Die Legende von Londerry Hall - Christina Straßberger - E-Book

Die Legende von Londerry Hall E-Book

Christina Straßberger

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Beschreibung

Für Caitlin und ihre beste Freundin Tara beginnt ein aufregender Sommer, als zwei gut aussehende Brüder ins Nachbaranwesen Londerry Hall einziehen. Die vier pferdebegeisterten Jugendlichen freunden sich rasch an und trainieren ihre Pferde gemeinsam für das bevorstehende Herbstturnier. Als eine Gruppe Kunststudenten nach Londerry Hall kommt, verschwindet ein altes Gemälde auf merkwürdige Weise. Gleichzeitig machen Gerüchte von einer unheilbringenden Gespensterreiterin die Runde. Caitlin und ihre Freunde sind fest entschlossen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über die Autorin:

Christina Monika Straßberger, geb. 1993, lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Bad Feilnbach. Schon als Kind war sie eine begeisterte Reiterin und viele Jahre selbst Pferdebesitzerin. Sehr früh begann sie Geschichten über ihre Lieblingstiere zu schreiben und träumte davon, ein Buch zu veröffentlichen. Christina reist gerne in nördliche Länder und lässt dort ihre Erzählungen spielen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Neue Nachbarn

Kapitel 2: Londerry Hall

Kapitel 3: Ausritt zum Strand

Kapitel 4: Eine alte Legende

Kapitel 5: Kuss im Regen

Kapitel 6: Das Pferd auf dem Gemälde

Kapitel 7: Gibt es Gespenster?

Kapitel 8: Alte Wunden

Kapitel 9: Detektivarbeiten

Kapitel 10: Ein gefährlicher Ritt

Kapitel 11: Die Falle

Kapitel 12: Die schwarze Reiterin

Kapitel 13: Am Ende des Sommers

Kapitel 1

Neue Nachbarn

Das dunkelhaarige Mädchen lag auf dem Bett und starrte zur weißen Zimmerdecke. Immer wieder drangen Gedanken an glücklichere Zeiten zu ihr durch. An damals, als sie auf ihrem rabenschwarzen Pferd über die sanft geschwungenen Hügel der Grünen Insel galoppiert war.

„Wahnsinn, ihr seid ja geflogen!“ Meine beste Freundin Tara hob grinsend die Stoppuhr in die Höhe.

Etwas außer Atem, aber sehr zufrieden, tätschelte ich meiner kastanienbraunen Vollblutstute Roxy den Hals.

„So hat es sich auch angefühlt!“

Gerade hatten wir einen Übungsparcours mit Naturhindernissen absolviert. Und zwar in einer, wie ich wetten könnte, sehr guten Zeit.

„Das Herbstturnier kann kommen!“, meinte ich zuversichtlich.

Tara, die auf dem Rücken ihrer schönen Schimmelstute thronte, lachte auf. „Dir ist schon klar, dass erst mal die Sommerferien kommen? Bis zum Herbst müssen wir aber unbedingt in Form bleiben!“

„Seid ihr fertig?“, hörten wir eine näselnde Stimme hinter uns. Sie gehörte Fiona Callaghan, deren Eltern die Geländestrecke besaßen, auf der wir freundlicherweise trainieren durften. Sie waren auch die Besitzer des örtlichen Reiterhofs, auf dem Tara und ich früher Reitunterricht genommen hatten.

Fiona sah mit blasierter Miene vom Rücken ihrer Fuchsstute Fair Lady zu uns hinüber. Flankiert wurde sie von ihrem Bruder Samuel und ihren beiden Freundinnen Brianna und Kirsty.

„Mein Team möchte jetzt trainieren“, verkündete sie und hob eine Augenbraue. Sogar fürs Geländetraining hatte sie sich herausgeputzt. Jede Menge Wimperntusche betonte die großen Augen in ihrem puppenhaften Gesicht und ihr blonder Pferdeschwanz saß wie immer perfekt. Fiona wirkte mit ihrer blassen Haut wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe. Der Teil, den ich von ihr kannte, war aber in etwa so fragil wie ein Panzer.

„Wir waren gerade fertig!“, meinte Tara fröhlich und sah mich auffordernd an.

„Ja, viel Spaß euch!“, rief ich und wendete Roxy.

Fiona demonstrierte bei jeder Gelegenheit, dass sie beim Herbstturnier nicht nur in der Einzelwertung, sondern auch mit ihrem Team antreten würde. Dass wir nicht Teil dieses Teams waren, ließ sie uns immer wieder spüren. Für uns gab es also nur die Hoffnung, Fiona wenigstens in der Einzelwertung zu übertreffen.

„Hey Caitlin, du warst wirklich klasse heute!“, lobte Tara. Ihre fast schneeweiße Grace trottete gemächlich den schattigen Waldweg entlang. Meine Roxy war noch aufgedreht von unserem schnellen Ritt und hüpfte ohne besonderen Grund zur Seite. Kurz darauf entspannte aber auch sie sich und meine Gedanken schweiften ein wenig ab.

Tara und ich machten von Kindesbeinen an alles zusammen und hatten auf dem Reiterhof von Fionas Eltern unsere ersten Reitstunden genommen. Nun waren wir beide sechzehn, beste Freundinnen und besuchten die Sekundarstufe II unserer Schule.

Vor gut drei Jahren hatten unsere Eltern beschlossen, dass wir nun alt genug für eigene Pferde waren. Hinter unserem Haus befand sich praktischerweise ein alter Stall mit vier Boxen und einer geräumigen Sattelkammer. Ein Freund von Taras Eltern besaß ein Vollblutgestüt und hatte uns die beiden Stuten zu einem günstigen Preis angeboten. Unsere Eltern hatten nicht viel Ahnung von Pferden und freuten sich, dass wir so schöne Pferde gefunden hatten. Tara und mir war damals nicht der Gedanke gekommen, dass zwei dreijährige Stuten zu temperamentvoll für zwei dreizehnjährige Reiterinnen sein könnten. Zwar waren die beiden zu langsam für den großen Rennsport, aber dennoch dafür trainiert worden.

Tara hatte sich bei der Besichtigung sofort in die hübsche Schimmelstute Full of Grace verliebt, die mit ihrem sanften Wesen und ihrer Unerschrockenheit nie Probleme bereitete. Ich dagegen hatte mich für die braune Roxana entschieden und dies mit mehreren Knochenbrüchen und anderen Verletzungen bezahlen müssen. Aufgegeben hatte ich jedoch nie und nun war ich meist in der Lage, uns beide wieder heil nach Hause zu bringen.

Ähnlich unterschiedlich wie unsere Pferde waren auch wir Mädchen. Als jüngere Schwester der Zwillinge Mike und Sean hatte Tara sich schon immer gegen ihre Brüder behaupten müssen. Sie war eindeutig die Wildere von uns beiden. Ihre roten, unzähmbaren Locken und die katzenhaften, grünen Augen spiegelten ihr irisches Temperament perfekt wider. Die brave Grace und ich waren wohl ihre Ruhepole im Leben. Manchmal wäre ich gerne etwas mehr wie Tara, doch ich war eben die ruhigere und besonnenere von uns beiden. Mein Aussehen war auch weit weniger bemerkenswert. Mit meiner etwas molligeren Figur, den braunen Augen und den glatten, braunen Haaren, fühlte ich mich meist eher durchschnittlich.

„Caitlin? Träumst du?“ Tara riss mich aus meinen Gedanken.

„Mhm?“, fragte ich verwirrt.

Sie lachte. „Eigentlich wollte ich wissen, ob du die Mathehausaufgaben für morgen schon fertig hast.“

„Musst du mich an einem so schönen Tag an Mathe erinnern? Nein, ich habe sie noch nicht, aber ich erledige sie später, ehrlich!“

Tara grinste wissend. „Ja, morgen früh im Schulbus und dann werden deine Lösungen verdächtige Ähnlichkeit mit meinen haben.“

Nun lächelte ich auch. „Zum Glück sind bald Ferien, dann müssen wir uns nicht mehr damit herumschlagen.“

Heute war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne schien von einem wolkenlos blauen Himmel und in der Luft lag der Geruch von Pferden und frisch gemähtem Gras. Der Weg führte am Waldrand unterhalb eines Hügels vorbei. Auf der Anhöhe stand ein riesiges, beeindruckend aussehendes Herrenhaus aus grauen Natursteinen. Londerry Hall.

Tara folgte meinem Blick. „Ich habe gehört, dass neue Leute nach Londerry Hall kommen.“

Überrascht hob ich eine Augenbraue. „Tatsächlich? Ich habe noch nichts davon mitbekommen.“

Die alte Mrs. Barker war vor Kurzem verstorben und ich hatte nicht geahnt, dass das Anwesen so schnell verkauft worden war.

„Wer hat es denn gekauft?“

„Niemand. Soviel ich weiß, hatte Mrs. Barker Verwandte in Dublin, die ziehen wohl jetzt hier ein.“ Tara liebte es, den Dorfklatsch zu verbreiten.

Mrs. Barker hatte ihr Haus kaum verlassen. Obwohl wir Nachbarn gewesen waren, kannte ich sie eigentlich nur, weil mein Ex-Freund Liam gelegentlich Besorgungen für die alte Dame gemacht hatte. Einige Male hatte ich ihn dabei begleitet.

Wenig später erreichten wir mein Zuhause und sprangen von den Pferden. Ich riss mir die Reitkappe herunter und genoss die kühle Brise an meinem Kopf.

Rasch banden wir unsere Pferde an der Stallmauer fest und sattelten sie ab. Tara holte den Gartenschlauch, mit dem wir unsere erhitzten Vierbeiner abspritzen wollten.

Grace stand vorbildlich und ließ genüsslich die Unterlippe hängen, während Roxy natürlich wieder ein Theater machte.

Ich seufzte. „Das tut dir doch nur gut, mein Mädchen, alle wollen das“, säuselte ich und versuchte, mit dem Wasserstrahl die Beine meiner Stute zu erwischen.

Tara grinste schelmisch. „Alle?“, fragte sie noch, riss den Schlauch an sich und begann mich abzuduschen. Ich kreischte und schon befanden wir uns mitten in einer lustigen Wasserschlacht. Als ich mich dabei wild im Kreis drehte und versuchte dem Wasserstrahl auszuweichen, bemerkte ich zwei Jungs, die uns belustigt beobachteten.

Erschrocken hielt ich inne. Tara wirbelte herum.

„Ähm, hallo“, begrüßte der jüngere uns zögernd.

„Hi!“, riefen Tara und ich im Chor und sahen uns verlegen an. Roxy begann vergnügt in der entstandenen Pfütze zu scharren. Eigentlich hatte sie mit Wasser keinerlei Probleme, solange es nicht aus einem Schlauch kam.

„Tut uns leid, dass wir hier einfach so auftauchen. Wir sind auf der Suche nach einem Einstellplatz für unsere beiden Pferde und haben gesehen, dass ihr hier einen Stall habt ...“ Die Stimme des älteren verlor sich. Er schien sich keineswegs sicher zu sein, ob er sein Pferd wirklich in die Obhut zweier albernder Mädchen geben wollte.

Tara lief kurz in den Stall und drehte das Wasser ab. Typisch, dass sie mich hier draußen alleine ließ. Ich kam mir ziemlich dämlich vor in meinen klatschnassen Reithosen und einem weißen T-Shirt, das in diesem Zustand so gut wie durchsichtig war. Mein BH zeichnete sich nur allzu deutlich darunter ab und sicher boten auch meine Haare einen recht unvorteilhaften Anblick.

Die Jungs hatten beide dichtes, schwarzes Haar, dunkle Augen und eine sportliche Figur. Bestimmt waren sie Brüder. Während der jüngere übers ganze Gesicht grinste, blickte der ältere etwas mürrisch drein.

Als Tara zurückkam, übernahm sie zu meiner Erleichterung die Unterhaltung. „Ich bin übrigens Tara Sullivan und das ist Caitlin Dunne. Ihren Eltern gehört das alles hier.“ Sie machte eine ausladende Armbewegung.

Der jüngere meldete sich wieder zu Wort und mir fiel auf, dass seine Augen beinahe unentwegt auf Tara ruhten. Das konnte ich ihm nicht verübeln. Sogar nass und schmutzig sah sie mit ihrer schlanken Figur und dem herzförmigen Gesicht absolut zauberhaft aus.

„Entschuldigung, wie unhöflich von uns! Mein Name ist Kyle Barker und das ist mein Bruder Stephen.“

„Barker? Seid ihr die neuen Bewohner von Londerry Hall?“ Kurz suchte ich nach einer Ähnlichkeit zwischen den beiden Jungs und der alten Dame, konnte jedoch keine finden.

„Ja, das sind wir“, erwiderte Stephen knapp. Er sah immer noch etwas finster drein.

„Wir hätten tatsächlich zwei Boxen frei“, überlegte ich laut. Insgeheim malte ich mir bereits aus, wie es wäre, Kyle und Stephen jeden Tag zu sehen.

„Aber das sollten wir mit meinen Eltern besprechen, sie sind leider im Moment nicht da.“

„Kein Problem, dann kommen wir später wieder“, sagte Stephen und war im Begriff wieder auf sein Rad zu steigen.

„Sie kommen sicher bald zurück! Ihr könnt doch solange hier warten“, schlug Tara eifrig vor. Offenbar wollte sie diese beiden Traummänner nicht so schnell wieder gehen lassen.

„Gerne!“, rief Kyle und ignorierte das verärgerte Zischen seines Bruders.

Tara und ich grinsten und brachten Grace und Roxy auf die Weide. Die Schimmelstute begann sofort zu grasen, Roxy dagegen wälzte sich ausgiebig.

Zum ersten Mal sah ich Stephen lächeln. „Das sind hübsche Pferde“, bemerkte er an den Zaun gelehnt. „Englische Vollblüter, oder?“

Ich nickte. „Ja, sie heißen Grace und Roxy, beide sind sechs Jahre alt. Wollt ihr den Stall kurz ansehen?“

Natürlich wollten sie. Die Boxen unserer Stuten waren bereits ordentlich gemistet und machten einen gepflegten Eindruck. Die beiden unbelegten Boxen links von der Stalltür waren sauber gefegt, in ihnen befanden sich nur einige Futterkisten, die wir mithilfe der Jungs in die geräumige Sattelkammer schleppten.

„Hier haben sicher noch zwei Schränke für euch Platz“, stellte Tara zufrieden fest.

„Das sieht alles sehr gut aus!“ Stephen lächelte und Kyle grinste zustimmend.

„Wenn meine Eltern einverstanden sind, bereiten wir die Boxen für euch vor. Dann könnt ihr eure Pferde bringen, wann ihr wollt“, versprach ich.

Wir gingen zum Haus und während die anderen sich auf der Terrasse niederließen, holte ich Saft und frisch gebackene Scones.

Nachdem ich mich zu ihnen gesellt hatte, fragte Tara die beiden nach ihren Pferden.

Kyles Augen begannen zu leuchten. „Mein Wallach ist ein irischer Hunter, elf Jahre alt. Ein Rappe, sein Name ist Black Magic.“

Er warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu, um herauszufinden, ob er selbst von seinem Pferd erzählen wollte, aber Stephen starrte nur in sein Glas.

„Whisper, Stephens Pferd, ist eine vierjährige Vollblutstute. Ein Apfelschimmel, sehr talentiert.“

„Und wo sind sie jetzt?“, wollte Tara wissen.

Kyle grinste unsicher. „Das ist ja das Problem. Wir sind seit einer Woche hier, Magic und Whisper haben wir im Reitstall der Callaghans untergestellt, aber da sind durch den Reitschulbetrieb so viele Menschen.“

„Und die Tochter des Besitzers ist ziemlich anstrengend. Wir suchen etwas Ruhigeres“, fügte Stephen hinzu und blickte endlich auf.

Die beiden stiegen sofort noch weiter auf meiner Sympathie-Skala. Sie kannten Fiona also bereits und waren offenbar nicht ihrem zugegebenermaßen hübschen Lächeln verfallen.

Tara und ich nickten verständnisvoll.

„Aber sie hat ein klasse Pferd“, schwärmte Stephen.

„Ja, Lady ist ganz nett“, pflichtete ich ihm bei und dachte an ihre langbeinige Fuchsstute.

Er winkte ab. „Die Stute ist in Ordnung. Aber ihr Wallach, Nightstar, ist wirklich etwas Besonderes.“

Ich seufzte. Fionas Eltern hatten ihr schon häufig ein zweites Pferd, zusätzlich zu Lady, gekauft. Wenn sie damit nicht die gewünschten Erfolge erzielte, wurde es in der Regel sofort wieder abgegeben. Warum sie heute beim Training wohl nicht ihr neues Pferd geritten hatte?

Meine Eltern kamen kurz darauf nach Hause. Sie fanden die Jungs sehr sympathisch und die Idee, durch die Boxenmiete eine zusätzliche Einnahmequelle zu erhalten, gefiel ihnen. Vielleicht hatten sie auch die glänzenden Augen von Tara und mir bemerkt und wollten uns Mädchen einen Gefallen tun. Jedenfalls war es nach einem kurzen Telefongespräch mit Patricia Barker, der Mutter von Kyle und Stephen, beschlossene Sache: Schon am nächsten Tag würden die Barker Brüder ihre Pferde zu uns bringen. Nachdem sie sich noch einmal bedankt hatten, verließen sie auf ihren Fahrrädern den Hof. Tara und ich waren hellauf begeistert.

„Wahnsinn, die sehen wir bald jeden Tag“, rief Tara ungläubig.

Ich grinste breit. Mit fast trockenen Klamotten liefen wir in den Stall, um ihn für die Ankunft der beiden neuen Pferde vorzubereiten. Unsere Vorfreude auf den Sommer wuchs damit noch mehr.

Kapitel 2

Londerry Hall

Das Mädchen blickte traurig auf das Bild, das sie mit ihrem großen, schwarzen Pferd zeigte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Verzweiflung. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Am nächsten Morgen hüpfte ich rasch aus dem Bett, schlüpfte in meine Stallklamotten und lief nach draußen. Am Himmel zeigten sich bereits rosa Streifen und kündigten den baldigen Sonnenaufgang an. Auf dem Weg zum Stall atmete ich die frische, kühle Morgenluft ein. Was gab es Schöneres?

Nach dem Füttern brachte ich die Stuten auf die Koppel. Da ich heute nicht – wie üblich – mehrere Male die Schlummertaste gedrückt hatte, mistete ich gleich die Boxen aus.

Irgendwie brauchte ich länger als gedacht und als ich auf die Uhr über der Sattelkammer blickte, erschrak ich. Verdammt, jetzt musste ich mich wirklich beeilen! Ich sprintete zum Haus, duschte in Rekordzeit und schaffte es tatsächlich gerade noch zum Bus.

„Verschlafen?“ Tara grinste, als ich mich auf den freien Platz neben ihr fallen ließ.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe schon die Stallarbeit erledigt“, keuchte ich und biss dann herzhaft in meinen mitgebrachten Apfel.

Meine Freundin strahlte. „Du bist die Beste! Ich nehme an, dass du bei all dem Stress keine Zeit mehr für die Mathehausaufgaben hattest, oder?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, holte sie ein Heft aus ihrer Tasche und schlug die richtige Seite auf.

Immer noch kauend bedankte ich mich und machte mich daran, Taras fast immer richtige Lösungen in mein Heft zu übertragen.

Taras Familie besaß ein gewisses Talent für Naturwissenschaften. Die Zwillinge studierten beide Mathematik in Dublin und auch Tara bereiteten die schwierigen Aufgaben keine Probleme. Sie wollte wie ihre Brüder etwas mit Mathematik studieren und danach als Lehrerin arbeiten. Obwohl wir letztes Jahr unser Orientierungsjahr gehabt hatten, wusste ich noch nicht so recht, was ich nach der Schule machen sollte.

In der Schule gingen Tara und ich wie üblich als Erstes zum Kaffeeautomaten. Dort standen bereits Fiona, Brianna, Kirsty und Kelly. Letztere interessierte sich kaum für Pferde und hatte die Brüder offenbar noch nicht kennengelernt.

„Sie sehen wahnsinnig gut aus, sind tolle Reiter und ihre Pferde sind auch unglaublich, besonders Kyles Black Magic“, schwärmte Fiona gerade der interessiert lauschenden Kelly vor. „Kyle ist supersüß, Stephen eigentlich auch, aber er ist immer so schrecklich ernst“, fuhr sie fort.

„Sie kommen heute das erste Mal in die Schule. Warte, bis du sie siehst!“, konnten wir nun auch Kirsty vernehmen. „Mir persönlich wäre Stephen allerdings lieber, er ist ein wenig geheimnisvoller.“

Offenbar hatten wir einen ähnlichen Männergeschmack. Kirsty war mir von Fionas Freundinnen am liebsten, sie war die natürlichste von ihnen, groß, mit langen, glatten, braunen Haaren. Manchmal machte sie einen etwas verträumten Eindruck, das änderte sich jedoch schlagartig, wenn sie auf ihrem riesigen Schimmelwallach Tatum unterwegs war.

Brianna schob sich eine ihrer mühsam geglätteten, roten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie war nicht im Mindesten an den Barker Jungs interessiert, schließlich hatte sie schon lange ein Auge auf Samuel Callaghan, Taras Ex-Freund, geworfen. „Von mir aus könnt ihr die beiden haben. Fiona, ich bin ja so froh, dass dein Bruder nicht mehr mit Tara zusammen ist. Die beiden passten ja überhaupt nicht zusammen!“

„Gut, das nächste Mal werde ich dich um Rat bitten, bevor ich mir einen Freund suche!“, zischte Tara.

Die Mädchen drehten sich erschrocken um.

„Viel Glück mit Samuel, er ist wirklich nett!“ Tara lächelte etwas süffisant, während Brianna an ihrem Kaffee nippte.

„Was dauert denn hier so lange?“ Fiona trat ungeduldig mit ihrem Fuß gegen den Kaffeeautomaten. Dies brachte ihr aber nichts weiter als den leicht säuerlichen Blick eines vorbeigehenden, jungen Lehrers.

„Malt er die Bohnen nicht schnell genug, Fiona?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Das blonde Mädchen lächelte ihn nur unschuldig an. „Mr. Walsh ist auch ziemlich süß!“, bemerkte sie leise.

„Er ist dein Lehrer, verheiratet und wird bald Vater“, zählte Brianna sofort einige Gegenargumente auf.

„Von mir aus“, Fiona zuckte die Schultern. „Zurück zum Thema: Sicherlich werden Kyle und ich noch viel Zeit gemeinsam verbringen und oft zusammen reiten, schließlich könnten unsere Pferde beinahe Brüder sein.“

Tara warf mir einen vielsagenden Blick zu. Ich grinste in mich hinein und dachte, dass Fiona und Kyle sicher nicht so bald gemeinsam reiten gehen würden.

In dem Moment betraten Kyle und Stephen das Gebäude. In ihren Schuluniformen sahen die beiden unheimlich gut aus. Sie begrüßten uns mit einem Lächeln und erkundigten sich nach dem Weg zum Sekretariat. Fiona, die ihren Kaffee inzwischen erhalten hatte, begleitete die beiden nur zu gerne dorthin.