Das schöne Fräulein Li - Peter Brock - E-Book

Das schöne Fräulein Li E-Book

Peter Brock

3,8

Beschreibung

Berlin 1922: Auf der Oberbaumbrücke wird die Leiche eines jungen Chinesen gefunden, der brutal zu Tode geprügelt wurde. Der anfangs nur wenig beachtete Fall gewinnt an Brisanz, als kurze Zeit später drei weitere Morde an Chinesen verübt werden, die in der Bevölkerung für Aufregung und Entrüstung sorgen. Kommissar Hermann Kappe begibt sich auf Spurensuche und wagt sich dabei in die exotische Welt der Berliner Chinesen vor, an deren Lebensart und Kultur er zunehmend Gefallen findet. Besonders fasziniert ist er von der Nichte eines chinesischen Großhändlers, der möglicherweise in die Mordserie verstrickt ist. Das bezaubernde Fräulein Li bringt sein bisheriges Leben gehörig ins Wanken.

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Peter Brock

Das schöne Fräulein Li

Kappes siebenter Fall

Kriminalroman

Peter Brock wurde 1966 in Pforzheim geboren, studierte in München Journalistik und lebt als Redakteur in Berlin. Er arbeitete unter anderem für die «Süddeutsche Zeitung» und den «Spiegel» und ist nun als stellvertretender Ressortleiter bei der «Berliner Zeitung» für Berlin und Brandenburg zuständig. Daneben veröffentlichte er Kurzgeschichten und gab einige Bände der Reihe «Berlin kompakt» beim Jaron Verlag heraus.

Originalausgabe

1. Auflage 2009

© 2009 Jaron Verlag GmbH, Berlin

1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin

Satz: LVD GmbH, Berlin

ISBN 9783955520069

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

Es geschah in Berlin…

EINS

VIELLEICHT HÄNGT ES MIT DER LANDSCHAFT ZUSAMMEN, denkt Kweihwa Li. Vielleicht wachsen deshalb keine Haare.

Draußen vor der Stadt, rings um die Dörfer, dort, wo die Wasserbüffel leben, stehen ja auch keine Bäume. Dort ist der Boden braun und feucht. Er schwitzt so wie er.

Erneut beobachtet Kweihwa Li, wie sich unter seiner goldbeigen Haut die Muskeln des Unterarms zusammenziehen. Gleich wird er sie wieder entspannen, denkt sie, wenn er die Hände öffnet. Zwei-, drei-, vier-, vielleicht fünfmal wird es noch so gehen, bevor er den Teigklumpen seiner Mutter aufs dunkel-speckige Holzbrett klatscht. Auch das ist feucht. Dann kümmert er sich um die nächste Ladung, während seine Mutter die kleinen halbmondförmigen Taschen mit gehacktem Fleisch füllt. Das kennt Kweihwa Li, sie achtet nicht darauf. Sie schaut wieder auf die männlichen Unterarme im Teig. Kein Härchen. Kein einziges. Dabei könnten darauf Hunderte, ach was, Tausende wachsen.

Ihre Schwester Lienhwa Li hat ihr das geschrieben. Sicher hat sie auch mal irgendeinem Mann über den Arm gestreichelt, wer weiß. Kweihwa kichert leise bei dieser Vorstellung.

Dort in dieser Welt, in der alles anders ist, ist sicher auch so etwas möglich. Dort wachsen ja auch viele Bäume rings um die Stadt, wie Lienhwa schrieb. So wie eben auch Haare auf den Unterarmen von Männern.

Gut, auch hier in China gibt es große Wälder, aber weiter weg, vor allem oben im Norden. Und in Shanghai natürlich, da gibt es viele große Europäer, sicher auch mit bewaldeter Haut. Aber hier in Qingtian in der südchinesischen Provinz Zhejiang, hier gibt es so etwas nicht.

Kweihwa Li wäre auch gerne einmal dort, wo Züge in der Erde unter Straßen und Häusern hindurchfahren, wo man allen Ernstes nur Kaltes zum Abendessen serviert bekommt und wo es Menschen gibt, die so groß sind wie der Kohleofen der Garküche, bei der Kweihwa Li gerade ansteht.

Berlin ist ein Abenteuer. Das steht fest. Und ihre Schwester darf es erleben.

Kweihwa Li ist nicht neidisch. Vielleicht, sofern sie nicht vorher heiratet, geht sie ja auch nach Shanghai wie ihre Schwester, die dort an der Tongji-Universität Medizin studierte und Deutsch lernte, bevor sie zum Studium anderer Wissensgebiete nach Deutschland zog. Ihr Onkel in Berlin hätte sicher auch für sie noch ein Zimmer.

Aber will sie das wirklich? Mit Messer und Gabel essen, mit großen blassen Frauen neben betrunkenen Männern stehen, sich bunte Bilder von fratzenhaften Krüppeln in Galerien ansehen und dann noch lächeln, so wie Lienhwa Li oft ihre Abende beschreibt, oder mit politisch engagierten Landsleuten über Kommunismus diskutieren, über den Versailler Vertrag, der Japan bevorzugt und ihm das ehemalige deutsche Pachtgebiet Qingdao zuspricht?

Ach, Kweihwa Li weiß es nicht. Eigentlich interessiert sie das alles nicht besonders. Aber sie ist ja auch nicht gefragt worden, ob sie in die große, weite Welt hinauswolle.

Wenn ihr Vater sie weiterhin nicht fragt, wird er anderes mit ihr vorhaben und jemanden für sie finden, jemanden, der gut passt– zu ihr und zu seinem Teegeschäft.

Dann wird sie eben hierbleiben und weiterhin für ihre Schwester einkaufen und Pakete packen. Getrocknete Pinggu-Pilze und kleine getrocknete Fischchen muss sie nachher noch einkaufen und zu Hause ihren Lieblingstee sowie ein bisschen von dem weißen Yin Zhen einpacken.

Die Blassen und Behaarten trinken ja, wenn überhaupt, ganz anderen Tee, hat ihre Schwester geschrieben, gar keinen grünen, sondern schwarzen, der aus Indien kommt. Manchmal sogar mit Milch.

Ein wenig Mitleid hat sie schon mit ihr. Deshalb wird Kweihwa Li, wenn sie nun endlich diese gefüllten Teigtäschchen fürs Abendessen in ihren Blechbüchsen verstaut hat, noch geschwind bei ihrem anderen Onkel vorbeigehen, dem Steinschnitzer, und eine schöne Kleinigkeit für Lienhwa aussuchen.

Sicher, alle ihre Landsleute verkaufen in Berlin Steinfiguren -

davon lebt der Onkel dort ja auch ganz gut –, aber es ist etwas anderes, wenn solch eine Figur von der Schwester kommt und aus Jade gefertigt wurde statt aus billigem Speckstein. Die Deutschen, hat ihr Lienhwa Li einmal geschrieben, erkennen den Unterschied ebenso wenig wie den zwischen Chinesen und Japanern. Für die seien eben alle Asiaten und alle blassgrünen Steine Jade. Komische Menschen!

ZWEI

EIN ABGERISSENER KNOPF DES WINTERMANTELS wird es sein, denkt Hermann Kappe. So genau hat er auch gar nicht hinschauen wollen. Schließlich hat er an diesem Abend schon genug gequirltes Blut gesehen. Es gab Tote Oma. Allein das kann einen erschaudern lassen. Immer, wenn seine Oma in Wendisch-Rietz solche Topfwurst servierte, hat er den Kasper gespielt, damit er vom Tisch verwiesen wurde. Aber inzwischen ist er fast 34 Jahre alt und isst so etwas ganz gern.

Klara kocht Tote Oma fast so gut wie damals seine Oma. Inzwischen weiß er, dass solche Qualitäten kittend für eine Beziehung wirken können, besonders nach dem zweiten Kind. Er versucht in jüngster Zeit immer öfter, sich das vorzusagen: Sie kocht gut, sie kümmert sich bestens um Margarete und Hartmut, sie ist eine Ordentliche, eine Zuverlässige, eine Liebe. Und das genügt, das reicht, das ist alles, was man will, und alles, was man braucht. Kappe redet sich das krampfhaft ein, morgens beim Zähneputzen und abends beim Gutenachtkuss. Denn etwas in seinem Körper signalisiert ihm, dass es eben nicht mehr so ist. Dass das nicht reicht – nicht mehr.

Früher gab es eine Zeit, da genügte ein Blick, eine Umarmung, und er wusste, Klara, die, nach der sich andere Männer umschauten, ist die Richtige für ihn, der Hauptgewinn.

Aber diese Zeiten sind vorbei. Und wenn das Sich-selbst-gut-Zureden nicht mehr hilft, so helfen doch wenigstens noch immer zwei, drei Flaschen Bötzow – Kappes Lieblingsbier. Schließlich muss es irgendwie weitergehen mit ihm und Klara. Doch an diesem Abend hat er nicht einmal die erste Flasche leeren können, da schellte es schon. Er musste mitkommen. Der Schutzpolizist hat ihm aufgeregt von dem Mord auf der Oberbaumbrücke berichtet. Der Einsatz dulde keinen Aufschub.

Es ist kalt, sehr kalt an diesem 4. Februar, und die Straßenbahn, mit der Kappe so gerne vom Mariannenplatz aus fährt, können sie nicht nehmen, weil sie stillsteht. Die städtischen Arbeiter streiken mal wieder für mehr Lohn. Immerhin verkehrt die Hochbahn noch. Und vom Görlitzer Bahnhof aus ist es ja nur eine Station.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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