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In Deutschlands Norden geht es zum Wattenmeer und zur Berliner Museumsinsel. In der Mitte locken der Dom nach Köln und das Bauhaus nach Weimar. Und im Süden schließen die Pfahlbauten am Bodensee und die bayerische Wieskirche die Runde ab. Über 50 Natur- und Kulturerbestätten Deutschlands sind in die UNESCO-Welterbeliste eingeschrieben. Zu allen führt Sie kundig dieses Reisebuch. Ergänzt um viele Specials – auch zum immateriellen Welterbe.
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Seitenzahl: 333
Britta Mentzel • Ernst Wrba
Alle deutschen UNESCO-Stätten entdecken
Übersichtskarte
Willkommen im Welterbeland
Unser Nachhaltigkeitskodex
Einleitung
DER NORDWESTEN
1Wattenmeer
2Haithabu und Danewerk
3Speicherstadt und Chilehaus in Hamburg
WAS DAS LEBEN SCHÖNER MACHTMusik und Darstellende Kunst
4Rathaus und Roland in Bremen
5Dom und Michaeliskirche in Hildesheim
6Fagus-Werk in Alfeld
UNTERM WEITEN HIMMELVom Wattenmeer bis an die Leine
DER NORDOSTEN
7Altstadt von Lübeck
8Die Altstädte von Stralsund und Wismar
SO BUNT WIE DAS LEBENBräuche und Feste im Jahresverlauf
9Alte Buchenwälder
10Die Berliner Museumsinsel
11Siedlungen der Berliner Moderne
12Schlösser und Gärten in Potsdam und Berlin
VON GRÜNEN WÄLDERN IN DEN GROSSSTADT-DSCHUNGEL400 Kilometer durch den Nordosten
DIE MITTE
13Karolingisches Westwerk und Civitas Corvey
14Goslar, Rammelsberg und Oberharzer Wasserwirtschaft
15Altstadt von Quedlinburg
16Das Bauhaus in Dessau, Weimar und Bernau
WECHSELSEITIGER GEWINNMensch und Natur
17Das Gartenreich Dessau-Wörlitz
18Luthergedenkstätten Wittenberg und Eisleben
19Park und Schloss des Fürsten Pückler in Muskau
20Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří
21Der Naumburger Dom
22Klassisches Weimar
AB DURCH DIE MITTEEine Fahrt durch mehr als 1200 Jahre Geschichte
23Erfurt – Das jüdische Erbe
24Wartburg
25Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel
GEMEINSAM STARKÜberlieferungen und Leben in Gemeinschaft
DER WESTEN
26Niedergermanischer Limes
27Zeche Zollverein in Essen
28Kölner Dom
LAND DER BINDER UND BÄCKERTraditionelle Handwerkstechniken
29Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl
30Der Dom zu Aachen
31Oberes Mittelrheintal
32Kurstädte Europas
33Mathildenhöhe Darmstadt
34Die Grube Messel
35Römische Baudenkmäler und Kirchen in Trier
36Völklinger Hütte
HÖHEPUNKTE AN RHEIN UND MOSELVom Archäologischen Park bis zur jüdischen Kultur der SchUM-Städte
37Kloster Lorsch
38Der Dom zu Speyer
39SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz
DER SÜDEN
DIE MAMMUTTOURRömer, Reichtümer und eine Markgräfin
40Bayreuth – Markgräfliches Opernhaus
41Die Altstadt von Bamberg
42Würzburger Residenz – Tiepolos Treppenhaus
43Donaulimes in Passau
44Altstadt von Regensburg mit Stadtamhof
45Obergermanisch-Raetischer Limes
46Höhlen und Eiszeitkunst im Schwäbischen Jura
47Augsburger Wassermanagement-System
HÜTTEN, HANDWERK UND EIN SCHLARAFFENLANDModellprogramme der Erhaltung
48Die Architektur Le Corbusiers in Stuttgart
49Klosteranlage Maulbronn
50Prähistorische Pfahlbauten rund um die Alpen
51Klosterinsel Reichenau
52Steingaden – Die Wieskirche
Kartenatlas
Register
Text-/Bildnachweis
Impressum
Wer alle Welterbestätten kennenlernen will, begibt sich auf eine Reise durch Raum und Zeit: zu den lebensechten Figuren im Naumburger Dom.
In Goslars Altstadt, zu den Buchenwäldern, zum Herkules im Bergpark, nach Quedlinburg, zur Zeche Zollverein und auf die Wartburg.
Zwischen Anmut und Arbeit, von guter Lage und langer Geschichte: Die Welterbestätten Mathildenhöhe.
Kloster Lorsch, Mittelrheintal, die Mikwe von Speyer und die Völklinger Hütte.
Haben viel zu erzählen.
SEHENSWÜRDIGKEITEN – KULTUR
4Rathaus und Roland in Bremen
5Dom und Michaeliskirche in Hildesheim
10Die Berliner Museumsinsel
13Karolingisches Westwerk und Civitas Corvey
16Das Bauhaus in Dessau, Weimar und Bernau
23Erfurt – Das jüdische Erbe
25Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel
27Zeche Zollverein in Essen
33Mathildenhöhe Darmstadt
36Völklinger Hütte
37Kloster Lorsch
44Altstadt von Regensburg mit Stadtamhof
47Augsburger Wassermanagement-System
48Die Architektur Le Corbusiers in Stuttgart
49Klosteranlage Maulbronn
NATUR
1Wattenmeer
9Alte Buchenwälder
17Das Gartenreich Dessau-Wörlitz
19Park und Schloss des Fürsten Pückler in Muskau
31Oberes Mittelrheintal
WISSEN
MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST – Was das Leben schöner macht
BRÄUCHE UND FESTE IM JAHRESVERLAUF – So bunt wie das Leben
MENSCH UND NATUR – Wechselseitiger Gewinn
TRADITIONELLE HANDWERKSTECHNIKEN – Land der Binder und Bäcker
ÜBERLIEFERUNGEN UND LEBEN IN GEMEINSCHAFT – Gemeinsam stark
MODELLPROGRAMME DER ERHALTUNG – Hütten, Handwerk und ein Schlaraffenland
GENUSS
3Speicherstadt und Chilehaus in Hamburg
6Fagus-Werk in Alfeld
12Schlösser und Gärten in Potsdam und Berlin
21Der Naumburger Dom
24Wartburg
28Kölner Dom
29Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl
30Der Dom zu Aachen
34Die Grube Messel
38Der Dom zu Speyer
40Bayreuth – Markgräfliches Opernhaus
42Würzburger Residenz – Tiepolos Treppenhaus
50Prähistorische Pfahlbauten rund um die Alpen
52Steingaden – Die Wieskirche
TOUREN – AKTIVITÄTEN
2Haithabu und Danewerk
7Altstadt von Lübeck
8Die Altstädte von Stralsund und Wismar
11Siedlungen der Berliner Moderne
14Goslar, Rammelsberg und Oberharzer Wasserwirtschaft
15Altstadt von Quedlinburg
18Luthergedenkstätten Wittenberg und Eisleben
20Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří
22Klassisches Weimar
26Niedergermanischer Limes
32Kurstädte Europas
35Römische Baudenkmäler und Kirchen in Trier
39SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz
41Die Altstadt von Bamberg
43Donaulimes in Passau
45Obergermanisch-Raetischer Limes
46Höhlen und Eiszeitkunst im Schwäbischen Jura
51Klosterinsel Reichenau
Bunte Mischung aus Immateriellem und materiellem Erbe: Weinkultur, Falknerei, das Chinesische Haus in Potsdam, Bad Kissingen, das Mittelrheintal und ein Spreewaldkahn
Die romantische Bootspartie auf dem Wörlitzer See im Gartenreich Dessau führt am Nymphaeum vorbei.
Die Burg Pfalzgrafenstein bei Kaub steht seit fast 700 Jahren mitten im Rhein. Sie diente als Wach- und Zollstation.
Nach der 45. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Riad im September 2023 stand fest: Deutschland wird künftig mit 52 Welterbestätten auf der Internationalen Liste vertreten sein. Bei der Konferenz kam das jüdische Erbe in Erfurt neu hinzu, genau 45 Jahre, nachdem der Aachener Dom den Anfang gemacht hatte – als erste deutsche Erbestätte und eine der ersten weltweit.
Wissenswertes zum Erbe
1199 Orte in 168 Ländern sind derzeit als World Heritage ausgewiesen. Die meisten, 933, sind Kulturstätten, auf Naturdenkmäler entfallen 227, auf gemischte Stätten 39. Nach Italien mit 59 und China mit 57 Titeln steht Deutschland mit 52 Denkmälern, darunter 49 menschengemachte und drei von der Natur geschaffene, aktuell auf Platz 3 aller Länder. Oft ist ein langer Atem nötig, um die Anerkennung zu erlangen – die Darmstädter Mathildenhöhe etwa musste sich 15 Jahre von der Gründung des Forums »Entwicklung Mathildenhöhe« bis zur Verleihung 2021 gedulden, der Naumburger Dom stand gar 20 Jahre auf der Tentativliste, bevor er 2018 in den Kanon aufgenommen wurde. Die größten Chancen auf einen Eintrag machen sich derzeit das Residenzensemble Schwerin und die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeinde.
11 500 Quadratkilometer
Die Fläche des Weltnaturerbes Wattenmeer ist beeindruckend, und auch die Zahl von 10 000 Tier- und Pflanzenarten und zehn bis zwölf Millionen durchziehender Vögel im größten zusammenhängenden Schlick- und Sandwattgebiet weltweit bricht Rekorde. Es verbindet zudem drei Staaten: Deutschland, Dänemark und die Niederlande.
150 Seiten
umfasst der Leitfaden der Deutschen UNESCO-Kommission zur »Erstellung von Welterbe-Nominierungen«, der sich ehrlicherweise als Handbuch bezeichnet. Die Anträge selbst haben sich von bescheidenen Anfängen, in denen wenige Blätter genügten, zu Kompendien mit mehr als 1000 Seiten entwickelt. Die Komplexität der Antragstellung ist ein immer wieder vorgebrachter Kritikpunkt.
Transnational
ist ein Zauberwort beim Aufnahmeverfahren. Seien es die »Alten Buchenwälder«, sei es der deutsch-polnische Antrag beim Park des Fürsten Pückler – Zusammenarbeit wird gern gesehen. Jüngst auch bei den elf »bedeutenden Kurstädten Europas« aus sieben Ländern.
491 Stätten
Das gibt zu denken: Knapp die Hälfte der weltweit ausgewiesenen Stätten liegen in Europa. Ein Trend, der sich auch auf den jährlichen Sitzungen des Welterbe-Komitees abzeichnet – die europäischen Länder haben die Nase vorn. Die Gründe für dieses Ungleichgewicht sind vielfältig, gerecht geht anders, sagen Kritiker des Verfahrens.
5 Cs
Die Weltsprache Englisch bringt es auf den Punkt: Credibility, Effective Conservation, Capacity Building, Communication, Community Involvement heißen die strategischen Ziele bei der Auswahl der Erbestätten. Übersetzt heißen sie: Glaubwürdigkeit, Erhaltung, Aufbau von Kapazitäten, Vermittlung und Stärkung der Rolle der Gemeinschaften.
In 56 Fällen
gelten Erbestätten derzeit als bedroht. In manchen Ländern, Afghanistan, Jemen, Kongo, Ukraine, erstaunt das nicht, bei anderen schon eher, etwa dem historischen Zentrum von Wien. Der Status ist bereits seit 2017 durch Bauprojekte gefährdet.
Mehr als 6 Mio.
Der Kölner Dom hält den Besucherrekord unter den deutschen Weltkulturerbestätten. Mehr als sechs Millionen Menschen bestaunen ihn jedes Jahr. Vielleicht wissen aber auch nicht alle Pilger um den Welterbe-Status von Deutschlands berühmtester gotischer Kirche. Ihn hat sie ja auch erst seit 28 Jahren.
4 Mal
tragen nicht nur einzelne Gebäude, sondern ganze Altstadtensembles den Welterbetitel: Lübeck, Goslar, Regensburg sowie Stralsund/Weimar. In Bamberg sind alle drei historischen Stadtbezirke Teil der Erbestätte: Berg-, Insel- und Gärtnerstadt, insgesamt 142 Hektar Fläche. Regensburg blickt auf 183 Hektar, Lübeck auf 115.
48 Mio. Jahre
Mit diesem Alter ist die Grube Messel zumindest unter den deutschen Welterbestätten der Methusalem und ein – eher seltenes – Beispiel für eine Naturerbestätte im dichtbesiedelten Land. Gleichfalls uralt sind die Australian Fossil Mammal Sites, doch an die unterkambrische fossile Fauna von Chengjiang mit ihren 520 Millionen Jahren reicht nichts heran.
Die Welt birgt viele Wunder, Abenteuer und spektakuläre Aussichten, die wir gerne erkunden möchten. Doch sie ist auch leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hier ein paar Tipps, wie wir unsere Welt nachhaltig entdecken können:
Die Hauptsaison meiden: Wenn wir nicht gerade auf die Ferienzeiten angewiesen sind, können wir der Umwelt einen großen Gefallen tun, indem wir in der Nebensaison verreisen. Damit tragen wir zu einer gleichmäßigeren Auslastung der Umwelt und der Infrastruktur bei, und der Urlaub wird dazu auch noch wesentlich entspannter.
Die Aufenthaltsdauer dem Reiseziel anpassen: Je weiter das Reiseziel ist, desto länger sollte der Aufenthalt sein. Dadurch lernen wir die Region nicht nur intensiver kennen, sondern stärken sie ganz nebenbei noch durch unsere Ausgaben vor Ort. Anfahrtsintensive Tagesausflüge sollten besser vermieden werden, das bedeutet nur Stress, sowohl für die Umwelt als auch für uns selbst.
Auf umweltschonende Verkehrsmittel setzen: Wo es möglich ist, reisen wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Das reduziert nicht nur die Luftverschmutzung, sondern schont auch unsere Nerven. Falls das nicht geht, helfen verschiedenste Plattformen dabei, den CO2-Ausstoß auszugleichen, vor allem, wenn das gewünschte Reiseziel nur mit dem Flugzeug zu erreichen ist.
Nur dort parken und campen, wo es erlaubt ist: Selbst wenn wir uns noch so vorbildlich verhalten und unseren Aufenthaltsort so hinterlassen, wie wir ihn vorgefunden haben, stören wir den Lebensraum von Wildtieren und hinterlassen Spuren und Gerüche. Auch Lagerfeuer entzünden wir ausschließlich an den dafür vorgesehenen Stellen und achten dabei auf Waldbrandstufen und Naturschutzgebiete.
Ressourcen gewissenhaft nutzen: Manche Umweltressourcen sind bereits knapp, endlich sind auf jeden Fall alle. Um sie zu schonen, sollten wir sparsam mit ihnen umgehen, gerade in Gegenden, in denen beispielsweise Wasser oder Strom nicht im Überfluss vorhanden sind.
Ein guter Gast sein: Nachhaltig unsere Umgebung zu erkunden bedeutet auch, der hiesigen Flora und Fauna mit Respekt zu begegnen. Pflanzen sollten auf keinen Fall gepflückt werden, aber sie stehen uns bestimmt gerne Modell für das eine oder andere Foto. Das Gleiche gilt für wilde Tiere: Wir füttern sie nicht, halten Abstand und beobachten sie aus der Ferne.
Auf den Wegen bleiben: Wer die vorgegebenen Wege verlässt, dringt nicht nur in die Rückzugsräume heimischer Arten ein, sondern trägt auch dazu bei, dass sich neue Wege bilden, was zur Erosion des Bodens führt.
Abfall wieder mitnehmen: Plastikverpackungen jeglicher Art, Dosen, Flaschen und Papiertaschentücher (es dauert Jahre, bis sich ein einzelnes Taschentuch vollständig abgebaut hat!) gehören nicht in die Natur, sondern artgerecht entsorgt. Am besten gleich eine wiederverwendbare Brotdose oder Trinkflasche mitnehmen. Das gilt natürlich auch für Toilettenpapier und den Inhalt von (Chemie-) Toiletten. Entsprechende Entsorgungsstationen finden sich überall.
Lokal kaufen: Dadurch lernen wir Land und Leute besser kennen und unterstützen die regionale Wirtschaft, außerdem sind regionale Produkte meist auch preisgünstiger und qualitativ hochwertiger.
So wie wir die Umwelt respektieren, wollen wir auch unseren Mitmenschen und deren Kultur Respekt entgegenbringen, gerade im Hinblick auf ihre Tradition, Religion oder typische Gebräuche. So können ein Lächeln oder ein paar Worte in der Landessprache Berge versetzen!
Über und unter Wasser eine Attraktion: die Zeche Zollverein; hier das Werksschwimmbad der Kokerei
Der Schwanentempel auf der Darmstädter Mathildenhöhe verbindet Ästhetik und die Innovation eines neuen Baustoffs.
Das Oktogon im Dom zu Aachen gilt als wichtiges Beispiel für die karolingische Renaissance. Den Radleuchter hat Barbarossa gestiftet.
… und sie weckt auch in Deutschland Lust – auf die Kunst, auf die Natur, auf das Unerwartete in dem Land, das uns so vertraut erscheint und das doch so viel Neues bietet. Denn wer kennt sich schon aus von der Steinzeit bis zur Moderne, vom Bodensee bis nach Lübeck, vom Wattenmeer bis in die Millionenstädte? Also nichts wie hin! Direkt vor unserer Haustür bilden 52 Welterbestätten wunderbare Reiseziele.
In alter Pracht: Im Fürstenhaus von Weimar ist heute die nach Franz Liszt benannte Hochschule für Musik untergebracht.
Dass Deutschland reich ist, wissen wir. Dass es auch reich an Welterbestätten ist, mag weniger bekannt sein: 52 sind es seit dem Herbst 2023. Damit rangiert Deutschland hinter Italien und China weltweit auf Platz 3. Mit einem Verhältnis von 49:3 liegen die Weltkultur- weit vor den Weltnaturerbestätten; wobei das Obere Mittelrheintal als jahrtausendealte Kulturlandschaft beides zugleich ist. Das unausgewogene Verhältnis erstaunt nicht richtig, die Vielfalt der ausgezeichneten Denkmäler dagegen schon. Es gibt steinzeitalte und kaum 100 Jahre junge, es gibt welche, deren Funktionalität Ewigkeiten zurückliegt, und solche, in denen bis heute gelebt und gearbeitet wird. Manche sind überbordend prächtig, manche ergreifend schlicht, in einigen wiegt die Idee schwer, in anderen die Umsetzung; diese stehen ganz für sich, jene bilden ein Ensemble oder Flächendenkmal.
Die Gründungsgeschichte der Welterbe-Idee ist weitgehend bekannt – Abu Simbel musste verlegt werden, und die Weltgemeinschaft organisierte den Umzug –, doch das Wählen und Wirken der Kommission umgibt eine Art Nebel, scheinbar. Denn wie bei allen UN-Institutionen ist natürlich auch hier alles streng geregelt: die Kriterien, nach denen neue Erbestätten in den Kanon aufgenommen werden, genauso wie die Verpflichtungen, die die Städte, Bauwerke und Staaten eingehen, deren Schätze auf der Liste stehen.
Das Neue Schloss mit dem markanten Südwestturm blickt auf den Muskauer Landschaftspark des Fürsten Pückler.
Denn zuallererst bedeutet der Titel eines Weltkultur- oder Weltnaturerbes das Übernehmen von Verantwortung. Was auch immer gelistet wird, es steht ab dem Zeitpunkt unter dem besonderen Schutz des Antragstellers – und unter den prüfenden Blicken der Weltöffentlichkeit. Bevor es überhaupt zu einem Nominierungsantrag kommt, sondieren Forschungsarbeiten das wissenschaftliche Gelände, ausreichende finanzielle Mittel sind nötig. Das mag erklären, warum die meisten Erbestätten in Europa liegen – ein Ungleichgewicht, das immer wieder kritisiert wird und doch unlösbar scheint.
Stufen der Menschheitsgeschichte: Der Treppenaufgang im Musterhaus von Le Corbusier in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung setzte architektonische Maßstäbe.
An den logistischen und (denkmal-)pflegerischen Kosten beteiligt sich die UNESCO mit keinem Cent, um mit dem vermutlich am weitesten verbreiteten Vorurteil aufzuräumen. Weder hilft sie bei Restaurierungen, noch bezahlt sie Büromitarbeiter oder erstattet Antragskosten. Dass sich die Verleihung des Erbetitels dennoch meist lohnt, liegt an staatlichen Fördermitteln und vor allem am Prestigegewinn. Ein Welterbe darf mit seinem Titel werben – und nicht selten machen die Besucherzahlen einen Sprung, weil hier eine Region oder ein Ort in den Fokus rücken, von denen man vorher wenig wusste. Die Grube Messel kann als Beispiel dienen, das weit im Osten gelegene Bad Muskau, aber auch die Industriebrache Völklingen oder das verträumte Lonetal im Schwäbischen Jura.
Dagegen gibt sich der Kölner Dom beinahe gleichgültig: Er zog auch schon vor der Titelverleihung 1996 jährlich sechs Millionen Menschen an. Für ihn war die Aufnahme reine Formalität.
Ob es sich immer auszahlt, eine Erbestätte zu hüten, sei dahingestellt. Verpflichtungen und Segnungen brauchen ein Gleichgewicht, damit die Titelträger profitieren. Vor- und Nachteile verlangen ein Abwägen: Förderprogramme rechnen sich da gegen Erhaltungsnotwendigkeiten auf, die Erschließungsprobleme relativieren die Einnahmen aus dem Tourismus, die internationale Bekanntheit konkurriert vor allem in Städten mit dem Baudruck – schließlich stellen die Bewohner Ansprüche an eine funktionierende Stadt und wollen nicht ein Freilichtmuseum bevölkern. Wenn Besitzer und Betreiber keine Personalunion bilden, etwa bei der Wieskirche, die dem bayerischen Staat gehört, aber seelsorgerisch dem Bistum Augsburg unterliegt, können die Interessenkonflikte weit reichen. Auf der einen Seite steht da ein Beispiel vollkommenen Rokokos, das die touristische Bewunderung verdient, auf der anderen Seite sehnt sich eine Wallfahrtskirche danach, ein Ort des Gebets und der Besinnung zu bleiben. Zwölf Minuten hält sich der durchschnittliche Besucher dort auf – das erzählt auch einiges über (fernöstliche) Reiseprogramme. Ob sie sich auch an weniger schwelgerische Stätten wagen?
Die Michaeliskirche in Hildesheim ist ein Wunder an Vollkommenheit und klarer Form. Bischof Bernwards romanische »Gottesburg« war ein Vorbild für viele weitere Kirchenbauten.
Denn andererseits kann es ja viel spannender sein, nicht das offen Sichtliche zu prämieren, sondern das Gemeinte. Für diese Auszeichnungsqualität gibt es unter den deutschen Weltkulturerbestätten etliche Beispiele: das »Klassische Weimar«, das auch die geistigen Verknüpfungen meint; die Reformationsstandorte Wittenberg und Eisleben als Lebensbühne der Glaubenserneuerer Luther und Melanchthon und zugleich als Ausgangsort ihrer weltverändernden Idee; oder auch die kleine karolingische Anlage in Lorsch. Sie ehrt ein ehedem weitläufiges Ensemble, von dem nur noch das Eingangstor steht. Dass der dortige Gedenkstättenleiter wegmöchte »vom Goldmedaillen-Gedanken«, der nur ein quasi olympisches Motto wie schöner-größer-besucherstärker im Sinn hat, versteht sich von selbst. Dafür setzt man in Lorsch umso mehr auf Gespräche und aufs Netzwerken: 2005 fand hier der erste Welterbetag statt, für den seitdem der erste Junisonntag reserviert ist. Es liegt ein persönlicher Gewinn darin, sich Zusammenhänge zu erschließen, sich in die Geschichte einzudenken und den Geist auf die Reise zu schicken. Sie führt meist direkt in die Bewunderung der visionären Kraft von Menschen, die längst tot sind, mit deren Werken wir aber bis heute leben. Jeder Streifzug durch Hildesheim endet früher oder später vor einer Schöpfung von Bischof Bernward, das visionäre Genie von Walter Gropius ist am Bauhaus in Dessau allgegenwärtig, und wie könnte man den Fürsten Pückler nicht bewundern für die durchdachte Gartengestaltung, die ihm offenkundig weit wichtiger war als seine prekäre Finanzlage.
Gepflegte Schätze: Broderieparterre heißt dieser Teil des Barockgartens von Schloss Augustusburg in Brühl, nach dem französischen Wort für »Stickerei«.
Die Frage, ob die Verleihung des Erbetitels tatsächlich Besucher generiert, ist spekulativ – niemand weiß, wie der Andrang sonst aussähe. Manchmal gibt es auch nur einen Peak, und später flaut die Begeisterung wieder ab. Da heißt es dann dranbleiben und die Stätte interessant machen, beispielsweise auch als Lernort für Schüler. Hysterie löst der UNESCO-Entscheid jedenfalls nicht mehr aus: So schloss man etwa in Bayreuth das Markgräfliche Opernhaus kurz nach der Ernennung 2012 fünf Jahre hindurch für Sanierungsarbeiten, weil alle Restaurierungsgelder bewilligt waren. Denn letzen Endes zielt schon rein begrifflich das Welterbe auf die Erhaltung universeller Werte und ihre Übergabe an künftige Generationen.
Seit der Vergabe der ersten zwölf Titel 1978, darunter an den Aachener Dom, sind mehr als 1190 Kultur- und Naturstätten in 168 Staaten hinzugekommen. Dieses Buch verdankt seine Eindrücke vielen Reisen kreuz und quer durch die Republik und seine Einsichten den wunderbaren Führungen vor Ort. Oft haben sich daraus aufschlussreiche und auch kritische Gespräche entwickelt, was dieser UNESCO-Titel bedeutet, welchen Gewinn er bringt und welche Nachteile. Die Haltungen reichten von hemmungsloser Hingabe an den Erbegedanken bis zu tiefen Zweifeln. Allen Guides und Fachkundigen von Hamburg bis zur Wieskirche und von den alten Kurstädten bis Stralsund war jedoch eines gemeinsam: die Liebe zu ihrer einzigartigen Welterbestätte. Wenn auch davon etwas mitschwingt, ist der Sinn dieses Buches erfüllt. Lassen Sie sich begeistern!
Der Dom zu Speyer gilt mit einer Außenlänge von 134 Metern als größtes erhaltenes romanisches Bauwerk der Welt. Hier ein Blick aus der Zwerggalerie auf die 65 Meter hohen Westtürme und die Westkuppel.
Heute sind die Fensterecken aus Glas ein vertrauter Anblick, vor 110 Jahren waren sie im Fagus-Werk in Alfeld eine Revolution.
Eine der größten Sensationen des Wattenmeers ist seine Stille.
Filigrane Kunst zeigt die Bernwardstür des Hildesheimer Doms. Zu sehen ist die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies.
Das Wattenmeer verblüfft: Scheinbar unveränderlich ist es und doch nach jeder Tide anders, auf den ersten Blick schlicht bewachsen und nur sparsam bewohnt – und dabei doch der Lebensraum für mehr als 10 000 Tier- und Pflanzenarten. Seit 2009 zählt Deutschlands größte Wildnis zum Weltnaturerbe und rückt zuverlässig die Dimensionen zurecht: hier der Mensch, dort der ewige Kreislauf der Natur.
Alte und neue Landmarken am Wattenmeer: der Leuchtturm Westerheversand.
Der Widerspruch könnte größer kaum sein: Außer dem platten Watt und dem sich darüber wölbenden Himmel ist rein gar nichts zu sehen – und trotzdem wimmelt das Wattenmeer nur so vor Leben. In einem Kubikmeter Meeresboden stecken Tausende von Kieselalgen, Krebsen, Würmern und Schnecken, alle sind sie perfekt an ihre salzige Umgebung angepasst. An Deutschlands Nordseeküste berühren sich Meeresgrund und Horizont in einer wenig angetasteten Wildnis, heute wie schon seit gut 7000 Jahren; erdgeschichtlich gilt das Wattenmeer als junge Landschaft.
Ein wahrer Kosmos an Pflanzen und Kleinstlebewesen besiedelt das Watt und bildet eine Art Buffet für größere Tiere. An ihm stärken sich im Frühjahr und Herbst geschätzt zwölf Millionen Zugvögel, wenn sie auf ihrem Weg Richtung Süden oder Norden an der Küste Station einlegen. Die größten Tiere im Naturraum sind die bis zu 2,30 Meter großen und 300 Kilogramm schweren Kegelrobben. Ihr Bestand nimmt von Jahr zu Jahr zu, während sich die Seehund-Population auf hohem Niveau hält. Das dritte im Wasser lebende Säugetier des Wattenmeers ist der Schweinswal, die einzige heimische Walart und mit kaum anderthalb Metern von der Schnauze bis zur Flute ein wahrhaft kleiner Tümmler. Die winzigsten Lebewesen zeigen sich nur unterm Mikroskop. Zwischen Watt und Land erstrecken sich die Salzwiesen, ein schmaler Lebensraum für Gliederfüßer, Insekten und Lebewesen der sogenannten Makrofauna; auch sie in mehreren hundert Arten und allesamt wahre Anpassungsweltmeister. In diesem Land vor den Deichen gelingt es Pflanzen wie dem zartvioletten Strandflieder oder der Strandaster, das überschüssige Salz in die ältesten Blätter zu transportieren, die sich im Lauf der Zeit braun färben und abfallen. Früher weideten Schafe und auch Kühe auf den Wiesen, inzwischen gedeihen vielerorts Tausendgüldenkraut, Milchkraut und Grasnelken unabgenagt und hüllen die Flächen in ein Blütenkleid.
Manchmal dauert es ein wenig, bis sich der Zauber dieser scheinbar eintönigen Landschaft erschließt, über deren feucht-matschiger Bühne Tag für Tag ein anderes Himmelsschauspiel stattfindet – gestern grau in grau, heute strahlend blau, morgen sonnenuntergangsorange. Kenner schätzen die Nuancen und die Stille der Nachsaison, zumal die Weite an Wintertagen wie unberührt wirkt, selbst an touristischen Anziehungspunkten wie St. Peter-Ording mit seinen fast 2,7 Millionen Gästen im Jahr. Die Dynamik der Gezeiten, die alle sechs Stunden (und zwölfeinhalb Minuten, um ganz genau zu sein) das Watt überfluten und wieder trocken fallen lassen, bringt eine permanente Veränderung für alle Lebensräume zwischen Meer und Dünen, und es stellt sich eine Ahnung von ihrer eiszeitlichen Entstehung ein. Das Wattenmeer zeigt immer das gleiche Gesicht – und doch an jedem Tag ein anderes: Je nach Strömung, Wind und Wetter werden Sand und Sedimente abgetragen oder angespült. Das für den Laien vermeintlich unterschiedslose Watt ist mal Schlick-, mal Sand- und mal Mischwatt und in seltenen Fällen auch Farbstreifensandwatt, beispielsweise auf der Insel Amrum. Von seiner unterschiedlichen Beschaffenheit, die an manchen Stellen eine Pferdekutsche trägt und an anderen kaum einen Kindergummistiefel, geben Wattwanderungen eine Vorstellung. In allen drei Wattenmeer-Nationalparken gibt es Hunderte von Anbietern für Wattführungen – wo sonst kann man ohne Taucheranzug auf dem Meeresboden spazieren?
Das Weltnaturerbe Wattenmeer erstreckt sich über 11 500 Quadratkilometer Fläche vor deutschem, niederländischem und seit 2014 auch dänischem Hoheitsgebiet – doch kümmert’s den Wattwurm? In seinem Lebensraum spielen Staatsgrenzen keine Rolle. Würde man wirklich einmal entlang der mehr als 500 Kilometer langen Küste wandern, bekäme man ein Gespür für die feinen Unterschiede – von Stränden, Dünen, Siedlungen und bei der Umgangssprache in den knapp 50 Infocentern. Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen teilen sich den größten und besterforschten Naturraum Deutschlands und schützen ihn seit mehr als 30 Jahren in drei Nationalparken.
Zu den schönsten Beschäftigungen gehören Ausritte und Kutschfahrten übers Watt.
TOP ERLEBNISSE
WISSEN ZUM WATT
Nationalparkeinrichtungen und Infocenter gibt es entlang der Küste beinahe wie Sand am Meer, jedes mit einem eigenen Schwerpunktthema. Das erscheint sinnvoll bei der enormen Fläche von 8000 Quadratkilometern, die sich die Nationalparks Schleswig-Holsteinisches, Niedersächsisches und Hamburgisches Wattenmeer teilen. Zentrale Anlaufstellen sind beispielsweise das Besucherzentrum in Cuxhaven und das mit vollständigem Namen heißende: UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum Wilhelmshaven. Es beantwortet viele Fragen zum Wesen und Werden des Watts, zur Tier- und Pflanzenwelt, dem Wetter und der Wirtschaft. Die Dauerausstellung präsentiert »Eine Welt der Extreme«, ein großes Aquarium zeigt Fische des Lebensraums, während ein Krabbenkutter in Originalausstattung Einblicke in Fangmethoden gibt.
WEITERE INFORMATIONEN
UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum, Südstrand 110b, 26382 Wilhelmshaven, Tel. 04421/91070, wattenmeer-besucherzentrum.de, waddensea-worldheritage.org, nationalpark-wattenmeer.de, schutzstation-wattenmeer.de
Von 1906 und das Weltnaturerbe-Besucherzentrum von Cuxhaven.
Leere Weite voller Leben – gemessen an der Biomasse enthält ein Quadratmeter Watt mehr Lebewesen als der Urwald. Das Weltnaturerbe Wattenmeer umfasst mehr als 11000 Quadratkilometer.
Am Schnittpunkt wichtiger Handelsrouten und meernah gelegen entstand zu Zeiten der Wikinger das Handelszentrum Haithabu mit Anschluss zum frühmittelalterlichen Befestigungswall Danewerk. Nach kurzer Blütezeit versank die Siedlung ab 1066 in der Vergessenheit und im feuchten Boden – und schlummert dort weitgehend wohlkonserviert. Haithabu und das Danewerk zählen als Schleswig-Holsteins wichtigste archäologische Kulturdenkmäler seit 2018 zum Welterbe.
Dramatisch beleuchtet: Die originalgetreuen Nachbauten geben einen Eindruck von der Wikingersiedlung Haithabu.
Zwischen den Welterbestätten, die überwältigen mit der Fülle an Gebotenem und jenen, die dem Besucher Initiative und Fantasie abverlangen, gehört Haithabu eindeutig zur zweiten Kategorie. Zu sehen gibt es auf den ersten Blick nicht viel – einerseits die bewachsenen Wälle des Danewerks, eingebettet in die liebliche nördliche Landschaft, sowie die auf einer Länge von knapp 80 Metern freigelegte Waldemarsmauer aus der Stauferzeit, über Jahrhunderte eines der größten profanen Ziegelbauwerke des Kontinents und Teil der Grenzanlagen. Und andererseits das weite Halbrund am Haddebyer Noor, unter dem die Reste der Wikingersiedlung Haithabu verborgen liegen. Ihr Platz war wunderbar gewählt: Die Schlei stellt die Verbindung zur Ostsee her, es boten sich viele Anlegestellen für Handelsschiffe, und man war geschützt vor den Launen des Meeres. Ringsum umgibt ein Wall die einst bedeutende Wikingerstadt, später verband der sogenannte Kograben die Verteidigungsanlage mit dem Danewerk. Bis zum heutigen Hollingstedt, das über die Treene und die Eider an die Nordsee angebunden ist, sind es bloß 18 Kilometer.
Vom nördlichen Rand des Halbkreiswalls aus gesehen wirkt die Szenerie fast wie René Goscinnys »kleines gallisches Dorf«: Links glitzert das Haddebyer Noor, rechts leuchten satte Wiesen. Die historische Ortsmitte markieren die Dächer von sieben rekonstruierten Häusern. In den Originalen lebten wohl weniger die berüchtigten Seefahrer als vielmehr die Menschen, die im Wortsinn gar keine Vikingr waren, weil sie nicht an räuberischen Entdeckungstouren teilnahmen: Schmiede, Bronzegießer und Perlenmacher, Kaufleute und Bauarbeiter, die eine enorme Kubikmetermenge Erdboden bewegten, um ihre blühende Stadt zu befestigen.
Die Waldemarsmauer steht nur noch in Teilen – einst erstreckte sie sich über eine Länge von fast vier Kilometern.
Damals säumten breite Stege den Uferbereich, Holzfunde belegen Landebrücken und Dachkonstruktionen, anorganische Materialien wie Glas, Eisenschlacke oder Keramik lassen auf Handwerk schließen. 1979 aus dem Schlick geborgen, gilt die »Haithabu 1«, ein 16-Meter-Langboot mit mehr als 20 Ruderplätzen, als spektakulärstes Fundstück. Genau 1000 Jahre nach dem Schiffsbau eröffnete 1985 das Haithabu-Museum in Form eines umgedrehten Bootsrumpfs. Ungezählt sind die Überreste, die am Haddebyer Noor schlummern und das »frühurbane Seehandelszentrum« dokumentieren; das Gebiet sei »kontaminiert mit Geschichte«, sagen die Fachleute des Museums für Archäologie in Schleswig. Gut 95 Prozent Haithabus liegen noch im Boden.
Die verborgen-verstreuten Dinge an einen Ort zu versetzen und sich als ein lebendiges Ganzes zu denken, liegt in der Vorstellungskraft des Betrachters. Festhalten kann er sich dabei am Danewerk, dem historischen Wall, der das Land der Dänen vor Übergriffen aus dem Süden schützte. Haupt-, Verbindungsund Krummwall bildeten eine ursprünglich 33 Kilometer lange Grenzsicherung, von der noch 27 Kilometer erhalten sind. Nur ein einziges Tor ermöglichte den Durchgang dieses nordischen Limes. Es liegt am Danevirke Museum, einem spektakulären Neubau, der 2025 an Stelle des bisherigen kleinen Baus eröffnen soll und vom Sydslesvigsk Forening betrieben wird. Auch ein Beispiel für die Bedeutungsverschiebung in der archäologischen Grenzlandschaft: 1864 im Deutsch-Dänischen Krieg noch zum nationalen Symbol der Dänen stilisiert, gilt der eichen- und kirschbaumbestandene Wall heute als Versöhnungsband. Sein Idyll zu bewahren und zugleich für Besucher zu erschließen, lautet die neue Herausforderung im Grenzgebiet.
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STRAMPELN UND STAUNEN
Vor 1000 Jahren stellte es eine echte Leistung dar, die kürzeste Landbrücke zwischen Ost- und Nordsee auszumachen. Heute ist der Weg das Ziel, und man dehnt die Distanzen mit Genuss: Über knapp 300 Kilometer erstreckt sich der Wikinger-Friesen-Radweg von Maasholm an der Schlei bis St. Peter-Ording an der Nordsee – oder besser andersherum, dann schiebt der Westwind an. Der Fahrradweg durchschneidet drei Regionen von der Halbinsel Eiderstedt über die Flusslandschaften von Eider, Treene und Sorge bis zur Schlei, die sich, geologisch nicht ganz korrekt, hin und wieder als Ostseefjord bezeichnet, 42 Kilometer lang hinzieht und die Hafenstadt Kappeln mit Schleswig verbindet. Auf kurzen Fährfahrten, vor Schleusen und am Eidersperrwerk lassen sich die Muskeln lockern, an kulturellen Stationen wie dem Schloss Gottorf, dem Kolonialwarenladen Haus Peters und dem Wikinger Museum Haithabu der Geist. Ein blau-weiß-roter Wikingerschiffsbug zeigt auf sechs Etappen, wo’s langgeht.
WEITERE INFORMATIONEN
Wikinger Museum Haithabu, Am Haddebyer Noor 3, 24866 Busdorf, haithabu.de
Danevirke Museum, Hauptstr. 0, 24867 Dannewerk, danevirkemuseum.de, haithabu-danewerk.de, gruenes-binnenland.de
Manchmal spiegeln Gebäude den Geist einer ganzen Stadt: Hamburgs Speicherstadt und das Kontorhausviertel sind Beispiele für eine pragmatische Bebauung, die Nützlichkeit mit Ästhetik verbindet. Die monofunktionalen Bauten, einerseits der Lagerung vorbehalten, andererseits der Verwaltung, stehen seit 2015 auf der Welterbeliste der UNESCO. Mittendrin und absolut hervorragend – das Chilehaus.
Geld wird Architektur: Der Reichtum der Freien Hansestadt Hamburg steckt in ihren Gebäuden – das trifft auf das Chilehaus mit dem Sprinkenhof im Hintergrund zu wie auf die Speicherstadt.
Es ist ein nur scheinbarer Verstoß gegen die Chronologie, beim Besuch der Welterbestätten in Hamburg mit dem 1922 bis 1924 errichteten Chilehaus zu beginnen – zumal die Entstehung von Speicherstadt und Kontorhaus in einen Zeitraum von 40 Jahren fallen und sich zueinander ohnehin wie die beiden Seiten derselben Medaille verhalten. Die eine Seite steht für die Handelswaren, ihre Anlieferung, Lagerung und den Weitertransport, die andere Seite für die Verwaltung und Organisation der Transaktionen. Denn das gewinnbringende Geschäft ist der eigentliche Kernbegriff; worum wäre es den Kaufmännern der reichen Hansestadt Hamburg sonst gegangen?
Beinahe noch wichtiger als der Reichtum selbst war seine Demonstration; darin unterscheiden sich die hanseatischen Kaufleute vermutlich viel weniger von Krone und Kirche, als sie selbst denken. Womit sie zu Geld gelangten, sieht man ihren Gebäuden nicht an: Bei Henry B. Sloman, dem Bauherrn des Chilehauses, waren es Guano und Salpeter, die er im nordchilenischen Tocopilla abbaute und um die ganze Welt transportierte – vor allem nach Hamburg, der Stadt seiner Jugend und Lehrjahre. Das Gebäude, in das er dort seine Millionen steckte, greift diesen Hintergrund auf: Es ähnelt einem Schiffsrumpf mit spitzem Bug, der New Yorks Flat Iron Building zu Ende denkt. Was für ein Zeichen des Aufbruchs, nur vier Jahre nach dem Weltkriegsende, und schon damals ein echter Glücksfall für Hamburg: Einer der reichsten Männer der Stadt engagierte einen der modernsten Baumeister seiner Zeit, Fritz Höger. Das Chilehaus bringt auf zehn Etagen 36 000 Quadratmeter Bruttogrundfläche unter; um dem Gebäude seine Massigkeit zu nehmen, springen die oberen Stockwerke als Staffelgeschosse zurück. Vom dunklen Bockhorner Klinker, an dem der Architekt die »natürliche Knupperigkeit« liebte, heben sich 2800 Fensterrahmen weiß ab – ein Element, das der Sprinkenhof gegenüber aufnimmt. Auch er ein von Fritz Höger errichteter Bestandteil des Kontorhausviertels und von derart hoher Qualität, dass es Denkmalpflegern Tränen in die Augen treibt.
Sie gilt als der größte zusammenhängende historische Komplex von Lagerhäusern weltweit.
Klare Kante: Die charakteristische Spitze des Chilehauses stellte für den Architekten Fritz Höger eine Herausforderung dar.
Während im Kontorhausviertel der Papierkram erledigt wurde, kümmerte man sich in der Speicherstadt um das Löschen, Lagern, Veredeln und Verladen der Waren. Auf der Fläche von zwei hygienisch bedenklichen Wohngebieten, deren ärmliche Mieter man kurzerhand vor die Tür setzte, entstand zwischen 1883 und 1916 von West nach Ost das bis heute größte Lagerhausensemble der Welt. Der Grund seiner Entstehung: Im Freihafen entfielen selbst nach der Aufnahme Hamburgs in den Deutschen Zollverein die Zölle auf alle Waren.
Unmittelbar hinter dem Großen Grasbrook fing am Katharinenviertel das »Ausland« an, in drei Bauphasen von Block A bis X nach den jeweils neuesten technischen Standards errichtet. Zumeist lagerten auf fünf »Böden« Kolonialwaren, also Kaffee, Tee oder Gewürze, die direkt von Bord aus über Seilwinden auf die Stockwerke verteilt wurden. Erst das Aufkommen der Container und immer größerer Schiffe beendete die Erfolgsgeschichte der Speicherstadt, die die »Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft« seit ihrer Gründung betreibt – auch das ein stiller Rekord: Seit mehr als 130 Jahren ist die HHLA die einzige zuständige Ansprechpartnerin für alle Kunden.
In der Kernzone umfasst das Welterbe knapp 27 Hektar Fläche, samt Pufferzone (zu der auf dem Kaispeicher A auch die Elbphilharmonie gehört) sind es fast 84 Hektar. Für seine heutige Nutzung gilt die Faustregel, dass ein Drittel der Bruttogrundfläche von 430 000 Quadratmetern in Gebrauch ist, ein Drittel brach liegt und sich ein Drittel »in Planung« befindet. Neben ihrer klassischen Funktion als Zwischenlagerstelle, etwa für Teppiche, dienen die Speicher heute noch vielen anderen Zwecken: als Ladengeschäfte, beispielsweise für den Teehandel Hälssen & Lyon als ältestem Mieter der Speicherstadt seit 1887; als Restaurants und neuerdings auch als Atelierraum. Nur wohnen darf und durfte hier keiner, wegen der permanenten Hochwassergefahr, die dank immer genauerer Prognosen kaum noch überraschend eintritt. Und die Tide stört bloß noch die Bauarbeiter, die mit der Kaimauersanierung beschäftigt sind.
In allen Gebäuden des Kontorhausviertels sind Büros untergebracht, einige Treppenhäuser sind daher frei zugänglich.
Es wird quasi unaufhörlich restauriert – wie sollte es bei dieser Größe anders sein? So enorm schien in den 1990er-Jahren der Handlungsdruck, dass der Hamburger Senat laut über eine Veräußerung der Speicherstadt nachdachte. Doch niemand fand sich, um den Renovierungsstau aufzuarbeiten, und so musste die Hansestadt selbst ran: Wer heute über den Kibbelsteg geht und sieht, wie sich die mächtigen Backsteinfassaden architektonisch abgestimmt in den Fleeten spiegeln und nach und nach alle Speicher Kupferdächer erhalten, wird vielleicht dankbar sein, dass die Betreuung des riesigen Komplexes nur in einer Hand liegt.
Dass die Speicherstadt, im Zweiten Weltkrieg zur Hälfte zerstört, wieder eine weitgehend einheitliche Formsprache kennzeichnet – ohne den architektonischen Fortschritt zu verleugnen oder die Spuren der Geschichte zu tilgen –, ist das Verdienst von Werner Kallmorgen. Ihm gelang ein Wiederaufbau, der kein Imitat verlorener Stile sein wollte, sondern teilweise selbst Vorbilder schuf: mit der ehemaligen Kaffeebörse aus den 1950er-Jahren beispielsweise.
Der Chilehaus-Baumeister Fritz Höger hatte als technischer Zeichner für das Architekturbüro von Werner Kallmorgens Vater gearbeitet – hier schließt sich ein Kreis, obwohl Höger den Ansatz des späteren Altonaer Bausenators als zu konservativ empfand und nach vier Jahren kündigte. Reine Spekulation, ob das Büro Lundt & Kallmorgen eine genauso kühne Ecke am Chilehaus hinbekommen hätte wie der Expressionist Höger.
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KUNST UND KOSTPROBEN
Nur einen Ziegelsteinwurf vom Anden-Kondor, dem Wappentier von Henry B. Sloman am Chilehaus, entfernt, liegen die Deichtorhallen. In der Stahlglasarchitektur der von 1911 bis 1913 errichteten ehemaligen Markthallen sind zeitgenössische Kunst und Fotografien zu sehen. Regelmäßig zeigt eines der größten Ausstellungshäuser Europas die Werke jüngerer Künstler. Deichtorstr. 1, Tel. 040/32 10 30, deichtorhallen.de
Mit Kaffeespezialitäten und Waterkant-Klassikern wie Pannfisch oder einer Bouillabaisse von Nordseefischen löst das Restaurant Schönes Leben Speicherstadt das Versprechen in seinem Namen ein. Durch große Fenster fällt viel Licht aufs gemütlich-schlichte Interieur, zum Wandrahmsfleet stehen Tische und Stühle, Alter Wandrahm 15, Tel. 040/180482680, schoenes-leben.com
WEITERE INFORMATIONEN
Interessengemeinschaft Kontorhausviertel, Chilehaus, Eingang Portal A, Fischertwiete 2, 20095 Hamburg, Tel. 040/41 454950, kontorhausviertel.com, hamburg.de
Der Baumeister aus Elmshorn war auch am Sprinkenhof beteiligt.
Von der Poggenmühlenbrücke aus bietet sich ein schöner Blick auf Holländisch Brookfleet, Wandrahmsfleet und die Gebäude der Speicherstadt.
Es ist nicht ganz einfach mit Deutschlands Immateriellem Erbe: Es gibt zwar nur zehn deutsche Einträge auf insgesamt drei UNESCO-Listen des Immateriellen Erbes der Menschheit, aber nicht weniger als 150 Punkte im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Das ist wiederum unterteilt in 134 Kulturformen und 16 Modellprogramme (Stand 2024), wird von der Deutschen UNESCO-Kommission geführt und greift Vorschläge aus der Gesellschaft auf.
Die 150 nationalen Einträge gliedern sich in sechs Themenbereiche: »Musik und Darstellende Kunst«, »Bräuche und Feste«, »Mensch und Natur«, »Traditionelle Handwerkstechniken«, »Überlieferungen und Leben in Gemeinschaft« sowie »Modellprogramme der Erhaltung«. Klingt kompliziert? Die unterschiedliche Sortierung sollte nicht abschrecken, denn es geht ja um die schönen, tiefen, wahren Dinge des Lebens, die man zwar nicht mit Händen fassen kann, die aber den Alltag vielfältig bereichern. Denn nichts anderes bedeutet »immateriell« – ohne Stoff und Körper, dafür reich an Geist und Sinn.
Das Choralsingen, das tief bewegende Steigerlied und der süddeutsche Zwiefache, Techno in Berlin, Hip-Hop in Heidelberg und Sachsens Knabenchöre: Von den 22 Einträgen im Bundesverzeichnis in der Kategorie »Musik und Darstellende Kunst« entfallen die meisten auf musikalische Traditionen. Manche, etwa das Choralsingen, gehen auf das Mittelalter zurück und sind seit Luthers Zeiten verbreitet, auch als Form der Emanzipation der Gemeindemitglieder aus einem auf den Priester konzentrierten Gottesdienst. Andere wie die Demoszene, die Animationssequenzen über die Kombination von Musik, Video-, Text-, Pixel- und 3D-Grafiken produziert, spiegeln jüngste Zeiterscheinungen – mit Ausflügen in die digitale Steinzeit, etwa wenn sich einer der Szenen-internen Wettbewerbe auf die Benutzung des Commodore 64 beschränkt.
Tradition in der Bergbauregion Erzgebirge – die Bergmannparade, hier in Marienberg
Einer der Höhepunkte des Orgelbaus in Deutschland: das Instrument im Passauer Dom St. Stephan, lange die größte Orgel der Welt
Mit dem Eintrag »Orgelbau und Orgelmusik«, eine der zehn Erbeauszeichnungen auf der internationalen UNESCO-Liste, kann dagegen wohl jeder etwas anfangen. Die geheimnisvolle Wechselbeziehung zwischen Instrument, Komponist, Klangraum und Orgelspieler fasziniert die Menschen seit mehr als 2000 Jahren. In Deutschland gilt die Orgeltradition seit dem Barock als besonders vielfältig ausgestaltet. Mehr als 50 000 Orgeln gibt es landesweit – jede für den einen bestimmten Raum erschaffen, in dem sie erklingen soll. Repariert, in Stand gehalten und gebaut werden die Orgeln von rund 400 Handwerksbetrieben, bespielt von 3500 hauptamtlichen und vielen nebenberuflichen Organistinnen und Organisten.
Der Kreis der Kreativen, die sich mit Papiertheater beschäftigen, dürfte um ein Vielfaches kleiner sein – zum Immateriellen Erbe gehören sie trotzdem. Seit rund 200 Jahren werden dort hauchdünne Illusionen geschaffen und auf bildschirmgroßen Bühnen zum Besten gegeben; manche Dekorationen, Texthefte und Figurenbögen aus dem 19. Jahrhundert dienen bis heute als Grundlage.
Ein alter Hase auf den Theaterbrettern ist auch der Kasperl, egal ob als Meister Hämmerlein, Hanswurst oder Putschenelle bezeichnet. Einst schonungslos-subversiv und gefürchtet von den Mächtigen, später zu erzieherischen Zwecken missbraucht und in DDR-Zeiten gar systemkritisch, aber immer auf der Seite des Publikums: Das Bundesweite Verzeichnis ehrt den Kasperl und alle 350 Puppentheater in Deutschland mit einem Eintrag.
Meist der Star im Puppentheater: der Kasperl, nur echt mit Mütze und Hakennase.
Seit dem Jahr 1404 markieren sie die Mitte von Bremen: der steinerne Roland und das spätgotische Rathaus. Genau 600 Jahre später wurden sie zum Weltkulturerbe ernannt. Mit beiden setzte der Rat einst ein Zeichen der Unabhängigkeit – zum einen gegen die Bischöfe, zum anderen gegen die mächtigen Zünfte. Bis heute tagt der Senat des Stadtstaats im Rathaus.
Ihre »Gute Stube« nennen die Bremer mit hanseatischem Understatement die Obere Rathaushalle.