Das Tao des Drachen - Dirk Grosser - E-Book

Das Tao des Drachen E-Book

Dirk Grosser

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Beschreibung

Der Drache - in vielen asiatischen Traditionen gilt er als Sinnbild für Furchtlosigkeit, Weisheit, Vertrauen, Glück und Kraft. Das Tao des Drachen offenbart uns, wie wir mithilfe dieser Energien, die jeweils durch einen Drachen symbolisiert werden, Zugang zu unserem wahren Selbst finden können. Begegnen Sie jedem dieser Drachen in einer erzählerischen Episode, und lassen Sie sich von den darauf folgenden Worten an jene Kräfte heranführen, die in uns allen darauf warten, erwachen zu dürfen. Mit einer entsprechenden Übung können Sie sich mit den Energien der Drachen verbinden, sie in Ihrem Leben manifestieren, mit dem Tao fließen und so Freiheit, Weite und Gelassenheit atmen.

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Seitenzahl: 218

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DIRK GROSSER

DAS TAO DES

DRACHEN

FURCHTLOS UNSER WAHRES SELBST LEBEN

ÜBER DEN AUTOR

Dirk Grosser liebt lange Spaziergänge, Hunde, Wälder, Berge, das Meer und das Schreiben. Sein eigener spiritueller Weg ist beeinflusst von der Philosophie der Antike, der Naturmystik von Autoren wie Thoreau, Emerson, Whitman und Muir, dem frühen Taoismus, Meditation und eigener Naturerfahrung. Eine weitere große Leidenschaft ist die Musik: Er hat in verschiedenen Bands gespielt, an den Soundtracks zu zwei Dokumentarfilmen mitgewirkt, spirituelle Seminare auf Percussion-Instrumenten begleitet sowie mehrere CDs veröffentlicht. Zudem gibt er Meditationsseminare und berät Menschen in spirituellen Krisen. Er ist Vater zweier Töchter und lebt auf einem Pferdehof am Rande Bielefelds.

Die Ratschläge in diesem Buch sind sorgfältig erwogen und geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat, sondern dienen der Begleitung und der Anregung der Selbstheilungskräfte. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen daher ohne Gewährleistung oder Garantie seitens des Autors oder des Verlages. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Dieses Buch enthält Verweise zu Webseiten, auf deren Inhalte der Verlag keinen Einfluss hat. Für diese Inhalte wird seitens des Verlags keine Gewähr übernommen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich.

ISBN 978-3-8434-6174-0

Dirk Grosser:Umschlag: Simone Fleck, SchirnerDas Tao des Drachenunter Verwendung von # 65648188Furchtlos unser(Surachai), www.shutterstock.comwahres Selbst lebenRedaktion: Claudia Simon, Schirner© 2014 Schirner Verlag, DarmstadtE-Book-Erstellung: HSB T&M, Altenmünster

www.schirner.com

1. E-Book-Auflage 2014

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten

INHALT

Über den Autor

Vorwort

Einleitung

Drachen in Ost und West

Das Tao

Ganz natürlich wir selbst sein

Der Wanderer und die Drachen

Der Drache der Achtsamkeit

Übung 1: Mit dem Drachen atmen

Der Drache des Vertrauens

Übung 2: Den Segen des Drachen erfahren

Der Drache der Zufriedenheit

Übung 3: Die Dinge annehmen, wie sie sind

Der Drache der Unvollkommenheit

Übung 4: Unsere Narben leuchten lassen

Der Drache der Furchtlosigkeit

Übung 5: Die Kraft unseres Herzens befreien

Der Drache des Mitgefühls

Der Drache der Macht

Übung 6: Meditation des »Ich bin«

Der Drache des Wohlbefindens

Übung 7: Stehen wie ein Baum

Übung 8: Einen Kreis atmen

Der Drache des Glücks

Übung 9: Durch die Welt fließen (Geh-Meditation)

Eins mit der Welt: Die Drachen der Elemente

Übung 10: Mit den Drachen tanzen

Der Drache der Weisheit

Übung 11: Ein Herz, so weit wie die Welt

Übung 12: Heitere Gelassenheit entwickeln

Leben wie ein Drache: Unseren Platz einnehmen

Übung 13: Die Kraft des Drachen in dir erwecken

Rückkehr zum Drachen der Achtsamkeit

Schlusswort: Die Drachenenergie im Alltag

Danksagung

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

FÜR CAJA UND LALE

VORWORT

Seit jeher begeben sich Menschen auf Wanderungen, wenn sie sich über etwas in ihrem Leben Klarheit verschaffen möchten. Der Pilger geht nicht nur, um an seinem Ziel anzukommen, sondern er begibt sich vor allem auch auf einen inneren Weg. Nicht selten begegnet er auf seinem Weg unvorhergesehenen Herausforderungen, die ihn auf die Probe stellen und ihn schließlich in seinem Selbst, seiner Kraft, seiner Weisheit, seiner Flexibilität und auch seiner Herzensgüte reifen lassen. Die Wanderung wird zu einem wahren Initiationsprozess, der ihn Schritt für Schritt ins Hier und Jetzt führt und ihn das Heilige in allen Dingen entdecken lässt.

Die wahren Geschenke der Reise offenbaren sich auf dem Weg. Schritt für Schritt erleben wir den puren Moment, so, wie er ist.

In diesem einen Moment offenbart sich die gesamte Fülle des Universums – der Natur in uns und um uns herum. Und plötzlich ist die Trennung, die wir bis dahin aufgrund unseres recht engen und geschäftigen Lebens verspürten, aufgehoben. Wir spüren wieder, dass wir wirklich leben und permanent mit allem verbunden sind. Wir sind Teil des großen Ganzen. Wir sind angekommen, jetzt, in diesem Augenblick, und waren es schon immer. Doch manchmal braucht es eine Reise von vielen Kilometern, bis wir dieses Ankommen, dieses Sein im gegenwärtigen Augenblick wirklich (er)leben können. Und plötzlich ist es nicht mehr wichtig, irgendwo hinzukommen. Es ist nur noch wichtig, da zu sein, in jedem einzelnen Moment unseres Lebens. Mit jedem Schritt den Boden unter uns zu fühlen und uns mit der Kraft zu verbinden, die uns die Erde, der gegenwärtige Moment, das Tao schenkt und die immer in uns vorhanden ist. Sinnbild für diese Kraft, Lebendigkeit und Weisheit ist der Drache. Wer mit seiner eigenen Kraft nicht vertraut ist, kann durchaus Scheu davor haben und sie unterdrücken. Als Folge daraus erleben wir Frustration, Mangel, Leere, Depressionen, Ängste, unkontrollierte Wutausbrüche, die sich nicht selten in unserem Körper als sogenannte psychosomatische Störungen manifestieren. »Furchtlos unserer wahres Selbst leben« ist die Einladung, sich mit seiner eigenen Lebendigkeit, seiner Drachenkraft, -weisheit und -furchtlosigkeit wieder zu verbinden, sie kennen- und leben zu lernen, sodass sie uns hilft, zu lieben und zu heilen.

Es ist mir eine große Ehre, das Vorwort für dieses zauberhafte Buch zu schreiben, denn es hat mich tief berührt, gerade durch seine unmittelbare Erfahrbarkeit und Herzensnähe. Dirk Grosser versteht es, hoch komplexe Themen einfach und unterhaltsam erfahrbar zu machen. Er knüpft dabei gekonnt an die Jahrtausende alte Tradition der Erzählkunst großer Meister an. Statt philosophische Betrachtungen anzuführen oder komplizierte Texte zum Tao zu zitieren, nimmt er uns einfach mit auf eine Reise, die schnell zu unserer eigenen wird. Wir begeben uns auf Wanderschaft auf der Suche nach uns selbst, nach unserer Weisheit, Stärke und Unverwundbarkeit – unserer Drachenkraft, die in jedem von uns schlummert und darauf wartet, erwachen zu dürfen.

Wir lernen, unsere eigene Natur in uns zu erfahren und in uns wohnenden Qualitäten wie Achtsamkeit, Weisheit und Mitgefühl zu entdecken. Ganz nebenbei heilt auf diesem Weg unsere Seele. Die anschließenden Betrachtungen und praktischen Meditationsübungen zu den einzelnen Drachenaspekten lassen uns direkten Kontakt zu unseren Qualitäten erfahren und schaffen den Transfer des Gelesenen in unser alltägliches Erleben. Dies alles lässt uns ankommen im Hier und Jetzt, ankommen im natürlichen Lauf der Welt. So einfach kann es sein. Stille wird in Ihnen reifen, aus der heraus Sie furchtlos Ihr wahres Selbst leben können.

MEINE EMPFEHLUNG:

Lesen Sie dieses Buch! Es wird Sie beschenken.

Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen viel Freude auf

Ihrem ganz persönlichen Weg in Ihre Drachenkraft.

Maren Schneider

Autorin von Stressfrei durch Meditation und Seelenstärke

EINLEITUNG

Ein gewaltiges Wesen mit dem Körper einer Schlange, der Mähne eines Löwen, den Klauen eines Adlers und dem Geweih eines Hirsches. In seinem Bauch das Lachen der Welt, in seinen Augen goldene Funken des gegenwärtigen Moments. Weisheit und Wärme in seiner Stimme, Frieden und Freude in seinem Lied. In einem Augenblick ruhig und von tiefer Stille erfüllt wie ein Fels, im nächsten sich absichts- und mühelos in die Lüfte schwingend. Der asiatische Drache ist Symbol der Naturkräfte in ihrem freien Spiel und somit gleichzeitig Symbol der Kräfte, die in uns lebendig sind oder vielleicht teilweise schlummern und darauf warten, geweckt zu werden.

Er ist ganz er selbst. Furchtlos nimmt er seinen Platz ein, gibt sich dem Rhythmus des Lebens und der Jahreszeiten hin, fließt wie ein Fluss und liebt den Morgennebel ebenso sehr wie die Abenddämmerung. Er gleitet durch den Himmel, ohne eine Spur zu hinterlassen, nimmt achtsam alles wahr, was ihn umgibt und was in ihm vorgeht, sieht und spürt das Tao in der Welt wirken und weiß, dass er nicht getrennt ist von dem großen Geheimnis, das alles Leben hervorbrachte. Sein Flug durch die Wolken bringt den Menschen und ihren Feldern den ersehnten Regen – doch macht er dies nicht, weil er meint, eine Aufgabe erfüllen zu müssen, sondern einfach, weil es seiner Natur entspricht. Es ist seine Art, zu fliegen und zu spielen, zu ruhen und zu atmen, zu sehen und zu lieben.

Sein Wesen der gelassenen Stärke und humorvollen Güte erinnert uns Menschen daran, was es heißt, ein Teil der Natur zu sein. Auch wir können unsere innere Mitte finden und furchtlos unser wahres Selbst leben. Wie ein Drache können auch wir das Walten des Tao in allen Dingen vernehmen, die Stille in uns reifen lassen, dem Weg der Natur folgen und Himmel und Erde in uns vereinen.

Das Bild des Drachen soll uns daher in diesem Buch als Beispiel dienen, wie man ein solches Leben führen kann. Wir werden einerseits einen Wanderer begleiten, der verschiedenen Drachen begegnet und von ihnen den Weg des Tao anschaulich vorgelebt bekommt. Andererseits werden wir auch immer wieder Bezug auf Traditionen nehmen, wie sie in China, Tibet und Japan noch heute vorzufinden sind, und auf die Schriften, die große taoistische Meister wie Laotse oder Tschuang-tse1 uns hinterlassen haben.

Ich weiß nicht, ob Laotse oder Tschuang-tse jemals Drachen begegnet sind, gehört hatten sie von ihnen aufgrund der Tradition, die sie umgab, sicherlich. Die Drachen sind mit der alten chinesischen Kultur untrennbar verbunden. Es gibt sogar Legenden, in denen die Drachen als Urahnen der Chinesen angesehen werden, während andere Geschichten davon sprechen, dass die himmlischen Drachen die heiligen Lehren des Taoismus beschützen. Einige Kaiser und auch einige taoistische Lehrer wurden als Drachen bezeichnet, ein Ehrentitel, der ihre große Weisheit zum Ausdruck bringen sollte.

Konfuzius, einer der einflussreichsten Philosophen des alten China, sagte nach seiner Begegnung mit Laotse zu seinen Schülern: »Ich weiß, dass Vögel fliegen, dass Fische schwimmen und Wild laufen kann. Und was rennt, kann man zusammentreiben, was schwimmt, ist mit Netzen zu fangen, und für das, was fliegt, kann man Pfeile benutzen. Was aber den Drachen betrifft, der auf Wind und Wolken reitet, so weiß ich nicht, wie ich ihn erfassen soll. Ich habe heute Laotse gesehen – und wahrlich: Er gleicht diesem Drachen2!«

In der Tat sind sowohl Laotse selbst als auch das Tao Te King, die grundlegende Schrift des Taoismus, schwer zu greifen. In den 81 Versen, die Laotse der Legende nach verfasst haben soll, als er China verließ und ihn ein Grenzposten um eine Zusammenfassung seiner Lehren bat, bleibt manches im Dunkeln, wird vieles nur angedeutet. Laotses Biografie ist ebenso rätselhaft wie sein Name, der übersetzt nur »der alte Meister« bedeutet und keine Rückschlüsse auf seine Person und seine Geschichte zulässt. Dennoch ist das Tao Te King seit über 2500 Jahren das meistgelesene Buch auf Erden und begleitet unzählige Menschen auch heute noch.

Meines Erachtens ist es trotz seines Alters hochaktuell, denn vieles, was Laotse anspricht, spielt auch in unserem modernen Leben eine Rolle. Weisheit hat kein Verfallsdatum, und die Gedanken des alten Meisters überwinden mit Leichtigkeit den räumlichen und zeitlichen Abstand, der uns von ihnen trennt.

Die chinesische Spiritualität ist sehr auf das Diesseits ausgerichtet, was sie mir sehr sympathisch macht. Besonders im frühen Taoismus geht es nicht um Erlösung oder Weltflucht, sondern um eine Kunst des Lebens im Hier und Jetzt. Es geht um das Erkennen des Tao und des naturgemäßen Laufs der Welt – und darum, mit diesem Geschehen im Einklang zu sein.

Der Drache verkörpert genau diesen Einklang, und ich hoffe, dass die Episoden der Rahmenhandlung, die Erläuterungen und die Übungen in diesem Buch dazu beitragen können, die Kunst des Lebens und den Weg des Tao in einer Weise zu vermitteln, die uns freudvolle innere Stille schenkt.

Möge der Herzschlag des Drachen

uns den Rhythmus der Welt zeigen.

Mögen wir einstimmen in das große Lied,

das seit Anbeginn aller Zeiten ertönt,

und mögen wir den Mut und die Kraft finden,

unseren ganz eigenen Weg in Einklang mit allem zu gehen.

Mögen wir eine ganz besondere Note in der Melodie des Tao sein,

die leise über Seen und Wälder schwebt,

den Ruf des Kranichs und die Stille der Berge erfüllt

und die niemals, niemals enden wird.

Dirk Grosser

Sommer 2014

1 Da die chinesische Sprache der unseren doch recht fremd ist, haben sich auch bei Eigennamen in den letzten Jahrhunderten verschiedene Schreibweisen entwickelt. So wird Laotse manchmal auch Lao-Tse oder auch Laozi geschrieben, während Tschuang-tse auch als Dschuang Dsi oder Zhuangzi bekannt ist. Auch das Tao Te King wird manchmal Daodejing geschrieben.

2 vgl. Matthias Claus: Laotse und das Tao Te King

DRACHEN IN OST UND WEST

Drachen gehören sowohl zur Mythologie des Westens als auch zu der des Ostens. Hier wie dort sind es große und mächtige Wesen, klauenbewehrt, mit Fangzähnen und Hörnern. Doch in der Symbolik und auch im Aussehen gibt es gravierende Unterschiede. Während hier im Westen die Drachen als gefährliche Bestien dargestellt werden, die Jungfrauen rauben und gierig über gewaltige Schätze wachen, sind die Drachen in Asien meist freundlicherer Natur und werden dort mit positiver Lebenskraft und Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Vermutlich waren die Drachen in unseren Breitengraden einmal ähnlich verehrte Kreaturen wie in asiatischen Ländern. Im Zuge der Christianisierung und der damit einhergehenden Entwertung der Erdkraft und der natürlichen Prozesse des Lebens wurden sie jedoch immer mehr zu Symbolen für die inneren Kräfte oder auch die Schatten des Menschen, die es laut dem neuen Weltbild zu überwinden galt.

Oft sind Menschen aus dem asiatischen Raum regelrecht schockiert, wenn sie unsere mittelalterlichen Bilder von Drachentötern sehen, die in glänzender Rüstung vermeintliche Untiere erlegen.

Die chinesische Philosophie und Spiritualität ging schon immer anders mit den Schatten um. Das Symbol des Yin und Yang, in dem in der hellen Fläche immer auch ein wenig Dunkelheit vorhanden ist, während auf der dunklen Seite auch das Helle hindurchschimmert, ist sicherlich das bekannteste Zeichen dieser Weltsicht, die nichts ausschließt.

So ist der Drache im asiatischen Kulturraum zwar ein gewaltiges Wesen mit furchterregenden Klauen, Zähnen und Hörnern, aber zugleich auch das Symbol für Weisheit und Glück.

Darüber hinaus ist der Drache ein Symbol der Natur, ihrer ungeheuren Kräfte, die absichtslos walten, und an deren Rhythmen wir uns anpassen müssen, wenn wir glücklich und zufrieden leben wollen. Der Drache ist sozusagen das Gegenteil der Entfremdung. Er ist so sehr Teil der Natur, dass er zum Beispiel in China traditionell als ein Geschöpf aus neun verschiedenen Wesen beschrieben wird. Demnach hat er den Kopf eines Kamels, die Hörner eines Hirsches, die Augen eines Teufels, die Ohren eines Ochsen, den Hals einer Schlange, die Pranken eines Tigers, die Klauen eines Adlers, den schuppigen Körper eines Fisches und den Hinterleib einer Muschel. Manchmal wird der Kopf auch als dem eines Wasserbüffels ähnlich beschrieben. Er ist also eine Mischung aus acht Tieren (plus den Augen eines Teufels oder Dämons, was im asiatischen Raum oft auch gleichbedeutend mit Naturgeist ist), somit ganz Natur, aber gleichzeitig darüber hinausweisend. Er ist wie das Tao: die Natur selbst und noch etwas geheimnisvolles anderes, das uns auf immer verborgen bleiben wird. Sein natürlicher Anteil ist hell und strahlend, voller Schönheit und Glanz, vermischt mit einer Prise Dunkelheit, einer Tiefe, die uns unbegreiflich bleibt.

Wie ein Drache genau aussieht, weiß wohl niemand, doch gibt es ein chinesisches Sprichwort, das besagt: »Der Drache hat neun Söhne. Jeder von ihnen ist verschieden.« So können wir wohl davon ausgehen, dass es Drachen in den unterschiedlichsten Varianten gibt. In China gibt es Wasserdrachen, Himmelsdrachen, Erddrachen und Geisterdrachen. In Japan gibt es die sogenannten Ryu, die sich sowohl an Land, im Wasser als auch in der Luft aufhalten können.

Auffällig bei den asiatischen Drachen ist, dass keiner von ihnen Flügel besitzt, obwohl sie fast alle fliegen können. Sie schwingen sich nicht in die Lüfte wie riesige Vögel, sondern durchqueren den Himmel eher wie eine Wasserschlange einen Fluss. Sie winden sich hinauf, »schwimmen« durch die Luft, sind überall ganz in ihrem Element. Sie sind überall so natürlich gegenwärtig, dass die fehlenden Flügel keine Fragen aufwerfen. Vielleicht ist es bei den Drachen so, wie bei dem modernen Mythos über die Hummel, die ja angeblich nicht fliegen kann, weil ihr Körper viel zu groß für die Fläche ihrer Flügel ist. Da sie aber nichts von Aerodynamik und Physik weiß, fliegt sie einfach trotzdem. Und so gleitet auch der Drache ohne Flügel durch die Lüfte, ist dort ebenso zu Hause wie auf dem Land, unter der Erde oder im Wasser.

Er ist ein Bild für das einfache Sein im Augenblick, für ein grenzenloses und unergründliches Leben. Er existiert jenseits unseres Intellekts, und eine Begegnung mit ihm erschüttert unsere Welt, die wir mittels unserer Gedanken sicher eingezäunt glaubten. So schreibt Sakyong Mipham, tibetischer Würdenträger und Leiter von Shambhala International: »Das tibetische Wort für Donner ist Drukdra – der Klang des Drachen. Wie Donner weckt uns die Weisheit des Drachen auf. Er zerschlägt das begriffliche Denken und entwurzelt unsere Unsicherheit.«3

Der Drache weckt uns auf, lockt uns aus unserem Denken, das alles analysiert und in Schubladen steckt, hinaus in das Geheimnis des Augenblicks. Wenn wir die Tiefe eines jeden Moments wirklich wahrnehmen können, blicken wir voller Staunen auf eine Welt, die auf innigste Weise mit uns verbunden ist. Zugleich blicken wir auf unsere eigene Grenzenlosigkeit.

Im Königreich Bhutan, das auch Druk-Gyalkhap (Drachenreich) genannt wird, symbolisiert der Juwelen haltende Drache, der auch die Nationalflagge ziert, das ganze Universum, das sich in die Unendlichkeit erstreckt. Das Geheimnis breitet sich direkt vor unseren Augen aus. Das Tao ist überall. Doch so offensichtlich es auch ist, so unfassbar ist es auch. Ein Wesen wie ein Drache scheint mir ein passendes Bild für diesen Umstand zu sein.

So erging es wohl auch dem Physiker Brian Swimme, der seinem Buch über unseren Kosmos den Titel »Das Universum ist ein grüner Drache« gab. Er sagt darin: »Ich nenne das Universum einen Grünen Drachen, um uns daran zu erinnern, dass wir niemals fähig sein werden, es durch unsere Sprache erfassen zu können.«4

Wo die Sprache nicht reicht, brauchen wir Bilder, Mythen, Märchen, Poesie. Wir brauchen die Kraft der Drachen, die die Augen unseres Herzens öffnet.

3 Sakyong Mipham: Den Alltag erleuchten, S. 151/152

4 Brian Swimme: Das Universum ist ein grüner Drache, S. 18

DAS TAO

Mit dem Tao verhält es sich ähnlich wie mit dem Universum, in dem wir leben. Es mit Worten beschreiben zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Deshalb heißt es schon im ersten Vers des Tao Te King »Das Tao, das mitgeteilt werden kann, ist nicht das ewige Tao. Der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name.«5 Mit unserer Sprache können wir Dinge beschreiben, Menschen, Tiere, Pflanzen, Zustände, sogar Emotionen. Doch das Tao ist das, worin alle diese Dinge, Menschen, Tiere, Pflanzen, Zustände und Emotionen, auftauchen. Es ist der Urgrund allen Seins, die Leinwand, auf der unser Leben in Tausenden und Abertausenden Farben abgebildet ist. Es ist die Quelle, der alles entstammt, aus der alles in einem lebendigen Prozess hervorsprudelt. Es ist die Stille, in der alle Worte, alle Klänge, alle Musik Raum haben, sich zu entfalten. Es ist die Leere, aus der die Fülle kommt, und es ist die Fülle selbst, das Leben an sich.

Manch einer hat das Wort Tao mit »Weg« zu übersetzen versucht, ein anderer mit »Sinn« oder auch »Sein«. Weil aber alle Wörter letztlich unzureichend sind, um das Tao zu beschreiben, bleibt man am besten bei »Tao«, weil dieser Begriff mit seinem für uns fremden Klang uns nur auf etwas hinweist, anstatt es zu definieren. In diesem Wort oder Klang bleibt der Charakter des Unerklärlichen erhalten. Mit jeder Verwendung dieses Wortes können wir uns bewusst machen, dass wir über etwas sprechen, für das Worte niemals reichen werden. Das ist der Grund, warum ein Autor, der über das Tao schreibt, die Fähigkeit besitzen sollte, über sich selbst zu lachen. Im letzten Vers des Tao Te King heißt es: »Wer weise ist, hat es nicht nötig, seine Ansicht darzulegen; wer es nötig hat, seine Ansicht darzulegen, ist nicht weise.« Das tut weh, aber keine Sorge: Ich komme darüber hinweg.

Alle oben genannten Erklärungsversuche – Urgrund, Quelle, Stille, Raum, Leere, Fülle, das Leben an sich, Weg, Sinn, Sein – sind Hilfen, die es unserem Verstand erleichtern, einen Zugang zu diesem großen Geheimnis zu finden. Doch das Tao ist weitaus mehr, als alle diese Wörter vermuten lassen. Zu unserer großen Erleichterung ist das Tao aber auch kein kompliziertes philosophisches Konzept. Wenn wir die Wörter für einen Moment hinter uns lassen können, wird uns das Tao mit seiner herausragendsten Eigenschaft begegnen: Einfachheit.

Das Tao ist. Es ist ein Feld der unendlichen Möglichkeiten, das uns umgibt und durchdringt. Es ist das Sein, welches sich so zeigt, wie es ist. Jetzt. Unmittelbar.

Das Tao können wir nicht durch Denken ergründen. Wir können es eher erfahren, wenn wir unseren Blick über einen im Morgennebel liegenden See schweifen lassen, still atmen, ein Lächeln sich auf unserem Gesicht ausbreitet und mitten in diese tiefe Stille hinein der Ruf eines vorüberfliegenden Kranichs ertönt. In solch einem Moment wird uns die Berührung des Tao bewusst. Wir sind umgeben und durchdrungen von etwas Unbeschreiblichem, dem vielleicht noch die Poesie nahekommt oder eine gehauchte Melodie auf einer Bambusflöte. Wir sind Teil eines großen Tuschebildes, das sich selbst immer weiter malt und in Schönheit entfaltet. Wir, der See, der Nebel, die aufgehende Sonne und der Kranich leben im Tao und sind das Tao.

5 Da das Chinesische bei der Übersetzung in europäische Sprachen unglaublich viel Raum zur Interpretation bietet, habe ich mehrere Übersetzungen des Tao Te King benutzt, u. a. von Richard Wilhelm, Stephen Mitchell, Günther Debon und Victor von Strauß (siehe Literaturverzeichnis im Anhang). Wenn ich das Werk des Laotse zitiere, verwende ich in diesem Buch fast immer die Übersetzung von Mitchell, die meines Erachtens am zugänglichsten ist. Zitiere ich eine andere Übersetzung, ist diese in Klammern hinter dem Zitat angegeben.

GANZ NATÜRLICH WIR SELBST SEIN

Die frühen Lehrer des Taoismus waren vor allem eins: Meister in der Kunst, ganz sie selbst zu sein. Sie lebten in einem gesunden Gleichgewicht zwischen aktiver Teilhabe an der Welt und meditativer Zurückgezogenheit. Sie gingen erfolgreich ihren Geschäften nach und hatten dennoch die Muße, sich an einen Fluss zu setzen, ein wenig Flöte zu spielen, die Bewegungen des Wassers zu beobachten und den Geräuschen der Natur zu lauschen. Sie ließen sich von nichts und niemandem vereinnahmen, übernahmen Verantwortung für sich und die Menschen, die sie liebten, ließen sich aber vor keinen politischen Karren spannen und lehnten öffentliche Ämter rigoros ab.

Sie schenkten der Welt ein Lächeln, weil sie wussten, dass alles, was sie umgab, aus dem Tao geboren war. Das Tao, das alles durchdringt und erhält – jedes Lebewesen, jede Handlung, jedes Geschehen.

Ihre Philosophie war kein akademischer Wettbewerb, sondern der Versuch, eine wahre Lebenskunst zu formulieren, die darauf abzielte, sich selbst und allem, was existiert, den Raum für eine naturgemäße Entwicklung zuzugestehen. Über ein Leben, wie wir es im modernen Westen führen, hätten sie nur den Kopf geschüttelt. Keinem der taoistischen Meister wäre es eingefallen, durch seine Tage zu hetzen, um möglichst viel zu erledigen und möglichst viele materielle Güter anzuhäufen. Viele der großen Meister waren nach unserem heutigen Verständnis arm. Doch sie hatten Zeit. Zeit, um die Dinge zu tun, zu denen ihre Seele und ihr Herz sie führten, und Zeit, um genau mit diesen Dingen glücklich zu sein. Somit waren sie in Wahrheit sehr reiche Menschen, denen bewusst war, dass sie in einem immerwährenden Augenblick lebten, von dem sie übertriebenes Streben nach Besitz oder Ruhm nur entfernt hätte. Das Tao Te King fasst ihr Verhältnis zur Welt kurz und treffend zusammen: »In der Arbeit: Tu, was dir Freude bereitet. In der Familie: Steh voll und ganz zur Verfügung.« (Vers 8) »Jage Geld und Sicherheit nach, und dein Herz wird sich niemals öffnen. Sorge dich um den Beifall der Leute, und du wirst ihr Gefangener sein.« (Vers 9)

Sie waren nicht beleidigt, wenn man sie ob dieser Einstellung schmähte und als Narren oder Faulpelze bezeichnete. Ihr Glück wurde von solchen Dingen nicht berührt. Sie ruhten in sich selbst und gingen ihre eigenen Wege.

Dabei waren sie nicht Menschen, die meinten, den »Willen« des Tao erklären zu können, denn das hätte bedeutet, das Tao mit einem Gott als Person zu verwechseln. Im Unterschied zu solch einer Gottesvorstellung hat das Tao keinen Willen, keinerlei Absichten. Das Tao entfaltet sich einfach, ganz natürlich aus sich selbst heraus, und die taoistischen Meister entfalteten sich mit ihm. Wenn man das Tao mit religiösen Begriffen des Westens umschreiben möchte, dann vielleicht am ehesten mit dem unpersönlichen Gottesbild der Mystik, mit dem Urgrund, aus dem alles hervorgeht. Das war wohl auch der Aspekt des Taoismus, der kontemplative Christen wie beispielsweise Thomas Merton6 anzog. Aber wie gesagt, am besten ist es wohl, gar keine Vergleiche heranzuziehen und das Tao so sein zu lassen, wie es ist. So haben es auch die taoistischen Meister getan – und waren gerade deshalb genau das: Meister!

Alles, was sie taten, taten sie aus ihrer Mitte heraus. Sie ließen sich nicht von einer auf Erfolg und Wohlstand getrimmten Gesellschaft treiben, sie hatten es aber auch nicht auf sogenannten spirituellen Fortschritt abgesehen. Ihr offenes Geheimnis war: Sie hatten es auf nichts abgesehen! Sie lebten einfach, ließen den Augenblick geschehen, ließen das Wunder sich entfalten, ohne es aufhalten oder beschleunigen zu wollen. Sie sahen dem Gras beim Wachsen zu, ohne an ihm zu ziehen und ohne es jeden Samstag mähen zu wollen.

Sie kannten das Zauberwort »Genug« sowohl in materieller Hinsicht als auch in jedem Bereich des Lebens, der ansonsten durch Streben und Ehrgeiz gekennzeichnet war. Ihnen war bewusst, dass ein zu starkes Wollen nur zu Verkrampfung führt und uns nur unglücklich macht. Deshalb waren sie Meister der Zufriedenheit und freuten sich an dem, was das Leben ihnen schenkte oder was ihre ehrliche Arbeit ihnen an bescheidenem Auskommen bot.

Sie hielten sich fern von den Machtzentralen ihrer Zeit und den mit ihnen verbundenen Aufgaben, bei denen es nur um Status und Ansehen ging. Über solche Dinge äußerten sie sich oft mit unverhohlenem Spott. Stattdessen halfen sie lieber dem Nachbarn bei der Reparatur seines Daches oder erzählten den Kindern Geschichten voller Weisheit und Lachen. Sie kümmerten sich um das Naheliegende, um das, was das Tao in diesem Moment in den Fokus ihres Bewusstseins spülte.

Sie lebten so nah an der Natur, wie es nur ging, da sie dort mehr Weisheit vermuteten als in der Welt der Politik und der Machtkämpfe der Menschen. Dennoch waren sie keine völlig zurückgezogenen Einsiedler, die die menschliche Gesellschaft verachteten. Die frühen taoistischen Weisen waren Teil der Welt, ließen sich von ihr aber nicht herumschubsen. Selbstbestimmung in Einklang mit der Natur und dem Tao, der allem zugrunde liegenden Quelle, war ihr erklärtes Ziel.