnten in dieser Hinsicht prüder waren, sollte sich Blazing Saddles aus dem Jahr 1974 anschauen. In einer der berühmtesten Szenen des Streifens sitzen elf Cowboys um ein Lagerfeuer, essen Bohnen und starten ein Rülps- und Pupskonzert, das seinesgleichen sucht. Ähnliche Szenen finden sich in unzähligen weiteren Filmen, darunter Austin Powers, Wahnsinn ohne Handicap, Rain Man, Shaun of the Dead, Dumm und Dümmehr und Der mit dem Wolf tanzt. Und immer ist der Sinn eines Filmfurzes klar: Er soll für Lacher sorgen.

Auch vor unserem von visuellen Medien dominierten Zeitalter setzten sich Menschen mit Darmwinden auseinander. Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, veröffentlichte ein Essay mit dem treffenden Titel »Fart Proudly« (zu Deutsch: »Furze mit Stolz«). Auch vor und nach ihm schrieben und schreiben Menschen über Flatulenzen und die damit einhergehenden Tabus. Mit Aristophanes, Hippokrates, Dante Alighieri, William Shakespeare, François Rabelais, Victor Hugo und Sigmund Freud befindet sich Ben Franklin also in bester Gesellschaft. Dass auch Frauen kein Problem damit haben, ihre Gedanken über das Furzen zu Papier zu bringen, beweist Whoopi Goldberg in ihrer Aufsatzsammlung Book aus dem Jahr 1997. Darin widmet sie dem für viele Menschen immer noch als frivol geltenden Thema unter dem Titel »Wind« ein ganzes Kapitel. Wie passend, dass sie schon mehrfach in TV-Sendungen pupste.

Und auch wir Normalos bedienen uns häufig des Geräuschs eines Darmwinds. Die Klausur ging mal wieder richtig in die Hose? – Unsere Antwort: eine Furztrompete mit dem Mund. Wir gähnen vor Langeweile, während Tante Hilde zum zwölften Mal von Erikas schlimmer Frisur erzählt – und denken: Das interessiert mich einen feuchten Furz. Die neue Referendarin ist zum ersten Mal in Klasse 2B – und wird von Achselfürzen in Empfang genommen. Du siehst es: Pupse – egal ob echt oder nachgeahmt – sind überall.

Laut und tödlich

Auch wenn es die beschriebenen Beispiele nicht gerade vermuten lassen: Blähungen sind für viele Menschen kein Grund zur Freude. Im Extremfall kann die Peinlichkeit, die durch einen Pups entsteht, sogar zum Tod führen, wie Jim Dawson in Who Cut the Cheese? A Cultural History of the Fart schreibt. Demnach berichtete Richard Jobson, ein Entdecker aus dem 17. Jahrhundert, dass Mitglieder des Ashanti-Stammes im heutigen Ghana extreme Panik davor hatten, ein laues Lüftchen vor Fremden rauszulassen. Jobson dokumentierte in seinen Aufzeichnungen, dass sich ein älteres Stammesmitglied aufhängte, nachdem er sich vor seinem Häuptling gebeugt und dabei versehentlich gepupst hatte. Der Mann schämte sich wortwörtlich zu Tode.

Auch wenn nur in extremen Ausnahmefällen tatsächliche Lebensgefahr von Blähungen ausgeht, sind sie ein echtes Problem für viele Millionen Menschen. Jeder, der sich ständig aufgebläht fühlt und häufig übel riechende Winde ablässt, weiß wovon ich spreche. Zudem gehen Blähungen oft mit anderen Verdauungsbeschwerden wie Krämpfen, Durchfällen, Verstopfung oder Sodbrennen einher. Und so kommt es, dass ich dieses Buch schreibe, weil ich genau das selbst erlebt habe.

Meine Leidensgeschichte erstreckte sich über zwei Jahre. In dieser Zeit lebte ich aus Angst vor unkontrollierbaren, übel riechenden Flatulenzen zurückgezogen. Zudem litt ich an einer Essstörung und an Sportsucht. Ich wurde depressiv und vernachlässigte zunehmend die Beziehungen zu geliebten Menschen. Ich schämte mich – für meinen Körper und die Gase, die aus ihm herauskamen. In der akuten Phase meiner Blähungsodyssee zählte ich bis zu 80 Fürze pro Tag. Verglichen mit dem eingangs beschriebenen Normwert von 15, klingt das heute selbst für mich erschreckend. Lange Zeit sträubte ich mich wegen des Tabus, öffentlich übers Pupsen zu sprechen, vor Arztbesuchen. Ich fürchtete mich selbst vor den exzessiven Ausmaßen, die die menschliche Natur annehmen kann. Statt Hilfe zu suchen, verkroch ich mich lieber stillschweigend hinter einer Fassade aus Wut, Aggression und Selbsthass. Als ich nach langem Ringen mit mir selbst endlich über meinen Schatten springen konnte und zum Arzt ging, schien es zu spät zu sein. Nach monatelangem Wartezimmermarathon bei verschiedenen Medizinern und Heilpraktikern, wurde ich mit der Diagnose Reizdarm nach Hause geschickt. Aussicht auf Besserung? Fehlanzeige.

Wütend zerriss ich die ernüchternde Reizdarm-Infobroschüre, die mir mein damaliger Gastroenterologe gegeben hatte, und beschloss, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen. Sollte mein Leben denn wirklich so weitergehen? Bestimmt von der Angst vor dem nächsten Furz und seinem Geruch wollte ich ganz gewiss nicht leben. Also begann ich mit nächtelangen Recherchen, auf die unzählige Selbstexperimente folgten. Im Kampf gegen die Blähungen bahnte ich mir über viele Monate hinweg den Weg durch das Wirrwarr mal mehr, mal weniger hilfreicher Tipps. Etliche kleine Fortschritte und Rückschläge später, bin ich heute an einem Punkt angekommen, an dem es mir besser geht als jemals zuvor. Die Blähungen sind Geschichte. Und viel wichtiger noch: Ich fühle mich endlich wohl in meinem Körper.

So viel Wind um nichts?

Denke ich heute an die Tage zurück, die von früh bis spät von meinem Blähbauch bestimmt waren, frage ich mich: »Ist es wirklich nötig, ein Buch darüber zu schreiben?« Denn in aller Regel sind Flatulenzen nichts, worüber wir uns sorgen müssten. Jeder pupst. Egal wie alt, welches Geschlecht, ob dick oder dünn. Fürze sind unsere täglichen Begleiter – genauso wie Magenknurren, Gähnen oder Niesen. Zudem sorgen sie dafür, dass unliebsame Gase aus unserem Körper entweichen, und bei einer geregelten Verdauung vergeht oft ein ganzer Tag, ohne dass wir sie überhaupt bewusst wahrnehmen.

Doch ich will das Pups-Tabu brechen und darüber sprechen, damit Menschen, die – wie ich einst – darunter leiden, sich besser verstanden fühlen. Deshalb möchte ich in diesem Buch all meine Erfahrungen und Erkenntnisse mit dir teilen. Dabei stütze ich mich nicht nur auf Selbstexperimente, sondern auf die herausragende Unterstützung vieler Experten. Dazu zählen unter anderem der Lehrstuhlinhaber für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Prof. Dr. Hartmut Schröder, der Klinikdirektor des HELIOS Klinikums Krefeld Prof. Dr. med. Thomas Frieling, der Gastroenterologe, Forscher und Buchautor Dr. Alessio Fasano aus Boston sowie Nick Haslam, Buchautor und Professor für Psychologie an der Universität Melbourne. Dank ihres fachkundigen Rats, ihrer Hinweise und Einblicke konnte ich meinen eigenen Erfahrungen und Recherchen mehr Tiefgang verleihen und sie in diesem Buch zusammentragen.

Egal ob du »nur« mehr über Blähungen und Tabus im menschlichen Miteinander erfahren willst, dich im Büro unangenehm aufgebläht fühlst und effektive Tipps dagegen suchst oder selbst an übel riechenden Dauerflatulenzen leidest und einfach nicht mehr weiterweißt – genau für dich habe ich dieses Buch geschrieben!

Beginnen möchte ich mit einer allgemeinen Einführung in das wundersame Reich der Tabus. Wir werden den Sinn und Zweck von Tabus hinterfragen und herausfinden, warum selbst Körperfunktionen mit Tabus belegt sind, wann sie helfen können – und wann sie schaden.

Im zweiten Teil erzähle ich dir ein bisschen mehr über meine persönliche Blähbauchodyssee. Danach wirst du sicher nachvollziehen können, warum genau ich auf die Idee zu diesem Buch kam.

Warum pupsen wir überhaupt? Welche Gase sind für die üblen Gerüche verantwortlich? Und welchen Einfluss haben Psyche, Geschlecht und Lebensstil auf ihre Entstehung und den Umgang mit ihnen? Im dritten Teil des Buchs gehen wir diesen Fragen nach und schauen uns die Grundlagen der Verdauung und Ernährung an. So lässt es sich besser verstehen, mit welchen Mitteln und Strategien wir unsere Verdauung langfristig optimieren können.

Im vierten Teil wird es praktisch. All die Grundlagen, die du bis dahin gelernt haben wirst, münden in einen effektiven Ernährungsfahrplan, den ich Low FART Diet getauft habe. Ich werde dir außerdem zeigen, wie du in deinem Alltag einen Blähbauch vermeiden kannst und mit welchen Tricks du deine Verdauung individuell optimieren kannst. Dabei wirst du auch sehen, was überhaupt nichts bringt und im schlimmsten Fall sogar schaden kann.

Warum die Natur keinen Anstand kennt und wir Blähungen einfach als Teil unseres Lebens akzeptieren müssen, auch wenn die Umstände noch so unpassend erscheinen, schauen wir uns im fünften Teil an.

Im Bonuskapitel sechs zeige ich dir schließlich, welche leckeren Rezepte sich auf Basis der Low FART Diet zaubern lassen. Außerdem habe ich dort häufig gestellte Fragen beantwortet und eine Liste mit Literatur- und Videotipps für dich zusammengestellt.

Teil 1

Tabus regieren die Welt

»The naked truth is still taboo.«

– Bob Dylan

Die ältesten Gesetze der Menschheit

Lord Voldemort ist eines der berühmtesten Beispiele für ein Sprachtabu in der jüngeren Literaturgeschichte. Dass eine der zentralen Figuren in Joanne K. Rowlings Romanreihe Harry Potter vor allem als »Der, dessen Name nicht genannt werden darf« beschrieben wird, zeigt die tiefe Verwurzelung von Tabus in Kunst und Kultur. Statt den dunklen Magier einfach beim Namen zu nennen, werden Umschreibungen genutzt. Der Name ist Mythos. Unnahbar. Unaussprechlich. Unheimlich. Tabus sind jedoch keine Erfindung, um Romanen Spannung zu verleihen; Tabus sind real. Manchmal sind sie so subtil, dass sie auf den ersten Blick nicht zu identifizieren sind. Andere sind offensichtlicher und gesellschaftlich akzeptiert. Tabus sind so alt wie die Menschheit selbst. Nicht umsonst gelten sie als die ältesten Gesetze der Menschheit. Tabus sind meist nicht rational begründet. Sie anzuzweifeln verbietet sich von selbst. So sind gesetzliche Regelungen und formelle Sanktionen überflüssig.1 Man hält sich einfach daran.

Wie genau Tabus entstanden sind oder entstehen, ist strittig. Wieso sie auch heute noch in jedem Einzelnen von uns reifen, hingegen nicht. Die Brutstätte von Tabus und Verboten ist unsere Kindheit. Nachvollziehbar wird es, wenn wir uns drei Sätze ins Gedächtnis rufen, die wir sicherlich alle von unseren Eltern gehört haben:

Das macht man nicht.Das gehört sich nicht.Das sagt man nicht.

Tabus werden ganz selbstverständlich von Generation zu Generation weitergegeben. Wir haben sie von unseren Eltern übernommen, unsere Eltern wiederum wurden von ihren Eltern durch die drei genannten Aussagen sozialisiert. So erbt jede Generation und schließlich die Gesellschaft als Kollektiv Tabus als zentrale Elemente von Recht und Ordnung. Schließlich werden auch wir die eigenen verinnerlichten Tabus in bester Absicht an unsere Kinder weitergeben. Ohne Herkunft, Sinnhaftigkeit und Kontext zu hinterfragen, wird dem Nachwuchs nahegelegt, bitte nicht in der Öffentlichkeit zu popeln, den Genitalbereich zu inspizieren oder – als kleine Prinzessin – breitbeinig zu sitzen. Das macht man eben nicht. Denn wer will schon in einer vor sich hin popelnden und in aller Öffentlichkeit pupsenden Gesellschaft leben?

Richard D. Lewis schreibt dazu treffend:2 »In unserer eigenen Kultur sagt uns ein Verhaltenskodex, was richtig und falsch, angemessen und unangemessen, ehrenhaft oder anrüchig ist. Dieser Kodex, der von Eltern und Lehrern vermittelt und von Freunden und Zeitgenossen bestätigt wird, umfasst nicht nur grundsätzliche Werte und Überzeugungen, sondern auch Vorschriften für ein korrektes Benehmen [...] in allen möglichen Lebenslagen.«

Was in Familien, Glaubensgemeinschaften und unter Angehörigen desselben Kulturkreises funktioniert, leidet im interkulturellen Miteinander. Unsere globalisierte und miteinander vernetzte Welt zeigt, dass Tabus nicht überall gleichermaßen gelten. Interkulturelle Tabubrüche gehören zur Tagesordnung. Was hierzulande tabu ist, ist anderswo völlig normal, zum Teil sogar erwünscht – und umgekehrt. Ungeniertes Rülpsen, Pupsen und Rauchen in chinesischen Restaurants verblüfft beispielsweise Reisende aus dem Westen (kulturabhängig). Um einem Tabuparadox zu begegnen, bedarf es keiner Reise nach Übersee. Auch unser Alltag hält einige scheinbar widersprüchliche Situationen bereit. Etwas für andere Staaten Selbstverständliches war für Deutsche aufgrund der Nazi-Vergangenheit lange Zeit tabu: das Schwenken der Landesflagge. Erst 2006 wurde während der WM in Deutschland im Fußballrausch kollektiver Tabubruch begangen. Gefühlt jedes Auto mutierte zum mobilen Sinnbild des zurückerlangten Nationalstolzes und fuhr die schwarz-rot-goldene Flagge spazieren (kulturabhängig). Wie die alten Römer in Latrinen mit bis zu 50 Fremden ganz selbstverständlich und frei von Geschlechtertrennung das große Geschäft zu erledigen, wäre heute undenkbar (zeitabhängig). Halb nackte YouTube-Stars, die in vulgärster Sprache völlig schamlos mit ihren Teenie-Zuschauern über Sexstellungen sprechen? Ganz normal für Millennials. Eltern schütteln den Kopf (generationsabhängig).

Namenlos

Als James Cook und seine Mitsegler gegen Ende des 18. Jahrhunderts das polynesische Wort »tapu« (beziehungsweise »ta pu«) von ihrer Südseereise mit zurück nach Europa brachten, ahnten sie nicht, welche Lücke sie damit schließen würden. Schnell fand der Begriff (übrigens eines der wenigen Wörter aus den Südseesprachen, die es in unseren Sprachgebrauch geschafft haben) Einzug in den Wortschatz der Engländer, um das »Andere und Fremde«3 zu beschreiben. Es war für die reisenden Europäer »ein zentraler Ausdruck [...], um zu erklären, was nicht innerhalb ihres Konzeptes der Vernunft zu erklären war«. Was man sich darunter vorstellen kann? Beispielsweise Kannibalismus und Promiskuität. Es ist bemerkenswert, dass der Begriff »Tabu« bis zur Jahrhundertwende ausschließlich zur Beschreibung von Naturvölkern verwendet wurde. Die ach so aufgeklärten Kulturvölker hatten bis dato schlichtweg kein Wort für die ältesten Gesetze der Menschheit. Dass man den Teufel nicht beim Namen nennen und die Tochter des Königs nicht berühren durfte, war klar. So klar, dass kein Wort dafür nötig war. Mehr Ausdruck könnte man der subtilen Macht von Tabus wohl kaum verleihen. Nachdem sich Sigmund Freud in Totem und Tabu dem Begriff angenommen hatte, hielt er in Folge endgültig Einzug in den Sprachgebrauch der aufgeklärten Welt. Seither wird über die eigentliche Bedeutung diskutiert und der Begriff im alltäglichen Gebrauch längst nicht mehr im ursprünglichen Sinn verwendet.

Und trotzdem sind es gerade interkulturelle Tabubrüche, die uns die Tragweite des Phänomens vor Augen führen. Hierzulande sind Hunde bestenfalls am Mittagstisch erlaubt. Ein Hundegulasch auf dem Tisch ist tabu. Der Aufschrei von westlichen Tierliebhabern ist groß, wenn sie vom chinesischen Hundefleisch-Festival in Yulin hören. Solche Tabus zeigen uns auf emotionale Weise ihre Relativität. Sie sind eben nicht in unseren Genen verankert. Tabus sind kulturabhängig. Tabus sind Ansichtssache. Aufgrund der Komplexität von Tabus, möchte ich in diesem Buch bei dieser vereinfachten Darstellung bleiben: Tabus sindDinge, die man nicht tut, über die man nicht spricht und an die man nicht denkt.

Außerdem gibt es ohnehin nicht nur eine Definition des Tabubegriffs. Schlägt man den Duden auf – oder schaut, wie es sich im digitalen Zeitalter gehört, im Internet nach –, findet man folgende Definitionen:4

Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, besonders geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen.Ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun.

Die erste Definition ist in unserem Kontext irrelevant. Sie bezieht sich auf den historischen Tabubegriff, um völkerkundlich fremde Kulturen zu beschreiben. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte entwickelte sich der Begriff »Tabu« im Alltagsgebrauch zu dem, was die zweite Duden-Definition beschreibt: Konventionen des sozialen Kodex einer Gemeinschaft. Um es mit den Worten des Ethnologen Horst Reimann zu sagen, sind Tabus »gesellschaftliche ›Selbstverständlichkeiten‹ und erhalten so eine wichtige soziale Funktion der Verhaltensregulierung, der Etablierung von Grenzen, der Anerkennung von Autoritäten, zum Beispiel zur Sicherung von Eigentums-, Herrschaftsverhältnissen und bestimmter sozialer Ordnungen«.5 Vereinfacht ausgedrückt: Tabus sind ungeschriebene kulturelle Gesetze.

Als ich den Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Hartmut Schröder im Rahmen meiner Recherche fragte, ob es eine einheitliche Definition des Begriffs »Tabu« gäbe, verneinte er. Im ersten Moment war ich enttäuscht. Wie sollte ich diesen zentralen Begriff überhaupt verstehen oder gar angemessen darstellen? Doch dann stieß ich dank Prof. Dr. Schröder auf ein Zitat des Kommunikationswissenschaftlers Gerhard Maletzke: »Jede Kultur kennt Tabus, also strikte Verbote, die man nicht ungestraft verletzen darf: Gegenstände, die man nicht berührt; Orte, die man nicht betritt; Wörter, die man nicht ausspricht.«6

Welches sind die Gegenstände, die du nicht berührst? Wo liegen die Orte, die du nicht betrittst? Was sind die Worte, die du nicht aussprichst? Ich will, dass du dir der Tabus um dich herum bewusst wirst.

Der Sinn und Unsinn von Tabus

Ein Tabu ist per se weder gut noch schlecht. Es kommt ganz darauf an, wie und wofür es eingesetzt wird. Daher bedarf es einer differenzierten Betrachtung, um den Sinn und Unsinn von Tabus erforschen und bewerten zu können. Eine Frage drängt sich besonders in den Vordergrund: Wieso gibt es Tabus überhaupt? Zahlreiche Wissenschaftler und Philosophen haben sich dieser Frage im Laufe der letzten Jahrzehnte angenommen. Die wohl bedeutendste Kategorisierung von Sprachtabus geht auf Ullmann und Zöllner zurück:7

Tabus aus Furcht

a. Beruhen auf mystisch-magischen Weltvorstellungen und haben in westlichen Gesellschaften fast keine Bedeutung mehr.

b. Zum Beispiel aus Angst vor Unheil nicht über den Teufel zu sprechen.

Tabus aus Feinfühligkeit und Rücksichtnahme

a. Betreffen vor allem Krankheiten, Behinderungen und Tod.

b. Zum Beispiel die Frage an einen Krebskranken: »Na, wie geht’s deinem Krebs heute?«

Tabus aus Anstand und Rücksicht auf Scham- und Peinlichkeitsgefühle

a. Betreffen vor allem Körperausscheidungen, -funktionen und -teile sowie Sexualität.

b. Zum Beispiel das Pupsen in der Öffentlichkeit.

Tabus aus sozialem Takt und ideologischen Motiven

a. Betreffen unter anderem Tabus, die aus Political Correctness entstehen.

b. Zum Beispiel sagen wir heute nicht mehr Neger-, sondern Schokoküsse.

Aus diesen vier Grundmotivationen von Sprachtabus lassen sich ihr Sinn und Zweck recht nachvollziehbar ableiten. So schützen sie beispielsweise Kranke, wahren die gesellschaftliche Ordnung und vermeiden Diskriminierung. Doch ihre Schutzfunktion kann auch ins Gegenteil kippen. Das wird jeder bestätigen können, der durch Sprachtabus mit seinem Leid allein auf weiter Flur steht und sich nicht traut, darüber zu sprechen. Wurde jemand Opfer einer tabuisierten Handlung, die durch ein Sprachtabu geschützt wird, wird es richtig unangenehm. Bei Fällen von Kindesmisshandlung können die Opfer beispielsweise oft erst im Erwachsenenalter über die Tat sprechen. Dann stellt sich gegebenenfalls heraus, dass andere Familienmitglieder stillschweigend vom Leid der Opfer wussten – und trotzdem schwiegen. Denn wenn man eine Sache »nicht tut«, wird nicht darüber gesprochen. Und das Opfer ist dazu verdammt, im stillen Kämmerlein zu leiden.

Auch über dem Thema Verdauung liegt ein Sprachtabu. Dabei handelt sich doch um einen natürlichen und zudem lebensnotwendigen Vorgang eines jeden Lebenswesens. Von der fleißigen Biene über den Blauwal im Ozean bis hin zum Büromenschen: Alle verdauen – ob sie wollen oder nicht. Doch darüber sprechen? Lieber nicht! Das Tabu, öffentlich seine Verdauung zu thematisieren, erfüllt wie alle anderen Sprachtabus die drei folgenden Funktionen:8

Tabuisierte Handlungen zu unterstützen und abzusichern (man tut es nicht und spricht nicht darüber; zum Beispiel pupst man nicht in der Öffentlichkeit und spricht beim Dinner im Restaurant nicht darüber).Tabuisierte Handlungen so einzuschränken, dass diese nicht auffallen beziehungsweise verhüllt oder beschönigt werden können (man tut es unter Beachtung bestimmter Normen, spricht aber nicht darüber; zum Beispiel im Lärm der U-Bahn pupsen, es aber nicht lauthals verkünden).Tabuisierte Handlungen zu verschleiern (das macht man normalerweise nicht, und wenn man es macht, dann spricht man nur versteckt darüber oder verschleiert es; zum Beispiel pupsen und behaupten, man hätte gehustet).

Die genannten Beispiele kommen dir bekannt vor? Glückwunsch, du bist ein Mensch. Wir alle bedienen uns dankend der Tabu-Werkzeugkiste und suchen uns nach Bedarf passende Funktionen aus. Das ist auch völlig in Ordnung und alles andere als unsinnig. Ich plädiere hier keineswegs für eine tabufreie Welt, in der laute Flatulenzen zum Hintergrundrauschen mutieren. Ich will lediglich die Schamschranke öffnen, die wir an der ein oder anderen Kreuzung von modernem Menschsein und der Natur des Homo sapiens aufgestellt haben. Das Pups-Tabu ist also nicht per se sinnlos, allerdings auch nicht immer sinnvoll – es kommt wie so oft auf den Kontext an. Dies wird besonders mithilfe eines Gedankenexperiments deutlich. Überlege dir für einen Moment, wie eine tabufreie Welt aussehen würde. Der Nutzen von Tabus, »das soziale Handeln den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend zu regulieren [und] die Extreme abzustecken«9, wäre dahin. Verschwunden wären Tabus aus Taktgefühl, Anstand, Ideologie oder Furcht. Der Ausnahmezustand würde zur Normalität werden. Im Falle des Pups-Tabus: Überall und permanent würden wir die Abgase unserer Mitmenschen riechen und hören. Der Po als Sexobjekt würde seine aufreizende Wirkung wahrscheinlich verlieren. Die gleichermaßen schützende und behindernde Mauer von Tabus bräche in sich zusammen. Kurzum: Eine Welt ohne Tabus wäre anders. Total anders. Und für die allermeisten Menschen kein Ort, an dem sie gerne leben würden.

Menschlichkeit ist tabu

Nachdem wir uns mit dem Tabubegriff, seiner Bedeutung und Funktion befasst haben, spannen wir nun den Bogen zum eigentlichen Thema. Unser Körper wird häufig tabuisiert. Je nach Kultur, Religion, Ort und Zeit sind unterschiedliche Körperfunktionen, -geräusche und -flüssigkeiten, Triebe, Gefühle, Krankheit und Tod mit einem Sprachtabu belegt. Blähungen sind tabu. Sexualität ist tabu. Menschsein ist tabu. Zumindest scheint es manchmal so. Wer spricht schon offen über das, was tief in uns schlummert? Ständig wollen wir unser Gesicht wahren, eine Rolle erfüllen, nach außen perfekt wirken – wie ein Abziehbild vorgelebter Ideale. Lieber verstecken wir uns mit unseren Problemen hinter einer Maske, fliehen in unseren stressigen Alltag, lenken die Aufmerksamkeit auf Nichtigkeiten statt auf die Dinge, die uns wirklich beschäftigen und belasten. Du fühlst dich unwohl? Dir drückt der Darm? Du willst darüber sprechen und die Dinge endlich beim Namen nennen? Das macht man nicht! Eins zu null für das Tabu.

Tabumaskerade

Um Sprachtabus zu umgehen und Peinlichkeiten zu vermeiden, haben wir Menschen Euphemismen erfunden. Die verschleiernden Umschreibungen dienen als Platzhalter für Ausdrücke und Tabuwörter, die im Alltag und außerhalb eines fachspezifischen Kontexts vulgär oder unangemessen erscheinen. Als Ersatz für tabuisierte Begriffe werden auch sie von Generation zu Generation weitergegeben und erinnern vielfach an Kinderprosa – ein Indiz für ihre Etablierung in Kindheitstagen. Ein paar Beispiele:

Vermiedener Ausdruck

Euphemismus

sterben

einschlafen, von uns gehen

Gesäß

Popo, Po

Vagina

Mumu, Muschi

Penis

Pimmel, Pipimann

Kot

Aa, großes Geschäft

Geschlechtsverkehr

Liebe machen

Flatulenz

Pups, Darmwind

Wir alle nutzen Euphemismen. Sie sind ein fester Bestandteil unserer Sprache, und der Umgang mit ihnen ist uns vertraut. Wir verwenden sie öfter, als wir glauben. Stirbt ein geliebter Mensch, sprechen wir lieber vom »Auffahren in den Himmel« als vom Tod im biologischen Sinne. Im Umgang mit dem Tod können Tabus sogar in gewisser Weise Trost spenden. Beim Thema Sex geht uns »Liebe machen« oftmals leichter über die Lippen als »Geschlechtsverkehr«. Das »Gesäß« heißt im Volksmund »Popo«. Und der Titel dieses Buchs lautet Das Pups-Tabu und nicht Flatulenz-Tabu. Euphemismen sind unsere Art, Pipi Langstrumpf zu spielen. Wir machen uns die Welt der Worte so, wie sie uns gefällt.

Doch wir nutzen nicht nur Wörter, um Tabus zu umgehen oder zu verhüllen. So gehört auch das Kaschieren unseres animalischen Ursprungs zum Alltag: Deoroller und Parfums übertünchen Körpergerüche, Intimrasuren entfernen uns optisch so weit wie möglich von unseren tierischen Verwandten, und Toilettensprays verbergen den Geruch von Kot. Es hat den Anschein, als wären nicht nur bestimmte Begriffe und Handlungen tabu, sondern das Menschsein an sich.

Von Körperfunktionen, Mord und Behinderung

Ist es für pubertierende Bravo-Leser im 21. Jahrhundert längst völlig normal, von Dr. Sommer zu erfahren, wie genau das »Liebemachen« funktioniert, so war es für die Generation meiner Eltern oft noch undenkbar, von ihren Eltern sexuell aufgeklärt zu werden. Die Menstruation, so normal sie auch ist, zählt auch heute noch in vielen Ländern der Erde zu den Tabuthemen. Wie könnte man sonst erklären, dass die Chinesin Fu Yuanhui mit ihrem öffentlichen Bekenntnis zur Periode bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 für solches Aufsehen gesorgt hat? Als die Schwimmerin nach dem Grund für ihren enttäuschenden vierten Platz gefragt wurde, antwortete sie: »Ich habe gestern meine Periode bekommen und fühlte mich sehr müde – aber das ist keine Entschuldigung, ich bin einfach nicht schnell genug geschwommen.« Was es hierzulande nicht mal in die Klatschspalten geschafft hätte, war für viele Chinesen ein Affront.

Dass gerade bestimmte Körperthemen und -funktionen auch in Deutschland für viele Menschen immer noch mit einem Tabu belegt sind, zeigte Liubov Kuragina in ihrer Dissertation über Sprachtabus in Deutschland und der Ukraine.10 Dafür befragte sie deutsche Männer und Frauen nach ihren persönlichen Tabuthemen. Der Fragebogen umfasste sechs Fragen:

Über welches Thema würden Sie niemals mit anderen Menschen sprechen, auch nicht mit guten Freunden/Verwandten?Über welches Thema würden Sie nur mit engen Freunden/Verwandten sprechen?Worüber würden Sie ungern mit Ihrem Chef/Ihren Kollegen auf der Arbeit reden?Aus welchem Grund würden Sie die ausgewählten Themen nicht besprechen?Wird Ihre Kommunikation mit anderen Menschen durch das Vorhandensein verbotener oder unangenehmer Themen erschwert?Was würden Sie tun, wenn ein Tabuthema im Gespräch auftaucht?

Die Antwortmöglichkeiten umfassten verschiedene Themengebiete wie Gesundheit, Familie, Tod, Krankheit, Sexualität, Geld, Politik, Verbrechen oder Religion. Mit einem Potpourri mehr oder weniger beliebter Small-Talk-Themen konfrontiert, existierten für 80 Prozent der Befragten keine Sprachtabus. Sie würden, vor allem mit vertrauten Menschen, über alles sprechen. Kuragina führt gesellschaftliche Entwicklungen (Demokratisierung, Kampf gegen Aids, Feminismus, sexuelle Revolution) und die Befreiung von Normen und Dogmen als Gründe dafür an. Außerdem ließen sich manche Gesprächsthemen eben nicht vermeiden – zum Beispiel beim Arzt, gegenüber der Polizei oder vor Gericht. Doch für die verbleibenden 20 Prozent gab es sehr wohl Sprachtabus. Angenommen diese Studie wäre repräsentativ für die deutsche Bevölkerung, dann gäbe es für über 16 Millionen Menschen in Deutschland absolute Tabuthemen – Dinge, über die sie niemals sprechen würden. Mit niemandem. Das Ergebnis der Befragung zeigt die folgende Gewichtung der tabuisierten Themen:

Vergewaltigung im persönlichen Umfeld (62 Prozent)Eigene Sexualität (60 Prozent)Mord im persönlichen Umfeld (46 Prozent)Mord, eigenes Gehalt, Körperfunktionen und -ausscheidungen sowie Behinderungen (jeweils 20 Prozent)Gewalt, Hygiene, Religion (jeweils 18 Prozent)Tod, Körperteile, Sexualität im Allgemeinen, Geld (jeweils 10 Prozent)Nationalsozialismus, Politik, Krankheit (jeweils 6 Prozent)

Daraus ergeben sich zwei interessante Folgerungen:

Dinge, die uns direkt betreffen, sind stärker tabuisiert als andere.Körperfunktionen und -ausscheidungen stehen auf einer Ebene mit Behinderungen und Mord.

Weiterhin kommt die Befragung zum Ergebnis, dass es im beruflichen Umfeld für nur 2 Prozent der Befragten keine Tabus gibt. Das ist wenig überraschend: Wir wollen uns vor Fremden möglichst von unserer Schokoladenseite zeigen. Wer will da schon mit düsteren Familiengeheimnissen und anderen Tabuthemen um die Ecke kommen?

Doch warum sprechen wir über manche Dinge schlichtweg nicht? Die beiden am häufigsten genannten Gründe für Sprachtabus waren: »Meine Meinung/Erfahrung geht meinen Gesprächspartner nichts an« (50 Prozent) und »Ich fühle mich unwohl, wenn ich über diese Themen rede« (40 Prozent). Wir kennen es alle: Über manche Themen (zum Beispiel Politik, Religion, Geld) zu diskutieren ist uns unangenehm, deshalb vermeiden wir sie. Glauben wir, von etwas keine Ahnung zu haben, oder befürchten, unseren Gesprächspartner mit unseren Problemchen zu langweilen, bleiben wir ebenfalls stumm. Tabus schützen uns vor Scham, Missgunst und dem Gefühl der Blöße. Doch leider auch davor, Hilfe zu bekommen.

Das Pups-Tabu