12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 12,99 €
Ein Herz, das nicht lieben kann – und eines, das niemals damit aufhört »Das verratene Herz« ist das dramatische Finale der romantischen Fantasy-Dilogie »Die vier Göttergaben« von Stefanie Hasse. Einst schufen vier Gottheiten das Land Alania und schenkten den Menschen ihre Gaben: eine Tafel, die Wünsche erfüllt; einen Kelch, der Feinde eint; einen Stein, der die Naturgeister ruft; und eine ewige Flamme, die unbesiegbare Waffen erschafft. Doch auf der Tafel lastet ein grausamer Fluch. Er beraubt die junge Princepa Malena all ihrer Gefühle, sodass sie ihr Reich nun mit kaltem Herzen gegen ihre Nachbarn führt. Malenas Freunde, der Princeps Valerian, der Soldat Aries, die Heilerin Taipa und ihr treuer Begleiter Cheveyo, setzen alles daran, einen Krieg zu verhindern. Trotzdem scheinen sie zum Scheitern verurteilt – bis Hilfe von unerwarteter Seite naht. Um Malenas Fluch zu brechen, müssen sie gemeinsam alle vier Göttergaben wieder vereinen … Mit Alania hat Stefanie Hasse eine opulente Fantasy-Welt erschaffen, in die man mit allen Sinnen eintauchen kann. Prickelnd, romantisch und voller überraschender Wendungen erzählt sie die Geschichte ihrer Helden, die mehr als eine unmögliche Entscheidung treffen müssen. Die Dilogie »Die vier Göttergaben« besteht aus den beiden romantischen Fantasy-Romanen »Der verbotene Wunsch« und »Das verratene Herz«.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 399
Stefanie Hasse
Roman
Knaur eBooks
Ein Herz, das nicht lieben kann – und eines, das niemals damit aufhört
»Das verratene Herz« ist das dramatische Finale der romantischen Fantasy-Dilogie »Die vier Göttergaben« von Stefanie Hasse.
Einst schufen vier Gottheiten das Land Alania und schenkten den Menschen ihre Gaben: eine Tafel, die Wünsche erfüllt; einen Kelch, der Feinde eint; einen Stein, der die Naturgeister ruft; und eine ewige Flamme, die unbesiegbare Waffen erschafft.
Doch auf der Tafel lastet ein grausamer Fluch. Er beraubt die junge Princepa Malena all ihrer Gefühle, sodass sie ihr Reich nun mit kaltem Herzen gegen ihre Nachbarn führt. Malenas Freunde, der Princeps Valerian, der Soldat Aries, die Heilerin Taipa und ihr treuer Begleiter Cheveyo, setzen alles daran, einen Krieg zu verhindern. Trotzdem scheinen sie zum Scheitern verurteilt – bis Hilfe von unerwarteter Seite naht. Um Malenas Fluch zu brechen, müssen sie gemeinsam alle vier Göttergaben wieder vereinen …
Mit Alania hat Stefanie Hasse eine opulente Fantasy-Welt erschaffen, in die man mit allen Sinnen eintauchen kann. Prickelnd, romantisch und voller überraschender Wendungen erzählt sie die Geschichte ihrer Helden, die mehr als eine unmögliche Entscheidung treffen müssen.
»Der Wunsch von einer besseren Welt führt in einen grausamen Fluch. Stefanie Hasse baut langsam, Stein für Stein, eine Bedrohung auf, die zum Ende nicht nur eine große Liebe und ein mächtiges Imperium zerstören kann, sondern vor allem auch meine Nerven.« Jennifer Benkau
Karte
Widmung
1 Taipa
2 Caldea
3 Aries
4 Valerian
5 Aries
6 Caldea
7 Aries
8 Caldea
9 Malena
10 Aries
11 Valerian
12 Caldea
13 Taipa
14 Aries
15 Caldea
16 Aries
17 Malena
18 Caldea
19 Aries
20 Valerian
21 Taipa
22 Caldea
23 Aries
24 Malena
25 Caldea
26 Taipa
27 Aries
28 Caldea
29 Aries
30 Taipa
31 Aries
32 Valerian
33 Caldea
34 Aries
35 Caldea
36 Caldea
37 Malena
38 Caldea
39 Malena
40 Taipa
41 Caldea
42 Aries
43 Malena
44 Taipa
45 Aries
46 Valerian
47 Caldea
48 Aries
49 Taipa
50 Caldea
51 Malena
52 Taipa
53 Malena
54 Taipa
55 Malena
56 Caldea
57 Valerian
Epilog
Glossar
Die alten Gottheiten und ihre Göttergaben:
Personenregister:
Nachwort
Für alle, die weiterkämpfen,
obwohl der Kampf aussichtslos scheint.
Princeps Valerian wurde in ein goldenes Licht getaucht, das sich langsam bis in alle Winkel des Dormus ausbreitete und den Staub in der Luft wie Diamanten funkeln ließ. Im Moment der Nutzung von Orientis’ Göttergabe – der Tontafel, die jeden mit dem Blut der Nachkommen Darias, der Eroberin, geschriebenen Wunsch erfüllte – stand die Zeit still. Taipa konnte sich nicht rühren, konnte nicht schreien, obwohl sie innerlich so laut brüllte. Daher wog sie im Geiste ihre Möglichkeiten ab.
Zunächst war alles nach Plan verlaufen: Princeps Valerian hatte seinen Wunsch mit Blut auf die göttliche Tafel notiert und Princepa Malena zur Gefühllosigkeit verdammt, um das Beben der Erde, sobald ihr Herz schmerzte, zu unterbinden. Malena hatte sich tränenreich von ihrem Liebsten Aries verabschiedet und war zu ihrer ersten Gardistin Circe getreten, der sie den Eid abgenommen hatte, die Princepa und ihr ungeborenes Kind zu töten, sobald der Wunsch geschrieben war. Malena hatte nie so werden wollen wie ihre grausamen Ahninnen. Und doch war es so gekommen. Denn Circe hatte ihren Eid gebrochen, Malena lebte, und das durch den Staub des Natursteins für Taipa sichtbare Rot der Angst verblasste immer weiter, obwohl sie die Gefühle der anderen nach wie vor deutlich sehen konnte. Und es kam noch schlimmer. Der Schein, der Circe umrahmte, war von jenem goldenen Licht, das auch von der göttlichen Tontafel ausging. Circe war nicht menschlich, konnte nur die kriegerische Göttin Meridia sein.
Taipa betete zur Erdenmutter, flehte sie um Hilfe ob dieser mächtigen Gegnerin an. Was hatten sie der Göttin des südlichen Volkes schon entgegenzusetzen? Doch die Erdenmutter schwieg, als wäre auch sie zum Nichtstun verdammt. Taipa sah zu Cheveyo, ihrem so treuen Gefährten, den künftigen Häuptling ihres Stammes, den sie mit ihrem Unternehmen in den Untergang geführt hatte.
Das goldene Licht verblasste. Die Princepa war verdammt, ohne dass Circe sie wie versprochen tötete. In Taipas Rücken flüsterte Vilana ihrer Gefährtin Mameida zu:
»Etwas stimmt nicht mit ihr. Sie ist doch so geworden, wie sie nicht sein wollte.« An Taipa gewandt fuhr sie fort: »Du hast uns gesagt, dass Circe sie aufhalten würde.«
»Offenbar hat Circe ihren Mut verloren«, sagte Mameida. »Ich werde die Aufgabe übernehmen. Wir dürfen das nicht zulassen. Malena hätte das nicht gewollt. Sie ist unsere beste Freundin.« Nur wenige Herzschläge später waren die Uniformen beider Gardistinnen von Blut getränkt.
Princeps Valerian sah verwirrt zu den beiden leblosen Frauen, deren Blut sich auf dem Boden ausbreitete. Er wollte etwas sagen, doch Aries riss ihm die Worte von den Lippen und brüllte in Taipas und Cheveyos Richtung: »Verschwindet!«
Taipa sah in den Augen des Princeps, wie er versuchte, die Zusammenhänge zu begreifen, da wandte sich Malena ihm zu und sagte: »Du hast viel verpasst, Val. Ich werde dir alles erklären, sobald du wieder bei Kräften bist. Unsere Zukunft hat begonnen.« Das Lächeln, das sie dem Princeps schenkte, war so falsch, dass Taipa voller Unglaube zusah, wie dieser es ehrlich erwiderte.
Das Versprechen, alles zum Guten zu bringen, das Malena ihm gegeben hatte, indem sie ihm nichts von ihrem geplanten Tod sagte, den Circe herbeiführen sollte, zersetzte noch immer sein logisches Denken.
Daher folgte Taipa Aries’ Aufforderung, der sich nun ebenfalls langsam von Malena zurückzog. Tränen rannen seine Wangen hinab, und die Augen röteten sich immer mehr.
»Ich werde dich immer lieben, Lena!« Die unter so viel Schmerz hervorgepressten Worte entlockten der Princepa nur ein abfälliges Lächeln.
Taipa und Cheveyo gingen langsam rückwärts, entfernten sich Schritt für Schritt von den beiden Toten. Dabei ließ Taipa weder die Princepa noch die zufrieden wirkende goldschimmernde Göttin aus den Augen.
Sobald sie den langen Flur erreicht hatten, rannten sie los. Aries’ Schritte erklangen kurz nach ihnen, doch er wurde sofort vom Princeps zurückgerufen. Wie erstarrt blieb er stehen, Taipa konnte nicht fassen, dass er sich tatsächlich umdrehte und zurückkehrte. Lieber noch hätte sich Taipa ein weiteres Mal mit dem Bären angelegt, dem Cheveyo die fünf Narben auf seinem Unterarm zu verdanken hatte. Über die Schulter hinweg rief Aries ihr und Cheveyo noch zu, dass sie sich in der Unterstadt treffen würden. Doch Taipa war sich nicht so sicher wie er, dass er die Rückkehr in Princeps Valerians Dormus überlebte.
Gemeinsam mit Cheveyo hastete sie weiter. Die Rundbogenfenster mit den ornamentverzierten Gittern sorgten für ein Spiel aus Licht und Schatten. Mit jedem Wechsel in die Helligkeit sah Taipa im Geiste einen weiteren Schritt ihres Weges von dem Moment an, da sie beschlossen hatte, ihren Stamm zu verlassen, um ihre Schwester und ihr Volk zu heilen. Sie spürte die Anwesenheit der Erdenmutter mit jeder Erinnerung mehr. Sie sah Cheveyo und sich auf der Via Occidens, ihr Eintreffen in der Unterstadt, wo Taipa ihre vorübergehende Bestimmung fand: das Heilzelt, das sie aufgebaut, mit dem sie den Verletzten geholfen hatten und das von der Erdenmutter selbst bei den Beben beschützt worden war. Dann die Kriegerin aus dem Süden, in deren Geist Cheveyo eingetaucht war, weil Taipa sie nicht hatte erwecken können. Caldea. Aries hatte Caldea in den Kerker bringen lassen, Taipa sah das Gespräch erneut vor sich, verfolgte ein weiteres Mal, wie die Palastwachen die Kriegerin abgeholt hatten.
Taipa wusste nun, was sie zu tun hatten. Die Erdenmutter wies ihr endlich einen neuen Weg. Doch zunächst musste sie jemanden aussenden, der ihrem Stamm das Pulver des Natursteins brachte. Taipas Schwester Lana durfte ihrer Großmutter Yanma nicht in den Tod folgen, nur weil Taipa den Weg beschritt, den ihr die Göttin gewiesen hatte. Sie würde Lana retten und all die anderen.
Dann war es an der Zeit, die Kriegerin zu befreien. Sie musste gemeinsam mit Cheveyo einen Weg in den Kerker finden. Cheveyo hatte beim Eintauchen in Caldeas Geist deren Vorhaben gesehen. Nun war es an der Zeit, dass die Kriegerin ihrer Bestimmung folgte – wie auch immer diese aussehen mochte.
Mehrere Monde zuvor
Caldea liebte die Minuten vor einem Kampf. Die Aggression, die in dem Loch im Boden waberte, die Spannung, die sich auf die Zuschauer eine Mannshöhe über ihrem Kopf legte, die Menschen, die laut johlend an dem hölzernen Gestänge hingen und ihre Favoriten unterstützten.
Sie überprüfte die Bänder aus weichem Leder um ihren Handrücken und die Fingerknöchel, zerrte aus Gewohnheit einmal an dem Knoten an ihrem Handgelenk, ehe sie ihre geschlossenen Stiefel in den Sand grub, um für einen guten Stand zu sorgen, und ihren Kampfstab fester umgriff. Der Kampfleiter stieg die reparaturbedürftige Leiter hinauf, bevor er das Signal zum Start gab. Caldea fixierte ihr Gegenüber, einen Jungen mit leuchtend grünen Augen, der von seiner Horde dazu auserwählt wurde, gegen das schwache Mädchen zu siegen. Caldea wurde immer unterschätzt. Jeder erste Kampf in einer Arena war wie eine Aufwärmübung.
Der Junge konnte kaum sechzehn Sommer zählen, er war so schlaksig, dass Caldea Angst hatte, ihn ernsthaft zu verletzen. Die Menge brüllte seinen Namen: Lucan. Je lauter sie skandierten, desto mehr schien er sich aufzurichten, und mit einer Entschlossenheit, die deutlich an Selbstüberschätzung grenzte, erhob er seinen Holzstab und stürmte auf Caldea zu.
Sie parierte den Schlag mit mäßiger Kraft, sodass es aussah, als hätte Lucan eine Chance. Die Menge jubelte, und trunken von seinem ersten gekonnten Angriff legte er nach. Offensichtlich trainierte er noch nicht lange mit Speer und Stab, seine Bewegungen waren ungelenk und vorhersehbar. Sie entsprachen den Grundübungen des Stammes, die Agrippa für Caldea ausgekundschaftet hatte. Caldea hätte diesen Kampf mit geschlossenen Augen gewinnen können. Doch sie wollte Lucan nicht bloßstellen, hielt sich zurück. Sie brauchte Verbündete, keine Feinde.
Daher setzte sie einen gezielten Schlag gegen seine Flanke. Das Holz knirschte nicht einmal, wie es der Fall war, wenn sie ernsthaft zuschlug. Dennoch erkannte Lucan, wer wirklich die Oberhand hatte. Er wurde kreidebleich, Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und er warf einen raschen Blick nach oben. Caldea konnte nicht erkennen, zu wem. Auf die Scham, die nun auf seine Züge trat, hatte Caldea nur gewartet. So raunte sie ihm zu, wie er sie angreifen sollte. Seine grünen Augen weiteten sich vor Überraschung, er warf erneut einen Blick nach oben, und diesmal sah Caldea, dass Lucan in Richtung des Fürsten der Horde sah, Marcus, der getrennt von der Menge auf einem hohen fellbedeckten Thron saß.
»Tu, was ich dir sage, und du wirst deine Würde behalten«, legte Caldea nach, und der Junge folgte ihren Anweisungen bereitwillig. Die Menge tobte, während sich Caldea mit dem Jungen einen Schaukampf lieferte, der von oben täuschend echt aussehen musste. Aber es war nicht Lucan, den sie besiegen musste, um ihr Vorhaben umzusetzen.
»Jetzt ein tiefer Hieb gegen meinen Oberschenkel«, zischte Caldea, vollführte eine Drehung und täuschte vor, gegen Lucans Stockhand zu schlagen. Er folgte dem Befehl, und sie biss die Zähne zusammen, um es aussehen zu lassen, als hätte sie starke Schmerzen. Während der nachfolgenden Kampfzüge zog sie ihr Bein immer etwas nach – hinterließ Furchen im stinkenden Sand der Arena.
»Und nun musst du mich umstoßen. Danach werde ich dich besiegen.« Lucan dachte einen Moment zu lange nach, wog seine realen Chancen ab, sodass Caldea keine Möglichkeit blieb. Sie hieb mit dem Holz gegen seinen Oberarm. Hätte sie nichts unternommen, wäre ihre Täuschung aufgefallen. Niemand lässt eine Chance zum Schlag vergehen. Das sollte jeder Krieger zuallererst lernen. Keine Ablenkung, kein Nachdenken oder Zögern. Lucan schrie auf und klappte zusammen wie hohes Steppengras im Sturm.
Caldea fluchte innerlich. Sie glaubte sogar, Agrippas Seufzen zu hören.
»Bei Meridia, steh auf!«
Lucan kam taumelnd auf die Beine, die Handflächen voller Sand, sodass er unmöglich den Stab weiter halten konnte. Er trug keine Bänder um die Hände, die jederzeit für einen guten Griff sorgten.
»Entwaffne mich. Schnell!« Caldea wagte nicht, nach oben zu sehen. Die Menge war verstummt, die Stimmung schlug um. Sie waren enttäuscht von Lucan, und diese Enttäuschung zerrte an ihm, drückte ihn nieder. »Jetzt!«
Schnell wie eine Schlange packte Lucan ihren Unterarm und schlug mit voller Kraft gegen die Hand mit dem Stab, sodass Sand hinabrieselte. Für einen winzigen Augenblick war Caldea beeindruckt. Lucan musste es ihr angesehen haben, denn ein Feuer entzündete sich in den hier im Süden so seltenen grünen Augen, sein Stamm brüllte wieder seinen Namen, als Caldeas Waffe gegen die Wände der Erdgrube schlug.
Caldea fingierte einen Angriff auf ihn, vollführte ihren lange einstudierten Fall, der von oben aussah, als hätte ihr Gegner diesen zu verantworten. Der Kleine blickte mit einem Gesichtsausdruck zu ihr herab, der sie beinahe zum Lachen brachte. Unschlüssig hielt er den langen Stab in der Hand, dann besann er sich darauf, dass er ihn auf ihr Herz ausrichten sollte – in echten Kämpfen wäre die Spitze aus Metall und würde sie direkt töten. Das Fußstampfen der Zuschauer ließ Teile der Wand abbröckeln. Sie bejubelten den Sieg ihres Kriegers.
Zu früh.
»So, Kleiner. Nun ist es Zeit für meinen Sieg.«
Noch ehe sich das letzte Wort aus der Arena gehoben hatte, war Caldea aufgesprungen, hatte Lucan den Kampfstab abgenommen, ihn auf den Rücken geworfen und drückte nun leicht das Ende ihres Stabes gegen seine schmale Brust.
Es dauerte, bis Lucan realisierte, was soeben geschehen war. Dass er besiegt war. Caldea hielt ihm die lederumwickelte Hand hin, und zögernd ließ er sich von ihr aufhelfen. Der Kampfleiter trat wieder in das Rund und verfolgte mit fassungslosem Gesicht, wie Caldea Lucans Hand hob, als hätten sie gleichberechtigt gewonnen. Caldea sah zum Stammesfürsten hoch, der langsam nickte. Später würde Agrippa ihr Bericht erstatten, wie sie diesen Blick zu deuten hatte.
»Die Siegerin des Kampfes: Caldea vom Stamm der Edoni.« Nach einer kurzen Pause verkündete er den nächsten Kämpfer, und die Menge wurde lauter als bei Lucans vermeintlichem Sieg. Der Hüne, der nun in die Arena hinabstieg, war ungefähr dreimal so breit und doppelt so groß wie der schmächtige Junge. Sein voller dunkler Bart ließ ihn noch wilder aussehen, die Streifenmale an seinen Oberarmen zeichneten ihn als obersten Krieger aus. Er hatte viele echte Kämpfe gefochten – und überlebt. Zahlreiche Narben bedeckten die Unterarme bis zu den breiten Bändern hinab, die er um die Hände geschlungen hatte.
Mit einem abfälligen Grinsen baute er sich in der Mitte der Arena auf, während der Kampfleiter und Lucan es sehr eilig hatten, davonzukommen. In der erwartungsvollen Stille, die sich nun über sie legte, glich das Ächzen der Leiter einem schmerzvollen Stöhnen.
Caldea prüfte noch einmal kurz die Lederbänder an den Händen und hob die Mundwinkel zu einem echten Lächeln. Endlich ein würdiger Gegner.
Eine kräftige Böe schaffte es bis zum Boden des Erdlochs, in dem Caldea dem mächtigsten Krieger der Horde von Fürst Marcus entgegentrat, und zerrte an Caldeas eng gebundener Ledertunika. Selbst mit durchgestrecktem Rücken reichte sie ihm höchstens bis zur Brust, die nur mit der für sein Volk typischen Lederweste bedeckt war, in die man das Symbol der Horde geprägt hatte: den Schädel eines Stieres. Er trug keine hölzerne Waffe bei sich, vermutlich dachte er, dass er sie nicht nötig hatte.
Der Hüne grinste Caldea breit an und entblößte eine Reihe von durch Kaukraut verfärbte Zähne. Viele Horden genossen den Rausch der getrockneten Pflanze, der auch eine belebende Wirkung nachgesagt wurde.
»Colossus, Colossus!«, skandierten die Zuschauer nun, und Caldea kam nicht umhin, darüber zu schmunzeln. Ihr Gegenüber war definitiv ein Koloss, was sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Colossus schlug sich mit der lederumwickelten Faust in die Handfläche, und die Menge johlte. Wenn irgendwo Wetten abgeschlossen wurden, würden Caldea und Agrippa schon heute die Münzen für ihre weitere Reise einnehmen.
Kurz suchte Caldea den Rand der Arena ab, fand ihre Freundin aber nirgendwo. Agrippa langweilte sich bei den Kämpfen. Ihr Terrain waren Spionage, Analyse und Planung.
Der Kampfleiter gab das Startsignal, und Colossus stürzte auf Caldea zu. Bei jedem Schritt erzitterte der Boden unter ihren Füßen. Sand stob hinter ihm auf. Entgegen jedem Fluchtinstinkt wartete Caldea ab, bis sie die Iris ihres Gegners von der Pupille unterscheiden konnte. Der perfekte Moment, um sich zur Seite zu werfen, auf allen vieren zu landen und mit einem pferdegleichen Tritt nach hinten Colossus aus dem Gleichgewicht zu bringen. Begleitet vom Aufkeuchen des Publikums stand sie binnen eines Wimpernschlags wieder fest auf den Beinen und bemerkte den fast schon anerkennenden Blick des Mannes, der sich gerade gegen die Erdwand stützte, um seine Balance wiederzuerlangen. Dann trat pure Wildheit auf seine Züge, seine Augen funkelten. Er hob die Oberlippe und gab einen Laut von sich, der dem Knurren eines wilden Tieres glich. Nun näherte er sich Caldea behäbiger, überlegter, um nicht erneut überrumpelt zu werden. Seine gesetzten Faustschläge waren zielgerichtet, aber zu langsam. Das Ausweichen war eine Leichtigkeit. Caldea musste ihn müde machen oder dafür sorgen, dass er handelte, ohne nachzudenken.
Sie duckte sich unter dem nächsten Schlag hinweg, spürte noch den Luftzug seines Armes direkt über ihrem Kopf und nutzte den Schwung, mit dem sie sich aufrichtete, für einen kräftigen Hieb mit dem Stab in seine ungeschützte Flanke unter dem erhobenen Arm. Das Holz ächzte, ihr Arm vibrierte beim Aufschlag bis in die Fingerspitzen. Doch Colossus schien unbeeindruckt, zuckte nicht einmal zusammen. Aber das hatte Caldea auch nicht erwartet. Sie wiederholte die Taktik noch zwei weitere Male, zeigte ihm, dass sie Spielchen mit ihm spielte, tänzelte leichtfüßig um ihn herum und wirbelte dabei Sand auf, der sich auf ihrer beider schweißnasser Haut absetzte.
Dann endlich reagierte Colossus wie erhofft. Er kniff seine Augen zusammen und ließ alle Planung außer Acht, wurde rasend vor Zorn. Caldea trieb ihn in seiner Raserei immer weiter, hetzte ihn durch die Arena, während sie sich nur mäßig bewegte. Wieder einmal stampfte Colossus auf sie zu wie ein tollwütiger Stier, blind für alles, was um ihn herum geschah. Caldea stand in der Mitte der Arena, angespannt bis in die Zehenspitzen, die sich fest in den Sand bohrten. Sie wich nicht zurück, tänzelte nicht weiter, sondern ließ sich im richtigen Moment auf den Rücken fallen, winkelte die Beine über sich an und rammte sie Colossus in den unteren Bauch. Mit einem Urschrei mobilisierte sie sämtliche Kräfte in ihrem Körper, nutzte die Energie aus dem Schwung von Colossus und streckte die Beine durch. Die Arena schien zum Leben zu erwachen, als Colossus’ massiger Körper gegen die Erdwand prallte und er stöhnend versuchte, sich aufzurappeln. Caldea beugte sich bereits über ihn, ehe er den Fall realisierte, und drückte das Ende ihres Kampfstabes direkt über den Knoten seiner Lederweste auf die behaarte Brust.
Es dauerte mehrere Atemzüge, bis die Zuschauer den Schock überwunden hatten. Agrippa hatte in Erfahrung gebracht, dass Colossus bislang unbesiegt war. Aber für alles gab es ein erstes Mal. Genau davon versuchte Caldea die Hordenfürsten zu überzeugen. Der erste Schritt war gemacht, und der zweite stand in Reichweite, nachdem der Kampfleiter ihren Sieg verkündet hatte und die Einladung von Marcus überbrachte. Caldea war bemüht, sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Stärke zählte in ihrem Volk mehr als alles andere. Sie musste ihr Gesicht wahren.
Agrippa empfing sie jenseits der noch immer verstörten Zuschauer.
»Das hat aber lange gedauert«, sagte sie mit einem breiten Grinsen anstatt einer Begrüßung oder der angebrachten Gratulation zum Sieg.
»Das nächste Mal schicken wir einfach dich in den Ring«, erwiderte Caldea ebenso lächelnd. »Dann kannst du den Gegner mit Worten zur Kapitulation zwingen.«
Agrippa schenkte ihr ein breites Grinsen und präsentierte einen dicken Lederbeutel, in dem es verheißungsvoll klimperte. Der Wettgewinn. »Und du willst dich um diese singenden Schätzchen kümmern?« Sie nahm den Beutel hoch und presste ihn an die Brust wie einen Säugling. »Niemals!«
Caldea lachte und zerrte aus ihren Habseligkeiten ein schmutziges Tuch hervor, mit dem sie sich den Sand von der verschwitzen Haut schrubbte.
»Ist Pallas schon zurück?«, fragte sie nebenbei, auch wenn sie nicht erwartet hatte, ihn bereits heute hier anzutreffen.
Agrippa schüttelte den Kopf. »Wer weiß, zwischen welchen Fellen er sich wieder herumtreibt.« Sie verdrehte die Augen. »Aber ich habe auch neue Informationen: Der Kleine, Lucan, ist wirklich Marcus’ Sohn, wenn man dem schmierigen Typen glauben kann, der die Wetten verwaltet. Er hat auch bestätigt, dass du dem Hordenfürsten eine große Ehre erwiesen hast, Lucan als ebenbürtig auszuweisen.«
Sie machte eine Pause. Caldea wusste, dass Agrippa auf eine Antwort wartete, aber sie musste das teils schon übertriebene Selbstbewusstsein ihrer Freundin nicht weiter stärken und schwieg. Was Agrippa natürlich nicht aushielt.
»Genau das habe ich ja erwartet. Also lass uns nun der Einladung zum Hordenfürsten folgen.« Sie rümpfte die Nase. »Vielleicht solltest du dich noch kurz waschen und umziehen.« Agrippa strich ihr rotbraun gelocktes, nach darianischer Mode geflochtenes Haar über die Schulter und zupfte kurz an dem schweren Stoff, den sie über ihre Tunika geschlungen und mit mehreren Nadeln befestigt hatte wie eine Toga. Ein Gewand, das sie bei einer Wette mit Händlern aus Dariana ergaunert hatte. Agrippa genoss die Blicke, die sie mit dieser ungewöhnlichen Kleidung auf sich zog. »Außerdem sieht deine Zeichnung aus, als hättest du dich in verkohltem Holz gewälzt.«
Caldea rieb sich über die Augen, die Schläfe und das Kinn und machte es damit vermutlich noch schlimmer. Die Kohlestreifen, vor allem jene drei Krallenspuren ähnelnden Zeichen rund um ihr rechtes Auge, gehörten für sie zur Kampfvorbereitung wie das Festzurren des Leders an ihren Händen. Nun hatte sie gesiegt, und für das, was nun folgte, waren die Zeichen unerheblich.
»Ich will keinen Gemahl auswählen, ich suche Verbündete!« Caldea klopfte sich noch den Rest des Sandes aus ihrer ärmellosen Tunika und der von Agrippa geschneiderten Hose aus weichem Leder, zerrte das dünne Band fest, das ihre geflochtenen roten Haare zusammenhielt, und fühlte sich bereit, dem Hordenfürsten entgegenzutreten.
Agrippas demonstratives lautes Seufzen begleitete sie auf dem Weg zum größten der vielen Zelte des Lagers, vorbei an Fackeln und Feuerschalen, um die ein paar Krieger standen. »Es gab eine Zeit, da wurden Bündnisse mit einer Vermählung geschlossen«, erklärte Agrippa wieder einmal. Die Mitglieder der Horde wichen hastig auseinander, um ihnen Platz zu machen.
Caldea blieb direkt vor dem Zelt stehen und wandte sich zu Agrippa um. »Ein solches Bündnis würde zwei Horden einen. Das reicht nicht aus, um gegen Dariana zu ziehen und ihn zu befreien.«
»Ich weiß.« Agrippa zuckte mit den Schultern. »Aber es wäre ein Anfang. Dariana ist aus einer solchen Verbindung entstanden.«
»Und wo hat uns das hingeführt?«, erwiderte Caldea nur knapp und schlug den Stoff zur Seite, der den Eingang zu Marcus’ Zelt verschloss.
Nacht für Nacht kehrte Aries in seinen Träumen auf den Nachtbasar zurück. Zurück in das Zelt der weißhaarigen Alten mit den blassblauen Augen. Zurück zu jener Prophezeiung, die besagte, dass seine Liebe unerwidert bleiben würde.
Auch in dieser Nacht tauchte das schwache Kerzenlicht das bleiche Gesicht der Seherin beim Betreten des Zeltes in Licht und Dunkel. Sie sah ihn mit so intensivem Blick an, als könnte sie in seine finstersten Abgründe hinabsehen. Er nahm auf dem angebotenen Stuhl ihr gegenüber Platz, und Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. Ihre knochigen Finger legten sich eiskalt auf seine Hand. Aries war nicht imstande, sich ihrem Griff zu entziehen. Die Alte schloss die faltigen Lider und schüttelte einen Beutel, den Aries vorher nicht einmal bemerkt hatte. Das Geräusch erinnerte ihn an seine Kindheit in der südlichen Provinz. An die Windspiele aus Tierknochen, die an den Zelteingängen seiner Horde getanzt hatten.
Ein kurzes Flackern der Kerze begleitete das Klimpern beim Ausschütten des Beutelinhalts. Aries hatte nie viel Zeit bei den Heilern verbracht, doch er war sich sicher, dass vor ihm tatsächlich Knochen lagen. Menschliche Fingerknochen. Die Kälte, die von der Alten ausging, war inzwischen bis zu seiner Schulter gewandert, breitete sich mit jedem Schlag seines pochenden Herzens weiter in ihm aus. Die Seherin las in Seelenruhe in den verstreut liegenden Knochen und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Mehrere Sonnenumläufe schienen zu vergehen, in denen Aries weder in der Lage war, sich ihrem Griff zu entziehen, noch irgendetwas zu sagen. Er sorgte sich um Malena, die allein jenseits der Stoffbahnen stand. Inmitten des Nachtbasars voller unbekannter Gefahren. Er hätte darauf bestehen sollen, sie mit hineinzubringen. Nun war er vollkommen hilflos, als sie seinen Namen rief.
Endlich hob die Alte den Kopf. Ihre Augen reflektierten den Schein der Kerze, sahen regelrecht dämonisch aus, ganz wie in den Geschichten, die man sich über die Ifrits der östlichen Provinz erzählte. Was hatte er getan?
Die Seherin hob die Hand, sämtliche zuvor zu hörenden Geräusche des Nachtbasars verstummten. Alles in Aries drängte dazu, sofort aufzuspringen, aus dem Zelt zu fliehen, Malena an sich zu reißen und mit ihr wegzulaufen. Hilflos musste er sich eingestehen, dass er zu nichts davon in der Lage war. Mit einer Stimme, die direkt aus einer anderen Welt zu ihm drang, sprach die Alte: »Deine Liebe wird unerwidert bleiben.«
Aries spannte sich an. Es war das eine, zu wissen, dass man einer Thronerbin, der Princepa des Imperiums, nicht würdig war. Das andere jedoch war, es direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen. Aries stieß ein lautes »Nein!« aus und sprang so hastig auf – nun wieder ganz Herr über seinen Körper –, dass er den Stuhl umwarf.
»Ihr ist es nicht bestimmt, glücklich zu werden«, fügte die Seherin hinzu. Die Melancholie, die nun in ihrer Stimme lag, veränderte sie zur Gänze. Sie konnte kein Ifrit sein, ein solcher würde sich seines Körpers bemächtigen, ihn besetzen und ihn zu einer Marionette machen. Die Alte vor ihm hingegen erweckte nun den Eindruck einer gebrechlichen, hilfsbedürftigen alten Frau, die sich nach nichts mehr sehnte als einem glücklichen Ende. Aries kannte diesen Wunsch.
Ich werde eine Möglichkeit finden. Der Gedanke kam tief aus seinem Herzen, aus einem Winkel, dessen Existenz Aries bislang nicht bewusst gewesen und der in Malenas Besitz übergegangen war, ohne dass er es bemerkt hatte. Mit ihrer liebevollen Art, ihren positiven Gedanken, ihrer Hilfsbereitschaft und Güte – und zuletzt der geteilten Sorge um ihren Ziehbruder Valerian, Aries’ besten Freund.
Die Seherin sah ihn erneut mit diesem durchdringenden Blick an und nickte kaum merklich. Aries glaubte, dass sich ihre Mundwinkel zwischen all den Falten zu einem zufriedenen Lächeln hoben. Es könnte jedoch auch ein Trugbild der Schatten sein, die der Bewegung folgten, weil die Alte über seine Schulter hinwegsah, noch ehe Malena jenseits des Zeltes erneut seinen Namen rief.
»Verschwinde!«, befahl die Seherin, und Aries folgte wie eine Puppe dem Befehl des Marionettenspielers, wandte sich ohne sein Zutun um und steuerte auf die Stoffbahnen zu, hinter denen Malena auf ihn wartete.
Während die Alte bei jenem gemeinsamen Besuch mit Malena anschließend direkt verschwunden war, glaubte Aries, in seinen Träumen noch etwas zu hören, nachdem Malena das Zelt verlassen hatte. Doch ganz gleich, wie sehr er sich anstrengte, jedes Mal erwachte er, ehe er die Alte verstehen konnte. So auch heute.
Das Laken klebte wie jeden Morgen an seinem schweißgebadeten Körper, umschlang ihn wie eine Liebende. Allein der Gedanke versetzte ihm einen Stich mitten in die Brust. Ein Schmerz, der sich einen Weg durch seine Eingeweide bahnte und jegliche andere Gefühle eintrübte. Es kam ihm stets vor, als wäre er betäubt, als läge ein dünner Stoff zwischen ihm und dem Rest der Welt. Erging es Malena nun ebenso? Oder wusste sie gar nicht mehr, dass sie bis zu Valerians Wunschschreibung wahrhaft hatte empfinden können? Wusste sie, dass aus ihr jenes kaltblütige Monster geworden war, was sie mit allen Mitteln hatte verhindern wollen?
In all den vergangenen Tagen seit dem Schreiben von Vals Wunsch konnte Aries es nicht begreifen. Er hatte Malenas Zuneigung in ihren Augen gesehen und auch die Trauer um sich und ihr ungeborenes Kind – ehe sie im nächsten Moment mit emotionslosem Blick und ohne jegliche Gefühlsregung ihre besten Freundinnen getötet hatte. Aries nutzte den Schmerz, den diese Bilder mit sich brachten, um daraus Kraft zu schöpfen. Er sprang von der Matratze, zog sich hastig an und stürmte in die Gemächer nebenan, in Vals Dormus.
In den ersten Tagen nach Lenas Verdammung war er noch direkt zum Ende des Flurs, zu den Gemächern der Princepa, gerannt, hatte gehofft, dass alles nur ein finsterer Traum war, aus dem er nur erwachen musste. Doch Tag wie Nacht schirmte eine halbe Armee aus Gardistinnen den Bereich ab, und Aries wollte später nicht bereuen müssen, Unschuldige verletzt zu haben. Dabei hoffte er, sie zu erreichen, irgendwie zu Malena durchdringen zu können, wenn sie sich gegenüberstanden. Bislang hatte er jedoch keine Chance dazu gehabt. Daher blieb ihm nur das Warten. Den Gottheiten sei Dank war Val nun wieder unter den Lebenden, und gemeinsam würden sie Lena zurückholen. Das versprach er sich jeden Tag. Entschlossen trat er an Maximus vorbei in Vals Dormus.
Der Princeps schlief trotz der einfallenden Sonnenstrahlen, die sein Gesicht und die blonden Locken streiften und seine schweißbedeckte Haut glänzen ließen. Auch Valerian wurde von Albträumen heimgesucht – wie sollte es anders sein. Val war vom Tag seiner Krönung an, an dem der oberste Priester Lothair ihm von seiner Bestimmung erzählt hatte, wie ausgewechselt gewesen. Bis zum letzten Moment hatte er sich gegen sein Schicksal, Malena zu verdammen, gewehrt.
»Nein!«, brüllte er nun auf, das Gesicht vor Entsetzen verzerrt, die Augen aufgerissen, obwohl er noch immer fest schlief. Im Traum gefangen, starrte er reglos an die Decke, während er wieder und wieder »Nein!« rief.
Aries wollte seinen besten Freund beruhigen, trat näher an die Bettstatt und schob die transparenten Vorhänge zur Seite. Als hätte er mit dem Stoff auch Vals Sorge fortgewischt, verstummten die Schreie, Val entspannte sich und schloss flatternd die Lider.
»Cheveyo?«, fragte Val, und Aries blickte wie von selbst hinter sich, halb erwartend, dass der Westländer Cheveyo sich von ihm unbemerkt herangeschlichen hatte, obwohl er aus der Erfahrung der vergangenen Tage doch wusste, dass Cheveyo Val im Traum besuchte.
Im Durchgang zu Vals Räumlichkeiten stand nur Maximus, der den Princeps Tag und Nacht bewachte, ohne auch nur einmal zu blinzeln – selbst wenn ihm die Sonnenstrahlen direkt in die Augen stachen. Wann immer man den Erdgeborenen ansprach, rezitierte er seine in die Armschienen eingelassenen Aufgaben. Aries schauderte bei der Erinnerung an den Kampf mit dem anderen Erdgeborenen, der den Tempel bewachte, rieb gedankenverloren über die Narbe an seinem Bein, während er schmerzhaft sein Gesicht verzog ob der Verletzungen, die er dabei davongetragen hatte.
»Ist dir kalt?«, fragte Val, und Aries schreckte aus den Bildern des Kampfes auf, Malenas Antlitz beim Angriff blieb am längsten. Ein ganzes Feuerwerk an Gefühlen war auf ihrem Gesicht erschienen – das Gegenteil der teilnahmslosen verfluchten Princepa, die aus ihr geworden war.
Val setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Wann immer er dem westlichen Geistkrieger im Traum begegnet war, trug er im Anschluss ein seliges Lächeln auf den Lippen, und in seinen hellblauen Augen lag kostbare Hoffnung.
»Gibt es endlich Neuigkeiten?«, wollte Aries sofort wissen. In der ersten Nacht nach der Flucht der Westländer aus dem Palast – dem Tag, an dem Valerian seiner Bestimmung gefolgt war und Malenas Gefühle geraubt hatte – war Cheveyo Val zum ersten Mal im Traum erschienen. Leider hatte er ihn nur gebeten, sich zu gedulden und ihm und Taipa zu vertrauen. Nun rannte Aries allmorgendlich zum Princeps, um zu erfahren, ob es etwas Neues gab.
»Sie haben einen Plan«, erwiderte Val nur und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Aries war kurz davor, weitere Erklärungen aus seinem besten Freund und Herrscher herauszuschütteln, übte sich aber in Geduld, die so gar nicht seiner Natur entsprach, ballte seine Hände zu Fäusten und atmete lautstark aus. Es klang wie ein genervtes Seufzen, auf das Val sofort mit einer erhobenen Braue reagierte.
»Und wie sieht dieser Plan aus?« Aries hatte keine Zeit für Geduld. Circe schirmte Malena immer weiter ab, die Princepa war selbst vor der Zerstörung von Vals Palastseite näher gewesen als jetzt, obwohl sie nun alle gemeinsam im Flügel der Frauen untergebracht waren. Nicht einmal die Bediensteten bekamen Malena regelmäßig zu Gesicht, und wann immer Val versuchte, eine Audienz bei ihr zu bekommen, wurde sein Gesuch von Circe abgeschmettert. Die Princepa ließ sich stets verleugnen und schickte ihnen nur ihre oberste Gardistin Circe, um wichtige Informationen weitergeben zu können.
Aries war vor Verzweiflung bereits kurz davor gewesen, sich mit Gewalt Zugang zu Malenas Räumlichkeiten zu verschaffen, aber er wusste nicht, wie sie in ihrem emotionslosen Zustand darauf reagieren würde, wenn er ihre erste Gardistin angriff. Die alte Malena hätte sich schützend vor ihre Freundin gestellt. Sollte auch nur ein Hauch von jener Malena übrig sein, irgendwo in dem Panzer aus Eis, würde er Gefahr laufen, anstatt Circe sie und ihr ungeborenes Kind zu verletzen.
»Du darfst Circe auf keinen Fall angreifen!«, sagte Val, als wüsste er genau, welche Gedanken in Aries’ Kopf umherschwirrten.
»Warum? Wenn sie Malena und unser Kind von mir fernhalten will …«
Val senkte die Lider und holte so tief Luft, dass die Flügel seiner schmalen Nase bebten.
»Du hättest keine Chance gegen sie. Sie ist Meridia.«
Aries blinzelte träge. Einmal. Zweimal. Val wartete, bis die Information endlich zu ihm durchdrang, und lauschte dem Singen der Vögel im Palastgarten unter seinem Fenster, von irgendwoher hörte er das Klirren eines zerspringenden Tongefäßes.
»Sie ist … Meridia?«, brachte Aries mit rauer Stimme hervor. »Die Göttin Meridia?« Das Krächzen verschwand mit jeder Silbe mehr.
Val nickte nur und wich etwas vor Aries zurück, ehe er weitersprach. »Cheveyo hat es mir bei unserer ersten Begegnung gesagt, aber ich wollte … dich nicht beunruhigen.«
Aries’ Zähne knirschten, so hart presste er die Kiefer zusammen.
»Genau deshalb. Du neigst zu überstürzten Handlungen.« Val kannte seinen besten Freund besser als jeden anderen im Palast.
Aries bemühte sich sichtlich, etwas zu entspannen, doch all die Techniken, die Vals Lehrer ihm beigebracht und die Val an Aries weitergegeben hatte, verpufften nahezu wirkungslos. Sein Atem kam noch immer stoßweise aus seinem Mund, seine Fäuste verkrampften.
Val griff nach Aries’ Hand. Sofort erfüllte ihn eine Sehnsucht, die er nicht beherrschen konnte. Sie schwemmte ihn in seine Träume. In Träume von einer besseren Welt. Einer Welt, in der er frei und der Mann sein konnte, der er sein wollte.
»Du weißt, dass ich dir niemals mit Absicht wehtun würde.« Val wartete Aries’ Nicken ab. »Wenn Lena mich nicht angelogen hätte, hätte ich nie …« Val vertrieb schnell die Bilder seiner Schwester, die kaltblütig ihre Freundinnen niedergemetzelt hatte. Sein noch halb in der jenseitigen Welt gefangener Geist hatte sich zurechtgereimt, dass sie verraten worden war – Aries hatte ihn erst später aufgeklärt. So ganz begreifen konnte er all das, was er verpasst hatte, noch immer nicht. Aber er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um Malena zu retten. »Ich wollte nie, dass es so weit kommt. Sie hat mich angelogen und gesagt, dass alles gut werden würde.« Tränen verschleierten Vals Sicht.
Auch Aries blinzelte mehrmals und schloss dann die Lider. Er räusperte sich, holte bebend Luft, ehe er hervorpresste: »Ich weiß.«
Val glaubte ihm. Glaubte, dass Aries ihm nie vorwerfen würde, sein Volk beschützt und das ganze Imperium vor dem Zusammenbruch bewahrt zu haben. Die Flüche auf Malenas Ahnin Daria aber waren aus Aries hervorgebrochen, als sie zum ersten Mal nach seinem Erwachen offen darüber sprechen konnten. Daria hatte sie alle aus reinem Egoismus verdammt.
Vals schlanke Finger fuhren in sanften Bewegungen über Aries’ Handrücken. Aries öffnete die Augen. Val war so nahe gerückt, dass er die Farbschattierungen von Aries’ dunklen Augen wahrnehmen konnte, den goldenen Ring um seine Iriden. Val zuckte sofort zurück und beendete den Hautkontakt, auch wenn es schwerfiel. Er schluckte mehrmals hart, sein Mund und seine Lippen waren trockener als je zuvor in seinem Leben. Er ließ sich zur Seite fallen und angelte nach dem Kelch mit verdünntem Wein, der auf dem Nachtschrank stand. Beschämt blickte er zu Aries, der Val mit zusammengezogenen Brauen musterte.
Aries würde nie verstehen, was Val in seiner Gegenwart empfand. Weshalb seine grausame Bestimmung für ihn noch schlimmer war als für seine Ahnen. Niemand würde es verstehen. Oder?
Val räusperte sich, trank dabei mehrere kleine Schlucke und beruhigte seinen Herzschlag dazwischen mit tiefen Atemzügen. Erst dann war er wieder in der Lage, sich zu Aries umzudrehen und von Cheveyos Botschaft zu berichten.
»Taipa und Cheveyo haben eine Person ausgemacht, von der sie behaupten, sie könne uns retten. Taipa hat ein Zeichen ihrer Göttin Occidenta erhalten.« Val hatte solchen vermeintlich göttlichen Zeichen nie Glauben geschenkt. Dem Klatsch nach gab es sie an jeder Ecke – Beweise dafür jedoch nie. Doch indem Cheveyo ihn über die Geistebene – laut ihm die Ebene der Göttin des Westens – kontaktiert hatte, war er eines Besseren belehrt worden. Dass Meridia schon seit seiner gemeinsamen Kindheit mit Malena im Palast gelebt und Malena ganz offensichtlich gegen die Männer aufgehetzt und sie manipuliert hatte, war ihm dann Beweis genug, an Cheveyos und Taipas Plan zu glauben.
»Und wer soll diese Person sein?« Aries’ Skepsis troff aus jeder Silbe.
Beinahe hätte Val den Namen erwähnt, den Cheveyo genannt hatte. Caldea. Doch dann erinnerte er sich an die Worte seiner Traumbegegnung: »Erzähl Aries nicht von ihr.« »Wieso?«, hatte Val gefragt, und der Westländer hatte erwidert: »Aries würde ins Schicksal eingreifen.«
Also schluckte Val den Namen herunter und antwortete auf Aries’ Frage mit einem simplen: »Das hat er mir nicht gesagt. Aber sie sind bereits auf der Suche nach ihr und haben dabei meine volle Unterstützung.«
»Ich kann helfen, das weißt du. Ich kenne mich inzwischen in der gesamten Unterstadt ebenso gut aus wie in den oberen Bezirken.«
Aries’ Blick traf den von Val und brannte sich sengend bis in dessen Innerstes. Val würde sich so gerne in die Dunkelheit darin stürzen und nie wieder auftauchen. Mit sämtlicher Willenskraft schloss er kurz die Lider und trennte die Verbindung, sah nach dem Öffnen auf den Kelch in seiner Hand hinab. »Ich weiß, aber ich will nicht Gefahr laufen, dass Cheveyos Göttin … eingreift«, log er, erkannte Aries’ Zweifel an der Aussage bereits und wagte zur Ablenkung einen Vorstoß in eine ganz andere Richtung: »Du hast mir so viel von eurer gemeinsamen Zeit auf der Reise erzählt.« Val spürte die eiskalten Finger der Eifersucht, die sich in seine Brust bohrten und ihm das Atmen schwer machten. Er holte bebend Luft. »Was du für Lena getan hast …«, setzte er noch einmal an, schaffte es jedoch nicht, die Sätze, die eben in seinem Kopf noch gut geklungen hatten, auch auszusprechen. Er atmete erneut tief durch. »Ich spüre, dass dich diese Zeit verändert hat.« Er sprach so schnell, damit ihn nicht wieder etwas in seinem Inneren zurückhielt. »Du hast dich verändert. Ich bedauere jeden Moment des Tages, dass ich dir das angetan habe, dass ich Lena –«
Aries hob die Hand, und als wäre er der Princeps und Val sein Untergebener, verstummte er.
»Das ist es nicht«, sagte Aries in hartem Ton, der sich anfühlte wie ein fester Tritt gegen die Brust. Val konnte nicht atmen. »Ich weiß, dass du nur aus bestem Gewissen heraus gehandelt hast«, fuhr Aries mit sanfterer Stimme fort und gab damit Vals Brust wieder frei. »Trotzdem bin ich enttäuscht. Enttäuscht, dass du mir nicht vertrau…«
Ein lautes Stampfen erklang vom Durchgang und zog die Aufmerksamkeit beider Männer auf sich. Maximus’ kehlige Stimme verkündete: »Ich habe die Anweisung, Sie nicht aus den Augen zu lassen, Princeps. Lothair darf nicht zu ihm.«
Eben dieser versuchte nun, an dem ausgestreckten, baumstammgleichen Arm des Erdgeborenen vorbeizukommen. Ein aussichtsloses Unterfangen, weshalb der Priester auch direkt ein Tuch, das er um den Unterarm geschlungen hatte, zückte und Maximus über den Kopf warf. Der Gigant stand nun reglos und stumm im Durchgang, und Lothair schob sich unter dem ausgestreckten Arm hindurch.
»Ich habe hier noch etwas zu besprechen«, bellte Val ihn an und wandte sich wieder an Aries. Der erhob sich jedoch bereits. Seit Kindertagen hatte Vals bester Freund großen Respekt vor dem obersten Priester. Der Princeps war nahe dran gewesen, es Furcht zu nennen, aber Aries hätte damals nie zugegeben, dass er Angst vor etwas hatte. Nicht einmal im Alter von zehn Umläufen.
»Mein Ersuchen duldet keinerlei Aufschub.« Lothairs blasse Augen funkelten vor Zorn über Vals Respektlosigkeit.
»Wir sprechen später.« Aries wollte sich bereits verabschieden. Aber eines musste Val noch loswerden.
»Wir treffen uns nachher vor dem Senat.«
Aries reagierte wie erwartet. »Ich hoffe doch, du verlangst nicht von mir, bei der Amtseinführung dabei zu sein.« Er klang so angewidert, dass Val zu ihm sah, anstatt den Priester weiter zu fixieren.
Er lächelte fast, weil er sich Aries’ Züge so genau hatte vorstellen können, ehe er die gekrauste Nase und die leicht gehobene Oberlippe tatsächlich sehen konnte.
»Du bist mein oberster Centurio, du –«
»Wovor muss man dich denn bei der Amtseinführung im Senat beschützen?«, sagte er und fügte im Flüsterton hinzu: »Da sitzen uralte Männer, die schon mit einem leichten Pusten umfallen. Dort läufst du eher Gefahr, vor Langeweile umzukommen.« Aries’ aufrichtiges Lachen erhellte den gesamten Dormus von den verzierten Fenstergittern bis zu dem Paravent, hinter dem Vals Badewanne stand, und lockerte den Druck, der stets auf seiner Brust lastete.
»Lena wird auch dort sein. Wir nehmen unsere Arbeit gemeinsam auf.« Val fühlte Glück und Schmerz gleichermaßen, weil Aries’ Augen zu leuchten begannen und sein ganzes Gesicht heller strahlte als die Sonne. Er wollte, dass Aries glücklich war, und brachte den Rest der Information nur zögerlich heraus. »Circe wird ebenfalls dort sein.«
Aries nickte mit verkniffenem Mund, durchquerte begleitet von einem Schwall Flüchen auf Meridia den Dormus, nickte Lothair respektvoll zu und verschwand aus Vals Sicht.
Der Priester trat näher. Val spürte seinen Blick wie Dutzende Stiche von Dornen, dennoch weigerte er sich, ihn anzusehen.
»Es ist an der Zeit, eine Gefährtin auszusuchen«, sagte Lothair so sachlich, als ginge es um die Wahl von Vals Anstecknadel. »Der Senat tagt nachher, und ich wurde bereits gefragt, ob die künftige Gemahlin des Princeps heute verkünd…«
»Ich will keine Gefährtin«, presste Val hervor und erhob sich, um nicht länger zum Priester aufsehen zu müssen. Nun ging ihm der gebeugte alte Mann bis zur Schulter.
»Ob du es willst oder nicht«, grollte Lothair, »es ist deine Pflicht. Die Princepa trägt ein Kind in ihrem Leib. Eine Tochter, die den Fluch erben wird. Und nur dein Sohn wird ihr Einhalt gebieten können.«
Genau das hatte Val verhindern wollen, indem er bis zuletzt nach einer Lösung gesucht hatte, den Kreislauf zu durchbrechen. Und doch war er gescheitert. Er fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch die Haare. Erneut überschwemmte ihn die Hilflosigkeit angesichts seiner Situation. Er wollte keine Gemahlin. Er wollte keinen Sohn zeugen, nur um ihn in dieselbe ausweglose Lage zu bringen, die einzige Familie, die ihm geblieben war, zu verdammen.
Und dann war noch dieses Begehren in ihm, diese Sehnsucht, die seit seiner Jugend in ihm schwelte und in der Zeit nach der Krönung immer mehr gegen die Pflicht aufbegehrte, eine Frau zu wählen. Er musste dieser Pflicht entkommen. Unter allen Umständen.
Aries’ Herz drohte, aus seiner Brust zu springen und sich schon allein auf den Weg zum Senat zu machen, zu Lena. Heute würde er sie endlich wiedersehen. Er war direkt von Vals Bett aufgesprungen, dessen nächste Worte jedoch dafür gesorgt hatten, dass sein Körper wieder zusammengesackt war wie der einer leblosen Puppe.
»Circe wird ebenfalls dort sein.«
Aries hatte sich dann, niedergedrückt von den Worten, weit schwerfälliger erhoben und fluchend das Zimmer durchquert. Sollte Circe tatsächlich Meridia sein, müsste sie all die Beschimpfungen hören, wie man es den Gottheiten nachsagte, oder? Aries schob sich an Maximus vorbei und kehrte in sein Zimmer zurück, wusch sich hastig und legte anschließend die dunkelblaue Toga mit der bestickten Bordüre an, die ihn als Oberbefehlshaber der Streitkräfte auswies.
Val hatte nach Aries’ Rückkehr in den Palast keine Sekunde gezögert und ihm sofort wieder seinen alten Posten zugewiesen, den er vor der Verbannung aus dem Palast innehatte. Aries betrachtete sich in dem schmalen Spiegel, der zwischen zwei Rundbogenfenstern angebracht war. Auch wenn es oberflächlich schien, schwoll seine Brust vor Stolz an, wenngleich die dunkelblaue Toga nicht die Enttäuschung und die Scham über Vals überstürzten Rauswurf wettmachte. Aber konnte er es ihm wirklich vorwerfen? Oder war es die Frustration darüber, dass Val ihm nicht so vertraute wie Aries dem Princeps? Aries wusste, dass Val von guten Gründen angetrieben worden war, dennoch hätte Aries sich gewünscht, dass sich Val ihm anvertraut hätte, ehe alles eskaliert war. Sie hatten den Großteil ihres Lebens gemeinsam verbracht, und doch hatte Aries schon immer das Gefühl gehabt, dass etwas zwischen ihnen stand. Einer seiner älteren Kampflehrer hatte Aries einst erklärt, dass die Last, die auf den Schultern eines künftigen Regenten ruhte, so schwer war, dass es eines trennenden Walls bedurfte, um sich selbst zu schützen. Aries hatte geglaubt, dass die jüngsten gemeinsamen Erlebnisse diesen zum Einstürzen gebracht hatten wie die trennende Palastmauer, aber eben war wieder das altbekannte Gefühl zurückgekehrt, dass Val etwas vor ihm zurückhielt. Er war so schnell vor ihm zurückgewichen, dass Aries es erst im Nachhinein realisiert hatte. Verbarg Val noch mehr vor ihm? Wusste er doch, was die Westländer planten? Aries stöhnte auf und fuhr sich durch die gewellten Haare. Sein Spiegelbild sah ihm missmutig entgegen. Er befestigte die goldene Zierbrosche, die ihm Val damals zur Ernennung zum Oberbefehlshaber geschenkt hatte, über der zweckmäßigen Nadel, von der die schwere Toga gehalten wurde. Mit einem letzten tiefen Atemzug wappnete er sich, für was auch immer kommen mochte.
Das Senatsgebäude war bereits von außen eine Ausgeburt an Dekadenz. Aries hatte es bislang nie so ausgiebig betrachtet wie jetzt, während er auf die Ankunft von Princeps Valerian wartete. Die Sonnenstrahlen kletterten jenseits der mit Goldintarsien verzierten hohen Säulen des Arkadenganges die dahinter stehenden Repliken der ehemaligen Herrscher empor. An allen Ecken und Enden reflektierte Gold das einfallende Licht und sprenkelte kalte, missmutige steinerne Gesichter. Unter der breiten doppelflügeligen Tür führte ein dicker Teppich im Rot der Senatoren ins Innere des Gebäudes.
Wenig später ging Aries an Vals Seite mit gedämpften Schritten auf die Empore zu, wo die Senatoren längst Platz genommen hatten. Inmitten funkelnder Staubpartikel, die im durch die Buntglasfenster hoch über ihnen einfallenden Licht tanzten. Zwei verschwenderische Sessel mit hohen gepolsterten Rückenlehnen und goldenen Armstützen waren unbesetzt. Malena war noch nicht eingetroffen. Der kurze Stich in Aries’ Brust ließ seinen nächsten Atemzug wie ein Zischen klingen, womit er sofort Vals Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit zusammengepressten Lippen und einem kurzen Nicken signalisierte er dem Princeps, dass alles in Ordnung war, und sie hielten weiter auf den Platz des Princeps zu. Vorbei an den uralten Senatoren, von denen garantiert viele noch Vals Großvater auf diesem Stuhl empfangen hatten. Aries war zwar davon ausgegangen, dass sie allesamt alt sein mussten, denn nur betagte Männer erfüllten die Voraussetzung der zwanzig Sonnenläufe im Dienst des Imperiums. Aber so, wie es aussah, war während Sargons Regentschaft kein neuer Senator berufen worden. Hatte schon Vals Vater aufgegeben, gegen das Schicksal der Familien anzukämpfen?
Tatsache war, dass die Alten Aries und Val, ihren Princeps, betrachteten, als wären sie Ungeziefer. Aries würde sie am liebsten zum Gehorsam aufrufen, hatte mit seiner blauen Toga aber keine Berechtigung unter den rot gekleideten Senatoren und den zwei purpurtragenden Magistern. So führte er Val zähneknirschend an den Männern vorbei. Als er seinen Stuhl zurückzog, flüsterte Val ihm zu: »Kommt es nur mir so vor, oder müssen wir tatsächlich Angst haben, dass einer von ihnen beim nächsten Hustenanfall umkippt?«
Aries hatte Mühe, nicht loszulachen, aber es wärmte ihn von innen heraus, dass Val seine positive Natur trotz der Erlebnisse und seines Schicksals nicht zur Gänze verloren hatte. Zumindest noch nicht.
Ein lautes Klatschen kletterte die Säulen empor und sammelte sich unter der vergoldeten Kuppel über ihnen.