Das Vermächtnis der Engel - Danae Michaelis - E-Book

Das Vermächtnis der Engel E-Book

Danae Michaelis

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Beschreibung

Als Prinzessin von sechs Universen hat es Sukiyo nicht leicht: Verpflichtungen und Regeln engen sie ein. Ihrem Wunsch nach Freiheit wird ein Ende gesetzt, als Sukiyo vor der Entscheidung steht, wegzulaufen oder Verantwortung für ihr Reich zu tragen. Denn ein alter Feind ist zurück. Mit einem Heer aus Dämonen an seiner Seite setzt er alles daran, um sich gewaltsam der Heimat der höheren Wesen zu bemächtigen.

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Seitenzahl: 493

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Veröffentlicht von Danae Michaelis

15.April 2025

3. Auflage

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2025 Danae Michaelis

Texte: © Copyright by Danae Michaelis

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Coverdesign: TomJay-bookcover4everyone/www.tomjay.de

Layout: Danae Michaelis

Lektorat/Korrektorat: Feder und Flamme Lektorat

Bildnachweis: istock. ©Marina79 © Mellok, © retrofutur, ©WarmTail/Depositphotos.com, ©October Artistry/Shutterstock.com)

Hightower font: Copyright (c) 1996, Tobias Frere-Jones. Designed by Tobias Frere-Jones. Produced by The Font Bureau, Inc. All rights reserved.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt.

Das

Vermächtnis

der

Engel

Part I

Danae Michaelis

Danksagung

Als Erstes danke ich meiner Mutter.

Dafür, dass sie sich jedes Mal wieder mit einer riesigen Geduld all meine Ideen anhört. Sich dann meine unfertigen Manuskripte durchliest und durch meinen Gedankenwirrwarr kämpft, bis es eine fertige Geschichte ergibt.

Dann danke ich allen, die mich von Anfang bis Ende bei der Fertigstellung unterstützen. Dazu gehören meine Lektorin/Korrektorin und Klappentextgestalterin, sowie meine Zweitkorrektorin, mein Coverdesigner und natürlich alle Blogger und Leser, die mich immer supporten!

Ohne euch wäre ich niemals so weit gekommen

Akt

1

Prolog

Kennst du das?

Du liegst spätabends, sogar vielleicht nachts auf deinem Balkon, deiner Terrasse, im Garten oder der freien Natur. Dein Blick auf den Himmel über dir gerichtet und du denkst: so viele Sterne, Planeten, die Milchstraße. Einfach eine riesige Unendlichkeit. Automatisch kommt einem die bloße Existenz minimal und fast unwichtig vor. Man ist nur ein winziger Teil von einem großen Ganzen. Du siehst das Funkeln am dunklen Himmel und tausend Gedanken schießen dir dabei durch den Kopf.

Ich wette mit dir, du hast dich sicher schon mal folgende Dinge gefragt:

Wie viele Planeten und Sterne gibt es?

Wie weit und groß das Universum sein mag?

Ist es wirklich so unendlich, wie behauptet wird?

Wann, und vielleicht sogar wie, wurde all das erschaffen?

So etwas Großes muss doch einen Grund haben, warum es, oder man selbst, auf einmal existiert.

Und das Allerwichtigste:

Gibt es Leben irgendwo da draußen, auf den anderen Planeten?

Fragen, die wahrscheinlich schon jedem Sterblichen durch den Kopf gegangen sind.

Ich kann dir an dieser Stelle versichern, mit diesen Gedanken bist du nicht allein. Gut, das hast du wahrscheinlich schon gewusst. Aber was wäre, wenn ich dir sagen kann, auf einige deiner Fragen habe ich eine Antwort. Und nein, es ist nicht die Antwort, welche manche Astrophysiker meinen, zu wissen.

Nicht mal die religiösen Geschichten stimmen alle so, wie sie uns erzählt wurden. Zumindest zum Teil nicht. Manche Namen kennen wir, nur ihre Geschichte dahinter ist anders, als wir immer dachten. Der Grund, warum dieses und andere Universen existieren, ist ein anderer.

Ja, du hast richtig gelesen.

Dieses und andere Universen. Denn, es gibt mehrere. Sechs, um genau zu sein und sie alle haben einen Wächter, so wie Personen, die sich um alles, was dort passiert, kümmern. Leben, Tod, Erschaffung und Vernichtung von Planeten, Lebewesen und vieles mehr.

Na, habe ich dich neugierig gemacht?

Wenn du magst, erzähle ich dir alles.

Von den Universen, ihren Beauftragten, bis hin zu dem Moment, wo alles entstand. Aber auch vom größten Krieg aller Universen gegen seinen schlimmsten Feind.

Ich werde es dir erzählen.

Vielleicht, am Ende, wenn du mal wieder auf deinem Balkon, deiner Wiese oder dergleichen liegst und in den weiten Nachthimmel schaust; da wette ich mit dir, wird sich deine Sicht aller Dinge geändert haben und wer weiß, möglicherweise erzählst du unsere Geschichte irgendwann deinen Kindern. Diese ihren und so weiter. Damit unsere Legenden und Sagen niemals vergessen werden.

Nämlich:

Die Geschichte

vom

Vermächtnis

der Engel

„Der Anfang

einer Legende.“

Das mysteriöse Baby

Heute war wieder einer dieser Tage, an denen unser Gott seinen Job als Zerstörer erledigen musste. Viele Jahrtausende nach der Erschaffung der Universen. Seine Aufgabe bestand darin, Planeten zu eliminieren, von denen der Erschaffer und Vermittler sagten, diese würden keine Zukunft besitzen. Deshalb machte Redox sich an jenem Morgen auf den Weg, in unserem fünften Universum seiner Pflicht nachzugehen.

Doch heute war etwas anders.

Raziel, Vorgesetzter von Redox, begleitete diesen an jenem Morgen. Dass ein Engel dies tat, kam selten vor. Meistens dann, wenn es irgendwelche wichtigen Dinge zu klären gab. In der Regel waren die Zerstörer immer allein mit ihrem Seelensammler unterwegs.

Redox flog neben Raziel her und sah aus dem Augenwinkel zum Engel hinüber.

Raziel, groß gewachsen, mit langem, weißem Haar, welches er immer im Nacken zusammengebunden trug, schaute mit ernsten, blauen Augen in die Ferne. Der Heiligenschein über dessen Kopf schimmerte sanft. Redox kratzte sich nachdenklich an der Affenschnauze und wandte sich seinem Vorgesetzten zu.

»Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann du mich das letzte Mal bei meiner Arbeit begleitet hast«, warf er beiläufig ein und schaute wieder nach vorne. Seine Hände, mit braunem Fell bewachsen, spielten unsicher mit der Kette an seinem Hals. Dort prangte das Wappen der Zerstörer auf feinstem Gold.

Raziel wandte seinen Blick Redox zu. Blaue Augen trafen auf grüne. Ein kurzes Lächeln huschte über das sonst so ernste Gesicht des Engelmannes.

»Es ist auch schon eine ganze Weile her. Eigentlich gehört dies hier nicht zu meiner Arbeit. Jedoch habe ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt und, dass seit wenigen Tagen irgendwas in meinem Universum anders ist«, erklärte er und umflog dabei einen Schauer aus kleinen Meteoriten, als wäre dies nichts. Etwas Alltägliches.

Redox runzelte die Stirn.

»Etwas nicht stimmt?«, wiederholte er verblüfft und schüttelte den Kopf. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf seine Umgebung.

All die Energien von den Lebewesen der verschiedenen Planeten nahm er ohne Probleme wahr. Sein Gespür tastete sich wie Fühler durch die Umgebung und suchte nach etwas Ungewöhnlichem. Etwas, was nicht dorthin gehörte oder gar bösartig sein konnte. Soweit seine Sinne ihn jedoch nicht täuschten, konnte er nichts Unnormales spüren.

Redox öffnete die Augen und riss diese auf einmal auf. Er hatte einen Hagel aus Steinen nicht bemerkt und geriet genau in diesen.

Mit Mühe wich er den ganzen wild umherfliegenden Geschossen aus. Nur, um am Ende mit einer Beule und tiefroten Wangen wieder neben Raziel herzufliegen.

Trotz der von den Engeln geschenkten Fähigkeiten bemerkte er einen Stein nicht und dieser flog ihm direkt gegen die Stirn. Auch Götter waren nicht unfehlbar.

»Also ich spüre nichts«, sagte Redox betont normal, als er das Grinsen von Raziel wegen seiner Beule bemerkte. Er klopfte sich die Weste ab, die, wie bei jedem Zerstörer, in tiefem Schwarz gehalten wurde. Seine braunbehaarte Brust war voller Staubpartikelchen, da er nicht das eigentlich zur Uniform gehörende Hemd trug.

»Denkst du, es ist Duiwel?«, hakte er nach und schnipste dabei kleine Steine von der ebenso schwarzen Dhoti Pants an den Beinen. Innerlich hoffte er auf ein Nein.

*

»Duiwel?«, mischte sich eine ängstliche Stimme in das Gespräch ein. Redox Blick glitt nach hinten.

Die Person, welche gesprochen hatte, war Selah. Sie sammelte die Seelen der Lebewesen ein, welche starben, wenn Redox einen Planeten eliminieren musste. Denn es wurden (und dies kam nicht selten vor), nicht nur Planeten zerstört, die kein Leben aufweisen oder jemals besitzen würden.

Ganz oft wurden auch welche vernichtet, deren Bevölkerung zu schwach zum Überleben, oder gar keinen positiven Nutzen für die Zukunft hatten. Ebenso Planeten, dessen Bewohner nur Ärger machten, von Grund auf böse waren, oder oft negativ auffielen, konnten hin und wieder auf der Liste eines Zerstörers landen. Wenn solch ein bewohnter Planet dem Ende geweiht war und Redox ihn zerstört hatte, kam Selah ins Spiel.

Sie besaß eine kleine Flöte, ihr Aussehen glich einer wunderschön geformten Muschel. Wenn sie diese blies, folgten alle Seelen automatisch dem Klang. Somit musste sie dann nur den Deckel ihres Gefäßes öffnen, welches sie immer auf dem Rücken trug, und die Seelen (auch genannt Atem des Lebens) wanderten dort hinein.

Am Ende eines Tages brachte sie diese ins sogenannte andere Reich. Dort prüfte man, ob sie gereinigt und bis zur Wiedergeburt in die unvergängliche Überwelt entlassen wurden, oder erst zur Buße ins Martyrium geschickt werden mussten. Dies war ein einfacher Prozess. Die Seele speicherte, während sie in einem Körper lebte, all dessen Erlebnisse und Erinnerungen in sich ab. Im anderen Reich wurden von den Richtern über Gut und Böse (kurz die Danya), diese Rückblicke angesehen. Anhand dessen, wie der Sterbliche gelebt und gehandelt hatte, wurde dann über den weiteren Verlauf entschieden. Lebte er rein und blieb auf der guten Seite, durfte die Seele in die Überwelt und bis zum Tag der Wiedergeburt dort verweilen.

Handelte die Person jedoch böse, oder wies eine dunkle Seite auf, musste sie ihre Strafe erst einmal im Martyrium absitzen. Je nach Vergehen konnte diese Zeit variieren, bis hin zur ewigen Verdammnis.

*

Redox und Selahs Blicke trafen sich und die Seelensammlerin schluckte schwer. Ihre blauen Augen schauten ängstlich zu ihrem Partner. Vor Aufregung wurde ihre blaue Haut ganz blass.

»Ich meine, es war lange ruhig gewesen. Zu ruhig! Denkt ihr wirklich, er ist zurück?« Selahs zierlicher Körper schauderte.

Sie war nicht gerade groß, neben Raziel sah sie sogar richtig winzig aus. Dass gerade jetzt wieder der Feind aller Engel und Götter sein Unwesen treiben würde, darauf konnte Selah getrost verzichten. Den letzten Krieg gegen diese abscheuliche Person mit seinen blind folgenden Untertanen würde sie sicher niemals vergessen. Keiner der Götter und Engel tat dies. Auch wenn es schon einige Jahrhunderte her war, dachten alle noch mit Grauen an diese schrecklichen Tage zurück.

Natürlich wurde Selah, wie Redox und alle anderen Götter, trainiert. Kämpfen kam für sie jedoch nur als letzte Option infrage. Selbst wenn sie wusste, dass es bei Duiwel und seinen Anhängern nicht anders ging.

Von Raziel kam ein verneinendes Geräusch und kurz schloss der Engel die Augen. Obwohl er dies tat, flog er weiter. Seine Sinne sagten ihm den Weg, damit er nicht aus Versehen in einen Asteroiden flog oder, wie Redox vorher, in einem Steinschauer landete. Der Griff um den hölzernen Stab in seiner Hand, an dessen Ende sich eine Art Kristallkugel befand, wurde fester.

»Nein, es ist nicht Duiwel. Dieses Gefühl ist … anders«, kam es nachdenklich von ihm. Selah atmete auf. Redox Gesicht zeigte ebenso Erleichterung. Kurz nickte er, fragte sich aber, was Raziel dann meinte. Der Engel las die Frage im Gesicht seines Zerstörers. Einen Reim konnte er sich jedoch nicht auf dieses seltsame Gefühl in sich drinnen machen.

Es war so, dass er seit drei Tagen von jetzt auf gleich immer wieder das Gefühl bekam, als stünde sein Körper unter Strom. Nicht auf unangenehme Weise. Aber allein, dass dieses Kribbeln da war und er keine Antwort darauf besaß, machte ihm Kopfzerbrechen. Zudem durchfuhr ihn laufend das Bedürfnis, sein Universum zu besuchen, obwohl er den Kontakt zu Erschaffer und Zerstörer meist vom Planeten der Engel ausführen konnte. Nun drängte Raziel irgendwas, Redox zu begleiten.

»Ich weiß nicht genau, was es ist«, antwortete Raziel auf die unausgesprochene Frage von Redox.

»Ich habe auch schon mit Emyda gesprochen, ob es eventuell etwas Neues im Universum gibt. Doch er verneinte es.«

Emyda fungierte als Erschaffer in diesem Universum. Redox war klar, wenn Raziel irgendwas Seltsames spürte, würde dieser sich sofort mit der Person in Verbindung setzen, die über alles, was in diesem Universum geschah, Bescheid wissen sollte. Zumindest was neue Aktivitäten oder Erschaffungen anging.

»Na, dann hoffen wir mal, dass es nichts Schlimmes ist«, sagte Redox zu seinem Leiter.

»Das hoffe ich auch«, murmelte Raziel nachdenklich und schaute wieder nach vorne in die unendliche Weite des dunklen Universums.

*

Den ganzen Tag flogen Redox und Selah durch das Universum und arbeiteten die schier unerschöpfliche Liste des Zerstörers ab. Obwohl sie keine Pausen einlegten, nahmen die Aufträge der zu vernichtenden Planeten kein Ende.

Raziel begleitete das Duo die ganze Zeit. Gesagt hatte er jedoch seit dem Gespräch, warum er heute dabei war, nichts mehr. Schon fast teilnahmslos sah er dabei zu, wie Redox einem Planeten nach dem anderen den Garaus machte und Selah danach die verbliebenen Seelen zu sich rief und einsammelte.

Gerade flogen sie zum nächsten Auftrag.

Dieser sollte der Letzte für heute sein, denn Selah beschwerte sich seit einer Stunde, dass sie Hunger hatte. Also machten sie sich auf den Weg und nach einer ganzen Weile kamen sie vor einer Kugel an.

Redox sah auf die Liste in seiner Hand.

»Jirujan«, las er den Namen vor und deutete auf den bewucherten Ball vor sich. Jirujan war nicht sonderlich groß. Ein Planet, welcher gut zwanzigmal in den Pluto passen würde. In einer grün-grauen Farbe befand er sich vor ihnen.

»Leben gibt es keines hier«, las Redox weiter und runzelte die Stirn.

»Emyda gab dem Planeten die gewissen Anforderungen für Leben, doch die Evolution schaffte es nie, weiter als über das Mikroorganismen System hinauszukommen. Nun steht er auf dem Abschuss und soll Platz machen für einen zukünftigen Planeten, auf dem sich eventuell Leben ansiedeln könnte.« Der Zerstörer seufzte und hob seine flache Hand Richtung Jirujan.

»Jetzt darf ich die Müllabfuhr für diesen Klumpen aus Dreck spielen«, murrte er und ließ vor seiner Hand eine Kugel erscheinen. Diese war klein und schimmerte in weißem Glanz. Die Energie dieser Kugel war pur und rein. Redox konzentrierte sich. Mit seiner von den Engeln geschenkten Gabe ließ er immer mehr und mehr Energie in die Kugel fließen. Weshalb sie vor den Augen der drei Beteiligten stetig wuchs. Raziel zeigte nach wie vor keine Regung und schien in Gedanken versunken.

Selah hingegen rieb sich den Magen und dachte schon darüber nach, was sie zum Abendessen verspeisen sollte. Bei diesem Planeten würde sie nichts zu tun haben. Hier gab es kein Leben und somit keine Seelen zum Einsammeln.

*

Was keiner der Drei ahnte, dieser Planet, bald dem Tode geweiht, war gar nicht leer.Nein, mitten in diesen Pflanzen, die schon bald einem nie endenden Dschungel glichen, befand sich eine Höhle.Dort drinnen lag, in Laken gewickelt, ein kleines Baby.Es war erst wenige Tage alt.Gerade schlief das kleine Wesen völlig erschöpft.

Vor drei Tagen waren zwei Personen auf Jirujan gelandet. Wenn man es genau nahm, waren es drei gewesen. Denn einer der beiden Personen war eine hochschwangere Frau. Sie hatten dort eine Notlandung gemacht, da die Wehen früher eingesetzt hatten, und hatten diese versteckte Höhle gefunden.

Beide waren hineingegangen und auch lange nicht herausgekommen. Wenn jemand auf Jirujan leben würde, hätte er sich sicher gefragt, was dort drinnen vor sich ging und was die beiden unbekannten Personen dort wollten. Vor allem, als immer und immer wieder schmerzerfüllte Schreie aus der dunklen Höhle drangen. Laut hallten sie von den feuchten Wänden.

Minuten wurden zu Stunden.

Das Schreien ließ nicht nach, bis irgendwann ein lauter, erschöpfter Schmerzensschrei erklang und dann vollkommene Stille herrschte. Diese hielt jedoch nicht lange an. Nur wenige Wimpernschläge später hörte man ein Wimmern, welches stetig wuchs. Bis man das Weinen eines Neugeborenen vernahm.

Die unbekannte Frau gebar das Baby unter schlimmen Schmerzen. Nur kurz konnte sie einen Blick auf den Säugling in ihren Armen werfen, bis die andere Person, ein Mann, ihr das Kleine entriss, es in eine Decke wickelte und auf den feuchten Boden legte. Er griff nach der Hand der Frau.

Ein kurzer Wortwechsel entstand, ehe er mit den Schultern zuckte. Die Frau hockte sich vor das Bündel und holte etwas aus der Tasche. Dies konnte er nicht sehen, da sie sich mit dem Rücken zu ihm hockte. Sie steckte irgendwas in das Laken des Neugeborenen. Kurz strich sie mit den Fingerspitzen über die blutverschmierte, rosige Wange des Babys und wurde dann auch schon von ihrem seltsamen Begleiter aus der Höhle in das nahegelegene Raumschiff gezogen.

Der Mann startete das Schiff und beide verließen Jirujan, ohne sich nochmal umzusehen, oder einen Blick für das Neugeborene übrig zu haben. Das Baby blieb, nur in eine Decke gewickelt, allein zurück. Es schrie fürchterlich, doch niemand war in der Nähe, um es zu hören. Schon bald plagte das kleine Geschöpf der Hunger. Es fror, aber niemand gab dem Baby etwas zu essen oder wärmte es.

Stundenlang lag es auf dem nassen Boden.

Die Feuchtigkeit fraß sich durch den Stoff. Es dauerte nicht lange und das Schreien wurde zu einem müden, erschöpften Wimmern. Bis das Kleine langsam in den Schlaf glitt.

*

Ein Ablauf, der sich die nächsten drei Tage wiederholte.Fast stündlich wurde das kleine Wesen wach. Schrie vor Hunger und Kälte. Bis es wieder erschöpft einschlief.

So auch heute.

Noch vor einer Stunde hatte das Baby geweint. Nur dass es mittlerweile schwächer klang als zu Beginn. Es bekam keine Nahrung und unterkühlte.

Die Energie in diesem kleinen Wesen war kaum mehr vorhanden. Aus diesem Grund spürten Redox und Selah es nicht direkt. Allen voran Raziel als Engel. Denn wenn das Baby bei voller Kraft gewesen wäre, hätten sie dies schon längst bemerkt. Der Hunger brachte es an seine Grenzen und der Schlaf des Neugeborenen glich schon fast einer Ohnmacht. In dem Moment, als Redox die Hand hob und seine Energie freiließ, um Jirujan zu zerstören. In der Sekunde, als die Kugel erschien, spürte das Baby diese freigesetzte Kraft. Es runzelte die Stirn und rieb mit den Händchen durch sein Gesicht.

Redox ließ die Kugel weiterwachsen, damit diese ihre volle Kraft entfaltete. Nachdem die Energie ein größeres Ausmaß als Jirujan selbst angenommen hatte, und er sie gerade abfeuern wollte, riss der Säugling die Augen auf.

Diese füllten sich mit Tränen und das Baby begann, zu schreien. Laut, sehr laut. Es setzte all seine erschöpfte Kraft in diesen vielleicht letzten Akt.

In der Sekunde, als das Baby schrie und weinte, ging eine Druckwelle aus purer Energie von dem Säugling aus. Kurz leuchtete die Höhle im hellen, weißen Licht. Eine kleine Lichtkugel schwebte über dem Baby. Die Energiewelle hingegen stob über den ganzen Planeten. Die Bäume und Pflanzen bogen sich, wie bei einem Orkan. Der aufgewirbelte Wind, die Energie, verließ Jirujan und kam bei den Dreien an. Ihre Haare wurden nach hinten geweht. Es kam so überraschend, dassSelah gar nicht damit rechnete. Sie kreuzte die Arme schützend vor ihrem Gesicht und bekam große Augen. Die Energie war so stark, dass sie einen Looping machte und einige Meter weggeweht wurde.

Raziel spürte die enorme Kraft. Er packte Redox’ Hand, wo sich dessen Energiekugel befand, und diese verpuffte ins Nichts. Selah flog zurück zu den beiden.Alle Drei starrten auf Jirujan hinab, hörten das Weinen, welches von den Bäumen hallte.

»Was zum–«, entkam es Redox, der seinen Ohren nicht traute.

»Ich dachte, der Planet wäre nicht bewohnt?«, wollte Selah wissen und sah den Zerstörer an. Ihr flammenrotes Haar stand wild in alle Richtungen ab.

»Ja, ist er auch nicht. Emyda hat ihn extra aufgeschrieben«, erklärte dieser sich und hielt ihr zum Beweis die Liste hin. Dort standen klar und deutlich der Name von Jirujan, sowie die Koordinaten des Planeten niedergeschrieben. Alles fein säuberlich in der Schrift Emydas.

Langsam glitt sein Blick zu Raziel.

Er war der Vertreter dieses Universums. Ohne sein Einverständnis wurden keine Planeten erschaffen oder zerstört. Also, warum erschien dort plötzlich Energie?

»Raziel?«, fragte er leise, denn der Engelmann starrte regungslos auf Jirujan. Dessen einzige Handlung war gewesen, Redox in seiner Zerstörung zu stoppen. Redox wartete auf eine Aussage oder einen Befehl seines Vorgesetzten. Gerade wollte er den Mund öffnen, um erneut etwas zu sagen, da flog Raziel langsam auf den Planeten zu. Der Zerstörer runzelte die Stirn. Er und Selah wechselten einen flüchtigen Blick, ehe sie Raziel folgten.

*

Die Drei landeten auf dem Boden, sahen sich um.

Es war mittlerweile wieder ruhig. So schnell, wie das Schreien und die Kraft aufgetaucht waren, so schnell verschwanden sie auch wieder.

»Wir müssen die Ursache für diese Energie finden«, sagte Raziel und stand dort mitten in der Wildnis. Spüren konnte er nichts mehr. Die anderen beiden nickten, dann teilte die kleine Gruppe sich auf. Jeder ging in eine andere Richtung.

Zum Glück war Jirujan nicht groß und sie würden ihn schnell abgesucht haben.

Redox kämpfte sich den Weg durch das Grüngrau des Planeten und sah sich gründlich dabei um. Er fragte sich, was das eben gewesen war.

»Mein Gott, auf diesem Planeten gibt es echt nichts, nur dieses nutzlose Grünzeug«, maulte er, als er einen Ast zur Seite schob, dieser aber zurückschnellte und ihm genau ins Gesicht klatschte. Ein roter Streifen bildete sich quer in seinem Gesicht.

»Passt optisch zu meiner Beule.« Genervt und erschöpft von einem harten Arbeitstag, rieb er über seine schmerzende Schnauze. Mit einer kleinen Energiekugel zerstörte er den Ast und ging weiter.

Stille herrschte auf Jirujan.

Es gab keine Tiere, die irgendwelche Laute machen konnten. Diese Geräuschlosigkeit drückte förmlich auf das Trommelfell. Zudem besaß der Planet keine eigenen Lichtquellen. Nur ein schwacher Schein drang von einer etwas weiter entfernten Sonne hier drauf. Somit war es sehr dämmrig.

Seltsame Schatten wurden von den Pflanzen hervorgerufen. Redox durchfuhr andauernd das Gefühl im Nacken, beobachtet zu werden. Die Umgebung wirkte unheimlich.

Der Zerstörer kämpfte sich weiter und zuckte einmal zusammen, da er auf einen Ast trat und sich selbst erschreckte. Leise schnaubte er. Das alles hier machte ihn sehr nervös, was gar nicht zu seiner lockeren Art passte. Gerade schob er sich durch einen meterhohen Farn, da bemerkte er am Rande einer kleinen Lichtung eine Höhle.

»Nanu …?«, kam es von Redox und er legte den Kopf schief. Langsam, mit vorsichtigen Schritten, ging er auf die Höhle zu. Jede Faser in seinem Körper angespannt. Die Kraft, die er vorhin gespürt hatte, war enorm gewesen. Somit machte er sich bereit, notfalls gegen jemanden kämpfen zu müssen.Man wusste ja nicht, wer sich hier versteckte.

Ob gut oder böse.

Redox ging mit großer Vorsicht auf die Höhle zu.

Bei der kleinen Lichtung blickte er nach links und rechts, rief dann in den Eingang.

»Hallo? Ist da wer? Komm heraus und zeig dich!«

Er wartete ab, aber nichts geschah. Außer, dass seine Stimme mehrfach von den Wänden hallte. Gut, er rechnete jetzt auch nicht damit, falls es ein Feind war, dass dieser sich freiwillig zeigen würde. Der Blick des Zerstörers war auf die Dunkelheit gerichtet. Weit konnte er nicht hineinsehen.

Redox seufzte leise.

»Das alles hier hat doch keinen Sinn. Ich möchte nachhause und schlafen«, murmelte er. Gerade drehte er sich um, wollte weitersuchen, da hörte er es.

Ein leises Wimmern erklang plötzlich, nur ganz minimal. Die Augen des Zerstörers weiteten sich bei dem Geräusch. Sofort wirbelte er herum.

»Hallo? Wer ist denn da? Brauchst du Hilfe?«, rief er dort hinein. Die Antwort war ein erneutes, leises Wimmern. Unsicher stand der Zerstörer vor der Höhle. Er wusste nicht, was er tun sollte.

Seine Hand zuckte schon an sein Armband am Handgelenk. Vielleicht wäre es besser, Raziel zu kontaktieren, ging der Gedanke gerade durch seinen Kopf, ehe sich etwas tat. Eine helle Lichtkugel erschien von irgendwo in der Dunkelheit. Sie schwebte kurz vor ihm und flog dann wieder in die Höhle rein. Redox riss die Augen auf.

Was bedeutete das?

Eventuell braucht jemand seine Hilfe?

Erneut erklang ein leises Wimmern. Redox schluckte und fasste all seinen Mut zusammen.

»Ich ... ich komme jetzt rein«, sagte er und setzte zögerlich einen Fuß in die Dunkelheit. Erneut ließ Redox auf seiner Handfläche eine kleine Kugel erscheinen. Diese war hell genug, um ihn in der Dunkelheit wenigstens etwas erkennen zu lassen. Die andere Lichtquelle war schon zu weit weg, als dass sie ihm hätte Sicht schenken können.

*

Schritt für Schritt tastete sich der Gott durch die Finsternis. Immer wieder musste er aufpassen, nicht über hervorstehende Felsen zu stolpern, oder sich den Kopf an der recht tiefen Decke anzustoßen. Trotz aller Vorsicht holte Redox sich zu seiner ersten Beule eine zweite. Er sah einen herabstehenden Felsen an der Decke nicht rechtzeitig.

Mit dem Gefühl, er wäre nun ein Triceratops mit seinen zwei Hörnern an der Stirn, drang Redox weiter in die Dunkelheit. Er folgte der weit entfernten Lichtkugel, bis er um eine kleine Ecke bog. Die Kugel schwebte Richtung Boden und verschwand urplötzlich.

Das Erste, was Redox vernahm, war ein bestialischer Gestank. Er schlug sich die freie Hand an Mund und Nase. Das Licht seiner Energie erfüllte den Tunnel. Gründlich untersuchte der Gott den Gang. Etwas raschelte leise. Seine affenartigen Ohren zuckten und er wandte sich um. Seine grünen Augen bemerkten etwas am Boden. Vorsichtig trat er näher. Der Schein der Kugel erfasste etwas am Boden. Als Redox erkannte, was es war, blieb ihm fast sein Zerstörerherz stehen.Da lag doch tatsächlich ein Baby.

Ein echtes Baby, mitten in einer Höhle.

Das Neugeborene, selbst überrascht, dass da plötzlich wer erschien, hörte instinktiv auf, zu wimmern und sah mit runden Augen zu dem Fremden hoch. Regungslos lag es da.

Die Decke, in die es gewickelt war, längst von sich gestrampelt.

Dadurch erkannte Redox, was hier so fürchterlich stank. Das Kleine hatte in den Tagen schon mehrere Male unter sich gemacht. Zudem lag etwas Großes, Vertrocknetes neben dem Baby. Nach einem genauen Blick des Zerstörers wurde ihm klar, dass es wohl die Nachgeburt zu sein schien.

Redox unterdrückte ein Würgen und wandte sich wieder dem Säugling zu und hockte sich davor. Vorsichtig strich er dem Kleinen das am Kopf vertrocknete, schwarze Haar etwas aus der Stirn.

Kaum berührte er das Baby, verlor dieses seine Starre. Es quiekte begeistert auf und griff nach der Hand. Noch ehe sich der Zerstörer versah, verschwand sein Finger im Mund des Säuglings. Er schmunzelte und spürte das eifrige Saugen am Finger.

»Du hast Hunger, was? Ich habe leider nichts, was für dich gut wäre. Doch ich wette, Raziel kann dir etwas beschaffen«, erklärte er, auch wenn er sich sicher war, dass das Kleine kein Wort verstand. Redox stand auf, hob die rechte Hand und drückte auf einen kleinen Knopf am Handgelenk.

Es erschienen zwei kleine Hologramme von Raziel und Selah über dem seltsamen Armband, damit Redox ohne Probleme mit ihnen sprechen konnte.

»Was gibt es? Hast du etwas gefunden?«, wollte Raziel ohne Umschweife wissen. Die Stimme des Engelmannes klang nervös und das war er auch.

Schließlich bereitete schon seit Tagen ein seltsames Kribbeln dieses unbekannte Gefühl in ihm.

Ein Gefühl, als wenn irgendwas passieren würde, er irgendetwas machen oder finden müsse. Er fragte sich die ganze Zeit, warum er heute Redox und Selah bei ihrer Arbeit begleitete. Nun, wo sie diese seltsame Energie gespürt hatten, überlegte er fieberhaft, ob dies der Grund für seinen inneren Aufruhr gewesen sein könnte?

Redox nickte auf die Frage von Raziel.

»Oh ja, und wie ich das habe«, antwortete er.

»Das werdet ihr mir niemals glauben. Ich bin hier in einer Höhle und hier liegt ein kleines Baby«, erklärte er. Raziel und Selah starrten den Zerstörer an.

»Ein Baby?«, kam es von der Seelensammlerin. Man hörte, dass sie dachte, Redox würde scherzen.

Er nickte.

»Ich sagte ja, ihr werdet mir nicht glauben, aber, hier ist wirklich ein Baby. Seht es euch am besten selbst an«, sagte er. Raziels Blick wurde skeptisch.

»Wir sind sofort da«, kam es von ihm und damit unterbrach er die Verbindung. Redox schaute runter zu dem Neugeborenen, welches neugierig die Hologramme beobachtet hatte. Jetzt, da diese verschwunden waren, glitt der Blick des Kleinen sofort wieder zu ihm. Mit einem Lächeln hockte Redox sich wieder runter.

»Gleich sind sie da, du wirst sehen«, versprach er und musterte das Baby. Dadurch, dass es die Decke von sich gestrampelt hatte, konnte er den Körper des Säuglings gut erkennen. Die Haut war durch die Kälte blau angelaufen. Der Bauch dick und geschwollen. Der Nabel war nicht richtig abgebunden worden und hatte sich entzündet.

*

Kaum, dass Raziel die Nachricht von Redox bekommen hatte, wuchs ein seltsames Gefühl in seiner Magengegend.

Da war ein Baby?

Ausgesetzt?

In all den Milliarden Jahren, seit sein Universum bestand, war ihm so etwas noch nie unter die Augen gekommen. Raziel war sich sicher: Aussetzen, Kinder weggeben oder andere Grausamkeiten, das gab es zur Genüge dort draußen auf den unzähligen Planeten. Dass jedoch ein Baby auf einem verlassenen Planeten zurückgelassen und dann noch vom Zerstörer gefunden wurde, das hatte es noch nie gegeben.

Raziel flog so schnell er konnte über Jirujan. Zum Glück war der Planet nicht groß. Schnell erreichte er den Eingang der Höhle und folgte der Energie von Redox. Ohne zu zögern, oder gar auf Selah zu warten, ging er hinein.

Er machte seinen Weg durch die dunklen Gänge.

Die ganze Zeit kreisten seine Gedanken um den Fund. Gut, dass Raziel seinem Gefühl, die beiden Götter heute zu begleiten, nachgegangen war. Es schien, als hätte das Schicksal es so gewollt.

Oder bildete er sich das schon ein?

Mit solchen Gedanken ging Raziel durch die Dunkelheit. Bis er ein schwaches Licht erkannte. Direkt wurden seine Schritte schneller und er trat um die Ecke. Dort hockte der Zerstörer. Noch konnte der Engelmann nichts sehen, da Redox die Sicht versperrte. Aber nun, wenn Raziel ehrlich war, bemerkte er etwas. Dieses Kribbeln, welches er seit Tagen gespürt hatte, wurde plötzlich mehr.

Es schien intensiver!

Mit wild klopfendem Herzen trat Raziel näher.

Bei Redox angekommen konnte er an diesem vorbeisehen. Wie beim Zerstörer zuvor blieb ihm beim Anblick dessen, was da am Boden lag, kurz sein Herz stehen. Raziels blaue Augen fanden das Bündel am Boden. Er konnte es nicht fassen.

»Bei Omni«, murmelte er und hockte sich hin.

Redox machte ihm Platz.

»Das dachte ich mir auch«, sagte der Zerstörer und musterte das Baby ernst. Das Kleine hingegen wurde nun von der neuen, fremden Person abgelenkt, welche plötzlich erschienen war. Mit großen, runden Augen sah es Raziel an. Dieser bemerkte sofort, dass das Baby anders war als andere.

Es besaß braune Augen.

Diese waren so dunkel, dass es schon fast als schwarz gelten konnte. Die meisten Neugeborenen hatten bekanntlich blaue Augen. Zudem …

»Diese Energie, spürst du das?«, fragte er Redox, als würde er seinem eigenen Gespür nicht glauben können. Der Zerstörer nickte.

»Ja, ich spüre es auch. Die Energie ist enorm! Das Kleine hier ist definitiv die Person, die eben diese Druckwelle erzeugt hat. Ich spüre aber auch, dass es gerade sehr geschwächt ist. Wer weiß, wie lange es hier liegt«, gab Redox seine Vermutung kund.

Von Raziel kam ein bejahendes Geräusch.

Nicht einmal konnte er den Blick von dem kleinen Wesen lassen. Es durchzog ihn das große Verlangen, es zu berühren. Somit streckte er die Hände aus, fasste unter die Ärmchen des Babys und hob es hoch. Kaum berührte seine Haut die des Säuglings, zuckte Raziel zusammen. Vor Schreck ließ er das Kleine fast fallen.Raziel konnte nicht anders, als das Baby anzustarren. Dieses, ungewöhnlich für Neugeborene, erwiderte den Blick ebenso ernst. Redox runzelte die Stirn.

»Was ist los? Ist alles okay?«, wollte er von seinem Vorgesetzten wissen. Man hörte das Unbehagen in seiner Stimme. Raziel brauchte mehrere Anläufe, bis er seine Stimme wiederfand. Er schluckte, da sein Mund ungewöhnlich trocken wurde.

»Ich ... ich ... das Baby …«, stammelte er.

Ihm fehlten die Worte.

So was war Raziel noch nie passiert.

»Ich … wir müssen zu meinem Vater«, kam es leise von dem Engel. In dem Moment, als Raziel das Baby hochgehoben hatte, entfachte in seinem Körper ein Feuerwerk der Gefühle. Seine Hände, die das Neugeborene hielten, standen plötzlich komplett unter Strom. Wie kleine, aber sanfte Elektroschocks zuckte dieses Gefühl durch seinen Körper und diese Impulse veränderten seinen Herzschlag, nämlich passend auf den des Babys.

Konnte dies sein?

War dieses kleine Ding …?

Nein, nein unmöglich, tadelte Raziel sich selbst.

Wie könnte so ein kleines Ding auch seine ... Nein, nein das war absoluter Blödsinn! Doch nun, wo er den Säugling hielt, dieser ihn ansah, erfüllte eine nie gefühlte Wärme sein Herz.Raziel schluckte. Er musste definitiv mit ihm zu seinem Vater. Dieser hatte sicher Rat.

*

Als Raziel das Baby hochhob, fiel die dreckige Decke zu Boden. Man erkannte nun sehr gut den schlimmen Zustand des Neugeborenen. Die blaue, unterkühlte Haut. Der geschwollene, entzündete Bauch und, dass es abgemagert war.

Das Baby muss seit Tagen nichts zu essen bekommen haben, stellte Raziel fest. Zudem erkannte er, dass dieses kleine Wesen ein Mädchen war.

Die Kleine sah ihn mit ihren schwarzen Augen an, ehe sie lächelte und bei diesem Lächeln ging Raziel das Herz auf. Er konnte nicht anders, als es zu erwidern. Geschickt nahm er die Kleine auf einen Arm und ließ in der anderen Hand seinen Stab erscheinen.

»Wollen wir dich erstmal füttern und dir etwas Warmes anziehen, was?«, kam es ungewohnt sanft von ihm. Redox hob erstaunt beide Augenbrauen.

So … liebevoll … kannte er seinen Meister nicht.

Raziel bewegte den Stab, die Kugel daran, über den Säugling. Eine warme, rosa Decke wickelte sich um den Körper des Babys. Kleine, glitzernde Einhörner zeigten sich auf dem Stoff. Ebenso verschwand der Schmutz vom winzigen Körper der Kleinen.

»Die Entzündungen würde ich lieber gerne von Vater untersuchen lassen«, erklärte er ihr, als würde sie definitiv jedes Wort verstehen. Danach ließ er ein Fläschchen in der Hand erscheinen. Diese füllte sich mit Milch, mit der perfekten Temperatur, damit sie es sofort trinken konnte.

Raziel hielt dem Säugling den Sauger hin. Kaum bekam das Kleine diesen in den Mund und spürte die warme, leckere Flüssigkeit, begann es, eifrig daran zu saugen und trank in großen Zügen.

Der Engelmann schmunzelte.

»Nicht zu hastig, sonst bekommst du Bauchweh, Kleines«, flüsterte er und hielt das Fläschchen, damit sie trinken konnte.

»Komm, Redox. Lass uns zu meinem Vater gehen«, sagte Raziel und wandte sich um. Dieser wollte seinem Vorgesetzten folgen. Er ließ die Energiekugel zu sich schweben, da stach ihm etwas ins Auge.

»Nanu?«, sagte er.

Raziel blickte über die Schulter zum Zerstörer.

»Was ist los?«, fragte er, denn Redox beugte sich zu etwas am Boden und griff danach.

»Hier liegt ein Zettel«, antwortete Redox und hob das Stück Papier auf.

»Es muss aus dem Laken gefallen sein, nachdem du das Baby hochgehoben hast.« Er drehte den Zettel um, da die obere Seite leer war. Die andere Seite jedoch nicht. Sie war beschriftet und Redox las, was dort stand. Seine grünen Augen wurden groß.

»Was steht da?«, kam es neugierig von Raziel. Er trat näher, weil Redox den Zettel nur anstarrte. Er schaute über dessen Schulter hinweg und las ebenso die Wörter und Zahlen auf dem kleinen Stück Papier:

Sukiyo Sumi

stand da in krakeliger Schrift geschrieben, ebenso wie ein Datum.

»Das war vor drei Tagen«, sagte Raziel überrascht.

»Sie liegt seit drei Tagen hier …«

Auf die Worte drehte sich Redox zu diesem.

Die Kleine, mittlerweile fertig mit trinken, quiekte munter in den Armen des Engels.

Raziels Blick glitt zum Baby.

»Sukiyo«, wiederholte er leise, und, warum auch immer, musste er lächeln.

»Das ist ein sehr schöner Name«, stellte er fest.

Er öffnete gerade den Mund und wollte noch mehr sagen, da krachte und polterte es in den Gängen. Raziel und Redox wechselten misstrauische Blicke. Der Zerstörer ging in Kampfhaltung, denn der Krach wurde immer lauter und bewegte sich in ihre Richtung. Sukiyo drückte sich enger an Raziels Brust. Auch ihr Blick lag ängstlich auf den Gang gerichtet, wo der Krach herkam. Es dauerte nur wenige Sekunden, da wurde klar, wer diesen Lärm veranstaltete.

*

Unter Stöhnen und Keuchen erschien Selah vor ihnen.

»Ach ja, sie ist ja auch noch hier«, sagte Redox und musterte seine Partnerin. Für einen Augenblick hatte er Selah ganz vergessen. Er lockerte seine Haltung und verschränkte die Arme vor der behaarten Brust.

»Wo hast du so lange gesteckt?«, fragte er und die Wangen der Seelensammlerin färbten sich rosa, was man nur allzu gut auf ihrer blauen Haut erkannte.

»Da war eine riesige Pflanze, mit langen, sich bewegenden Tentakeln«, nuschelte sie verlegen.Im schwachen Schein der Energiekugel erkannte Redox, wie mitgenommen Selahs Kleidung aussah.

Er begann, zu grinsen.

»Du bist unmöglich. Als wenn du es nicht mit deiner Energie hättest lösen können«, sagte er amüsiert. Jedoch wussten sie alle: Selah war zu friedlich, als dass sie ein Problem sofort mit Gewalt lösen würde. Die Seelensammlerin selbst lief noch roter an und grummelte leise, was Redox lachen ließ. Seine Stimme hallte von den Wänden, wodurch es noch lauter klang. Kaum tat er dies, hörte man ein verängstigtes Wimmern. Sofort verstummte Redox. Das Trio sah auf den Ursprung des Geräusches.

Sukiyo hatte sich bei dem lauten Echo erschrocken und ängstlich an Raziel gepresst. Dieser drückte sie sanft an sich.

»Schh, schh, alles gut. Der olle Affe wollte dir keine Angst machen«, versuchte er, das Baby zu beruhigen. Selah schaute auf das Bündel in Raziels Armen. Sie war überrascht, wie die anderen beiden vorher auch.

»Hier lag also echt ein Baby?«, kam es von ihr und sie trat näher, damit sie das Kleine besser sehen konnte.

»Wer macht nur so was Schreckliches? Ein kleines Kind auf solch einen Planeten aussetzen?«, wollte sie wissen. Direkt tat die Kleine der Seelensammlerin leid.

Selah besaß eben ein viel zu großes Herz und solche Taten würde sie niemals verstehen. Für sie war jedes Leben etwas Besonderes. Egal von welcher Art, oder von welchem Planeten.

Sie blickte fragend von Raziel zu Redox.

*

Natürlich wussten die beiden selbst keine Antwort darauf. Raziel wiegte Sukiyo in den Armen und zuckte mit den Schultern.

»Das ist jetzt erst einmal nicht wichtig. Wir sollten zu meinem Vater. Vielleicht kann er oder die vier stellvertretenden Königinnen weiterhelfen«, sagte er nachdenklich und zusammen mit dem Kind verließen sie die Höhle.

Draußen angekommen blickte Selah hoch in den Himmel, wo sich die Weite des Universums vor ihnen erstreckte.

»So etwas erlebt man nicht alle Tage, was? Nun gut, dann wollen wir mal zum Allvater«, sagte sie munter, drückte sich vom Boden ab und flog Richtung Universum in die Lüfte. Redox folgte ihr.

Auch Raziel drückte sich vom Boden ab und flog den beiden Göttern hinterher.

Der Engel drückte das Baby eng an sich und spürte das seltsame Kribbeln zwischen dem Säugling und sich. Ohne zu zögern, beschleunigte er sein Tempo.

Er brauchte Antworten auf all die Fragen, die nun in seinem Kopf herrschten.

Fragen, welche zusammen mit dem Baby in sein Leben getreten waren.

Planet Throne

Zusammen machten sich die drei mit ihrem Fund auf den Weg zum Planeten, wo die derzeitigen vier Königinnen lebten. Eigentlich hätte Raziel mit seinen Kräften die Gruppe sofort dorthin schicken können. Aber da er erst zu Emyda wollte, flogen sie kurz zu diesem. Dieser befand sich gerade auf einem Planeten, um dessen Entwicklungsstand der Sterblichen zu dokumentieren. Von dort aus teleportierte Raziel dann sich mit Redox, Selah und dem Baby zum Planeten Throne.

Auf Throne selbst gab es nicht viel zu sehen.

Der Planet bestand aus einer einzigen großen Scheibe. Sie besaß eine ovale Form und auf dieser ragte ein dunkler, schwarzer Felsen empor. Wenn man dort hinaufblickte, sah man, dass der Felsen ein großes, schwarzes Schloss trug. Es wirkte unheimlich und man verspürte nicht wirklich den Drang, dieses Gebäude zu betreten.

In dem Moment, als Raziel mit seinen Begleitern auf dem Felsen ankam, öffnete sich das Tor.

Dieses zog sich langsam nach oben, in die dunklen Mauern des Schlosses, und vor ihnen stand eine kleine, seltsame Person. Raziel lächelte.

»Seid gegrüßt, Creiddylad«, begrüßte er die junge Frau.

»Wenn ich mich richtig entsinne, wollte mein Vater heute zu den vier Oberen. Ich möchte ihn und eventuell Alaria sprechen, wenn es geht«, erklärte der Engelmann. Er verbeugte sich, so gut es mit einem Baby auf dem Arm ging. Selah und Redox folgten Raziels Beispiel. Keiner der beiden sagte ein Wort, überließen Raziel erst einmal das Sprechen.

Creiddylads Blick glitt mit emotionslosem Ausdruck über die Anwesenden. Die angesprochene Person hatte eine fahle, gräuliche Haut. Sie trug nur einen dunklen Umhang, welcher aus einem schwarzen Schatten bestand. Ihr kurzes, hellgraues Haar wurde von einer Kapuze leicht bedeckt. Wie Raziel trug auch Creiddylad einen Ring am Hinterkopf. Nur war ihrer viel größer und an allen vier gegenüberliegenden Seiten befanden sich große Kreuze. Dieser schien so enorm, dass er sogar teilweise über ihre kleinen Schultern und ein wenig über den Rücken hinausragte. Der Ring bestand aus massivem Material, wie bei einem Grabstein.

Der Schmuck von Creiddylad stellte lauter Knochen und Totenköpfe dar. Egal ob es die Armreifen an ihren zierlichen Handgelenken oder an den Füßen waren, an denen sie keine Schuhe trug.

Selbst die vielschichtige Kette um den Hals bestand aus Knochen und winzigen Schädeln. Ebenso die langen Ohrringe an ihren Ohren.

Vor Creiddylad schwebte ein Buch, welches die Farbe ihrer Haut übernommen hatte.

Statt eines Titels prangte dort der vordere Teil eines knochigen Schädels, in dessen leeren Augenhöhlen schwarze Diamanten steckten. Selbst als Raziel lächelte, blieben die silbernen Augen der jungen Frau ohne Ausdruck.

»Lady Alaria hat bereits verkündet, dass sie erscheinen werden und wie es scheint, haben sie tatsächlich den Säugling dabei, von der sie mir erzählte.« Die Stimme Creiddylads war monoton und träge. Klang befremdlich und jagte einem einen Schauer über den Rücken.

Raziel jedoch verließ sein Lächeln nicht.

»Ich habe mir schon gedacht, dass Alaria eine Vorahnung gehabt haben muss. Wenn nicht sie, wer dann? Dürfen wir dann zu ihnen? Ist mein Vater hier?«, fragte er und wiegte die mittlerweile schlafende Sukiyo in seinen Armen.

Creiddylad nickte.

»Folgt mir, Allvater Esrael ist gerade bei ihnen«, sprach sie und ging voran. Ohne zu zögern, folgten ihr Raziel und Co. in das Schloss von Throne.

Drinnen war es genauso düster wie vor dem Gebäude. Nur hier und da erleuchtete ab und an mal eine Fackel den Gang. Dies machte der kleinen Gruppe jedoch nichts aus.

Die vier bewegten sich fort, als wäre es dort drinnen nicht wie in finsterer Nacht. Die Diamanten in dem Totenkopf des Buches leuchteten ihnen den Weg. Ganz ohne Licht zu erzeugen. Trotz alledem schenkten sie ihnen Sicht in der Dunkelheit.

*

Einige Flure ging diese seltsam zusammengewürfelte Truppe schweigsam daher. Bis sie bei einer großen, doppelten Flügeltür ankamen. Creiddylad wandte sich den Besuchern zu.

»Der Allvater so wie seine Gattin sind gerade in einem Gespräch mit den vier Königinnen. Dennoch werdet ihr erwartet und könnt getrost eintreten«, erklärte sie. Creiddylad legte ihre Hände an die Türen und drückte sie auf. Elegant schwangen die beiden schwer aussehenden, schwarzen Pforten nach innen, damit Raziel und seine Begleiter eintreten konnten.

Der Raum drinnen war groß. Alles glich einer felsigen Höhle. Kahl, kühl und dunkel. An den Wänden hingen vereinzelt Fackeln, deren Halterungen aus seltsam geformten Knochen bestanden. Links und rechts an den Wänden standen vermummte Gestalten. Dies waren Elben, die den Engeln treue Gefolgschaft versprochen hatten. Von irgendwo erklangen leise Schreie von Tieren.

Wenn man genau hinsah, konnte man mal hier, mal dort Augenpaare aufleuchten sehen. An der Decke, an den Wänden. Überall in den Schatten dieses Raumes. Kreaturen krabbelten dort entlang.

Groß und riesig. Sie besaßen schuppige Körper, lange Schnauzen und ebenso lange, spitze Schweife. Die ledrigen Flügel eng an ihre Rücken gepresst.

Die Drachen beobachteten die Ankömmlinge kritisch, schienen jedoch nicht sonderlich überrascht, dass jemand dort reinkam. Womöglich waren sie Besucher gewohnt.

Mit langen Schritten, sodass Redox und Selah Probleme hatten zu folgen, ging Raziel durch den Saal und blieb vor einer steinigen Erhebung stehen. Dort standen vier knöchrige Throne, auf denen Personen saßen, die unterschiedlicher hätten nicht sein können. Neben dem Podest lag etwas Riesiges. Durch die Schatten erkannte man es im ersten Moment nicht. Kaum ging die Tür auf, bewegte sich dieser unscheinbare Berg und trat hervor. Im Schein der Fackeln konnte man das Ungetüm nun mehr als gut erkennen. Das Tier, welches bis eben noch dort gelegen war und geschlafen hatte, sah aus, als wenn es der Hölle persönlich entsprungen wäre. Der Körper und Kopf glichen dem eines Hundes. Nur, dass er riesig war.

Wenn er sich auf zwei Pfoten stellen würde, erreichte er sicher mit Leichtigkeit die Decke der Höhle, in der sich die Besucher gerade befanden.

Die Schnauze dieses Wesens war lang und mit ebenso langen Reißzähnen versehen. An ihnen tropfte eine rötliche Substanz herunter.

Redox bemerkte dies und schluckte ängstlich.

Was immer das Tier zuvor gefressen hatte, er wollte nicht als Nachtisch enden. Er hielt sich somit eng neben der viel kleineren Selah.

Die roten Augen des Monstrums, wovon es insgesamt drei Paare untereinander besaß, blickten grimmig auf die Ankömmlinge nieder. Es rührte sich kein Stückchen, nur die Augen bewegten sich. Weshalb es aussah, als sei es eine Statue.

Das schwarze Fell unterschied sich kaum von der Finsternis. An manchen Stellen sah man fleischige, rot-braune Stellen ohne Haar. Ein langer Schwanz mit dem Aussehen eines Schlangenkörpers peitschte nervös über den steinigen Boden.

Raziel ließ sich von dem Höllenhund mit dem Namen Zerberus, nicht aus der Ruhe bringen. Er war sich dessen bewusst, dass dieses Tier gefährlich sein konnte. Egal, ob sein tödlicher Atem oder der hochgiftige Speichel. Der Engel wusste aber auch ohne einen klaren Befehl, würde dieses Monstrum keinem etwas antun und diente nur zur Abschreckung. Denn man musste zugeben, Zerberus, die Drachen, das alles verlieh diesem Ort ein gruseliges Flair. Am Ende jedoch war Zerberus nur ein Hündchen für ihn und mehr nicht.

*

Die Königinnen unterhielten sich gerade mit zwei anderen, als die Türen aufschwangen und sie sich den Ankommenden zuwandten. Die Frau von den beiden, groß, mit weißem, langem Haar wie Raziels, so wie denselben blauen Augen, begann, sanft zu lächeln, nachdem sie den Engel erkannt hatte.

An ihrem Hinterkopf schimmerte ein Heiligenschein und ihre Haut war hell und makellos, wie bei ihrem Sohn.

»Raziel«, kam es erfreut von ihr.

Geeta war die Mutter aller Engel und Lebenspartnerin von Esrael, dem Allvater. Wie Raziel und auch ihr Mann hielt Geeta in ihrer Hand einen langen Stab. Beide Stäbe sahen unterschiedlich aus, denn kein Engelsstab glich dem anderen.

»Mutter«, erwiderte Raziel, nachdem er angesprochen worden war. Er neigte sein Haupt.

Redox und Selah taten es ihm gleich.

»Ich habe nicht damit gerechnet, dich ebenso hier anzutreffen. Ich dachte, du wärst auf unserem Planeten«, sagte Raziel und ging einen Schritt nach vorne. Geeta schmunzelte.

»Dort war ich auch, aber dein Vater und ich hatten ein paar Sachen zu klären. Weshalb wir her–« Weiter kam die Mutter aller Engel nicht.

In dem Moment, als Raziel weiter in den Schein einiger Fackeln trat, erkannte sie, was ihr Sohn auf seinen Armen trug. Ihre Augen wurden groß.

»Raziel … was ... ist das etwa ein–« Man hörte sofort, dass sie genauso sprachlos war, wie er, Redox und Selah, nachdem sie Sukiyo gefunden hatten.

Von Raziel kam ein schwaches Nicken.

»Ja Mutter. Wegen ihr kamen wir her. Wir haben sie auf Jirujan gefunden. Ausgesetzt, unterkühlt und verwahrlost«, begann er, zu erklären und musste aufpassen, dass seine Stimme sich nicht überschlug.

Sobald er an das kleine Bündel in seinen Armen dachte, brach ein Chaos der Gefühle in ihm aus.

Geeta kam, gefolgt von ihrem Mann, die Steinstufen hinab auf Raziel zu. Die Engelsfrau musterte das kleine Wesen in den Armen ihres Sohnes. Sie strich das schwarze Haar aus der Stirn des Säuglings und Sukiyo regte sich. Müde rieb sie mit den Händchen ihre Augen und sah sich verschlafen um. Sie erkannte dann die ihr fremden Personen um sich herum und sofort füllten sich ihre dunklen Augen mit Tränen. Das Baby fing lauthals an, zu weinen, sodass es von den Wänden schallte. Redox hielt sich die empfindlichen Ohren zu. Raziel drückte den Säugling an sich und rieb beruhigend über den Rücken der Kleinen.

»Alles ist gut. Hey, dir wird nun geholfen. Ganz ruhig«, begann er, auf Sukiyo einzureden und wandte sich an seine Mutter.

»Sie ist sehr ängstlich, das haben wir auf Jirujan schon bemerkt. Kein Wunder, wenn man drei Tage allein dort in einer Höhle liegt«, sagte er und

Geeta runzelte die Stirn.

»Sie wurde ausgesetzt? Wer tut so etwas Schreckliches?«

Eine Frage, die das Trio sich natürlich auch schon gestellt hatte.

»Ich weiß es nicht. Deswegen kamen wir her. Ich habe gehofft, Vater kann uns weiterhelfen, oder eben Alaria«, sagte Raziel. Ehe er kurz und bündig erzählte, wie sie das Baby gefunden hatten.

Von Redox Zerstörungskugel, der plötzlichen Energie auf Jirujan, wie sie nach dem Ursprung suchten, bis hin zum Fund des Neugeborenen. Raziel hielt den Zettel hin, auf dem der Name und das Datum von Sukiyos Geburt stand.

Esrael, Raziels Vater, nahm diesen entgegen.

Er las, was dort stand und dachte nach.

»Ich kann mir auch keinen Reim darauf machen, doch ich denke, Alaria kann uns da wirklich mehr sagen«, meldete sich der Allvater nachdenklich zu Wort. Esrael war der Vater aller Engel.

Ein groß gewachsener Mann, der, obwohl er schon mehrere Milliarden Jahre lebte, immer noch wie ein junger Mann in den Zwanzigern aussah. Er trug einen Heiligenschein an seinem Hinterkopf sowie dieselbe Kleidung der Engel. Die Farben bestanden aus einem feinen, edlen Silber. Es gab jedoch etwas, was Esrael von seinem Sohn und seiner Frau unterschied.

Sein Haar war schwarz wie die Nacht und seine Augen von einem leuchtenden, dunklen Rot.

Von Esrael ging eine enorme Energie aus.

Jeder, der ihm begegnete, spürte ein gewisses Kribbeln in sich. Er schien machtvoll und ehrfürchtig. Allwissend und respekteinflößend, dass niemand ihm wohl freiwillig die Stirn bieten würde, wenn er bei klarem Verstand wäre.

Der Allvater nahm das Baby vorsichtig auf den Arm und musterte dieses. Sukiyo selbst blickte mit diesen dunklen Augen zu Esrael auf.

Als sie bemerkte, dass nichts Schlimmes passierte, ließ sie ein freudiges Quietschen ertönen. Wild strampelte sie begeistert mit den Beinchen im Laken.

Esrael schmunzelte.

»Soweit scheint es ihr gut zu gehen. Die Kleine ist hart im Nehmen. Sonst würde sie nach drei Tagen dort draußen, nicht so munter sein und wäre wahrscheinlich schon längst nicht mehr am Leben«, meinte er und wandte sich dann um zu der Felserhebung. Auch die anderen blickten nun dort hinauf zu den vier Personen.

*

Alaria, Andaria, Aeltra und Aeldra waren zu dieser Zeit die stellvertretenden Königinnen aller Universen. Esrael hatte sie diesen Ämtern zugewiesen, bis eines Tages das Licht der Hoffnung erscheinen und sich dem Platz als würdig erweisen würde. Sein Blick glitt über die vier Schwestern und blieb beim Wesen ganz links hängen.

Diese sah wahrlich mehr als mysteriös aus.

»Alaria, denkst du, du kannst uns mehr zu diesem Baby sagen, welches mein Sohn und seine beiden Götter heute gefunden haben?«, wollte er von ihr wissen. Die Angesprochene richtete sich auf.

Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Wenn all dieses nicht schon unheimlich zu sein schienen, so war das wirklich Seltsame an ihr, dass Alaria drei Köpfe besaß.

Der eine schaute unverwandt auf die Ankömmlinge, bis Esrael sie ansprach. Die anderen zwei befanden sich links und rechts daneben. Etwas hinter dem vorderen Kopf „versteckt“ schauten sie halb an diesem vorbei.

Alaria war das Orakel der vier Königinnen, denn sie wusste fast alles. Der Grund für dieses Wissen bestand darin, dass ihre drei Köpfe in unterschiedliche Zeiten schauen konnten. Der Linke konnte die Vergangenheit sehen. Der Mittlere die Gegenwart, indem er die Gedanken einer Person vor ihr las. Und der Rechte?

Er vernahm die Zukunft. Doch diese Visionen waren nie einhundert Prozent genau. Sobald eine Person sich anders entschied, änderte sich auch die Zukunft.

Aus dem Grund waren die Zukünfte, welche Alaria sehen konnte, nie sicher. Es gab immer verschiedene Möglichkeiten, was kommen konnte.

Die junge Frau schloss kurz ihre roten Augen, bis sie zu sprechen begann.

»Ich habe gesehen, dass Engel Raziel heute mit seinem Fund hierherkommen und dies fragen würde«, sagte sie. Die Stimme Alarias klang furchteinflößend. Ihre Stimme hallte seltsam nach. Alle drei Köpfe sprachen gleichzeitig, wenn sie redete, weshalb es sich wie ein unheimliches Echo anhörte. Nahe und doch so fern.

»Und natürlich können wir seine Fragen beantworten«, fügte sie hinzu und öffnete langsam wieder ihre Augenlider. Alle sechs Augen Alarias richteten sich auf Raziel.

»Das Baby wurde vor drei Tagen auf dem Planeten Jirujan geboren. Ihre Mutter bekam das Kind dort, weil die Wehen früher als geplant einsetzten. Die Mutter Sumi, ebenso der Vater Vasco, stammen von dem Planeten Artras und–«

»Artras?«, mischte sich jemand ein und unterbrach das Orakel. Alarias Köpfe wandten sich der Stimme zu. Diejenige, die sprach, war Aeltra.

Sie beugte sich nach vorne und sah an den beiden mittleren Wesen vorbei zu Alaria, da sie ganz rechts von den vier Königinnen saß. Aeltra war vom Aussehen her eine Person, der man so auf der Erde niemals begegnen würde.

»Ist das nicht dieser Planet mit diesen kampfwütigen Bewohnern?«, wollte sie wissen. Ihre Stimme klang aufgebracht.

»Wir haben doch schon viel von denen gehört. Die machen andauernd nur Ärger«, regte sie sich auf und schlug mit der Hand auf die Armlehne ihres Stuhles. Alaria blickte ausdruckslos drein. Nur leicht deuteten ihre drei Köpfe ein Nicken an.

»Genau, die Eltern des Säuglings stammen von diesem Planeten namens Artras. Die Mutter, Sumi, ist die angehende Königin dort und eigentlich mit dem Elitekrieger Racoon verlobt. Sie begann eine Affäre mit dem Unterklassekrieger Vasco. Aus dieser ging das Baby hervor«, erzählte sie allen Anwesenden.

»Keiner durfte von der Affäre wissen. Nachdem Sumi erfahren hatte, dass sie schwanger von Vasco wurde, entschieden die beiden sich, das Baby auszusetzen, da eine Abtreibung für sie nicht in Frage kam. Beide machten sich mit einem Raumschiff auf den Weg und taten es bei Sumis Vater, dem König, als einen Auftrag weiter weg ab. Die beiden waren seither im All unterwegs. Sie wollten das Kleine eigentlich auf Rodgar aussetzen. Von dem sie wussten, die Bewohner dort seien weit entwickelt und würden das Kind sicher aufnehmen. Doch die Geburt des Babys machte einen Strich durch ihren Plan. Sie mussten auf Jirujan notlanden«, schloss Alaria die Erzählung ab, ihre Köpfe wandten sich dem kleinen Wesen in Esraels Armen zu.

Einen kurzen Augenblick herrschte Schweigen im Saal. Niemand sagte ein Wort. Ein jeder schien geschockt, dass es dort draußen anscheinend Lebewesen gab, die in der Lage waren, ihr eigen Fleisch und Blut dem Tode auszusetzen.

»Warum haben sie den Säugling nicht mitgenommen und dort einfach liegen gelassen?«, fragte nun Andaria. Das Wesen, das direkt neben Alaria saß. Die zweite Person von links.

Andaria sah aus wie eine Fledermaus, nur dass ihr Körperbau der einer Frau ähnelte. Gelbe Augen funkelten Alaria missbilligend an. Wenn Andaria sprach, erkannte man ihre spitzen Eckzähne.

Genervt über die schier unendlich dummen Taten der Sterblichen, ließ sie in ihrer Hand eine Flamme entstehen. Diese nahm die Form einer kleinen Kugel an und flog mit feurigen Fledermausflügeln um sie herum. Ehrfurcht erhaschend verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. Andaria war in der Lage, Lüge und Wahrheit zu erkennen, ohne die Gedanken von jemanden kennen zu müssen. Sie spürte, wenn jemand log und war somit bei Audienzen sehr wichtig.

*

»Das Baby war ihnen weitestgehend egal«, antwortete Alaria ruhig und ohne Emotionen.

»Es war ihnen nicht wichtig, ob das Baby überleben würde oder nicht. Zumindest dem Kindsvater. Die Mutter war etwas, wenn auch nur gering, humaner. Sie wollte das Kleine schließlich auch nicht abtreiben und hatte die Idee, es nach Rodgar zu bringen. Doch als das Neugeborene auf die Welt kam, redete Vasco auf Sumi ein, bis sie klein beigab und sie verließen das Baby.« Alaria beendete ihren Monolog und lehnte sich wieder in ihrem Thron zurück. Raziel sowie alle anderen Anwesenden standen wie vom Donner gerührt da.

Er konnte nicht fassen, dass diese Leute es gewagt hatten, dem kleinen Mädchen … beinahe hätte er seinem kleinen Mädchen gedacht… so etwas anzutun.

Es war pures Glück gewesen, dass er zusammen mit Redox und Selah an diesem Tag dort vorbeikam. Ein Tag, oder zwei mehr und Sukiyo wäre vielleicht … nein, nein, diesen Gedanken wollte er gar nicht erst beenden. Raziel rieb sich durch das Gesicht und trat nach vorne neben seinen Vater. Er konnte nicht anders als auf das Baby in dessen Arme herunterzublicken. Wie wenn nur dies ihm die Zuversicht gab, dass Sukiyo lebendig und wohlauf war.

Das kleine Mädchen lag im Arm von Esrael und spielte zufrieden mit einem Zipfel des Lakens. Sie nuckelte daran, freute sich und strahlte vor guter Laune. Dieser Anblick ließ Raziels Herz direkt schneller schlagen.

Schon fast hypnotisiert hob er die Hand und strich über das schwarze Haar des Mädchens. Er wusste nicht warum, doch er bekam immer wieder den Drang, ihr nahe zu sein. Sie zu sehen, sie zu hören. Er wurde förmlich magisch von ihr angezogen. Dieser Gedanke ließ Raziel in der Bewegung, Sukiyo über das Köpfchen zu streichen, innehalten. Ihm fiel ein, was er noch von Alaria wissen hatte wollen.

»Ja, sie ist es«, durchbrach die Stimme der Orakelfrau die Stille, welche die wenigen Augenblicke anhielt, in denen jeder seine Gedanken über das eben Erfahrene sortiert hatte, und Raziel neben Esrael trat. Der Engel hob ruckartig den Kopf. Er schaute mit großen Augen zu Alaria.

»Bitte?«, kam es verwirrt von dem Engelmann. Er spürte, wie es ihm heiß und kalt im Wechsel wurde. Meinte sie ihn?

Alle sahen zwischen den beiden hin und her.

»Was meinst du damit, Schwester?«, fragte eine zierliche Stimme.

*

Diese gehörte zu der vierten Person oben auf der Felserhebung. Die junge Frau links neben Andaria. Aeldra, die letzte Schwester im Bunde, saß zwischen Andaria und Aeltra. Sie wirkte zierlich und optisch eher zurückhaltend.

»Was bedeuten deine Worte ja, sie ist es?«, wollte sie von ihrer Schwester wissen und sprach somit die Frage aus, die auch Raziel stellen wollte.

Die vierte Schwester besaß einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Aeldra war sehr ruhig, beobachtete viel und behielt immer einen klaren Kopf. Oft war sie es, die zum Beispiel ihre hitzige Schwester Andaria davon abhielt, sofort alle niederzumetzeln, wenn dieser etwas nicht passte.

Somit war Aeldra der Ruhepol der vier Königinnen. Dieses schon fast niedlich aussehende Wesen stellte die Frage, die wohl allen durch den Kopf ging. Alaria hingegen lächelte wissend. Ihre zwei anderen Köpfe taten dies ebenso.

Raziel trat noch einen Schritt nach vorne.

»Bitte, Alaria. Was meint Ihr mit Eurer Aussage? Ist es wegen Sukiyo und diesem ... diesem Gefühl, was ich besitze?«, fragte er und knetete nervös die Hände. Als Engel wirkte Raziel, wie seine Geschwister, eigentlich immer gelassen. Er zeigte kaum Emotionen und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Doch nun merkte er, dass er nervös wurde. Es gefiel ihm nicht, dass er selbst, obwohl die Engel doch schon fast allwissend genannt werden konnten, auf eine Frage keine Antwort wusste. Und dass es sich bei dieser Antwort um ihn selbst und seine Gefühle handelte, ärgerte ihn doppelt.

Alaria legte den Kopf schief.

»Im Grunde, hast du es schon längst selbst bemerkt, Engel Raziel. Nur stehst du deinen Gefühlen und somit der Erkenntnis im Wege, weil du es nicht wahrhaben möchtest«, sprach sie gelassen und faltete ihre zierlichen Hände im Schoß.

»Du weißt schon längst, was dieses Neugeborene für dich ist. Du brauchst meine Aussage und meinen Rat dazu nicht, denn du spürst es. Du musst es nur zulassen und dich von deinem Einzelgänger-Dasein lösen.«

Geeta schaute zwischen Alaria und Raziel hin und her.

»Was meint sie? Was ist mit dem Baby und dir? Was für Gefühle? Ihr beide sprecht in Rätseln«, kam es von der Mutter aller Engel.

Es stimmte. Alle schienen mehr als verwirrt über das Gespräch zu sein, welches das Orakel und Raziel führten.

Man konnte förmlich die Fragezeichen in Selahs Augen sehen, die sich zusammen mit Redox im Hintergrund hielt.

Raziel seufzte leise auf.