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Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein fantastischer Roman rund um König Artus und seine Tafelrunde.
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Seitenzahl: 350
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Das schwebende Schachbrett
Inhalt:
Louis Couperus – Biografie und Bibliografie
Das schwebende Schachbrett
Vorwort
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XVIII
Kapitel XIX
Kapitel XX
Kapitel XXI
Kapitel XXII
Kapitel XXIII
Kapitel XXIV
Kapitel XXV
Kapitel XXVI
Kapitel XXVII
Kapitel XXVIII
Kapitel XXIX
Kapitel XXX
Kapitel XXXI
Kapitel XXXII
Kapitel XXXIII
Kapitel XXXIV
Kapitel XXXV
Das schwebende Schachbrett, Louis Couperus
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849603564
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Der bedeutendste niederländ. Romanschriftsteller des ausgehenden 19. Jahrhunderts, geb. 10. Juni 1863 im Haag, verstorben am 16. Juli 1923 in De Steeg. Verlebte seine Jugend in Batavia und kehrte dann nach Holland zurück, wo er mit 20 Jahren seine erste Gedichtsammlung: »Een Leut van Vaerzen«, veröffentlichte, der er 1887 eine zweite: »Orchideen«, folgen ließ. Später wandte er sich ganz der Romandichtung zu, seitdem sein erster Roman: »Eline Vere« (1889, 4. Aufl. 1898), der mit kecken Strichen ein Bild des gesellschaftlichen Lebens im Haag entwirft, einen durchschlagenden Erfolg hatte. Ungleich höher stehen seine folgenden Werke: der Roman »Noodlot« (1890, 3. Aufl. 1899; deutsch: »Schicksal«, Stuttg. 1892), die Novelle »Extaze« (1891; deutsch, das. 1895) und die Novellensammlung »Eene Illuzie« (»Eine Illusion«, 1892; z. T. deutsch von E. Otten: »Novellen«, Berl. 1897, 2 Bde.). Dann folgten die Romane »Majesteit« (1893) und »Wereldvrede« (1894; beide deutsch von Raché, Dresd. 1895), »Metamorfoze« (1897), die Märchendichtungen »Psyche« (1897) und »Fidessa« (1899) und weiter die Romane »De stille Kracht« (1899; deutsch, Dresd. 1902), »Langs lijnen van Geleideljjkheid« (I899), »Kleine Zielen« (1901).
In den meisten Fällen stimmt das Wort, das dem eigentlichen Werke vorangeht, den Leser mißmutig, der im allgemeinen jeder Vorrede abhold zu sein pflegt. Ich als Schriftsteller schwärme auch nicht dafür, aber in diesem besonderen Falle bin ich der Ansicht, daß meinem "Schwebenden Schachbrette" ein paar einleitende Bemerkungen von einigem Nutzen sein dürften und hoffe darum, daß der Leser sie nicht so unbeachtet lassen wird, wie ich selber – zu meiner Schande muß ich es gestehen – so manches Vorwort unbeachtet ließ. Denn um für den Abenteuerroman vom "Schwebenden Schachbrett" die rechte Stimmung zu finden, ist es zwar durchaus nicht erforderlich, daß der Leser alle mittelalterlichen Geschichten von Artur und seiner Tafelrunde kennt. Wohl aber hält es der Autor für seine Pflicht, ihn wenigstens im großen Umriß über die Atmosphäre aufzuklären, die dieses "Schwebende Schachbrett" umgibt.
Wir wollen uns daher einen Augenblick daran erinnern, daß nach den großartigen, aber oftmals etwas derben mittelalterlichen Versen, die nach dem Tode Karls des Großen die Taten der tapferen Pairs des gewaltigen Kaisers besangen und für welche die Chanson de Roland ein prächtiges Beispiel ist, ein neues Ideal entsteht: für die Ritterschaft und für die Literatur, die sie besingt. Die Kreuzfahrer haben Jerusalem erobert, sie haben den Orient kennengelernt, sie sind mit ungeheuren Schätzen sowohl von materiellem Wert, wie auch von orientalischer Poesie in ihre Heimat zurückgekehrt, und völlig neue Ideen und Ideale schweben nun vor ihrer verfeinerten Seele. Ihr ritterlicher Geist ist nicht mehr einzig beseelt von dem Drange, mächtig und tapfer zu sein und allüberall zu herrschen. Man möchte sagen: während in den Karl-Romanen einem französisch-germanischen Ideal der Macht und der Kraft naiv gehuldigt wurde, schwebt in den Artur-Romanen als Folge der neuen Kultur den Rittern sowohl wie ihren Sängern ein durchaus lateinisches Ideal der "hoeveschheit" vor. Es ist sehr kompliziert, und mancherlei ist darin miteinander vermischt. Zuvörderst gilt noch die alte blinde Treue, die den Vasallen an seinen Lehnsherrn, den Ritter an seinen König bindet; später zeigt sie sich in der Form ehrfurchtsvoller Huldigung, die dieser selbe Ritter den Frauen darbringt. In den Karls-Sagen und Karls-Romanen war für die Frau und ihre zarte Weiblichkeit nur wenig Raum: allenfalls bekam sie von einem wütenden, ingrimmigen ritterlichen Gemahl einmal einen Faustschlag ins Gesicht, oder sie wurde, wenn es angebracht erschien, an den Haaren über den Boden geschleift. Das alles hat sich bald völlig verändert. Wenn es später noch ab und zu vorkommt, daß sich ein Ritter an einer Frau vergreift, so gilt er dafür als Bösewicht und Schurke, und jeder rechte höfische Mann wird sofort für die gekränkte Frau eintreten und gern sein Herzblut vergießen, um sie zu erlösen oder zu rächen. Und die schönste, höchst verehrte aller Frauen ist die heilige Jungfrau: ihr gilt des Ritters innigste Huldigung, und für sie wählt der Dichter, der sie besingt, seine ehrfurchtvollsten, zugleich aber auch galantesten Worte und kunstvollsten Gleichnisse.
Ein neues Element in den Artur-Romanen bilden Magie und Zauberei. Keltische und wallisische Sagen, aus denen sie sich aufbauen, umweben ja eine historische Figur, den letzten Britenkönig Artur, und sind voll von Erinnerungen an wunderreiche Haine, Druiden-Mysterien, an frühere Jahrhunderte, darin ein seltsam finsteres, halb heidnisches, halb christliches Element sich in einer Natur offenbarte, die mit schweren Wolken, ewigen Winden und geheimnisvollen Wäldern und Wildnissen die Bewohner von Wallis, Britannien und Nordfrankreich umgab. Die Zeiten haben sich nun geändert. Der Ritter, der aus dem Heiligen Lande wiederkehrt, genießt in seinem Schlosse mit verfeinerten Sinnen einen feineren Luxus, nachdem er sich draußen in der Welt eine umfassendere Anschauung von Menschen und Dingen erworben hat. Er wünscht etwas über "sa propre vie en beau" zu erfahren, wie Taine sich ausdrückt, und der Dichter erfindet für ihn den neuen Ritterroman. Der Spielmann trägt ihn im Burgsaale vor, und an besonders charakteristischen Stellen begleitet seiner Fiedel Klang die epische Erzählung. Wie bezaubert lauschen die Edelfrauen diesem neuen Lied, darin sie so gewonnen haben und das in ihr nicht immer vergnügliches Burgleben einen neuen Reiz bringt. Der Ritter erkennt in der "chanson de geste", wie der Roman heißt, seine eigenen, allerdings stark ausgeschmückten Erlebnisse wieder. Er kämpft mit Drachen, und wohl hundert Feinde erschlägt er allein in einer einzigen Stunde. Er zieht hinaus und nimmt den Kampf mit Riesen und noch fürchterlicheren Riesinnen auf. Und ganz besonders behagt es, von seltsam heiligen Zauberdingen voll geheimnisvoller Magie zu hören: von dem Heiligen Gral, zu dem die Ritter der Tafelrunde pilgern, von dem Speer des Longinus, der Gottes Sohn am Kreuz ins Herz traf und seither blutend durch die Lüfte schwebt.
Es ist merkwürdig, wie in diesen gereimten Ritterromanen die Magie einer gewissen verfeinerten Mechanik verwandt ist, mit der geschickte Magister okkulter Wissenschaften in dem nach der entnervenden Überkultur der Antike von neuem naiv gewordenen frühesten Mittelalter auf einfache wie auch auf ritterliche Geister Eindruck zu machen verstanden. So hat man die Zauberphantasien, die von einem Jungbrunnen wissen wollen, die Wunderbäume aus Gold, auf denen goldene Vögelchen singen und unzählige andere Erscheinungen oft nur als mehr oder weniger effektvolle komplizierte mechanische Schöpfungen aufzufassen, um die des Sängers Wort dichterischen Schleier webt, ohne dem Leser zu verraten, daß der goldene Wunderbaum mit den goldenen Vögelchen hohl ist und über einem Gewölbe steht, in dem sechzehn Männer mit acht Blasebälgen künstlichen Wind erzeugen, um die Vögel zum Singen zu bringen ...
In diese seltsame, unwirkliche, ritterliche, naiv-zauberhafte Atmosphäre – und in die Zeit etwa des elften Jahrhunderts, kurz vor der Gotik – wünscht der Dichter sich aus der Wirklichkeit seines eigenen Jahrhunderts zu flüchten, und er fordert den Leser auf, ihn zu begleiten.
Und so mögen nun die Wolken weichen, die die ritterliche Tafelrunde noch den Blicken der Gegenwart verbergen, und das Schachbrett möge daherschweben, das der wackere Held Gawein suchen und finden und seinem Herrn und König bringen soll!
In jenen zauberhaften Zeiten, als Schachbretter durch die Wolken schwebten, mag Logres wohl in England gelegen haben, vielleicht war es in Wallis zu finden. Es kann aber auch ebensogut irgendwo anders gewesen sein. Jedenfalls ist es wohl recht schwer, heute Gewißheit darüber zu gewinnen.
Dazumal war Logres ein seltsames Land; es hatte keine Städte, keine Dörfer: nur Wälder und Burgen; "Volk" gab es auch nicht: nur Ritter, die ihrem König Artur dienten, und diese Ritter hatten Schildknappen und Edelknaben. Und dann gab es Zauberer. Und die Ritter und die Zauberer bewohnten die Burgen – und in den Wäldern hausten Drachen und andere Ungeheuer. Nur hin und wieder ritt einmal eine Jungfrau auf einem weißen Zelter durch diese Wälder – ganz allein, ganz einsam –, und die wurde dann von einem Zauberer verzaubert – oder beinahe von einem Drachen verschlungen –, dann aber stets wieder von dem tapfersten dieser tapferen Ritter erlöst: so schickte es sich ganz von selber.
Und nun erst das starke Land Logres mit seinen Wäldern und Burgen vor uns aufgetaucht ist, nun sehen wir auch deutlicher, wie sich aus dem dunklen Nebel die Burg Camelot heraushebt, wo König Artur in Friedenszeiten weilt: und ob es schon keine Städte im Lande Logres gibt, so ist doch diese Burg selber beinahe so groß wie eine Stadt. Starke Mauern umschließen sie, und zwischen zweien ist immer ein tiefer Wassergraben. Und viele Türme recken sich weitausschauend über die Ebene, um die Burg, heben sich aus dem Kranze der Zinnen, die so schön romantisch und so schön romanisch viereckig gegen den merkwürdig blauen Himmel stehen; – wie starke Zähne sehen sie aus. Der Himmel ist dunkelblau und hat einen feuerroten Saum – vielleicht kommt er vom Sonnenaufgang, vielleicht vom Sonnenuntergang, vielleicht auch vom Feueratem der Drachen.
Und nun, da auch die Burg Camelot deutlicher vor unserer schauenden Phantasie liegt, nun sehen wir den großen Saal – gleichfalls romantisch und romanisch –, in dem König Artur mit den Rittern an der Tafelrunde sitzt: rund ist er, wie die Tafel selber, und ringsum ziehen sich runde romanische Bogen, und durch sie wogt der von Vogelstimmen erfüllte Sommermorgen aus den duftenden Obstgärten herein, deren Bäume voller Blüten stehen. Und der große runde Saal ist erleuchtet, und auf den vielen Bildern, die ringsum hängen, sind die unzähligen Heldentaten zu schauen, wie sie die Ritter der Tafelrunde vor einem Jahrzehnt zu Ehren ihres Königs Artur vollbracht haben, der über dem Lande von Logres herrscht.
Am besten Platz der runden Tafel thront der König auf seinem Sessel, und um ihn sitzen die elf Ritter der Tafelrunde. Sie schweigen. Es scheint, als ob der König etwas erwarte, und als ob die Ritter um ihn her sich an diesem Morgen mehr langweilten denn sonst. Der zwölfte Platz, zur Rechten des Königs, ist leer. Sonst nahm Lancelot ihn ein. Allein der Freund der Königin wandelt mit der goldblonden Ginevra in leidvoller Minnelust durch die Haine voll blühender Obstbäume. Immer wieder erscheinen und entschwinden sie zwischen den blütenübersäten Zweigen hinter dem Rücken des Königs, und wenn die Ritter von der Tafel verstohlen zu dem Liebespaar hinüberblicken, sehen sie die beiden zwischen den romanischen Bogen immer wieder auftauchen. Sie lieben einander schon mehr denn zehn Jahre, der Ritter Lancelot und die Königin Ginevra. Und ihre Liebe ist wie eine glückliche und freudvolle Ehe, allen den Rittern wohl bekannt und wohl auch dem König selber, der Lancelot als seinen allertapfersten Ritter inniglich liebt.
König Artur sitzt auf seinem Throne, und sein greises Antlitz ist voller Sorge unter der Krone, die auf seinen Locken ruht. Gleichfalls lang und grau wippt sein Bart hin und wieder auf und ab: das geschieht dann, wenn König Artur, der immer wartet (während den elf Rittern die Zeit so lang wird, daß sie abwechselnd hinter den vorgehaltenen Händen gähnen), mit seinem guten, alten zahnlosen Munde vor sich hinmurmelt. Das Antlitz des Königs gleicht einem verwitterten Pergament, das von einem gelehrten Schreiber mit unzähligen Schriftzeichen in roter Tinte bemalt ward: so wirken die Äderchen, die zwischen den Runzeln aufgesprungen sind, wie rote Quellen. Wie der Treff- oder Pique- oder Karokönig – denn dem Cœurkönig wagen wir ihn nicht zu vergleichen – trägt König Artur einen Schulterkragen aus Hermelin über einem roten Samtmantel. Was aber unter diesem Mantel ist, das ist schwer zu erkennen, weil seine Falten und das Gewoge seines Bartes es verbergen. Mantel wie Bart, insonders über dem Hermelinkragen, scheinen unter Motten gelitten zu haben, doch gerade dieses etwas Vermottete und Verwitterte verleiht der Herrscherherrlichkeit des König Artur etwas so unsagbar Rührendes, das einen zwingt, dem alten Mann mit dem runzligen Antlitz und den zitternden, großen, reich geäderten Händen zugetan zu sein. Seine Ritter sind ihm auch alle wohlgeneigt, und nicht zum mindesten Lancelot, der immer wieder mit der Königin in verliebter Zwiesprach durch den Blumenhain wandelt. Auch die allzeit jugendliche Ginevra, der "Urquell aller Schönheit", hat, wenngleich sie schon seit zehn Jahren die Freundin Lancelots ist, ihren Gemahl doch lieb – wenn auch nur so, wie sie etwa ihren Großvater lieb haben würde.
Neben König Artur, an seiner Linken – vergesset nicht, daß ihm zur Rechten Lancelots leerer Sessel steht! – sitzt Gawein, gleich Lancelot einer der Tapfersten, ja selber vielleicht der Allertapferste: trägt er doch den Beinamen "Vater der Aventiuren", wiewohl er kaum mehr Jahre zählt als irgendein anderer im Kreise jener Ritter – und die Zahl ihrer Lebensjahre geht bei den meisten von ihnen nicht über dreißig! – Dennoch erscheint Gawein als der älteste von allen, als der ernsteste und wackerste dieser edlen Degen. Wenngleich auch er hin und wieder hinter der vorgehaltenen Hand gähnt, so geschieht das viel eher aus Mangel an ritterlicher Tätigkeit denn aus leichtfertigem Sichgehenlassen.
Denn Gawein fühlt mit König Artur, fühlt seine Sorge mit ihm ...
Weil nun bereits zehn lange Jahre kein Abenteuer mehr Stoff zum Reden gab.
Steht denn die Welt still? Brüten denn die Drachen in den Wäldern des Landes Logres keine Jungen mehr aus? Reiten denn keine bedrängten Jungfrauen mehr auf weißen Zeltern durch diese nämlichen Wälder? Muß keine böse Untugend mehr bestraft werden? Und sind keine aufregenden Heldentaten mehr zu vollbringen? Nun der Gral gefunden ist und vom Ritter Parzival in der Burg von Montsalvat bewacht wird: – wird denn da nicht zum mindesten einmal wieder ein Schachbrett durch die Lüfte fliegen? Ja, Gawein, der da an der Seite des Königs sitzt, erinnert sich sehr wohl des schwebenden Schachbrettes: es kam, auf sommerlicher Brise sich wiegend, dahergeschwebt ... vor zehn Jahren.
"Erinnert Ihr Euch, mein Fürst?" fragt Gawein den König, der seiner Mutter Bruder ist.
"Meiner Treu, ich erinnere mich, Gawein, mein lieber Neffe und tapferer Held", murmelt Artur, und sein Bart wippt auf und nieder, wie der Bühnenbart einer Maske. "Es kam hereingeschwebt und ließ sich hier vor mir nieder ..."
Der König schlägt mit der flachen Hand auf die Jaspisplatte der Tafel. Der Schlag dröhnt durch den Saal und hallt durch das Gezwitscher der Vögel hindurch wider. Die zehn anderen gähnenden Ritter schrecken jäh empor. Ginevra und Lancelot halten in ihrem verliebten Wandel inne.
"Was gibt es?" fragt Lancelot den Riesen Bohort, der Gawein zunächst sitzt.
"Was ist ihm?" murmelt die Königin Ginevra Ywein dem Stotterer zu, der seinen Platz neben Lancelots leerem Sessel hat.
"Es ggg ... ibt nnnn ... ichts", stottert Ywein der fragenden Fürstin als Antwort zu.
"Nichts", ruft der riesige Bohort mit seiner tiefen Baßstimme Lancelot zu.
"Das Schachbrett", fährt der König sinnend fort, "hatte Felder aus Chrysopas und Achat, sieben Felder mal acht ..."
"Die Figuren", sagt Gawein grübelnd, "waren aus rotem Golde und aus weißem Silber getrieben."
"Sie standen in Reihen geordnet."
"Für eine Partie, traun!"
"Ich tat einen Zug", erinnert sich Artur.
"Unsichtbare Hand führte das Gegenspiel", sagt sinnend Gawein. "›König!‹ rief warnend mein Herr ..."
"Dann ...?"
"Dann ... schwebte bei diesem Wort das Schachbrett davon ..."
"Bevor ich des unsichtbaren Spielers König mattsetzte."
"Meinem Fürsten träumte in jener Nacht ..."
"Daß die Partie vollendet werden müsse, wenn ich nicht meiner Krone verlustig gehen wollte."
"Bei Jesus Christ von Nazareth", ruft Gawein beseligt und jauchzend aus, und die übrigen Ritter schrecken auf, "ich suchte und fand für Euch, mein Fürst, das schwebende Schachbrett ..."
"Ich spielte weiter."
"Ihr gewannet!"
"Das Schachbrett verschwand – es schwebte schwankend davon wie ein abgeschossener Vogel!"
"Ihr aber herrschtet weiter über das Land Logres! Und ich, mein König, ich gewann nach mancherlei Aventiuren meine schöne Ysabel!"
Der König schlägt auf den Tisch, das Echo zieht sich an den Wänden des runden Saales entlang und vermengt sich mit dem Gezwitscher der Vögel draußen. Aber niemand erschrickt mehr. Draußen weht um das engelsschöne blonde Haupt des Lancelot der Schleier der Königin gleich einem Nebel, der ihren Kuß vor den allzeit verstohlen hinschauenden Augen der Ritter verbirgt.
"Wahrlich", sagte der König. "Und seither ..."
"Seither, o weh, o Jammer, mein Fürst ..."
"Begab sich keinerlei Abenteuer wieder."
"Zehn Jahre ist es her, bei Sankt Michael", besinnt sich Gawein. "Und niemals setzten wir uns sonst zu Tische, ohne daß uns ein Abenteuer kund ward!"
"Seither", spricht klagend der König, "schlichen die Jahre träge dahin, und wir lebten in müßigem Frieden!"
"Abend für Abend."
"Und nie mehr kam Kunde von einer bedrängten Jungfrau, die es zu retten galt ...?"
"Nie mehr, nie mehr!"
"Und niemals mehr hörte man von einem Drachen, der die allzeit unsicheren Wälder von Logres noch unsicherer machte?"
"Nie und nimmer! Weh, nie und nimmer!"
"Schwebte nie wieder ein blutiger Speer, ein heiliges Gefäß, ein verzaubertes Schachbrett durch die Lüfte, um dessentwillen ein wackerer Degen ausziehen mußte?"
"Kein Speer, kein heilig Gefäß, nicht einmal ein Schachbrett, mein Fürst – und meine Ysabel, wehe, sie starb mir!"
"Ich warte, ich warte", spricht klagend der König, und das alte Haupt sinkt auf seinen wippenden Bart, auf seines Mantels Kragen aus Hermelin.
Die Königin Ginevra nähert sich ihm liebevoll.
"Großväterchen", spricht artig der ›Urquell aller Schönheit‹ und die Stimme klingt wie das Gemurmel eines Bächleins, während sie ihrem Gemahl die weißen Händchen auf die hermelinbedeckten Schultern legt. "Großväterchen, seid nicht traurig, wenn sich auch heute kein Abenteuer anzeigt. Sehet, der Tag ist so wundervoll im hellen Sonnenschein. Die Apfelblüten sind wie ein verheißungsvolles Wunder. Die Vöglein zwitschern beinahe so selig wie die goldenen Vögel, die Merlin für mich auf den Zweigen des Wunderbaumes in meinem Lustgärtlein singen läßt. Und ich wünschte, daß Ihr die holde Lenzluft in vollen Zügen tränket, anstatt hier allzeit an dieser runden Tafel zu sitzen, bis Ihr von einem Abenteuer vernehmt! Großväterchen, tut mir's zu Willen: stehet auf und kommt und wandelt mit Eurer Ginevra einher, die Euch lieb hat, und mit Lancelot, der Euch auch so zugetan ist!"
Und die Königin neigt sich zur einen, Lancelot zur anderen Seite über des Königs Schulter. Der läßt seinen Blick vom einen zur anderen gehen. Sie sind beide so schön und strahlen vor Liebe. Er so blond und so stark, sie so blond und so anmutig. Er so stattlich in seinem Wams aus gelb und schwarzem Sammet, das sich so eng um den hochgewachsenen Heldenleib schmiegt. Sie so zart in ihrem Gewände aus Goldgewebe, das von schmalen Hermelinstreifen umsäumt ist, derweil ihr Haar wie Goldgespinst durch die Maschen des runden Netzes leuchtet, das mit roten Rubinen besetzt ist, und dann in vier mit Rubinen durchflochtenen Flechten auf ihre mädchenhaften Schultern und ihre jungfräulichen Brüste herabfällt. Und der König freut sich an der Schönheit der beiden. Er erhebt sich getrost und spricht:
"Selbst wenn keines Abenteuers Kunde zu uns dringt, ist ein Tag doch schön, den Lenz und Liebe vergolden."
Gawein hat sich erhoben; voll Wehmut gedenkt er seiner Isabella, die dahingegangen ist, während er dem König folgt, der davonschreitet, einen Arm um Ginevra geschlungen, den anderen um Lancelot ... sinnend folgt er und traurig darob, daß ein Abenteuer nun schon die zehn langen Jahre auf sich warten läßt ...
Die anderen zehn Ritter aber recken sich nun mit lautem Gähnen und Dehnen in ihren Sesseln um die runde Tafel aus Jaspis und stehen dann auch auf. Dabei tun sie dem König seinen Handschlag auf die Tafel nach, bis die hallenden Echos dicht aufeinanderfolgend von den Wänden des reich bemalten runden Saales widerklingen.
Die zehn Ritter der Tafelrunde trugen gleich Gawein, der sich ebensosehr wie der König nach Abenteuern sehnte, und gleich Lancelot, der niemals nach anderem als nach Ginevra Verlangen trug, schöne, volltönende Namen von keltischem Klang. Bohort: das war der Riese mit der Baßstimme, und nächst diesem will ich Agloval und Sagremort, Gwinebant und Galehot, Didonel und Mordred, Hestor und Melegant rühmen. Und wenn sie hin und wieder einander riefen oder bei ihren klangvollen Namen nannten, diese Ritter: "Hei, Galehot! Ha, Gwinebant! So höre doch, Sagremort! Held Agloval! Willkommen, Melegant, und du, tapferer Degen Hestor! Didonel und Mordred, Gott zum Gruße! Ywein und Bohort, seid gegrüßt, ihr Helden ...", dann dröhnte von den Wänden der Burgsäle, die mit Abbildern von Heldentaten dieser nämlichen Ritter geschmückt waren, der Schall dieser uralten keltischen Adelsnamen in tausendfachem Echo, und es war, als ob ein Donner unter den niedrigen Gewölben und an den plumpen breiten Pfeilern entlangrollte.
Noch ein anderer Ritter war da, der aber niemals mit an der Tafel saß; Keye hieß er. Keye ... das gab keinen guten Klang unter den übrigen keltischen sonoren Namen. Keye ... das klang hinterlistig und giftig, das war wie der Stich einer Wespe inmitten des rollenden Donners: Keye ... da, da hast du wieder einen unsanften Stich; Keye ... so ganz unversehens; Keye ... nur einen Mückenstich: Keye ... Als nun der König, der Ginevra und Lancelot zärtlich umschlungen hielt, zusamt dem wackeren Gawein durch den Hain davonschritt, trat Keye von der Seite auf und blickte verstohlen und spöttisch, als hätte er einen bösen Scherz auf den Lippen, den vier edlen Gestalten nach. Er schielte ein wenig auf einem Auge, er hinkte ein wenig auf einem Bein. Sein einer Arm war – wenngleich auch nur ein wenig – kürzer als der andere. Er hätte des Königs Milchbruder sein können, allein er war es nicht geworden, denn seine Mutter hatte ihn entwöhnt, um König Artur zu nähren. Später wurde er zum Seneschall ernannt und trug stets einen Schlüsselbund im Gürtel. Und war Artur ein majestätischer König geworden, so war Keye, der niemals eine Heldentat vollbracht, niemals Abenteuer bestanden und niemals Liebe genossen hatte, ein tückischer Kobold geworden, ein bösartiger Gnom, der nur spottete, immer spottete, so wie er auch nun hinter den vieren herspottete, während er seinen grauen, struppigen Zwergenkopf schüttelte.
"Schau, schau! Was für einträchtiges Beieinander! Was für eine gute Familie! Gott schütze sie! Sagt, ihr Ritter, wer sind denn sie? Ein Vater mit seinem Töchterchen und seinem Schwiegersohn, deucht mich? Schildknappe dahinter? O nein; bei allen Engeln im Himmel! Das ist ja der fürtreffliche Held Gawein, der allertapferste auch bei den Damen! Und zwischen Ginevras Frauenrücken und Lancelots Männerrücken sehe ich den roten Mantelrücken unseres Königs! Ich kann nicht so gut Rücken unterscheiden, wie ihr tapferen Ritter es sicherlich vermögt: denn da ihr alle die Tapfersten seid, so werdet ihr doch wohl gelegentlich alle einmal die Rücken Fliehender vor euch gesehen haben!"
Und Keye lachte grinsend, die Ritter aber, die noch immer gähnten und sich reckten, blickten ihn unwirsch von der Seite an.
Da nahm der alte Keye zwei Bälle und spielte ganz allein Ball in dem Garten. Und ob er gleich hinkte, so war er doch geschmeidig, und ob er gleich schielte, so verfehlte er nicht ein einziges Mal einen der Bälle, die er abwechselnd und unter seinen Armen hindurch auffing.
"Eines schönen Tages, das walte Gott, drehe ich ihm doch noch den Hals um", sagte Bohort. "So zwischen meinen beiden Fäusten: Krrk!"
Und Bohort machte mit seinen Riesenfäusten eine Gebärde, als ob er eine Kehle umspanne und zudrücke.
Die zehn Ritter traten schwerfällig aus der Saalpforte hinaus. Sie kamen auf den offenen Burghof und setzten sich auf die runde Marmorbank unter einem breitästigen Kastanienbaum, der unzählige Blütenkerzen angezündet hatte. Sie alle ließen sich nieder und streckten die mächtigen Beine weit von sich, und hin und wieder gähnte einer noch einmal.
"Himmlische Güte, die Zeit wird einem höllisch lang in Camelot", meinte Galehot und gähnte. Vor zehn Jahren hatte er drei Drachen erschlagen und zwei Jungfrauen aus Zauberschlössern befreit. Und wenn er nicht gerade gähnte, so lächelte er immer anmutig, so oft von Jungfrauen und Drachen die Rede war ...
"Verlangt's dich nach deinem vierten Drachen, Galehot?" fragte Gwinebant, der Jüngste und Schönste von allen. Er war der Neffe der Königin, war ebenso blond wie sie und hatte noch in sehr jungen Tagen, achtzehnjährig, gemeinsam mit Sagremort und Agloval einst Lancelot aus dem Tal des tollen Tanzes erlöst. Aus dem Tal, darin jeder, der hineingeraten war, weitertanzen mußte, bis er tot zusammenbrach.
"Nein", sagte Galehot, "bei Sankt Michael, das nicht, Gwinebant: einen Drachen zu töten ist, unter uns, doch nicht eine gar so große Heldentat."
"Das Untier speit doch aber, weiß Gott, Feuer", meinte Sagremort zweifelnd und runzelte die Brauen.
"Der Riese, den du, Sagremort, mit einem Hieb erschlagen hast, war sicherlich ein gewaltigerer Gegner als meine drei Drachen", entgegnete ihm Galehot.
"Fürwahr", bestätigte der kleine, aber tapfere Melegant, der wohl auch schon ein paar Drachen getötet hatte, "Galehot hat recht."
Bescheidentlich erklärte Hestor: "Ich habe nur, ohne irgendwelchen Beistand, zehn schurkische Ritter, einen nach dem anderen, in das Gras beißen lassen und ein paar entführte Damoicelen befreit, doch eines Drachens bin ich noch nie gewahr worden."
"Ein Drache ist ja durch einen einzigen Stich in den Bauch schon tödlich verwundet", meinte Galehot geringschätzig.
"Speit denn nun das Untier Feuer und Flammen, oder nicht?" fragte Sagremort und runzelte noch immer die Brauen. "Das ist hier die Frage."
"Wenn es einen anbleckt, versengt sein Atem nicht einmal. Es ist nur ein Fauchen, das etwas nach Schwefel stinkt."
Hierüber mußte Agloval laut lachen. Das tat er gerne, auch wenn es nicht angebracht war. Und immer noch lachend, obwohl der Gegenstand des Gespräches doch sehr ernst war, sagte er:
"Man könnte doch aber ersticken, wenn der Drache faucht und die Luft um einen her verpestet?"
"Oder der ganze Wald könnte in Brand geraten", versicherte Didonel ärgerlich. "Helfe mir Sankt Michael!"
"Oder es könnte ein Erdbeben entstehen, und die Stürme könnten sich erheben, wenn das Untier aus seiner Höhle herauskommt", meinte Mordred verstimmt. Ihn und Didonel, die Drachen bekämpft, aber niemals eine Damoicele befreit hatten, dünkte es nicht angebracht für ihren Ruhm, daß Galehot seine Heldentaten so verkleinerte.
Allein Galehot zuckte noch immer die Achseln.
"Ich wiederhole", sagte er, "ein einziger Stich in seinen weichen Bauch, und ... Ist denn ein Drache überhaupt wirklich ein Drache, Sagremort? Meine waren kaum mehr als Eidechsen mit Flügeln und schienen mir gar nicht so sehr gefährlich."
"Nun: die unseren waren Drachen", meinte Mordred. Es galt, den Ruf seiner Tapferkeit zu verteidigen.
Und Didonel setzte finster hinzu:
"Und sie brachten uns in der Tat in große Gefahr."
"In so große Gefahr, wie die Damoicelen, die du befreit hast", rief Keye, der dabei mit den Bällen spielte.
"Was schwatzest du, Galehot?" meinte Sagremort und seine Stirn glättete sich. "Einen Drachen gäbe es – vielleicht! – ebensowenig wie einen Riesen? War denn der Riese, den ich fällte, wirklich ein Riese? Oder war er vielleicht nur ein häßlicher Schelm, der bloß ein paar Schuhe größer war als ich?"
"Dddd ... arüber sss ... ind www ... ir uuu ... ns seh ... on lll ... ange einig", meinte Ywein, "ddd ... aß es Riesen und Ddd ... rächen nicht mehr ggg ... ibt."
"Und Wunder ebensowenig, so wahr mir der Sohn der heiligen Jungfrau helfe", meinte Bohort der Riese bestätigend, wenn es auch ein wenig rauh klang. "Was wir taten, war Kinderspiel. Wir zählten nicht mehr als zwanzig Lenze, als wir diese Aventiuren bestanden und große Freude daran hatten, weil wir glaubten, ritterliche Taten vollbracht zu haben; aber im Grunde genommen waren es eben doch nur Kindereien ..."
"Ein Spiel mit uns selber", fiel Galehot ein.
"Und von allen meinen Wunden", fuhr Bohort fort, "ist mir nicht eine einzige Narbe geblieben, weil ich in dem elfenbeinernen Bett gepflegt wurde, in dem alle Wunden in einer Nacht heilen."
Keyes spöttisches Lachen gellte böse und giftig dazwischen.
"Ist denn das elfenbeinerne Bette, in dem alle Wunden geheilt werden, kein Wunderding? O Bohort, du Riese, dein Kopf ist zwar wahrhaftig so groß wie der Goliaths, aber dein Verstand ist nur so klein wie der des geringsten Bauern, das glaube mir, Mann!"
"Ich werde Euch um Euer böses Lachen schon noch eines Tages in Grund und Boden schlagen, Herr Keye", rief Bohort drohend und eilte mit hoch erhobenen Fäusten auf Keye zu.
Allein der stellte sich so, als befalle ihn heftige Furcht. Er tat, als wollte er hinter einen Baumstamm fliehen, und trotz seines Alters hinkte er dabei sehr flink und behende. Dazu rief er:
"O, was für ein grimmer Leu, was für ein fürchterlicher Löwe ist auf diesen friedlichen Hain losgelassen! Helft mir, helft mir, all ihr Heiligen im Himmel!"
Ein immer näher kommendes Summen ward vom blauen Himmel her vernehmlich.
"Das ist Merlin, das ist Merlin", schrien die Ritter in großer Erregung durcheinander. Und Ywein rief:
"Ddd ... as ist Mmm ... erlin!"
Agloval lachte laut auf, nicht so sehr, weil Ywein stotterte, als weil er eben sehr oft und gern laut auflachte, und zwar aus eitel Freude ...
Und die Ritter zeigten einander einen Vogel, der mit Windeseile aus der Ferne herangeflogen kam.
"Auf seinem Phönix, der auch kein Wunder ist", grinste Keye den Rittern zu, "den aber immerhin keiner von jenen Helden begreift!"
Die Ritter starrten entzückt empor. In der Tat schwebte dort ein blauer Phönix herbei. Und sein Flug war begleitet von einem seltsamen rhythmischen Geräusch – es surrte und summte gar geheimnisvoll. Sein schmaler Nacken trug einen phantastischen Vogelkopf mit Federn, sein ganzes Gefieder schien aus Edelsteinen zu sein, pfauengleich leuchtete er in allen Farben um Hals und Augen, und die großen und starken Flügel, die ihn in weiten Kreisen über die Burg trugen, schienen aus blauer Seide zu sein. Das war der Zaubervogel Merlins des Zauberers, und Merlin selber ritt auf ihm und saß im goldenen Gefieder des hohlen Rückens und richtete und wendete ihn nach Belieben, bis das Zaubertier mit leisem Schwung in den Hain, über die Grasfläche herabschwebte und dann zitternd stillstand.
Merlin stieg ab und näherte sich mit höfischem Gruß den Rittern. Er war im Alter Arturs und Keyes. Doch weil er jeden Morgen ein Bad in seinem Jungbrunnen nahm, so sah er jünger aus als alle die anderen Ritter und glich viel mehr einem mutwilligen Jüngling, der einen Bart trug.
"Gott zum Gruß!" rief er laut und kam über die Rasenfläche herangeschritten. Er trug eine zierliche Samara aus rotem Taffet. Seine Locken waren schwarz, an seinen Brauen sträubten sich die Haare empor, als wenn kleine Skorpione ihre scharfen Zähne zeigen, und sein zierliches Bärtchen war ganz spitz gestutzt. "Ich bin meinem König zu Ehren gekommen. Aber hat er denn schon Hof gehalten, daß ich euch alle hier bei müßigem, lenzlichen Zeitvertreib antreffe?"
Sagremort runzelte die Brauen, was er stets tat, wenn er zweifelte, und entgegnete: "Wir reden gerade darüber, ob es Wunder, Riesen, Drachen und Heldentaten gibt, Merlin?"
"Die Zweifelsucht hat Euch in den Klauen, Herr Sagremort", meinte Merlin.
"Wie? Was?" fragte Agloval laut auflachend.
"Des Teufels Tochter", sagte Merlin. "Wenn Ihr an Euch selber zweifelt, so begebt Ihr Euch unaufhaltsam höllenwärts."
"Aber Mordred und Didonel zweifeln nie, Merlin", grinste Keye hinter einem dicken Baumstamm hervor, "und werden also in den Himmel eingehen."
Didonel und Mordred hörten nicht auf ihn. Sie waren in geheimnisvolles Flüstern versunken. Worüber? Das will ich euch noch nicht sagen ...
"Ich zweifle im geringsten nicht", sagte Sagremort, "aber ich prüfe gern erst lange, Merlin. Sage mir, Merlin, ist dein schwebender Vogel wirklich ein Zaubervogel? Und alle die schönen Wunderdinge in deiner Burg: sind das Werke der Zauberei und Magie? Wenn du mit einem von selbst dahersausenden Wagen auf glatten Wegen dahinfährst, ist das denn wirklich Magie?"
"Es ist alles Magie und Zauberei, Sagremort", versicherte Merlin. "So gut wie der Wunderbaum, den ich der Königin gemacht habe und auf dessen Zweiglein Tausende von Vögeln zwitschern, und so gut wie das elfenbeinerne Bette, das ich ebenfalls machte und in dem all eure Wunden heilen. Es ist alles Zauberei, Sagremort!"
Keye, der auf den Rasen getreten war, um sich den azurflügligen Phönixvogel näher anzusehen, hinkte, während er sehr angespannt aufpaßte und immerfort laut lachte, um dieses Wunderding herum.
"Zauberei!" rief er. "Zauberei! Der Vogel ist aus Stahl und Seide! Sein Kopf ist aus Edelsteinen, seine Augen sind Diamanten. Und er summt und schnurrt, wenn er aufsteigt und wenn Merlin auf ihm durch die Lüfte fliegt. Durch Zauberei schnurrt und summt er, und wer daran zweifelt, kommt in die Hölle!"
"Merlin", fragte Bohort, "warum gibt es für uns seit zehn Jahren und länger kein Abenteuer mehr?"
"Weil wir zweifeln? Weil wir ungläubig sind wie Sagremort? Weil wir von allen empfangenen Wunden nicht eine einzige Narbe zurückbehielten?" fragten die Ritter und drängten sich um Merlin.
"Jammervoll ist es! Wenn es doch wieder einmal eine Aventiure gäbe, die uns aus diesem Grübeln errettete!"
"Die uns von dieser Langeweile erlöste!"
"Auch wenn wir nicht an das Abenteuer glaubten", riefen Sagremort und Agloval, Hestor und Melegant, Galehot und Ywein und Bohort durcheinander. Nur Gwinebant, der schöne Junge, der Neffe der Königin, rief nicht mit, sondern behielt Mordred und Didonel im Auge. Was die beiden wohl miteinander zu flüstern hatten?
"Hört", flüsterte Merlin den Rittern zu, und zwar ganz leise, damit Keye nichts vernähme, der immer noch neugierig um den Phönix herumhinkte. "Ich kann durch Magie wohl ein Abenteuer bereiten oder vielmehr eins sich wiederholen lassen, wie sich ja eigentlich alles im Leben wiederholt, nur immer anders; und das nennen wir Evolution ..."
"Welches Abenteuer?" drangen die Ritter in Merlin.
"Eines", flüsterte Merlin noch geheimnisvoller und hob den Finger, "das Gawein vollbringen und wiederholen kann, weil er glaubt und schmachtet."
"Seinem Weibe blieb er nicht immer so treu wie seinem Glauben an Wunder!" sagte Galehot.
"Er genoß vieler Frauen Minne", flüsterten die Ritter untereinander, "doch mehr als sie alle liebte er Abenteuer."
"Gawein soll denn das Wunder und Abenteuer erleben!" flüsterte Merlin. "Ihm wird es sich offenbaren. Was soll es sein? Ich denke: ein schwebendes Schachbrett, wie das letzte Mal! Kommt, ihr lieben Freunde, in dieser Nacht auf meine Burg, daß wir uns beraten können!"
Die Ritter versprachen es und waren froh ob der Verschwörung. Sie gelobten einander, es ganz geheim zu halten, daß Merlin ein künftig Abenteuer vorbereiten wolle.
Keye hinkte mit seinem Schlüsselbund davon, um Weisungen für die Abendmahlzeit zu erteilen, und Merlin rief Mordred und Didonel zu:
"Ihr beiden, kommt auch ihr diese Nacht in meine Burg?"
"Wir werden kommen, Merlin", sagten die zwei Ritter hastig zu, die er aus ihrer geheimen Zwiesprache aufgeschreckt hatte ...
"Und du, Gwinebant?" fragte Merlin.
Gwinebant war jünger als die anderen. Er hatte breite Schultern, schön und gerade war seine Nase, breit und glatt die Stirn, grau die Augen und braun die Brauen. Blondes, welliges Haar hatte er. Sein Hals war schneeweiß und rund. Seine Wangen blühten wie Rosen. Im Kinn hatte er ein Grübchen, in den Hüften war er schmal, vollendet also an allen Gliedern.
Er versprach Merlin, zu kommen. Allein seine Gedanken weilten weder bei dem bevorstehenden Abenteuer, noch mehr bei Didonel und Mordred, denn er war einer fernen Jungfrau minniglich zugetan. Und wenn er so wie jetzt die Königin, seine Muhme, durch den Hain wandeln sah, allzeit mit Lancelot, den sie liebte und dem sie Treue trug, wie er ihr, so seufzte Gwinebant voll unbefriedigter Sehnsucht, vornehmlich dann, wenn ihr Schleier im Winde wehte und die beiden unter den herabfallenden Apfelblüten sicherlich miteinander Liebeswort und Kuß tauschten.
Dann gedachte er der Jungfrau, die er liebte, Isabels, der schönen Prinzessin von Endi und König Assentijns Enkeltochter ... Isabels, die er nicht zu gewinnen verstand, weil er zu schüchtern war, wenn er auch der Neffe der Königin Ginevra war.
"Gwinebant, du schöner Knabe, den ich krank vor Minne weiß, willst du Lancelot, den ich nicht stören mag, nun die Königin und er miteinander süße Weisen in den Apfelblütenhainen singen, willst du Lancelot kundtun, daß ich auch ihn in dieser Nacht in meine Burg bitte, um über neue Dinge Rats zu pflegen?"
Gwinebant versprach es: "Ja, Merlin, ich ..."
Und seufzte tief, weil er vor Sehnen nach Isabel verging.
An jenem Abend war der König vor lauter Wehmut müde und hatte sich früh niedergelegt, obwohl der Mond licht am Himmel stand und Wald und Berg sich so schwarz und romantisch-romanisch von der Helle abzeichneten, daß sich keine schönere Nacht denken ließ. Durch die finsteren Schatten und das bläulichweiße fahle Licht in dem schaumweiß blühenden Hain wandelten Lancelot und Ginevra, oder sie saßen auf der Marmorbank, und der Königin Schleier verhüllte da, wohin der Mond schien, wie ein weißer Nebel ihren sich stets erneuenden Kuß.
Auch Gawein hatte sich zur Ruhe begeben, wie einer, der von nichts weiß. Nur Keye, der Seneschall, hörte in der Nacht einen unbestimmten verhaltenen Lärm, drückte hinter seinem runden Fenster hoch oben in der Burg die Nase an die bunten Scheiben und spähte hinaus. An der anderen Seite der Burg strahlte aus der Kemenate der Königin gelblicher Fackelschein, und er glaubte, daß sie noch nicht schliefe und Lancelot ebensowenig. Aber das war keinem neu, und für die Entdeckung hätte Keye keinen Deut gegeben. Indessen spähte er nach dem Lärm in den Innenhof, und wie nun Mondenstrahlen und Schatten schräg hereinfielen und den Hof quer über Mauern und Türme und Pflaster hinweg in zwei Teile teilten, sah er die Kruppe eines gezäumten Rosses, das ein Knappe am Zügel hielt. Und weiter sah er, wie Lancelot aus der Pforte des Turms zu Ginevras Gemächern herauskam, sah, wie der gelbliche Schein erlosch, und vernahm dann Pferdegetrappel, sah endlich die in Schatten gehüllten oder vom lichten Mondenschein beleuchteten Ritter aus dem Hof hinausreiten, den er doch gewißlich hatte verschließen lassen. Lancelot, der aufgestiegen war, führten sie in ihrer Mitte, und sie zogen allesamt wie Schemen davon. Er konnte sie nicht weiter verfolgen. Er wunderte sich. Er stand wie gebannt da und wunderte sich. Er begriff nicht, daß in der Nacht sämtliche Ritter von König Arturs Tafelrunde – denn daß Gawein fehlte, hatte er nicht erspäht – Camelot verließen, um sich wer weiß wohin zu begeben. Und wütend darüber, daß sie durch die geschlossenen Tore zu gelangen vermocht hatten, durch die ganz sicher fest verschlossenen Tore, die den Zugang zu den sämtlichen Brücken der elf Kanäle bildeten, ergriff er ein schweres Schlüsselbund, versteckte es unter seinem Mantel, damit das Rasseln den König nicht wecke, verließ sein Schlafgemach und hinkte auf den Zehenspitzen durch die düsteren, schweigenden Gänge der finsteren Burg. Und er stieg die schmale Treppe hinab, öffnete leise das Haupttor, schaute sich um und um, blickte hinaus, spähte mit seinem einen Auge in das Dunkel, hütete sich vor dem Mondenlicht und barg sich im Schatten und versuchte festzustellen, ob wohl die Pforte geschlossen wäre. Natürlich, sie war geschlossen. Und nachdem er sie nun selber geöffnet und auf die zweite Pforte jenseits des ersten Kanals geschaut hatte – eine Brücke lag darüber, die aufgezogen war –, da fand er, daß weiß Gott auch die zweite Pforte geschlossen war. So würden vermutlich nach der Ritter geheimnisvollem Ausritt wohl alle Pforten geschlossen sein, und Keye wunderte sich ... Wie? Beim Vater im Himmel, hatten sie sich denn alle die verschiedenen Schlüssel nachmachen lassen?
Und plötzlich begriff er. Das war Merlin, das war das Wunder, an dem sie wohl hin und wieder zweifelten, weil sie des zehnjährigen Wartens auf Abenteuer müde waren, das Wunder, das es aber dennoch gab, namentlich in Merlins schwarzer Kunst!
Nachdem er die Pforten wiederum geschlossen hatte, hinkte Keye blinzelnd zurück; er war ärgerlich und dabei fürchtete er sich; wütend legte er sich die Frage vor, wozu es denn diene, daß an jedem Abend mit so vielen Schlüsseln die Pforten verschlossen würden, wenn dennoch Merlin mit seiner Zauberkunst und vermöge seines Wunders ...!
Jetzt zitterte er vor Furcht. Wo waren sie geblieben, die Schurken? Denken konnte er sich nichts anderes, als daß sie zu Merlin gezogen seien. Aber warum? Und was ging ihnen durch den Kopf? Er schlich wieder zurück in die Burg, wobei er jede Türe hinter sich sorgfältig verschloß. Die Schlüssel rasselten leicht, wenn seine Hand nach dem rechten suchte, während er sie im Zipfel seines Mantels verborgen hielt, oder wenn er das Licht auf das Pflaster stellte und dann mühsam wieder aufnahm. Gespenstische Schatten umringten ihn. Endlich schleppte er sich böse und hinkend wieder zurück durch den engen Gang, auf den die Kemenaten der Ritter mündeten. Da hörte er plötzlich in Gaweins Gemach einen tiefen Seufzer, wie wenn ein Schläfer sich im Schlafe umwendet. Der also nicht? Gawein war nicht mit? Waren wohl die anderen alle mit? Und Keye ging zurück. Und er horchte an dieser und jener Tür. Er ging auf die andere Seite. Er legte Ohr und Auge an den Spalt und schloß, daß wohl alle die anderen Ritter mitgegangen seien, denn es war nicht das leiseste Geräusch zu hören: weder von Bohorts Riesengeschnarche, noch von den verliebten Träumen des schönen Gwinebant, noch sonst irgend etwas, das zu der Annahme führen konnte, Ywein der Stotterer, Sagremort der Zweifler, Agloval der allzeit Lachende, Melegant, Hestor und Mordred und Didonel, die beiden Schalke, hätten sich zur Ruhe gelegt. Auch Galehot nicht, der seine Drachen zu großen Fröschen verkleinerte. Nein, auch er nicht ... Die Gemächer fühlten sich nun, da Keye vor ihren Türen umhertastete, förmlich leer an, sie waren es auch. Und Keye kehrte in seine eigene Kammer zurück und dachte:
"Was planen sie da insgeheim, diese bösen Gesellen? Oder in welchem üblen Hause wollen sie sich vergnügen?"
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