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Der Klassiker für werdende Mütter: Unverzichtbar für alle, die Fragen rund um das Thema Stillen haben
Der frühe, intensive Kontakt, den das Stillen ermöglicht, ist für die Mutter-Kind-Beziehung und für die körperliche und emotionale Entwicklung des Babys von unschätzbarer Bedeutung. Das Stillbuch informiert junge Eltern vor und nach der Geburt kompetent und umfassend. Es gibt ganzheitliche Hilfestellung bei allen Problemen, ermutigt auf warmherzige Weise und vermittelt jene Sicherheit und Gelassenheit, die sich Mütter für ihre Stillzeit wünschen.
Seit Jahrzehnten begleitet dieser Longseller Stillende, Hebammen und Stillberaterinnen. Die Neuausgabe wurde inhaltlich vollständig überarbeitet und aktualisiert, neu bebildert und vierfarbig gestaltet. Ein Klassiker, der dem neuesten Stand der Wissenschaft und den Bedürfnissen in modernen Familien Rechnung trägt.
Überarbeitet nach den Richtlinien der IBCLC (International Board Certified Lactation Consultant).
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 517
Stillen ist etwas Wunderbares. Es ermöglicht einen besonderen Kontakt, der für die Mutter-Kind-Beziehung und für die Entwicklung des Babys von unschätzbarer Bedeutung ist. Das Stillbuch informiert junge Eltern vor und nach der Geburt kompetent und umfassend. Es gibt ganzheitliche Hilfestellung bei allen Problemen, ermutigt auf warmherzige Weise und vermittelt Sicherheit und Gelassenheit.
Seit Jahrzehnten begleitet dieses Standardwerk Stillende, Hebammen und Stillberaterinnen. Die Neuausgabe wurde inhaltlich vollständig aktualisiert. So entspricht das Buch dem neuesten Stand der Wissenschaft und den Bedürfnissen in modernen Familien.
Überarbeitet nach den aktuellen Empfehlungen in der Stillberatung (La Leche League und IBCLC)
Hannah Lothrop (1945–2000) war Psychologin, Psychosynthese-Therapeutin und Atemtherapeutin nach Ilse Middendorf. Als eine der ersten Stillberaterinnen in Deutschland wurde sie von La Leche League ausgebildet. Sie wurde zur Pionierin der ganzheitlichen Geburtsvorbereitung und der Stillgruppenbewegung in Deutschland. Mit ihrer beeindruckenden Kompetenz und Ausstrahlung hat sie Tausenden von Kindern den besten Start ins Leben bereitet und ihren Familien einen Weg zu einem liebevollen Miteinander gezeigt.
Mit einem Vorwort von Anya Lothrop.
»Wir sind auf dem Weg zu einer stillfreundlicheren Kultur. Mütter finden Unterstützung und Information durch Stillgruppen und Laktationsberaterinnen, durch Literatur und das Internet. Auch mein Stillbuch ist über die Jahre gewachsen und hat sich verändert. Immer wieder wurde es auf den neuesten Stand gebracht und konkreter, übersichtlicher und ansprechender gestaltet, um die Handhabung des Stillens noch besser zu vermitteln. Darüber hinaus zeige ich Müttern Wege auf, um zu sich zu kommen. Mein Buch will Frauen helfen, Vertrauen in ihren eigenen Körper, ihre mütterliche Intuition, ihr inneres Wissen und ihre weibliche Kraft zu stärken, denn diese kommen ganz unmittelbar ihren Kindern zugute.«
Hannah Lothrop
Aus dem Vorwort von 2000
HANNAH LOTHROP
Das Stillbuch
Aktualisiert von Anja Constance Gaca
Mit Fotografien von Susanne Krauss
Kösel
Meinen Kindern Anya und Kerry gewidmet,ohne die dieses Buch nie zustande gekommen wäre.
Solange Kinder noch klein sind, gib ihnen tiefe Wurzeln;
wenn sie älter geworden sind, gib ihnen Flügel.
INDISCHES SPRICHWORT
Inhalt
Vorwort von Anya Lothrop
Vorwort von Hannah Lothrop
1. Stillen lohnt sich
Wie dieses Buch entstanden ist
Wie es einmal war und was sich ändern muss
Erfolgreiches Stillen
Warum Frauen stillen
Woraus besteht Muttermilch?
Weitere Vorteile des Stillens für das Baby
Auch für die Mutter ist Stillen gesund
Wann ist es besser, nicht zu stillen?
Körperkontakt und Stillen
Angst, zu verwöhnen
Auf dem Weg zu einer stillfreundlicheren Gesellschaft
2. Auf die Stillzeit vorbereiten
Wissen, was in deinem Körper geschieht
Wie der Körper Milch hergibt: Der Milchspendereflex
Die Brust auf das Stillen vorbereiten
Ein soziales Stütznetzwerk aufbauen
3. Einstimmung auf Mutterwerden und Stillen
Gedankliche Einstimmung
Körperliche Einstimmung – Hinwendung zum Körper
Den Atem harmonisieren
Weitere Wege, um zu dir zu kommen und deinen Milchfluss zu fördern
4. Einstimmen und vorbereiten auf unser Kind
Ein Kind verändert unser Leben
Gemeinsames Vorarbeiten für die Zeit »danach«
Hilfe für den Haushalt
Formalitäten erledigen
Was brauchen wir für ein kleines Kind?
5. Die Geburt unseres Kindes
Geburtsvorbereitung für Paare
Wie kann der Partner helfen?
Für eine »sanfte Geburt«
Wo soll unser Kind zur Welt kommen?
Kontinuierliche Begleitung durch eine Hebamme
6. »Bonding« – Bindung zwischen Eltern und Kind
Was geschieht bei der Geburt?
Wenn ausgedehnter Kontakt am Anfang nicht möglich ist
Die Bewusstseinszustände Neugeborener
»Primäre Mütterlichkeit«
Ein Wort an die Väter
7. Der Beginn der Stillbeziehung
Die Milch »schießt ein«
Stillen nach Bedarf
Jedes Kind ist anders
Stillhaltungen
Dein Baby richtig anlegen
Der Stuhlgang des gestillten Kindes
Entnehmen der Milch
Die Sache mit dem Zufüttern
Besucher
Wochenbettdepressionen
Stillen darf nicht wehtun
Wenn Ermutigung fehlt
Vertraue deiner inneren Stimme
8. Die ersten Wochen mit eurem Kind
Wird mein Kind auch satt?
Dein Kind beruhigen
Die Milchmengen lassen sich beliebig erhöhen
Wachstumsschübe
Das Leben mit dem Neugeborenen
Die Nächte mit dem Baby
Vater-Mutter-Kind
Geschwister
Zeit für dich
9. Das Kind wird älter: Das erste Lebensjahr
Das Zufüttern fester Nahrung
Babys erste Mahlzeiten
Die ersten Zähne
Das Kleinkind an der Brust
10. Die Stillbeziehung geht zu Ende
Beenden der Stillzeit im Einvernehmen von Mutter und Kind: die natürliche Lösung
Du stillst dein Kind ab
Dein Kind stillt sich ab
Ich will noch weiterstillen, aber der Druck von außen nimmt zu
Wenn langes Stillen Schwierigkeiten in der Partnerschaft bereitet
Ich will oder muss mit dem Stillen aufhören – aber mein Kind mag nicht
Wenn du dich entwöhnen musst
Stillen während einer weiteren Schwangerschaft
Tandem-Stillen
Reflexionen einer Mutter am Ende einer langen Stillzeit
Veränderungen der Brust nach der Stillzeit
11. Was du als stillende Mutter wissen solltest
Ernährung der Mutter
Schadstoffe in der Muttermilch
Rauchen, Koffein, Alkohol und Drogen
Medikamente in der Stillzeit
Brustkrebs
Aids
Zusätzliche Brustwarzen
Sauna, Schwimmen, Sport
Impfungen
Medikamentöses Abstillen
Menstruation und Schwangerschaftsverhütung
Stillbüstenhalter
12. Wenn du Probleme beim Stillen hast
Hilfe – ich habe zu wenig Milch!
Was mach ich nur – ich habe zu viel Milch!
Meine Brustwarzen sind wund
Meine Milch ist gestaut – meine Brust ist entzündet
Die Warzenform wird zum Problem
Stillen auf einer Seite
13. Wenn dein Baby Probleme hat
Dein Baby weint
Der Saugreflex ist zu schwach oder gestört
Das schläfrige Baby
Das gierige Baby
Das Baby scheint nicht zu gedeihen
Neugeborenengelbsucht
Pickel
Soor
Dein Kind streikt
14. Natürliche Helfer
Homöopathie – Gleiches mit Gleichem heilen
Die Bach-Blüten-Therapie – »Blüten, die durch die Seele heilen«
Aromatherapie – mit ätherischen Ölen harmonisieren und stabilisieren
Akupunktur in der Geburtshilfe
15. Besondere Umstände
Zu früh geboren
Sanfter Umgang mit Frühgeborenen und Känguru-Pflege
Nach einem Kaiserschnitt
Mehr als eines …!
Relaktation
Ein Adoptivkind stillen
Alleinerziehende Mütter
Wenn du krank wirst
Besondere Situationen
Wenn dein Kind erkrankt
Das behinderte Kind
Ein Baby wird tot geboren oder stirbt
16. Das Leben geht weiter
Ausgehen und Reisen
Stillen in der Öffentlichkeit
Wenn du einmal ohne Kind unterwegs bist
Zurück in den Beruf
Liebe während der Stillzeit
Frau sein – Mutter sein
Dank
Dank des Verlages
Anhang
Zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen (UNICEF/WHO)
Innocenti Declaration (UNICEF/WHO) über Schutz, Förderung und Unterstützung des Stillens
Adressen
Bezugsquellen
Empfohlene Literatur
Register
Das chinesische Schriftzeichen für »Krise« beinhaltet unter anderem das Zeichen für »Chance«. Mit diesem Satz hat mir meine Mutter, Hannah Lothrop, in meiner Kinder- und Jugendzeit immer wieder in schwierigen Situationen Mut gemacht. Sie wollte mir damit zu verstehen geben, dass aus negativen Erfahrungen immer auch positive Dinge erwachsen können. Dass man nie aufgeben darf, wenn es schwierig wird. Und dass man an jeder Erfahrung wächst.
Auch für sich selbst hat sie diese Weisheit immer wieder genutzt. Sie hat aus ihren unangenehmen Erfahrungen Bücher entstehen lassen, die tausenden von Menschen geholfen haben, ihren Kindern einen positiven Start ins Leben zu ermöglichen oder aber auch mit dem Verlust eines Kindes umzugehen (siehe ihr Buch Gute Hoffnung, jähes Ende). Mit dem Stillbuch hat sie es geschafft, die vorherrschende negative Meinung zum Thema »Stillen« positiv zu beeinflussen. Sie hat damit in Deutschland eine Stillkultur ermöglicht, die bei Erscheinen des Buches noch unvorstellbar war. Während das Stillen Ende der 70er-Jahre regelrecht verpöhnt war, wird es heute zum Glück als selbstverständlich angesehen, dass das Neugeborene der Mutter kurz nach der Geburt an die Brust gelegt wird.
Niemand, auch meine Mutter nicht, hätte damals geglaubt, dass dieses Buch, das vor nunmehr 36 Jahren zum ersten Mal erschienen ist, einen solchen Einfluss auf die Welt und auch auf unser Familienleben haben würde. Dieses Buch, das nicht an einem Computer, sondern an einer Schreibmaschine und auf großen Papierrollen entstanden ist. Genau, wie man es heute am Rechner tun würde, hat meine Mutter damals Textstellen mit der Schere ausgeschnitten und an anderen Stellen wieder eingeklebt. Welch heute unvorstellbarer Aufwand!
Meine Mutter hatte für jeden ein offenes Ohr und nahm sich viel Zeit für die vielen Mütter, die sie in großer Verzweiflung anriefen und um Rat zum Thema Stillen baten. Und selbst unsere Wohnung stand Hilfesuchenden offen. Ich erinnere mich, dass ich samstagabends oft auf einem Schaffell in einer Ecke eingerollt lag und den Atemübungen der Paare lauschte, die auf dem Fußboden unseres Wohnzimmers an den ersten deutschen Geburtsvorbereitungskursen teilnahmen. Aus all diesen Erfahrungen ist das Stillbuch entstanden und ich bin persönlich dankbar dafür.
Denn auch mir hat dieses Buch immer wieder geholfen. Nie hätte ich gedacht, dass meine Mutter bei der Geburt meines ersten Kindes nicht anwesend sein würde, mir nicht mit ihren Ratschlägen zum Thema Stillen beistehen würde. Leider ist sie lange, bevor ich selbst eine Familie gegründet habe, bei einem Unfall ums Leben gekommen. Und trotzdem war sie irgendwie für mich da. Trotzdem habe ich sie um Rat fragen können. Denn ich hatte das Stillbuch. Meine Mutter hat mir und unzähligen anderen Müttern in vielen Ländern der Welt darin einen großen Schatz an Wissen, Tipps und Trost hinterlassen.
Ich freue mich daher, dass es nun in der 39. Auflage vorliegt. Seit dem ersten Erscheinen des Stillbuchs hat es im Bereich der Stillberatung viele neue Erkenntnisse gegeben und auch im Alltag junger Familien und bei der Auffassung, die in unserer Gesellschaft über das Stillen herrscht, hat sich einiges verändert, was eine Anpassung des Inhaltes erforderlich gemacht hat. Anja Constance Gaca hat die vorliegende Auflage kompetent und liebevoll überarbeitet und an den heutigen Stand des Wissens angepasst. Ich hoffe daher, dass dieses Buch auch weiterhin für junge Mütter und vielleicht später einmal sogar für meine eigenen Töchter das Standardwerk sein wird, in dem alle Fragen zum Thema Stillen beantwortet werden.
Hamburg, im März 2016
Anya Lothrop
Die positiven Erfahrungen bei der Geburt unserer Tochter Anya in den USA und die Erlebnisse, als unser Sohn Kerry drei Jahre später in einem deutschen Krankenhaus zur Welt kam, motivierten mich, dieses Buch zu schreiben. Kerry ist inzwischen erwachsen, und nun, im Jahr 2000, liegt nach jährlich immer neuen Auflagen wieder einmal eine stark überarbeitete und aktualisierte Fassung des Stillbuchs vor. Seit über einem Vierteljahrhundert hat mich das Thema Stillen also nicht mehr losgelassen!
Aber wie sah es eigentlich damals aus, als alles begann? Die programmierte Geburt sowie routinemäßige Medikation bei der Geburt waren »en vogue«. Die damals üblichen Durchtrittsnarkosen schafften die unmögliche Situation, dass ein Kind einer Mutter geboren wurde, die nicht »da« war. Der Vater war in der Regel nicht bei der Geburt zugelassen und konnte seine Frau nicht unterstützen. Mutter und Kind wurden nach der Entbindung voneinander getrennt, dem Vater und erst recht den kleinen Geschwistern wurde das Baby bis zur Entlassung aus der Klinik (meist am siebten bis zehnten Tag) nur durch die Glasscheibe gezeigt. Eltern und Kind entgingen die kostbaren Erfahrungen der Begegnung in der ersten Lebensstunde – einer sensiblen Phase für die Entstehung von Bindung.
Das Kind war durch die der Mutter verabreichten starken Medikamente oftmals schläfrig und schlapp und wäre ohnehin nicht kontaktfähig gewesen. Neugeborene wurden häufig am dritten Tag erstmals (!) angelegt und danach mancherorts nur zweimal täglich, »weil die Mutter noch keine Milch hat«. Ein Vier-Stunden-Rhythmus war selbstverständlich, eine lange Nachtpause üblich. Die Frauen wurden angewiesen, ihr Kind vor und nach dem Stillen zu wiegen und die »fehlende« Nahrung mit der Flasche zuzufüttern. Kaum vorstellbar, dass die so kostbare Vormilch – als »Hexenmilch« verschrien – den Babys meistens vorenthalten wurde. Das Resultat dieses Vorgehens war, dass das Stillen oft gar nicht richtig zustande kam und nur sechs Prozent aller Mütter ihre Kinder länger als sechs Wochen stillten (über diese Zeit hinaus gab es keine Angaben, da die Zahl stillender Frauen verschwindend gering war). Stillen erschien als eine umständliche, unerfreuliche und oft frustrierende Angelegenheit und gelang nur wenigen.
Seit damals hat sich viel verändert. Viele Kliniken gehen mehr auf die physiologischen Bedürfnisse bei der Geburt ein, haben sich sogar der Stillfreundlichkeit verschrieben. Anstatt mit Medikamenten werden Frauen auf natürliche Weise unterstützt – zum Beispiel durch Homöopathie, Akupunktur, Musik und Massagen, und vor allem durch menschliche Nähe. Familienfreundliche, häufig durch Hebammen organisierte Geburtszentren sind überall entstanden, und Hausgeburten haben zugenommen. Der Vater bei der Geburt, das anschließende »Bonding« für die Familie, erstes Stillen, sobald das Baby Saugbereitschaft zeigt, Rooming-in sind eher die Regel als die Ausnahme. Mancherorts wird sogar Bedding-in gern gesehen. Die Forschung zeigt immer mehr Vorteile der Muttermilch und des Stillens auf. Auch von höchsten Stellen wird das Stillen befürwortet und gefördert.
Selbst wenn stillunförderliche Verhaltensweisen natürlich immer noch nicht ausgestorben sind, so sind wir doch insgesamt gesehen auf dem Weg zu einer stillfreundlicheren Kultur. Mütter finden Unterstützung und Information durch Stillgruppen und Laktationsberaterinnen sowie durch Literatur und das Internet.
Mein Stillbuch ist über die Jahre gewachsen und hat sich verändert. Wieder einmal habe ich es auf den allerneuesten Stand gebracht und mich bemüht, es noch konkreter, übersichtlicher und sprachlich ansprechender zu gestalten, die Handhabung des Stillens noch anschaulicher und besser nachvollziehbar zu vermitteln. Darüber hinaus zeige ich noch mehr Wege auf, um zu sich zu kommen. Auch deshalb spreche ich die Leserin immer wieder mit dem »Du« an, und weil es der Intimität des Themas angemessen ist. Mein Buch will Frauen helfen, Vertrauen in ihren eigenen Körper, ihre mütterliche Intuition, ihr inneres Wissen und ihre weibliche Kraft zu stärken, die wiederum ihrem Kind zugutekommen. Auf diese Weise kann eine zutiefst humane Kraft weitergegeben werden, die künftige menschliche Beziehungen auf eine vertrauensvolle Basis stellt.
Die Zeit vergeht … Schon sind junge Frauen Mütter geworden, deren Mütter selbst in den Genuss gekommen sind, gestillt worden zu sein. Es gibt bereits Vorbilder in den eigenen Familien, zumindest aber in den »Großfamilien« – den Stillgruppen –, und so werden wir erleben, dass eines Tages das Stillen ganz selbstverständlich zu unserer Kultur gehört.
Sommer 2000
Hannah Lothrop
1
Jede Frau, die schon ein Kind geboren hat, wird durch Gespräche über das Stillen oder durch den Anblick einer stillenden Mutter unmittelbar berührt. Wenn sie nach frustrierenden Versuchen das Stillen nach kurzer Zeit aufgegeben hat, können selbst noch Jahre später Enttäuschung und Traurigkeit über das Misslingen ihrer Stillbeziehung wieder in ihr wach werden. War ihre Stillzeit jedoch befriedigend und unproblematisch, wird ihre Erinnerung belebt an das tiefe Glück, die Wärme und die Verbundenheit, die sie damals mit ihrem Baby erlebte. Jene Frauen, die Schwierigkeiten beim Stillen erfolgreich lösen konnten, haben daraus eine Kraft gewonnen, die sich noch lange Zeit fruchtbar auf ihre Beziehung zu ihrem Kind auswirkte.
Unsere Tochter Anya kam 1972 in einem kleinen Kreiskrankenhaus in Virginia (USA) zur Welt. Obwohl wir in einer weit abgelegenen kleinen Landgemeinde wohnten, hatten wir das große Glück, dass in der 40 Kilometer entfernten Kreisstadt Geburtsvorbereitungskurse für Paare angeboten wurden, durch die wir Vertrauen in die natürlichen Vorgänge der Geburt und des Stillens bekamen. Anyas Geburt, die ich – rührend unterstützt durch meinen Mann – wach und bewusst ohne Einfluss von Medikamenten erlebte, war eine der intensivsten und bereicherndsten Erfahrungen meines Lebens. Anya wurde mir sofort nach der Geburt an die Brust gelegt und mir dann regelmäßig Tag und Nacht zum Stillen gebracht – Rooming-in gab es dort damals leider noch nicht.
Vor meiner Entlassung am dritten Tag nach der Entbindung besuchte mich der von uns gewählte Kinderarzt, gratulierte mir zu unserer Tochter und versicherte, dass sie kerngesund sei und sogar ihr Geburtsgewicht schon wieder erreicht habe. Zu Hause solle ich sie anlegen, sooft sie Hunger habe – auch nachts. In deutschen Baby-Broschüren war damals zu lesen gewesen, man solle Babys fünfmal füttern, mit einer Nachtpause von acht Stunden. Auf meine Frage, was ich denn tun solle, wenn mein Kind durchschlafe, meinte er augenzwinkernd: »Wenn Ihr Baby wirklich durchschläft, dann lassen Sie es ruhig schlafen.« Sein Verhalten ließ mich jedoch vermuten, dass dies wohl nur selten vorkommen dürfte.
Binnen kurzer Zeit fühlte ich mich sehr sicher im Umgang mit meinem Kind. Anya wurde nachts mehrmals wach, aber darauf war ich ja vorbereitet, und so störte es mich nicht im Geringsten. Meistens erwachte ich schon einige Minuten vor ihr. Rückblickend kann ich nicht einmal mehr sagen, in welchen Abständen Anya in den ersten Wochen hungrig war. Dank der gelassenen und zuversichtlichen Worte meines Kinderarztes hatte ich mir keinerlei Gedanken über einen Zeitplan gemacht.
Anya war ein äußerst zufriedenes und fröhliches Baby. Abgesehen davon, dass ich einmal ein paar Tage lang zu viel Milch hatte (doch ein Anruf bei der La Leche Liga half mir weiter), waren wir bald wunderbar aufeinander eingestellt, und ein Kind zu haben empfand ich in diesen ersten Monaten als reines, ungetrübtes Glück.
Als Anya neun Monate alt war, zogen wir nach Deutschland. Im Gespräch mit Bekannten und Freundinnen stellte ich fest, dass mein positives Geburtserlebnis und meine unproblematische Stillzeit keine Selbstverständlichkeit gewesen waren. Die meisten Frauen, mit denen ich damals Anfang der 70er-Jahre sprach, hatten zutiefst unangenehme Erfahrungen gemacht. Vor allem das Stillen war in den meisten Fällen so unergiebig und enttäuschend gewesen, dass junge Mütter schwangeren Freundinnen sogar abraten wollten, es überhaupt zu versuchen. Das, was ich hörte, machte mich betroffen und nachdenklich. Wie konnte das Stillen, ein natürlicher Vorgang, zu einem solchen Problem werden? Diese Frage packte mich.
Bei meiner Suche nach Literatur über das Thema Stillen fand ich fast ausschließlich englischsprachige Veröffentlichungen; im deutschen Sprachraum war darüber so gut wie nicht geforscht und geschrieben worden. Ich entwickelte einen kleinen Fragebogen und begann, Mütter über ihre Erfahrungen zu interviewen. Darüber hinaus unterhielt ich mich mit Gynäkologen, Kinderärzten, Hebammen, Kinderschwestern und Mütterberatungsstellen. Dabei wurde mir zunehmend klar, dass allgemein ein erschreckender Informationsmangel über die natürlichen Vorgänge beim Stillen bestand und die bestehenden Praktiken den natürlichen Prozessen zutiefst entgegenwirkten. Die Auswirkungen dieser Verhältnisse bekam ich dann am eigenen Leibe zu spüren, als 1975 unser Sohn Kerry geboren wurde. Ich erhielt so viele widersprüchliche Informationen und wurde derart verunsichert, dass ich nur dank meiner eigenen festen Überzeugung und meiner guten Erfahrungen mit Anya trotzdem stillen konnte. Bei der Erinnerung an meine Stillzeiten wird mir jetzt noch warm ums Herz.
Eigene bereichernde Erfahrungen lassen immer wieder in mir den Wunsch wachsen, sie mit anderen Menschen zu teilen. Daraus entsprang mein jahrelanges intensives Engagement um die Themen Geburt und Lebensanfang. Ich fühlte mich aufgerufen, zur Entstehung bestmöglicher Startbedingungen für neue Menschenkinder beizutragen. So entstand dieses Buch.
Wenige Bereiche menschlichen Lebens werden von Modeerscheinungen und medizinischen Ideologien so sehr strapaziert wie Schwangerschaft, Geburt und Stillen. Früher stillte eine Mutter ihr Kind, weil es das Natürliche war. Außerdem gab es keinen geeigneten Nahrungsersatz für Säuglinge. Wenn sie zu viel Milch hatte, stillte sie oft noch ein anderes Baby mit oder pumpte ab und brachte die Milch zu einer Sammelstelle. Muttermilch war ein kostbares Gut.
Als vor über 50 Jahren die adaptierten Babynahrungen auf den Markt kamen, herrschte allgemeine Begeisterung: Endlich konnte man wiegen, messen und einteilen, was jedes Kind wann und in welcher Menge zu trinken hat. Jetzt war es plötzlich fortschrittlicher, »exakt nach Plan mit der Flasche« zu füttern als »nach Gefühl mit der Brust«. Spätes erstmaliges Anlegen, strenge Fütterungszeiten im Vier-Stunden-Rhythmus, lange Nachtpausen, Zeitknappheit und Stress beim Stillen, Vorfüttern oder Wiegen und Zufüttern laut einer an dem Bedarf künstlich ernährter Flaschenbabys orientierten Tabelle verunsicherten Frauen so sehr, dass sie kaum mehr voll stillen konnten. Auch der routinemäßige Einsatz von Medikamenten unter der Geburt trug dazu bei, dass das Entstehen der Mutter-Kind-Beziehung, das Bonding (siehe Kapitel 6), behindert wurde – mit negativen Auswirkungen auf das Stillen.
Die Hersteller von industrieller Babynahrung tragen keine geringe Schuld an dieser Flascheneuphorie. Aus kommerziellen Gründen gingen sie sogar so weit zu behaupten, ihre Milch sei der Muttermilch gleichwertig.
Ihre Werbungen untergruben auf subtile und weniger subtile Weise das Vertrauen der jungen Mütter in ihre Stillfähigkeit. Auch in der Dritten Welt begann die Industrie, ihre Präparate anzupreisen und abzusetzen – mit verheerenden Folgen: Säuglinge (zum Beispiel in Afrika), die bis dahin durch das Stillen in den ersten Lebensjahren vor Infektionen und Unterernährung relativ geschützt waren, erhielten nun keine Muttermilch mehr und starben unter den dortigen hygienischen Verhältnissen zu Tausenden an keimverseuchter, falsch zubereiteter Flaschennahrung, oder sie litten an Fehlernährung, da die künstliche Nahrung, um Geld zu sparen, mit Wasser verlängert wurde.
Obwohl sich vieles verändert hat, sind gewisse Praktiken, Vorurteile, Ängste und Ammenmärchen aus einer stillfeindlichen Zeit mancherorts leider immer noch lebendig. Frauen würden vermutlich noch überzeugter oder länger stillen, wenn sie über die unglaublichen gesundheitlichen Vorteile des Stillens umfassend informiert wären.
Junge Mütter brauchen Aufklärung, um eine qualifizierte Wahl treffen zu können – und sie brauchen Ermutigung und Unterstützung. Durch weise Anleitung von Frau zu Frau gewinnen sie Sicherheit sowie Vertrauen in ihre mütterliche Intuition und weibliche Kraft. Diejenigen, die Mütter durch Schwangerschaft und Geburt begleiten, können dabei helfen, deren Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl zu stärken – und leisten damit einen Beitrag von höchstem gesellschaftlichen Nutzen. Erhalten Frauen jedoch nicht den Beistand, den sie brauchen, kann der Beginn der Stillbeziehung sehr erschwert werden, wie das folgende Beispiel zeigt:
»Salina war mein erstes Kind. Keine meiner Schwestern hatte gestillt, und ich war total unerfahren und hätte Unterstützung gebraucht. Die meisten Säuglingsschwestern waren nett und wollten helfen. Sie brachten Salina, wann immer ich dies wollte. Doch keine hatte eigentlich wirklich Ahnung vom Stillen. Ein Problem war, dass so viele Personen sich um mich und mein Kind kümmerten und mir ganz und gar widersprüchliche Ratschläge gaben.
Eine Hebamme bemühte sich einmal ganz intensiv und versicherte mir, dass sie mich weiter unterstützen würde, aber sie kam nie wieder. Eine Kinderschwester sagte mir: ›Also, wenn ihr denkt, ihr tut euren Kindern etwas Gutes mit der Stillerei – das ist nichts Gutes, wenn die hungern müssen.‹ Ich versuchte ganz kleinlaut meine Entscheidung zu entschuldigen, ausschließlich zu stillen. Die Nachtschwester fütterte unsere Salina, ohne mich zu fragen. Sie sagte: ›Das Kind muss ja etwas essen, sonst trocknet es aus. Und für Sie ist es sowieso besser, wenn Sie Ihren Schlaf kriegen.‹ Vieles ist schiefgelaufen. Als die Milch einschoss und meine Brust hart wurde, sagte mir jede etwas anderes. Weil die Milch nicht von selbst floss, musste ich an die geräuschvoll arbeitende Milchpumpe. Ich saß mindestens jeweils eine halbe Stunde auf einem unbequemen Stuhl ohne Armstützen und ohne wirkliche Stütze im Rücken. Die Arme erlahmten mir dabei, und der Rücken tat danach weh. Ein richtiger Teufelskreis begann. Zu Hause angekommen, war ich den ganzen Tag mit dem Abpumpen und dem Füttern der abgepumpten Milch mit der Flasche beschäftigt. Salina wollte vom Stillen nichts mehr wissen und schrie, wenn ich sie anlegen wollte.
Obwohl ich total erschöpft und frustriert war, gab ich nicht auf. Trotz größter Anfangsschwierigkeiten konnte ich Salina mit Hilfe meiner Freundin Silvia ein halbes Jahr lang voll stillen. Jetzt weiß ich, dass uns viel erspart geblieben wäre, wenn mir von Anfang an jemand gezeigt hätte, wie ich mein Baby richtig und bequem anlege, wenn ich es immer bei mir gehabt und ganz häufig hätte stillen können, und wenn ich von den Menschen um mich herum Mut machende, beständige, unwidersprüchliche Hilfestellung bekommen hätte.«
Wenn Frauen in angemessener Weise unterstützt werden, wenn Mutter und Kind nach der Geburt nicht getrennt werden und sich auf natürliche Weise kennen lernen können, gibt es kaum Probleme. Hier ein Bericht über positive Erfahrungen:
»Im Geburtsvorbereitungskurs wurden wir auch auf das Stillen vorbereitet. Die selbstverständliche Weise, in der die Leiterin darüber sprach, und die Möglichkeit, in den letzten Schwangerschaftswochen in einer Stillgruppe stillende Mütter miterleben zu können, gaben mir Sicherheit und Vertrauen.
Melissa wurde mir nach der Geburt auf den Bauch gelegt. Es war faszinierend, dass sie ganz alleine den Weg zu meiner Brustwarze fand. Uns wurde erst mal viel Zeit miteinander gelassen, bevor man mir mein Baby vorübergehend wegnahm zum Wiegen und Messen usw. Ich konnte als Mutter frei und ganz ohne Druck entscheiden, ob ich mein Baby rund um die Uhr bei mir behalten oder es hie und da mal in die Obhut einer Säuglingsschwester geben wollte – ob es in einem Bettchen neben meinem Bett schlafen sollte oder angekuschelt an meinen warmen Körper. Beim Anlegen bekam ich konstruktive Hilfe. Ich konnte auch bestimmen, ob ich mein Kind selbst wickeln oder dies einer Schwester oder meinem Partner überlassen wollte. In dieser Klinik wurde vor allem meinem Wunsch, meiner Kleinen nichts beizufüttern, strikt entsprochen. Ich war von freundlichen Schwestern umgeben, die jederzeit mit Rat und Tat und vor allem mit gesundem Optimismus zur Stelle waren. Wenn mal leise Zweifel auftauchten, ermutigten sie mich: ›Ich habe noch keine Mutter gesehen, die nicht stillen konnte. Sie werden schon sehen …‹«
Mütter entscheiden sich aus unterschiedlichen Gründen für das Stillen. Einige davon sind:
»Durch das Stillen bin ich zwar an mein Kind gebunden, nicht aber an meine Wohnung. In viel größerem Maße als bei Flaschenernährung fühle ich mich frei und beweglich. Stillen kann ich fast überall. Ich muss mich weder um abgekochtes Wasser noch um Fertignahrung noch um sterilisierte Fläschchen kümmern. Wenn wir irgendwo eingeladen sind, kann es auch ruhig mal später werden – ich habe ja immer die Nahrung dabei, in der richtigen Temperatur, Menge und zur rechten Zeit.«
»Mit dem Geld, das wir im letzten Halbjahr durch das Stillen gespart haben, machen wir im Sommer eine schöne Reise.«
»Ich empfand eine große Einheit zwischen mir und Mara, besonders als sie schon etwas älter war, mich beim Stillen groß und ernst ansah und mich dabei sanft streichelte. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen.«
»Durch das Stillen ist zwischen mir und meinem Kind eine sehr intensive Liebesbeziehung entstanden.«
Doch nicht nur praktische und emotionale Gründe spielen bei der Entscheidung für das Stillen eine Rolle. Vielen Frauen geht es insbesondere um die Gesundheit ihres Kindes.
Frauen haben viele verschiedene Gründe, warum sie stillen möchten
Überall hat die Natur es so eingerichtet, dass die Milch der Mutter die beste Nahrung für ihr Kind ist. Sie ist seinem Nährstoffbedarf, seinem Wachstum und seiner Abwehrlage ideal angepasst. Die Hersteller von Ersatzmilchnahrung verwenden dafür Kuhmilch, und zwar nicht, weil sie der Muttermilch vielleicht am ähnlichsten wäre, sondern weil Kuhmilch mit relativ wenig Aufwand in großen Mengen gewonnen werden kann. Kuhmilch enthält mehr Eiweiß und weniger Zucker (Laktose) als Muttermilch. Der Brennwert (Kalorien) ist in etwa gleich, doch der Gehalt an Vitaminen und Mineralien unterscheidet sich.
Muttermilch enthält eine Vielzahl von bekannten Bestandteilen, die Babys optimal nähren, schützen und wachsen lassen. Aber immer sind uns noch viele Komponenten unbekannt. Künstliche Kuhmilchnahrung – adaptierte Babynahrung – ist so weit wie möglich der Zusammensetzung der Muttermilch angepasst. Und doch sehen wir, dass sie im Vergleich zur Muttermilch ein nur unvollkommener Ersatz ist. Aus welchen Hauptkomponenten besteht Muttermilch, und welche Vorteile hat sie?
Wasser
Muttermilch besteht zu 88 Prozent aus Wasser: Alle ihre Bestandteile sind in Wasser gelöst. In der Muttermilch herrscht ein ideales, vor allem aber auch flexibles Verhältnis von Wasser zu gelösten Bestandteilen. Beispielsweise ist die Milch, die das Kind am Anfang einer Stillmahlzeit trinkt, eher dünn und durststillend, während die Milch gegen Ende cremiger wird und mehr sättigt. Ein voll gestilltes Kind deckt in der Regel selbst bei heißem Wetter seinen gesamten Flüssigkeitsbedarf aus der Muttermilch, vorausgesetzt, dass es nach Bedarf angelegt wird.
Eiweiß
Die Haupteiweiße in Milch sind Kasein und Lactalbumin. Kasein ist ein grobflockig gerinnendes Eiweiß (aus dem zum Beispiel Joghurt, Quark, Käse entstehen), während Lactalbumin ein sehr viel feineres Eiweiß ist (es schwimmt in der Molke vom Quark). Bei der Muttermilch beträgt das Verhältnis Kasein zu Lactalbumin 2:3, bei der Kuhmilch 12:3, d. h., Kuhmilch enthält also wesentlich mehr grobflockig ausfallendes Milcheiweiß als die Muttermilch. Kasein klumpt im Babymagen zusammen und ist sehr viel schwerer zu verdauen als das viel feinere Lactalbumin. Muttermilch-Kasein unterscheidet sich zudem physikalisch von Kuhmilch-Kasein. Zur Verringerung dieser Klumptendenz verdünnen und homogenisieren die Babynahrungshersteller die Kuhmilch und fügen Schleim hinzu. Und trotzdem neigen flaschengefütterte Babys eher zu Verdauungsproblemen. (Brustkinder haben selten Verstopfung, der Muttermilchstuhl ist sogar eher flüssig.) Offensichtlich können Neugeborene Kuhmilchprotein auch nur teilweise verarbeiten, der Rest wird in Form großer Stühle wieder ausgeschieden.
Das Muttermilcheiweiß wird vom Baby vollkommen aufgenommen. Die überwiegende Menge Lactalbumin in der Muttermilch macht diese leichter verdaulich, und entsprechend entleert sich der Magen des Babys schneller. Deshalb werden Brustkinder normalerweise schneller wieder hungrig als Flaschenkinder, anfangs etwa alle zwei bis drei Stunden, d. h., sie brauchen häufiger Mahlzeiten.
Fett
Etwa die Hälfte des Nährwertes der Muttermilch ist in ihrem Fettanteil enthalten. Fett ist besonders wichtig für die Aufnahme fettlöslicher Vitamine, den Aufbau der Zellmembranen und Nervenzellen sowie die Entwicklung der Augen des Neugeborenen. In der Qualität und biochemischen Zusammensetzung von Muttermilchfett und Kuhmilchfett gibt es erhebliche Unterschiede. Muttermilchfett enthält wesentlich mehr der für Babys unentbehrlichen langkettigen ungesättigten Fettsäuren (LCP). Diese sind wichtig für das Wachstum des im ersten Lebensjahr ungeheuer schnell wachsenden Gehirns, die Reifung des Nervensystems sowie die Entwicklung der Intelligenz und Lernfähigkeit – mit Langzeitauswirkungen! Die LCPs spielen auch eine Rolle beim Schutz gegen Infektionen und Herzerkrankungen und helfen möglicherweise sogar, Krebs zu verhindern. Ein Enzym, die Lipase, trägt zu einer vorzüglichen Fettverdauung bei und hilft, dem Baby Energie daraus zur Verfügung zu stellen.
Kuhmilch enthält vor allem Butterfett, das ein Baby schlecht verwerten kann und das zum großen Teil mit dem Stuhl wieder ausgeschieden wird. Die Hersteller von Babynahrung versuchen, diese Mängel durch Zugabe von pflanzlichen Ölen auszugleichen, und haben nach jahrzehntelangen Forschungen eine der Muttermilch angenäherte LCP-haltige Fettsäure entwickelt, die nun in der Säuglingsernährung Verwendung findet. Doch die für den Menschen spezifische Fettsäurezusammensetzung der Muttermilch mit all ihren Vorteilen der Verdaulichkeit und Verwertbarkeit wird sich in ihrer Gesamtheit künstlich nicht herstellen lassen.
Der Anteil der Fettsäuren in der Muttermilch wird mit durch die Ernährung der Mutter beeinflusst. Der gesamte Fettgehalt der Muttermilch wird aber vor allem durch das Stillmanagement beeinflusst. Häufiges und langes Anlegen führt zu mehr Milchspendereflexen und zur Abgabe einer energiehaltigeren Milch im Vergleich zu seltenem und kurzem Anlegen.
Kohlehydrate
Milchzucker (Laktose) bildet den zweitwichtigsten Energielieferanten für das Kind. Muttermilch enthält bedeutend mehr Laktose als Kuhmilch. Dieser Unterschied kann von der Industrie durch Zugabe von Milchzucker ausgeglichen werden. Doch einige andere Kohlehydrate, die in der Muttermilch vorhanden sind – wie der Bifidusfaktor –, können in der künstlichen Nahrung nicht reproduziert werden. Der Bifidusfaktor ist Voraussetzung für das Gedeihen des segensreichen Darmkeims Lactobacillus bifidus, der krankheitserregenden Bakterienstämmen – zum Beispiel bestimmten Koli-Arten, Streptokokken – im wahrsten Sinne das Milieu versauert. Kolostrum fördert das Wachstum des Bifidus.
Die milchsaure Bifidus-Flora des Brustkindes ist der beste Schutz gegen Säuglingsenteritis, eine Infektion des Magen-Darm-Traktes. Flaschenkinder, die eine alkalische oder neutrale Darmflora haben, wie sie durch Kuhmilch erreicht wird, sind eher gefährdet, Darminfektionen zu bekommen, weil die krankheitserregenden Keime in ihrem Darmmilieu gut gedeihen. Mittlerweile gibt es künstliche Säuglingsnahrungen, denen Prä- und Probiotika zugesetzt sind. Diese sollen dabei helfen, eine gesündere Darmflora des nicht gestillten Kindes aufzubauen. Allerdings ist dieser Effekt bisher wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.
Mineralien
Kuhmilch enthält ein Vielfaches mehr an Kochsalz, Kalzium, Phosphor, Magnesium usw. als Muttermilch, die als Maßstab für den wahren Bedarf von Säuglingen gilt. In der künstlichen Babynahrung wird der Gehalt an Mineralien reduziert, er liegt jedoch häufig immer noch höher als bei der Muttermilch. Dort sind manche Mineralien zwar niedriger vertreten, werden aber vom Kind besonders gut aufgenommen.
Mineralien und Wasserhaushalt sind eng verbunden. Wer zum Beispiel salzig isst, wird durstig, d. h., er braucht Flüssigkeit, um das Salz zu verdünnen und wieder auszuschwemmen. Beim Erwachsenen lassen sich Verschiebungen dieses Gleichgewichts durch Durst, Trinken und Ausscheiden gut regulieren. Der Flüssigkeitshaushalt des Säuglings jedoch ist äußerst empfindlich, und es kommt rasch zu lebensbedrohlichen Zuständen, wenn dem Körper zu viel Flüssigkeit entzogen wird (zum Beispiel durch Durchfallerkrankungen) oder wenn das Baby im Verhältnis zum Salzgehalt der Mahlzeiten zu wenig Flüssigkeit erhält. Zu viel Kochsalz belastet außerdem die noch relativ unreifen kindlichen Nieren und begünstigt – wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge – die Entstehung von Bluthochdruck im späteren Leben.
Muttermilch enthält zwar relativ wenig Eisen, dafür aber das Enzym Laktoferrin, das zusammen mit dem reichlich in der Muttermilch enthaltenen Vitamin C eine optimale Aufnahme des Eisens durch den kindlichen Magen ermöglicht. Ohne Laktoferrin, das in Kuhmilch fehlt, kann der kindliche Organismus nur einen Bruchteil des in der Nahrung vorhandenen Eisens resorbieren. Im ersten Lebenshalbjahr hat ein voll ausgetragenes Kind noch große Eisenreserven, die es von seiner Mutter und abhängig von ihrem Ernährungszustand während der Schwangerschaft mitbekommen hat, und so lange genügt die kleine Menge an Eisen, die es durch die Muttermilch erhält. Eine zu frühe Zufütterung von Beikost hingegen wirkt sich ungünstig auf die Eisenaufnahme aus.
Eisen in der Muttermilch
Zusätzliches Eisen in den ersten Monaten würde das Wachstum der krank machenden Kolibakterien begünstigen, die zu ihrem Gedeihen Eisen brauchen. Das Eisen in der Muttermilch wird durch das Laktoferrin gebunden und steht somit den Kolibakterien nicht zur Verfügung.
Vitamine
Vitamine (A, C, E) sind in der Muttermilch in zwei- bis fünffach höheren Mengen enthalten als in der Kuhmilch. Während der Schwangerschaft legen Mütter in ihrem Körper Vitamindepots an. Bei einer gesunden Mutter, die sich vollwertig ernährt (siehe Abschnitt »Ernährung der Mutter« im Kapitel 11), genügt dies, um den Vitaminbedarf ihres Babys während der Stillzeit zu decken. Vitamin D benötigt der Körper zur Aufnahme von Kalzium und Phosphor, beide wichtig für die Zahn- und Knochenbildung. Es wird in der Haut durch Sonnenbestrahlung gebildet. Da die Sonnenbestrahlungsmenge sehr unterschiedlich ausfällt, wird aktuell eine zusätzliche Vitamin-D-Gabe für alle Säuglinge empfohlen (jeden Tag 400 bis 500 Internationale Einheiten; I. E.; entspricht zehn bis 12,5 µg. So lautet die Empfehlung des Netzwerks »Gesund ins Leben«).
Vitamin K ist wichtig zur Aktivierung der Blutgerinnung. Ein Neugeborenes ist anfangs noch nicht in der Lage, selbst genügend Vitamin K zu bilden. Empfohlen wird die orale Verabreichung von dreimal zwei Milligramm Vitamin K als Tropfen. Dabei erfolgt die erste Gabe unmittelbar nach der Geburt im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U1. Am vierten bis siebten Lebenstag und in der dritten bis sechsten Lebenswoche, und zwar jeweils im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen U2 und U3, werden dem Säugling die beiden weiteren Gaben von je zwei Milligramm Vitamin K in den Mund geträufelt (so lautet die aktuelle Empfehlung der DGKJ).
Eine stillende Frau, die sich vegan (d. h. ohne Fleisch, Fisch, Eier oder Milchprodukte) ernährt, muss zusätzlich Vitamin B12 zu sich nehmen, um Schäden (zum Beispiel Störung des Eiweißstoffwechsels) bei ihrem Baby zu verhindern.
Abwehrstoffe
Im Mutterleib erhält ein Baby von seiner Mutter Abwehrstoffe gegen diejenigen Keime und Krankheitserreger, mit denen sich ihr Organismus schon auseinander gesetzt hat. Dies sind u. a. Immunglobuline, bestimmte Eiweißkörper. Die Zeit unmittelbar nach der Geburt ist eine kritische Phase für das Kind: Die Immunstoffe aus dem Mutterleib werden langsam abgebaut, und es ist selbst noch nicht in der Lage, eigene Immunkörper zu bilden. Erst im Laufe des ersten Lebensjahres reift das Abwehrsystem des Kindes aus. Das Stillen ist zur Überbrückung der kritischen Phase ideal.
Man bedenke, dass das Kind im Uterus in einer sterilen Umgebung wächst und sich während und nach der Geburt schlagartig mit unzähligen fremden Keimen auseinandersetzen muss. Entsprechend enthält die Muttermilch der ersten Tage – das Kolostrum, die Vormilch – eine besonders hohe Konzentration an Immunglobulinen (vor allem IgA). Diese mütterlichen Abwehrstoffe wirken keimtötend und schützen das Neugeborene besonders vor den Hauskeimen der direkten Umgebung. Wenn das Baby als erste Nahrung Muttermilch erhält, breiten sich beim ersten Stillen die Immunglobuline auf der Schleimhaut seines Magen-Darm-Traktes wie auch auf den Schleimhäuten der Luft- und Harnwege aus und bilden dort eine Schranke gegen das Ausbreiten von Bakterien und Keimen. Auch die für den Magen-Darm-Trakt des Babys und den Schutz all unserer Körperzellen so wichtigen Prostaglandine – die Basis unseres Immunsystems –, welche in der Muttermilch hundertmal höher sind als im Plasma von Erwachsenen, sind in der Kuhmilchersatznahrung nicht zu finden. Die Abwehrstoffe in der Muttermilch (zu denen noch andere Eiweiße, Enzyme und zum Teil auch Zellen gehören) sind durch keine künstliche Nahrung zu ersetzen.
Wenn man Muttermilch erhitzt, verlieren darin enthaltene Antikörper einen Teil ihrer Wirkung – bis zu 58° mäßig und darüber merklich. Mikrowellen schädigen einige Schutzfaktoren, verringern den Vitamin-C-Gehalt und können darüber hinaus durch punktuell übererhitzte Stellen den Mund des Babys verbrennen.
Da die Immunglobuline in den ersten Stilltagen am höchsten konzentriert sind (Kolostrum enthält am ersten Tag 50 bis 20 mg/ml IgA, ab dem zweiten Tag geht der Spiegel auf 1 mg/ml zurück), lohnt es sich allein schon deswegen, zumindest eine kurze Zeit zu stillen. Frauen, die nicht stillen können oder möchten, können auch etwas Kolostrum abpumpen und dem Baby füttern. Längere Stillzeiten bringen erwiesenermaßen weitere Vorteile für das Kind. Eine Untersuchung zeigte, dass Kinder, die ein halbes Jahr voll gestillt wurden, später nur halb so häufig krank wurden als Kinder, die weniger als zwei Monate gestillt wurden. Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass Stillen vor einer Vielzahl von Erkrankungen schützt – von Infekten der oberen Luftwege bis hin zu Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes.
Schutz gegen Allergien
Bei der Verhütung von Allergien kommt der Muttermilch eine wichtige Bedeutung zu. Allergien haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen und sind zu einem bedeutenden medizinischen und zum Teil auch sozialen Problem unserer Epoche geworden. Sie sind auch eine Belastung für unser Gesundheitssystem – allein in Deutschland leiden zirka 30 Prozent der Bevölkerung daran. In einer Zeit, in der wir uns mehr und mehr von der Natur und natürlichen Lebensbedingungen entfernen, treten allergische Reaktionen immer häufiger auf.
Allergien – eine Überreaktion des Immunsystems auf an sich harmlose Fremdstoffe – sind vererblich. Wenn ein Elternteil oder ein Geschwisterkind eine Allergie hat (oder gar beide) – Heuschnupfen, Nahrungsmittel- oder Medikamenten-, Staub- oder Katzenhaarallergie –, besteht beim Kind ebenfalls eine entsprechende Neigung. Hautekzeme, Quaddeln, Anschwellen von Lippen, Zunge und Hals, Bauchschmerzen, Koliken, Erbrechen, Durchfall, asthmatische Beschwerden, Schnupfen, aber auch nervöse Störungen wie Unruhe oder Reizbarkeit sowie Weinen, Schwächeanfälle, Blässe oder Lethargie können Ausdruck von Allergien sein.
Bei vielen Säuglingen wird die Allergie durch Kuhmilcheiweiße, besonders durch das Beta-Lactoglobulin ausgelöst. Laut einer Untersuchung waren allergische Ekzeme bei kuhmilchgefütterten Kindern siebenmal häufiger als bei Brustkindern. Bei der Hälfte der Babys taucht die allergische Reaktion nach dem Trinken von aus Kuhmilch adaptierter Säuglingsnahrung schon im ersten Lebensmonat auf, bei anderen entwickelt sich die Allergie erst im Laufe des ersten Lebenshalbjahres. Es kann sich dabei um eine Sensibilität gegenüber mehreren Produkten handeln, die bei Häufung als allergische Reaktion zum Ausbruch kommt.
Zur Verhütung von Allergien sollten Kinder aus Allergikerfamilien auf jeden Fall Kolostrum als Erstnahrung erhalten, um die Schleimhaut des in den ersten Lebensmonaten unreifen Magen-Darm-Traktes zu »versiegeln« und damit vor dem Eindringen artfremder Eiweißmoleküle zu schützen. Bei Allergieanfälligkeit sollte möglichst während des ersten Lebenshalbjahres selbst eine einzige Flasche künstlicher Kuhmilchnahrung vermieden werden. Die Mutter sollte in der Schwangerschaft aber nur auf Lebensmittel verzichten, auf die sie selbst allergisch reagiert.
Allergene Nährstoffe
Weizen, Eier, manche Fischarten (zum Beispiel Thunfisch, Rotbarsch, Heilbutt), Hühnerfleisch, Soja, Reis, Hafer, Tomaten, Zitrusfrüchte, Nüsse, Zucker, Zusatzvitamine, Konservierungs- und Farbstoffe, vor allem aber Kuhmilch rufen oft allergische Reaktionen hervor.
Manche Neugeborene sind so sensibel, dass sie selbst auf bestimmte Eiweiße, die die Mutter in ihrer Ernährung aufgenommen hat, allergisch reagieren. Koliken bei voll gestillten Kindern können u. a. von daher rühren (siehe Abschnitt »Dein Baby weint« im Kapitel 13). Wenn du eine Intoleranz deines Kindes gegenüber einem Nahrungsmittel vermutest, wäre es gut, eine Woche lang ein Journal zu führen, um dir bewusst zu machen, was du zu dir nimmst. Versuche herauszufinden, welches Nahrungsmittel dein Baby möglicherweise nicht verträgt, indem du probeweise nacheinander auf einzelne Lebensmittel verzichtest. Bessern sich die Symptome bei deinem Kind innerhalb von drei bis fünf Tagen, so war die Vermutung richtig. Zeigt es sich, dass du mehrere wichtige Lebensmittel weglassen musst, ziehst du besser eine Ernährungsberaterin zu Rate.
Auf jeden Fall setze nicht die Muttermilch ab! Wenn dein Kind schon auf eine gefilterte Form artfremder Eiweiße empfindlich reagiert, wie viel stärker wird dann seine allergische Reaktion auf direktes Fremdeiweiß (zum Beispiel Kuhmilch) sein! Allergiegefährdete nicht gestillte Säuglinge sollten bis zum Beginn der Beikosteinführung eine hypoallergene (HA) Säuglingsanfangsnahrung erhalten. Bei einer Galaktosämie (siehe Kapitel »Wann ist es besser, nicht zu stillen?«), bei der es sich aber nicht um eine allergische, sondern um eine erblich bedingte Stoffwechselstörung handelt, muss auf Muttermilch verzichtet werden.
Kolostrum und reife Muttermilch
Für die noch unreifen Nieren eines Neugeborenen würden große Mengen von Flüssigkeit eine erhebliche Stoffwechselbelastung darstellen. Die perfekte Antwort der Natur darauf ist das Kolostrum. Die goldgelb-cremige Flüssigkeit, die dem Neugeborenen in den ersten Lebenstagen aus der Brust zur Verfügung steht, ist ein derart hoch konzentriertes Nahrungsmittel, dass der Nahrungsbedarf des Kindes bereits durch kleinste Mengen – in den ersten drei Tagen zwischen zwei und 20 Milliliter Kolostrum pro Mahlzeit – abgedeckt wird. Die Tagesmenge hängt von der Anzahl der Mahlzeiten ab und kann bis zu 100 Milliliter in den ersten 24 Stunden betragen. Ist das nicht faszinierend?!
Kolostrum ist besonders eiweißreich und enthält viele Vitamine (A, E, K, B12) sowie Mineralien – oft in höherem Maße als die reife Milch. Kolostrum wird auch Vormilch genannt oder Neugeborenenmilch. Aufgrund seines geringen Fett- und Zuckergehalts ist Kolostrum für das Neugeborene leichter verdaulich. Durch seinen hohen Gehalt an Immunglobulinen und anderen Schutzstoffen wird Kolostrum sowohl zur »naturgemäßen Nahrung als auch Arznei« (WHO).
Kolostrum ist die Essenz der Immunstoffe, der Wachstums- und Heilungsstoffe.
Mit der Zeit ändert sich die Zusammensetzung der Vormilch, und sie geht in reife, kalorienreiche Muttermilch über. Wie schnell das geschieht, hängt vor allem davon ab, wann und wie oft ein Kind in den ersten Tagen angelegt wird. Unter günstigen Stillbedingungen bildet die Brust oft schon nach 24 bis 48 Stunden die erste Übergangsmilch – bei ungünstigeren Stillbedingungen vielleicht auch erst nach fünf Tagen. Muttermilch wird erst nach circa zwölf Tagen als »reife Muttermilch« bezeichnet, davor nennt man die Milch transitorische Muttermilch oder Übergangsmilch.
Reife Muttermilch enthält mehr Fett und Kohlehydrate, dafür aber weniger Eiweiß als Kolostrum. Obwohl ihre wässrig-bläuliche Konsistenz Gegenteiliges vermuten lässt, enthält die reife Milch mehr Kalorien als die Neugeborenenmilch. Innerhalb einer Brustmahlzeit nimmt der Fett- und Kaloriengehalt der Milch gewöhnlich zu, sodass die Milch am Ende einer Stillmahlzeit am nahrhaftesten ist und auch cremiger aussieht (siehe Abschnitt »Wie der Körper Milch hergibt« im Kapitel 2). Der Eiweißgehalt der Milch nimmt im Laufe der Stillzeit allmählich ab, bis nach etwa sechs Monaten Babys zusätzliches Eiweiß in Form von fester Nahrung benötigen.
Mit etwa sechs Monaten brauchen Babys zusätzliche Nährstoffe in Form von fester Nahrung – manche sogar erst ein wenig später, sofern ihr Wachstum befriedigend ist.
Alles Gesagte mag nun sehr überzeugend und wissenschaftlich abgesichert klingen, und trotzdem sieht man, dass in unseren Breiten die meisten Flaschenkinder gedeihen, ohne dass es zu Wachstumsstörungen, Mangelerscheinungen oder gefährlichen Erkrankungen kommt. Das ist zum Glück richtig. Dennoch sind die beschriebenen Unterschiede zwischen Muttermilch und Kuhmilch nicht nur von akademischem Interesse: Das zeigt sich insbesondere bei frühgeborenen oder kranken Säuglingen, deren Verdauungs- und Abwehrsystem viel empfindlicher ist als das eines robusten Siebenpfünders. Für sie ist Muttermilch manchmal lebensrettend.
Der Vergleich zwischen Muttermilch und adaptierter Babynahrung soll eine Frau vor allem in dem Wissen bestärken, dass ihre Milch in jeder Hinsicht am besten für ihr Kind ist. Übrigens: Was würde sich wohl das Baby aussuchen, wenn es selbst wählen könnte?
Nicht nur aufgrund der nahezu vollkommenen Zusammensetzung der Muttermilch ist das Stillen ideal für ein Baby, das Stillen beeinflusst auch seine Entwicklung in hervorragender Weise. Ständig werden neue Vorzüge entdeckt. Vieles beginnen die Wissenschaftler gerade erst zu verstehen.
Stillen ist die ideale Unterstützung für die Entwicklung des Babys
• Studien haben gezeigt, dass gestillte Kinder im späteren Leben seltener übergewichtig sind bzw. an Fettsucht leiden. Einer bayrischen Studie mit fast 10 000 Schulanfängern zufolge kam Fettsucht – ein Risikofaktor für spätere Herz-Kreislauf-Erkrankungen – bei Kindern, die ein halbes Jahr lang gestillt worden waren, nur halb so häufig vor als bei Kindern, die mit Flaschennahrung ernährt worden waren. Bei Kindern, die länger als ein Jahr gestillt worden waren, war es sogar fünfmal weniger. Muttermilch scheint den Stoffwechsel günstig zu programmieren. Stillkinder trinken auch nur so viel und so oft, wie sie hungrig sind, und lassen sich nicht zu einer Mahlzeit animieren, wie das mit einem formstabilen Flaschensauger, den sie kaum abwehren können, eher möglich ist. Beim Stillen finden Babys ihren eigenen Rhythmus und entwickeln eine gesunde Beziehung zum Essen. Auch kommt es nicht zu unerwünschten Geschmacksprogrammierungen auf Industrienahrung.
• Stillen scheint niedrigere Cholesterinspiegel im späteren Leben zu begünstigen und so Herzkranzgefäß- und Arterienerkrankungen vorzubeugen.
• Herzfrequenz, Atmung und Temperatur bleiben beim Stillen gleichmäßiger als beim Trinken aus der Flasche – das Stillen ist weniger anstrengend.
• Kanadischen und finnischen Untersuchungen zufolge scheinen anfänglich ausschließlich gestillte Kinder nur halb so häufig zuckerkrank (Diabetes mellitus) zu werden als mit Kuhmilch ernährte.
• Eine Untersuchung bei drei Monate alten Kindern in einem Jodmangelgebiet hat gezeigt, dass die Schilddrüse, die für den Stoffwechsel aller Zellen, für Wachstum und Reifung des Körpers sowie für die Entwicklung und Ausreifung des Gehirns sehr wichtig ist, bei voll gestillten Kindern sogar besser entwickelt war als bei Flaschenkindern, die einen Jodzusatz bekamen.
• Auch auf die Thymusdrüse, wichtig für den Aufbau des Immunsystems und die Stärkung der Psyche, hat das Stillen eine positive Auswirkung.
• Das Auftreten oder die Schwere von Durchfallerkrankungen, Mittelohrentzündung, Atemwegserkrankungen, Lungenentzündung, Harnwegsinfekten, Colitis und vielen anderen entzündlichenErkrankungen wird durch volles Stillen wesentlich reduziert.
• Multiple Sklerose ist seltener, wo häufig gestillt wird. Dies ist möglicherweise durch die günstige Auswirkung der ungesättigten Fettsäuren in der Muttermilch beim Aufbau des Nervenfasernsystems am Lebensanfang zu erklären.
• Ein halbes Jahr lang voll gestillte Kinder waren einer englischen Untersuchung zufolge in Kindheit und früher Jugend besser geschützt vor einer Krebserkrankung als mit Ersatznahrung gefütterte.
• Unter den zwei bis drei Kindern pro Tausend, die in den ersten Lebensmonaten am Plötzlichen Kindstod sterben, sind kaum voll gestillte Kinder. Bauchlage, Virus- oder bakterielle Infekte, passives Rauchen, Überwärmung sowie Atemprobleme werden mit dem sogenannten Krippentod in Verbindung gebracht. Atemprobleme können durch Einatmen giftiger Gase entstehen bei geringer oder fehlender Luftbewegung um das Baby herum – vor allem, wenn es allein im Zimmer schläft. Die Bauchlage wird nicht mehr empfohlen, da sie dies begünstigen kann (allerdings sollten wache Kinder ausreichend Gelegenheit zur Bauchlage bekommen). Das Ärztemagazin Selecta behauptete, dass auch mangelnder Hautkontakt oder Trennung von Mutter und Kind entsprechenden Einfluss haben kann. Experimente mit der Middendorf-Atemarbeit (siehe Abschnitt »Den Atem harmonisieren« im Kapitel 3) erhärten diese Vermutung. Wir haben herausgefunden, dass die körperliche Nähe eines Menschen eine stimulierende und harmonisierende Auswirkung auf Tiefe und Rhythmus des Atems hat. Stillen wirkt positiv in all diese Bereiche hinein.
• Eine in England durchgeführte Studie mit durch Muttermilch per Sonde ernährten Frühgeborenen zeigte, dass die mit Muttermilch ernährten Kinder später höhere IQ-Werte aufwiesen – aufgrund zahlreicher Faktoren, die die Entwicklung des Nervensystems, Hirnwachstum und Hirnreifung begünstigen.
• Gestillte Kinder im Alter von sechs Monaten sehen besser als flaschengefütterte, da die Fettsäuren in der Muttermilch die Entwicklung der Netzhaut begünstigen.
• Gemäß einer amerikanischen Untersuchung verlief die Gaumen-, Gebiss- undGesichtslinienentwicklung harmonischer und ästhetischer bei länger als drei Monate gestillten Kindern im Gegensatz zu jenen, die weniger als drei Monate oder gar nicht gestillt wurden. Beim Brusttrinken ist die Kieferbewegung eine ganz andere, und die Zunge spielt dabei eine viel größere Rolle (was übrigens eine regulierende Auswirkung auf die Atmung und somit den Körpertonus hat, mit Langzeitauswirkungen). Dass heutzutage so viele Kinder Kieferspangen zur Regulierung ihres Gebisses tragen müssen, ist sicherlich zum Teil auch auf die Flaschenernährung zurückzuführen.
• Stillen ist eine gute Vorbeugung gegen Karies. Bei Flaschenkindern wird stark gesüßte Nahrung mit der Zunge gegen die vorhandenen Vorderzähne gepresst, und im Laufe der Zeit bilden sich Bakterien, die die Zähne zerstören können. Durch Kuhmilch entsteht im Mund (ebenso wie im Darm) eine andere Flora, die Karies unterstützt.
• Stillen kann der späteren Entwicklung von Süchten (zum Beispiel Ess-, Nikotin-, Alkoholsucht) vorbeugen, die oft eine Ersatzbefriedigung für erlebten Mangel darstellen.
»Als ich meinen Sohn zum ersten Mal an die Brust legte, hatte ich das Gefühl, noch mitten in der Geburt zu stecken. Meine Gebärmutter zog sich derart stark zusammen, dass ich dies nur durch Atmen ohne weitere innere Verkrampfung bewältigen konnte.«
Wie bei der Geburt wird auch beim Stillen das wehenfördernde Hormon Oxytozin ausgeschüttet, das nach der Entbindung die Kontraktion und Rückbildung der Gebärmutter unterstützt. Frühes und regelmäßiges Anlegen ist die beste und natürlichste Prophylaxe gegen Blutungen in der Nachgeburtsperiode und Infektionen im Wochenbett. Durch das Stillen und die ausbleibende Periode verliert die Mutter weniger Blut. Das Oxytozin erleichtert auch das Eingehen von Bindung gegenüber dem Baby (wie auch dem Partner). Das beim Stillen ebenfalls ausgeschüttete Hormon Prolaktin hat einen stimulierenden Effekt auf das mütterliche Immunsystem.
Auch weit über die Geburt hinaus scheint das Stillen gesundheitliche Vorteile für die Frau zu haben. Es gibt inzwischen Untersuchungen, aus denen hervorgeht, dass Mütter, die oft und lange Zeit gestillt haben, weniger gefährdet sind, später einmal Brustkrebs oder Gebärmutter- bzw. Eierstockkrebs zu bekommen, als Frauen, die kinderlos sind bzw. ihre Kinder nicht gestillt haben. Das Risiko, während der Wechseljahre Osteoporose zu bekommen, ist bei Frauen, die gestillt haben, erheblich reduziert.
In der Vergangenheit wurden Rh-Unverträglichkeit, Neugeborenengelbsucht, Kaiserschnitt, Kiefer-, Lippen-, Gaumenspalten, Hohlwarzen und sogar Brustentzündungen als wesentlicher Grund angesehen, nicht zu stillen.
Heute weiß man, dass in diesen Fällen trotzdem gestillt werden kann, und mit Einschränkung sogar bei Hepatitis B. Selbst kleine Frühgeborene, die man in der Vergangenheit für unfähig hielt, an der Brust zu trinken, sind dazu in der Lage. Für sie ist die Muttermilch noch wichtiger als für reife Kinder.
Ganz selten kommt es vor, dass Babys aufgrund von Galaktosämie – einer Laktoseunverträglichkeit aufgrund einer erblichen Störung des Stoffwechsels – mit einem Milchsubstitut gefüttert werden müssen. Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen seitens der Mutter das Stillen nicht angezeigt ist:
• die Notwendigkeit zur regelmäßigen Einnahme bestimmter, für das Kind absolut kontraindizierter Medikamente (Immunsuppressiva, Chemotherapie);
• HIV-Infektion (Gabe von pasteurisierte Muttermilch möglich; in den Industriestaaten wird das Stillen bei HIV nicht empfohlen) und HTLV-1-Infektion;
• Psychische oder andere schwere Erkrankungen, die eine Mutter so sehr verwirren oder schwächen, dass sie nicht mit dem Kind umgehen kann;
• gegenwärtiger Drogenkonsum oder Drogentherapie (bei alleiniger Methadonsubstitution ist Stillen möglich).
Sosehr auch alle medizinischen und psychologischen Gründe für das Stillen sprechen – manchmal gibt es Umstände, die Frauen besser mit ihrem Kind umgehen lassen, wenn sie nicht stillen.
Keine Frau muss stillen. Wenn wir meinen, stillen zu müssen, aus Angst, sonst keine ideale Mutter zu sein, setzen wir uns innerlich unter Druck und Zwang. Dies bringt Verkrampfung und Anspannung in die Beziehung zu unserem Kind, und das belastet das Stillen sehr. Kinder haben äußerst feine Antennen für das, was in ihrer Mutter vorgeht; sie spüren ihren Widerwillen und reagieren entsprechend mit Unlust, manchmal sogar mit Streik.
Vielleicht hast du dich trotz zwiespältiger Gefühle entschlossen, es mit dem Stillen zu versuchen. Dann jedoch können Schwierigkeiten und innere Widerstände auftauchen.
In diesem Fall kannst du dich einmal fragen:
• Welche Botschaften habe ich bezüglich des Stillens bekommen?
• Wie sehr bin ich beeinflusst von wichtigen Menschen in meiner Umgebung, die mir das Stillen ausreden oder es ins Lächerliche ziehen wollen?
• Bin ich hin und her gerissen zwischen meinem Kind und meinem Partner, der offen oder auch subtil eifersüchtig auf das Baby ist?
• Ist es die Nähe mit meinem Baby beim Stillen, die in mir gemischte Gefühle auslöst?
• Fällt es mir schwer, mich meinem Baby hinzugeben – als Nahrungsquelle, zum Trost?
• Fürchte ich, das Baby könnte mir dabei etwas wegnehmen, mich aussaugen?
Oder:
• Tut mir die Brust so weh, dass ich mich beim Stillen verkrampfe und dies meine Beziehung zu meinem Kind zu sehr und zu lange belastet?
• Hat sich mein Kind an eine Flasche gewöhnt und findet es jetzt leichter, aus der Flasche zu trinken als von meiner Brust, und wehrt es meine Bemühungen, es zu stillen, zornig ab? Wenn ja, ist dadurch mein Selbstvertrauen gefährlich ins Wanken gekommen?
Du magst ein paar »technische« Schwierigkeiten haben. Oder vielleicht sind es vorwiegend emotionale Probleme, aus denen dann technische Probleme erwachsen. Meist kommt beides zusammen. Du kannst versuchen, die Schwierigkeiten zu überwinden – zum Beispiel durch Kontakt zu einer Stillgruppe, einer Selbsthilfegruppe oder – wenn du das Gefühl hast, dass die Probleme tiefer verwurzelt sind – durch ein Gespräch mit einer Therapeutin. Auch dieses und andere Bücher (siehe Anhang) mögen dir eine praktische Hilfe sein.
Um zu einer Antwort zu kommen, was für dich möglich und stimmig ist, spür in dich hinein. Vielleicht ist es hilfreich, wenn du dir einen besonderen Platz einrichtest, an dem du ungestört in dich hineinlauschen kannst. Schau dir mit klarem Verstand und mutigem, aufrichtigem Herzen deine Stärken an, und auch deine Grenzen und Verletzlichkeiten. Vielleicht magst du dir vorstellen, dass du dich über die Situation erhebst und dich in deinem Umfeld, in deiner Wirklichkeit wie von oben sehen kannst. Wie sieht dies alles aus der Distanz aus? Was braucht es? Siehst du Lösungen, und wenn ja, wie sehen sie aus?
Wenn es dir nicht gelingt, das Problem zu lösen, und wenn die äußeren oder inneren Umstände zu schwierig sind, mag es besser sein, dein Kind liebevoll mit der Flasche zu füttern und somit Ruhe und inneren Frieden zu erlangen, als halbherzig oder gequält die Brust zu geben. Verlange nicht etwas von dir, was dich – und auch dein Kind – hoffnungslos überfordert.
»Seitdem ich nicht mehr stille, kann ich zum ersten Mal eine wirklich angstfreie, liebevolle Beziehung zu meinem Kind aufnehmen.«
Triff dann eine klare und bewusste Entscheidung und stehe dazu. Versuche, dich von zu hohen Ansprüchen und Schuldgefühlen, die jeweils nur neue Probleme schaffen, freizumachen. Ja, Stillen ist wichtig – noch wichtiger aber ist die Qualität deiner Beziehung zu deinem Kind und seiner Beziehung zu dir.
»Mir läuft jetzt noch ein Schauer über den Rücken, wenn ich an meine Stillzeit zurückdenke – die Berührung des kleinen weichen Mundes, die meinen ganzen Körper mit Wärme und Liebe erfüllte und schöne, lustvolle Gefühle auslöste. Diese Genugtuung, mein Kind gedeihen zu sehen und zu wissen, dass mein Körper ihm alles gibt, was es zu seinem Wachstum braucht.«
Die körperliche Intimität des Stillens lässt Schranken, die fast immer zwischen Menschen bestehen, verschwinden und bringt dich und dein Baby einander unendlich näher. Allmählich lernt ihr euch beide kennen, und mit der zunehmenden Harmonie wächst auch die beiderseitige Freude am Stillen. Du und dein Kind, ihr braucht einander körperlich und seelisch. So wie dein Baby auf deine Nahrung angewiesen ist, brauchst du dein Baby, um deine Brust zu leeren, damit diese nicht zu voll wird und schmerzt. Du bist über deinen Körper und über deinen Hormonhaushalt mit deinem Kind verbunden. Stillen ist ein leiser Dialog zwischen euch beiden, eine relativ gleichwertige Partnerschaft zwischen sonst so ungleichen Partnern.
Wenn wir es zulassen können, dass sich all unsere Sinne durch den intimen Kontakt mit unserem Kind öffnen, werden wir Freude daran finden, ihm in solcher Nähe zu begegnen.
Schon in den ersten Lebenswochen schauen Babys beim Stillen ihren Müttern unverwandt in die Augen. Dies ist ein wichtiger Teil ihrer »Sprache« und hilft den Müttern, zum Kind einen innigen Kontakt herzustellen. Wenn wir unsere Babys betrachten, stellen wir fest, dass sie zu einem intensiveren Blickkontakt fähig sind als mancher Erwachsene. Uns ihrem Blick zu öffnen, kann für einen verschlossenen Menschen sogar zu einer Herausforderung werden. Es ist das Geschenk unserer Kinder an uns, dass wir mit ihnen die Welt wieder frisch und neu wahrnehmen können und mit ihnen menschliche Begegnung neu erfahren.
Neugeborene und kleine Kinder brauchen unsere körperliche Nähe, unsere Zärtlichkeit, unsere achtsame Berührung. Wir können mit unseren Händen zu ihnen »sprechen«, noch lange bevor sie unsere Worte verstehen. Das soll nicht nur sanftes Tätscheln sein, sondern Kinder müssen über unsere Hände sicher und unerschütterlich erfahren, dass sie gehalten, getragen, geborgen sind.
Körperliche Nähe ist ein biologisches Grundbedürfnis von uns Menschen
In unserer Kultur ist Körperkontakt mehr tabuisiert als in den meisten anderen Teilen der Welt. Berührung und Nähe lösen bei manchen Menschen große Angst aus. Dabei ist es für uns alle – Kinder wie Erwachsene – ein biologisches Grundbedürfnis, anderen auch körperlich nah zu sein und berührt zu werden, wenn wir nicht seelisch verkümmern wollen. Liebevolle, gesunde Berührung kann uns beleben, unseren Atem harmonisieren, innere Blockaden auflösen und unser körperlich-geistig-seelisches Gleichgewicht erhalten oder herstellen. Je mehr wir über Berührung erfahren, desto deutlicher wird uns ihre Bedeutung für unsere gesunde Entwicklung. Hautkontakt wirkt sich förderlich auf den Hormonspiegel aus, und selbst die Widerstandsfähigkeit gegenüber Infektionen und anderen Krankheiten – und zwar weit über das Babyalter hinaus – scheint durch frühe kindliche Hautstimulierung positiv beeinflusst zu werden.
Stillen ist zweifellos eine sinnliche Erfahrung, und die gegenseitige Hingabe dabei ist von der Natur erwünscht. Für Kinder ist sie Grundlage für gesunde spätere Liebesbeziehungen und die Hingabe an das Leben überhaupt.
Dass menschlicher Kontakt lebensnotwendig ist, zeigte vor 750 Jahren in tragischer Weise ein Experiment Kaiser Friedrichs II. Er wollte herausfinden, welche Sprache die Menschen sprechen, wenn ihnen keine Sprache beigebracht wird. Einige Babys durften nur gefüttert und gewaschen werden, jeglicher sonstiger Kontakt seitens der Ammen war verboten. Alle Kinder starben.
Auch René Spitz stellte bei seinen Beobachtungen an Waisenkindern die Auswirkungen mangelnden sozialen Kontaktes fest: Diese Kinder waren in der Regel viel schwächer und wurden von banalen Kinderkrankheiten dahingerafft. Diejenigen, die gut gediehen, hatten etwas Anziehendes, das die Pflegeschwestern dazu bewegte, sich häufiger mit ihnen zu beschäftigen.
Aus der Einsicht heraus, dass sozialer und körperlicher Kontakt zu unserer allgemeinen Gesundheit und unserem Wohlbefinden beitragen, werden in fortschrittlichen Kliniken Babys, die längere Zeit dort verbringen müssen, von den Krankenschwestern beim Verrichten ihrer Dienste körpernah in einem Tragetuch umhergetragen – wenn nicht gerade die Eltern sich nach der Känguru-Methode mit ausgedehntem Körper- und Hautkontakt ihrem Kind zuwenden. Frühgeborene, gestillte Babys, die getragen und gehalten werden, können meistens viel früher nach Hause entlassen werden.
Beim Stillen entsteht intensiver Körperkontakt auf selbstverständliche und natürliche Weise. Das Kind spürt deine Haut, nimmt deinen Geruch auf, patscht auf deine Brust – übrigens auch ein angenehmes Gefühl für dich. Dein Herzschlag, der deinem Baby aus der Schwangerschaft wohl vertraut ist, wirkt beruhigend. Viele Mütter bemerken recht bald, dass das Kind »auf ihrer linken Seite besser gedeiht«, und halten es daher mit Vorliebe auf der Seite ihres Herzens. Es kommt sogar vor, dass Babys beim Stillen die rechte Seite verschmähen.
Das erste Lebensjahr ist wie eine Verlängerung der Schwangerschaft, eine Übergangszeit für dein Kind, das – nachdem es die Wärme und Geborgenheit des Mutterleibes verlassen hat – durch das Stillen noch eine Weile mit dir verbunden bleiben kann, um sich dann in seinem eigenen Tempo zu lösen.
Die landläufige Meinung zur Kindererziehung war lange Zeit, dass ein Kind frühzeitig zu lernen habe, wie hart das Leben ist. Mütter sollten nicht auf jeden Muckser ihres Babys reagieren, um es ja nicht zu verwöhnen. Nach der Geburt einen Klaps auf den Po, auf den Neugeborenen-Stationen stundenlang schreiende Babys – bis weit in die 1980er-Jahre war das allerorts gang und gäbe. Häufig hören es junge Eltern noch von den Großeltern: »Lass das Kind ruhig weinen! Wenn du es jedes Mal hochnimmst, gewöhnt es sich nur daran, dich herumzukommandieren …«
Diese Haltung wirkt in vielen von uns noch nach, denn wir sind selbst als Kinder so behandelt worden. Auch wenn in den letzten Jahren die Pädagogik glücklicherweise ein anderes Bild von einer gelungenen Beziehung zwischen Eltern und Kindern aufzeigt, in der sich ein Kind sicher sein kann, dass seine natürlichen Bedürfnisse gestillt werden. Mag sein, dass auch wir selbst einen Mangel an Zuwendung erfahren haben und »trotzdem« einigermaßen normale, liebesfähige Menschen geworden sind. Aber vielleicht kann sich auch noch manch einer an die Schmerzen erinnern, die zu viel Alleinsein und Frustration in der Kindheit verursachten. Oder er weiß noch um das tiefe Glück, das ihm damals die Nähe der Mutter, ihr Trost und ihre Wärme bedeuteten.
Man kann ein Baby nicht mit zu viel Liebe verwöhnen. Echte Liebe, großzügig und gern geschenkt, gibt einem Kind Sicherheit und Vertrauen in die Welt, in die es hineinwächst, so dass es später schneller selbstständig wird und leichter lernt, selbst zu lieben, Rücksicht zu nehmen und zu geben. Es lernt an unserem Beispiel. Viele Eltern können inzwischen bestätigen, dass sich der manchmal hohe Einsatz in den ersten Lebensjahren lohnt, allein schon deshalb, weil die Kinder später unkomplizierter werden und die Eltern selbst mehr Freude an ihnen haben.
Liebe und Zuwendung geben