17,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 17,99 €
Ein Juwel der spirituellen Literatur.
Im Sommer 2006 unternimmt der Seher und spirituelle Lehrer Aaravindha Himadra eine abenteuerliche Reise in ein unzugängliches, nahezu mythisches Tal im Himalaja. Dort trifft er die legendären Amartya-Meister, höchst verwirklichte menschliche Wesen. Sie sind die Hüter von geheimem spirituellem Wissen einer uralten Tradition, das sie dazu befähigt, die Begrenzungen des Todes zu überwinden. Unter ihrer Anleitung erfährt Aaravindha, wie die Naturgesetze ihre Gültigkeit verlieren; er reist durch die Zeit, macht Erfahrungen außerhalb seines physischen Körpers und gewinnt tiefe Einsichten in das ewige Wesen der Dinge.
Dieses spirituelle Juwel entführt den Leser in eine Welt voller Wunder und tiefer zeitloser Wahrheit. Es zeigt, dass die urmenschliche Sehnsucht, nach Hause zu kommen, Erfüllung zu finden und zur wahren Größe unseres Seins zu erwachen, erfüllt werden kann.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 515
Aaravindha Himadra
Das Tal derUNSTERBLICHENMEISTER
Aus dem Englischen vonAiyanna Diyamayi
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
3. Auflage
Deutsche Ausgabe;
überarbeitete und erweiterte Fassung der deutschen Erstausgabe,
erschienen unter dem Titel »Unsterbliches Selbst« im
Parampara Verlag, München;
Titel der englischen Originalausgabe: Immortal Self
© 2013 Aaravindha Himadra; www.aaravindha.com
© 2015 Arkana, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Lektorat: Christian Wolf
Satz: Buch-Werkstatt, Bad Aibling
Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Shutterstock.com/GOLFX und
plainpicture/Robert Harding
Motiv Lotosblüte: shutterstock.com/KATE_123
ISBN 978-3-641-13666-6V002
www.arkana-verlag.de
Besondere Anerkennung gebührt Ashayrah, die an diesem Buch in fast jeder Phase des Entstehens unaufhörlich mitgearbeitet hat. Danke für deine entschlossene und selbstlose Großzügigkeit, wundervolle und geliebte Ashayrah!
Inhalt
Ein Brief an den Leser
Der Fremde
Eine zweite Einladung
Der Brief
JJ
Ein Schatten
Jenseits des Schattens
Die Azara
Die Nachfahren der Sonne
Der alte Siddha
Ein unüberwindbares Hindernis
Der rote Gesandte
Der Ruf der Flöte
Kubitha
Der letzte Wegabschnitt in das verborgene Tal
Die Ankunft
Das mysteriöse Blau
Nil’Amma Taras außergewöhnliche Fähigkeiten
Meister Phow Tseng Thak
Meister Rambala
Deva’bhag
Meister Janjuran Guna’sampad Rashanthi
Eine sternenhelle Geschichte
Auf dem Weg zum Haus des Großvaters
Pitamah
Glossar
Adressen
In liebender Erinnerung an Meister Phow, der 2011 im Alter von 164 Jahren seinen irdischen Körper abgelegt hat.
Ein Brief an den Leser
Ich habe dieses Buch aus der Erinnerung heraus niedergeschrieben und unter Zuhilfenahme der vielen Notizen, die ich während meines Aufenthalts im Tal der Unsterblichen gemacht hatte. Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, nicht mehr als eine schriftliche Aufzeichnung meines Besuchs zu verfassen. Doch mit der Zeit änderte sich meine Sichtweise, und ich entschloss mich, meine Erlebnisse offen mit der Welt zu teilen.
Im Jahr 2006 brach ich nach Indien auf, um diese Reise anzutreten, doch ich wartete weitere sechs Jahre, bis ich sie vollständig in Worte fasste. Zweifellos werden viele Leser das hier aufgezeichnete Wissen als sehr umstritten ansehen, gleichzeitig wird es für viele andere ein bestätigender, heilender Balsam sein. Ich habe kein Interesse daran, die Richtigkeit dessen, was ich erlebt habe, zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Es bedeutet mir wenig, ob Skeptiker mir zustimmen oder mir widersprechen. Für mich ist es von größerer Bedeutung, meine Erlebnisse mitzuteilen, damit die wenigen, die den Wert sehen können, der in diesen Seiten enthalten ist, ihn in sich aufnehmen und nutzen können, um sich auf ihrem spirituellen Weg weiterzuentwickeln. Denn wenn sie dieses Wissen richtig verstehen, wird es ihre Herzen und ihren Geist öffnen für das, was noch möglich ist.
Die Amartya-Tradition, die Linie der Meister, von der dieses Buch berichtet, ist heutzutage fast völlig unbekannt oder wird allgemein als alte Legende betrachtet. Nur einige vom Glück gesegnete Wesen haben Kenntnis von ihrer Existenz. Doch sie alle verbindet mit Sicherheit das gleiche Maß an persönlicher Verschwiegenheit, was ihren Aufenthaltsort anbelangt, das auch ich verspüre. Sie würden dieses Geheimnis unter keinen Umständen gegen den Willen der Amartya-Meister preisgeben. Durch gewissenhafte Recherche mag es immer noch möglich sein, Spuren ihrer Existenz in Shastras und alten Schriften zu finden und vielleicht auch durch alte Geschichten, in denen von ihnen erzählt wird.
Die Amartya-Tradition ist ebenso meine Tradition, und ich habe das Versprechen gegeben, den Wunsch der Meister nach zurückgezogener Anonymität zu wahren. Diejenigen, die die Schönheit und den Wert sehen, die in diesem Buch enthalten sind, können eine Verbindung zu den Amartya-Meistern herstellen, ohne sie physisch besuchen zu müssen, indem sie aufrichtig nach der Wahrheit in sich selbst suchen.
Das Himalaya-Gebirge ist eine sehr weite und ausgedehnte Region, die größer und abgeschiedener ist als die meisten Länder. Eine Vielzahl an Geheimnissen ruht in diesen Bergen, und für eine Weile wird dies auch noch so bleiben.
Es ist meine Empfehlung an Sie, lieber Leser, sehr langsam zu lesen, ganz besonders die zweite Hälfte des Buches. Indem Sie dies tun, wird das Wissen, das in diesen Zeilen enthalten ist, sehr wahrscheinlich einen versteckten Teil Ihrer eigenen Reise erwecken und womöglich sogar ein paar verlorene Erinnerungen Ihrer eigenen spirituellen Vergangenheit wachrufen. Jene, die in Demut und mit einem offenen Herzen lesen, werden ganz sicher am meisten profitieren und wahrscheinlich fühlen, wie die Meister dieser Tradition im Verborgenen auch in ihrem Leben wirken, um diese heiligen inneren Erkenntnisse zum Leben zu erwecken, Erkenntnisse, nach denen viele von Ihnen sich schon lange sehnen.
Aaravindha Himadra, Oktober 2013
Lausche sorgsam dem zarten Flüstern, jenen fein gesponnenen Impulsen, die verheißen, deine ungesungenen Passionen in ein Lied zu wandeln. Erwecke die drängende Weisheit zum Leben, die versteckt in deinen ergebensten Gefühlen ruht. Denn nur in aufrichtiger Demut wirst du den rechtmäßigen Boden bereiten, auf dem deine Bestimmung erwachen kann.
Der Fremde
Die Luft war feucht und drückend, die Sonne brannte erbarmungslos. Ein Flickenteppich rauchgrauer Schatten und pulsierender Farbtöne schuf eine bunte Kulisse hinter der vor Hitze vergehenden Horde von Wochenendeinkäufern. Ein breiter Vorhang aneinandergereihter pinkfarbener, blauer und safranfarbener Saris hing schlaff in der windstillen Hitze. Jenseits von aufgehäuften grünen Linsen, roten Chilischoten und offenen Reissäcken, in der Ferne, wo sich die Luft zu einem blassen Dunstschleier trübte, entluden zwei übergroße Busse eine energiegeladene Schar von Japanern. Am Hauptausgang des Marktes stauten sich die Touristen. Ich beschloss, mich mit der Menschenflut treiben zu lassen, die zu den weniger überfüllten Bereichen des Platzes strömte. Kaum einen Häuserblock weiter vorne, verborgen hinter einer langen Reihe überdachter Marktbuden und gekrönt von einem Gewirr ramponierter Stromleitungen, versprach eine enge Gasse die nächstgelegene Fluchtmöglichkeit. Nachdem ich meinen gesamten Vormittag damit verbracht hatte, ein endloses Sortiment von Perlenmalas, Musikkassetten und Touristenramsch zu durchkämmen, schien mir ein entspanntes Mittagessen im Schatten der überdachten Piazza meines Hotels nahezu idyllisch. Das heißt, bis mein Blick an einer letzten Verlockung hängen blieb: einer fein gearbeiteten tibetischen Jacke – ein ungewöhnlicher Fund inmitten eines Musikstandes, der sonst nur mit Trommeln und Sitars bestückt war.
Ich war an dem Erwerb der Jacke sehr interessiert, setzte aber eine gleichgültige Miene auf, während ich mir eine mögliche Verhandlungsstrategie durch den Kopf gehen ließ. Doch gerade als ich zum Feilschen ansetzen wollte, zog ein unbestimmtes Gefühl, beobachtet zu werden, meine Aufmerksamkeit zurück zur Menge. Ich brauchte nicht lange, um ihn auszumachen – am anderen Ende des Platzes stand ein hochgewachsener, feingliedriger Mann, der in ein lilafarbenes Leinentuch gehüllt war und seine Augen auf mich gerichtet hatte. Wie auf ein Zeichen begann er in dem Moment, indem sich unsere Blicke begegneten, in meine Richtung zu gehen.
Mit einem weißen amerikanischen Hemd und Bluejeans bekleidet, trug ich hier in Delhi zweifellos die typischen Merkmale eines Touristen zur Schau. Man hatte sich mir an diesem Morgen schon mehrfach in betrügerischer Absicht genähert, und so war ich nicht in Stimmung, mich mit einem weiteren Gauner auseinanderzusetzen. Ich blickte um mich. Die Menschenmenge war dicht und versprach ein leichtes Entkommen in der Masse. Doch ich zögerte; irgendetwas an diesem Mann war auf faszinierende Weise anders. Die Art und Weise, wie er mir entgegenging, hatte etwas fast Übernatürliches: Die sich Schulter an Schulter drängende Menge teilte sich von ganz alleine so einvernehmlich, als würde sie von der unsichtbaren Hand eines Puppenspielers choreografiert. War ich der Einzige, der das sah?
Ein einfach geschnitzter schulterhoher Stab schwang, gleich dem Pendel einer Uhr, in vollkommenem Einklang mit dem Schreiten seiner schlanken gebräunten Beine. Sein Tempo ließ die Entfernung zwischen uns im Nu schwinden – was in mir das verärgerte Gefühl auslöste, absichtlich in die Enge getrieben zu werden. Er stand nun hoch aufragend vor mir und verdeckte mit seinem Kopf vollkommen die Sonne. Zarte Lichtschimmer breiteten sich durch die feinen Spitzen seiner schlohweißen Haare aus.
Blaue Augen, dachte ich, er ist kein gebürtiger Inder.
Ein Moment der gegenseitigen stillen Einschätzung verstrich. Dann, als wollte er mir ein Geheimnis enthüllen, neigte er mir sein Gesicht ein wenig zu nahe entgegen und sagte halb flüsternd: »Wenn du bereit bist und wenn du willens bist, dann bin ich gekommen, dich nach Hause zu führen.«
…Ein seltsames Angebot.
»Kenne ich Sie?«, fragte ich. »Sind wir uns schon einmal begegnet?«
Ein vielsagendes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus – doch er sagte nichts.
Unvermittelt trat ich einen Schritt zurück – die Kante des Verkaufsstandes bohrte sich schmerzhaft in meine Hüfte. Ich überlegte, ob ich an ihm vorbeischlüpfen sollte, aber meine Faszination und Neugier hielten an. Da war etwas ungewöhnlich Einnehmendes an ihm: sein Selbstvertrauen, seine ruhige Fokussiertheit, eine subtile Spur von etwas Mysteriösem, das in seinen Augen schimmerte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn jemals zuvor getroffen zu haben, aber er kam mir sehr vertraut vor. Und dann passierte etwas Außergewöhnliches: Die Atmosphäre um uns herum änderte sich und wurde leicht elektrisch.
Meine Faszination nahm zu – dies war keine zufällige Begegnung. Er kannte mich zweifellos! Aber woher? Und warum konnte ich mich nicht an ihn erinnern?
Es gibt Zeiten im Leben, in denen sich die Hand des Schicksals unvorhergesehen zeigt. Ich habe Gefallen an diesen raren Momenten, an ihrem plötzlichen und unerwarteten Eintreten. Sie geschehen zu schnell und sind zu schwer fassbar, als dass ich sie einfach ignorieren oder gewohnheitsmäßig reagieren könnte. Meist entdecke ich in ihnen das Werk eines himmlischen Genius. Jetzt gewann ich den Eindruck, dass dies einer jener Momente sein könnte.
Plötzlich überfiel mich das verwirrende Gefühl, dass sich die Zeit aus irgendeinem Grund extrem verlangsamte. Die Abstände zwischen meinen Gedanken waren länger als gewöhnlich. Ich war nun zu fasziniert, um länger zu widerstehen, und ließ willig los, was augenblicklich eine fast übersinnliche Sehnsucht in mir aufkommen ließ, die zugleich schmerzvoll und auf verwirrende Weise hoffnungsweckend war. Es war ein wenig wie ein Gefühl aus meiner Kindheit, das ich einmal gehabt hatte, als ich von einer langen Reise nach Hause zurückgekehrt war.
Das Gesicht des Fremden begann sich zu verändern und wurde unerklärlich surreal, fast traumartig. Es geschah so schnell, dass ich fast mein Gleichgewicht verlor. Ich blickte nach oben in die schwarzen Zentren seiner Augen, was das Surreale noch verstärkte und das seltsame Gefühl erzeugte, in eine andere Welt zu fallen.
Auf einen Schlag wurde es um uns herum vollkommen still – so als hätte jemand einen Hebel umgelegt, der die Welt stumm schaltete. Und dann passierte noch etwas: Ich konnte ihn auf eine neue Weise sehen, eine Weise, die mir vorher nicht zugänglich gewesen war. Sein Gesicht strahlte eine so außergewöhnlich tiefe Güte von so großer Reinheit aus, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, je an ihm gezweifelt zu haben.
Meine Gedanken wurden weniger und weniger, in mein gewohntes Gedankenchaos kehrte vollkommene Ruhe ein. Eigenartigerweise verschluckte die zurückbleibende Stille jedes Gefühl der Trennung, die uns zuvor als zwei Wesen abgegrenzt hatte. Damit einhergehend stieg das Gefühl auf, seltsam offenbart zu sein. Und doch fühlte ich mich irgendwie in Sicherheit. Ich war genau da, wo ich sein sollte.
Es war nun offensichtlich: Hinter seinem Angebot steckte kein Trick, und es war auch nicht weiter rätselhaft. Seine Frage war nicht lediglich eine Aufforderung, sie war ein Weckruf, eine Art Stichwort, das etwas in mir wachrufen sollte – etwas, das ich vergessen haben musste. Ein Echo seiner Frage stieg wieder und wieder an die Oberfläche meines Geistes: Wenn du bereit bist… wenn du bereit bist… wenn du bereit bist… Es lag Aufrichtigkeit darin, und ich hatte das unleugbare Gefühl, dass meine Antwort auf irgendeine Art lebensverändernd sein würde.
Er hatte beeindruckend strahlende Augen. Dies war kein gewöhnlicher Mann, dies war ein Mensch von außergewöhnlicher spiritueller Entwicklung. Es war nun mehr als offensichtlich: Er war ein wahrer Meister, ein Mystiker.
Etwas begann zu erwachen. Eine sanfte Berührung von etwas Unerklärlichem, ein lichtvolles Flüstern überflutete mich. Es rief mich, forderte mich auf, die Augen zu schließen und mich nach innen zu wenden. In dem Moment, als ich dies tat, öffnete sich ein Fenster. Ein Mosaik von unvollständigen Bildern strömte hindurch: Bruchstücke einer vagen, fernen Erinnerung, nicht aus meiner Kindheit oder einer anderen Zeit in diesem Leben, sondern an etwas Älteres, aus einer früheren Zeit. Ich begann mich an Teile einer lange vergessenen Ära zu erinnern – Momente eines anderen Lebens, jenseits meiner normalen Reichweite an Erinnerungen. Was am deutlichsten herausstach, war das wachsende Gefühl, dass ich in jener Zeit, die so lange her war, ein Versprechen abgegeben hatte – ein Versprechen, das es noch zu erfüllen galt. Ich war nur noch nicht ganz sicher, worum es sich bei diesem Versprechen handelte. Aber ich wusste, dass dies der Hauptgrund für das Kommen dieses Meisters sein musste: Es sollte mir wieder ins Bewusstsein gerufen werden! Mit Ausnahme des gegenwärtigen Augenblicks schien der Ruf dieses erinnerten Versprechens alles verblassen zu lassen, was mir sonst in meinem Leben wichtig schien.
Das Sehnen, das ich verspürt hatte, und der Ruf dieses unerfüllten Versprechens waren ein und dasselbe. Ich hatte nur noch ein Verlangen: den Wunsch, mit ihm zu gehen, zurück in jene Heimat, in die er mich zu geleiten versprochen hatte. Ich wollte alles loslassen, alles aufgeben, was ich in meinem Leben getan hatte. Und obwohl ich mir so sehr wünschte, mit ihm zu gehen, wusste ich, dass ich das nicht konnte – noch nicht. Ich war gerade mal ein junger Mann, und ich hatte noch nicht vollbracht, was ich zu tun versprochen hatte.
Neue Gedanken tauchten auf, begannen sich wild zu drehen und erfüllten die Stille mit einem immer stärker werdenden bedrückenden Schmerz, aber gleichzeitig war ich auch erfüllt mit Dankbarkeit für das, was ich gerade entdeckt hatte. Die Welt um mich herum schien jetzt weiter entfernt zu sein, wie ein vorbeiziehender Traum. Schwindel überkam mich für einen Moment und brachte mich fast aus der Balance. Ich ergriff die Kante des Verkaufsstandes. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem und benutzte ihn, um meinen Verstand zur Ruhe zu bringen. Das alles war so schnell und aus heiterem Himmel geschehen.
»Eines Tages…«, flüsterte ich. Dann sprach ich es noch einmal laut: »Eines Tages.«
Ich wusste, dass er die Antwort bereits kannte. Er hatte sie schon gekannt, bevor er seine Frage gestellt hatte. Er wusste, dass ich selbst hören musste, wie ich die Antwort aussprach – um meine Überzeugung zu fühlen und zu fühlen, wie mein Versprechen wieder zum Leben erwachte.
Stockend brachte ich meine endgültige Antwort hervor: »Nein … ich bin nicht bereit … noch nicht.«
Er richtete sich gerade auf, wechselte seinen Stab in die freie Hand und legte mir dann ermutigend seine rechte Hand auf die Schulter. Ein mitfühlender Blick, der nicht von dieser Welt zu sein schien, strahlte durch seine Augen und berührte mein Herz auf eine Weise, die man nur als zeitlos beschreiben kann.
»Danke«, sagte ich leise. »Ich werde diesen Moment nicht vergessen.«
Er nickte. »Gut – wir werden warten.«
Es war vorüber. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging so leicht davon, wie er gekommen war. Der Lärm des Marktes brach tosend wieder auf mich herein.
Ich beobachtete, wie er durch die Menge verschwand. Dieser sanftmütige Meister hatte mir einen Einblick in etwas weitaus Bedeutungsvolleres gewährt, als ich es mir für mein Leben je hätte vorstellen können. Er hatte meine Welt aufgebrochen. Ich stand nun direkt am Puls des Lebens, bereit, allen Anforderungen zu begegnen, die es mit sich bringen mochte.
Ich versprach mir selbst: Ich werde dies für mich behalten und mit niemandem teilen– zumindest jetzt noch nicht.
Eine zweite Einladung
Die lebenswärmenden Südwestwinde hatten endlich eingesetzt und färbten die San-Juan-Inseln grün – der Winter war vorüber. Der Frühling hatte die trist wirkenden, wie im Tiefschlaf liegenden Sträucher und Äste wachgeküsst und die Landschaft in ein weißes und himbeerfarbenes Blütenmeer verwandelt – eine Bilderbuchkulisse für meinen Rückzugsort im Wald. Ich schlug mein Zelt auf einem ruhigen bemoosten Hügel auf, unter einem Baldachin aus Douglastannen und dickarmigen Madronabäumen. Ich stattete mein Refugium mit einem Feldbett, einem kleinen Tisch für Kerzen, Weihrauch und einem samtigen lilafarbenen Sessel aus.
Der Morgen war jung und die Luft lieblich frisch. Es roch nach fruchtbarer Erde, Pinien und dem feinen Duft des nahen Meeres. Mit dem Sonnenaufgang hatte ich mich in das erfüllende Gefühl der meditativen Stille gleiten lassen. Die Zeit war dem Zeitlosen gewichen.
Es begann mit nicht mehr als einem pulsierenden Schimmern, einem seidigen Funkeln, das unter meinen geschlossenen Augenlidern kam und ging. Ich gedachte, dem keine Beachtung zu schenken, doch als ich ein ungewöhnliches Knacken in der Luft hörte, unternahm ich die Anstrengung, meine Augen zu öffnen. Ein Schauer durchlief mich, und ich sah das Unmögliche: die geisterhafte Erscheinung eines weiß gekleideten langhaarigen Mannes, der mit gekreuzten Beinen schwerelos in der Luft saß – direkt vor mir.
Seit meiner Kindheit hatte ich sie Tausende Male gespürt: eine in weiter Ferne lebende Gruppe außergewöhnlicher Meister. Nach der Einladung damals auf dem Markt in Neu-Delhi war ihr Einfluss zunehmend größer geworden. Nur selten verging nun ein Tag, an dem ich sie nicht wahrnahm. Doch seit jenem Tag auf dem Markt in Delhi hatte ich keinen von ihnen mit offenen Augen gesehen.
Nicht durch den Gebrauch von Worten, sondern durch eine unmissverständliche und gezielte gedankliche Übertragung sprach er:»Wir bitten dich, nun in unser Tal im Himalaya zu kommen!«
Im Nu löste sich seine Erscheinung auf und hinterließ nur diffuses Sonnenlicht, das durch mein Zeltfenster schien. Nach mehr als fünfundzwanzig Jahren hatte ich meine zweite Einladung erhalten – so plötzlich und unerwartet wie die erste.
Anders als die erste brachte diese Einladung eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich, die mir vorher nicht in den Sinn gekommen waren: Sie offenbarte mir nicht, wie oder wohin ich gehen sollte. Ich hatte oft daran gedacht, dorthin zu reisen, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich ihr Zuhause ohne einen Führer oder eine Wegbeschreibung finden könnte. Ich wusste nur, dass ihr Zuhause verborgen irgendwo im entlegenen Himalaya-Gebirge lag.
Diese Meister sind eine fast vergessene Legende, und nur selten hat es jemand geschafft, sie auf eigene Faust zu finden. Ich hoffte, auf irgendeine Weise weitere Informationen zu erhalten, hatte aber auch die Befürchtung, dass ich auf meine eigenen Mittel und Wege angewiesen sein würde – Mittel und Wege, die ich bis jetzt noch nicht kannte.
Jeder Mensch auf dieser Welt ist mit irgendeiner Art von Begabung und Lebensaufgabe gesegnet. Wenn die Begabung und die Lebensaufgabe eines Menschen zusammenfinden, dann scheint sich alles im Leben so zu fügen, wie es sein soll. Ich entdeckte meine Begabung früh, doch rang ich als Kind unaufhörlich mit ihr – in meiner jugendlichen Naivität und Unerfahrenheit konnte ich schwer mit dieser beängstigenden ungewöhnlichen transzendentalen Sicht umgehen, eine Sicht, die weitaus weniger definierbar oder handhabbar war als die anerzogenen Grenzen, die mir durch die Schule, Freunde und meine Familie auferlegt wurden. Ich rang hauptsächlich damit, meine ungewöhnliche Wahrnehmung der Dinge an mein konservativ denkendes soziales Umfeld anzupassen. Schließlich lernte ich, meine Begabung zum Wohle anderer einzusetzen. Daraufhin wurde meine anfängliche Sorge, nicht in die Mainstreamwelt zu passen, irrelevant. Ich hatte das zweite Teilstück gefunden – meine Lebensaufgabe.
Später, während meiner Reise in den Himalaya, erfuhr ich, dass mein besonderes Talent an ein paar sehr alten heiligen Orten im Osten einst als Drishti Saumedhika bezeichnet wurde. Saumedhika ist die Fähigkeit der alten Seher, eine Sensitivität in den Wahrnehmungen, die am besten wie eine Art transzendentale Wünschelrute genutzt wird. Am nützlichsten ist diese Fähigkeit, wenn sie dafür eingesetzt wird, Informationen und Wissen zu erlangen, die der spirituellen Ausrichtung im Leben dienen.
Nie hatte ich meine Begabung auf eine andere Weise angewendet. Nun zog ich in Erwägung, sie wie einen Kompass zu benutzen und auf einen weit entfernten und noch unbekannten Ort auszurichten. Bis jetzt war ich mit meinem Talent zufrieden gewesen – so wie es war. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich nun jedoch mit der sehr realen Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass meine Fähigkeiten vielleicht nicht ausreichen würden. Trotz der vielen Unwägbarkeiten, die nun drohend vor mir lagen, war ich davon überzeugt, dass die kommende Reise – ungeachtet ihrer möglichen Herausforderungen – ein wesentlicher Teil meiner Bestimmung war. Ich war fest entschlossen: Auf die eine oder andere Weise würde ich einen Weg finden, um ihrer Einladung nachzukommen. Ich würde diesen Weg gehen – ungeachtet seiner Unwägbarkeiten.
Ich sah mich selbst in einer grünen Landschaft stehen, umgeben von hohen schneebedeckten Bergen. Es war eine friedvolle, liebliche Welt, und ich wusste sofort, dass ich einmal dort gelebt hatte.
Der Brief
Nach einem ergebnislosen Jahr bruchstückhafter Recherche und Reiseplanungen buchte ich einen Flug nach Delhi. Abgesehen von dem besorgniserregenden Gefühl, dass ich mich nun einzig auf meine Intuition und meine Saumedhika-Fähigkeiten verlassen musste, um den richtigen Weg zu finden, entwickelten sich die ersten Tage weitaus besser als erwartet. Der heutige Tag jedoch war anders.
Nachdem ich meine letzte Reisegenehmigung im House of Sikkim erhalten hatte, schien jeder meiner Schritte auf unerklärliche Weise zunehmend von einem drängenden Gefühl rätselhafter Eile belastet zu sein. Am frühen Nachmittag wurde die daraus resultierende Rastlosigkeit zu offensichtlich, um sie ignorieren zu können. Schon vor langer Zeit hatte ich gelernt, diese intuitiven Zeichen nicht zu verleugnen, und so verwarf ich meine nachmittäglichen Pläne, einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, und machte mich auf den Weg zurück in mein Hotel.
Als ich das Foyer betrat, schlug mir augenblicklich eine seltsame Welle der Aufmerksamkeit entgegen. Umgeben von ausländischen Geschäftsleuten in Anzügen und reisenden Würdenträgern schien ich allein ein zwar diskretes, aber doch unleugbares Maß an zusätzlicher Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Die Angestellten zügelten eilig ihr Geflüster und senkten ihre Blicke, als sie mein Unbehagen, beobachtet zu werden, bemerkten, ersetzten es jedoch lediglich durch ungeschickt vorgetäuschte Teilnahmslosigkeit. Neugierig ließ ich meine Augen durch die ganze Länge der Lobby wandern und entdeckte den Concierge, der mich von seinem Empfangspult aus zu sich herüberwinkte und mir so eine günstige Gelegenheit bot, mich der Musterung zu entziehen.
Der Concierge zog vorsichtig einen elfenbeinfarbenen Leinenumschlag aus einer schmalen Schublade, doch verzögerte er dessen Herausgabe gerade lang genug, um mir mitzuteilen, dass ihn ein Baba – ein weiß gekleideter heiliger Mann – für mich hinterlassen habe. Aus einem unbekannten Grund habe er sich entschieden, nicht zu warten.
»Weiß gekleidet?«, fragte ich. Ich dachte, Babas seien normalerweise safranfarben gekleidet – in der Farbe des Feuers –, was das Hinwegbrennen der Unreinheiten symbolisiert.
»Sie sind sicher, dass er ein Baba war?«, fragte ich.
Mit einem leicht anmaßenden Nicken spähte er über den Rand seiner goldgefassten Brille. »Ohne Zweifel, Sir! Weiß gekleidet, aber ganz sicher ein Baba!«
»Er muss einen ziemlich großen Eindruck hinterlassen haben.«
»Wie bitte, Sir?«, fragte er.
»Auf Ihre Mitarbeiter … Sie schienen ein außergewöhnliches Interesse an meiner Rückkehr zu zeigen. Ich vermute, dass dies der Grund dafür war?«
Sein Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem tadelnden Blick, den er auf zwei Dienstboten richtete, die gerade vorbeigingen.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf mich und sagte: »Unsere aufrichtige Entschuldigung, Sir. Es ist ein ungewöhnliches Ereignis, wenn ein heiliger Mann mit einer so bemerkenswerten Ausstrahlung unser Hotel betritt. Wir sehen selten andere Besucher als die üblichen Geschäftsleute und dergleichen.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich bin sogar erleichtert – all das ergibt nun einen Sinn.«
War dies mein erhoffter Kontakt? Ich war begeistert von dieser Aussicht.
Nachdem ich den ungewöhnlich schmalen und antiquiert wirkenden Umschlag genau untersucht hatte, ließ ich mich in einen weinroten ledernen Klubsessel sinken, der mir zwischen überhängenden Blättern zweier Palmen ein wenig Privatsphäre gewährte. Ich blickte auf und sah, wie der Concierge mich immer noch unauffällig aus den Augenwinkeln studierte. Bemerkenswerte Ausstrahlung… und dergleichen, sinnierte ich, während ich mit meinem Zimmerschlüssel die kürzere Seite des Briefumschlages aufschlitzte. Ich nahm den Inhalt heraus: ein einzelnes Blatt Papier, das stark nach Weihrauch duftete.
Shri Aaravindha, Namaste– sei gegrüßt!Wir haben mit den Vorbereitungen für deine Ankunft begonnen. Wir empfehlen dir, dieser sicheren Route zu folgen.
Meine Augen eilten blitzartig zum Ende des Briefes. Hmm, keine Unterschrift– nur der schlichte Gruß »Jai«.
Der Rest des Briefes erschien besonders seltsam: Er wirkte ein wenig zurückhaltend, sagte wenig aus und legte lediglich einen rätselhaften neuen Reiseplan dar. Ich hatte im Verlauf des letzten Jahres äußerst gewissenhaft Landkarten von möglichen Gegenden studiert, von denen ich intuitiv annahm – mir jedoch öfter auch nur vorstellte –, dort könnte ihr Aufenthaltsort sein. Ab und an war es mir in Meditationen gelungen, flüchtige Einblicke zu erhaschen – meist von einem verborgenen Tal im Himalaya. Letztendlich konnte ich aber nicht sicher sagen, ob ich irgendetwas wahrgenommen hatte, das wirklich von Wert war. Voller Hoffnung legte ich mich auf eine hypothetische Region fest, doch mir war bewusst, dass ich nicht wirklich etwas Konkretes hatte ermitteln können.
Auch die im Brief vorgeschlagene neue Route offenbarte nicht viel mehr: Sie endete, ohne mir einen Hinweis zu geben, dem ich würde folgen können, wenn ich einmal in den Bergen angekommen war. Allerdings endete sie in ihrem letzten Abschnitt in einer Gegend, in der ich ursprünglich vorhatte, meine Reise zu beginnen: in Varanasi. Von dort hatte ich einen Nachtzug nach Sikkim nehmen wollen. Ich hoffte, in Sikkim heimlich in einen östlichen Abschnitt des Himalaya marschieren zu können, wo ich glaubte, die Mittel und Wege zu finden, die mich ungefähr in die Region führen würden, in die ich vorhatte zu gehen. Meine Pläne waren vage, bestenfalls skizzenhaft, ohne einen wirklichen Anknüpfungspunkt an etwas Konkretes. Vielleicht in Varanasi– vielleicht würden sie mich dort erneut kontaktieren? War das der Grund, warum die Route dort endete?
Dieser Brief stellte einen sonderlichen neuerlichen Rückschlag dar: Der erste Teil der Route schweifte ein weites Stück nach Süden ab, bevor sie in Richtung Norden verlief. Das ergab keinen Sinn. Ich las den Brief noch einmal, was das beunruhigende Gefühl nur verstärkte, dass etwas Neues und Seltsames im Gange war. Meine Augen wanderten immer wieder zu denselben beiden Worten: sichere Route. Es musste einen Grund dafür geben. Hatte ich etwas übersehen– eine Art Bedrohung? Hatte ich Grund zur Besorgnis?
Ich verfolgte meine Schritte zurück zum Anfang meiner Reise. Mir war sehr wohl bewusst, dass die Meister im Himalaya in geheimer Abgeschiedenheit leben und nicht wollen, dass Ungebetene ihren genauen Aufenthaltsort kennen. Aber ein Zusammenhang zwischen ihrer Einsiedelei und dieser eigentümlichen Route erschien mir nicht logisch. Ich war besonders darauf bedacht gewesen, jegliche Details, die meine Pläne betrafen, vertraulich zu halten. Selbst jetzt wussten mit Ausnahme der Meister nur zwei Personen, wo genau ich mich befand. Beide waren in den USA, und beide hatten mir ihr Stillschweigen geschworen.
Doch mit diesem rätselhaften Umweg und dem seltsamen Gebrauch des Wortes »sicher« musste es mehr auf sich haben. Wenn der Brief nicht nur eine Kontaktaufnahme war, sondern ebenso dazu gedacht, eine Warnung zu überbringen, erklärte dies dennoch nicht, warum sie wollten, dass ich dieser weit abgelegenen südlichen Route folgte – gerade jetzt. In Neu-Delhi waren die Temperaturen bereits auf über 41 Grad Celsius gestiegen. Die noch heißere Wüste von Rajasthan zu durchqueren käme einer Fahrt durch einen Backofen gleich. Zweifellos wäre allein das ein höheres Risiko, als sich einfach in den kühleren Norden aufzumachen. Eine viel gelesene Tageszeitung hatte von über einhundert Todesopfern berichtet, die am Wochenende der Hitze anheimgefallen waren – genau in jener Region, in die meine neue Route zeigte.
Ich zog die Möglichkeit in Erwägung, den südlichen Teil der Strecke zu umgehen und direkt nach Varanasi zu reisen. Aber selbst der kleinste Gedanke an eine Abweichung von der vorgegebenen Route fühlte sich beunruhigend falsch an. Die Ankunft dieses Briefes, hier und jetzt, war nichts Geringeres als ein Wunder. Wenn die Meister die Umstände in Kauf genommen hatten, ihn über eine solch weite Strecke überbringen zu lassen, noch dazu durch die Hand eines heiligen Mannes mit solch»bemerkenswerter Ausstrahlung und dergleichen«, dann mussten sie einen guten Grund dafür haben, diese seltsame Route vorzugeben.
Nein!, schlussfolgerte ich. Sie wissen zweifellos, wo ich bin. Sie wissen sicher besser als ich, wohin ich als Nächstes gehen soll– das reicht mir aus! Ihre Nachricht in den Händen zu halten war alle Gewissheit, die ich brauchte.
Mithilfe des Concierge organisierte ich einen professionellen Fahrer. Atmaraj war ein geeigneter, elegant gekleideter Mann mit einem ölig zurückgekämmten Fünfzigerjahre-Haarschnitt. Auf den ersten Blick erschien er mir ein wenig zu jung und unerfahren – er wirkte wie Anfang zwanzig. Doch nach einem offenen Gespräch versicherte er mir überzeugend, dass er die Strecken durch den Süden Rajasthans bereits seit einigen Jahren fahre und sie besser kenne als die meisten anderen Fahrer. Wir einigten uns auf einen fairen Preis, und ich engagierte ihn für die geplante Fahrt.
Nach ein paar gemächlichen Bahnen im Hotelpool suchte ich nach einem abgelegenen Platz auf der Dachterrasse, einem friedvollen Ort für meine abendliche Meditation. Die aufreibende Geräuschkulisse der Stadt verebbte zu einem Raunen und wurde nahezu hypnotisch – fast als hätten die Götter der Stadt diesen Ort heimlich mit einem beruhigenden Zauber belegt.
Der im Dunst versinkenden Sonne zugewandt setzte ich mich in einem bequemen Korbsessel zurecht. Ich schloss meine Augen und gab mich dem inneren Sog hin. Wie ein Stein sank ich in eine geräuschlose Tiefe.
Doch meine Meditation sollte nicht in der geplanten Form stattfinden, denn nach gerade einmal zehn Minuten wurde ich durch das zarte Flattern von etwas Unbekanntem abgelenkt, das durch mein Gewahrsein streifte. Diese Regung weckte in mir das Gefühl, nicht alleine zu sein. Ich folgte ihr zu ihrem Ursprung und konnte undeutlich jemanden wahrnehmen – eine Präsenz, die mich beobachtete. Nicht in meiner Umgebung, sondern auf verwirrende Weise halb verborgen in den ursächlichen inneren Schichten und dem lautlosen Flüstern, die inmitten der ersten gedanklichen Regungen existieren. Ganz offensichtlich überwand dort jemand eine Grenze, um mein Gewahrsein zu berühren.
In meinen Gedanken blitzte der Augenblick auf, in dem ich meine zweite Einladung erhalten hatte. Bahnte sich womöglich gerade ein erneuter Kontakt an?
Ich wartete in ruhiger Gelassenheit, erkannte jedoch bald, dass im Gegensatz zur zweiten Einladung, die mich durch das Phänomen einer Erscheinung erreicht hatte, dieses andere Wesen schwer greifbar, bestenfalls schwach wahrnehmbar blieb – verborgen hinter einem Schleier in der Stille. Indem ich auf die Art beobachtete, wie die Stille beobachtet, erweiterten sich meine Wahrnehmungen und berührten die subtile innere Weite, in der gewöhnliche Gedanken allesamt überflüssig werden.
Dann, so sanft wie ein Seufzen, schwebte etwas zartVerlockendes durch die Stille. Die Anziehung lockte mich zu einer Art von geistigem Portal, das sich in eine andere Welt zu öffnen schien.
Ich war schon einmal hier, dachte ich, vor mehr als einem Vierteljahrhundert auf dem Markt in Delhi.
Ich ließ mich selbst los, fiel in eine mühelose Hingabe und tauchte dann als junger Mann in einem vergangenen Leben wieder empor – in einer Zeit, die lange vorüber war. Eine Flut von Bildern flackerte in meinem Gewahrsein auf. Dann sah ich mich selbst in einer grünen Landschaft stehen, umgeben von hohen schneebedeckten Bergen. Es war eine friedvolle, liebliche Welt, und ich wusste sofort, dass ich einmal dort gelebt hatte. Dies war ihr verborgenes Tal, in dem ich als Sohn von einem der Meister aufgewachsen war, zu denen ich nun unterwegs war.
Die Einzelteile fügten sich so perfekt aneinander, dass es schien, als wäre all das gerade erst geschehen. Eine lebendige Reihe von Erinnerungen folgte: Gespräche, Entscheidungen und schließlich tiefe Erkenntnisse, die sich alle ergänzten und meine hauptsächlichen Gründe offenbarten, warum ich damals das Tal verlassen hatte. Einen Moment darauf kam eine noch tiefere Erinnerung zum Vorschein: ein unerfüllter Schwur, ein Versprechen, das ich lange vor meinem Leben in jenem Tal abgegeben hatte. Es war dasselbe Versprechen, an das ich mich mithilfe des Meisters auf dem Markt in Delhi erinnert hatte. Der Kreis meiner Erinnerungen war dabei, sich zu schließen. Eine Welle der Vorfreude und der Aufregung durchflutete meinen Körper, so heftig, dass sie mich fast aus meinem meditativen Zustand wieder an die Oberfläche gezogen hätte.
Ich erkannte nun, dass ich mich damals, als ich als junger Mann in jenem Tal lebte, an dieses Versprechen erinnert hatte und es mich in jenem Leben tief beeinflusst hatte. Irgendwann war der Ruf dieses Versprechens zu überwältigend geworden, um ihn zu ignorieren. Und obwohl ich wusste, dass ich noch nicht im richtigen Leben war, das Versprechen vollständig zu erfüllen, entschied ich mich im Alter von achtzehn Jahren, das Tal zu verlassen, um meine Suche zu beginnen und der Erfüllung entgegenzugehen.
Als mich der Meister auf dem Markt in Delhi auf dieses Versprechen aufmerksam gemacht hatte, hatte ich schemenhaft erkannt, dass ich es noch erfüllen musste. Und obwohl ich es damals noch nicht ganz verstanden hatte, zumindest nicht in seiner Gänze, spürte ich dennoch weiterhin seinen Ruf – selbst in meinem jetzigen Leben.
Meine Gedanken versetzten mich in den Augenblick zurück, als ich dem Meister in Delhi gesagt hatte, dass ich noch nicht bereit sei. Mein intuitiver Antrieb, aus dem heraus ich dies getan hatte, war nun noch offensichtlicher. Damals hatte ich das Gefühl, es sei zu früh, um mit ihm zu gehen. Ich spürte, dass ich noch etwas vervollständigen musste. Nun wusste ich, was dieses Etwas war.
Der Schwur hing direkt mit einer alten Weissagung zusammen, einer Prophezeiung, die die Ereignisse unserer heutigen Ära, dem 21. Jahrhundert, voraussagte. Sie kündete von einer Zeit, in der unsere Welt durch eine unvermeidbare stürmische Phase der Umwälzungen und Schwierigkeiten gehen werde, die genährt würden von einer dunklen Wolke aus kollektiver Gier, Korruption und einer Gesellschaft, die die Augen vor diesen Entwicklungen verschlossen halte. Und obwohl dies kein vollkommen neues Thema in unserer Welt war, hätten diese Ereignisse weitaus größere Auswirkungen als jemals zuvor in unserer Geschichte. Sie würden unvermeidlich zu einer Vielzahl globaler katastrophaler Ereignisse führen, die das Überleben der Menschheit auf der ganzen Welt bedrohen würden. Eine beängstigende und äußerst gefährliche Revolution der weltweiten ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wäre die Folge. Die Menschheit wäre gezwungen, einen noch nie da gewesenen Sprung in ihren ethischen Grundsätzen zu machen, und würde dadurch eine weitere Wandlung herbeiführen – eine Wandlung, die im günstigsten Falle den Weg für eine monumentale globale Heilung bereiten und zur möglichen Entstehung eines sehr viel weiter entwickelten Zeitalters führen würde.
Seit dem Besuch dieses Meisters hatte ich den Einsatz meiner Saumedhika-Fähigkeiten hingebungsvoll darauf verwendet, das seit Langem in Vergessenheit geratene spirituelle Wissen unserer Welt wieder hervorzubringen. Doch bis zum jetzigen Zeitpunkt war ich mir der verborgenen Kraft, die mich antrieb, nicht vollständig bewusst gewesen. Jetzt war es mir klar: Das Wiederhervorbringen dieses Wissens war ein wesentlicher Teil meines Schwurs.
Ich wollte gerade meine Meditation beenden, als eine weitere Erinnerung hervorbrach: Ich hörte den Namen Krishnalila. Es war, als hätte diese Präsenz, die meiner Meditation beiwohnte, ihn absichtlich in meinem Verstand aufsteigen lassen. Es dauerte nicht lange, bis der Name eine umfassendere Erinnerung wachrief, die rasch bemerkenswert lebendig wurde.
Ungefähr ein Jahr nachdem ich mein Zuhause im Himalaya verlassen hatte, freundete ich mich mit einem sanftmütigen, mitfühlenden Weisen an, der an der westlichen Grenze Sikkims lebte, nahe einer Gegend, die man »Die fünf Schätze des ewigen Schnees« nannte. Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, unterrichtete er gerade seine Schüler, eine Gruppe von Einheimischen dieser Bergregion. Er lehrte sie einen vorherrschenden spirituellen Grundsatz, der besagte, dass es die Pflicht eines jeden vom Glück begünstigten Menschen sei, das Leid und die hoffnungslosen Umstände der weniger vom Glück Gesegneten zu lindern. Und obwohl er älter und sehr viel welterfahrener war als ich, wurde er nach einer Reihe von langen Unterhaltungen zu einem meiner ersten Schüler.
Plötzlich zog sich der mysteriöse Beobachter zurück, und sein Einfluss verschwand. Ich war wieder allein in meiner Meditation.
Die ersten paar Tage preschten Atmaraj und ich in südlicher Richtung durch die sonnenverbrannten rotbraunen Städte Rajasthans und erreichten endlich Udaipur. Nach ein oder zwei Tagen Pause würden wir die Fahrtrichtung ändern und der Route weiter nach Nordnordost folgen. Wir würden zuerst durch die blaue Stadt Jodhpur fahren und dann weiter durch Agra. Dort würden wir einen kurzen Zwischenstopp einlegen, um den Taj Mahal zu besichtigen, und dann weiterfahren geradewegs in die für ihre Kamasutratempel berühmte Stadt Khajuraho. Es war mein Plan, in Khajuraho einen Flug nach Varanasi zu nehmen. Dort angekommen, wollte ich erst einmal warten.
Ich hoffte, es würde mich eine weitere Nachricht erreichen, die nähere Anweisungen enthielt. Sollte jedoch aus irgendeinem Grund keine weitere Führung eintreffen, gedachte ich, alternativ meiner zuvor intuitiv erstellten Route zu folgen: Ich würde einen Zug nach Sikkim nehmen, und wenn ich auch in Sikkim keine Nachricht erhielte, würde ich mich von dort aus in die Berge aufmachen und versuchen, den Weg zu ihrem Zuhause intuitiv zu finden. Selbst im günstigsten Fall war dies eine eher beunruhigende Perspektive. Sollten diese besorgniserregenden Umstände wirklich eintreten, so müsste mein Aufbruch in den Himalaya heimlich stattfinden. Denn es ist verboten, über Sikkim hinaus tiefer in die Berge vorzudringen. Dennoch trug ich nun das unerschütterliche Gefühl in mir, dass ich einen Weg finden würde – auf die eine oder andere Weise.
Nach einem zeitigen Frühstück, bestehend aus Chapatis, Kräuterrührei und einer Tasse heißen Masala Chai, beschloss ich, den Vormittag mit einer Tour durch die historischen Viertel von Udaipur zu verbringen. Für den Abend plante ich als Abschluss eine ruhige Bootsfahrt zum berühmten Seepalast, um dort zu Abend zu essen. Davor jedoch wollte ich die ländliche Umgebung erkunden und womöglich ein paar Ruinen besichtigen.
Es war ein brennend heißer Tag, der jedoch schnell verging. Auf unserem Weg zurück nach Udaipur entdeckte ich durch das Beifahrerfenster in der Ferne die Überreste einer Bergzitadelle, die mich magisch anzog. Um der Hitze zu entgehen, entschied sich Atmaraj, beim Wagen zu warten, im Schatten eines großen Jambulbaumes, einer einheimischen Pflaumensorte. Ich ging somit allein los, was mir eigentlich auch lieber war, und kletterte einen brüchigen Steinpfad zum verfallenden vorgelagerten Eingang der Ruine hinauf. Hier, auf dem Gipfel, hatte sich die heiße Luft zu zielgerichteten, nach oben steigenden lauen Luftströmen geformt, die winzige Staubpartikel mit sich zogen und weiter oben gegen die hohe, zerklüftete Außenmauer der Ruine drängten. Der Zahn der Zeit hatte die meisten Festungsmauern abgetragen und sie unter dichtem Dornengestrüpp und Wurzeln begraben. Der Eingang selbst war indessen immer noch begehbar. In der Mitte eines eingesunkenen grauen Innenhofes stand der klägliche Überrest eines verfallenen Tempels ohne Dach. Zweifellos einst ein schöner Bau, war von ihm jetzt nicht mehr übrig als die gespenstische Erinnerung an ein längst vergessenes Reich.
Auf meinen Karten war diese Ruine nicht eingezeichnet. Sie schien sich offenbar nicht als Touristenziel qualifiziert zu haben. Ihrem Zustand nach zu urteilen war seit Langem niemand mehr hier gewesen. Ich folgte dem, was seinerzeit ein durch die gesamte Länge des Tempels verlaufender Gang gewesen war, der sich am Ende in den mutmaßlichen Hauptraum hinein öffnete. Entlang der sonnigen Seite des Raumes verlief eine steinerne Treppe, die zwar abgenutzt, aber immer noch stabil genug war, um mein Gewicht zu tragen. Sie führte zu einer teilweise eingestürzten Wand im zweiten Stock. Dort bot mir ein kleines Fenster einen idealen Sitzplatz – ein großartiger Ort, um den Anblick der untergehenden Sonne in mich aufzunehmen. Der Himmel leuchtete in einem lebendigen Ozeanblau, was eine Seltenheit in Indien ist. Eine dünn bewaldete Landschaft erstreckte sich in den Horizont hinein, so weit das Auge reichte. Auf einer vorstehenden Felsklippe warf eine Reihe hoher schlanker Bäume lange bläuliche Schatten auf eine Gruppe klobiger roter Steinfindlinge. Die über sie hinwegfallenden Schatten bildeten eine Reihe imaginärer Wachposten: hoch aufragende geisterhafte Schatten auf dem nahegelegenen Wall.
Dieser Ort beschwor einen jener unerwarteten Déjà-vu-Momente herauf, die eine Erinnerung versprechen, die sich nicht ganz formen möchte. Die Umgebung war ein idealer Platz, um über meine Pläne nachzudenken. Nach der langen, anstrengenden Fahrt von Delhi hierher beschloss ich, jeglichen Zeitdruck loszulassen. Ich würde mich hier bis zur Dämmerung entspannen, die ersten aufgehenden Sterne begrüßen und mich erst dann aufmachen, den Pfad wieder hinunterzugehen. Atmaraj war unterdessen gut versorgt: Im Kofferraum befanden sich ausreichend Snacks und Wasser.
Während die Temperatur langsam sank, machte sich hie und da ein Stein mit einem Knacken bemerkbar. Als langsam weniger Hitze aufstieg, wandelte sich der Wind in ein Flüstern. Die sorglose Ruhe war zauberhaft. Schwärme Hunderter langschwänziger Schwalben flogen an der äußeren Mauer entlang und vollführten perfekt aufeinander abgestimmte Spiralen in den sanften Aufwinden der warmen Luft. Ihre Flugakrobatik verzauberte mich derart, dass ich mich bald in der euphorischen Anziehungskraft verlor, mit der die Natur die Seele herbeiruft, um sie an ihrer Vorliebe für fantasievolle Schauspiele teilhaben zu lassen. Vielleicht war es nur mein vergessener Sinn von Zeit oder die weite Landschaft, die sich unendlich auszudehnen schien. Doch aus irgendeinem Grund überkam mich ein Gefühl von Nostalgie und rief in mir die Erinnerung an die Zuneigung wach, die ich einst für meinen Freund aus einem vergangenen Leben empfunden hatte – Krishnalila.
Das musste es sein – Krishnalila! Einen kurzen Moment später sah ich mich selbst auf einem Hügel über einer steinigen Wüstenoase stehen. Darunter lag ein kleiner Ashram eingebettet unter einem Felsvorsprung. Krishnalila war irgendwo in der Nähe, in der Wüste von Rajasthan. Natürlich – nun ergab auch meine vorherige Vision einen Sinn. Aus irgendeinem Grund wollten die Meister, dass ich ihn fand.
Von Enthusiasmus beflügelt rannte ich den Berg hinab. Doch bevor ich das Auto erreichte, holte mich die Realität wieder ein. Wie würden wir ihn in dieser enorm weiten Wüste und der sengenden Hitze finden können, ohne die geringste Ahnung zu haben, wo wir mit der Suche beginnen sollten?
Es schien, als hätten wir das Ende einer weiteren Sackgasse erreicht. Ich war drauf und dran, den Männern zu danken, kehrtzumachen und zurück zum Auto zu gehen, als sich ein kleiner ältlicher Mann mit einem ölverschmierten ärmellosen orangefarbenen T-Shirt nach vorne drängte. Er hob seinen arthritischen Arm und deutete mit gekrümmten Fingern zu einer kleinen Hütte etwas weiter die Straße hinunter – zu der Hütte gleich neben dem Kamel.
JJ
Es war zu heiß zum Schlafen. Die Nacht verstrich langsam und unerquicklich. Doch die Hitze war nicht der einzige Grund, der mich wach hielt: Ich rang mit einem Gefühl der Vorahnung, das mich verfolgte, seit ich den Brief in Delhi gelesen hatte. Ich war noch nicht ganz davon überzeugt, dass es keine Bedrohung gab, über die ich mir Sorgen machen sollte. Da ich aber auch zu keinem wirklichen Ergebnis gekommen war, entschloss ich mich, meine Gedanken auf die größere Aufgabe zu lenken, die sich jetzt bedrohlich vor mir abzeichnete – eine Aufgabe, die mit beängstigenden Unwägbarkeiten belastet war.
Es gab wenig, auf das ich mich stützen konnte, um Krishnalila zu finden – nicht mehr als einen flüchtigen geistigen Blick auf eine Oase und ein Gefühl, das stark genug war, mich davon zu überzeugen, dass er ganz in der Nähe sein musste. Andererseits war mir diese Art von plötzlichen, drängenden Impulsen auch nichts Neues. Meist hatte es sich am Ende als lohnend erwiesen, ihnen zu folgen – allerdings auch nicht jedes Mal. Und vielleicht handelte es sich hier um einen solchen Fall. Ich war bereit, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass ich vielleicht etwas missinterpretiert hatte. Aber ich war entschlossen, es wenigstens zu versuchen. Die Aussicht, dass es sich als wahr erweisen könnte, ließ jeden Gedanken daran verblassen, die Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Außerdem war ich aufrichtig davon überzeugt, genau dort zu sein, wo mich die Meister haben wollten.
Ich war mir der möglichen Gefahren bewusst, die vor mir lagen. Es erschien töricht, bei diesen extremen Temperaturen durch diese entlegene Wüstengegend zu fahren. Als ich Atmaraj von meinem Vorhaben erzählte, diesen südlichen Teil der Wüste zu durchforsten, hatte er nicht mehr als einen entmutigend finsteren Blick für mich übrig. Sein Plan war gewesen, schnellstmöglich die heißesten Abschnitte der Wüste zu durchqueren und in den verschiedenen Städten auf dem Weg Schonung vor der Hitze zu suchen. Nachdem ich ihn zu einem ausgesprochen luxuriösen Frühstück in meinem Hotel eingeladen hatte, entdeckte er seine abenteuerliche Seite und willigte ein, sein Bestes zu geben. Wir beluden den Wagen mit einer Kühlbox und der Ausrüstung für die Fahrt und machten uns auf Richtung Norden.
Wir erkundeten eine Vielzahl staubiger und von Schlaglöchern zerfurchter Landstraßen, von denen die meisten letztlich im Sande verliefen oder abrupt endeten. Was unsere Suche zusätzlich erschwerte, war ein Netz von Sturzfluten, die während der Regenzeit einen Großteil der Brücken und unbefestigten Landstraßen im Hinterland zerstört hatten.
Zur Mitte des Nachmittags hin begann Atmarajs Sinn für Abenteuer zu schwinden. Nach der stundenlangen Suche in der heißen verödeten Landschaft war er unbewusst in einen Strudel von Emotionen geraten – insbesondere, nachdem er einen platten Reifen gewechselt hatte und wir unsere Fahrt in diesem gefährlichen Territorium nun ohne Ersatzreifen fortsetzen mussten. Er kanalisierte seine Gereiztheit zunehmend, indem er jeden Vorwand nutzte, sich über irgendetwas zu beschweren – nicht jedoch über das Fahren. Er hatte bereits klargestellt, dass er das Fahren liebte. Er beklagte sich über vergangene Querelen mit seinem Chef, der geflissentlich den gealterten und abgenutzten Zustand seines Wagens übersah. Die meisten anderen Fahrer seiner Firma hatten nämlich neuere bekommen.
ENDE DER LESEPROBE