Das Schloss Dürande - Joseph von Eichendorff - E-Book

Das Schloss Dürande E-Book

Joseph von Eichendorff

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Beschreibung

In Josef von Eichendorffs 1837 erschienener Novelle "Das Schloß Dürande" wird das Grundthema der Liebe zwischen Hippolyt, dem jungen Graf von Dürande, und Gabriele, der Schwester des gräflichen Jägers Renald, in einen neuen, stärker gesellschaftlich geprägten Zusammenhang gestellt. Die Handlung spielt hauptsächlich auf einem einsamen, "in der schönen Provence" gelegenen Adelssitz nahe Marseille, teils aber auch im revolutionären Paris bzw. am Hof Ludwigs XVI. in Versailles, wohin es Renald und Gabriele verschlägt. Hier kündigt sich schon die Katastrophe an, die bald eintreten wird... Text in neuer Rechtschreibung. – Mit Anmerkungen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 83

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Joseph von Eichendorff

Das Schloss Dürande

Novelle

Reclam

2004, 2008 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961500-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-018540-7

www.reclam.de

Inhalt

Das Schloss DürandeAnmerkungen

[3]In der schönen Provence liegt ein Tal zwischen waldigen Bergen, die Trümmer des alten Schlosses Dürande sehen über die Wipfel in die Einsamkeit herein; von der andern Seite erblickt man weit unten die Türme der Stadt Marseille; wenn die Luft von Mittag kommt, klingen bei klarem Wetter die Glocken herüber, sonst hört man nichts von der Welt. In diesem Tale stand ehemals ein kleines Jägerhaus, man sah’s vor Blüten kaum, so überwaldet war’s und weinumrankt bis an das Hirschgeweih über dem Eingang; in stillen Nächten, wenn der Mond hell schien, kam das Wild oft weidend, bis auf die Waldeswiese vor der Tür. Dort wohnte dazumal der Jäger Renald, im Dienst des alten Grafen Dürande, mit seiner jungen Schwester Gabriele ganz allein, denn Vater und Mutter waren lange gestorben.

In jener Zeit nun geschah es, dass Renald einmal an einem schwülen Sommerabend, rasch von den Bergen kommend, sich nicht weit von dem Jägerhaus mit seiner Flinte an den Saum des Waldes stellte. Der Mond beglänzte die Wälder, es war so unermesslich still, nur die Nachtigallen schlugen tiefer im Tal, manchmal hörte man einen Hund bellen aus den Dörfern oder den Schrei des Wildes im Walde. Aber er achtete nicht darauf, er hatte heut ein ganz anderes Wild auf dem Korn. Ein junger, fremder Mann, so hieß es, schleiche abends heimlich zu seiner Schwester, wenn er selber weit im Forst; ein alter Jäger hatte es ihm gestern vertraut, der wusste es vom Waldhüter, dem hatt’ es ein Köhler gesagt. Es war ihm ganz unglaublich, wie sollte sie zu der Bekanntschaft gelangt sein? Sie kam nur sonntags in die Kirche, wo er sie niemals aus den Augen verlor. Und doch wurmte ihn das Gerede, er konnte sich’s nicht aus dem Sinn schlagen, er wollte endlich Gewissheit haben. Denn der Vater hatte ihm, sterbend, das Mädchen auf die Seele gebunden, er hätte sein Herzblut gegeben für sie.

So drückte er sich lauernd an die Bäume im wechselnden Schatten, den die vorüberfliegenden Wolken über den stillen Grund warfen. Auf einmal aber hielt er den Atem [4]an, es regte sich am Hause und zwischen den Weinranken schlüpfte eine schlanke Gestalt hervor; er erkannte sogleich seine Schwester an dem leichten Gang; o mein Gott, dachte er, wenn alles nicht wahr wäre! Aber in demselben Augenblick streckte sich ein langer dunkler Schatten neben ihr über den mondbeschienenen Rasen, ein hoher Mann trat rasch aus dem Hause, dicht in einen schlechten grünen Mantel gewickelt, wie ein Jäger. Er konnte ihn nicht erkennen, auch sein Gang war ihm durchaus fremd; es flimmerte ihm vor den Augen, als könnte er sich in einem schwerem Traume noch nicht recht besinnen.

Das Mädchen aber, ohne sich umzusehen, sang mit fröhlicher Stimme, dass es dem Renald wie ein Messer durchs Herz ging:

 

Ein’ Gems auf dem Stein,

Ein Vogel im Flug,

Ein Mädel, das klug,

Kein Bursch holt die ein!

 

»Bist du toll!«, rief der Fremde, rasch hinzuspringend.

»Es ist dir schon recht«, entgegnete sie lachend, »so werd ich dir’s immer machen; wenn du nicht artig bist, sing ich aus Herzensgrund.« Sie wollte von neuem singen, er hielt ihr aber voll Angst mit der Hand den Mund zu. Da sie so nahe vor ihm stand, betrachtete sie ihn ernsthaft im Mondschein. »Du hast eigentlich recht falsche Augen«, sagte sie; »nein, bitte mich nicht wieder so schön, sonst sehn wir uns niemals wieder, und das tut uns beiden leid.« – »Herr Jesus!«, schrie sie auf einmal, denn sie sah plötzlich den Bruder hinterm Baum nach dem Fremden zielen. – Da, ohne sich zu besinnen, warf sie sich hastig dazwischen, so dass sie, den Fremden umklammernd, ihn ganz mit ihrem Leibe bedeckte. Renald zuckte, da er’s sah, aber es war zu spät, der Schuss fiel, dass es tief durch die [5]Nacht widerhallte. Der Unbekannte richtete sich in dieser Verwirrung hoch empor, als wär’ er plötzlich größer geworden, und riss zornig ein Taschenpistol aus dem Mantel; da kam ihm auf einmal das Mädchen so bleich vor, er wusste nicht, war es vom Mondlicht oder vor Schreck. »Um Gottes Willen«, sagte er, »bist du getroffen?«

»Nein, nein«, erwiderte Gabriele, ihm unversehens und herzhaft das Pistol aus der Hand windend, und drängte ihn heftig fort. »Dorthin«, flüsterte sie, »rechts über den Steg am Fels, nur fort, schnell fort!«

Der Fremde war schon zwischen den Bäumen verschwunden, als Renald zu ihr trat. »Was machst du da für dummes Zeug!«, rief sie ihm entgegen, und verbarg rasch Arm und Pistol unter der Schürze. Aber die Stimme versagte ihr, als er nun dicht vor ihr stand und sie sein bleiches Gesicht bemerkte. Er zitterte am ganzen Leibe und auf seiner Stirn zuckte es zuweilen, wie wenn es von ferne blitzte. Da gewahrte er plötzlich einen blutigen Streif an ihrem Kleide. »Du bist verwundet«, sagte er erschrocken, und doch war’s, als würde ihm wohler beim Anblick des Bluts; er wurde sichtbar milder und führte sie schweigend in das Haus. Dort pinkte er schnell Licht an, es fand sich, dass die Kugel ihr nur leicht den rechten Arm gestreift; er trocknete und verband die Wunde, sie sprachen beide kein Wort miteinander. Gabriele hielt den Arm fest hin und sah trotzig vor sich nieder, denn sie konnte gar nicht begreifen, warum er böse sei; sie fühlte sich so rein von aller Schuld, nur die Stille jetzt unter ihnen wollte ihr das Herz abdrücken, und sie atmete tief auf, als er endlich fragte: wer es gewesen? – Sie beteuerte nun, dass sie das nicht wisse, und erzählte, wie er an einem schönen Sonntagsabend, als sie eben allein vor der Tür gesessen, zum ersten Male von den Bergen gekommen und sich zu ihr gesetzt, und dann am folgenden Abend wieder und immer wieder gekommen, und wenn sie ihn fragte, wer er sei, nur lachend gesagt: ihr Liebster.

[6]Unterdes hatte Renald unruhig ein Tuch aufgehoben und das Pistol entdeckt, das sie darunter verborgen hatte. Er erschrak auf das Heftigste und betrachtete es dann aufmerksam von allen Seiten. – »Was hast du damit?«, sagte sie erstaunt; »wem gehört es?« Da hielt er’s ihr plötzlich funkelnd am Licht vor die Augen: »Und du kennst ihn wahrhaftig nicht?«

Sie schüttelte mit dem Kopf.

»Ich beschwöre dich bei allen Heiligen«, hub er wieder an, »sag mir die Wahrheit!«

Da wandte sie sich auf die andere Seite. »Du bist heute rasend«, erwiderte sie, »ich will dir gar keine Antwort mehr geben.«

Das schien ihm das Herz leichter zu machen, dass sie ihren Liebsten nicht kannte, er glaubte es ihr, denn sie hatte ihn noch niemals belogen. Er ging nun einige Mal finster in der Stube auf und nieder. »Gut, gut«, sagte er dann, »meine arme Gabriele, so musst du gleich morgen zu unserer Muhme ins Kloster; mach dich zurecht, morgen, ehe der Tag graut, führ ich dich hin.« Gabriele erschrak innerlichst, aber sie schwieg und dachte: kommt Tag, kommt Rat. Renald aber steckte das Pistol zu sich und sah noch einmal nach ihrer Wunde, dann küsste er sie noch herzlich zur guten Nacht.

Als sie endlich allein in ihrer Schlafkammer war, setzte sie sich angekleidet aufs Bett und versank in ein tiefes Nachsinnen. Der Mond schien durchs offne Fenster auf die Heiligenbilder an der Wand, im stillen Gärtchen draußen zitterten die Blätter in den Bäumen. Sie wand ihre Haarflechten auf, dass ihr die Locken über Gesicht und Achseln herabrollten, und dachte vergeblich nach, wen ihr Bruder eigentlich im Sinn habe und warum er vor dem Pistol so sehr erschrocken – es war ihr alles wie im Traume. Da kam es ihr ein paar Mal vor, als ginge draußen jemand sachte um’s Haus. Sie lauschte am Fenster, der Hund im Hofe schlug an, dann war alles wieder still. Jetzt [7]bemerkte sie erst, dass auch ihr Bruder noch wach war; anfangs glaubte sie, er rede im Schlaf, dann aber hörte sie deutlich, wie er auf seinem Bett vor Weinen schluchzte. Das wandte ihr das Herz, sie hatte ihn noch niemals weinen sehen, es war ihr nun selber, als hätte sie was verbrochen. In dieser Angst beschloss sie, ihm seinen Willen zu tun; sie wollte wirklich nach dem Kloster gehen, die Priorin war ihre Muhme, der wollte sie alles sagen und sie um ihren Rat bitten. Nur das war ihr unerträglich, dass ihr Liebster nicht wissen sollte, wohin sie gekommen. Sie wusste wohl, wie herzhaft er war und besorgt um sie; der Hund hatte vorhin gebellt, im Garten hatte es heimlich geraschelt wie Tritte, wer weiß, ob er nicht nachsehen wollte, wie es ihr ging nach dem Schrecken. – »Gott«, dachte sie, »wenn er noch draußen stünd’!« – Der Gedanke verhielt ihr fast den Atem. Sie schnürte sogleich eilig ihr Bündel, dann schrieb sie für ihren Bruder mit Kreide auf den Tisch, dass sie noch heute allein ins Kloster fortgegangen. Die Türen waren nur angelehnt, da schlich sie vorsichtig und leise aus der Kammer über den Hausflur in den Hof, der Hund sprang freundlich an ihr herauf, sie hatte Not, ihn am Pförtchen zurückzuweisen; so trat sie endlich mit klopfendem Herzen ins Freie.