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Eine mysteriöse Frau bittet Marek um Feuer. Am nächsten Morgen wird diese Frau tot über einem Grabstein hängend auf dem alten Friedhof von Caorle gefunden. Der Priester, der sie fand, weiß offenbar mehr, als er sagen kann. Er gibt Marek ein geheimnisvolles Rätsel auf. Wenn er in der Lage sein sollte, dieses Rätsel zu lösen, würde er auch den Fall lösen können. Doch es geschehen noch mehrere seltsame Morde, die alle offenbar in einem Zusammenhang stehen, bevor Marek der Sache auf die Spur kommt.
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Seitenzahl: 141
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Volker Jochim
Das Rätsel des Priesters
Kommissar Marek und die Mystik
Kommissar Mareks siebter Fall
Kriminalroman
© 2019 Volker JochimUmschlag, Illustration: tredition,Volker Jochim (Foto)Alter Friedhof Caorle
Verlag und Druck: tredition GmbH,Halenreie 42, 22359 Hamburg
1. Auflage
ISBN
Paperback
978-3-7482-6790-4
Hardcover
978-3-7482-6791-1
e-Book
978-3-7482-6792-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
1
Der kalendarische Sommer neigte sich langsam dem Ende zu.
Eine frische Brise hatte die Hitzeglocke vertrieben, die seit Wochen über dem kleinen Städtchen und dem ganzen Land lastete und saunaartige Temperaturen bescherte.
Da es, mit Ausnahme des Unwetters Mitte August, in der ganzen Zeit kaum geregnet hatte, waren die Böden völlig ausgetrocknet.
Das Thermometer war in den letzten zwei Tagen um zwölf Grad gefallen.
An den Stränden sah man nur noch wenige Touristen und die meisten Hotels bereiteten sich bereits langsam auf die Winterpause vor.
Auch die Heerscharen von afrikanischen Händlern, die den fremden Besuchern massenhaft gefälschte Markenwaren anzudrehen versuchten, waren verschwunden. Nur einige wenige lungerten noch vor den Hotels an der Promenade herum.
Sie hatten ihr Sortiment von Handtüchern und Sonnenbrillen auf Regenschirme umgestellt.
Die Saison war vorbei und das kleine Städtchen wurde wieder von seinen Bewohnern in Besitz genommen.
Marek genoss die Ruhe und schlenderte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, langsam die Promenade entlang in Richtung der kleinen Kirche Madonna dell‘ Angelo.
Dort setzte er sich auf die Mauer zwischen Kapelle und Glockenturm, steckte sich eine Zigarette an und sah auf die unendlich scheinende, von kleinen Wellen leicht gekräuselte Wasserfläche hinaus.
Gelegentlich schafften es ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und erzeugten glitzernde Reflexe auf dem sonst einheitlichen Grau der Adria.
Er dachte kaum noch an seinen letzten Fall zurück, bei dem er vor einigen Wochen beinahe ertrunken wäre.
Es war seine eigene Schuld. Er hatte seine Gegner einfach unterschätzt und das machte ihm zu schaffen. Er wollte es sich nicht eingestehen und versuchte dieses unangenehme Kapitel zu verdrängen. Im Endeffekt war ja alles gut ausgegangen.
Dann dachte er an Silvana, die er nun schon seit drei Tagen nicht mehr gesehen hatte.
Ihr einziger Kontakt bestand aus einem täglichen Telefonat. Sie musste für ihre Zeitung von einem Mordprozess aus Padua berichten, der für Aufsehen gesorgt hat und würde erst in zwei Tagen zurückkommen.
So konnte er andererseits ungeniert dem Nichtstun frönen.
„Scusi, hätten Sie bitte Feuer für mich?“
Marek drehte sich langsam um. Hinter der niedrigen Mauer stand eine elegant gekleidete Frau von etwa vierzig Jahren, lächelte ihn an und hielt ihm eine Zigarette entgegen.
Sie hatte eine weiche, tiefe Stimme und ihre außergewöhnlich hellgrauen Augen standen im Kontrast zu ihrem schwarzen Haar, dass mit einem strengen Knoten hinten zusammengefasst war und hatten etwas Geheimnisvolles.
„Natürlich, gerne.“
Er war aufgestanden, beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr Feuer.
„Grazie.“
Sie nahm einen tiefen Zug und blickte aufs Meer hinaus.
Es war aber nicht der träumerische, entspannte, oder sehnsüchtige Blick, den die meisten Menschen hatten, wenn sie dort hinaus sahen. Es war vielmehr ein überlegender, nachdenklicher Blick, der von ihren grauen Augen noch unterstrichen wurde.
„Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?“
„Ja, natürlich“, antwortete er spontan, aber was hätte er auch anderes sagen sollen.
Doch so ganz ungelegen kam ihm diese Frage nicht. Diese Frau interessierte ihn, er konnte nur nicht sagen warum, aber irgendetwas war da.
Sie nahm neben ihm Platz, aber nicht ohne einen kleinen Abstand zwischen ihnen zu wahren.
„Es ist so schön ruhig hier“, sagte sie, „ein schöner Ort.“
„Ja, das stimmt. Ich bin oft hier. Ich kann hier gut nachdenken. Bis vor zwei Wochen war aber der Teufel los. Da konnte ich erst abends herkommen, wenn sich der Trubel verlaufen hatte.“
„Wohnen Sie hier?“
„Ja. Entschuldigen Sie, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Marek, Robert Marek.“
„Freut mich sehr. Ich bin Adriana Giacomelli.“
„Das passt…“, entfuhr es ihm.
Sie sah ihn verdutzt an.
„Was passt?“
„Adriana, die gütige und schöne Herrscherin der Adria.“
„Oh, da kennt sich aber jemand in der Mythologie aus“, lachte sie, „Sie sind aber nicht von hier, oder?“
„Hört man das immer noch?“
„Nein, das nicht, aber Ihr Name. Robert klingt nach Österreich oder Deutschland. Hier würde man ja Roberto sagen.“
„Stimmt, ich komme aus Deutschland. Aus Frankfurt, um genau zu sein.“
„Und was hat Sie hierher verschlagen?“
„Ist eine längere Geschichte.“
„Ich habe ein wenig Zeit.“
„Dann darf ich Sie zu etwas einladen? Drüben in der Altstadt gibt es nette Cafés.“
„Gerne“, sagte sie ohne zu zögern und Marek hatte immer mehr das Gefühl, dass sie sich jemandem mitteilen wollte.
Auf dem Weg über die Piazza Vescovado zur Altstadt blieb sie plötzlich stehen und rieb sich ziemlich heftig die linke Wade.
„Ist nichts weiter“, sagte sie, als sie Mareks fragenden Blick bemerkte, „ich habe nur seit heute Morgen solch ein Kribbeln in den Beinen.“
Den Rest des Weges sprachen sie über Belanglosigkeiten. Erst als sie an einem Tisch Platz genommen hatten, nahm Marek den Faden wieder auf.
„Ich war früher Commissario bei der Polizei in Frankfurt und habe immer in Italien meinen Urlaub verbracht. Sehr oft auch hier in Caorle, da eine Bekannte von mir in der Via Isarco eine Wohnung besitzt. Sie lebt in Frankfurt und hat mir die Wohnung überlassen, wenn ich sie brauchte.“
„Und warum haben Sie bei der Polizei aufgehört? Sie sind ja noch lange nicht im Rentenalter, wenn ich das mal so sagen darf.“
Marek fühlte sich geschmeichelt.
„Obwohl ich die höchste Aufklärungsquote im ganzen Präsidium hatte, war ich bei meinen Vorgesetzten nicht sonderlich gut gelitten und irgendwann hatte ich die Nase voll. Dazu kam noch, dass man mich zum Bundeskriminalamt versetzen wollte. Ich ließ mich also frühpensionieren und zog hierher.“
„Die Dienstvorschriften. Ich verstehe.“
„Die Bürokratie verhindert erfolgreiche Aufklärungsarbeit. So kann ich nicht arbeiten.“
„Und da haben Sie dann ab und zu über die Stränge geschlagen.“
Marek bemerkte, dass ihr diese Vorstellung auf irgendeine Weise missfiel.
„Sagen wir, ich hatte meine Methoden.“
„Und was machen Sie nun?“, fragte sie nach einer kurzen Pause. „Als Müßiggänger würde ich Sie aber nun nicht einschätzen.“
„Och, ich helfe der örtlichen Polizei gelegentlich bei größeren Fällen.“
„Ah!“
Dieses ah klang wie eine Bestätigung dessen, was sie von ihm erwartet hatte.
„Und was machen Sie, Signora Giacomelli?“
„Signorina, ich bin Rechtsanwältin in Verona. Fachgebiet Strafrecht.“
„Sie verteidigen also die bösen Buben, die wir vorher mühsam geschnappt haben.“
„Richtig. Auch die bösen Buben, wie Sie es nennen, haben Rechte“, entgegnete sie lächelnd, dann sah sie auf ihre Armbanduhr.
„Es ist schon spät. Ich muss weiter. Vielen Dank für den Caffè und die nette Unterhaltung. Ich bin noch ein paar Tage hier, vielleicht sieht man sich.“
„Würde mich freuen.“
Marek sah ihr nach, wie sie ohne Eile in Richtung Piazza Papa Giovanni verschwand. Gelegentlich blieb sie stehen und griff sich an ihre Beine.
Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie sich nicht zum letzten Mal begegnet sind.
***
Auf dem Heimweg sah Marek seinen Freund Ghetti neben seinem Streifenwagen stehen, während sich zwei andere Carabinieri mit zwei Halbwüchsigen lautstark auseinander setzten.
„Ciao Michele, was ist denn hier los?“
„Ah, ciao Roberto. Diese beiden Idioten haben auf ihrer Vespa mit Vollgas auf dem Platz ihre Runden gedreht. Die Geschäftsleute haben sich beschwert und zuletzt haben sie noch eine Frau auf ihrem Fahrrad umgerempelt. Sie ist gestürzt und hat sich Schürfwunden zugezogen. Sie sitzt da drüben. Wir warten noch auf den Krankenwagen. Und was treibt dich hierher?“
„Ich war nur hinten an der Kirche und wollte etwas entspannen. Dabei hatte ich eine interessante Begegnung.“
„Du machst mich neugierig.“
„Erzähle ich dir bei Gelegenheit.“
„Ich habe gleich Feierabend. Wir könnten etwas trinken gehen.“
„Dann komm zu mir. Ich habe noch eine Flasche Bardolino Chiaretto im Kühlschrank.“
„Klingt gut. Dann bis später.“
Als Marek gerade zuhause angekommen war, rief Silvana an.
„Ciao mia bella. Wie geht’s dir?“
„Was ist los? Hast du ein schlechtes Gewissen?“
Irgendwie fühlte er sich ertappt, aber musste er ein schlechtes Gewissen haben, nur weil er mit einer fremden, aber zugegebenermaßen schönen Frau gesprochen hat? Nein, das ginge dann doch zu weit.
„Nein, warum?“
„Bei dieser Begrüßung.“
„Ich wollte halt mal nett sein. Außerdem stimmt es ja auch.“
An der kurzen Pause merkte er, dass sie abwog geschmeichelt, oder weiter kratzbürstig zu sein. Kratzbürstig sein konnte sie sehr gut und sehr ausdauernd und er hoffte, dass dies jetzt nicht gerade der Fall sein würde.
„Na gut“, gab sie sich gönnerhaft und ihm fiel ein Stein vom Herzen, „was hast du heute so getrieben?“
„Nicht viel. Vorhin war ich etwas spazieren und gleich kommt Michele auf ein Glas Wein. Und wie läuft es bei dir?“
„Heute waren die Plädoyers. Der Verteidiger ist richtig gut. Er hat seinen Mandanten quasi als Opfer hingestellt und auf nicht schuldfähig plädiert.“
„Aber soviel ich weiß, sind die Beweise doch wasserdicht.“
„Richtig. Und trotzdem hat sein Plädoyer offenbar Eindruck hinterlassen. Ich bin auf das Urteil morgen gespannt. Danach komme ich zurück.“
„Ich freue mich. Ciao cara.“
***
„Dann erzähl mal“, drängte Ghetti, während Marek die Gläser mit dem fruchtigen Rosé füllte.
„Ich saß bei der Madonna dell‘ Angelo auf der Mauer und habe aufs Wasser geschaut. Plötzlich sprach mich von hinten eine Frau an und bat um Feuer. Dann fragte sie, ob sie sich einen Moment zu mir setzen dürfte.“
„Oh, oh…“
„Nix oh, oh. Stupido“, fuhr Marek auf.
„Sie hat sich einen Meter neben mich gesetzt, wir haben unsere Zigaretten geraucht und aufs Meer hinaus gesehen. Dann kamen wir ins Gespräch und ich lud sie auf einen Caffè ein.“
„Wenn Silvana das erfährt…“
„Du hältst die Klappe, klar? Außerdem war ja nichts. Wir haben nur Caffè getrunken und uns unterhalten, obwohl ich zugeben muss…“
„Was? Was war denn nun so besonders an der Begegnung?“
„Das ist es ja. Die Frau hatte irgendetwas an sich. Etwas, das ich nicht erklären kann. Etwas mysteriöses, etwas geheimnisvolles.“
„Ach so, ich dachte schon, sie hätte dir gefallen.“
„Sie sah ja auch noch gut aus, aber das war es nicht. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich mitteilen wollte und es sich dann anders überlegte. Als sie ging meinte sie vielleicht sieht man sich.“
„Und wer ist sie?“
„Sie heißt Adriana Giacomelli. Eine Rechtsanwältin aus Verona. Sagte sie zumindest.“
„Also ich kann mit dieser Geschichte nichts anfangen“, meinte Ghetti ein wenig enttäuscht und trank sein Glas aus.
„Ich muss dann los. Danke für den Wein.“
„Vielleicht ist ja auch nichts dran. Wahrscheinlich ging meine Fantasie mit mir durch. Ciao Michele.“
***
Nachdem Ghetti gegangen war, machte er es sich mit einem Stück Provolone, ein paar Oliven und etwas Brot vor dem Fernseher gemütlich. Doch der Appetit wollte sich nicht einstellen.
Zu sehr kreisten seine Gedanken um diese seltsame Begegnung am Nachmittag und insgeheim hoffte er diese Frau noch einmal treffen zu können. Seine Neugier war geweckt und er wollte unbedingt erfahren, was es mit ihr auf sich hatte.
Auf Televenezia kam ein kurzer Bericht über den Prozess in Padua, von dem Silvana berichtete.
Ein junger Mann aus Pakistan, der eigentlich in einem Flüchtlingslager in Bari sein sollte, hatte eine Studentin brutal vergewaltigt und ermordet.
Die Anteilnahme der Bevölkerung war riesig. Es gab Proteste, die von der rechtspopulistischen Lega Nord als Plattform für ihre pauschal ausländerfeindlichen Parolen benutzt wurden.
„Da muss man sich nicht wundern, dass diese Partei solch einen Zulauf hat“, dachte Marek.
Die Plädoyers waren abgeschlossen. Der Staatsanwalt forderte eine lebenslange Haftstrafe, der Verteidiger jedoch einen Freispruch.
Das klang in Mareks Ohren wie Hohn. Vergewaltigung und Mord und dafür einen Freispruch?
Die Begründung der Verteidigung hörte sich ebenso menschenverachtend an.
Da der Beschuldigte aus seinem Kulturkreis einen anderen Umgang mit Frauen gewohnt sei und das Opfer sich seinen Annäherungen widersetzt habe, sei es zu dem unglücklichen Todesfall gekommen. Man bedauere dies zutiefst, aber deshalb könne der Angeklagte trotzdem nicht verurteilt werden.
Marek wurde schlecht vor Wut. Weil das Opfer sich widersetzt hatte… was hätte das arme Ding denn tun sollen? Sich einfach hinlegen und alles über sich ergehen lassen?
Er war auf das Urteil gespannt, das am kommenden Tag verkündet werden sollte.
2
Marek hatte sehr unruhig geschlafen.
Ständig verfolgten ihn ein Paar hellgraue Augen in seinen Träumen. Augen die ihn flehentlich ansahen, ihm etwas mitteilen wollten.
Mit der Zeit wurden sie undeutlicher, schemenhafter, bis sie ganz verschwunden waren.
Gegen sieben Uhr quälte er sich dann aus dem Bett, schlurfte in die Küche und öffnete das Fenster. Die Luft war angenehm frisch und der Wind hatte über Nacht die Wolken vertrieben. Es versprach ein schöner Tag zu werden.
Er setzte die Caffettiera auf den Herd und während er auf seinen Caffè wartete, steckte sich eine Zigarette an.
Gerade hatte er den ersten Schluck getrunken, als er das Läuten seines Telefons vernahm. Fluchend ging er in sein Arbeitszimmer um nach dem Störenfried zu suchen. Schließlich fand er sein Handy unter einem Buch auf seinem Schreibtisch.
„Pronto“, blaffte er den Anrufer an.
„Buon giorno“, antwortete Ghetti ungerührt. Er kannte ja Mareks Laune, wenn er zu früh geweckt wurde.
„Es ist besser du kommst gleich hierher.“
„Was ist denn los? Und wohin soll ich kommen?“
„Zum alten Friedhof. Den Rest siehst du dann selbst.“
Jetzt war er hellwach. Das verhieß nichts Gutes. Auf die Dusche verzichtete er und hielt nur kurz den Kopf unter den Wasserhahn um den restlichen Schlaf aus dem Gesicht zu bekommen. Dann zog er sich rasch an, verließ das Haus und fuhr los.
Da die Via della Sacheta großräumig abgesperrt war, ließ er seinen Lada auf der Salita dei Fiori stehen. Vor dem Eingang zum Friedhof standen zwei Fahrzeuge der Carabinieri und ein Rettungswagen.
Ghetti kam ihm ein Stück entgegen.
„Was zum Teufel ist hier passiert?“
„Sieh es dir selbst an. Deshalb habe ich dich ja angerufen.“
Als Marek durch das geöffnete Tor auf den kleinen Friedhof sah, ahnte er was Ghetti meinte.
Auf der rechten Seite, gleich in der zweiten Reihe, hing ein lebloser Körper kopfüber auf einem weißen Grabstein.
Er wusste sofort um wen es sich handelte, auch wenn die schwarzen Haare diesmal nicht zu einem Knoten zusammengefasst waren, sondern offen herunterhingen.
An solch ein Wiedersehen mit der Signorina Giacomelli hatte er mit Sicherheit nicht gedacht, als sie sagte vielleicht sieht man sich.
„Dottore Lovati und die Spurensicherung sind unterwegs. Vorher sollten wir da nicht hingehen.“
„Ist sie es definitiv?“
„Ja, sie hat ihre Papiere bei sich. In ihrer Handtasche war außerdem noch Geld, etwa zweihundert Euro, ein Autoschlüssel und ein Zimmerschlüssel vom Hotel San Remo. Da fällt Raubmord wohl aus.“
„Daran hätte ich auch nicht gezweifelt. Ihr Tod hat etwas damit zu tun, was sie mir gestern nicht sagen wollte oder konnte. Davon bin ich überzeugt.“
Marek setzte sich auf die Umrandung eines Grabes auf der anderen Seite und steckte sich eine Zigarette an.
„Wer hat sie gefunden?“
„Padre Bertoni. Er war auf dem Weg zur Kirche um den Altar zu richten und kam hier vorbei.“
„Wo ist er jetzt? Ich würde gerne mit ihm sprechen. Bis Lovati die Leiche untersucht hat, wird ja noch einen Moment dauern.“
„Er steht hinten an der Ecke. Ihm ging es nicht so gut, nachdem er die Tote fand.“
„Kann ich verstehen.“
Marek ging zurück auf die Straße und sah sich um. Am Ende der Friedhofsmauer lehnte eine Schwarz gekleidete Gestalt mit gesenktem Kopf.
„Padre Bertoni?“
Der Priester wandte sich ihm langsam zu.
„Ja.“
„Mein Name ist Marek, ich helfe der Polizei bei den Ermittlungen. Sie haben die Tote gefunden? Wann war das?“
„Das war um kurz nach sieben. Ich war auf dem Weg zur Kirche um den Altar zu richten.“
„Zu welcher Kirche?“
„Zur Madonna dell‘ Angelo. Da findet heute Mittag ein Gedenkgottesdienst satt.“
„Und als sie hier vorbei kamen, haben sie die Tote entdeckt?“
„Nicht direkt. Ich wunderte mich nur, dass das Tor schon offen stand.“
„Ist das ungewöhnlich?“
„Um diese Zeit schon. Ich ging also hinein um zu sehen, ob schon jemand da war. Dann sah ich sie.“
„Waren Sie bei ihr? Ich meine, sind Sie zu der Leiche hingegangen? Haben Sie sie berührt?“
„Nein!“, rief der Priester entrüstet.
„Ich war so erschrocken, dass ich erst einmal zu nichts fähig war. Dann habe ich mich bekreuzigt und bin hinaus, um die Polizei anzurufen. Ich habe ihr nicht einmal die Absolution erteilen können, damit ihre Seele rein vor unseren Herrn treten kann.“
„Sie hatten ein Telefon dabei?“
Der Padre sah Marek an und ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Ja, auch wir Priester haben mittlerweile Teil am Segen der Technik.“
„Nichts für ungut, Padre. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Haben Sie jemanden gesehen?“
„Nein, tut mir leid.“
„Danke. Ich denke, Sie können nun gehen. Wo finde ich Sie, falls ich später noch eine Frage habe?“
„Ich bin bis nach dem Gottesdienst in der Kirche.“
***