Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Das Leben der 15-jährigen Gemma Bergman verändert sich, als ihre Eltern ein altes Hotel in Schweden wiedereröffnen. Bald bemerkt Gemma merkwürdige Dinge, die sie bis in ihre Träume zu verfolgen scheinen. Zudem benimmt sich ihre Stute Duchess immer unberechenbarer. Kann ihr der gut aussehende Reitlehrer Luke dabei helfen? Gemma ist hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen für den charmanten Nathan und ihrer Schwärmerei für Luke. Und was hat es mit dem geheimnisvollen, goldenen Pferd auf sich, von dem das Hotel seinen Namen hat? Wird sie es schaffen, das Rätsel zu lösen, bevor jemand in ernsthafte Gefahr gerät?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Über die Autorin:
Christina Monika Straßberger, geb. 1993, lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Bad Feilnbach.
Schon als Kind war sie eine begeisterte Reiterin und viele Jahre selbst Pferdebesitzerin. Sehr früh begann sie Geschichten über ihre Lieblingstiere zu schreiben und träumte davon, ein Buch zu veröffentlichen.
Christina reist gerne in nördliche Länder und lässt dort ihre Geschichten spielen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Epilog
Panisch blickte das Mädchen über ihre Schulter zurück. Der Reiter auf dem riesigen Schimmel würde sie bald eingeholt haben. Hatte er ihnen aufgelauert? Sie spürte den kräftigen Körper ihres geliebten Pferdes unter sich. Wie oft hatte sie die Ritte auf dem großen Fuchshengst genossen? Doch jetzt trieb sie ihn mit purer Angst vorwärts. Sie klammerte sich verzweifelt an dem jungen Mann fest, der vor ihr auf dem Pferd saß. Viel zu schnell näherten sie sich dem Bach. Dancer war das einzige Pferd im Stall, das überhaupt eine Chance hatte, diesen Bach zu überspringen. Schaffte er es auch im Dämmerlicht und mit zwei Reitern auf seinem Rücken? Noch dazu in dieser halsbrecherischen Geschwindigkeit? Das Mädchen und der junge Mann wussten beide, dass Dancer es schaffen musste, sonst wäre alles verloren. Das Pferd stieß sich kräftig ab und schraubte seinen Körper in die Luft. Bereits bevor sie in das kalte, reißende Wasser stürzten, ahnte das Mädchen, dass es vorbei war. Gemeinsam wurden sie hinab in die tiefe, alles verschlingende Dunkelheit gezogen. Ihre letzten Gedanken galten dem jungen Mann, den sie über alles liebte, und ihrem prachtvollem Pferd Dancer.
Ich erwachte, als unser Auto die lange Allee aus Birkenbäumen hinaufkroch. Was für ein seltsamer Traum das gewesen war. Oben angekommen, passierten wir ein altes Tor, das windschief in den Angeln hing.
Golden Horse Hotel verkündete ein verwittertes Schild daneben. Vater lenkte das Auto auf den gekiesten Hofplatz. Links befanden sich fünf kleine, typisch schwedische, rot-weiße Holzbungalows. In der Mitte standen das riesige Haupthaus und das Hotel, rechts davon das beeindruckende Stallgebäude. Die Stallungen waren aus rotem Ziegelstein erbaut und erinnerten mich ein wenig an den königlichen Hofstall in Stockholm. Das helle Haupthaus in der Mitte bildete einen hübschen Kontrast dazu.
Während ich überwältigt von der Atmosphäre des Anwesens war, hatte meine kleine Schwester Sophie längst ihre Sprache wiedergefunden. „Hier sollen wir wohnen?“ Das Entsetzen über diese Tatsache war ihr deutlich anzuhören.
„Traumhaft, oder?“ Unsere Mutter drehte sich erwartungsvoll zu ihrem Nachwuchs auf dem Rücksitz um.
Ich lächelte zustimmend, doch Sophie blitzte sie nur wütend an. Sie hatte von Anfang an nicht in diesen abgelegenen Teil des Landes kommen wollen. Klar, auch Sophie hatte sich gefreut, als unsere Eltern eine beachtliche Summe im Lotto gewonnen hatten. Der Hauptgewinn war es nicht gewesen, aber dennoch genug Geld, dass sich für unsere Eltern der Traum von einem eigenen Hotel mit Reitmöglichkeiten erfüllen ließ. Während Sophie sich bereits als Bewohnerin einer Luxusvilla auf Mallorca gesehen hatte, war ich begeistert von Mamas Idee gewesen, in Schweden zu bleiben und aufs Land hinauszuziehen.
Seit wir klein waren, hatten wir Mädchen an einem Reitstall am Rande von Malmö Reitstunden genommen. Vor einigen Wochen hatte sich endlich unser Traum von eigenen Pferden erfüllt.
Wir waren bei einem Händler gewesen und während Sophie eine hübsche, braun-weiß gescheckte Stute namens Splash ausgesucht hatte, hatte ich nur Augen für eine große Fuchsstute. Golden Duchess war fünf Jahre alt, ziemlich unerfahren und nicht einfach zu reiten. Außerdem war sie relativ teuer gewesen, weil sie einen langen und hervorragenden Stammbaum vorweisen konnte. Mich interessierte das wenig. Ich wollte dieses Pferd unbedingt haben. Schließlich hatten meine Eltern zugestimmt und als frisch gebackene Besitzerin von Chess war ich das glücklichste Mädchen der Welt gewesen. Mit meiner fast vierzehnjährigen Schwester hatte ich viele Ausritte unternommen und häufig in der Reithalle trainiert. Mittlerweile war ich schon unzählige Male von Chess gestürzt, ohne dass meine Eltern davon etwas mitbekommen hatten. Splash dagegen erwies sich als die Ruhe selbst und war ein zuverlässiges Reitpferd.
Längst hatte ich mich damit abgefunden, dass Sophie von der Natur bevorzugt wurde. Wer es nicht wusste, wäre niemals auf die Idee gekommen, dass wir Schwestern waren. Sophie sah aus wie ein blonder, blauäugiger Engel mit Puppengesicht. Von klein auf war sie so hinreißend gewesen, dass sie sich fast alles erlauben konnte und nie jemand böse wurde. Sie war als kleines Kind beim Spielen immer sauber geblieben, sie brachte für gewöhnlich die besseren Noten nach Hause und sie hatte mit dreizehn bereits ihren ersten Freund gehabt.
Ich, Gemma, war fünfzehn und das genaue Gegenteil meiner Schwester. Meine Haare waren fast schwarz und – obwohl sie die gleiche Länge wie Sophies hatten – viel widerspenstiger. Meine Augen waren dunkel, meine Noten ließen meist zu wünschen übrig und ich hatte noch nie einen festen Freund gehabt. Die meisten Leute hielten Sophie für die Ältere, weil sie mit ihrem ganzen Make-up locker als sechzehn durchging. Außerdem achtete sie stets auf ihre Klamotten, während es mir meist völlig egal war, wie ich das Haus verließ. Sogar verschiedene Reitstile hatten wir gewählt. Sophie war eine begeisterte Westernreiterin, ich dagegen bevorzugte die englische Reitweise.
„Gemma?“ Meine Schwester hielt ungeduldig die Autotür auf. Umständlich kletterte ich über einige Taschen hinweg aus dem Auto. Meine Knie knickten ein, weil sie auf der langen Autofahrt taub geworden waren.
Sophie grinste. „Blöd, wenn man alt wird, oder?“
Ich verdrehte die Augen. Unser Vater war bereits auf dem Weg Richtung Haupthaus. Er bot mit seiner beachtlichen Körpergröße, den immer zerzausten blonden Haaren und den blauen Augen das klassische Bild eines schwedischen Mannes. Mama, von der ich mein Aussehen geerbt hatte, joggte hinter ihm her. Sophie und ich folgten etwas langsamer und schlüpften durch die Haustür. Neugierig blickte ich umher. Drinnen herrschte eine düstere Stimmung.
„Wie in einem Gruselfilm“, stöhnte Sophie. Papa hatte erzählt, dass das Anwesen vor langer Zeit einem Engländer gehört hatte, was den englischen Namen erklärte. „Golden Horse Hotel“ beruhte auf einer Legende um ein goldenes Pferd. Ich sah mich in dem großen, dunklen Eingangsbereich um und versuchte mir vorzustellen, wie viel Arbeit nötig wäre, um das Haus in einen freundlichen Ort zu verwandeln. Während ich versuchte, so viel wie möglich von unserem neuen Zuhause wahrzunehmen, gingen wir weiter in unseren Teil des Gebäudes. Die Räume für unsere Familie lagen im Obergeschoss.
„Ihr könnt euch jede ein Zimmer aussuchen“, meinte Mama. Alle waren groß und geräumig. Rasch wählte ich einen Raum am Ende des Gangs. Die Zimmer von Sophie und mir hatten jeweils ein eigenes Bad, was mich sehr begeisterte, da meine kleine Schwester immer ewig im Bad brauchte. Außerdem verteilte sie ihre Schminksachen überall und veranstaltete ein Riesenchaos. Was mich weniger erfreute, war die Tatsache, dass es im Bad muffig roch und die Badewanne voller Spinnen in allen Größen war. Schon beim bloßen Gedanken an die Krabbeltiere bekam ich jedes Mal eine Gänsehaut. Sie jetzt in großer Zahl in meiner zukünftigen Wanne zu finden, ließ mir sämtliche Haare zu Berge stehen. Entgegen meiner Erwartungen waren alle Räume komplett leer. Ich hatte mit verhangenen Möbeln und jeder Menge Gerümpel gerechnet.
Sophie und ich baten unsere Eltern, die Ställe ansehen zu dürfen. Auf dem Weg über den dämmrigen Hof malte ich mir aus, wie es wohl sein würde, wenn Chess, Splash und die acht bereits gekauften Pferde des Hotels zusammen mit den Pferden der Urlauber hier stehen würden. Der Stall war leider nicht so aufgeräumt wie das Haus. Es schien, als hätte man sämtliches Inventar aus dem Hotel in die Boxen geworfen.
„Viel Arbeit“, stellte ich fest.
Sophie nickte missmutig. „Der Sommer ist für uns gelaufen“, meckerte sie.
Da wir direkt nach dem Mittsommerfest aus Schonen weggezogen waren, hatten wir hier noch den Rest der Sommerferien, bevor für uns Mädchen die Schule begann. Die nächsten Wochen bestanden tatsächlich aus harter Arbeit für uns und die vielen Bauarbeiter, die halfen, das Hotel, den Stall und die Bungalows zu renovieren. Am hinteren Ende einer Koppel hatte ich einen weiteren kleinen Stall aus verwittertem Stein entdeckt. Er hatte nur vier Boxen und war vielleicht ein Hengststall oder ähnliches gewesen. Papa hatte dem wenig Bedeutung beigemessen. Er wollte ihn abreißen, sobald Zeit dafür war. Vorher sollten aber eine kleine Reithalle gebaut und ein Reitplatz angelegt werden.
„Wow!“ Sophie kam in mein Zimmer und sah sich beeindruckt um.
Ich grinste etwas selbstgefällig. Der Raum war in einem hellen Orangeton gestrichen. Unter dem einen Fenster stand ein Schreibtisch mit Computer, unter dem anderen mein Bett. Die Fenster waren auf verschiedenen Seiten des Hauses angeordnet. So konnte ich über den Schreibtisch hinweg einen Blick auf den Hofplatz und den Stall werfen. Von der anderen Fensterbank aus, hatte ich einen tollen Blick über das kleine Bächlein und die Koppeln, auf denen bald unsere Pferde grasen würden.
„Du bist schon mit allem fertig“, stellte Sophie etwas neidisch fest. Sie hatte in den letzten Tagen viel Zeit mit Erik Nielson, einem unser Stallhelfer, verbracht und nur wenig Motivation für ihr Zimmer gefunden.
„Du warst ja beschäftigt“, gab ich grinsend zurück.
„Warte nur, eines Tages wirst auch du dich verlieben, Schwesterherz!“ Sie lächelte altklug.
„Ich mache mir nichts aus Jungs und sie sich nicht aus mir“, meinte ich kopfschüttelnd.
Sophie verdrehte die Augen. „Mit Jungs kann man Spaß haben!“
„Ja, den lässt du dir nicht entgehen.“
„Nein! Warum auch? Wir haben das richtige Alter dafür. Manchmal denke ich, du wärst schon fünfundzwanzig“, entgegnete sie.
Mir war klar, dass ein Stückchen Wahrheit in den anklagend klingenden Worten meiner Schwester steckte. Es stimmte, ich fühlte mich oft nicht wie fünfzehn. Immer war ich die folgsame, brave und vernünftige. Wenn ich einen Jungen in mein Leben lassen würde, dann wollte ich einen haben, den ich liebte. Da ich aber nicht so recht an die eine große Liebe glaubte, war auch das schwierig. Wahrscheinlich gab es einfach keinen Mann für mich und ich würde als einsame Pferdefrau mit zehn Katzen enden. Es gab Schlimmeres.
Meine Schwester hatte das Thema schon wieder aufgegeben und tigerte ungeduldig im Zimmer umher. „Wo bleiben die denn?“, fragte sie mit einem Blick auf die Uhr. Heute war es endlich so weit, Chess und Splash würden ankommen. Wir hatten sie ungern im Reitstall zurückgelassen, sahen aber ein, dass sie während der Renovierungsarbeiten unmöglich in diesem baufälligen Stall stehen konnten. Nun war der Stall fertig und sah beinahe aus wie neu. Sophie und ich waren in aller Frühe aufgestanden und hatten die Boxen vorbereitet. Inzwischen war es fast Mittag.
Während ich mich auf meinem Bett ausstreckte, war Sophie ans Fenster getreten. „Da sind sie!“, rief sie erfreut und im nächsten Moment hörte ich sie die Treppe hinunterpoltern. Ich sprang auf und rannte hinterher. Tatsächlich parkte draußen ein großer, roter Transporter. Aus seinem Inneren drang ein lautes Wiehern und ich hörte, wie ein Pferd gegen die Wände des Transporters schlug.
Ein kräftiger Mann mit Schnauzbart und karierter Weste stieg aus der Fahrerkabine und reichte Sophie, Mama und mir die Hand.
„Sie sind beide brav eingestiegen und haben sich auf der Fahrt gut benommen, aber jetzt wollen sie raus“, meinte er. Sophie war bereits im Inneren des Transporters verschwunden.
Ich öffnete mit einem Seufzer die Verschlüsse und ließ die Rampe herunter. Mit einem stolzen Lächeln brachte Sophie ihr Pferd nach draußen. Splash wieherte und machte einen Satz von der Rampe, wobei sie meine Schwester beinahe umwarf. Von drinnen hörte ich ein zaghaftes Schnauben. Rasch kletterte ich hinein und begrüßte mein Pferd. Chess sah in ihrer dunkelblauen Transportdecke, den gleichfarbigen Gamaschen und dem ebenfalls dunkelblauen Halfter wie ein Ritterpferd aus. Draußen blieb sie wie erstarrt sehen und sog schnorchelnd die Luft ein.
„Willkommen zu Hause, Süße“, flüsterte ich und brachte Chess in ihre neue Box. Eine Stunde später standen Sophie und ich immer noch bei unseren Pferden und redeten darüber, wie einzigartig sie waren. Die beiden Stuten interessierte das kaum, sie hatten Heu und Wasser und waren müde von der langen Fahrt.
Am nächsten Tag war ich wenig begeistert vom Klingeln des Weckers, aber der Gedanke an Chess ließ mich aus dem Bett springen. Ich zog Stallklamotten an, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und band die Haare zu meinem üblichen Pferdeschwanz zusammen. Dann lief ich die Treppe hinunter und verließ das Haus durch die separate Tür von unserem Teil des Gebäudes. Chess und Splash wieherten mir, oder wohl eher der Aussicht auf Futter, freudig entgegen. Ich lächelte. Für mich gab es kaum etwas Schöneres, als morgens die Erste im Stall zu sein. Wie hatte ich es nur so lange ohne Pferde ausgehalten? Während ich das Kraftfutter abmaß, kam meine Schwester herein.
„Reiten wir heute aus?“, fragte sie und füllte die Portion für Splash in einen Eimer.
„Ich will erstmal mit Chess spazieren gehen in der neuen Umgebung“, meinte ich.
Sophie nickte und reichte mir den Messbecher zurück. „Du hast Recht, das ist wahrscheinlich vernünftiger. Ich komme nachher mit.“
Nach dem Füttern brachten wir die Pferde auf eine der Koppeln und gingen frühstücken. Der Spaziergang am Nachmittag verlief gut und Chess benahm sich zur Abwechslung vorbildlich.
Während der nächsten Woche kamen sechs der Hotelpferde an. Die Isländer Stjärna und Gadja, die Kaltblüter Roy und Duke, das schwedische Warmblut Nova und das Connemara-Pony Nugget. Die schwarze Stjärna und der süße Falbe Nugget wurden sofort meine Lieblinge.
„Die Boxenschilder sind endlich da!“ Meine Schwester kam mit einem Paket in den Händen fröhlich in den Stall gehüpft.
Wir hatten eine Menge gleicher Schilder bestellt, die wir an die Türen der jeweiligen Pferde hängen wollten. Voller Tatendrang setzten wir uns in die Sattelkammer und beschrifteten die Schilder mit den üblichen Informationen. Besonders bei den Isländern hatten wir Spaß mit den teilweise recht komplizierten Namen in ihren Stammbäumen. Als wir damit fertig waren, befestigten wir sie an den Boxentüren. Erik kam hinzu und half uns. Noch immer suchte er Sophies Nähe und sie hatte nichts dagegen. Ich schraubte das Namensschild an die Tür meiner Stute und fuhr anschließend stolz mit dem Finger darüber, während Chess ihr Heu kaute.
„Du hast ein schönes Pferd, Gemma!“ Eriks Blick drückte Bewunderung aus, als er erst Chess und dann das Boxenschild begutachtete. „Mit einem klangvollen Namen! Und er passt so gut zum Golden Horse Hotel“, sagte er und lachte.
Ich grinste. „Ja, wirklich ein Zufall!“
Unser erster Ausritt, den ich sicherheitshalber in Begleitung meiner Schwester machte, verlief ohne Zwischenfälle. Ich begann zu denken, dass Chess ihre Macken zurückgelassen hatte und hier ein ganz neues Pferd wäre.
Zwei Tage später ritt ich allein aus und wurde unsanft eines Besseren belehrt. Ich galoppierte auf Chess einen sandigen Weg entlang, die kleinen Ohren waren aufmerksam vor mir gespitzt und Chess lief ruhig und in einem angenehmen Schaukelgalopp. Entspannt ging ich in den leichten Sitz und genoss das Gefühl von Harmonie zwischen uns. Ich fühlte mich wie eines dieser eleganten Mädchen in einem Pferdefilm und sang leise vor mich hin, wie so oft beim Reiten. Plötzlich hörte ich neben mir etwas laut quietschen und Chess warf sich schwungvoll zur Seite. Dann floh sie in gestrecktem Galopp. Ich war ins Heidekraut gefallen und bewunderte mein davonstürmendes Pferd vom Boden aus. Schnell kam ich wieder auf die Beine und klopfte mir den gröbsten Staub ab.
„Kannst du nicht aufpassen?“, schrie der Fahrradfahrer, der Chess so erschreckt hatte.
Wütend starrte ich ihn an. Was bildete der sich ein? Er war doch wie aus dem Nichts mit viel zu hoher Geschwindigkeit aufgetaucht und hatte wie ein Irrer meinen Weg gekreuzt. Wenigstens war auch er mit seinem Mountainbike gestürzt. Seine beiden Freunde, ebenfalls auf Rädern, standen unschlüssig daneben.
„Idiot!“, fauchte ich, würdigte ihn keines weiteren Blickes und humpelte unelegant hinter meiner Stute her. Mein Oberschenkel schmerzte und ich würde wohl einen weiteren blauen Fleck für meine imaginäre Sammlung bekommen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel und nach einiger Zeit wurde es mir zu heiß und ich zog Helm und T-Shirt aus. Zum Glück trug ich darunter einen schwarzen Sport-BH, der durchaus als knappes Top durchgehen konnte. Meine Lungen brannten und ich hatte schreckliche Angst um mein abhandengekommenes Pferd. Ich hatte keine Ahnung, wie weit die nächste Straße entfernt war und betete, dass Chess vorher stehen bleiben würde.
Erleichterung durchflutete mich, als vor mir drei Reiter mit vier Pferden auftauchten. Ein großes, blondes Mädchen führte Chess als Handpferd. Sie selbst saß auf einer hellbraunen Stute. So schnell ich konnte, eilte ich auf die Gruppe zu. „Vielen Dank, dass ihr sie eingefangen habt!“, schnaufte ich und schlüpfte wieder in mein T-Shirt. Chess war offensichtlich unverletzt und stupste mich unschuldig an. Dabei hinterließ sie einen unschönen Fleck auf meinem Oberteil.
„Sie hatte ein ordentliches Tempo drauf, aber als sie unsere Pferde gesehen hat, ließ sie sich leicht einfangen“, berichtete das andere Mädchen, ebenfalls blond, aber mit deutlich kürzeren Locken. Ihr hellgrauer Araber-Wallach schien bereits Freundschaft mit meiner Stute geschlossen zu haben und rieb seinen Kopf an ihrer Schulter.
„Lass das, Zafir!“ Sie zupfte leicht an den Zügeln und verschaffte mir Platz, um wieder auf mein Pferd zu klettern. Als ich oben saß, nahm ich mir die Zeit, den dritten Reiter zu betrachten. Der Junge saß im Westernsattel und mir fiel auf, dass er mit den blonden Haaren und den grünen Augen ziemlich gut aussah. Seine dunkelbraune Stute war ein stämmiger Cob mit breiter Blesse und schien sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Er bemerkte, dass ich ihn angesehen hatte. „Ich bin Christian. Mein Pferd heißt Saly“, stellte er sich vor.
„Oh entschuldige, ich bin Fanny und das ist Rivière.“ Fanny tätschelte ihrer Stute den Hals, die unruhig auf der Trense kaute und immer wieder zu Chess hinüberschielte. Der Araber-Wallach Zafir tänzelte und schlug mit dem Kopf.
„Und ich bin Nike, Christians Zwillingsschwester. So ähnlich wir uns auch sehen, unsere Pferde könnten nicht unterschiedlicher sein!“
„Freut mich, euch kennenzulernen und nochmal vielen Dank! Ich bin Gemma und die kleine Ausreißerin hier ist Chess.“
„Du bist neu im Hotel eingezogen, oder?“ Christians Frage schien eher eine Feststellung zu sein, denn ich hatte das Gefühl, dass alle drei genau wussten, wer ich war. Also nickte ich nur.
„Bis dahin ist es ein Stück, sollen wir dich begleiten?“, bot Nike an.
„Danke, wir schaffen es allein nach Hause“, versicherte ich ihnen. Schnell tauschten wir unsere Handynummern aus und die drei boten mir jederzeit ihre Hilfe an. Die Leute hier schienen wirklich nett zu sein.
Zu Hause erzählte ich niemanden von dem Zwischenfall, weil ich keine Lust auf Sophies Kommentare oder die besorgten Blicke meiner Eltern hatte.
„Morgen kommen endlich die Trainer“, verkündete unser Vater beim Abendessen. Ich freute mich schon sehr darauf, endlich wieder Reitstunden zu bekommen. Sophie hatte Papa vorgeschlagen, auch einen Westerntrainer einzustellen, weil das Westernreiten sich hierzulande immer größerer Beliebtheit erfreute. Er hatte zugestimmt und nun würden die zwei jungen Reitlehrer, beide fünfundzwanzig Jahre alt, morgen mit ihren Pferden eintreffen.
Am nächsten Morgen bereiteten Sophie und ich die Boxen für die Pferde der Trainer vor und überließen es den Stallhelfern Mikael und Erik, die anderen Pferde zu versorgen. Am Vormittag kam die Westerntrainerin an. Lara Bigoti war Halbitalienerin und besaß einen Quarter Horse Wallach namens Angelo. Lara war klein und zierlich und fast genauso quirlig wie meine Schwester. Die beiden würden sich sicher gut verstehen. Am Nachmittag ritten Sophie und Lara gemeinsam aus. Ich war viel zu neugierig auf den anderen Trainer, der die englische Reitweise unterrichten sollte und tatsächlich aus England stammte. Also striegelte ich Chess vor dem Stall, wo ich freie Sicht auf den Hofplatz hatte und die Ankunft auf keinen Fall versäumen konnte. Neugierig hielt ich inne, als der Transporter parkte. Heraus kletterte ein großer, dunkelhaariger Mann, der besser aussah als jedes Fotomodel, das ich bisher gesehen hatte.
*
Luke Carlton stieg aus dem Fahrzeug und streckte seine steifen Glieder. Er erblickte eine große Fuchsstute, die bis eben noch von einem attraktiven Mädchen gestriegelt worden war. Die junge Frau mit den dunklen Haaren, der schwarzen Reithose und dem hellen T-Shirt kam mit raschen Schritten auf ihn zu. Ihr freundliches Lächeln erreichte ihre hübschen, braunen Augen. Wie alt sie wohl war? Mindestens achtzehn, wenn sie hier arbeitete. Seine Zeit hier würde ihm sicher gefallen!
„Hallo, ich bin Gemma Bergman“, stellte sie sich vor und streckte ihm die Hand hin.
Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Mist! Bergman, das war die Tochter des Chefs. Fast schuldbewusst ergriff er ihre Hand. Er erinnerte sich nur zu gut an das Gespräch mit seinem zukünftigen Arbeitgeber vor einigen Wochen. Als alle Formalitäten geklärt waren, hatte Herr Bergman halb im Scherz gesagt, dass er die Finger von dessen Töchtern lassen sollte. Luke hatte lachend gefragt, wie alt sie denn seien. Als er erfahren hatte, dass die beiden Mädchen dreizehn und fünfzehn Jahre alt waren, hatte er Herrn Bergman beruhigen können.
Jetzt war er allerdings etwas besorgt. Gemma sah älter aus und war sehr hübsch.
„Hallo, jemand zu Hause?“, fragte sie, inzwischen etwas unsicher.
„Entschuldigung?“ Luke sah sie verwirrt an.
„Möchtest du dein Pferd ausladen?“, wiederholte sie ihre Frage.
Er nickte schnell. „Ja, natürlich.“ Dann ging er zu seinem Hengst in den Transporter.
*
Ich öffnete die Laderampe und sog staunend die Luft ein, als ich den herrlichen Rappschimmel erblickte. Selbst im dämmrigen Licht des Transporters, sah die Fellfarbe einzigartig aus. Gehorsam stieg der Hengst hinter seinem Besitzer heraus. Ich begleitete Luke und sein Pferd zu der Box des Hengstes.
„Ein prächtiges Pferd. Und die Farbe ist so ungewöhnlich“, lobte ich und ließ meinen Blick bewundernd über das samtene Fell und das nahezu perfekte Exterieur schweifen.
„Danke.“ Luke lächelte mit unverkennbarem Besitzerstolz. „Sein Name ist Glory, er ist neun Jahre alt und wird im Alter bestimmt noch etwas heller.“
„Warum sprichst du so gut Schwedisch? Du kommst doch aus England, oder?“, wollte ich wissen.
Luke nickte. „Mein Großvater väterlicherseits wurde hier in Schweden geboren. Er wollte immer, dass ich ein wenig Schwedisch lerne. Ich mag die Sprache, schreiben kann ich es allerdings nicht so gut. Großvater hat mir bei der Bewerbung geholfen und ich hoffe, dass ich als Reitlehrer keine Aufsätze schreiben muss“, erklärte er und lachte.
„Eher nicht.“ Ich grinste aufmunternd. „Aber konntest du dein Zuhause einfach hinter dir lassen? Es ist eine große Entscheidung und ein ziemlicher Aufwand, ein Pferd hierher zu transportieren.“ Sofort fragte ich mich, ob diese Frage zu persönlich gewesen war.
Luke sah nachdenklich aus. „Ja, das war es. Aber Schweden hat mich immer fasziniert, ich wollte es auf jeden Fall einmal sehen. Also habe ich oft schwedische Stellenanzeigen gelesen. Glory und ich kamen hierher, bevor ich eine Zusage für diese Stelle bekommen habe. Ein Bekannter von mir hat einige Pferde nach Uppsala verkauft und ich konnte Glory günstig mit auf den Transport geben. Es war vielleicht etwas naiv, aber ich war mir sicher, dass ich hier eine Arbeit finden würde.“
Ich bewunderte ihn für diese Spontanität und war auf jeden Fall froh über seine Entscheidung. Um nicht länger in dieses verwirrend gut aussehende Gesicht blicken zu müssen, ließ ich Luke und Glory eine Weile allein. Ein Jammer, dass er so alt war. Noch nie hatte mir ein Mann so gut gefallen. Und er schien wirklich nett zu sein. Chess, die immer noch vor dem Stall wartete, wieherte ungeduldig, wahrscheinlich weniger nach mir, sondern mehr, weil ein hübscher Hengst im Stall stand.
Ich striegelte sie, bis ihr Fell wie flüssiges Gold glänzte und fragte mich, wie zum Teufel ich mich je in einer Reitstunde konzentrieren sollte. Irgendwann kam Luke aus dem Stall und sah mir eine Weile schweigend zu. „Du hast auch ein sehr schönes Pferd“, meinte er anerkennend.
„Das ist Chess.“ Meine Stimme klang seltsam fremd und ich ärgerte mich, dass Lukes Anwesenheit eine so starke Wirkung auf mich hatte. Er bat mich, ihm seinen Bungalow zu zeigen, und ich kam dieser Bitte gerne nach. Ich fühlte mich wohl in seiner Gegenwart und es gefiel mir, dass Luke mit mir redete, wie mit einer Erwachsenen. Er fragte mich, wie es mir hier gefiel, erkundigte sich nach den Pferden und wann die ersten Gäste kommen würden.
Später am Abend saß Sophie im Nachthemd auf meinem Bett und wir erzählten uns mit unverhohlener Begeisterung von unseren Trainern. Meine schlaue Schwester bemerkte natürlich, dass ich von Luke begeisterter war als von anderen Männern.
„Ganz ehrlich, Lara ist klasse, aber Luke sieht einfach umwerfend aus!“, meinte sie gerade.
Da konnte ich ihr nur zustimmen.