Das Wassermärchen - Herbert Friedrich - E-Book

Das Wassermärchen E-Book

Herbert Friedrich

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Beschreibung

In diesem Buch stecken zwei Märchen. „Das Wassermärchen“ berichtet von dem armen Hirten Kerim, der müde, hungrig und durstig die ungeheure Steppe durchquerte und sich große Sorgen um seine Tiere machte. Da sah er plötzlich, dass ein Geier einen noch lebenden Hasen in seinen Fängen hatte. Kerim rettet diesem das Leben und zum Dank dafür verschafft er ihm Wunderwasser. Doch damit ist noch nicht alles gut. Denn noch ist Geierkopf, dem auch ganz Trockenstadt gehört, an der Macht. „Katharinchen“ erzählt von einem Wassertröpfchen, das im Gegensatz zu allen anderen nicht das weiße Röckchen einer Schneeflocke tragen will. Solches hatte Frost Eiszapf noch nie vernommen, solange er Schneeflocken für die Erdenreise einteilte, und das tat er schon länger, als die Pyramiden am Nil stehen. Katharinchen aber, so hieß dieses Wassertröpfchen, erklärte, ein besonderes Wassertröpfchen zu sein und deshalb kein weißes Röckchen haben zu wollen. Wie wird es ihr weiter ergehen?

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Seitenzahl: 54

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Impressum

Herbert Friedrich

Das Wassermärchen

ISBN 978-3-96521-569-6 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien 1962 in Der Kinderbuchverlag Berlin (Die kleinen Trompeterbücher, Band 12).

Für Leser von 6 Jahren an

2021 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

DAS WASSERMÄRCHEN

Vor vielen, vielen Jahren durchzog der arme Hirt Kerim die ungeheure Steppe. Er war müde und hungrig und durstig, am meisten aber sorgte er sich um seine Tiere. Das Pferd Wie-der-Wind trug Zelt und Geräte, die Ziege Spring-ins-Feld hatte ihm noch heute Morgen einen Trunk Milch gereicht, und das Schaf Wolle hatte ihm für den Winter einen Pelz versprochen. Das war Kerims ganze Herde. Musste da Kerim nicht besorgt sein, wenn er den Tieren für ihre Dienste nicht einmal genug zu essen und zu trinken beschaffen konnte? Denn ringsumher gediehen nur Dornensträucher, der Weg war mit Geröll besät, und am grellen Himmel schwebte ein Geier.

Oho, was schwebte Geier Allesfraß am wolkenlosen Himmel? Kerim erkannte mit seinen scharfen Augen, dass der Räuber einen Hasen in seinen Fängen hielt, und bald vernahm er auch, wie der Hase mit schwacher Stimme flehte:

„Menschen, Tiere, groß und klein,

wer hilft mir in meiner Pein?“

„Was ist das?“, schrie Kerim zornig. „Fängt der Geier schon lebendes Getier? Warte, du Räuber!“ Er packte einen scharfkantigen Stein und schleuderte ihn nach dem Raubvogel. Mit einem schrillen Schrei ließ der Geier die Beute fahren und flatterte wütend über die Weißen Felsen davon. Der Hase aber stürzte vom Himmel herunter.

Kerim erschrak. „Wolle, mein Schaf“, bat er, „lauf, was du kannst, und hilf dem Hasen.“ Da trabte das Schäflein los und fing den Hasen mit seinem weichen Fell auf. Kerim nahm den Geretteten auf den Arm. Mit einer Salbe bestrich er die Wunden, die die Raubvogelkrallen gerissen hatten. „So, mein Freund, jetzt kannst du wieder hoppeln und springen.“

Der Hase war noch ganz benommen, rief aber dankbar: „Du hast mich nicht meinem Schicksal überlassen. Du willst mich nicht an deinem Lagerfeuer braten. Deshalb möchte ich dir eine Freude bereiten. Gib mir deinen Becher.“ Kerim nestelte verwundert den kleinen Becher los, der ihm um den Hals hing.

Kaum hatte der Hase das Gefäß gefasst, sprang er zwischen die Felsblöcke, und der Hirt und seine Tiere rannten hinterher. Der Hase verschwand in einem Loch. Die anderen ließen sich im Schatten des Felsens nieder, denn wo ein Hase hineinschlüpfen konnte, kamen Hirt, Pferd, Ziege und Schaf nicht hindurch. Als der Hase wieder aus dem Loch herausschoss, waren die Tiere eingeschlafen. Dabei brachte doch der Hase den Becher mit köstlichem Wasser zurück! „Danke, gutes Häslein“, rief Kerim vergnügt.

„Jetzt kann ich meinen Tieren die Lippen benetzen.“

Der Hase sagte entschuldigend: „Der Gang ist eng und schmal, sonst hätte ich für dich ein größeres Gefäß Wasser herausgebracht. Aber es wird auch so genügen.“

Kerim bedankte sich freudig bei dem Hasen, der alsbald über Stein und Strauch davonhoppelte. Dann ging er daran, die Tiere zu wecken. „Wolle, mein Schaf, hier hast du Wasser!“ Kerim spritzte dem Schaf einen Tropfen auf die Nase, so dass es erwachte und behaglich zu bähen begann. Durstig trank es aus dem Becher als erstes der Tiere, da es den Hasen aufgefangen hatte und das kleinste war. Kerim brummte: „Lass noch Spring-ins-Feld und Wie-der-Wind etwas übrig.“

Bei diesen Worten erwachten auch Ziege und Pferd und schnupperten begehrlich nach dem Wasser. Wolle ließ gehorsam vom Becher ab.

Das Zieglein hatte einen riesigen Durst. Es trank, als wollte es gar nicht wieder aufhören. Kerim brummte: „Spring-ins-Feld, meine Ziege, denk an deinen Kameraden Wie-der-Wind.“ Beschämt senkte die Ziege den Kopf, dass ihr Bart die Steine berührte.

„Wie-der-Wind, mein Ross, trinke den Rest“, sprach Kerim mit trockenem Munde. Das Pferd schnob und gluckerte und schloss zufrieden die Augen. Mit einem Male hielt es inne. „Aber Kerim, was hast du getrunken?“ Nicht einen Schluck wollte es mehr zu sich nehmen.

Zaghaft nahm Kerim den Becher entgegen, um den guten Wie-der-Wind nicht zu kränken und weil er so durstig war. Aber siehe da, der Becher war bis zum Rand gefüllt, als hätten die Tiere gar nicht getrunken. Er war gerade so voll, wie ihn der Hase gebracht hatte. Verwundert und sehr, sehr nachdenklich trank Kerim Schluck für Schluck, allein er konnte sich nicht erklären, was das für sonderbares Wasser war. Ei, das müssen wir einmal ausprobieren, dachte er. Aufmerksam besah er den Becher, in dem sich jetzt nur noch ein Schluck Wasser befand. Da begann das Wasser im Becher zu steigen, bis es den Rand erreichte.

„Ein Wunderwasser!'', rief Kerim erfreut. „Der Becher ist wieder voll. Das Wasser wird nicht alle. Wir brauchen nie mehr zu dursten!“ Die Tiere wieherten, meckerten und bähten vergnügt und begannen sogar zu tanzen. „Ach“, blökte das Schaf, „wenn das Wasser kein Ende nimmt, möchte ich gern noch etwas trinken.“

„Ist genug, ist genug!“, warnte das Pferd.

„Lass es doch, lass es doch!“, meckerte die Ziege.

Und Kerim reichte gutmütig Wolle den Becher. Das Schaf freilich konnte nicht widerstehen. Es trank das Gefäß auf einmal leer.

„Mir auch, mir auch!“, meckerte Spring-ins-Feld. Aber da konnte sie noch so lange meckern, da konnte Kerim noch so finster in den Becher blicken: Nicht der geringste Tropfen rann mehr heraus. Da waren die Tiere traurig und Kerim auch, nur die Ziege schimpfte auf das arme Schäflein. Das verteidigte sich ratlos: „Erst reichte es doch für alle.“

Kerim half ihm: „Lass gut sein. Wir haben nicht gewusst, was wir jetzt wissen. Das Wasser füllt nur dann immer wieder den Becher, solange man ihn nicht austrinkt.“

Inzwischen war die Sonne hinter die Weißen Felsen gewandert, der Abend nahte und in seinem Gefolge die Nacht. Da beschlossen sie, das Zelt aufzuschlagen und den Tag abzuwarten und zu sehen, ob sie das Wunderwasser schöpfen könnten. Ach, wie gern wollten sie sorgsamer damit umgehen!

So blieben sie viele Tage an den Weißen Felsen und erweiterten das Loch, in dem der Hase damals verschwunden war. Kerim grub und hackte, die Tiere scharrten Erdreich und Gestein heraus. Lange arbeiteten sie so, und als sie schon ganz verzweifelt waren, entdeckten sie endlich das Wasser. Es war ein kristallklarer kleiner See, der in einer Höhle lag. Ihr hättet sehen sollen, wie glücklich die Tiere waren, besonders natürlich Wolle, das Schaf. Behutsam schöpfte Kerim mit dem Becher das kostbare Nass, um es vorsichtig hinauf ans Tageslicht zu tragen. Feierlich folgten ihm die Tiere, und alle schworen sich, das Wasser zu achten und zu hüten.

Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie ins Freie gelangten. Eine Staubwolke kroch über die Steppe, geradewegs auf das Zelt zu, und in ihr verhüllte sich eine Karawane. Esel, Pferde und Kamele trotteten da heran mit hängenden Zungen, und die Treiber ließen die Köpfe hängen, und die Augen der Reiter waren eingefallen.

Der erste Treiber krächzte schon von weitem: „O Freund, hast du Wasser?“ Kaum war er am Zelt, so ließ er sich nieder, und alle Pferde, Esel und Kamele, alle Treiber mit. Jetzt baten alle: „O Freund, bringe uns Wasser!“