Das Untergrundbahngespenst - Walther Kabel - E-Book

Das Untergrundbahngespenst E-Book

Walther Kabel

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Beschreibung

Er benutzte die dritte Wagenklasse. An diesem Vormittag des 11. Mai war der Zug wenig besetzt …
Als ein Schaffner dann auf der Endstation Wilhelmplatz noch einen Fahrgast im Zuge bemerkte, der offenbar in seiner Ecke eingeschlafen war, suchte er den Mann zu wecken.
So stellte er fest, daß der Betreffende bewußtlos war. Erst nach fünf Stunden kam der Mann auf der nächsten Unfallstation wieder zu sich. Es war der Kassenbote der Minifax-A.-G. — Die Aktentasche mit dem Gelde war ihm geraubt worden. Er konnte nur angeben, daß er in der Wagenecke dritter Klasse plötzlich von einer unwiderstehlichen Müdigkeit befallen worden war. Mehr wußte er nicht.
 

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Der Detektiv

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

Band 152

Das Untergrundbahngespenst

© 2023 Librorium Editions

ISBN : 9782385740818

 

Inhalt

Das Untergrundbahngespenst

Die drei Beraubten.

Das U. G. B.-Gespenst.

Eva von Garlitt …

Ein Stück der Beute.

»Ich bin der Dieb …!«

Der Zuchthäusler

Was Harst dazu sagte …

Mutter Pedersen.

Die gelben Piraten.

Der Herr auf Garlitten.

In der Untergrundbahn.

 

1. Kapitel.

Die drei Beraubten.

Er benutzte die dritte Wagenklasse. An diesem Vormittag des 11. Mai war der Zug wenig besetzt …

Als ein Schaffner dann auf der Endstation Wilhelmplatz noch einen Fahrgast im Zuge bemerkte, der offenbar in seiner Ecke eingeschlafen war, suchte er den Mann zu wecken.

So stellte er fest, daß der Betreffende bewußtlos war. Erst nach fünf Stunden kam der Mann auf der nächsten Unfallstation wieder zu sich. Es war der Kassenbote der Minifax-A.-G. — Die Aktentasche mit dem Gelde war ihm geraubt worden. Er konnte nur angeben, daß er in der Wagenecke dritter Klasse plötzlich von einer unwiderstehlichen Müdigkeit befallen worden war. Mehr wußte er nicht.

Alle polizeilichen Nachforschungen blieben erfolglos. —

Dies stand am 12. Mai sehr ausführlich in allen Zeitungen zu lesen.

Auch wir lasen es …

Und wir saßen gerade beim Frühstück auf der Veranda des Harstschen Hauses und erfreuten uns an dem frischen Grün der Gartenbäume und an dem frechen Lärm des Spatzenvolkes.

Der Kassenbote der Minifax-Aktiengesellschaft hatte von der Deutschen Bank achtzigtausend Mark erhoben und war auf der Station Kaiserhof in einem nach Wilhelmplatz bestimmten Untergrundbahnzug gestiegen.

Das Geld hatte er in einer Aktentasche bei sich.

Der Bote war ein kräftiger Mann von fünfunddreißig Jahren und seit längerer Zeit schon in Diensten der Minifax-A.-G.

Eine Stunde später läutete der Direktor der Minifax-A.-G. bei uns an und erteilte meinem Freunde Harald Harst den Auftrag, nach dem Diebe zu suchen. Oder besser: wollte ihm den Auftrag erteilen! Denn Harald lehnte mit der Begründung ab, daß die tadellose Berliner Kriminalpolizei in solchen Fällen weit mehr ausrichten könne als er selbst.

Das war am 12. Mai.

Am folgenden Tage regnete es in Strömen … Wir saßen bei geschlossenen Verandenfenstern gegen acht Uhr beim Morgenkaffee, als die die Köchin Mathilde uns das Ehepaar von Garlitt meldete …

Harst, der die Morgenzeitung studiert hatte, sagte zu seiner Mutter und mir:

»Es ist nämlich, wie ich hier soeben gelesen habe, abermals auf der Untergrundbahn zwischen Gleisdreick und Wilhelmplatz ein Diebstahl verübt worden … Der Baronin von Garlitt sind Juwelen im Werte von hunderttausend Mark gestohlen. Und auch diese Dame wurde auf der Station Wilhelmplatz bewußtlos aus dem Zuge geholt.«

Er erhob sich …

»Komm, mein Alter … Jetzt interessiert mich diese Sache … Hören wir, was die Baronin zu erzählen weiß …« —

Baronin Wera von Garlitt, geborene Wiechert, — eine blendende Erscheinung. Dame von Welt, bescheiden, ruhig, sicher im Auftreten … Kleidung von unauffälliger Eleganz … Etwa dreißig Jahre …

Der Ehemann, Gisbert von Garlitt, — ein Unikum — wie aus einem modernen Witzblatt … Blasiert, Monokel, ungeheuer abgeklärt, müde Sprache, aber von jener zwanglosen Liebenswürdigkeit, die infolge einer natürlichen Begabung für scherzhafte Zwischenbemerkungen noch sympathischer wirkte. Ein schmales, feines, verlebtes Gesicht … Kleidung mit einem Stich ins Geckenhafte …

»Eine böse Geschichte, Herr Harst…« meinte er und ließ die Mundwinkel hängen … »Es war der ganze Wiechertsche Familienschmuck, den mein Schwiegervater mit Liebe und Verständnis gesammelt hatte — Kommerzienrat Wiechert von den Wiechert-Werken … — Wera mag Ihnen nun Details berichten. Ich bin noch zu konsterniert von alledem …«

Die Baronin erzählte:

Gestern, sechs Uhr nachmittags, hatte sie die Schmucksachen von dem Juwelier Radtke in der Friedrichstraße abgeholt, der sie vier Tage zum Reinigen bei sich gehabt. Die Juwelen waren in ein Saffiankästchen eingeschlossen und dies in Papier gehüllt. Station Friedrichstraße hatte die Baronin die Untergrundbahn bestiegen. Es war sehr voll im Abteil gewesen. Sie hatte gestanden — bis Gleisdreick. Dann wurden zwei Plätze frei, und sie setzte sich. Neben ihr saß ein alter Herr. Mit einem Male wurde sie müde. Erwachte erst auf der Unfallstation. Das Kästchen war verschwunden. —

Auch diese Angaben also überaus dürftig.

Harald fragte allerlei …

Die Angelegenheit blieb dunkel, und Harst gab dem Ehepaar schließlich denselben Bescheid wie dem Direktor der Minifax-A.-G. —: Kriminalpolizei sei hier mehr am Platze als er!

Und die Garlitts verabschiedeten sich … Taten es mit enttäuschten Mienen. Der Baron sagte wehleidig:

»Sie waren unser Hoffnungsanker, Herr Harst … Schade!!«

Und als wir vom Fenster aus beobachteten, wie die beiden ihr elegantes Privatauto bestiegen, meinte Harst:

»Die Baronin hätte klüger getan, auch gestern nachmittag ihr Auto zu benutzen … Im übrigen trifft sie der Verlust nicht allzu schwer. Ihr Vater ist einer der reichsten Männer Deutschlands …«

»Und der Baron ist Eheattrappe …«

»Allerdings … Man merkte, Frau Wera nimmt ihn nicht recht ernst … Sie hat wohl nur den alten Namen geheiratet …«

»Nun — vornehm sieht der Mann trotz alledem aus.«

Und wir kehrten auf die Veranda zurück …

Ich schilderte Haralds Mutter den Baron, und die alte Dame lachte herzlich …

Hiermit schien die Sache für uns erledigt …

Schien …

Es kam anders …

Denn abends um neun Uhr läutete es an der Gartentür Sturm … —

Diesmal war es Herr Kommerzienrat Fritz Wiechert, der Großindustrielle …

Ein Hüne … graublonder Spitzbart, eiserne Ruhe.

»Herr Harst, vor sechs Stunden, also um drei Uhr nachmittags, ist ein Kassenbote der Werke in der Untergrundbahn bestohlen worden — zweihundertachtzigtausend Mark.«

Nun — es war wieder derselbe Sachverhalt: Wilhelmplatz findet ein Schaffner einen Bewußtlosen — und die Umhängetasche des Boten ist verschwunden!

Haralds Gesicht war es anzumerken, wie sehr ihn diese unheimliche Anhäufung von Beraubungen auf der Untergrundbahn im Geiste beschäftigte …

»Sie müssen eingreifen, Herr Harst,« sagt der Kommerzienrat. »Bedenken Sie: im Zuge waren acht Kriminalbeamte, und in demselben Abteil sogar der zuständige Kommissar. Die Polizei gibt sich alle Mühe. Und doch ist nun unter ihren Augen dies neue Verbrechen verübt worden …«

»Wo wohnt der Kassenbote, Herr Kommerzienrat?«

»Ich habe ihn gleich mitgebracht. Er sitzt draußen in meinem Auto.«

Ich holte den Mann herein …

Ein würdiger älterer Herr war’s — so recht der Typ des erprobten langjährigen Angestellten.

Wir vier saßen nun um den Sofatisch herum …

Ein Hundewetter war’s draußen … Es goß in Strömen … Windstöße umheulten das Haus …

Harald ließ durch Mathilde Rotwein bringen …

»Wir wollen Herrn Wiebach ein wenig aufmuntern,« meinte er und nickte dem würdigen Männlein zu, das wie ein Häuflein Unglück jetzt im Sessel lehnte …

Dann fing Harst zu fragen an …

»Ja — es war sehr voll in der Untergrundbahn,« bestätigte Wiebach. »Ich hatte die Ledertasche am Riemen über der Schulter und hielt sie mit beiden Händen fest …«

»Sie standen?«

»Ja — bis eine Dame mir einen Wink gab, daß sie Station Bülowstraße aussteige … Und da setzte ich mich.«

»Besinnen Sie sich auf Ihre Nachbarn, Herr Wiebach?«

»Rechts von mir saß eine Frau mit einem Kinde auf dem Schoße … links eine verschleierte Dame, die sehr nach Parfüm roch, Herr Harst …«

»Und — wann spürten Sie die bleierne Müdigkeit?«