Das Versprechen der Rosenholzvilla - Tabea Bach - E-Book

Das Versprechen der Rosenholzvilla E-Book

Tabea Bach

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Beschreibung

Elisa und Danilo haben zusammengefunden. Fabio allerdings hegt weiterhin starke Gefühle für Elisa. Als er dann auch noch von einem lange gehüteten Familiengeheimnis erfährt, trifft er eine Entscheidung, die die Instrumentenmanufaktur zutiefst erschüttert. Für Elisa hingegen fügt sich, nachdem ihr Großvater das Geheimnis gelüftet hat, einiges zusammen.
Sie beginnt, Danilo in der Werkstatt zu unterstützen. Die Arbeit mit Holz schenkt ihr ein tiefes Gefühl von Ruhe. Und immer häufiger spielt sie auf der Cello-Campanula, deren sanfte Klänge ihr guttun.
Doch dann geschieht etwas, was alles verändert ...

Der zweite Band der fesselnden Saga um eine Instrumentenwerkstatt hoch über dem Luganer See


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Seitenzahl: 449

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumZitat1 – Das Konzert2 – Die Mühle3 – Die Enthüllung4 – Nachbeben5 – Überraschungen6 – Viral7 – Auszeit8 – Das Eisessen9 – Natascha10 – Die Proben11 – Rote Rosen12 – Die Inschrift13 – Schlagzeilen14 – Die Stiftung15 – Das Abschiedsfest16 – Das GlückDanksagungFreuen Sie sich auf den Weihnachtsband …… und den Abschlussband der Rosenholzvilla-Reihe

Über dieses Buch

Elisa und Danilo haben zusammengefunden. Fabio allerdings hegt weiterhin starke Gefühle für Elisa. Als er dann auch noch von einem lange gehüteten Familiengeheimnis erfährt, trifft er eine Entscheidung, die die Instrumentenmanufaktur zutiefst erschüttert. Für Elisa hingegen fügt sich, nachdem ihr Großvater das Geheimnis gelüftet hat, einiges zusammen.

Sie beginnt, Danilo in der Werkstatt zu unterstützen. Die Arbeit mit Holz schenkt ihr ein tiefes Gefühl von Ruhe. Und immer häufiger spielt sie auf der Cello-Campanula, deren sanfte Klänge ihr guttun.

Doch dann geschieht etwas, was alles verändert …

Über die Autorin

Tabea Bach war Operndramaturgin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Romanreihen sind Bestseller und in verschiedene Sprachen übersetzt. Tabea Bach wurde in der Hölderlin-Stadt Tübingen geboren und wuchs in Süddeutschland sowie in Frankreich auf. Ihr Studium führte sie nach München und Florenz. Heute lebt sie mit ihrem Mann in einem idyllischen Dorf im Schwarzwald, Ausgangspunkt zahlreicher Reisen in die ganze Welt. Die herrlichen Landschaften, die sie dabei kennenlernt, finden sich als atmosphärische Kulisse in ihren Romanen wieder. Mit ihrer Kamelien-Insel-Saga führt sie uns in die Bretagne.In den erfolgreichen Seidenvilla-Romanen wechselt der Schauplatz zu einer Seidenweberei in Venetien. Die Salzgarten-Reihe spielt auf den Kanarischen Inseln.

T a b e a B a c h

DAS VERSPRECHENDER

ROSENHOLZVILLA

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Lektorat: Melanie Blank-Schröder

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Einband-/Umschlagmotiv: © www.buerosued.de; Rekha Garton / Trevillion Images

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-6027*0

luebbe.de

lesejury.de

»Es gibt Momente im Leben, da muss man über seinen Schatten springen,und das tun, wofür man auf der Welt ist, ob man sich nun danach fühlt oder nicht.«

Niklas

1Das Konzert

Elisas Herz schlug heftig, als sie durch den Spalt in dem schwarzen Samtvorhang spähte. Der Zuschauerraum des Clubs war bis auf den letzten Platz gefüllt. An einem der vorderen Tische entdeckte sie ihre Freunde Cosma und Dante. Auch Romy war bei ihnen, Danilos Schwägerin. Es waren so viele Besucher gekommen, dass manche sogar hinten an der Bar stehen mussten, weil sie keinen Stuhl mehr ergattert hatten. Und noch immer drängten Menschen herein.

»Volles Haus«, sagte Danilo neben ihr zufrieden und legte seinen Arm um ihre Schulter. »Das war ja klar. Beim Comeback der großen Elisa Maria Eschbach …«

»Das ist kein Comeback«, unterbrach Elisa ihn ernst. Nicht umsonst hatte sie darauf bestanden, dass man nur Elisa Eschbach auf das Plakat geschrieben hatte, nicht ihren vollen Namen, unter dem sie vor vielen Jahren als Wunderkind am Cello bekannt gewesen war. »Mich haben sowieso alle vergessen«, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen.

»Wenn du dich da mal nicht täuschst.« Danilo lächelte ihr aufmunternd zu. »Aber egal. In fünf Minuten geht es los. Bist du bereit?«

Elisa sah noch einmal durch den Spalt und entdeckte ihren Großvater mit Amadou, seinem senegalesischen Pfleger und Physiotherapeuten. Niklas Eschbach saß nach zwei schweren Schlaganfällen im Rollstuhl, und Elisa konnte seine grimmige Miene erkennen, als er ganz nach vorne geschoben wurde, auf die Seite, die für Menschen mit Behinderung vorgesehen war. Trotz des intensiven Bewegungstrainings, das Amadou ihm auferlegte, und der großen Fortschritte, die Niklas machte, konnte der weltberühmte Dirigent das Konzert noch lange nicht auf seinen eigenen beiden Beinen besuchen, und Elisa wusste, wie sehr ihm das zusetzte. Dass er trotzdem zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach jahrelanger Pause kam, rechnete sie ihm hoch an. Auch wenn seine Anwesenheit ihre Nervosität nicht gerade milderte. Denn vor gut sechzehn Jahren hatte sie bei einem Konzert in der Carnegie Hall in New York vor der versammelten internationalen Musikkritik kläglich versagt. Seither war sie nicht mehr aufgetreten. Doch das sollte sich in wenigen Minuten ändern.

»Du wirst sehen, kaum sitzt du auf der Bühne, macht es dir einfach nur noch Spaß«, versuchte Danilo, sie zu beruhigen. Sie nickte und strich sich über den langen blaugrünen Rock, den ihr ihre Mutter zu diesem Anlass samt dem raffinierten Oberteil aus schillernden Pailletten geschickt hatte. Anna war Modeschöpferin, und da sie nicht selbst kommen konnte, hatte sie unbedingt dafür sorgen wollen, dass Elisa zu diesem Anlass umwerfend gekleidet war. Natürlich hätte sich Elisa mehr über ihren Besuch gefreut. Aber Anna war einfach viel zu beschäftigt.

Nervös schob Elisa ihr langes blondes Haar hinter die Schultern. »Das letzte Mal, als ich öffentlich gespielt habe, ging das mächtig schief«, flüsterte sie.

»Das wird nicht mehr passieren«, erklärte Danilo voller Überzeugung. »Denk daran: Heute Abend spielst du nicht Cello, sondern Campanula. Und kein berühmtes Orchester begleitet dich, so wie damals, nur ich.«

Elisa schlang ihre Arme um ihn und zog ihn sanft zu sich. »Stimmt alles, bis auf das Wörtchen nur«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Ich kenne niemanden, mit dem ich gleich da rausgehen würde, außer mit dir.«

Er küsste sie sanft. »Genau das sollten wir jetzt auch tun, ehe du es dir anders überlegst«, schlug er mit einem Blick auf seine Armbanduhr vor und nahm Elisas Hand. Sie atmete noch einmal tief durch und nickte. Das Stimmengewirr im Club verebbte, offenbar waren die Lichter im Zuschauerraum heruntergefahren worden. »Du zuerst«, raunte Danilo ihr zu, und sie trat ins Rampenlicht.

Applaus brandete auf, als Elisa sich verbeugte. Danilo hatte recht, kaum stand sie auf der Bühne, war jede Nervosität wie weggeblasen. Übrig blieb ein Prickeln in der Magengegend, eine Mischung aus Freude und Aufregung, Elisa wusste aus Erfahrung, wie wichtig dieses Gefühl war, um wirklich gut zu spielen. Erneut erhob sich Beifall, und Danilo stand neben ihr, verbeugte sich ebenfalls und lächelte ihr zu. Dann ging er zum Flügel und sie zu ihrem Instrument, der Campanula, die bereits auf der Bühne auf sie wartete. Elisa nahm sie vom Ständer und brachte sie in Position.

Die Campanula hatte große Ähnlichkeit mit einem Cello und wurde genauso gespielt, und dennoch war sie anders. Danilo hatte sie gebaut in dem Bestreben, damit einen noch reicheren, schöneren Klang zu erzeugen, als es ein herkömmliches Cello vermochte. Dazu hatte er die Form des Instruments leicht verändert, sodass es einer Glockenblume ähnelte, was ihm auch den Namen eingebracht hatte, denn Campanula war das lateinische Wort für diese Blüte. Elisa prüfte kurz, ob die Saiten noch gut gestimmt waren, erst vor einer halben Stunde war sie die vier Haupt- und die zwanzig zusätzlichen Resonanzsaiten, die Danilo parallel dazu über den Körper des Instruments gespannt hatte, gründlich durchgegangen. Sie klangen perfekt. Elisa nahm den Bogen.

Im Saal war es jetzt ganz still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Danilo sah zu ihr herüber und nickte kaum merklich. Elisa schloss die Augen und setzte den Bogen an.

Die Melodie, die sie anstimmte, schwang sich auf und erfüllte sogleich den gesamten Raum mit vollem Klang. Elisa war noch immer jedes Mal selbst überrascht, wie sich der Zauber dieses wundersamen Instruments entfaltete.

Leise fiel Danilo am Flügel mit ein. In den vergangenen Wochen hatten sie täglich zusammen musiziert und waren bereits ein eingeschworenes Team. Elisa lächelte. Für sie war es vollkommen neu gewesen, nicht nach Noten zu spielen, nicht ein Stück zu präsentieren, das jemand anderes komponiert hatte, sondern einfach das, was sie selbst gerade empfand, als Musik aus sich herausströmen zu lassen. Dabei hatte sie schon als kleines Mädchen nichts anderes gewollt, als Cello zu spielen, nachdem sie dieses Instrument zum ersten Mal gehört hatte. Sie hatte in ihrer Kindheit eine klassische Musikausbildung genossen, unter der Obhut ihres Großvaters die Werke der großen Komponisten einstudiert und mit Bravour auf den Bühnen dieser Welt dargeboten. Niklas hatte sie stets auf ihrem Weg begleitet. Bis zu jenem Abend in New York …

Elisa schob den Gedanken an jenes Erlebnis beiseite, es hatte sie lange genug belastet. Durch Danilo hatte sie nun eine andere Form der Musik kennengelernt. Schon immer hatte sie die Herzen ihrer Zuhörer berühren wollen, selbst wenn ihr das als Sechzehnjährige nicht so deutlich bewusst gewesen war. Damals war es ihr wichtig gewesen, die Beste zu sein. Heute wollte Elisa die Zuhörer mit ihrem Spiel auf eine Reise zu sich selbst mitnehmen. Denn war das nicht der eigentliche Sinn und Zweck von Musik? Auch beim Zuhörer eine Saite zum Klingen zu bringen, die im Alltag leider häufig in den Hintergrund geriet und verstummte?

Danilo verwob gerade ein neues Motiv in ihre Melodie, und Elisa griff es begeistert auf. Wer weiß, fuhr es ihr durch den Kopf, ob ich ohne diesen Mann je zur Musik zurückgefunden hätte? Seit wenigen Monaten erst waren sie ein Paar, und schon jetzt konnte Elisa sich nicht vorstellen, wie sie jemals ohne Danilo hatte leben können. Dass es jemanden auf der Welt gab, mit dem sie sich ohne Worte im Gleichklang befand, der ihre Stimmungen instinktiv erfasste und sie mit seinen Überlegungen und Ideen immer wieder überraschte – das hätte sie sich nie träumen lassen. Und die Krönung von alldem war das gemeinsame Musizieren, eine Welt, in der sie früher zu Hause gewesen war und die sie so viele Jahre lang schmerzlich vermisst hatte.

Danilo wechselte unmerklich das Tempo, und nun war es an Elisa, darauf zu reagieren. Der energische Tangorhythmus, den er anschlug, gab ihr Gelegenheit, der Campanula schmelzende Tonfolgen zu entlocken, die sich steigerten und mit geradezu schroffen, dramatischen Passagen abwechselten. Elisa fühlte, wie sich ihre Begeisterung auf den Saal übertrug, und meinte zu hören, wie einige im Publikum mit den Füßen scharrten, so als würden sie am liebsten aufspringen und zu tanzen beginnen.

In Danilos Augen sah sie ein Feuer glimmen. Es genügte ein Blick zwischen ihnen, um geschmeidig auf das Spiel des anderen zu reagieren, was gerade bei einem Tango nicht einfach war, vor allem, da sie improvisierten und nicht wussten, was die nächsten Takte bringen würden. Es war, als wären sie eine einzige Person, nicht zwei, und als würden sie von einer Welle getragen, die bestimmte, wie es weiterging. Und dann, unweigerlich, führte alles auf einen fulminanten Höhepunkt hin, und mit einer energischen Bewegung mit dem Bogen beendete sie das Stück.

Das Publikum tobte, und Elisa und Danilo erhoben und verbeugten sich. Jetzt erst bemerkte Elisa, dass ihr der Schweiß unter ihrem mit Pailletten bestickten Oberteil den Rücken hinunterlief. Wie lange hatten sie gespielt? Eine halbe Stunde oder länger?

»Wir machen eine kleine Pause«, sagte Danilo, als sich der Applaus schließlich legte. »Ich glaube, wir brauchen jetzt alle einen Drink.« Zustimmendes Gelächter erhob sich, und einige klatschten erneut.

Elisa ging von der Bühne in den kleinen Raum, der als Garderobe genutzt wurde, um sich mit Papiertaschentüchern Stirn und Nacken trocken zu tupfen und im Spiegel zu kontrollieren, ob ihr der Eyeliner nicht womöglich zerlaufen war. Und staunte selbst über ihre vor Glück strahlenden Augen.

»Hier bist du!« Danilo stand in der Tür und betrachtete sie mit einem breiten Lächeln. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja.« Elisa stand auf und lehnte kurz ihren Kopf an seine Schulter.

»Du warst wunderbar«, sagten sie beide gleichzeitig und mussten lachen.

»Komm mit raus«, bat Danilo. »Alle fragen nach dir. Du bist heute Abend die Königin der Campanula. Und ich bin unsagbar stolz auf dich.«

»Auf uns«, korrigierte Elisa ihn. »Nur zusammen …«

Doch Danilo legte ihr den Finger auf die Lippen. »Ich hab nur ein bisschen auf dem Flügel begleitet«, erklärte er mit einem Grinsen. »Aber du hast gespielt wie eine Göttin.«

Als sie den Club betraten, scharten sich sofort viele Menschen um sie.

»Das war unglaublich!« Cosma reichte Elisa begeistert ein Glas Sekt, an dem sie jedoch nur nippte, denn das Konzert war ja noch nicht zu Ende.

Dante drückte ihr ein Glas Mineralwasser in die Hand, und Elisa leerte es in einem Zug. Dann entschuldigte sie sich bei den anderen, die sie mit Komplimenten überhäuften, und ging zu ihrem Großvater.

Niklas Eschbach war sogar im Rollstuhl eine imposante Erscheinung, groß und kräftig, auch wenn er in den vergangenen Monaten schmaler geworden war. Seine volle weiße Mähne, die er stets nach hinten gekämmt trug, und die buschigen Augenbrauen über den eisblauen Augen machten ihn zu einer Respekt einflößenden Erscheinung.

»Wie gefällt es dir?«, fragte Elisa, plötzlich befangen. Niklas war für sie früher so etwas wie das Barometer für ihr Vorwärtskommen gewesen. Wenn er gesagt hatte, dass sie gut spielte, dann war es so. Inzwischen war sie mit ihren dreiunddreißig Jahren eine gestandene Frau, doch in diesem Moment fühlte sie wieder die Anspannung des Teenagers von damals.

»Du spielst großartig«, sagte er lächelnd, und Elisa fiel ein Stein vom Herzen. Niklas wandte sich an seinen Begleiter. »Nicht wahr, Amadou?«

Der Pfleger lächelte. »Dein Großvater hätte beinahe zu tanzen begonnen«, behauptete er. »Macht so weiter, und ich kann den Rollstuhl leer nach Hause schieben.«

Erleichtert lachte Elisa mit den beiden. Niklas, der in den vergangenen Monaten sehr gelitten und seine Launen auch an jenen ausgelassen hatte, die sich um ihn kümmerten, so heiter zu sehen machte sie unendlich froh.

»Du musst viel geübt haben«, sagte er nun anerkennend. »Wenn ich bedenke, wie lange du kein Instrument in der Hand hattest …«

»Irgendwie verlernt man das Spielen nicht«, erwiderte Elisa. »Nur die Geläufigkeit, an der muss ich noch arbeiten. Aber ich habe das Gefühl, heute die Gesetze der Musik viel besser zu verstehen als damals.«

»Das macht das Alter«, gab Niklas mit einem Schmunzeln zurück. »Nicht alles daran ist schlecht.«

Elisa legte ihm liebevoll die Hand auf die Schulter, dann hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Es wurde Zeit für die zweite Hälfte des Konzerts, die sie mit einer Soloimprovisation eröffnen würde.

Wenig später hatte sie ihren Platz auf der Bühne eingenommen, als Danilo ins Licht trat und sich an das Publikum wandte.

»Dies ist ein besonderer Abend«, sagte er, und es wurde vollkommen still im Saal. »Wir haben alle lange darauf gewartet, Elisa endlich wieder spielen zu hören.« Spontaner Applaus brandete auf, und Elisa wurde vor Verlegenheit heiß. »Und ich finde, wir haben ein Riesenglück, dass sie als Ort dafür unseren Jazzclub in Lugano ausgewählt hat. Sicher ist euch nicht entgangen, dass sie auf einem ganz besonderen Instrument spielt, auf der Campanula. Dieses Instrument stammt aus unserer berühmten Werkstatt, der Manufaktur für Streichinstrumente Fasetti, und ist das Ergebnis meiner jahrelangen Suche nach einem bestimmten Klangerlebnis. Heute ertönt sie zum ersten Mal vor großem Publikum. Ich bin gespannt, wie sie euch gefällt. Jetzt aber heißt es: Bühne frei für Elisa Eschbach an der Campanula.«

Danilo hatte sie gebeten, in diesem Solo die Besonderheiten des Instruments zum Glänzen zu bringen. Sie begann ganz leise auf der tiefsten Saite, so als dringe ihre Musik aus dem Innern der Erde hervor und trete nur langsam ans Licht. Sie spielte eine kleine Melodie und hielt kurz inne, damit die Zuhörer den ungewöhnlichen Nachhall der Resonanzsaiten wahrnehmen konnten, setzte dann erneut an und ließ die Töne ausschwingen. Schließlich führte sie dieselbe Melodie bis in die höchsten Höhen, in der die Campanula beinahe klang wie eine Geige, und setzte hohe, flirrende Obertöne wie Farbtupfer dazwischen, die nicht von dieser Welt schienen. Und als sie meinte, dass nun jeder erfahren hatte, was für ein ungewöhnliches Klangerlebnis dieses neuartige Instrument bot, spielte sie die bislang zögernd dargebotene Weise in rascher Folge und immer neuen Variationen und staunte dabei selbst darüber, wie virtuos sie noch immer zu spielen in der Lage war.

Nach dem letzten Stück, das sie wieder gemeinsam mit Danilo darbot, wollte der Applaus kein Ende nehmen. Die Zuhörer erhoben sich von ihren Plätzen und verlangten lauthals nach einer Zugabe. Elisa und Danilo, die darauf vorbereitet waren, taten ihnen gern den Gefallen, und als das Publikum nach zwei zusätzlichen Stücken noch immer nicht genug hatten, kam Elisa eine Idee.

»Zum Abschluss«, sagte sie, nachdem sie sich mit Danilo abgesprochen und die Menge beruhigt hatte, »spiele ich eine Improvisation auf eine Opernmelodie zu Ehren meiner verstorbenen Großmutter. Leider durfte ich Paulina Conti-Eschbach nicht mehr kennenlernen, ihre großartige Stimme hat mich dennoch von klein auf begleitet. Ich versuche mich also nun an einer Variation auf die Arie ›Vissi d’arte‹ aus der Oper Tosca von Giacomo Puccini.«

Mit einem Schlag wurde es mucksmäuschenstill im Club. Elisa setzte sich mit ihrer Campanula zurecht und rief sich Paulinas wundervolle Stimme ins Gedächtnis, die sie nur von zwei alten Schallplattenaufnahmen kannte. Persönlich gehört hatte sie diese Stimme nie, denn ihre Großmutter war bei der Geburt von Elisas Mutter im Alter von vierundzwanzig Jahren gestorben. Ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe, so lauteten die ersten Zeilen dieser Arie, und Elisa war es immer so vorgekommen, als sei dies nicht der Text aus einer Oper, sondern eine persönliche Botschaft ihrer Großmutter an sie. Ganz in der Kunst aufzugehen, auch wenn es das Schicksal nicht immer gut mit einem meinte – dieses Motto hatte ihre Jugend geprägt. Und nun, als sie diese weltberühmte Melodie intonierte, schlicht und innig, so wie Paulina es getan hatte, wurde ihr bewusst, dass sie erst vor Kurzem erkannt hatte, was Liebe eigentlich war und was es bedeutete, in ihr und für sie zu leben.

Niklas Eschbach hatte Tränen in den Augen, als Elisa geendet hatte und sich verbeugte. Eilig holte sie Danilo zu sich auf die Bühne, und nach einer gefühlten Ewigkeit verklang der letzte Applaus. Sogleich wurden sie umringt von Menschen aus dem Publikum, die Elisa versicherten, noch selten ein so innig gespieltes Konzert gehört zu haben. Außerdem wollten die meisten einen näheren Blick auf die Campanula erhaschen und von Danilo wissen, wie er auf die Idee gekommen war, das traditionelle Cello genau auf diese Weise abzuändern.

Elisa spähte zu dem Platz hinüber, wo eben noch der Rollstuhl ihres Großvaters gestanden hatte, doch er war leer. Sie sah zum Ausgang, wo gerade Amadous hünenhafte Gestalt verschwand.

»Es war wundervoll«, schwärmte Cosma, als sie später im Kreis ihrer Freunde in einem Bistro am Seeufer an der Bar standen, jeder ein frisch gezapftes Bier aus der Hausbrauerei in der Hand. »Ich meine, Danilo schleppt uns ja schon seit Jahren zu den Abenden im Club, und es ist immer toll. Aber das heute …« Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Bier. »Das war etwas Besonderes.«

»Ihr seid einfach das Traumpaar schlechthin«, ergänzte ihr Bruder Dante, Danilos bester Freund, der ein Brett voller fein aufgeschnittener Schinken- und Käsescheiben herumreichte, das der Wirt ihnen spendierte. Dante war in der Tourismusbranche tätig und kannte jedes einzelne Lokal in der Umgebung.

»Tut mir leid für dich, dass es schon wieder vorbei ist mit dieser … Wie hieß sie noch gleich?«, fragte Danilo und schlug seinem Freund liebevoll auf die Schultern.

»Dörte«, knurrte Dante und seufzte.

»Diese Zicke hat dich gar nicht verdient«, versuchte Cosma ihren Bruder zu trösten. »Wir haben einfach nicht so viel Glück wie diese beiden Turteltauben hier«, fügte sie hinzu und wies mit ihrem Bierglas auf Danilo, der Elisa gerade sanft auf die Schläfe küsste.

»Aber sie machen mir Mut«, gab Dante zurück. »Schließlich war Danilo bis vor Kurzem genauso glücklos wie wir beide, Schwesterherz. Und jetzt schwebt er im siebten Himmel. Wenn er das schafft …«

»Vergiss es«, unterbrach Cosma ihn resigniert und angelte sich ein Stück Schinken von dem Holzbrett.

»Du hast gut reden«, erklärte Dante mit einem Seufzen. »Du wirst ja wenigstens von deinen Viechern geliebt.«

»Das heißt Tiere«, korrigierte Cosma ihn freundlich. Dantes Schwester war Veterinärin, und als sei das nicht genug, hatte sie auf ihrem Grundstück ein kleines Asyl eingerichtet, in dem Vierbeiner Unterschlupf fanden, die sonst in einer Tötungsstation landen würden. Von Tag zu Tag wurden es mehr Bewohner, und die Vermittlung an verantwortungsbewusste Menschen gestaltete sich schwierig. Sie wandte sich an Danilo. »Sagt mal, habt ihr eigentlich immer noch keine Wohnung gefunden?«

»Nein«, antwortete Danilo und legte einen Arm um Elisa. Schon seit einer Weile waren sie auf der Suche nach einer Bleibe. Elisa stand zwar noch immer ihr altes Kinderzimmer in der Rosenholzvilla zur Verfügung, doch sie schlief häufig bei Danilo in dem Rustico, dem traditionellen Steinhäuschen seiner Familie in den Wäldern des Monte San Giorgio. Und obwohl sowohl Niklas als auch Mariella, Danilos Mutter, dem jungen Paar angeboten hatten, jeweils bei ihnen zu wohnen, wünschten die beiden sich ihre eigenen vier Wände. Bislang hatten sie leider nichts Bezahlbares in der begehrten Gegend um Lugano finden können.

»Warum zieht ihr nicht zu mir?«, fragte Cosma. »Die alte Mühle ist sowieso viel zu groß für mich. Das ganze obere Stockwerk ist frei …«

»… und eine Ruine«, fügte Dante hinzu.

»Na, so schlimm ist es nicht«, protestierte seine Schwester. »Gut. Man muss renovieren. Aber wenn wir alle zusammen anpacken, kriegen wir das bestimmt hin.«

»Wäre dir das denn recht?«, fragte Elisa, die den Gedanken, in Cosmas alter Mühle am Fuße des Monte San Giorgio zu wohnen, verlockend fand. Bei ihren Besuchen dort war ihr das Anwesen immer wie ein kleines Paradies erschienen. Das obere Stockwerk hatte sie allerdings noch nie betreten.

»Ob mir das recht wäre?« Cosma sah sie mit leuchtenden Augen an. »Ich fände das großartig!«

»Cosma sucht nur jemanden, der sich in ihrer Abwesenheit um die Tiere kümmert«, warnte Dante mit einem gutmütigen Grinsen. »Gib es ruhig zu, Schwesterherz.«

Cosma holte tief Luft, um zu widersprechen, dann stieß sie sie wieder aus. »Also, ich würde das keinesfalls zur Bedingung machen«, räumte sie ein. »Und noch nicht einmal von euch erwarten. Ich weiß ja, dass Elisa ein bisschen ängstlich ist, was die größeren Hunde anbelangt. Aber ich fände es einfach schön, nicht mehr allein da draußen zu leben. Das kann manchmal ziemlich einsam sein.«

»Sagt die mutige ›Ich-brauche-niemanden-Amazone‹«, frotzelte ihr Bruder.

»Hört nicht auf ihn.« Cosma verdrehte die Augen. »Und im Ernst. Im Sommer ist das Rustico ja wunderschön. Obwohl es dort nicht mal fließend Wasser gibt, von warmem Wasser ganz zu schweigen. Wascht ihr euch allen Ernstes immer noch draußen am Brunnen?«, wollte sie von Danilo wissen.

»Natürlich nicht.« Er schüttelte lachend den Kopf. »Ich mache Wasser auf dem Holzofen heiß. Aber du hast völlig recht. Wir brauchen dringend etwas anderes.«

Elisa nippte nachdenklich an ihrem Bier. »Das Problem ist, dass ich im Augenblick nichts verdiene. Das bedeutet, dass ich dir gar keine angemessene Miete bezahlen könnte.« Diese Tatsache war für sie tatsächlich belastend. Ihre Stelle als Flugbegleiterin hatte sie vor ein paar Monaten aufgegeben, als sie erkannt hatte, dass sie des vielen Fliegens überdrüssig geworden war. Ohnehin war diese Berufswahl im Grunde nichts anderes als eine Notlösung gewesen, nachdem ihr Traum von einer Karriere als Musikerin zerplatzt war. Und seit sie in Danilo die Liebe ihres Lebens gefunden hatte, wollte sie mit ihm zusammen sein, statt ständig um die Welt zu fliegen. Also hatte sie den mutigen Schritt gewagt und gekündigt. Noch hatte sie Ersparnisse. Womit sie allerdings in Zukunft ihr Geld verdienen sollte, das wusste sie noch nicht.

»Mach dir mal deswegen keinen Kopf«, versuchte Cosma sie zu beruhigen. »Wenn ihr das obere Stockwerk renoviert, könnt ihr dafür gern ein paar Jahre mietfrei darin wohnen.«

»Das ist ein schönes Angebot, Cosma«, sagte Danilo sichtlich gerührt. »Wir denken darüber nach.«

»An eurer Stelle würde ich mir das Obergeschoss zuerst ganz genau ansehen«, riet Dante. »Wer weiß, ob das mit der Renovierung nicht ein Fass ohne Boden wird.«

»Wieso kommt ihr nicht am Sonntag vorbei?«, schlug Cosma vor. Ihr gefiel die Idee offenbar gut, Danilo und Elisa könnten bei ihr einziehen. »Wir grillen ein bisschen, wenn das Wetter mitmacht, und schauen uns alles an. Ich war ehrlich gesagt schon lange nicht mehr oben. Und du, Dante, frag doch mal Ernesto, ob er nicht Zeit und Lust hat, zu kommen. Dann haben wir gleich jemanden vom Baufach mit an Bord.«

»Und wozu soll ich Ernesto einladen?«, fragte Dante. »Zu Tofuwürstchen und Grillkäse? Oder bist du inzwischen womöglich noch Veganerin?«

»Wir grillen Gemüse und von mir aus auch Steaks, wenn du sie mitbringst«, gab Cosma angriffslustig zurück. »Ich bin eine tolerante Vegetarierin, im Gegensatz zu dir militantem Fleischesser.«

»Wer ist Ernesto?«, fragte Elisa.

»Ein genialer Mensch, der aus einer Ruine im Nullkommanichts ein Schlösschen zaubert«, behauptete Dante. Sein Blick wanderte zur Tür. »Seht mal, wer da kommt!« Eine hübsche Frau mit langem leuchtend rotem Haar stand am Eingang und sah sich suchend um.

Danilo hob den Arm und winkte. »Romy«, rief er erfreut. »Hier sind wir.« Seine Schwägerin hatte die Gruppe entdeckt und schob sich durch die Menge zu ihnen durch. »Wie schön, dass du es noch geschafft hast!«

»Da war ein Kunde von mir im Konzert«, erzählte Romy und verzog das Gesicht. »Er hat mir endlos vorgeschwärmt, wie toll er Geige spielt, seit er meinen Bogen hat. Ich dachte schon, ich werde ihn nicht mehr los.«

»Das ist doch ein schönes Kompliment für eine Bogenmacherin«, sagte Elisa.

»Wenn du mich fragst, ist der in dich verknallt«, behauptete Dante. »Er hatte den ganzen Abend nur Augen für dich. Willst du ein Bier?«

»Gern«, antwortete Romy. Sie nahm auf einem der Barhocker Platz, den Dante für sie ergattert hatte, und sah sich um. »Hey, hier ist ja richtig was los. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal ausgegangen bin, so lange ist das schon her. Aber heute übernachtet Mimi bei meiner Tante, und ich habe tatsächlich mal frei.«

Romy und Danilos Bruder lebten getrennt, worunter nicht nur die fünfjährige Mimi litt, sondern auch Romy. Sie hätte sich gern wieder mit Fabio versöhnt, doch es sah nicht so aus, als würde er darauf eingehen.

»Wieso war eigentlich keiner von deiner Familie im Konzert?«, fragte Cosma plötzlich Danilo. »Immerhin stammt die Campanula aus eurer Werkstatt und …«

»Lass gut sein«, unterbrach Danilo sie genervt. »Du weißt doch …«

»Fabio ist nicht gekommen, weil er wusste, dass ich hier sein würde«, erklärte Romy unglücklich. »Vielleicht hätte ich zu Hause bleiben sollen.«

»Auf keinen Fall«, widersprach Danilo entschlossen. »Schließlich spielt Elisa mit einem Bogen aus deiner Werkstatt.«

»Romy ist wirklich die beste Bogenmacherin diesseits und jenseits der Alpen«, sagte Elisa zu Cosma und Dante.

»Du übertreibst«, wandte Romy ein, die rosarot angelaufen war.

»Nein, das tut sie nicht«, erwiderte Danilo mit einem Lächeln. »Du bist die Beste. Und wenn mein Bruder nicht ein solcher Trottel wäre …«

»Danilo«, mahnte Elisa ihn leise.

»Ist doch wahr«, beharrte er ein wenig milder. »Außerdem ist er nicht wegen dir weggeblieben«, fügte er an Romy gewandt hinzu. »Er ist wütend auf mich, weil ich nicht meine gesamte Energie in den Familienbetrieb einbringe, sondern nebenher noch so sinnlose Dinge tue, wie Instrumente weiterzuentwickeln und Campanulas zu bauen. Aber das weißt du ja.«

»Ist das der Grund, warum auch deine Mutter nicht da war?«, erkundigte sich Cosma mitfühlend.

»Natürlich«, antwortete Danilo und versuchte, seine Verbitterung darüber zu verbergen. »Sie ist derselben Meinung wie Fabio. In ihren Augen bin ich ein Versager.«

»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Elisa.

»Dann eben eine Enttäuschung auf ganzer Linie.«

»Auch das ist nicht wahr, Danilo«, erklärte Romy. »Deine Celli sind Weltklasse, und das wissen die beiden sehr genau. Deshalb hätten sie es eben gern, dass du noch mehr davon baust. Und zwar ausschließlich.«

»Elisa wird dafür sorgen, dass die Campanula die Welt erobert«, behauptete Dante und reichte eine Platte mit Käsestücken herum. »Bald wirst du dich vor Aufträgen nicht mehr retten können.«

Danilo lachte gutmütig auf. »Das wäre wundervoll, aber …«

»Lasst uns darauf anstoßen«, fiel ihm Cosma ins Wort und griff nach ihrem Glas. »Auf die Campanulas dieser Welt und alle anderen verrückten Instrumente.«

Unter großem Gelächter hoben sie ihre Gläser.

»Ich würde gerne noch mehr von deinen Bögen ausprobieren«, sagte Elisa zu Romy, als sie später gemeinsam das Lokal verließen.

»Dann komm doch endlich mal bei mir vorbei«, schlug Romy vor. »Wie wäre es zum Beispiel morgen? Mimi bleibt übers Wochenende bei meiner Tante, dann könnte ich dir in Ruhe alles zeigen.«

»Gerne«, erwiderte Elisa. Sie hatte schon länger vorgehabt, Romys Werkstatt zu besuchen, bislang hatte es nie geklappt. »Passt es dir um elf?«

»Wunderbar. Ich wohne in der Nähe von Montagnola. Danilo hat meine Adresse.« Romy umarmte Elisa zum Abschied. »Bis morgen.«

»Wie fühlst du dich nach diesem großartigen Erfolg?«, fragte Danilo, als sie wenig später Lugano hinter sich ließen und in Richtung Süden fuhren. Da er die Streitereien mit seiner Mutter satthatte und deshalb lieber nicht mit ihr und seinem Bruder unter einem Dach leben wollte, hatte er es seit einigen Jahren vorgezogen, im Rustico der Familie zu wohnen, auch wenn das im Grund nicht mehr war als eine steinerne Hütte. Es bestand aus einem Wohnraum, einem winzigen Schlafzimmer, in dem sie die alten Stockbetten durch ein größeres Bett ersetzt hatten, und einem Lager für das wertvolle Klangholz, aus dem die Instrumente entstanden, für die die Fasettis berühmt waren.

»Ich fühle mich gut«, antwortete Elisa auf Danilos Frage und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. »Es hat so viel Spaß gemacht. Nein«, korrigierte sie sich. »Spaß ist nicht das richtige Wort. Es war … weißt du, dass wir so unfassbar gut miteinander musizieren können, ist für mich immer noch ein echtes Wunder.«

»Das klappt so gut, weil wir uns lieben«, sagte Danilo und griff nach ihrer Hand.

»Ich habe nicht gewusst, dass Liebe so sein kann«, gab sie leise zurück.

»Ich auch nicht«, gestand Danilo und drückte einen Kuss auf ihren Handrücken.

Obwohl sie beide müde waren, liebten sie sich in dieser Nacht mit einer Zärtlichkeit, die Elisa zutiefst berührte. Was für ein Glück sie hatte! Genau wie Cosma hatte sie die Hoffnung bereits aufgegeben, jemals einen Partner zu finden, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Und nun dies. Noch immer fühlte sich alles an wie ein Traum.

Am nächsten Morgen brauchte Elisa eine Weile, bis sie die Adresse gefunden hatte. Romys Haus stand inmitten von Weinbergen in der Nähe des Ortes, von dem Elisa wusste, dass hier einst der Schriftsteller Hermann Hesse gelebt hatte. Es war ein eleganter Bungalow auf einem Hanggrundstück, und Elisa, die auf ihrer Wohnungssuche bereits die Erfahrung gemacht hatte, dass Immobilien in dieser Gegend ganz besonders wertvoll waren, fragte sich, wie Romy es sich leisten konnte, hier zu leben.

»Möchtest du einen Kaffee?« Romy trug einen wollweißen Hausanzug und hatte ihr Haar zu einem kessen Pferdeschwanz zurückgenommen. Sie hatte kein Make-up aufgelegt und wirkte ungeschminkt mit ihren hübschen Sommersprossen viel jünger als achtundzwanzig Jahre.

»Gern«, antwortete Elisa und folgte Romy in die Küche, die sich zum Wohnzimmer hin öffnete. An den Wänden dort entdeckte Elisa großformatige, abstrakte Gemälde. Der Teppich war mit Spielsachen übersät.

»Tut mir leid«, sagte Romy mit einem verlegenen Blick auf das Puppenhaus, über das man einen Schritt machen musste, wollte man zur Küchenzeile gelangen, und schob rasch einige Einhörner beiseite, die die Theke bevölkerten. »Mimi ist gestern nicht mehr zum Aufräumen gekommen, bevor meine Tante sie abgeholt hat.«

Elisa lachte und nahm Romy eines der Einhörner ab. »Sie liebt offenbar Rosarot.«

»Über alles«, gab Romy zurück und rollte mit den Augen. »Wenn ich es nicht verhindern würde, wäre hier alles in Pink gestrichen. Nimmst du deinen Kaffee mit oder ohne Milch?«

Elisa bat um einen Milchkaffee und setzte das rosafarbene Einhorn zu den anderen. Dann folgte sie Romy mit ihrem Becher in der Hand die Treppe hinunter ins Gartengeschoss, das, da das Haus am Hang gebaut war, ebenerdig auf eine große Terrasse hinausging.

»Was für ein grandioser Blick«, rief Elisa begeistert. Durch mehrere bodentiefe Fenstertüren konnte man über den westlichen Arm des Sees hinweg bis zu den Bergen sehen.

»Ich habe riesiges Glück, dass mein Vater mir das alles hinterlassen hat«, sagte Romy beinahe entschuldigend.

Elisa blickte fasziniert hinunter ins Tal und auf das türkis schimmernde Wasser. »Es ist wunderschön hier«, erklärte sie hingerissen. »War dein Vater auch Bogenbauer?«

Romy schüttelte den Kopf. »Er war Maler. Die Bilder oben stammen von ihm. Leider ist er schon vor zehn Jahren gestorben. Er war viel älter als meine Mutter und hätte mein Großvater sein können.«

»Wohnt deine Mutter hier bei euch?«

»Nein. Sie lebt in Paris und kommt nur selten her. Die Erinnerungen tun ihr nicht gut, sagt sie. Meine Eltern haben sich sehr geliebt, weißt du …« Romy wandte sich ab, und Elisa war sich nicht sicher, ob sie noch immer um ihren Vater trauerte oder aus einem anderen Grund so niedergeschlagen war. »Nun ja.« Romy räusperte sich. »Seit Fabio ausgezogen ist, wohnen Mimi und ich allein hier.« Sie presste die Lippen aufeinander, und Elisa verstand, woher ihr Schmerz rührte – von der Trennung von Fabio.

Danilo hatte ihr einmal anvertraut, dass seine Schwägerin eine kurze, unbedachte Affäre gehabt hatte, die sie längst zutiefst bereute. Doch Fabio konnte ihr das offenbar nicht verzeihen.

»Komm, ich zeige dir ein paar von meinen besten Arbeiten«, wechselte Romy das Thema und ging zu einem Sideboard mit tiefen, flachen Schubfächern und öffnete eines. Auf Samt gebettet ruhten darin zehn Cellobögen, einer schöner als der andere. »Willst du sie mal spielen? Du hast dein Instrument doch dabei, oder?«

Elisa hatte die Campanula tatsächlich mitgebracht und holte sie eilig aus dem Wagen. Die nächste Stunde verbrachte sie damit, die vielen Exemplare auszuprobieren, die Romy aus ihren Schränken hervorzauberte. »Deine Bögen sind wirklich etwas Besonderes«, sagte sie schließlich.

»Danke.« Romy strahlte. »Ist denn einer dabei, den du gerne hättest?«

»Einer?« Elisa lachte. »Da sind einige, die mir sehr gut gefallen.«

»Weißt du was? Ich gebe sie dir mit, und du spielst mit ihnen, bis du dich entschieden hast, welcher am besten zu dir passt«, antwortete Romy.

»Aber …«

»Kein ›Aber‹«, fiel ihr die Bogenmacherin freundlich ins Wort. »Dieses Angebot mache ich den meisten meiner Kunden. An einen Bogen muss man sich erst gewöhnen und ihn auch zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Räumen spielen, ehe man weiß, ob man in ihm den passenden Partner hat.«

»Ja, das stimmt«, räumte Elisa ein. Sie wählte drei Bögen aus, die Romy in ein Futteral legte. Und da es inzwischen Mittag geworden war und die Frühlingssonne ihre goldenen Strahlen auf die Terrasse warf, beschlossen die beiden, es sich dort bei einem alkoholfreien Gin Tonic und ein paar Käsewürfeln gemütlich zu machen und ein bisschen zu plaudern. Zuvor jedoch bewunderte Elisa verzückt die Kamelien, die in Romys Garten ihre weiße, rosafarbene und purpurrote Blütenpracht zeigten. In den umliegenden Weinbergen funkelte bereits erstes Grün an den dunklen Stöcken, und der Boden war übersät von Krokussen. Ein Schwarm Vögel zog tief über den See hinweg, und Elisa fragte sich, ob das die ersten Zugvögel waren, die aus südlicheren Gefilden zurückkehrten. »Herrlich hast du es hier.« Mit einem wohligen Seufzen ließ sich Elisa auf einem der gepolsterten Rattansessel nieder.

»Ja, es ist perfekt«, stimmte Romy ihr zu und wirkte doch alles andere als glücklich. Gedankenverloren sah sie auf den See hinunter. »Trotzdem überlege ich manchmal, ob ich nicht einfach alles verkaufen und wegziehen sollte.«

»Warum?«, fragte Elisa verwundert.

Romy atmete tief durch. »Irgendwie geht es mir in letzter Zeit so ähnlich wie meiner Mutter«, gestand sie. »Alles erinnert mich an Fabio und die glückliche Zeit, die wir hier miteinander verlebt haben. Aber natürlich kann ich schon wegen Mimi nicht wegziehen. Jedenfalls nicht weit. Sie hängt so an ihrem Papa. Und an Mariella auch.«

»Du liebst ihn immer noch«, sagte Elisa leise.

Romy sah sie an, und ihre grünblauen Augen schwammen in Tränen. Sie nickte. »Danilo hat dir sicher gesagt, warum wir uns getrennt haben?«, fragte sie und schluckte tapfer. »Das ist nicht schlimm. Ich weiß, dass alle über mich reden.«

»Ja, er hat mir von der Sache erzählt«, gab Elisa verlegen zu. »Aber es ist nicht so, wie du denkst. Danilo findet, dass Fabio einen Fehler macht.«

Romy schien in den Anblick eines der Kameliensträucher versunken. »Er sagt, er kann mir nicht mehr vertrauen.« Sie zog ein Papiertaschentuch aus einer Hosentasche, um sich die Nase zu putzen. »Ich bin ja selbst schuld. Und Mimi ist diejenige, die am meisten leidet.« Elisa war sich da nicht so sicher. Jeder konnte sehen, dass Romy schrecklich unglücklich über die Trennung war. »Weißt du eigentlich, dass Fabio in dich verliebt ist?«, fragte Romy plötzlich, und Elisa hielt vor Schreck die Luft an. »Am Anfang dachte ich, du wärst auch an ihm interessiert«, fuhr sie fort. »Ich glaube, es war für alle eine Überraschung, als du plötzlich mit Danilo zusammen warst.«

»Ich hab Fabio von Anfang an sehr gern gemocht«, versuchte Elisa, ihre Gefühle für Danilos Bruder in Worte zu fassen. »Es war fast so, als würde ich ihn schon ewig kennen. Aber ich habe ihm nie Anlass gegeben, zu glauben, dass er für mich mehr sein könnte als ein richtig guter Freund.« Sie seufzte. »Dass er sich mehr von mir erhofft hat, ist mir erst klar geworden, als er so eifersüchtig reagiert hat. Mir wäre das nie in den Sinn gekommen. Ich hoffe sehr, dass er inzwischen darüber hinweg ist. Ganz bestimmt ist er das«, versuchte sie, sich und Romy zu überzeugen. »Du und Fabio, ihr kommt wieder zusammen. Gib ihm Zeit«, sagte sie, als Romy niedergeschlagen den Kopf schüttelte, und fragte sich zugleich, woher sie das Recht nahm, gute Ratschläge zu erteilen, ausgerechnet sie, die bis vor Kurzem ausgesprochenes Pech mit Männern gehabt hatte.

»Das sagt Mariella auch«, gab Romy resigniert zurück. »Aber ich fühle deutlich, dass er mich nicht mehr liebt. Das spürt man als Frau einfach, oder? Und ich glaube nicht, dass sich das noch mal ändern wird. Die Einzige, an der ihm noch etwas liegt, ist Mimi.«

Auf der Heimfahrt war Elisa sehr nachdenklich. Romy tat ihr furchtbar leid. Andererseits – wäre sie in der Lage, Danilo zu verzeihen, wenn er eine Affäre hätte? Sie war sich nicht sicher. Dabei ging es ja nicht allein ums Verzeihen. Musste man dann nicht ständig fürchten, so etwas könnte sich wiederholen? Er sagt, er kann mir nicht mehr vertrauen, echote es in ihrem Kopf. War Liebe noch möglich, wenn Vertrauen fehlte?

2Die Mühle

»Wo war eigentlich deine Mutter gestern?«, fragte Niklas, als Elisa ihn am Nachmittag in der Rosenholzvilla besuchte. Sie saßen im Musikzimmer, das eigentlich ein kleiner Saal war, in dem sich nicht nur ein ausgewachsener Konzertflügel und eine Sitzgruppe aus gediegenen Ledersesseln befanden, sondern seit Niklas’ Rückkehr aus der Klinik auch sein Bett, damit er nicht in den ersten Stock hinaufmusste. »Hast du sie nicht eingeladen?«

»Sie war verhindert«, antwortete Elisa.

»Natürlich«, gab ihr Großvater sarkastisch zurück. »Wann wäre Anna das nicht?« Elisa schwieg. Natürlich war sie enttäuscht gewesen, als ihre Mutter ihr mitgeteilt hatte, dass sie es leider nicht zu ihrem Auftritt schaffen würde. Das würde sie ihrem Großvater allerdings nicht auf die Nase binden. »Wenn man bedenkt«, fuhr er jetzt fort, »dass sie es war, die damals dafür gesorgt hat, dass du nicht mehr Cello spielen konntest …«

»Niklas, bitte«, unterbrach Elisa ihn sanft, aber bestimmt. »Anna musste nach London. Wegen einer Modenschau.«

»Das ist natürlich wichtiger als ihr Kind, das sieht ja jeder ein«, gab ihr Großvater zurück. Elisa seufzte. Niklas und Anna waren heillos miteinander zerstritten. Und was Elisa am meisten daran quälte, war die Tatsache, dass es dabei stets um sie ging. »Immerhin war das dein erster Auftritt seit langer Zeit«, setzte Niklas hartnäckig hinzu. »Und ich kann gar nicht genug betonen, was für eine großartige Leistung es war, dass du dich nach diesem ganzen Debakel endlich wieder auf eine Bühne getraut hast.«

»Sie hat mir den schönen Rock und das Oberteil geschickt«, führte Elisa zu Annas Gunsten ins Feld.

»Na, das sieht ihr ähnlich«, entgegnete ihr Großvater. »Hauptsache man ist nach der neuesten Mode gekleidet. Wie konnte ich nur mit einer so oberflächlichen Tochter gestraft werden?«

»Können wir bitte von etwas anderem reden?«, fragte Elisa gereizt. Mit »Debakel« meinte ihr Großvater jenes Konzert in der Carnegie Hall in New York, zu dem die internationale Fachkritik angereist war, von den Agenten und Musikproduzenten ganz zu schweigen, die miteinander um Schallplattenverträge mit diesem gefeierten Cellotalent konkurriert hatten. Und genau in diesem Konzert hatte Elisa einen Hörausfall gehabt, war von der Bühne gelaufen und nie mehr aufgetreten. Bis gestern. Und sie hatte keine Lust, diese alte Geschichte wieder und wieder durchzukauen. Sie hatte lange genug darunter gelitten.

»Worüber würdest du denn gerne reden?«, gab Niklas zurück.

»Wie wäre es mit deiner heutigen Übungsstunde mit Amadou? Kommst du gut voran?« Elisa biss sich auf die Zunge. Es war gemein, Niklas, der früher stets vor Gesundheit nur so gestrotzt hatte, an seine körperlichen Defizite zu erinnern. Wie bitter es für ihn sein musste, im Rollstuhl zu sitzen, wo er doch noch vor wenigen Monaten weltberühmte Orchester dirigiert hatte, konnte vermutlich nicht einmal sie ermessen.

»Demnächst brechen wir zu einer Bergtour auf«, erklärte er jedoch zu ihrer Überraschung. »Ich rate dir, zu trainieren, falls du mitkommen willst.« Seine Mundwinkel zuckten, und Elisa registrierte erleichtert, dass er ihr ihre Bemerkung keineswegs übel nahm.

»Wo geht es denn hin?«, ging Elisa auf das Spiel ein.

»Den Olymp hinauf, wie es sich für einen Gott wie mich geziemt«, gab Niklas zurück. »Und jetzt Schluss mit dem Blödsinn. Morgen essen wir alle zusammen. Sieh zu, dass Danilo auch kommt.«

»Morgen sind wir schon verabredet«, erklärte Elisa. »Wir sind bei Cosma eingeladen.«

»Bei der Tierärztin?«

»Ja genau.«

»Willst du einen Hund adoptieren? Oder einen Esel?«

»Nein. Aber vielleicht ziehen wir bei ihr ein.«

Niklas musterte sie streng. »Wieso zieht ihr nicht endlich in die Rosenholzvilla?«, fragte er. »Wie oft soll ich euch das denn anbieten! Hier ist Platz genug.« Elisa seufzte. Noch ehe sie zu einer Antwort ansetzen konnte, schob Niklas nach: »Du hast keine Lust, bei deinem alten Opa zu wohnen, stimmt’s?«

»Niklas …«, begann sie. »Versetz dich doch mal in meine Lage. Hättest du mit dreiunddreißig noch bei deinem Großvater wohnen wollen?«

»Mit dreiunddreißig war das Dirigentenpult meine Heimat«, bellte Niklas zurück.

»Eben«, beeilte Elisa sich zu sagen. Zu spät war ihr eingefallen, dass ihr Großvater in ihrem Alter bereits seine Frau verloren hatte.

»Und mein Großvater lebte damals schon nicht mehr. Aber …«

»Danilo möchte hier nicht einziehen«, fiel ihm Elisa ins Wort. »Er würde sich vorkommen wie ein …« Sie suchte noch nach dem passenden Wort, als Niklas ihr zuvorkam.

»Wie ein Schmarotzer? Ja, das kann ich verstehen.« In diesem Moment klopfte es an der Tür. »Herein!« Niklas klang gereizt.

Es war Serafina, seine Haushälterin, die vorsichtig den Kopf ins Zimmer streckte. Wie so oft war ihre dunkle Lockenmähne, die sie stets versuchte, zu einem ordentlichen Knoten zusammenzustecken, bereits wieder in Auflösung. Serafina hatte ein großes Herz und die fatale Gabe, sich stets in die falschen und mitunter gewalttätigen Männer zu verlieben. Erst neulich hatte sie Amadou gebeten, ihrem Ex-Freund ins Gewissen zu reden, der nicht akzeptieren wollte, dass die Beziehung beendet war. Ein Gespräch unter Männern hatte genügt, um ihn eines Besseren zu belehren, denn Amadou war eine imponierende und sportliche Erscheinung. »Ich wollte nur sagen, dass ich jetzt einkaufen fahre«, sagte Serafina.

»Um Himmels willen, deshalb müssen Sie uns doch nicht stören«, polterte Niklas los, und die junge Frau schloss rasch die Tür. »Noch mal wegen morgen.« Niklas wirkte auf einmal nervös. »Ich hab euch allen etwas … etwas Wichtiges mitzuteilen. Und das wollte ich so bald wie möglich hinter mich bringen.«

»Geht das nicht an einem anderen Tag?«, fragte Elisa. »Wie gesagt, morgen sind wir bei Cosma eingeladen.«

»Dann treffen wir uns eben am Montag.« Fast schien Niklas ein wenig erleichtert, die Sache noch einmal aufschieben zu können. »Ihr kommt einfach alle am Montagabend auf ein Glas Cognac hierher. Und wir reden in aller Ruhe.«

Elisa betrachtete ihren Großvater und bemerkte die tiefen Sorgenfalten um Mund und Augen. »Was willst du uns denn mitteilen?« Wenn ihr Großvater Cognac ausschenkte, musste etwas Außergewöhnliches bevorstehen. Alles Mögliche schoss ihr durch den Kopf. Hatte Niklas eine schlimme Diagnose erhalten, ohne dass sie es mitbekommen hatte? Nein, das war ausgeschlossen. Sie begleitete ihn ja stets zu den Untersuchungen in die Klinik.

»Das erfährst du noch früh genug. Fahr du mal zu deiner Tierärztin«, gab Niklas zurück. Er lenkte seinen Rollstuhl in Richtung Flügel. »Jetzt weiß ich auch, warum Amadou gefragt hat, ob er am Sonntag freihaben kann.« Er schnaubte. »Als ob er mich darum bitten müsste, ich bin doch kein Ausbeuter«, brummelte er vor sich hin und begann, in den dort aufgeschlagenen Noten zu blättern. »Sonntags arbeiten wir ja nie. Also, was ist?«, fragte er über seine Schulter hinweg. »Willst du eine Übungsstunde? Dann hol dein Instrument.«

Und obwohl Elisa es nicht fassen konnte, dass ihr Großvater sie mitunter noch immer behandelte wie mit sechzehn, und sie sich außerdem fragte, was Amadou mit ihrer Wohnungsbesichtigung zu tun haben sollte, ging sie rasch die Campanula holen. Denn von Niklas Eschbach konnte sie noch immer eine Menge lernen.

Die Frühlingssonne umhüllte das Anwesen der alten Mühle mit einem fast schon unwirklich goldenen Schein, als Elisa und Danilo am nächsten Tag pünktlich um zwölf dort eintrafen. Die mächtige Eiche in der Mitte des Hofs, um den sich das Hauptgebäude und mehrere ehemalige Ställe gruppierten, zeigte bereits den ersten, zarten Flor. Es war ein milder Tag, der Elisa verzauberte und vollkommen vergessen ließ, dass es erst Anfang Februar war und kalendarisch noch immer Winter herrschte – nicht jedoch in diesem südlichsten Zipfel der Schweiz.

Wie schön wäre es, hier zu wohnen, dachte Elisa, und als hätte Danilo ihre Gedanken gelesen, sagte er: »Die Mühle hat mir von Anfang an gefallen.«

Er hatte ihr erzählt, dass er gemeinsam mit Fabio, Dante und einigen anderen Freunden einen ganzen Sommer lang geholfen hatte, das Erdgeschoss des Hauses bewohnbar zu machen, nachdem Cosma das verwahrloste Anwesen in einem Anfall von Wagemut gekauft hatte. »Zumindest weiß ich, dass die Elektrizität und die Wasserleitungen im gesamten Haus erneuert wurden«, hatte er noch am Morgen gesagt, als sie über Cosmas großzügiges Angebot beratschlagt hatten. »Aber wir hatten damals genug damit zu tun, die untere Wohnung herzurichten. Ich glaube, ich war nur ein einziges Mal im Obergeschoss und kann mich nicht mehr gut daran erinnern, wie viele Räume es da oben gibt und in welchem Zustand sie sind.« Das wollten sie nun herausfinden.

Cosma kam ihnen aus dem ehemaligen Pferdestall entgegen, den sie zu einem artgerechten Hundehaus umgebaut hatte. Offenbar hatte sie dort nach ihren Schützlingen gesehen, deren aufgeregtes Bellen man bis in den Hof hören konnte. »Ihr seid die Ersten«, rief sie ihnen fröhlich entgegen. »Lasst uns gleich mit der Hausbesichtigung beginnen.« Aufgeregt schloss sie Elisa, dann Danilo in die Arme. »Ich hab dort oben mal grob durchgefegt. Und ehrlich, so schlimm sieht es gar nicht aus.«

Danilo holte den Korb mit Lebensmitteln aus dem Kofferraum, den Elisa für das gemeinsame Grillen gepackt hatte, und folgte den beiden Frauen ins Haus. Zunächst gelangten sie in das Vestibül, dessen Boden mit blaugrauen Steinfliesen bedeckt war. Eine verglaste Doppeltür trennte es von der Erdgeschosswohnung, die Elisa von früheren Besuchen kannte. Linker Hand führte eine Treppe nach oben, die sie bisher nie beachtet hatte.

»Ihr hättet hier also einen separaten Eingang«, erklärte Cosma, während Danilo den Korb in ihrer Küche abstellte. »Ich geh mal voran, ja?«

»Ist das Marmor?« Elisa betrachtete erstaunt die abgetretenen Treppenstufen.

»Hier ist vieles aus Marmor«, erwiderte Cosma. »Ganz in der Nähe befindet sich ein Steinbruch, der inzwischen aufgegeben wurde.«

Elisa wusste, wovon sie sprach, Danilo hatte ihr diesen Ort an ihrem ersten gemeinsamen Abend gezeigt. Nachdenklich folgte sie Cosma nach oben, bis sie vor einer ähnlichen Tür wie die vor Cosmas Wohnung standen. Cosma schloss sie auf, und sie betraten eine kleine Diele, in der sich als einziges Möbelstück eine Standuhr befand. Mehrere Türen führten zu weiteren Räumen.

»Sieht so aus, als wären die beiden Stockwerke schon immer zwei getrennte Wohnbereiche gewesen.« Danilo untersuchte die Standuhr, als fragte er sich, ob er sie wohl wieder zum Laufen bringen könnte.

»Ja, ich vermute, dass hier früher mehrere Generationen unter einem Dach gelebt haben.« Cosma öffnete eine der Türen. »Hier ist der salotto.«

Unter Elisas Füßen knarrten Holzdielen, als sie ihn betrat. Drei große Fenster gingen zum Hof hinaus, sie waren von dem Efeu fast vollständig zugewachsen, nur grünlich schimmerndes Dämmerlicht drang in den großen Wohnraum. Den Fenstern gegenüber befand sich ein offener Kamin, den Danilo sogleich inspizierte.

»Außer diesem gibt es noch einen zweiten Schornstein im Haus, oder?«, fragte er.

Cosma nickte. »Ja, der zweite war ursprünglich für die Küche gedacht. Früher stand bei mir unten ein uralter Holzherd, so einer wie bei euch im Rustico. Ich hab mir allerdings mittlerweile einen modernen Elektroherd angeschafft.«

»Das heißt, dass auch Starkstrom im Haus ist, richtig?«

»Natürlich. Ernesto hat das damals alles verlegt. Erinnerst du dich nicht mehr?«

»Nicht im Detail. Ich kann mich vor allem an endlose Wände erinnern, die wir verspachtelt und gestrichen haben. Holzdielen, die ausgebessert werden mussten. Und an dein Badezimmer, das neu gefliest wurde.«

»Wir haben auch das Dach repariert«, fügte Cosma hinzu. »Zwei Balken mussten erneuert werden. Damit haben wir angefangen.« Sie stöhnte bei der Erinnerung daran. »Ich habe drei Nächte nicht geschlafen, weil ich dachte, ich würde das niemals schaffen.«

»But With a little Help from your Friends …«, zitierte Danilo frei den berühmten Beatles-Song.

»Ja genau.« Cosma legte ihm kumpelhaft eine Hand auf die Schulter. »Ihr wart meine Rettung. Also ist es nur recht und billig, wenn auch ihr hier ein Heim findet. Ich meine, falls es euch gefällt.«

Sie öffnete die Türen zu den anderen Räumen, drei kleinere Zimmer, von denen zwei untereinander durch eine weitere Tür verbunden waren. Die uralten, einst geblümten Tapeten waren verblichen und hingen an einigen Stellen von der Wand. Man konnte noch sehen, wo früher Möbel gestanden hatten. Die Dielenböden waren von einer Schicht aus Staub bedeckt, schienen jedoch in Ordnung zu sein. Als Cosma eine weitere Tür öffnete, wich Elisa allerdings zurück.

»Uuuh.« Sie verzog angeekelt das Gesicht. »Das riecht schlimm.« Es war das Badezimmer, und allen war sofort klar, dass es hier mit ein bisschen Streichen nicht getan sein würde.

»Okay«, sagte Danilo, nachdem er sich todesmutig hineingewagt und mit einiger Mühe ein Fenster aufgestoßen hatte. »Hat Dante diesen Presslufthammer noch, mit dem wir deinem alten Bad zu Leibe gerückt sind, Cosma?«

»Wir werden ihn fragen«, lautete die Antwort.

Auch in der Küche würden sie einiges tun müssen. Zu Elisas Freude verfügte sie über eine kleine Loggia, von der eine Holztreppe hinunter in den Garten führte.

»Wo seid ihr denn?«, hörten sie plötzlich Dantes Stimme aus dem Hof.

Als Elisa sich über die Brüstung beugte, entdeckte sie Cosmas Bruder unter der alten Eiche. Und er war nicht allein. Neben ihm stand Amadou und winkte fröhlich zu ihr herauf. »Seht mal! Amadou ist mitgekommen!«, rief sie, bemerkte dabei, dass Cosma leicht errötete. Niklas’ Worte vom Tag zuvor fielen ihr wieder ein. War es möglich, dass er früher als sie bemerkt hatte, dass sich zwischen den beiden etwas entwickelte?

»Ich hab ihn eingeladen, damit er mal rauskommt und nicht nur mit deinem Großvater abhängen muss.« Und schon war Cosma die Holztreppe hinuntergestürmt, um die beiden Neuankömmlinge zu begrüßen.

Elisa und Danilo tauschten einen verblüfften Blick. »Läuft da was zwischen Amadou und Cosma?«, fragte Danilo.

»Sieht fast so aus«, gab Elisa voller Freude zurück. »Ich fände das großartig! Nun sag mal: Wie findest du die Wohnung?«

»Sie wird schön sein, wenn sie erst einmal hergerichtet ist.« Danilo legte seinen Arm um ihre Schulter, und gemeinsam gingen sie zurück ins Haus. Langsam schlenderten sie von einem Raum zum anderen. »Jeder von uns hätte ein eigenes Zimmer. Und in dem dritten hier könnten wir schlafen. Außerdem ist da noch der schöne, große salotto …«

»Ja, hier könnte ich mich wohlfühlen.« Elisa versuchte sich vorzustellen, wie sie das Wohnzimmer mit dem offenen Kamin einrichten würde. Am liebsten hätte sie die Fenster von den Efeuranken befreit, damit mehr Licht hereinfiel und sie alles besser betrachten konnten. Aber selbst in dem grünlichen Schein, der durch das Laub drang, wirkte der Raum geräumig und durch die traditionelle Balkendecke äußerst gemütlich. »Nur das Bad macht mir Sorgen. Meinst du, das kriegen wir hin?«

»Wenn Dante und Ernesto uns helfen, warum nicht?« Danilo drehte Elisa sanft zu sich. »Weißt du eigentlich, dass du die erste Frau bist, mit der ich mir vorstellen kann, zusammenzuziehen?« Er schloss sie in seine Arme, küsste sie, und Elisa schmiegte sich an ihn.

»Na, ihr Turteltäubchen«, ertönte Dantes Stimme mit einem Lachen hinter ihnen. Sie trennten sich nur zögernd voneinander, um ihn zu begrüßen. »Gefällt es euch hier? Ernesto ist da. Hier kommt er schon.«

Ein kleiner, stämmiger Mann kam die Treppe heraufgestapft. Seine dunklen Haare waren kurzgeschnitten und standen wie bei einem Igel vom Kopf ab. Über seinen freundlichen braunen Augen wirkten seine Brauen wie schwarze Balken. »Ciao.« Er streckte Elisa seine überraschend große Hand hin.

»Freut mich sehr«, antwortete sie und erwiderte seinen kräftigen Händedruck.

»Gut, dich zu sehen, Ernesto«, sagte Danilo und schlug ihm auf die Schulter. Ernesto strahlte. »Darf ich dir Elisa vorstellen? Meine Freundin.«

»Davon hab ich schon gehört«, gab Ernesto zurück. »Ich meine, dass du tatsächlich sesshaft werden willst.«

»Ja, Mann, das ist wirklich erstaunlich, was?« Danilo lachte. »Was die Liebe so mit einem alles anstellt! Für Elisa gilt übrigens dasselbe. Sie war bis vor Kurzem als Flugbegleiterin auf der ganzen Welt unterwegs.«

»Und jetzt wollt ihr ausgerechnet hier Wurzeln schlagen?« Ernesto sah sich skeptisch um.

»Warum nicht?«, fragte Cosma, die gemeinsam mit Amadou in die Diele trat. »Ist doch schön hier.«

»Das finde ich auch«, sagte Danilo. »Komm, Ernesto, ich zeig dir gleich das größte Problem.« Er zog seinen Freund in Richtung des Badezimmers, und Dante und Amadou folgten den beiden.

»Wollen wir das Essen vorbereiten?«, schlug Cosma Elisa vor. »Die vier werden jetzt sowieso eine Weile fachsimpeln. Ich dachte, wir könnten tatsächlich draußen essen, was meinst du? Die Luft ist so mild.«

»Gute Idee!« Elisa drehte sich noch einmal langsam um die eigene Achse und ließ ihren Blick über die Räumlichkeiten gleiten. Die Türen zu den Zimmern standen offen. »Die Wohnung ist wirklich schön«, sagte sie schließlich. »Du könntest sie sanieren und als Ferienwohnung vermieten. Damit würdest du dir ein gutes Zubrot verdienen.«