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Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Gaslicht – Neue Edition In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Noch ahnte Verena Mac Barron nicht, daß dieser strahlende Oktobermorgen den Auftakt zu den finstersten Stunden in ihrem bisherigen und vermutlich auch zukünftigen Leben bilden würde. Die helle Morgensonne fiel auf ihren Schreibtisch und stimmte die junge Frau noch heiterer, als sie schon war. Gutgelaunt griff sie zu ihrem Füller. Vor ihr lagen die Zulassungspapiere für das Medizinstudium, das sie schon in Kürze beginnen wollte. Endlich würde ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen! In Gedanken sah sie sich schon in einem großen Hörsaal sitzen und ganz aufmerksam den spannenden Ausführungen des Professors im weißen Kittel lauschen. Verena wollte gerade zum Schreiben ansetzen, als es an der Haustür klingelte. Ganz überrascht legte sie den Füller wieder hin. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war Punkt zehn. Ob das wohl der Briefträger war? Sie trat ans Fenster und sah die gelbe Postkarre vor dem Gartentor stehen. Rasch lief sie die Treppe ins Parterre hinab. Ob ihre Mutter schon von ihrem Morgeneinkauf zurück war? Als sie um die Biegung der Treppe lief, konnte sie gerade noch sehen, wie sich der Briefträger, ein freundlicher junger Mann mit einem lustig hochgezwirbelten Schnurrbart, von ihrer Mutter verabschiedete. Beim Geräusch von Verenas Schritten hatte sich ihre Mutter umgewandt. Verena stand auf der untersten Treppenstufe. Sie sah, wie ihre Mutter zurückwich und etwas hinter ihrem Rücken zu verbergen suchte. Auf ihrem blassen Gesicht entdeckte Verena den Ausdruck ängstlicher Überraschung. »Was versteckst du da vor mir?«
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Seitenzahl: 117
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Noch ahnte Verena Mac Barron nicht, daß dieser strahlende Oktobermorgen den Auftakt zu den finstersten Stunden in ihrem bisherigen und vermutlich auch zukünftigen Leben bilden würde.
Die helle Morgensonne fiel auf ihren Schreibtisch und stimmte die junge Frau noch heiterer, als sie schon war.
Gutgelaunt griff sie zu ihrem Füller. Vor ihr lagen die Zulassungspapiere für das Medizinstudium, das sie schon in Kürze beginnen wollte. Endlich würde ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen! In Gedanken sah sie sich schon in einem großen Hörsaal sitzen und ganz aufmerksam den spannenden Ausführungen des Professors im weißen Kittel lauschen.
Verena wollte gerade zum Schreiben ansetzen, als es an der Haustür klingelte.
Ganz überrascht legte sie den Füller wieder hin. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war Punkt zehn. Ob das wohl der Briefträger war?
Sie trat ans Fenster und sah die gelbe Postkarre vor dem Gartentor stehen. Rasch lief sie die Treppe ins Parterre hinab. Ob ihre Mutter schon von ihrem Morgeneinkauf zurück war?
Als sie um die Biegung der Treppe lief, konnte sie gerade noch sehen, wie sich der Briefträger, ein freundlicher junger Mann mit einem lustig hochgezwirbelten Schnurrbart, von ihrer Mutter verabschiedete.
Beim Geräusch von Verenas Schritten hatte sich ihre Mutter umgewandt. Verena stand auf der untersten Treppenstufe. Sie sah, wie ihre Mutter zurückwich und etwas hinter ihrem Rücken zu verbergen suchte. Auf ihrem blassen Gesicht entdeckte Verena den Ausdruck ängstlicher Überraschung.
»Was versteckst du da vor mir?« sagte Verena lachend und ging auf ihre Mutter zu.
»Ach nichts«, erwiderte Frau Mac Barron und ging noch weiter zurück. »Nichts von Bedeutung«, fügte sie hinzu.
»Aber, Mutter, ich seh doch, daß du da etwas in der Hand hältst. Du hast einen Brief bekommen. Stimmt’s?«
Frau Mac Barron starrte ihre Tochter an. »Ja, es ist ein Brief, aber… ich… verberge ihn doch nicht. Er hat einfach keine Bedeutung.«
»Wenn das so ist, kannst du ihn mir doch ruhig zeigen.« Verena sah ihre Mutter offen an.
»Nun ja, aber warum willst du ihn denn sehen?« Frau Mac Barron seufzte. Das ängstliche Erschrecken war immer noch nicht aus den grauen Augen gewichen.
»Ganz einfach«, erwiderte Verena. »Durch dein merkwürdiges Verhalten hast du mich ganz neugierig gemacht.«
Sie ging auf ihre Mutter zu und legte den Arm um ihre schmalen Schultern. »Ist es ein Brief von unseren schottischen Verwandten?« fragte sie leise.
Frau Mac Barron atmete tief ein und nickte langsam. »Ja, es ist ein Brief aus Schottland«, sagte sie schließlich mit müder Stimme.
»An wen ist er denn gerichtet?«
»Das weiß ich nicht.«
»Dann zeig ihn mir doch mal«, bat Verena.
Widerstrebend reichte Frau Mac Barron ihrer Tochter den Brief.
Verena las die Adresse und blickte erstaunt auf.
»Der ist ja an mich gerichtet«, sagte sie und sah ihre Mutter an. »Beinahe hättest dich ja der Unterschlagung schuldig gemacht, Mutter.« Sie bemühte sich um einen scherzhaften Ton.
Ihre Mutter tat ihr plötzlich leid. »Komm, wir gehen ins Wohnzimmer und lesen den Brief gemeinsam«, schlug sie vor. »Ich habe ja keine Geheimnisse vor dir, auch keine Briefgeheimnisse.«
Frau Mac Barron stand noch immer wie erstarrt.
»Warum sagst du denn nichts, Mutter? Hat es dir die Sprache verschlagen?«
»Was soll ich sagen?«
»Bist du nicht neugierig, was in dem Brief steht?«
»Nein.«
»Aber ich«, erwiderte Verena mit erwartungsvoller Stimme. »Schau, auf dem Umschlag ist sogar das Wappen der Familie Mac Barron: der zinnenbewehrte Turm.« Sie konnte ihre Neugier kaum noch zügeln. Was würde in dem Brief stehen?
»Also gut«, sagte Frau Mac Barron schließlich und folgte ihrer Tochter ins Wohnzimmer.
Das Wohnzimmer war groß, hell und mit modernen Möbeln eingerichtet, die einladend und gemütlich wirkten. Die warme Oktobersonne fiel durch die breiten Fenster.
Über dem hellbraunen Sekretär ihrer Mutter hing ein Bild von John Mac Barron, Verenas verstorbenem Vater. Es zeigte einen Mann mit energischen, aber sehr freundlichen Gesichtszügen,
dunklem, gewelltem Haar und nachdenklich blickenden Augen.
Frau Mac Barron ließ sich im Sessel gegenüber ihrer Tochter nieder, die auf dem sandfarbenen Sofa mit den bunten Kissen Platz genommen hatte.
Hastig öffnete Verena den Brief und überflog mit klopfendem Herzen die Zeilen. Dann ließ sie sich in die Polster zurücksinken.
»Stell dir vor, Mutter, ich bin zur Beerdigung meines Onkels William Mac Barron und zur Testamentseröffnung nach Schottland eingeladen. Ist das nicht merkwürdig? Er hat mich doch nie kennengelernt. Warum sollte er mich in seinem Testament bedenken?« Verena hielt kurz inne und strich sich eine Strähne ihres braunen Haars aus dem leicht geröteten Gesicht. »Was sagst du dazu, Mutter? Kannst du dir das erklären?«
»Nein.«
»Warum nicht? Du müßtest doch etwas über Vaters Familie wissen!« Verenas Stimme klang aufgeregt.
Frau Mac Barron setzte sich in ihrem Sessel zurecht.
»Ich weiß nicht viel mehr als du. Dein Vater hat nicht viel über seine Familie gesprochen. Nach unserer Heirat ist er nur kurz noch einmal zu Hause in Schottland gewesen. Dann nie wieder. Damals hat er auf sein Recht als Erstgeborener verzichtet und das Erbe seinem jüngeren Bruder William überlassen.«
Verena beugte sich vor und sah ihre Mutter erstaunt an.
»Warum hat er das getan? Einfach so auf sein Erbe verzichtet? Warum ist er nie wieder nach Schottland gefahren? Hat er nichts dazu gesagt?« die Fragen sprudelten nur so aus Verena heraus. Endlich hatte sie Gelegenheit, etwas mehr über ihren Vater und dessen Familie zu erfahren!
Frau Mac Barron verschränkte die Hände über der Brust und erwiderte: »Dein Vater hat nur einmal über seine Familie gesprochen. Als er zurückkam. Dann hat er mich gebeten, nie wieder danach zu fragen. Er wollte nicht an seine Familie erinnert werden.« Frau Mac Barron schwieg.
Verena beobachtete ihre Mutter, deren Gedanken in weite Ferne zu schweifen schienen. »Du warst damals noch nicht geboren, Verena«, fuhr Frau Mac Barron dann fort. »Aber John sagte, er habe dafür gesorgt, daß seine Nachkommen nicht rechtlos sein würden.«
»Was bedeutet das?« fragte Verena.
»Das weiß ich nicht, mein Kind.«
Verena blickte auf das Foto des Mannes, der ihr Vater gewesen war. Sie hatte nur wenige Erinnerungen an ihn, aber diese Erinnerungen waren wunderschön. »Daddy« hatte sie auf seine Schultern gesetzt und war mit ihr durch den Wald gelaufen, um den Osterhasen zu suchen, er hatte mit ihr eine Bootsfahrt gemacht und dabei die Geschichte von der kleinen Seejungfrau erzählt, und am ersten Schultag hatte er sie zur Schule begleitet und abgeholt. Verena erinnerte sich an seine dunkle Stimme mit dem leichten englischen Akzent und an seine Augen, die oft nachdenklich, aber nie böse geblickt hatten.
»Warum mußte er nur bei diesem Attentat sterben?« sagte Verena traurig. »Ich hätte ihn jetzt so gerne gefragt, warum er jede Vebindung zu seiner Familie und seiner Heimat abgebrochen hat. Hat dich das nicht auch gewundert, Mutter?«
»Ja, schon, aber…« Frau Mac Barron schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort. »Wir hatten eine Art Abkommen geschlossen, nicht darüber zu sprechen. Und ich habe mich daran gehalten und hatte auch nie wieder einen Grund, ihn zu fragen. Du weißt, dein Vater war vorbildlich als Major für die Öffentlichkeitsarbeit hier bei der britischen Rheinarmee als auch als Familienvater.«
»Und als Ehemann«, fügte Verena leise hinzu.
»Ich habe deinen Vater über alles geliebt, Verena.«
»Ich weiß, Mutter«, sagte Verena. Einen Augenblick lang blieb sie nachdenklich sitzen. Dann sprang sie auf und rief: »Dann muß ich eben alles selbst herausfinden. Ich werde nach Schottland fahren und…«
»Nein, bitte tu das nicht«, unterbrach Frau Mac Barron ihre Tochter mit schriller Stimme. »Bleib um Himmels willen hier!«
»Aber warum denn?«
»Verena, Kind, ich bitte dich. Ich habe kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, daß du nach Schottland fährst. Ich… ich habe Angst um dich.«
»Aber warum denn, Mutter, es ist doch immerhin Vaters Familie, die ich besuchen werde. Sie sind doch keine Fremden. Was sollte mir da passieren?« Verena lief im Zimmer auf und ab.
»Ich weiß nicht, ich… mir ist unheimlich bei der Vorstellung, daß…« Frau Mac Barron schluckte und dann liefen die Tränen über ihr Gesicht.
»Aber Mutter, nun beruhige dich doch!« Verena ging hinüber zum Sessel ihrer Mutter, setzte sich auf die Lehne und legte den Arm um die schmale Gestalt.
»Ich will dich nicht auch noch verlieren.« Verena spürte, wie ein heftiges Schluchzen ihre Mutter ergriff. »Als dein Vater damals so plötzlich starb, – war das die Hölle für mich.«
»Ich weiß, Mutter. Wir haben beide darunter gelitten.« Verena sprach in einem beruhigenden Ton auf ihre Mutter ein.
»Ich habe dir noch nicht alles erzählt«, flüsterte Frau Mac Barron und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
»Was hast du mir denn so Schreckliches verschwiegen?« fragte Verena lächelnd.
»Einmal, es war kurz nach deiner Geburt, kam ich noch mal auf Johns Familie zu sprechen. Wir könnten doch nach Schottland reisen, schlug ich vor. Johns Gesicht verfinsterte sich, und er erwähnte einen Fluch, der über dem Schloß seiner Väter liege. Nie mehr würde er nach Schloß Morar zurückkehren. und ich solle nie wieder daran rühren, was ich ja dann auch tat.«
»Ein Fluch?« Verena lachte. »An so etwas glaube ich überhaupt nicht. Das ist doch Unsinn, reiner Aberglaube.«
»Vielleicht nicht. Du hättest das Gesicht deines Vaters sehen sollen, als er es sagte!«
»Aber Mutter! Ich glaube, daß dich der Brief und die Erinnerungen an Daddy so aufgewühlt haben, daß du übertreibst und alles viel schwärzer siehst, als es in Wirklichkeit ist. Ich werde auf jeden Fall nach Schottland reisen und meine Verwandten kennenlernen. Ich freue mich schon darauf. Und wenn es wirklich etwas gibt, was meinen Vater bedrückte, werde ich es herausfinden. Ich habe doch keine Angst. Ich bin doch eine Mac Barron.«
»Das weiß ich, Verena. Aber du könntest doch alles von hier aus durch einen Rechtsanwalt regeln lassen«, warf Frau Mac Barron ein. »Du würdest keine Zeit verlieren, wenn du demnächst mit deinem Medizinstudium beginnst. Es war doch dein sehnlichster Wunsch.«
»Das hat Zeit, Mutter. Jetzt habe ich so lange damit gewartet, daß es auf ein paar Wochen auch nicht mehr ankommt. Ich möchte Daddys Familie und Heimat kennenlernen. Vielleicht finde ich ja heraus, was Daddy so bedrückt hat und warum er nie nach Schottland zurückgekehrt ist.«
Frau Mac Barron gab nicht auf. »Aber es ist vielleicht besser, man läßt alle diese Dinge ruhen. Wenn es nun wirklich so etwas wie einen Fluch gibt…« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Ich bin entschlossen, nach Schottland zu fahren, Mutter. Es wird auch für dich besser sein, wenn du weißt, warum Daddy sich so verhalten hat.« Verena trat ans Fenster und blickte in den Garten, der im hellen Oktobersonnenschein leuchtete. »Ich werde Daddys Geheimnis lüften«, sagte sie laut und wandte sich wieder ihrer Mutter zu.
»Es ist wohl unmöglich, dich von deinem Entschluß abzubringen«, stellte Frau Mac Barron resigniert fest. »Du bist erwachsen und hast ein Recht darauf, die Familie deines Vaters kennenzulernen. Fahr, mein Kind. Aber paß auf dich auf, hörst du?« Martha Mac Barron erhob sich und umarmte ihre Tochter lange und fest.
Hätte Verena gewußt, was sie in Schottland auf Schloß Morar erwartete, wäre sie wohl nie dorthin aufgebrochen.
*
Genau 36 Stunden später, gegen zehn Uhr abends, saß Verena in dem Taxi, das sie nach Schloß Morar bringen sollte. Im stillen hatte sie gehofft, daß einer ihrer Verwandten sie auf dem Flughafen in Glasgow empfangen hätte. Doch niemand war dort erschienen. So hatte sie nur die Wahl gehabt, die Nacht entweder in einem Hotelzimmer zu verbringen oder ein Taxi nach Schloß Morar zu nehmen.
Verena fühlte sich hellwach. Angespannt spähte sie aus dem Wagenfenster in die Dunkelheit. Nur undeutlich konnte sie die schwarzen Umrisse der Hügelketten erkennen, die sich wie riesige schlafende Tiere aneinanderreihten. Ein weiter, basaltgrauer Himmel, an dem ein gespenstisch bleicher Mond stand, wölbte sich über die Landschaft.
»Sie wollen also wirklich nach Schloß Morar!« Die Stimme des Taxifahrers klang jetzt beinahe etwas ungläubig in die Stille hinein.
Er wandte sich nach Verena um. Sie schrak zusammen. Vom Licht des Armaturenbrettes beleuchtet, wirkte das Gesicht des Mannes wie eine Dämonenmaske. Die Zähne leuchteten hell, und Verena hatte den Eindruck, als verzögen sich die schmalen Lippen zu einem teuflischen Grinsen.
»Ja«, erwiderte sie nach kurzem Zögern. »Warum nicht? Ich fahre schließlich zur Beerdigung meines Onkels. Er war der Schloßherr.«
Der Fahrer blickte wieder auf die Straße. »Es geht mich ja nichts an«, sagte er schließlich. »Aber mich brächten keine zehn Pferde in das Spukschloß.«
»Wieso Spukschloß«, fragte Verena und versuchte, nicht auf das Pochen ihres Herzens zu achten. »Was meinen Sie damit?« Sie hielt den Atem an.
In diesem Augenblick fuhr ein greller Blitz über den Nachthimmel. Verena zuckte zusammen. Grollender Donner folgte. Dann begann es zu regnen. Der Mann am Steuer stellte die Scheibenwischer an. Das surrende Geräusch machte Verena nervös.
»Das Gespenst des toten Matrosen geht dort um. Es ist auf der Suche nach seiner Geliebten, der Schloßherrin.« Die Stimme des Mannes sank zu einem scharfen Flüstern herab, als er fortfuhr: »Ein Fluch liegt über dem verhexten Schloß. Er kann jedem zum Verhängnis werden, der sich längere Zeit dort aufhält.«
Verena hatte sich vorgebeugt, um den Mann genau zu verstehen. Das Surren der Wischer und das Prasseln des Regens drohten, die Worte zu verschlucken.
»Wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben darf, fahren Sie zurück, solange noch Zeit ist.«
»Aber das ist doch Unsinn«, entfuhr es Verena. »Es gibt keine Gespenster.«
»Hier schon«, brummte der Fahrer, »wir sind schließlich in Schottland.« Es schien Verena, als sei er beleidigt. »Ich glaube jedenfalls nicht daran«, fügte sie hinzu.
Sie war verärgert. Ihr fielen die warnenden Worte ihrer Mutter ein. Auch ihr Vater hatte von einem Fluch gesprochen. Sollte am Ende an diesem Gerede doch etwas Wahres sein?
»Haben Sie das Gespenst schon selbst gesehen?« fragte sie.
»Nein«, erwiderte der Fahrer. »Ich habe Sie auf jeden Fall gewarnt. Es ist natürlich Ihre Entscheidung, ob sie dorthin fahren oder nicht.« Seine Stimme klang jetzt höflich und distanziert. In der Zwischenzeit waren sie an einer hohen, düsteren Mauer entlanggefahren.