Weihnachten in der Rosenholzvilla - Tabea Bach - E-Book

Weihnachten in der Rosenholzvilla E-Book

Tabea Bach

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Beschreibung

Weihnachten steht vor der Tür, und ganz unüblich fürs Tessin regnet es seit Tagen in Strömen. Unter Elisas Federführung und nach Niklas' Wunsch wurde die Rosenholzvilla umgebaut zum Erholungsort für erkrankte Musikerinnen und Musiker aus aller Welt. Und es hat sich vor den Festtagen schon ein allererster Gast angesagt: ausgerechnet Adrien Dufois, Elisas ehemaliger Konkurrent ...
Als wäre das nicht schwierig genug, vermissen auch alle Amadou, der in den Senegal zurückgekehrt ist, und Fabio, der weiter in Cremona weilt. Um trotz allem Weihnachtsstimmung heraufzubeschwören, fahren Elisa und Danilo mit Mimi in ein kleines Tessiner Bergdorf, in dem unerwartete Ereignisse für Aufregung sorgen ...

Ein zauberhafter Weihnachtsband zur ROSENHOLZVILLA-Saga

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Seitenzahl: 179

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumZitat1 Der erste Gast2 Plätzchenbäckerei3 Die Campanulas4 Der Christbaum5 Die Glocken6 Geburtstagsüberraschungen7 WeihnachtszauberNachwortLeseprobe »Entscheidung in der Rosenholzvilla«

Über dieses Buch

Weihnachten steht vor der Tür, und ganz unüblich fürs Tessin regnet es seit Tagen in Strömen. Unter Elisas Federführung und nach Niklas' Wunsch wurde die Rosenholzvilla umgebaut zum Erholungsort für erkrankte Musikerinnen und Musiker aus aller Welt. Und es hat sich vor den Festtagen schon ein allererster Gast angesagt: ausgerechnet Adrien Dufois, Elisas ehemaliger Konkurrent …

Als wäre das nicht schwierig genug, vermissen auch alle Amadou, der in den Senegal zurückgekehrt ist, und Fabio, der weiter in Cremona weilt. Um trotz allem Weihnachtsstimmung heraufzubeschwören, fahren Elisa und Danilo mit Mimi in ein kleines Tessiner Bergdorf, in dem unerwartete Ereignisse für Aufregung sorgen …

Über die Autorin

Tabea Bach war Operndramaturgin, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Ihre Romanreihen sind Bestseller und in verschiedene Sprachen übersetzt. Ihr Studium führte sie nach München und Florenz. Heute lebt sie mit ihrem Mann in einem idyllischen Dorf im Schwarzwald, Ausgangspunkt zahlreicher Reisen in die ganze Welt. Die herrlichen Landschaften, die sie dabei kennenlernt, finden sich als atmosphärische Kulisse in ihren Büchern wieder. Ihre KAMELIEN-INSEL-Saga führt uns in die Bretagne. In den SEIDENVILLA-Romanen wechselt der Schauplatz zu einer Seidenweberei in Venetien. Die SALZGARTEN-Reihe hat als Kulisse die Kanarischen Inseln. Ihre ROSENHOLZVILLA-Romane handeln von einer Instrumentenbauerfamilie im Tessin.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Lektorat: Melanie Blank-Schröder

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung:www.buerosued.de

Umschlagmotiv: © Mark Owen/Trevillion Images; © www.buerosued.de

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-6098-0

luebbe.de

lesejury.de

Berge kommen nicht zusammen, aber Menschen.

Sprichwort aus Israel

1

Der erste Gast

F

Der Regen prasselte auf das Dach der alten Mühle, als Elisa erwachte. Das gleichmäßig plätschernde Geräusch vermischte sich mit dem Rauschen des Mühlbachs, der in den letzten Tagen angeschwollen und über die Ufer getreten war, sodass ihre Lieblingsbank nasse Füße bekommen hatte. Rasch schloss Elisa wieder die Augen und kuschelte sich dicht an Danilo, der neben ihr friedlich schlummerte.

Es regnete seit Tagen, dabei war das überhaupt nicht typisch für das Tessin, die »Sonnenstube der Schweiz«, in der auch im Winter meist die Sonne schien und sich der Himmel mit seinem schönsten Blau schmückte. Aber in diesem Jahr war alles anders.

Danilo murmelte etwas im Schlaf und drehte sich ein wenig mehr zu ihr. Elisas Herz floss beinahe über vor Zärtlichkeit und Liebe, und am liebsten hätte sie den ganzen Tag in seinen Armen verbracht. Doch das ging nicht. An diesem Sonntagmorgen erwartete die Rosenholzvilla ihren ersten Gast, ausgerechnet drei Tage vor Weihnachten.

Sie sah auf das Display ihres Handys auf dem Nachttisch und war schlagartig hellwach. Es war schon kurz nach neun. Wenn sie nicht wollte, dass der Musiker vor verschlossenen Türen stand, musste sie sich beeilen. Elisa kannte noch nicht einmal seinen Namen. Aber vielleicht hatte Alexander Hilbour, der ehemalige Manager ihres Großvaters und nun Vorsitzender der Auswahlkommission der Niklas-Eschbach-Stiftung, ihr inzwischen eine Nachricht geschickt? Fehlanzeige. Elisa legte das Handy weg und stand auf.

Es war für alle eine Riesenüberraschung gewesen, als Niklas Eschbach nach seinem Tod im vergangenen Sommer testamentarisch verfügt hatte, dass sein Anwesen samt Vermögen einer neu gegründeten Stiftung zugutekommen sollte. Damit wollte der berühmte Dirigent Musiker unterstützen, die durch eine schwere Krankheit aus ihrem Berufsleben gerissen wurden. Zum einen finanziell, denn viele Künstler sahen sich vor existentiellen Schwierigkeiten, wenn sie nicht mehr auftreten konnten. Zum anderen sollte die Rosenholzvilla ein Ort werden, an dem sich Musiker erholen konnten, um so bald wie möglich wieder ihren Beruf ausüben zu können. Und in weniger als einer Stunde würde der erste eintreffen.

Elisa duschte kurz und schlüpfte in ihre Kleider. Tuschte ihre Wimpern – für mehr blieb keine Zeit. Sie schnappte ihre Handtasche, packte ihre Geldbörse hinein und prüfte, ob sie auch die Schlüssel zur Villa eingesteckt hatte. Als sie das Handy nahm, sah sie, dass sie einen Anruf ihrer Mutter Anna verpasst hatte – sie würde sie später zurückrufen. Für ein Frühstück reichte es nicht mehr, sie hatte eindeutig zu lange geschlafen.

Sie rannte die Treppe hinunter und griff nach ihrem Schirm. Aus der Erdgeschosswohnung, in der ihre Freundin Cosma wohnte, war nichts zu hören. Entweder schlief auch sie noch, oder sie war bereits unterwegs zu einem ihrer vierbeinigen Patienten, denn Cosma war Tierärztin und hatte in den früheren Stallungen der alten Mühle ein privates Hundeasyl eingerichtet. Von dort drang fröhliches Gebell, als Elisa durch den Regen zu ihrem himbeerfarbenen Cinquecento hastete. Eilig wendete sie den Wagen und fuhr aus dem Hof.

Vor seinem Tod hatte ihr Großvater mit keinem Wort erwähnt, dass er vorhatte, eine Stiftung zu gründen, und vor allem Anna, Elisas Mutter, hatte ihm das zunächst ziemlich übel genommen. Doch im Grunde war seine Entscheidung absolut folgerichtig gewesen, dachte Elisa, während sie den Cinquecento die gewundene Straße hinuntersteuerte. Denn Niklas Eschbach hatte nach mehreren Schlaganfällen am eigenen Leib erfahren müssen, wie schwierig es war, wenn eine Krankheit die Arbeit unmöglich machte. Dass er sein stattliches Vermögen anderen Künstlern zugutekommen lassen wollte, fand Elisa großartig.

Denn auch sie wusste, wie es war, mitten in einer vielversprechenden Karriere aus der Bahn geworfen zu werden. In ihrer Jugend hatte sie als Wunderkind am Cello gegolten, doch im Alter von sechzehn Jahren erlitt sie ausgerechnet während ihres bislang wichtigsten Konzerts einen Hörausfall, der sie vollkommen aus der Bahn geworfen hatte. Danach hatte sie ihre Profilaufbahn bis heute nicht wieder aufgenommen. Noch nicht, sagte sie sich, als sie bei Mendrisio auf die Autobahn einbog. Denn inzwischen hatte sie dank Danilo zur Musik zurückgefunden.

Sie brauchte eine gute halbe Stunde von der alten Mühle an der Flanke des Monte San Giorgio bis zu dem Dorf Morione hoch über dem Luganer See. Die Lage der Villa an den Hängen des Monte Arbòstora war einzigartig und der Park, in dessen Rosengarten Niklas Eschbach seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, von zauberhafter Schönheit. Elisa fand, dass sich jeder glücklich schätzen konnte, der hier eine Weile leben durfte.

Es war zehn vor zehn, als Elisa durch das schmiedeeiserne Tor des Anwesens fuhr. Sie hatte Serafina, der Perle des Hauses, für diesen Tag freigegeben, denn nach Ankunft des Gastes würde die Haushälterin auch über die Weihnachtsfeiertage im Einsatz sein. Elisa seufzte. Keiner hatte damit gerechnet, dass der Musiker tatsächlich noch in den letzten Tagen des alten Jahres herkommen würde. Wer wollte Weihnachten schon allein in einer unbekannten Villa verbringen, egal wie schön sie war? Elisa schüttelte einmal mehr den Kopf darüber. Sie eilte die fünf Stufen der geschwungenen Freitreppe zum Portal hinauf, deren steinerne Balustraden am unteren Ende in einer Schneckenform ausliefen wie der Hals einer Geige. Denn die Villa war einst der Familiensitz der Geigenbaumanufaktur Fasetti gewesen, die seit Generationen Streichinstrumente herstellte. Heute leitete Danilo, Elisas Lebensgefährte, die Werkstatt, die sich samt einem einfachen Wohnhaus unterhalb des Parks befand. Ein wunderschöner Hain aus Rosenholzbäumen säumte den Fußweg dorthin, die der Villa ihren Namen gegeben hatten.

Elisa schloss die mächtige Eingangstür auf und betrat das Vestibül. Gedämpftes Licht fiel durch die Fenster, streifte den aus verschiedenfarbigen Terrakottafliesen gestalteten Fußboden und zauberte Lichtreflexe auf die Einlegearbeiten aus Rosenholz im Geländer der Treppe, die in den ersten Stock führte. Dort hinauf eilte sie nun, um in dem Zimmer, das für den Gast bereits hergerichtet worden war, die Fenster zu öffnen und frische Luft hereinzulassen, denn der Regen hatte gerade nachgelassen.

Elisa sah sich um. Serafina hatte alles perfekt vorbereitet. Es war der schönste der Räume, mit Blick über das Dorf hinweg auf den See, der nun unter den zaghaft zwischen den Wolken hervorblitzenden Sonnenstrahlen aufleuchtete wie flüssiges Aquamarin. Die Blätter der Palmen vor den Fenstern schienen glitzernde Diamanten zu versprühen, und die eben noch so tristen Wolken leuchteten in einem intensiven Blauviolett auf.

Elisa wandte sich vom Fenster ab und ließ ihren Blick über die Einrichtung gleiten. Auf dem Tisch stand in einer Vase ein Kamelienzweig mit drei großen weißen Blüten, Serafina musste diesen wunderschönen Winterblüher im Park geschnitten haben, und Elisa freute sich, wie liebevoll die junge Italienerin sich ihrer neuen Aufgabe widmete. Sie hatte Elisas Großvater viele Jahre lang den Haushalt geführt und war nun von der Stiftung in dieser Position eingestellt worden. Elisa war noch auf der Suche nach einem Hausmeister, außerdem vermisste sie schmerzlich Amadou Botta, den senegalesischen Physiotherapeuten, der Niklas Eschbach so großartig betreut hatte. Er war nach dessen Tod in seine Heimat gereist, weil er sich um seine Familie kümmern musste. Und obwohl er sich jetzt schon seit Monaten nicht mehr gemeldet hatte, hoffte Elisa noch immer, dass er eines Tages zurückkommen und die ihm angebotene Stellung in der Stiftung annehmen würde. Auch um ihrer Freundin Cosma willen, mit der er zusammen gewesen war und die unter der Trennung litt.

Erneut warf Elisa einen Blick auf ihr Handy, aber von Alexander war noch immer keine Nachricht eingetroffen. Und da hörte sie auch schon das Nahen eines Automotors. Als sie das Fenster schloss, sah sie, wie ein Taxi in die Einfahrt rollte und neben ihrem Fiat zum Stehen kam. Rasch verließ sie das Zimmer und eilte hinunter ins Foyer.

Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr, als sie auf die Schwelle der Rosenholzvilla trat, und gab dem Taxifahrer mit einem leicht französischen Akzent Anweisungen. Seine rechte Hand steckte in einem festen Verband. Als er sich umwandte, stockte Elisa der Atem. Mit allem hätte sie gerechnet. Aber nicht mit Adrien Dufois, ihrem größten Konkurrenten aus der Zeit, als sie an ihrem Cello noch als Elisa Maria Eschbach die Bühnen dieser Welt erobert hatte.

»Oh nein«, entfuhr es ihr leise, und an seinem entsetzten Gesichtsausdruck war deutlich zu sehen, dass sich der Gast ebenso wenig über ihren Anblick freute wie sie sich über seinen. Doch sie riss sich zusammen. »Herzlich willkommen«, sagte sie gefasst. »Bienvenu, Adrien.«

»Was machst du denn hier?«, stieß er fast gleichzeitig hervor.

Elisa holte tief Luft. Offenbar hatte Adrien noch immer keine Manieren. Und schon stand ihr alles wieder vor Augen. Die Begegnungen mit ihm bei den internationalen Wettbewerben, zu denen sie damals gegeneinander angetreten waren. Wie unfair er sich viele Male verhalten hatte. Hinter ihrem Rücken hatte er über sie gelästert und behauptet, sie wäre nur deshalb so erfolgreich, weil sie die Enkelin des berühmten Niklas Eschbach war, in Wahrheit wäre sie gar nicht so gut. Und als ihr während eines Wettbewerbs zweimal dieselbe Saite gerissen war und sie keinen Ersatz mehr hatte, da hatte er sich doch tatsächlich geweigert, ihr auszuhelfen – und so was tat man unter Musikern einfach nicht. Die Saite hatte ihr eine andere Mitbewerberin geliehen, und auf diese Weise hatte Elisa den Wettbewerb trotzdem gewonnen und damit wieder einmal Adrien auf den zweiten Platz verwiesen, was ihn unsagbar geärgert hatte. So war das bis zu jenem Tag gewesen, an dem sie während eines Konzerts in der New Yorker Carnegie Hall vor einem Publikum aus internationalen Kritikern und Vertretern von Schallplattenlabels, ja, sogar vor dem amerikanischen Präsidenten samt der First Lady versagt hatte. Danach war sie nie wieder aufgetreten. Dass ihr Großvater ihr geliebtes Cello ausgerechnet an Adrien Dufois verkauft hatte, erfuhr sie erst später. Vermutlich war es genau das Cello, das der Taxifahrer gerade aus dem Kofferraum hob.

»Danke für die nette Begrüßung«, gab Elisa reserviert zurück. Du lieber Himmel, dachte sie. Dieser schreckliche Mensch soll hier wochen-, wenn nicht monatelang leben? »Ich bin die Vorsitzende der Niklas-Eschbach-Stiftung und heiße dich in dieser Funktion willkommen. Bitte tritt ein.« Verärgert drehte sie sich auf dem Absatz um und ging ins Foyer. »Dein Zimmer befindet sich im ersten Stock. Wenn du mir folgen möchtest …« Ohne sich umzusehen, stieg sie die Treppe hinauf. Und doch, mit jedem Schritt verflog ihre Wut. Schließlich lag die Zeit, in der sie erbitterte Konkurrenten gewesen waren, lange zurück. Siebzehn Jahre waren inzwischen vergangen. Und sich ihrer Rolle als Gastgeberin erinnernd und daran, dass Adrien offensichtlich an der Hand verletzt war, hielt sie inne.

Doch Adrien Dufois folgte ihr gar nicht. Er stand im Foyer und sah aus wie ein Tourist, der sich verlaufen hatte. Plötzlich wandte er sich abrupt um und verließ die Villa.

Einen Moment lang hoffte Elisa tatsächlich, er würde sich wieder ins Taxi setzen und abreisen. Dann schalt sie sich. Welches Licht würde es auf die noch junge Stiftung werfen, wenn gleich der erste Gast das Handtuch warf? Sie eilte die Treppe hinunter und sah gerade noch, wie das Taxi durch das Tor fuhr und verschwand. Adrien musste allerdings noch hier sein, denn vor der Freitreppe stand sein Gepäck samt dem Cellokoffer. Wo mochte er stecken?

Die Pforte zum Garten war offen. Als Elisa näher trat, sah sie Adrien Dufois in der Haltung eines trotzigen Kindes mitten im Rosengarten stehen. Mit seiner bandagierten Hand wirkte er irgendwie hilflos, und Elisa beschloss, ihn zunächst einfach in Ruhe zu lassen.

Sie ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Auf nüchternen Magen war dieser Mensch einfach nicht zu ertragen, und so holte sie Serafinas Gebäckdose aus der Vorratskammer. Während sich das Wasser in der Kaffeemaschine blubbernd erhitzte, knabberte sie an einem Keks und spähte durch das Fenster in den Park. Adrien ging zwischen den Rosen, von denen auch jetzt noch ein paar Sträucher Blüten trugen, auf und ab, als überlegte er, was er tun sollte.

Auf einmal begann es erneut heftig zu regnen. Ohne lange zu überlegen, lief Elisa ins Foyer, nahm zu ihrem eigenen Schirm noch einen zweiten von der Garderobe und eilte hinaus in den Park. Statt zurück zur Villa war Adrien weiter zu dem Becken mit den Kois gestapft, hatte sich den Kragen seines Wintermantels hochgeschlagen und starrte auf die Wasseroberfläche, auf der die Regentropfen Blasen warfen.

»Hier«, sagte Elisa und reichte ihm den Schirm. »Besser wir gehen rein.«

»Wenn ich gewusst hätte, dass du hier bist …« Adrien ließ den Satz unbeendet.

»Was dann?«, gab sie zurück. »Wärst du nicht gekommen?«

»Natürlich nicht.«

»Du bist selbstverständlich nicht gezwungen hierzubleiben«, sagte Elisa so freundlich wie möglich. »Wir haben viele Bewerbungen, und ein anderer freut sich sicher, wenn er nachrücken darf.«

Adrien starrte sie böse an. Dann nahm er endlich den Schirm, spannte ihn auf und ging zurück zur Villa. »Ist hier denn keiner, der einem die Sachen trägt?«, fuhr er sie an, als sie vor der Freitreppe standen.

Elisa ignorierte ihn und griff nach dem Cellokoffer. Bis sie einen verlässlichen Hausmeister gefunden hatten, würden sie und Serafina diese Aufgaben schon meistern. Dennoch fühlte Elisa einen Stich in der Herzgegend, als sie das vertraute Gewicht ihres alten Cellos fühlte. Sie biss die Zähne zusammen, nahm Adriens Reisetasche in die andere Hand und ging damit ins Haus.

Wegen der zu erwartenden Handicaps ihrer Gäste hatte die Stiftung einige Umbauten an der Villa vorgenommen, und Elisa war dankbar für den neuen Aufzug, vor dessen Tür sie das Gepäck nun abstellte. Wortlos half sie Adrien aus seinem durchnässten Wintermantel und suchte unter den bequemen Hausschuhen, die in einer Kommode auf die Gäste warteten, die passende Größe heraus. Während Adrien mit der Linken umständlich seine Schuhbändel aufnestelte, hätte sie ihn gerne gefragt, was ihm fehlte, und doch konnte sie es sich angesichts seiner bandagierten Hand denken. Es kam leider allzu häufig vor, dass Cellisten Probleme mit der rechten Daumensehne bekamen, denn beim Führen des Bogens musste dieser Finger unnatürlich abgewinkelt werden und den Druck des Bogens auf die Saiten regulieren. Das war anstrengend und auf die Dauer belastend. Auch wenn sie Adrien nicht leiden konnte – eine solche Verletzung wünschte sie keinem Cellisten.

Sie führte ihn in den großen Saal im Erdgeschoss mit dem Konzertflügel, Niklas’ früheres Musikzimmer, das nun allen Gästen zur Verfügung stand, wies ihn auf die Bücherregale hin, an denen er sich bedienen konnte. Dann zeigte sie ihm die Küche und die Mahlzeiten im Kühlschrank, die Serafina für diesen Tag vorbereitet hatte und die er in der Mikrowelle aufwärmen konnte. »Möchtest du eine Tasse Kaffee mit auf ein Zimmer nehmen?«, fragte sie.

»Wer hätte je gedacht, dass Elisa Maria Eschbach mir einmal den Kaffee kochen würde?«, gab Adrien provokant zurück.

Elisa beschloss, auch diese Bemerkung zu ignorieren, nahm ein Tablett und stellte Kaffee, Milch und Zucker darauf. »Ab morgen wird unsere Haushälterin wieder hier sein und sich um dich kümmern«, sagte sie so würdevoll wie möglich und griff nach dem Tablett. »Und nun komm, ich zeig dir dein Zimmer. Danach kannst du dich in Ruhe eingewöhnen.« Ihren Ärger mühsam niederkämpfend ging sie hinaus ins Foyer.

»Wann beginnen überhaupt die Behandlungen?« Adrien sah sich vorwurfsvoll um. Hatte er erwartet, dass sich ein ganzer Stab an Personal um ihn kümmern würde?

»Die Physiotherapeutin beginnt Anfang Januar mit ihrer Arbeit.« Adrien runzelte unwillig die Stirn, und Elisa merkte, wie ihre Geduld langsam schwand. »Du kannst froh sein, dass wir dich jetzt schon aufgenommen haben. Schließlich möchte jeder vernünftige Mensch an Weihnachten zu Hause sein, oder nicht?« Sie biss sich auf die Zunge. Jetzt hatte sie sich doch aus der Reserve locken lassen. Und als sie sah, welche Wirkung ihre Worte auf Adrien hatte, bereute sie sie auf der Stelle.

Er war bleich geworden und hatte den Blick gesenkt. Seine Augenlider röteten sich, und sein arrogantes Gesicht schien plötzlich gealtert. »So wird es wohl sein«, sagte er leise. »Dann bin ich mal gespannt, in welchem Loch du mich untergebracht hast.«

Ob Adrien Dufois registrierte, dass es alles andere als ein »Loch« war, das ihm für die kommende Zeit zur Verfügung gestellt wurde, zeigte er nicht, und Elisa erwartete das auch gar nicht mehr. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und ging, das Gepäck mit dem Aufzug hochzuholen. »Hast du alles, was du brauchst?«, fragte sie.

Adrien stand am Fenster und streckte ihr den Rücken zu. »Klar«, sagte er in gleichgültigem Ton.

Sie legte einen Schlüssel für das Eingangsportal auf den Tisch und vergewisserte sich, dass der zu seinem Zimmer im Schloss steckte. »Bitte schließ die Fenster, ehe du ausgehst und …«

»… mach auch sonst nichts kaputt«, äffte er sie nach und wandte sich zu ihr um. Im Gegenlicht konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber das war auch nicht notwendig. »Schon verstanden«, fuhr er fort. »Ich wäre dann jetzt gern allein.«

»Ich kann es einfach nicht fassen!« Irgendwie musste Elisa ihrem Ärger Luft machen. Sie hatte den Fiat im Hof der alten Mühle geparkt und auf der Stelle Alexander Hilbours Nummer gewählt. »Wieso hast du mich nicht vorgewarnt?«

»Ich versteh auch nicht, warum du meine E-Mail nicht erhalten hast«, gab Alexander zurück. »Vielleicht hat Helen vergessen, sie abzusenden.«

»Es ist Adrien Dufois!«, entgegnete sie empört.

»Ja, das weiß ich doch.« Alexander klang irritiert. »Wieso regst du dich denn so auf?«

»Warum ich mich aufrege? Weil er der arroganteste Blödmann unter der Sonne ist«, rief sie. »Unsere Stiftung ist nicht dafür da, aufgeblasenen Egos einen schönen Lenz zu machen, die das noch nicht einmal zu schätzen wissen.« Sie schöpfte Atem und lehnte sich in ihrem Autositz zurück. Aus dem Hundehaus ertönte Gebell, und Cosma erschien in der Tür, einen leeren Hundefutter-Sack in der Hand. »Hörst du mir überhaupt zu?«

»Natürlich höre ich dir zu«, sagte Alexander. »Ich bin nur überrascht und frage mich, was er getan hat, um unsere liebe, sanfte Elisa dermaßen auf die Palme zu bringen.«

Elisa atmete geräuschvoll aus. »Er hat sich kein bisschen verändert.«

»Du kennst ihn von früher?«, hörte sie Alexander sagen. »Ach, jetzt erinnere ich mich. Stimmt! Ihr wart damals nicht die besten Freunde.«

»Er war der unkollegialste, unfairste und unverschämteste Mensch, der mir je begegnet ist! Und das ist er immer noch.«

»Elisa«, unterbrach Alexander sie geduldig. »Du warst die Nummer eins und das hast du in zahlreichen Wettbewerben bewiesen. Adrien Dufois konnte dir nie das Wasser reichen und er weiß das auch. Und falls es dich tröstet: Es geht ihm heute hundsmiserabel. Die Operation an seiner Daumensehne ist möglicherweise schiefgelaufen, kann gut sein, dass er nie wieder einen Cellobogen führen kann. Außerdem läuft es bei ihm auch privat nicht besonders gut. Also sieh es ihm nach, wenn er ein wenig ruppig ist …«

»Ein wenig ruppig?«, fiel ihm Elisa ins Wort. »Ich sag dir eines: Er wird uns alle tyrannisieren. Und mein Großvater hat die Stiftung nicht ins Leben gerufen, damit …«

»Entschuldige, Elisa, aber Niklas hat keinen Benimmtest zur Auflage gemacht. Erinnere dich, auch er konnte mitunter schwierig sein.«

»Aber …«

»Was soll ich deiner Meinung nach tun?« Alexander klang nun ungewohnt streng. »Ihn wegschicken? Nein, Elisa. Adrien war mit seiner Hand schon bei allen Spezialisten. Letzte Woche ist er zum dritten Mal operiert worden. Was er jetzt braucht, ist Erholung.«

»Und wieso erholt er sich nicht zu Hause und kommt nach den Feiertagen, wie die anderen auch?«

»Weil er kein Zuhause hat.«

Elisa stockte. »Du machst Witze!«

»Nein, Elisa. Eigentlich wollte ich es dir nicht erzählen, weil das seine Privatsache ist. Aber da du nun mal so aufgeregt bist … Seine Frau hat ihn rausgeworfen, die Scheidung ist längst eingereicht. Er steht buchstäblich auf der Straße. Seine Karriere scheint beendet, seit Monaten ist er ohne Einkommen. Alles, was er noch hat, ist das Cello.«

Mein Cello, vermerkte eine kindische Stimme in ihr. Doch das Mitgefühl, das nun in Elisa aufwallte, überwog ihren Groll.

»Also versuch einfach großzügig zu sein«, fuhr Alexander fort. »Das fällt dir doch auch sonst nicht so schwer. Und wenn du ihn wirklich immer noch so hasst, dann tröste dich damit, wie elend es ihm jetzt geht.«

»Nein, das … das tut mir wirklich leid für ihn«, sagte sie kleinlaut.