DAS URTEIL - Daphne Niko - E-Book

DAS URTEIL E-Book

Daphne Niko

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Beschreibung

Eine Geschichte über Leidenschaft und Verrat, Glaube und Opfer, und über den Fall eines Imperiums im zehnten Jahrhundert v. Chr. in Israel und Ägypten. 965 v. Chr. Nach dem Tod seines Vaters wurde Salomon zum Herrscher über das vereinte Königreich Israel und Juda ernannt und mit dem Bau des Tempels des Herrn in Jerusalem beauftragt. Er reist nach Ägypten, um mit Pharao Psusennes II. über das benötige Gold für diesen Tempel zu verhandeln und um die Beziehung zwischen den beiden Nationen zu verbessern. Dort verliebt er sich in die schöne Tochter des Pharaos, Nikali, und die beiden Könige stimmen einer arrangierten Ehe zu. Gegen ihren Willen, da sie einen anderen liebt, folgt Nikali ihrem neuen Ehemann nach Israel. Vierzig Jahre später steht Salomons Reich am Rand des Zusammenbruchs. Die Macht ließ ihn arrogant werden, nachgiebig, und blind für die Intrige seiner Frau und eines seiner Stellvertreter, die das vereinte Königtum stürzen wollen. Während der Glaube des Königs ins Wanken gerät und die Moral seines Volkes schwindet, versammeln sich Feinde vor den Toren Israels. Der Besuch einer mysteriösen Königin lässt Salomon gerade rechtzeitig zu seiner einstigen Haltung zurückfinden, damit er seine Seele retten kann – aber es ist zu spät, um sein Königreich zu schützen. Jemand, der dem König einst treu ergeben war, ist zurückgekehrt, um Anspruch auf die Krone Israels zu erheben – und Salomons Imperium in Stücke zu schlagen.

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DAS URTEIL

Daphne Niko

Copyright © 2016 by Daphne Niko

Die Originalausgabe erschien 2016 bei Medallion Press, Inc., USA, unter dem Titel THE JUDGMENT. Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de), in Zusammenarbeit mit Gloria Goodman.

The original edition was published in 2016 at Medallion Press, Inc., USA, under the title THE JUDGMENT.

Für meine Tochter, Anastasia, und für alle Töchter, die mutig genug sind, sich für Gott und Vaterland einzusetzen.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE JUDGMENT Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-323-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

DAS URTEIL
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Anmerkung der Autorin
Über die Autorin

 

 

 

 

»Durch weise Weiber wird das Haus erbaut; eine Närrin aber zerbricht's mit ihrem Tun.«

 

Sprüche 14,1

Kapitel 1

Megiddo, 925 v. Chr.

Das Safranlicht, welches das Schwinden des Tages verkündete, wurde bleiern, als sich eine Staubwolke, trocken wie der Erdboden, von dem sie aufstieg, am westlichen Horizont bildete. Die Ebenen, die sich wie irdene Wellen unterhalb des Siedlungshügels erstreckten, wurden nach und nach vom Dunst verzehrt, der über die Meeresstraße wehte. Das leise Geräusch von tausenden Pferdehufen war eine langanhaltende Folter, der Vorbote eines unausweichlichen Schicksals. In der Ferne funkelte es golden, als die untergehende Sonne ihre Strahlen über Bronzestreitwagen gleiten ließ: der Blitz vor dem Donnerschlag.

Es war der neunundzwanzigste Tag des Adar. In besseren Zeiten war das die Jahreszeit der Verheißung, in der Knospen aus den Felsen sprossen und neugeborene Lämmer lernten, auf ihren Beinen zu stehen, eine Zeit der Erlösung von den freudlosen Stürmen, die das Land den gesamten Winter über bedrängten. Das Tal im Osten begann gerade, seinen grünen Mantel zu tragen, und die See hatte ihren Zorn verloren. Doch dieses Erwachen war so vergänglich wie zarte Frühlingsblumen. Alles Leben, jung und alt, würde bald schon im eisernen Griff der vorrückenden Armee vergehen.

Ohne Überraschung betrachtete sie den Ansturm. Sie hatte gewusst, dass sie kommen würden. Zerstörung folgte dem moralischen Zerfall so sicher, wie Geier auf verrottendes Fleisch herabsanken. Selbst als Tochter eines Königs besaß sie nicht die Macht, dem Einhalt zu gebieten. Ihr Wille, so unerschütterlich er auch schien, war ein Sandkorn im Angesicht göttlichen Zorns.

Sie senkte den Kopf und sah gedankenverloren zu den Quadersteinen unter ihren Füßen. Wie perfekt sie behauen waren. Ihr Vater hatte auf diese Präzision bestanden. Er schuf seine Festung, wie er auch sein Königreich schuf, und sein Königreich wie seinen Charakter: eindrucksvoll, beständig, unerschütterlich. Mit ihrer Sandale folgte sie einem feinen Riss. Makel wie dieser konnten, wenn sie vernachlässigt wurden, einen Stein bersten lassen. Auf diese Weise stürzten Mauern ein und ebneten Feinden den Weg, um ungehindert einzudringen.

Mit einem Seufzen sah sie auf und rief sich in Erinnerung, wer sie war: Basemat, geliebte Tochter König Salomons und jener Gemahlin, die er wie keine andere vergötterte, jener Gemahlin, die ihn außerordentlich liebte und ihn verdarb und letztlich zerstörte. Trotz all seiner Fehler war er der mächtigste König der Geschichte, der Eine, dem der Herr sein Vertrauen schenkte, der Eine, der die Welt dazu brachte, sich vor Israel zu verneigen. Der Nachkomme eines solchen Mannes zu sein, sein Andenken zu ehren und nach seinem Wesen zu handeln, war eine Verantwortung, die sie ernst nahm.

»Mutter?«

Basemat sah ihre zwölfjährige Tochter an, eine honighäutige, wildäugige Schönheit mit seidig schwarzem Haar, das ihr bis zur Taille reichte. Das Mädchen trug eine schlichte, graue Baumwolltunika, die sich für ihren königlichen Stand nicht schickte. Es schien, als könne auch sie spüren, dass der Untergang näher rückte. Sie kleidete sich wie das gemeine Volk, denn bald würde sie in seiner Mitte stehen und auf einem Schlachtfeld kämpfen müssen, auf dem es keine Titel oder Privilegien oder Goldreserven gab.

»Ich suchte den gesamten Palast nach Euch ab. Die Männer haben sich im Hof versammelt und satteln ihre Pferde. Die Menschen sind beunruhigt.« Sie blickte an der Schulter ihrer Mutter vorbei und zum schmalen Fenster hinaus. »Was ist da draußen?«

Basemat atmete tief ein. Es gab keinen Grund, die Wahrheit vor ihr zu verheimlichen. Es lag im Wesen der Frauen Judas, schonungslos ehrlich zu sein, ganz gleich, was es kostete. »Was wir befürchteten, ist eingetreten, Ana. Der ägyptische Feind steht vor uns.« Sie nickte in Richtung des Fensters. »Sie werden uns mit der Abenddämmerung erreichen. Wir müssen bereit sein.«

»Sind wir deshalb aus Schechem hierher geflohen?«

»Megiddo ist unsere Festung, Mädchen. Sie wird uns schützen. Mein Vater baute sie wie seinen Palast in Jerusalem. Sie ist nahezu uneinnehmbar.« Sie glaubte daran, und das spendete ihr Trost. »Jetzt spute dich. Wir müssen die anderen führen. Versammle die Frauen und Kinder im Hof.«

Ana zögerte nicht. Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief die Wendeltreppe des Turms hinunter. Ihre schwarzen Locken wogten hinter ihr her wie die Mähne eines trabenden Vollblüters.

Basemat verweilte einen Augenblick länger. Sie griff in ihr weißes Leinenkleid und zog die Goldkette heraus, die auf ihrem Busen lag. Sie ließ das Objekt, das von ihr herabhing, in ihrer Hand ruhen und spürte sein Gewicht. Der Ring, aus Eisen geschmiedet und von einer Scheibe gekrönt, in die vier Edelsteine eingebettet waren, war ein Gegenstand von großer Bedeutung, eine physische Manifestation höchster Macht.

Er war ihr teuerster Besitz, der ihr von ihrem Vater nur wenige Tage vor seinem Tod überreicht worden war. Salomon hätte ihn seinem Sohn und Erben hinterlassen können, dem regierenden König Rehabeam, doch er entschied sich dagegen.

»Dies muss jemandem überlassen werden, der reinen Herzens und Geistes ist«, hatte der alternde, ausgezehrte König gesagt, als er seine knochigen Finger in ihre Handfläche legte und ihr das mystische Symbol seiner Herrschaft übergab. »Ihr, und nur Ihr, seid dessen würdig, meine Tochter. Alle anderen sind vor dem Herrn gescheitert.«

Als sie protestierte und ihm sagte, dass der Ring ihn in die nächste Welt begleiten sollte, zeigte er ein schwaches Lächeln. »Es gibt vieles, das ich Euch nicht sagen kann. Ihr müsst Eurem alten Vater vertrauen. Nehmt diesen Ring und verwahrt ihn an Eurem Herzen. Er soll Euch daran erinnern, dass das Blut des Hauses David in Euren Adern fließt. Kniet vor niemandem nieder, auch dann nicht, wenn der Wind sich dreht.«

Basemat sah aus dem Fenster zur näherrückenden Kolonne aus Männern, deren Kriegsschreie im Ruach Qadim hingen. Salomons Worte erschienen jetzt, etwa fünf Jahre nach seinem Tod, prophetisch. Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. In mancherlei Hinsicht hatte auch sie das gewusst.

Sie hielt den Ring umklammert und gab ihrem Vater ein stummes Versprechen: Sie werden nicht siegen.

Sie küsste das Schmuckstück, als stecke es noch immer an seinem Finger, und schob es unter ihr Kleid zurück. Sie zog die Nadeln am weißen Florschleier fest, der ihren Hinterkopf bedeckte und ihr langes, haselnussfarbenes Haar verhüllte, das über ihren Rücken hinab floss. Sie legte eine Hand auf ihren Unterleib, um das nagende Gefühl zu beruhigen. Die Gelassenheit, die ihr achtunddreißig Jahre ihres Lebens zweifelsfrei eigen gewesen war, verblasste gleich der vom Alter ausradierten Herrlichkeit der Jugend.

»Gott sei mit uns«, flüsterte sie und machte sich auf den Weg zum Hof.

Ebenerdig bot der Palast eine chaotische Szenerie. Jenseits der Doppelbögen, die die große Terrasse bildeten – in glücklicheren Zeiten ein Ort vornehmer Ruhe – versammelten sich die Männer, um mit Rüstungen ausgestattet zu werden. Armeeoffiziere standen auf Steinaltären und riefen: »Kämpft für das Königreich! Kämpft für das Recht, in diesen Ländereien zu leben! Kämpft im Namen des Herrn!«

Basemats Ehemann, Ahimaaz, war einer der Heerführer. Zu Pferde instruierte er seine Einheit, die sich bereit machte, aus den Palasttoren zu reiten. Zu Friedenszeiten war Ahimaaz von König Salomon als Statthalter von Naftali bestellt; in Kriegszeiten war er ein Feldherr. Vor diesem Tag hatte sie ihn diese Rolle nicht annehmen sehen und sie verspürte einen Stich der Angst, da es ihr so neu war. Sie zwang die Empfindung fort, denn sie war unnütz. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich vor dem Unbekannten zu fürchten, sondern vielmehr der, es geradewegs anzugreifen.

Basemat glaubte an ihren Gatten, denn er hatte das Herz eines heiligen Mannes und den Instinkt eines Kriegers. In seiner Jugend war Ahimaaz ein Priester gewesen, von seinem Vater, dem Hohepriester von Salomons Reich, in den Bräuchen des Herrn unterrichtet. Dennoch wusste er auch, wie man ein Schwert schwang, und er war aufgerufen worden, eine Rebellion gegen seinen König niederzuschlagen. Salomon belohnte Ahimaaz' Sieg mit einer wichtigen Statthalterschaft und dem wertvollsten Preis von allen: der Vermählung mit seiner erstgeborenen Tochter.

Sie fing Ahimaaz' Blick und hielt eine Hand in die Höhe. Er erwiderte die Geste und einen langen Augenblick verharrten die beiden einander zugewandt und dachten über ihr Schicksal nach. Nichts Gutes erwartete sie, und beide wussten das. Der Mann, der Jagd auf sie machte, Pharao Scheschonq I., war ein schrecklicher Feind. Was er haben wollte, nahm er sich, ohne Warnung, ohne Gnade; das hatte er während seiner Regierungszeit wiederholt bewiesen.

Die Kunde von seinem Feldzug gegen Kusch hatte Jerusalem vor Jahren erreicht. Seine Männer hatten die Grenzstädte mitten in der Nacht überfallen, Dörfer niedergebrannt und Menschen abgeschlachtet, während sie sich Napata näherten, alles im Namen der Kontrolle über den Goldhandel, der dort florierte, und um die Grenzen Oberägyptens bis zum vierten Katarakt des Nils auszudehnen.

Vielleicht war die kuschitische Invasion eine Übung für Scheschonqs Eroberung der Ländereien, die er letzten Endes ins Auge gefasst hatte: Israel und Juda. Zu König Salomons Lebzeiten hatte der in Libyen geborene Pharao Ägyptens nicht den Versuch gewagt, in die uneinnehmbare Festung von Jerusalem einzudringen. Doch während der letzten Lebensjahre des Königs war deutlich geworden, dass der Staat ausblutete, politisch und spirituell. Ägypten hatte dieses Blut gerochen und seine Kreise gezogen, während es auf die Gelegenheit zum Angriff wartete.

Vor einigen Wochen hatten Boten davon berichtet, dass Scheschonqs ägyptische Armee in nördlicher Richtung über die Meeresstraße ritt und dabei alles und jeden vernichtete, der zwischen ihnen und dem Sieg stand. Die Nachricht kündete von sechzigtausend Mann und fünftausend Streitwagen, von denen manche dem Seeweg nach Norden folgten und andere sich nach Osten in Richtung der Heiligen Stadt wandten. Kanaan war eingenommen worden, berichteten die Boten. Viele Städte waren gefallen. Häuser waren niedergebrannt worden, ihre Bewohner aufgespießt. Blut hatte die felsige Erde im Süden verfärbt. Die Opferzahl zu nennen war unmöglich, aber die bloße Vorstellung davon ließ Basemat vor Furcht zittern.

Ahimaaz zog seinen Helm über sein schulterlanges, silberdurchwobenes Ebenholzhaar und entzündete mit einem Zuruf den Funken des Angriffs in seinen Männern. Mit ihren Speeren und ihrem Mut bewaffnet folgten die Reiter ihrem Feldherrn durch die Palasttore und ergossen sich über den Siedlungshügel und das Tal.

Basemat sprach ein stummes Gebet für ihre Sicherheit. Ahimaaz führte keine herkömmliche Armee an, sondern vielmehr eine Widerstandsbewegung. Die Männer kamen aus allen Winkeln Israels und Judas geritten und organisierten sich in den Felsen von Gilboa, südöstlich von Megiddo. Für die Ägypter war die Wildnis Gilboas feindselig und das machte sie für die Widerstandskämpfer ideal, die die Launen der Berge kannten. Ihre Aufgabe bestand darin, den Feind zu schwächen, indem sie Informationen sammelten und Blitzangriffe ausführten, wenn die Ägypter unachtsam waren. Angesichts der riesigen Armee Scheschonqs war dies die beste und vielleicht einzige Hoffnung, die sie besaßen.

Basemat drehte sich zur Terrasse um und betrachtete die Gesichter der Frauen und Kinder, die sich versammelt hatten und auf Anweisungen warteten. Die Kleinen weinten. Ihre dicken, lohfarbenen Finger klammerten sich an die Röcke ihrer Mütter. Säuglinge schrien verzweifelt und veranlassten ihre Mütter, ihnen die Brüste in die Münder zu schieben: Der größte Trost, den sie zu bieten hatten. Sogar die älteren Frauen, sonst gleichmütig angesichts der Gefahr, waren rastlos vor Furcht. Ein junges Mädchen musste von ihren Verwandten gestützt werden, die ihr abwechselnd übers Haar und die tränennassen Wangen strichen. Eine andere kniete neben einer der Säulen und übergab sich, spie die Dämonen aus, die sie quälten.

Basemat richtete ihren Blick auf die alte Witwe Hannah. Unter den Schatten ihres kohlegrauen Schleiers war ihr Gesicht, wenngleich von Furchen des Alters und Prüfungen gezeichnet, so sanft und friedlich wie das einer Jungfrau. Während die anderen um sie herumschwirrten wie Bienen in einer Honigwabe, stand Hannah starr wie eine Säule da. Ihr Blick war zu Boden gerichtet und ihre Handflächen zum Himmel hin geöffnet. Ihre Lippen bewegten sich kaum merklich, während sie ein Gebet sprach.

Basemat konnte das Flehen der Frau nicht hören, aber sie spürte seine Herrlichkeit. Sie war sich sicher, dass Hannahs Bittruf himmlischer Harmonie galt – ein Vogelgesang ohne Erwartung oder bewusstes Bestreben. Sie beneidete sie um ihren Frieden.

Basemat suchte in der Menge nach ihrer Tochter. Ana unterwies eine Gruppe Mädchen ihres Alters in der Kunst, ein Chepesch zu führen, ein kanaanäisches Sichelschwert. Sie stand hinter einem der Mädchen und führte seine Hand mit ihrer eigenen, um ihm zu zeigen, wie man parierte. Es war ein Manöver, das ihr Vater ihr auf ihr eigenes Drängen hin beigebracht hatte, als sie elf Jahre alt war. Es war ihr Ritual, hatte Ana gesagt, um eine Frau zu werden.

Mit beinahe dreizehn war Basemats einzige Tochter nun erwachsener, als es ihrem Alter entsprach, ein Abbild ihres königlichen Erbes und der Linie aus Anführern, in welche sie hineingeboren war. Sie beobachtete, wie Ana ihren jungen Freundinnen eine Abfolge mit dem Sichelschwert vorführte. Sie beherrschte die Klinge, als wäre sie eine Verlängerung ihres Arms, und wich einem vorgetäuschten Feind aus. Sie drehte sich auf den Fersen und schwang zum Angriff herum. Ihr unbedecktes Haar peitschte durch die Luft wie lange, schwarze Seidenbänder.

Eines Tages, dachte Basemat, wird sie einen König heiraten. Es war mehr Vorahnung als flüchtige Eingebung und es schürte ihren Kampfgeist. Sie schuldete ihrer Tochter und allen Töchtern eine Zukunft.

»Hört mir zu, Schwestern.« Sie wartete, bis das Stimmengewirr erstarb, bevor sie fortfuhr. »Der ägyptische Feind steht vor den Toren Megiddos. Unsere Männer tun, was sie können, um die Armee aufzuhalten. Die mächtigste Waffe, die wir nun führen können, ist unser Glaube. Seid stark vor Gott. Betet für unsere Soldaten. Betet für Israel.«

»Ich will kämpfen, Mutter«, sagte Ana. »Ich will diesen Männern zeigen, woraus die Frauen unseres Landes gemacht sind.«

»Die Zeit dafür wird kommen, Mädchen. Jetzt ist es unsere Pflicht, unsere Kinder und uns selbst zu schützen, damit das Leben fortbestehen kann. Wir müssen Zuflucht im Tunnel suchen.«

Anas Augen weiteten sich. »Aber Mutter, das ist feige …«

Basemat hielt eine Hand in die Höhe. »Sei still und gehorche. Kannst du den Rauch ihrer Fackeln nicht riechen? Kannst du ihre wilden Schreie nicht hören? Die Ägypter sind erbarmungslos. Sie wollen uns vernichten. Unsere beste Verteidigung liegt im Inneren der Festung. Wir müssen uns selbst retten, damit sie unser Volk nicht zerschlagen.«

Das Mädchen senkte den Kopf und sprach kein Wort mehr.

Lauter fuhr Basemat fort: »Der Feind weiß nichts von Megiddos Tunnel. König Salomon erbaute ihn, um unsere Wasserversorgung in Kriegszeiten zu sichern. Seine Existenz ist nur der Königsfamilie und den höchstrangigen Statthaltern bekannt.« Sie hielt inne und erwiderte die Blicke mehrerer Frauen, um ihre Aussage zu bekräftigen. »Dort werden wir sicher sein.«

Die Frauen hatten Angst. Sie konnte es an ihren gefurchten Stirnen sehen, an ihren zusammengebissenen Zähnen, in den Schatten in ihren Augen. Es war ihre Pflicht, sie zu beschützen, nicht nur vor dem Feind, sondern auch vor sich selbst. Ihr Glaube war brüchig, zerfiel angesichts der Not. Nur Hannah und ein paar weitere Ältere blieben stark, denn sie hatten solche Zeiten gesehen und sie überlebt.

Sie wandte sich an Ana. »Führe die Frauen in den Tunnel. Auf der Stelle.«

Das Mädchen gehorchte ohne Widerspruch. Trotz all ihres Eigensinns wusste sie, wann sie ihren Eltern nicht trotzen durfte. Es war ein stiller Tanz zwischen ihnen: Jeder wusste, wann er den anderen unterstützen musste. Deswegen herrschte Harmonie in ihrem Heim.

Die Erde bebte. Basemat riss den Kopf zu den Befestigungsmauern herum und erblickte den riesigen, von einem Katapult geschleuderten Felsbrocken, der Megiddos Verteidigung durchbrach. Die Schreie der Männer durchbohrten ihre Eingeweide. Ihre tiefschwarzen Augen wurden feucht. In wenigen Augenblicken würden die Ägypter durch die Tore dringen.

Sie drehte sich zu den fassungslosen Frauen und Kindern um. »Beeilt euch. Es bleibt wenig Zeit.«

Sie übernahm das Ende der Kolonne, um sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wurde, und trieb sie zur Ostseite des Palasts. Auf einem Grasstück neben den Gemüsegärten blieben sie stehen. Der vier mal vier Ellen große Stein, der den Kammereingang verbarg, war so perfekt von den Pflanzen getarnt, dass niemand wusste, dass er da war.

Basemat kniete sich hin und tastete im Gebüsch nach dem Hebel. Ihre Hand strich über die von Rost raue Eisenstange. Sie maß etwa zwei Handflächen in der Breite und war groß genug, um von zwei Männerhänden gepackt zu werden, aber klein genug, um im Dickicht verborgen zu liegen.

Sie verspürte einen Anflug von Zweifel. Vier Männer waren nötig, um diesen Stein zu bewegen, und das mit einiger Anstrengung. Wie sollte eine Gruppe Frauen eine solche Aufgabe bewältigen?

Die Erde bebte abermals. Obgleich sie die Westseite der Festung nicht sehen konnte, konnte sie die elenden Schreie der Männer hören, die in ihren Tod stürzten. Sie sah zum Himmel. Gib mir die Kraft.

Sie wandte sich den Frauen zu und wählte fünf der jüngsten und fähigsten aus. »Ana, Leah, Nava, Shifra, Sarai. Löst eure Hüftschärpen.«

Jede Einzelne entfernte den Stoffstreifen, der ihr eigenes Kleid zusammenhielt, und reichte ihn Basemat, die sie alle mit geschickten Fingern verflocht. Sie zog an beiden Enden des behelfsmäßigen Seils und war mit dessen Gewicht zufrieden. Sie zog es durch den Hebel und drehte sich wieder zu den Frauen um. »Jetzt müssen wir ziehen.«

Die fünf eilten neben sie und folgten ihren Gesten, die sie an beide Seilenden schickten. Sie stemmten ihre Füße in den Boden und hielten das Seil fest.

»Zieht!«

Sie zogen mit aller Kraft, aber der Stein rührte sich kaum.

Basemats Oberarmmuskel brannten und die Sehnen an ihrem Hals spannten sich. Wieder rief sie: »Zieht!«

Ohne auf ihre Anweisung zu warten, lösten sich einige der Älteren aus der Menge und boten, auch wenn sie schwach waren, ihre Hilfe an. Um die zwanzig Frauen zogen an beiden Enden des Stoffseils. Ihre Fersen wühlten die Erde auf. Ihr Ächzen wurde von den dumpfen Schlägen einer schweren Waffe übertönt, die die Holzbretter des Palasttores zerschmetterte.

Endlich wich der Stein und klappte auf wie ein Deckel.

»Der Herr sei gepriesen.« Basemat wischte sich den Schweiß von der Stirn und bedeutete den Frauen, den Schacht zu betreten.

Ungeordnet huschten sie die grobgehauenen Steinstufen hinab. Sie alle waren sich bewusst, dass ihre Zeit abgelaufen war. Innerhalb weniger Augenblicke würde die Festung von Megiddo überrannt sein. Als die Letzte hineingegangen war, folgte Basemat. Sie zog eine Fackel aus einer Eisenstütze an der Wand und entzündete sie, indem sie ein Stück Feuerstein gegen den Felsen schlug. Sie reichte die Fackel einem Paar wartender Hände und zog am Hebel an der Innenseite des Steins. Dank seiner Schwere schwang er herab und sperrte das Tageslicht aus.

Basemat ließ sich auf die oberste Stufe fallen und schöpfte Atem. Gedanken galoppierten durch ihren Verstand wie Hengste: Visionen vom Angriff auf Megiddo, von seinen Mauern, die unter der Faust des ungläubigen Königs nachgaben.

Salomons befestigte Wagenstadt war hoch auf dem Siedlungshügel errichtet, um die Israeliten in Konfliktzeiten zu beschützen. Sie war als Sammelpunkt für Menschen von so weit weg wie dem westlichen Hafen und der nördlichen Hauptstadt, Schechem, gedacht. Innerhalb ihrer soliden Steinwände und in den Kammern der prachtvollen Hilani-Paläste sollten sich die Israeliten verbarrikadieren, während ihre Städte und Dörfer brannten. Doch Salomons Traum wurde schnell zunichtegemacht, denn nicht einmal Megiddo war stark genug, um den Angriff der gierigen Siedler von den Westufern des Jam Suf abzuwehren.

Basemat war überzeugt, dass die Frauen und Kinder im Tunnel in Sicherheit waren … aber was war mit ihren Männern, ihr eigener geliebter Ahimaaz eingeschlossen? Schaudernd verjagte sie jeden finsteren Gedanken an Blutvergießen und Verlust. Die Ägypter waren grausam, aber ihre eigenen Landsmänner waren gerissen und klug. Sie würden das Land, das ihr Eigen zu machen sie so hart gekämpft hatten, nicht ohne Weiteres aufgeben, das Land, das der Herr selbst ihren Vorfahren geschenkt hatte. Sie seufzte schwer und sagte sich: Es besteht noch immer Hoffnung.

Sie stieg die vierzig Stufen im Dunkeln hinab. Der kalte, grob behauene Fels fühlte sich unter ihren Händen wie versteinerter Sand an. Das langsame Tröpfeln von Wasser in der Ferne erfüllte ihre Ohren und sie dachte an ihren Vater. Es musste göttliche Führung gewesen sein, die ihm die Voraussicht verliehen hatte, ein Netzwerk zu entwickeln, das so komplex war, dass es tausenden Menschen Wasser bieten konnte. Ein senkrechter Schacht führte tief in die Erde und war durch eben jenen Tunnel, in dem sie stand, mit einer Quelle außerhalb der Stadtmauern verbunden, die den Bewohnern Megiddos selbst unter Belagerung den Zugang zu Trinkwasser ermöglichte.

Salomon hatte das Bauvorhaben gegen Ende seines Lebens begonnen und es niemals fertiggestellt gesehen. Er hatte seinem Sohn Rehabeam genaue Anweisungen hinterlassen, wie es zu vollenden sei, aber der Erbe des großen Königs hatte sich als dieser Aufgabe unwürdig erwiesen, wie auch vieler anderer. Obwohl Basemat ihren Halbbruder liebte, konnte sie erkennen, dass er schwach war, unentschlossen und nicht in der Lage, das Volk auf die Weise zu führen, wie es ihr Vater getan hatte. Unter seiner Herrschaft zerfiel das vereinte Königreich von Israel und Juda, das drei Könige zuvor gegründet worden war und seinen Höhepunkt während Salomons Zeit erlebt hatte, wie Kalkstein in einem Erdbeben.

Aber vielleicht war es nicht allein Rehabeams Schuld. Der Zusammenbruch hatte zu Lebzeiten ihres Vaters begonnen. Wenn Salomons vierzigjährige Herrschaft auch von Frieden geprägt gewesen war, so hatte er doch auf einem Kessel gesessen, der ohne sein Wissen gebrodelt hatte. Wut schäumte in den besteuerten Massen wie ein giftiges Gemisch. Vom Wohlstand fett geworden hatten sie sich an den Überfluss gewöhnt und wollten sich nicht von ihrem Gold und ihren Annehmlichkeiten trennen, damit die Macht und der Einfluss des Staates bis über Jerusalem hinaus reichen konnte. Salomons Traum vom Bau von Wagenstädten im Norden, wie Megiddo, und von der Befestigung der Heiligen Stadt gegen die Eindringlinge, von denen er wusste, dass sie eines Tages kommen würden, wurde Widerstand entgegengebracht. Ohne einen Gedanken an die Zukunft ihrer Kinder oder die göttliche Weisheit, die König Salomon geleitet hatte, seit ihm die Krone von seinem Vater David übergeben worden war, trachteten sie danach, ihre eigenen Schatzkammern zu schützen. Die vorherrschende Wertvorstellung hatte sich vom Dienst an Gott und der Arbeit an Israels Gemeinwohl zur Wahrung der eigenen Interessen verschoben. Es war, so fand Basemat, eine Schande.

Am Fuß der Treppe drängten sich die Frauen im dürftigen Licht einer einzelnen Fackel zusammen und zitterten in der feuchten Kühle der unterirdischen Passage. Als die Erde über ihnen von den Schritten unzähliger Soldaten bebte, starrten sie Basemat mit großen Augen an, wie verängstigte Kaninchen.

Sie blieb auf der untersten Stufe stehen. Ihr Schatten tanzte als schwarzer Riese über die Kalksteinwand. »Frauen Israels, die Zeit für Mut ist angebrochen. Wir sind das auserwählte Volk des Herrn. So lange wir unseren Glauben bewahren, werden wir beschützt sein.« Sie trat hinunter und gesellte sich zwischen sie. »Nun wollen wir beten.«

Sie sank auf die Knie und wartete darauf, dass die anderen es ihr gleichtaten. Sie senkte den Kopf. »Allmächtiger Herrscher der Himmel, Gebieter unserer Vorfahren, der Du uns Deine Gebote geschenkt hast, erhöre das Flehen Deiner demütigen Diener. Segne, oh Herr, das Haus der Rechtschaffenen und lasse es gegen Sündhaftigkeit und Gewalt obsiegen. Lasse Weisheit und Einsicht in deinem Volk walten. Lasse ihre Herzen Frieden finden im Angesicht der Ungerechtigkeit und lasse sie Deinen Willen und Dein Urteil anerkennen ohne Widerspruch. Den Gefallenen verleihe ewiges Leben. Den Lebenden schenke die Besonnenheit, auf dem schmalen Grat der Tugend und Treue zu wandeln. Möge Dein Wort Nahrung sein in Zeiten des Hungers, Deine Wege Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Amen.«

Lange Zeit lag Stille über der Kammer. Über der Gruppe hing eine ruhige Energie – keine bewusste Ruhe, wie innere Stärke sie brachte, sondern eher eine Benommenheit, ein hoffnungsloses Sichfügen in das, was kommen mochte.

Ein Junge mit einem runden Gesicht und goldenen Locken, die ihm in die Augen fielen, löste sich vom Busen seiner Mutter und sagte: »Wer sind die Männer, die hergekommen sind? Was wollen sie von uns?«

Basemat schenkte ihm ein verhaltenes Lächeln. »Ich will dir eine Geschichte erzählen, Elo'ah.«

Der Junge steckte sich den Daumen in den Mund und lehnte sich an seine Mutter an. Seine großen, erwartungsvollen Augen baten sie, weiterzureden.

Sie sprach mit leiser Stimme. »Vor vielen Jahren, zur Zeit unserer Vorfahren, gab es eine schreckliche Dürre in Kanaan und die Menschen starben vor Hunger. Der alte Stammvater Israel, der Isaaks Sohn und Abrahams Enkelsohn war, führte sein Haus in fruchtbarere Gefilde, die reich an Getreide und Wasser waren. Mit seinen Söhnen und deren Familien, die zusammen siebzig Köpfe zählten, begab er sich auf eine Reise nach Süden, die viele Monate dauerte und die Leben ihrer neugeborenen Lämmer forderte. Schließlich erreichten sie Jam Suf, und sie frohlockten. Sie setzten nach Westen über, in ein Königreich namens Ägypten, und dort fanden sie Weiden und Wasser für ihr Vieh, und sie behandelten das Land mit Sorgfalt und nahmen nur, was sie zum Überleben brauchten.

Siebzehn Jahre lang gedieh und vermehrte sich Israels Stamm. Er besaß die Gunst des Pharao und lebte in Eintracht mit den Ägyptern. Doch Israel, der recht alt war, starb, und sein Sohn Josef brachte ihn nach Kanaan zurück, damit er bei seinen Vorvätern bestattet werden konnte. Israels Haus beweinte ihn zusammen mit den Ägyptern, die wie Familie waren. Israels Stamm lebte weiterhin in Ägypten und zählte jetzt viele tausend Menschen.

Als der Pharao starb, kam ein neuer König an die Macht, der Israel nicht kannte, nicht seinen Sohn Josef und auch keinen seiner Nachkommen. Er betrachtete die Söhne Israels als Fremde auf ägyptischem Boden und verabscheute ihre Vielzahl und ihre Lebenskraft. Aus Angst, sie könnten sich erheben und Krieg gegen Ägypten führen, unterwarf der neue Pharao sie der Knechtschaft. Die Israeliten, seit jeher ein freies und stolzes Volk, waren nun unter dem Joch eines fremden Königs versklavt. Sie wurden gezwungen, Städte zu bauen und schwere Lasten zu tragen und die Arbeit von Ochsen zu verrichten, für nicht mehr als ein Stück Brotrinde.

Aber Israels Volk war gewaltig und klug und der Not zum Trotz vermehrte es sich weiter. Und je zahlreicher sie wurden, desto mehr hasste der Pharao sie, bis er eines Tages befahl, ihre Söhne in den Nil zu werfen, damit sie den Samen Israels nicht mehr weitergaben.«

Sie hielt inne und lächelte den kleinen Jungen an, der das Kleid seiner Mutter an seine Lippen gepresst hielt.

»Aber Hass und Unterdrückung haben keinen Bestand, Elo'ah. Auch wenn viele Jahre vergehen: Die Rechtschaffenen siegen immer. Durch die Gnade Jahwes wurde Israels Stamm vom ägyptischen Joch befreit und von einem Mann namens Mose zurück ins Land Kanaan geführt, wo er wieder in Freiheit lebte und gedieh. Der Pharao vergab den Israeliten niemals, dass sie ihre Freiheit eingefordert hatten, und die Menschen Ägyptens und Israels, die einst Brüder gewesen waren, wurden zu lebenslangen Feinden.«

Sie richtete ihren Blick auf die Gruppe und hob die Stimme ein wenig. »Gerade so wie Israels Stamm damals überdauerte, so werden es seine Nachfahren wieder tun. Selbst wenn das Blut auf der Erde bis zum Zaumzeug der Pferde hinaufreicht und das Meer mit Leichen übersät ist, werden die Söhne Israels auf den Bergen ihrer Vorfahren stehen und den Sieg über ihre Feinde erklären. Sie mögen schreckliche Armeen besitzen und Bronzestreitwagen und Katapulte, die riesige Steine schleudern, aber wir haben etwas, das ihnen fehlt: die Gunst unseres Herrn, unseres Gottes. Wendet euch nicht von eurem Glauben ab, auch nicht in solch harten Zeiten, und ihr werdet die Herrlichkeit Israels wiederhergestellt gesehen.«

In dem stillen Raum konnte Basemat das An- und Abschwellen des Atems ihres Volkes hören. Die Flamme der Verwandtschaft wärmte sie. Eine der Älteren hinten im Kreis stimmte ein vertrautes Lied an. Ihre klaren Worte, tragische Erzählungen von Leids im Rhythmus eines Kriegsmarsches, hallten im Felsenschoß wider und schwollen an, als die anderen Frauen einfielen, eine nach der anderen. Bald sangen alle Münder einstimmig. Jede Note war honigsüß von Hoffnung und Errettung.

Basemat glaubte, etwas zu hören, und entzog sich dem spontanen Chor. Ohne die anderen zu beunruhigen, lauschte sie.

Ein schlurfendes Geräusch erklang von der Treppe.

Sie spürte den eisigen Griff der Furcht um ihre Adern, als sich das Geräusch langsam näherte. Die Frauen sangen weiter, ohne die Tatsache zu bemerken, dass jemand in die Kammer eingedrungen war. Mit einem Herzschlag so wild wie ein Tier im Käfig richtete sie ihren Blick auf die dunkle Treppe.

Ein Mann erschien aus den Schatten, dann noch einer. Und ein Weiterer. Alle trugen sie über ihren nackten Oberkörpern die goldenen Brustharnische ägyptischer Krieger. Sie keuchte. Der Gesang hörte auf und alle Köpfe drehten sich dem Tumult zu.

Langsam stand Basemat auf und betrachtete die Eindringlinge mit hoch erhobenem Kopf. Ana lief zu ihr.

Die Männer standen in zwei Reihen stramm. Ihr Speere waren neben ihnen in die Erde gebohrt. Ihr Anführer kam die Treppe herunter und stellte sich vor seine Soldaten. Um die Hüften trug er eine Bahn aus weißem Baumwollstoff, die in der Leiste zusammengerafft war und von einem goldenen Schild bedeckt wurde, der vor seinen Beinen herabhing. Eine dicke Bronzeplatte erstreckte sich von seiner Kehle über seine Schultern und bis zum unteren Ende seines Brustbeins. Ein bronzener Helm, von einer Schlange gekrönt, schützte seinen Kopf. Um seine Handgelenke lagen goldene Bänder. Er richtete seine kholumrandeten Augen zuerst auf Basemat und dann mit gierigem Blick auf Ana.

»Lasst uns in Ruhe«, sagte Basemat und schützte den Körper ihrer Tochter mit ihrem eigenen. »Wir sind nur Frauen … Kinder. Wir sind keine Bedrohung für euer Volk.«

Er warf den Kopf zurück und stieß kurze, böse Lacher aus. Er redete in einer Sprache, die sie verstand: Es war die Sprache ihrer Mutter. »Es ist nicht an euch, über euer Los zu wachen. Ihr seid nun das Eigentum des Pharao.« Er wandte sich an seine Männer. »Ergreift sie.«

Die Männer richteten ihre Speere auf die fassungslosen Israelitinnen. Kinder klammerten sich an ihre Mütter. Ihr hysterisches Weinen erfüllte jeden dunklen Winkel der Kammer.

Vier Soldaten machten sich daran, ihre Gefangenen mit Jute zu fesseln. Die Frauen schluchzten leise, als die Männer ihnen das Seil um die Taille schlangen, ihnen die Hände auf den Rücken banden und das Seil zur Nächsten führten, bis sie alle, durch ihre Fesseln bewegungsunfähig, an einer einzigen Kette lagen.

Einem der Männer wurde aufgetragen, die Kinder an einer Stelle zusammenzutreiben. Manche fügten sich still, andere nicht. Eliezer, Sarais Sohn, trat einem der Soldaten gegen das Schienbein und schlüpfte dann aus seinem Griff wie ein lebender Fisch, als der Mann ihn zu packen versuchte. Der Junge, der gerade sein zehntes Lebensjahr erreicht hatte, war dem Ägypter ein lästiger Widersacher, der seinen Angriffen geschickt auswich und ihm spottete.

»Eliezer, füge dich, mein Sohn«, rief seine Mutter.

Der Junge hörte nicht auf sie; dieses Mal glitt er zwischen den Beinen des Soldaten hindurch und stürzte auf die Treppe zu. Zwei andere Soldaten packten ihn und warfen ihn ohne Rücksicht auf sein zartes Alter zu Boden. Während er auf dem Rücken lag, rammte Eliezer seinen Fuß zwischen die Beine des Soldaten, der ihm am nächsten stand, und ließ ihn mit einem Aufheulen zu Boden gehen.

Ein weiterer Ägypter hob seinen Speer. »Dieser Junge ist vom Bösen Geist beseelt. Er muss sterben.« Er rammte seinen Speer in Eliezers Kehle und drückte ihn mit aller Kraft nach unten, während der Junge keuchte und Blut spuckte.

Basemat fiel auf die Knie und presste beide Hände auf den Mund. Zitternde beobachtete sie das brutale Verbrechen an ihrem Volk. Gefangene zu machen war Kriegsrealität; ein Leben zu nehmen, besonders das eines Kindes, war unverzeihlich. Das Blut des kleinen Eliezer sickerte in den Kalkstein, während er im verzweifelten Versuch, am Leben festzuhalten, wild um sich schlug. Drei Frauen verhinderten, dass seine wehklagende Mutter zu ihm eilte.

Als die Bewegungen des Jungen schwach wurden und sein Körper bleich, zog der Ägypter den Speer so grob aus seiner Kehle, dass er Eliezers Hals beinahe entzweiriss. »Stellt euch uns entgegen und ihr werdet dasselbe Schicksal erleiden.«

Ein bitterer Geschmack füllte Basemats Mund. Was stille Fügung in das Los der Israeliten gewesen war, verwandelte sich in heiße Wut. Sie stand auf und redete den Mann in seiner eigenen Sprache an. »Feigling. Ist das dein Verständnis von Eroberung und Sieg im Namen deines Königs? Kinder zu töten und Frauen zu foltern?«

Er fletschte die Zähne und richtete seinen blutigen Speer auf sie. Speichel tropfte ihm aus seinem herabgezogenen Mundwinkel.

Der Anführer trat zwischen die beiden. »Senke deinen Speer. Wir brauchen sie lebend.« Einem anderen seiner Männer rief er über die Schulter hinweg zu: »Fessle sie.« Dann wandte er sich Ana zu und ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten. »Die hier kommt mit mir.«

Basemats Augen weiteten sich. »Nein … das könnt Ihr nicht tun. Meine Tochter gehört zu mir.«

Er ignorierte ihr Flehen und packte Ana am Ellbogen.

Das Mädchen biss die Zähne zusammen und wehrte sich gegen seinen Griff. Sie sah ihre Mutter mit dem Blick einer verängstigten Gazelle an.

Heißes Blut brannte in Basemats Gesicht. Sie warf sich auf den Ägypter wie eine tollwütige Katze und grub ihre Fingernägel ins Fleisch seines Unterarms. »Lasst sie los!«

Mit einer schnellen Armbewegung schüttelte er ihren Griff ab und warf sie zu Boden. Ihre Stärke konnte es nicht mit seiner aufnehmen, aber das hielt sie nicht ab. Sie kämpfte sich auf die Füße und packte Anas anderen Ellbogen mit ihrem festesten Griff. »Ihr könnt meine Tochter nicht mitnehmen.« Sie sagte es wieder und wieder, und mit jedem Mal wurde sie aufgelöster.

Sie zog gegen den Griff des Ägypters an, selbst dann noch, als sich Anas Gesicht vor Schmerz verzerrte. Basemats Arm zitterte von der Anstrengung. Sie spürte, wie ihre Hände abrutschten.

Weitere Soldaten kamen dem Anführer zu Hilfe, doch er winkte sie fort. Mit einer schnellen Bewegung riss er das Mädchen aus den Armen seiner Mutter. Ein teuflisches Lachen entsprang seiner Kehle und hallte vom Stein der unterirdischen Kammer wider. Er packte Ana bei den Haaren und zog sie die Treppe hinauf.

Basemat heulte auf, als sie zusah, wie ihr einziges Kind in den dunklen Katakomben verschwand. Sie spürte, wie ihr zwei Hände Jute um die Taille wickelten. Sie wehrte sich nicht. Sie ließ den Kopf hängen und weinte mit bebendem Körper, während ihre Handgelenke den Fesseln des Feindes unterlagen.

Kapitel 2

Die Nacht senkte sich rasch über die Ebene von Jesreel. Basemat saß auf einem abgenutzten Teppich auf dem Boden ihres Gefängniszeltes, die Knie an die Brust gezogen. Sogar im Frühling war der Atem der Nacht eisig, wenn er über die offene Ebene blies. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, gleichwohl eine Antwort auf die Kälte wie auf das Schicksal, das sie erwartete.

Obwohl sie ihr Trost gespendet hätte, nahm sie die Decke nicht, die für sie ins Zelt gelegt worden war. Sie erkannte die raue Webart der Wolle, in verblassendem Blau und Violett gestreift und an den Enden mit Fransen besetzt, als die Arbeit ihres Volkes. Sie fragte sich, welches Haus Scheschonqs Männer geplündert und von wessen Bett sie sie genommen hatten. Sie stellte sich vor, wie die Bewohner – der Qualität ihrer Stoffe nach zu urteilen einfache Menschen – aus ihrem Haus getrieben wurden, wenn sie überhaupt überlebten, aus ihren Städten stieben wie Ameisen, verängstigt und allem beraubt. Für sie war die gestohlene Decke ein Symbol des Leids jener Menschen und sie ließ sie liegen, denn sie anzunehmen hätte sich wie Verrat angefühlt.

Für eines war sie dankbar: Ihre Fesseln waren zerschnitten worden. Sie schob den langen Trompetenärmel ihres Kleides nach oben und betrachtete die blutige Haut ihrer Handgelenke, die von der Jute aufgescheuert worden war. Sie brannte nicht mehr als die Erniedrigung, eingesperrt zu sein.

Das Zelt ihrer Gefangenschaft war kaum groß genug, dass vier Menschen Schulter an Schulter aufrecht darin hätten stehen können. Es war aus gewebtem Ziegenhaar gefertigt, das zu einem breiten Tuch zusammengenäht und mit hölzernen Pflöcken in der Erde gesichert war. Ein Olivenholzzweig hielt die Decke in der Höhe. Eine schwache Flamme, die in einer tönernen Lampenschale brannte, flackerte über die Zeltwände und warf lange Schatten ins Halbdunkel.

Basemat hörte, wie sich ein Mann vor ihrem Zelt räusperte, und begriff, dass sie bewacht wurde. Ihre Züge verhärteten sich. Das vereitelte ihren Plan, das Zelt im Dunkel der Nacht zu verlassen und nach ihrer Tochter zu suchen. Sie war entschlossen, Anas Leben zu retten, selbst wenn es sie das eigene kosten würde. Der Gedanke, dass ihr geliebtes Kind in den Händen dieses Ungläubigen war, entfachte einen Zorn in ihr, den sie nicht kannte. Wut und Gewalttätigkeit entsprachen nicht ihrer Art. Aber sollte es soweit kommen, dann würde sie den Ägypter eher ausweiden, als zuzulassen, dass er ihrer Tochter die Unschuld raubte.

Sie holte tief Luft, um ihren Zorn zu bändigen. Sie durfte nicht den Kopf verlieren. Sie stand auf und ging zum Stoff, der den Zelteingang bedeckte. Durch einen Spalt spähte sie zum Himmel hinauf. Der Vollmond hing tief am Horizont. Sie blickte nach Osten, teilte den Stoff ein wenig und hoffte, ihre Bewegungen blieben unentdeckt.

Es war die Hoffnung eines Narren. Der Wachmann bemerkte sie unverzüglich und richtete seinen Speer auf sie. Er bellte etwas in einem Dialekt, den sie nicht kannte. Er war ein großer Mann von beträchtlichem Umfang, in dessen Augen ein mordlüsterner Schimmer lag.

Sie wich nicht zurück. »Ich habe großen Durst. Ich möchte einen Becher Wasser haben.«

Er stieß seinen Speer in die Luft und drängte sie, wieder hineinzugehen.

Sie blieb standhaft und starrte ihm in die Augen, zwei nachtschwarze Murmeln, die bar jeglicher Intelligenz schienen. »Bring mir Wasser.«

Seine Speerspitze berührte ihre Rippen. Er stieß weitere Worte aus. Als sie sich noch immer nicht rührte, drehte er den Speer.

Sie hörte das Leinen ihres Kleides reißen und verspürte ein Stechen. Sie blickte nach unten und sah Blut, das langsam aus der Fleischwunde sickerte. »Du bist gottlos«, zischte sie auf Hebräisch.

»Er führt nur Befehle aus«, sagte eine Männerstimme aus den Schatten.

Basemat war überrascht, im feindlichen Lager Hebräisch zu hören. Sie beobachtete die Reaktion des Wachmanns auf den unsichtbaren Eindringling. Er rührte sich nicht.

»Wer seid Ihr?«, rief sie beunruhigt. »Zeigt Euer Gesicht.«

Er trat in ihr Blickfeld. In der Schwärze der Nacht konnte sie die Konturen seines Halugs ausmachen, der langen Tunika, die ihn als Israeliten identifizierte. Der Zierrat des Kleidungsstücks – ein Metallgürtel, der um die Taille geschnallt war und bestickte Zierstreifen an den Ärmeln, Säumen und dem Halsausschnitt – verrieten seinen Status. Sein Gesicht konnte sie kaum erkennen.

»Hallo, Prinzessin.« Er näherte sich langsam. »Es ist viele Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal trafen.«

Basemat erstarrte, als sie erkannte, wer vor ihr stand. Es hatte Gerüchte über die Rückkehr des Verräters nach Israel gegeben, nachdem er als führender Kopf eines Aufstandes gegen ihren Vater aus dem Land getrieben worden war. Sie versuchte zu sprechen, doch die Worte waren im Käfig der Erschütterung gefangen.

»Wollt Ihr Euren zukünftigen König nicht begrüßen?«

»Nehmt kein Schicksal an, das nicht das Eure ist, Jerobeam. Das ist Blasphemie.«

»Ihr und ich, wir beide wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich über die Stämme Israels herrschen werde.«

»Das Volk Israel ist dem Haus David treu. Es wird niemals zulassen …«

»Das hat es schon. Es gibt nichts, was Ihr oder sonst eine Brut Salomons tun könnt, um das zu verhindern. Die Menschen der nördlichen Stämme haben sich vom vereinten Königreich losgesagt. Ich werde sie führen, wie es die Prophezeiung vorhersah.«

Galle stieg in Basemats Rachen auf und sie kämpfte den Brechreiz nieder. Nicht länger fähig, ihn anzusehen, zog sie sich in ihr Zelt zurück.

Jerobeam folgte ihr. »Ihr werdet hören, was ich zu sagen habe. Seht mich an.«

Basemat drehte langsam den Kopf. Er hatte sich in den Jahren, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, nicht verändert. Seine dunklen, zornigen Augen lagen tief unter gewaltigen Brauen und ein kurzer, schwarzer Bart bedeckte ihm Kiefer und Kehle. Seine Haut besaß die Farbe von gebranntem Ton und Linien zeichneten seine eingesunkenen Wangen. Sein schulterlanges Haar, ein unbändiges Gewirr tiefschwarzer Locken, war mit einem hohen Turban in Schattierungen von Indigo und Myrte umwickelt.

Ihre Gedanken wanderten zu dem Tag zurück, als sie ihn kennengelernt hatte. Sie war in Anas Alter gewesen, als Jerobeam, ungefähr zehn Jahre älter als sie, von König Salomon ausgewählt wurde, den Fronarbeitern in Jerusalem vorzustehen. Ihr Vater hatte ihn wegen seines Fleißes und seiner Ehre aus Tausenden ausgesucht und ihm seine wichtigsten Bauvorhaben anvertraut. Jerobeam sollte die Burnden während des Baus des Millos befehligen, das die Stadt des Königs umschloss und befestigte, und auch während der Errichtung des königlichen Tempels für ihre Mutter außerhalb der heiligen Stätte.

Basemat hatte ihn beim Pessachfest getroffen. Er saß an der langen Tafel des Königs, nahm wenig vom Essen und Wein zu sich und sprach nur selten. Als Salomon seinen Hofstaat begrüßte, wandte er sich an seine liebsten Untergebenen, um ihnen vor allen Versammelten Anerkennung zu zollen. Es war das erste Mal, dass dem jungen Jerobeam diese Ehre zuteilwurde, und sie veränderte seine Haltung augenblicklich. Den Kopf erhoben und die Brust aufgeplustert wie ein Hahn stand er zwischen den anderen Stellvertretern des Königs. Der Stolz, der in seine Seele drang, war sichtbar.

Die Geschichte war so alt wie die Zeit: Sobald er einmal Macht gekostet hatte, war es ein Leichtes, einen Mann zu verleiten.

Die Wunde an ihrer Seite brannte sie von Neuem. »Ihr werdet für diesen Verrat gerichtet werden, Jerobeam.«

Ironiegespicktes Gelächter drang aus seiner Kehle. »Von wem? Eurem Bruder, dem machtlosen König? Ich ging zu Rehabeams Krönung, um im Namen der Menschen zu verhandeln. Er war so arrogant, dass unsere Bitte, die Last der Besteuerung durch Euren Vater zu verringern, verdampfte wie Regentropfen auf einem heißen Stein. Er bestand darauf, die Abgaben zu erhöhen, anstatt sie zu senken. Es war offensichtlich, dass er keine Vorstellung davon hat, was das Volk will, und deswegen wenden sich die Menschen von ihm ab. Sicher wisst Ihr, dass die Führer der zehn Stämme Israels die Krönung verließen und Rehabeam am Tage seiner Machtergreifung demütigten.« Sein Gesicht verzog sich zu seinem Ausdruck der Abneigung. »Er bekam nur, was er verdiente.«

Sie war sich des Vorfalls und der Spaltung, die ihm gefolgt war, nur allzu bewusst. Rehabeam hatte fünf Jahre lang abwechselnd versucht, die abtrünnigen Stämme entweder zu unterwerfen, oder Frieden mit ihnen zu schließen. Es war kein Geheimnis, dass er den Kampf verlor, und es war auch keine Überraschung, dass Jerobeam sich als Anführer des unzufriedenen Nordens erhoben hatte, denn er war es gewesen, der den Menschen eine Stimme verliehen und die Flammen der Revolution gegen das Haus David geschürt hatte.

»Warum erzählt Ihr mir das? Erwartet Ihr mein Mitgefühl? Ihr sollt es nicht bekommen. Die Respektlosigkeit, die Ihr meinem Vater entgegenbrachtet, und nun meinem Bruder, ist eine Schande.«

»Die Geringschätzung seitens Eurer Verwandtschaft für das Volk ist eine Schande. Die Ungerechtigkeit, mit welcher sie uns behandelten, damit sie ihre Truhen mit Gold füllen konnten.« Er hielt eine geballte Faust in die Höhe. »Ich bin diesen Menschen treu gesinnt … und ich werde ihnen zu ihrem Recht verhelfen.«

»Ihr wagt es, von Treue zu sprechen? Ihr, der versuchtet, Euren König zu stürzen, den Mann, der Euch vertraute und Euch alles gab?« Ein Kloß formte sich in ihrer Kehle und würgte ihre Worte. Noch immer entsetzte sie die Erinnerung an Jerobeams Versuch, die Regierung während Salomons Herrschaft an sich zu reißen.

Diese Tat war höchst abscheulich. Salomon hatte Jerobeam die Verantwortung über die Abgaben des Hauses Josef übertragen, dem einflussreichsten der Stämme. Jerobeam, ein Ephraimiter und daher Mitglied des Stammes, war charismatisch und sein Volk respektierte ihn, und so war er in der idealen Position gewesen, um Einfluss auf sie auszuüben. Salomon hatte ihn zu seinem persönlichen Vertreter dieses hochwichtigen Teils seiner Anhängerschaft gemacht und ihm die Aufgabe anvertraut, den Willen der Krone durchzusetzen, wenngleich dies nicht gern gesehen war.