Umgesetzt vonARI FOLMAN und DAVID POLONSKY
DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK
GRAPHIC DIARYÜbersetzt von Mirjam Pressler, Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Die Familie FrankDie anderen Bewohner des HinterhausesDie HelferDIE PERSONEN IM TAGEBUCH UND IHRE RICHTIGEN NAMENAnne FrankMargot Frank Annes zwei Jahre ältere Schwester Otto Frank „Pim“ Annes VaterEdith FrankAnnes MutterAlbert Dussel (Fritz Pfeffer) der Zahnarzt Hermann van Daan (Hermann van Pels) Peters VaterAuguste van Daan „Madame“(Auguste van Pels) Peters MutterPeter van Daan(Peter van Pels)Jo KleimanBuchhalter bei Opekta und Pectacon, Otto Franks FirmenVictor Kugler Mitarbeiter bei OpektaBeb Voskuijl Sekretärin bei Opekta und Tochter des Mitarbeiters Johan VoskuijlMiep Gies Otto Franks SekretärinJohan Voskuijl Beps Vater und Lagerverwalter bei OpektaJan Gies Mieps Ehemann
Freitag, 12. Juni — Samstag, 20. Juni 19424
Niemand kann verstehen, dass ein Mädchen von drei-zehn ganz allein auf der Welt steht.Ich habe liebe Eltern und eine Schwester von sechzehn.WO BLEIBST DU DENN, ANNE?MACH ENDLICH DEINE GESCHENKE AUF!Hanneli und Jacque-line gelten als meine bes ten Freundinnen. Aber eine wirkliche Freundin habe ich noch nie gehabt.SIE STEHT WIRKLICH GERN IM MITTELPUNKT, WAS?ANNE! KOMM RUNTER! ICH KANN OHNE DICH NICHT LEBEN!ROB, GEH NACH HAUSE!! SONST RUF ICH DIE POLIZEI!Ich habe einen Haufen Anbeter, die mir alles von den Augen ablesen.5
Es fehlt mir nichts, außer „die” Freundin. Ich kann mit keinen von meinen Bekannten etwas anderes tun als Spaß machen, ich kann nur über alltägliche Dinge sprechen. Ich kann einfach nicht vertrauter zu anderen werden. Darum...Gleich als ich dich zwischen meinen Geschenken sah...... wusste ich, du bist was Besonderes!Du wirst die beste Freundin sein, die ich nie im Leben hatte...... und diese Freundin heißt Kitty.6
Liebe Kitty! Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große Stütze sein.7
STÖRT’S DICH , DASS ICH SO VIEL ÄLTER BIN?KEINE AHNUNG ...DU BIST MEIN ERSTER.IST SIE NICHT DAS ALLERHÜB-SCHESTE BABY?SAG SO WASNICHT, SCHATZ, DAS BRINGT UNGLÜCK.SAGT WER?MEINE GÜTE, SIE IST JA NOCH HÜBSCHER ALS IHRE SCHWESTER!DAS BRINGT WIEDER UNGLÜCK!WIR JUDEN NATÜRLICH!Ich sollte kurz meine Lebensgeschichte wieder-geben. Mein Vater und meine Mutter heirateten 1925in Deutschland. Es war keine Liebe auf den ersten Blick...Meine Schwester Margot wurde 1926geboren.Drei Jahre später kam ich auf die Welt: Annelies Marie Frank.Jüdisch sein war bei uns zu Hause nicht so wichtig. Mutter kam aus einer traditionellen Familie, aber bei uns spielte der Glaube keine große Rolle.8
ALLE MEINE JÜDISCHEN FREUNDE IM ÖFFENTLICHEN DIENST SIND ENTLASSEN WORDEN. UND ES WIRD NOCH SCHLIMMER WERDEN. WIR SOLLTEN MACHEN, DASS WIR WEGKOMMEN. BEHANDELT DIESER TIERARZT NUR JÜDISCHE TIERE?NEIN ... ABER ER WIRD BEHANDELT WIE EIN TIER, NUR WEIL ER JUDE IST...Aber dann kamen die Nazis und beschlossen, dass wir Juden doch anders waren.Als die Nazis an die Macht kamen, hatten sie das Ziel, die Juden aus der deutschen Gesellschaft zu entfernen. Obwohl Juden weniger als 1%der Be-völkerung ausmachten, glaubten die Nazis, wir wären die Wurzel allen Übels.9
Da er glaubte, Juden wären in Holland sicher, ging mein Vater 1933nach Amsterdam. Er wurde Direktor von Opekta, einer Firma, die ein neuartiges Geliermittel für Marmeladen herstellt.Mutter und Margot folgten ihm etwas spä ter, ich blieb erst mal in Deutschland bei Oma.An Margots achtem Geburtstag kam ich als Überraschungsgeschenk aus Deutschland, und wir waren endlich alle wieder vereint.Das Leben in Holland war herrlich. Wir hatten so viel Freiheit! Wir gingen oft eislaufen und machten sogar Skiurlaub in den Alpen.10
ES GIBT GERÜCHTE ÜBER EIN ARBEITSLAGER IN DACHAU, IN DAS DIE NAZIS JEDEN STECKEN, DER IHNEN NICHT „DEUTSCH GENUG”IST.ABER WAS MACHEN SIE DA MIT DEN LEUTEN?Das erste Anzeichen da-für, dass sich Schlimmes anbahnte, war die Ankunft von Onkel Uli aus Hamburg.Er war aus Deutschland geflohen, und er erzählte uns, wie grässlich das Leben dort für Juden geworden war.Die Nazis brannten Synagogen und jüdische Geschäfte nieder und warfen ihre Fenster ein.Sie verbrannten auch Bücher über jüdische Kultur oder von jüdischen Schriftstellern.Juden flohen und suchten Zuflucht, wo sie konnten.11
DAS KANN ICH NUR ERAHNEN ...JUDEN — SOFORT RAUS AUS DEM WASSER!!RAUS!!WIESO MACHEN DIE DAS?WEIL SIE GLAUBEN, JUDEN VERBREITEN GEFÄHRLICHE KEIME IM WASSER.Liebe Kitty! Wer hätte nach der Flucht vor den Gräueln in Deutschland ahnen können, dass die Nazis in Holland einmarschieren würden und das Ganze wieder von vorne anfangen würde...12
ICH AUCH ,ABER BEI DEN VIELEN VERBOTEN WEISS ICH NICHT, OB WIR DAS DÜRFEN ...ICH MUSS AUFS KLO.ZUM GLÜCK HAT DER MOND KEINE RELIGION ...UND WIR DÜRFEN KEINE CHRIST-LICHEN FREUNDE MEHR BESUCHEN.JETZT DÜRFEN WIR AUCH NICHT MEHR IN DIE PARKS, WIR DÜRFEN NICHT MAL MEHR IM DUNKELN AUF DER STRASSE SEIN.WENIGSTENS DÜRFEN WIR NOCH RAD FAHREN.Weißt du, Kitty, Juden dürfen nicht mehr Straßenbahn fah-ren. Auch nicht mehr Auto.Zwei Wochen später...Schluss mit Rad fahren13
Mittwoch, 24. Juni — Mittwoch, 1. Juli 1942Liebe Kitty!Mutter will immer wissen, wen ich später heiraten möchte. Aber sie rät bestimmt nie, dass es Peter Schiff ist, weil ich es, ohne mit der Wimper zu zucken, immer ableugne. Ich habe Peter so gern, wie ich noch nie jemanden gern gehabt habe. Und ich rede mir immer ein, dass Peter, nur um seine Gefühle für mich zu verbergen, mit anderen Mädchen geht.14
ICH SINGE NICHT FÜR JUDENSCHWEINE!Liebe Kitty!Es ist glühend heiß. Jeder schnauft und wird gebraten, und bei dieser Hitze muss ich jeden Weg zu Fuß gehen. Jetzt merke ich erst, wie angenehm eine Straßenbahn ist, vor allem eine offene. Aber dieser Genuss ist uns Juden nicht mehr beschieden, für uns sind Schusters Rappen gut genug. Es gibt aber auch noch nette Leute: Der Fährmann an der Jozef-Israëls-Kade nahm uns sofort mit, als wir ums Übersetzen baten. An den Holländern liegt es wirklich nicht, dass wir Juden es so schlecht haben.15
ICH BIN HELLO, WEISST DU NICHT MEHR? WILMAS COUSIN UM DREI ECKEN.DARF ICH DICH ZUR SCHULE BEGLEITEN?ACH SO, JA...ANNE! ANNE!ER KÖNNTE IHR ONKEL SEIN, SO ALT, WIE ER AUSSIEHT!HAT DER NICHT SCHONEINE FREUNDIN?ER IST SO SPIESSIG! WIE HÄLTST DU DAS AUS?REDEST DU SCHON WIEDER ÜBER JUNGS, ANNE?ICH FINDE IHN GANZ SÜSS. SEHR HÖFLICH, SAUBER, SIEHT NICHT SCHLECHT AUS.ALSO ICH MAG IHN. UND JETZT, WO HELLO IMMER AN DEINER SEITE IST, MUSS ICH MIR WENIGSTENS KEINE SORGEN MEHR MACHEN, WENN DU ALLEIN AUF DEN GEFÄHRLICHEN STRASSEN UNTERWEGS BIST. EGAL, ICH WERDE MICH TROTZDEM NIE IN IHN VERLIEBEN.Liebe Kitty: Es ist erst ein paar Tage her, seit wir uns zuletzt gesprochen haben, aber es hat sich viel verändert.Gestern habe ich was Nettes erlebt, als ich den Fahrradweg entlangging.Es sah fast so aus, als hätte er die ganze Nacht auf mich gewartet.Von dem Tag an wartete Hello jeden Morgen auf mich.Er war offensichtlich bis über beide Ohren in mich verliebt. Und alle lästerten darüber.16
ES IST AUSGANGSSPERRE! DU WEISST DOCH ,JUDEN MÜSSEN UM 8ZU HAUSE SEIN!ABER JEDES MAL, WENN SIE LÄNGER ALS 5MINUTEN AM STÜCKMIT MIR REDET, SCHLAFE ICH EIN.HAST DU NOCH EINE ANDERE FREUNDIN?ICH HATTE ... NUN JA, ICH HAB EINE ...Herr Kleiman und Herr Kugler haben Vaters Firma übernommen.17
PAPA, WIESO VERSCHWINDEN DAUERND SACHEN AUS DER WOHNUNG? MÖBEL, BÜCHER ,KLEIDUNG ...WIR WOLLEN DOCH NICHT, DASS DASALLES DEN NAZIS IN DIE HÄNDE FÄLLT, ODER, MEIN SCHATZ?Sonntag, 5. Juli — Samstag, 11. Juli 1942Ich verstand sofort, was er meinte.Es gäbe bestimmt schlimmere Verstecke als ein Erdloch im Wald, falls wir uns dort verkriechen müssten.18
FÜR MARGOT IST EIN AUFRUF VON DER SS GEKOMMEN.Aber ich wusste auch, dass Vater das niemals zulassen würde.Wir wussten alle, was ein Aufruf von der SSbedeutete...Liebe Kitty! Zwischen Sonntagmorgen und jetzt schei nen Jahre zu liegen. Es ist so viel geschehen. Am Sonntagnachmittag kam ich von einem Spaziergang mit Hello nach Hause, wo Margot und Mutter auf der Couch saßen. Margot weinte, und Mutter hielt sie im Arm. Mutter umarmt sie sonst nie.19
SOLLTEST DU NICHTEIN PAAR NÜTZLICHE SACHEN EINPACKEN?NÜTZLICHE SACHEN? SEIT WANN HABEN DIE SCHON MAL JEMANDEN GLÜCKLICH GEMACHT?MOORTJE, MEIN LIEBLING, ICH KANN MIR GAR NICHT VORSTELLEN, DASS WIR NIE WIEDER SCHMUSEN KÖNNEN.Um Mitternacht kamen Miep und Jan Gies von Vaters Firma. Sie nahmen unsere Habseligkei-ten mit, um sie ins Geheimversteck zu bringen.Ich packte die unsinnigsten Sachen ein, aber es tut mir nicht leid. Ich mache mir mehr aus Erinnerungen als aus Kleidern.Margot und ich fingen an, das Nötigste zu packen. Stell dir bloß vor, du musst plötzlich untertauchen und dich ent schei-den, was du mitnimmst.20
WEISST DU WAS, ANNE?VIELLEICHT HATTEST DU DOCH RECHT MIT DEN ERINNERUNGEN ...Mutter weckte uns um halb sechs am nächsten Morgen. Wir vier zogen so viele Schichten Klei-dung übereinander an, wie wir nur konnten!Alles sollte so aussehen, als wären wir Hals über Kopf aufgebrochen. Vater ließ ein Briefchen für den Nachbar da. Darin stand, wir wären in die Schweiz geflohen.Ich hatte große Angst. Die Leute, an denen wir vorbeikamen, schauten uns mitleidig nach.21
An jeder Straßenecke lauerte Gefahr.DIESE JUDEN — DENEN KANN’S NIE WARMGENUG SEIN.Was für eine Riesenüber-raschung! Das Versteck war in Vaters Bürogebäude.Das Personal war über unser Kommen infor-miert und begrüßte uns herzlich.22
UNSER ZIMMER ISTJA WINZIG!DENK AN DIE ZÜGE, DIE NACH OSTEN FAHREN, DANN KOMMT ES DIR GLEICH RIESIG VOR.Eine sehr steile Treppe ... Dann ein raffinier -ter Bücherschrank, der drehbar ist und wie eine Tür aufgeht und in unser Versteck führt ... ins Hinterhaus!Ich staunte, wie verwinkelt Vaters Büro-gebäude war. Nach vorne raus liegen Büros und Lagerräume...Aber kein Mensch würde vermuten, dass nach hinten raus so viele Zimmer versteckt sind.23
ADIEU MONDSCHEIN.ICH VERSTEH NICHT, WIESO VATER DEN VAN DAANS DAS GRÖSSTE, BEHAG-LICHSTE ZIMMER GEGEBEN HAT.ICH SCHON. DAS ISTEINFACH TYPISCH VATER. Nach unserer Ankunft im Hinterhaus erfuhren wir, dass wir unser Versteck mit Herrn und Frau van Daan und ihrem Sohn Peter teilen würden.Es dauerte eine Weile, bis ich in der Lage war, dir zu schreiben. Dabei will ich dir unbedingt alles erzählen...Es wird dich vermutlich interessieren, wie es mir als Untergetauchter gefällt.Nun, ich weiß es selbst noch nicht genau. Ich glaube, ich werde mich in diesem Haus nie daheim fühlen, aber damit will ich überhaupt nicht sagen, dass ich es hier unangenehm finde. Ich fühle mich eher wie in einer eigenartigen Pension, in der ich Ferien mache.An unserem ersten Abend im Hinterhaus saßen wir alle um das Radio im Zimmer der van Daans, das auch unser gemeinsames Wohnzimmer ist, und hörten die BBC aus London.24
ANNES ZIMMERBADEZIMMERBÜROKÜCHEZIMMER VON OTTO, EDITH UND MARGOTGEHEIMER EINGANGZIMMER DER VAN DAANS/WOHNZIMMER/KÜCHEPETERS ZIMMERDACHBODENDAS HINTERHAUS25
PETER , LEG SOFORT DAS SCHUNDHEFT WEG UND KOMM NACH UNTEN!WENN ICH SCHON HIER STERBEN MUSS, DANNKANN ICH DABEI AUCH AUF MEINEM NACHTTOPF SITZEN.WENN ICH SCHON HIER STERBEN MUSS, DANN GÖNNE ICH MIR NOCH EINE LETZTE TASSE GUTEN CHINESISCHEN TEE.ICH HABE NICHT VOR, HIER ZU STERBEN —DAFÜR IST DAS LEBEN ZU SCHÖN!EDITH HAT BESTIMMT AUCH EIN VERSTECK FÜR IHRE KOSTBARKEITEN. Liebe Kitty: Heute zogen die van Daans endlich zu uns ins Hinterhaus. Als sie reinkamen, jeder mit seiner kostbarsten Habe auf dem Arm, sah ich ihnen gleich an, mit wem wir es zu tun haben würden. Herr van Daan ist Fachmann für Gewürze und war Teilhaber von Vaters Firma. Frau van Daan sieht aus wie eine abgetakelte Diva. Und ihr Sohn ist ein schüchterner Lulatsch.Sonntag, 12. Juli — Mittwoch, 2. September 194226
GUTEN TAG. DIE BANK ÖFFNET IN KÜRZE. ICH NEHME AN, SIE HABEN JÜDISCHES GELD DABEI, DAS SIE EINZAHLEN WOLLEN?ICH WAR MEIN LEBEN LANG EINE DAME, UND ICH WERDE EINE DAME BLEIBEN, EGAL, WIE SCHLIMM ALLES WIRD!SIE WERDEN NICHT GLAUBEN, WAS FÜR GERÜCHTE ÜBER IHR VERSCHWINDEN VERBREITET WERDEN! PETER , KOMM SOFORT ZUM ABENDESSEN!Erstes Gerücht: „Ein deutscher SS-Offizier, der mit Otto im Ersten Weltkrieg gedient hatte, konnte Sie alle in die Schweiz schmuggeln.”Frau van Daan versteckte nicht bloß ihren Nachttopf. Nach und nach verschwand so gut wie alles an „Damenutensilien”.27
WIESO MUSSTEN SIE DAS ERZÄHLEN, SIE BOSHAFTER MANN?ACH ANNE, JETZT ÜBERTREIB MAL NICHT. ER WOLLTE BLOSS ETWAS WITZIGES ERZÄHLEN.WITZIG? WASSOLL DENN DARAN WITZIG SEIN?PETER , KOMM JETZT SOFORT NACH UNTEN!!Zweites Gerücht: „Die Franks machen einen langen Urlaub auf dem Land.” Drittes Gerücht: Eine Nachbarin weiß sicher, dass wir mitten in der Nacht auf ein Militärauto geladen wurden.28
AH, ICH STERBE! ICH HABE KEHLKOPFKREBS!