Das Weib des Henkers - Heidrun Hurst - E-Book
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Das Weib des Henkers E-Book

Heidrun Hurst

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Beschreibung

Die Heilerin und der Henker … Der farbenprächtige Historienroman »Das Weib des Henkers« von Bestseller-Autorin Heidrun Hurst als eBook bei dotbooks. Straßburg im Jahr 1350: eine Stadt, zerrissen zwischen leuchtender Hoffnung und dunklem Aberglauben … Stein um Stein wächst mit dem Bau des Münsters das höchste Bauwerk der Welt empor – die einen sind voller Ehrfurcht, die anderen verfluchen es als Frevel. Und tatsächlich: Schon bald scheinen die Straßburger den höchsten Preis dafür zahlen zu müssen. Aber haben sie wirklich den Zorn des Himmels heraufbeschworen – oder treibt ein Teufel in Menschengestalt sein Unwesen? Als sich mysteriöse Unfälle auf der Baustelle häufen, beauftragen die Stadtherren den jungen Scharfrichter Martin mit der Suche nach der Wahrheit. Doch obwohl seine Frau Adelheid als Heilerin Tag für Tag ihr Leben riskiert, begegnet man den beiden überall mit eisigem Schweigen. Nur eine Gruppe von Bettelkindern kreuzt immer wieder ihren Weg – wissen sie womöglich mehr darüber, auf welchen Lügen und Geheimnissen die Kathedrale erbaut wurde? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schillernde Mittelalter-Roman »Das Weib des Henkers« von Heidrun Hurst ist der dritte Band ihrer Straßburg-Bestseller-Saga, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Straßburg im Jahr 1350: eine Stadt, zerrissen zwischen leuchtender Hoffnung und dunklem Aberglauben … Stein um Stein wächst mit dem Bau des Münsters das höchste Bauwerk der Welt empor – die einen sind voller Ehrfurcht, die anderen verfluchen es als Frevel. Und tatsächlich: Schon bald scheinen die Straßburger den höchsten Preis dafür zahlen zu müssen. Aber haben sie wirklich den Zorn des Himmels heraufbeschworen – oder treibt ein Teufel in Menschengestalt sein Unwesen? Als sich mysteriöse Unfälle auf der Baustelle häufen, beauftragen die Stadtherren den jungen Scharfrichter Martin mit der Suche nach der Wahrheit. Doch obwohl seine Frau Adelheid als Heilerin Tag für Tag ihr Leben riskiert, begegnet man den beiden überall mit eisigem Schweigen. Nur eine Gruppe von Bettelkindern kreuzt immer wieder ihren Weg – wissen sie womöglich mehr darüber, auf welchen Lügen und Geheimnissen die Kathedrale erbaut wurde?

Über die Autorin:

Heidrun Hurst, geboren 1966 in Kehl am Rhein, ging schon als Kind gerne mit Hilfe von Büchern auf Reisen in fremde Welten und ferne Zeiten. Ihr Hunger nach geschriebenen Abenteuern und Literatur wurde schließlich so groß, dass sie sich einige Jahre später selbst dem Schreiben widmete. Seitdem veröffentlicht sie historische Romane, für die sie mit Leidenschaft und Neugier tief in die Recherche längst vergangener Zeiten eintaucht.

Weitere Informationen über die Autorin auf ihrer Website: www.heidrunhurst.de

Auf Facebook: www.facebook.com/heidrun.hurst

Auf Instagram: www.instagram.com/heidrunhurst/

Bei dotbooks veröffentlichte Heidrun Hurst ihre Straßburg-Saga mit den Romanen:»Der Teufel von Straßburg«»Die Pestheilerin von Straßburg«»Das Weib des Henkers«

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Originalausgabe Juli 2022

Copyright © der Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Renate Kunstwadl

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Anna Krivitskaya und eines Gemäldes von Everhardus Koster

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-312-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Heidrun Hurst

Das Weib des Henkers

Historischer Roman

dotbooks.

Anmerkung der Autorin

Ein Glossar mit Begriffen, die im Text fett gesetzt sind, finden Sie am Ende dieses eBooks.

Prolog

Straßburg, Heiliges Römisches ReichAugust 1350

Gerlach, der Baumeister des Straßburger Münsters, hob die Hand vor die Augen, bevor er blinzelnd an der Westfront des Gotteshauses emporsah. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Arbeiter trug er bessere, aber zweckmäßige Kleidung aus Leinen und Wolle. Seine braunen Beinlinge steckten in halbhohen Stiefeln aus weichem Leder. Noch sträubte er sich gegen die neueste Mode, den Saum seines rostbraunen Surcots auf die schamlose Höhe bis zur Mitte der Oberschenkel wandern zu lassen. So manch eitler Geck lief dabei Gefahr, die darunterliegende Bruche zu zeigen, sobald er sich bückte. Der Gürtel, an dem eine lederne Tasche und ein Dolch hingen, den er zum Essen benutzte, spannte über seinem Bauch. Fast zärtlich strich Gerlach darüber. Sollten die Leute ruhig sehen, dass er genug verdiente, um ihn ausreichend zu füllen. Schließlich lastete eine große Verantwortung auf ihm.

Der Anblick der sich im Bau befindlichen Westfront erfüllte ihn mit einem warmen Gefühl des Stolzes. Die zweischichtige Fassade mit den vorgelagerten dünnen Steinstäben, die sich wie Harfenseiten vor das Gebäude spannten, Wimpergen, Figuren und Ornamenten, ließen das tragende Mauerwerk aus Sandsteinblöcken vollkommen dahinter verschwinden. Sie waren die feinste Arbeit, die er kannte. Selbst die große Fensterrose in der Mitte wirkte so filigran, als könne nur Gott solch ein Wunderwerk gelingen.

Und doch war es das Werk von Menschen. Ein in Stein gehauenes Vermächtnis, dessen Gestaltung schon sein Großvater Erwin von Steinbach übernommen hatte. Seit drei Generationen lag die Verantwortung für den Bau der Kathedrale in Gerlachs Familie. Und sie waren längst nicht die Ersten gewesen, deren Aufgabe es war, etwas Großartiges zu erschaffen. Eine Kirche, die zum Himmel strebte. Höher als alle anderen sollte sie werden, mit einer einzigartigen Vorderansicht aus Formenreichtum und opulenter Leichtigkeit. Trotzdem war die Westfront noch nicht einmal zur Hälfte der vorgesehenen Höhe herangewachsen, und er wollte so viel mehr schaffen, bevor auch sein Leben verlosch.

Die Pest, die letztes Jahr ausgebrochen war, hatte all seine Pläne durchkreuzt. So viele waren gestorben. Fleißige Handwerker mit wunderbaren Fähigkeiten. Und nun wusste er nicht, wie er sie alle ersetzen sollte.

Fast überall fehlte es an Arbeitskräften, was zur Folge hatte, dass die Männer wählerisch wurden und einen höheren Lohn verlangten. Auf dem Land sah es genauso aus. Ein Teil der Felder vor den Toren Straßburgs verödete. Viele Bauern waren der Pest erlegen. Andere flohen von den Höfen ihrer Lehnsherrn und drängten als Tagelöhner in die Stadt. Gerlach stellte sie für niedere Arbeiten ein. Doch er brauchte vor allem Männer mit den Qualifikationen von Steinmetzen und Bildhauern, Zimmerleuten und Maurern. Diese Gewerbe verlangten spezielles Wissen, das einem Tagelöhner fremd war.

Trotzdem hatte er es geschafft, einige der Besten der Überlebenden um sich zu scharen. Das Mitwirken am Bau einer Kathedrale bedeutete eine hohe Reputation, für die es sich lohnte, den Weg in eine andere Stadt anzutreten. Es gab immer noch Handwerker, die deshalb umherzogen. Dennoch hätte er ein paar mehr gebrauchen können.

Gerlach legte seinen Kopf tiefer in den Nacken. Das dunkle Haar unter seinem Hut war mit dünnen grauen Fäden durchzogen. Seine Augen glitten über den mit Ornamenten verzierten oberen Kranz des ersten Nordturmgeschosses hinaus. Die frischen Mauern aus rosafarbenem Sandstein, die den Beginn des zweiten Geschosses markierten, krochen nur langsam in die Höhe. Und in wenigen Monaten würde der Winter die Bauarbeiten ein weiteres Mal ins Stocken bringen.

Manchmal kam es ihm so vor, als ob der Teufel seine Klauen dabei im Spiel hatte. Obwohl es zunächst der Bischof war, der dafür gesorgt hatte, dass er die Arbeit an der Westfront einstellen musste, nachdem Gerlach die Münsterbaustelle übernommen hatte. Stattdessen verlangte Berthold von Buchegg eine Grabkapelle von ihm. Sieben Jahre hatte er für die Erstellung dieses Kunstwerks gebraucht, das sich an die ersten beiden Joche des südlichen Seitenschiffes anlehnte.

Nun war es fertig und reckte sich mit Säulen, Fialen und hohen Bleiglasfenstern dem Himmel entgegen. Der Leib des Bischofs würde im Licht Tausender bunter Glasstücke ruhen, die man in mühevoller Arbeit zusammengefügt hatte. So einzigartig wie ein Gemälde. Und das sternförmige Gewölbe ohne einen zentralen Stützpfeiler war so schön, als ob man träume. Bisher hatte der Bischof die Reise in seine künftige Ruhestätte nicht angetreten. Zumindest hatte er sie der heiligen Katharina geweiht, der er sich besonders verbunden fühlte. Zur gleichen Zeit war auch der neue Sitz des Münsterwerkes entstanden, das alle nur das Frauenwerk nannten, weil es den Namen der Muttergottes trug. Der imposante Ziegelbau wurde von den meisten als Bauhütte bezeichnet, obwohl er diese Untertreibung nicht im Mindesten verdiente. Er hatte ein kleineres Gebäude ersetzt, das der Münsterpfleger Ellenhardt vor vielen Jahren dem Frauenwerk geschenkt hatte. Nun stand er wie ein stolzer Ritter zu seiner Rechten und beherbergte neben einem großen Versammlungssaal eine Küche und die Verwaltung.

Vom Fronhof drangen die Geräusche steter Betriebsamkeit an Gerlachs Ohr. Dort, vor dem südlichen Seitenschiff und der Katharinenkapelle standen die Werkstätten für verschiedene, am Kathedralenbau beteiligte Handwerke, eine Schmiede und Verschläge zum Lagern von Werkzeugen und Baumaterial. Zusammen mit etlichen Marktbuden, die sich an beide Seiten der Langhauswände lehnten, und dem Eingang zum Südfriedhof sorgten sie für emsiges Treiben.

Vor der Westfassade befestigten die Arbeiter gerade einen behauenen Steinblock, den sie zuvor mit starken Stricken umschlungen hatten, an einem Haken. Dieser hing an der Seilwinde und war wiederum mit einem großen Tretrad verbunden. Ächzend setzte sich das Rad in Bewegung, als die beiden Windenknechte die Lauffläche in seinem Innern mit der Kraft ihrer Beine antrieben. Langsam wickelte sich das Seil um den Wellbaum. Der schwere Stein hob sich vom Boden und wurde vor Gerlachs Augen in die Höhe gezogen.

Der Quader befand sich weit über seinem Kopf, als ein seltsames Reißen ihm durch Mark und Bein ging und alle Männer zu ebener Erde nach oben schauen ließ.

Was zum Teufel – Noch bevor Gerlach den Gedanken zu Ende bringen konnte, schrie jemand: »Haltet ein! Da stimmt etwas nicht!«

Das Ächzen des Drehrads verstummte. Nicht aber das unheilvolle Geräusch, mit dem das Seil, an dem der Block hing, an einer Stelle dünner und dünner wurde.

»Was gibt es?«, rief einer der beiden Windenknechte durch die Streben des Rads. »Sollen wir ihn wieder nach unten lassen?«

Doch dafür war es zu spät.

»Aus dem Weg!«, brüllte Gerlach.

Die Männer stoben auseinander und zerrten den Baumeister mit sich, der über seine eigenen Füße stolperte. Als er wieder nach oben schaute, erklang ein abschließendes Geräusch, das an das Reißen von Sacktuch erinnerte. Für einen winzigen Moment schien der Stein in der Luft zu schweben. Dann raste er mit erstaunlicher Geschwindigkeit zu Boden und schlug mit einem dumpfen Knall auf den Münsterplatz, der die Erde unter Gerlachs Füßen zum Beben brachte.

Sein wild hämmerndes Herz schien ihm fast aus der Brust zu springen. »Herr im Himmel!«, stieß er hervor. Hastig sah Gerlach sich um und dankte Gott im Stillen, dass niemandem etwas passiert war. Das Rauschen in seinen Ohren vermischte sich mit den erschrockenen Stimmen der Arbeiter. Seine Beine gehorchten ihm kaum, als er auf die Unglücksstelle zuging. Mit zitternden Händen untersuchte er die beiden gerissenen Enden des Seils, die zu langen, dünnen Fransen verkommen waren.

»Was für eine armselige Stümperei«, spie Gerlach erbittert hervor. Verächtlich schleuderte er die verschlissenen Stümpfe von sich.

Vermutlich hatte der Seiler sein Handwerk nicht verstanden. Wahrscheinlich einer der Neuen, der einen Verstorbenen ersetzt hatte. Das hatte man davon, wenn man auf Anfänger mit wenig Erfahrung zurückgreifen musste.

Und wie so oft würde er dem Schaffner Rede und Antwort dafür stehen müssen.

Teil IDer Eltern Freud und Leid

Straßburg, 25. August 1350

Martin brach der Schweiß aus, als er in die Küche trat. Die Wärme des hochsommerlichen Tages, die draußen herrschte, wurde hier drinnen noch übertroffen. Rasch öffnete er seinen Gürtel und legte den dunklen knielangen Surcot mit den auffälligen roten, weißen und grünen Streifen ab, die ihn als Scharfrichter kennzeichneten. Darunter trug er eine Cotte aus Leinen von derselben Farbe über tiefschwarzen Beinkleidern.

Adelheid saß auf einem Schemel und wiegte ein kleines menschliches Bündel in den Armen, während sie ihm lächelnd dabei zusah. In einem Kessel über dem Feuer blubberte etwas, das wie ein Kräutersud roch, dessen Duft sich mit dem säuerlichen Aroma von Muttermilch mischte.

Martin hegte keinen Zweifel daran, dass von der Milch eine ganze Menge an dem Tuch haftete, das sie sich über die Schulter geworfen hatte, um ihr blaues Gewand nicht zu beschmutzen.

Er fächelte sich Luft zu, bevor er sich hinter sein Weib stellte, einen Kuss auf ihren schlanken Hals drückte und sich über das kleine Wesen in Adelheids Armen beugte.

»Ist er nicht wunderschön?«, flüsterte sie.

Der Körper des Kindes war fest mit Windeln umwickelt. Nur der Kopf ragte aus dem soliden Päckchen hervor, das die Bewegung von Armen und Beinen verhinderte und auf diese Weise einer Verformung der weichen Knochen vorbeugen sollte. Große, fast schwarze Augen blickten Martin forschend an, während er das runde Gesichtchen mit den zierlichen Gesichtszügen staunend betrachtete. In der Tat hatte er kaum etwas Schöneres gesehen, wenn man von Adelheid einmal absah.

»Er ist wahrhaftig vollkommen.« Ein intensives Gefühl von Verbundenheit senkte sich in Martins Brust. Die dunklen Augen und das erstaunlich dichte schwarze Haar, das unter der weißen Bundhaube hervorlugte, waren seinen so ähnlich, dass man es kaum übersehen konnte.

Mein Sohn!, dachte er voller Stolz.

Noch immer erschien es ihm wie ein Wunder, dass Mutter und Kind die Geburt vor etwas mehr als drei Wochen unbeschadet überstanden hatten. Die langen, quälenden Stunden, in denen Adelheid in den Wehen gelegen hatte, gehörten zu den schlimmsten Erfahrungen seines Lebens. Es gab zu viele Frauen, die bei der Geburt ihres Kindes starben, und er kannte sich nicht damit aus. Zwar hatte er schon den Ziegen dabei zugesehen, aber diese warfen schnell und ohne Probleme. Die meisten taten es obendrein nachts, sobald sie sich unbeobachtet fühlten. Und wenn man am nächsten Morgen den Stall betrat, lagen sauber geleckte Zicklein im Stroh. Die Geburt seines Sohnes war um einiges schwieriger gewesen. Sie hatte sich einen ganzen langen Tag hingezogen. Er war fast vergangen vor Sorge – trotz der Hebamme, die sich erbarmt hatte, Adelheid beizustehen.

Doch dann hatte sich die mühselige Prozedur in etwas Erstaunliches verwandelt, das ihn seine Angst mit einem Schlag vergessen ließ. Das schmierige, blutige Bündel, das ihm die Hebamme in die Arme gelegt hatte, war in jenem Moment weder schön noch erhaben. Doch es war sein Sohn! Sein eigen Fleisch und Blut. Und dieses Geschenk war kostbarer als alles andere.

Er wusste, dass die Hebamme nur deshalb gekommen war, weil Adelheid während der Pest den Kranken geholfen hatte. Dies hatte das übliche Bild einer Scharfrichtergattin zum Guten gewendet, wenn auch nicht bei allen. Aber diejenigen, die erlebt hatten, wie jemand gesund geworden war, standen nun selbst ihm nicht mehr ganz so ablehnend gegenüber.

Vielleicht hatte die schreckliche Seuche diesen einen nützlichen Funken in sich getragen, der seinen Sohn in eine freundlichere Welt blicken ließ, als er es einst tun konnte.

Ob mein Vater wohl dasselbe hoffte, als er mich zum ersten Mal in den Armen gehalten hat? Er würde es nie erfahren, aber sicher wären seine Eltern stolz auf ihren Enkel gewesen. Besonders, da er Veit wie sein Großvater hieß. Leider waren auch sie Opfer der Pest geworden.

Der Kleine verzog den Mund und bekam einen Schluckauf. Sanft strich Martin mit seinem schwieligen Zeigefinger über die weiche Wange des Säuglings.

»Er hat gerade getrunken«, bemerkte Adelheid.

»Schon wieder? Was bist du nur für ein kleiner Säufer«, schmunzelte er.

Sie stieß ihm leicht in die Rippen. »Auf diese Weise wird er groß und stark werden wie du.«

»Er darf sich ruhig etwas Zeit damit lassen. Ich möchte zusehen, wie er aufwächst und gedeiht und die guten Eigenschaften seiner Mutter entwickelt.«

Adelheid lächelte. »Und was ist mit den schlechten?«

Seine Lippen verzogen sich zu einem gutmütigen Grinsen. »Die darfst du gerne behalten.« Martins Herz strömte über vor Liebe. Er hatte um Adelheid gekämpft und sie dem Tod entrissen, als sie selbst an der Pest erkrankt war. Er würde es jederzeit wieder tun. Und nun, da sie einen gemeinsamen Sohn hatten, lag ihm das Glück dieser beiden mehr als alles andere am Herzen. Der Drang, sie zu beschützen, überwältigte ihn. Er würde sein Leben geben, um ihres zu retten – und doch wusste er, dass es unmöglich war, jegliches Unheil von ihnen fernzuhalten.

Manchmal schien ihn die Verantwortung schier zu erdrücken. Das Wohl der Familie, zu der ebenfalls seine 13-jährige Schwester Elßlin und der jüdische Junge Levi zählten, war von seinen Entscheidungen abhängig. Auch ihnen galt seine Sorge. Hinzu kam die nicht unerhebliche Pflicht, sie zu ernähren.

Vor allem wirst du dir ein dickeres Fell zulegen müssen, sagte er sich. Und das konnte durchaus zu den schwierigsten Übungen gehören, die ihm bevorstanden. Die Scharfrichterei war oft eine grausame Angelegenheit und nicht das, was er sich vom Leben erhofft hatte. Dennoch blieb ihm als Sohn eines Henkers nichts anderes übrig, als das Gewerbe seines Vaters fortzuführen. Jedes ehrbare Handwerk blieb ihm verwehrt. Doch er wollte nicht klagen. Er hatte eine Frau, die er über alles liebte, einen prächtigen Jungen, eine Schwester, die er sehr mochte, und einen kleinen Freund, der fast wie ein Sohn für ihn geworden war. Und das war mehr, als er einst zu hoffen gewagt hatte.

Darüber hinaus hatte man ihm gottlob seit jenem grässlichen Tag, an dem er sechs arme Teufel zum Scheiterhaufen führen musste, da man sie für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht hatte, nichts Vergleichbares mehr aufgetragen. Zumindest, wenn man den Tod durch den Strang für Mathilde, eine ehemalige Nonne, und den Schreiner Bernhart, deren beider Strafe gerechtfertigt war, nicht dazuzählte.

Martin strich sein Haar zurück, das wie Rabenflügel auf seine Schultern fiel, und fuhr mit dem Ärmel seiner Cotte über die schweißfeuchte Stirn. Er konnte damit leben, Leute an den Pranger zu stellen oder sie wegen kleinerer Vergehen zu bestrafen. Doch das ungute, bleierne Gefühl, das seinen Magen beschwerte, sagte ihm, dass dies nicht immer so bleiben würde.

Erst vor Kurzem hatte er einem Knecht ein Ohr abschneiden müssen, weil er seinen Herrn bestohlen hatte. Der Mann, der während der blutigen Prozedur wie am Spieß geschrien hatte, konnte von Glück sagen, dass er nicht ein paar Finger oder gleich die ganze Hand verloren hatte. Wobei er dies nur der pragmatischen Art des Richters zu verdanken hatte, der die Leistungsfähigkeit des Knechts erhalten wollte. Im Grunde war es trotz allem eine milde Strafe, die gewiss dem derzeitigen Mangel an Arbeitskräften geschuldet war.

»Du solltest dich ein Weilchen hinlegen«, wandte er sich mit zärtlicher Sorge an Adelheid. »Elßlin kann den Haushalt übernehmen.«

»Papperlapapp«, erwiderte sie. »Es geht mir schon viel besser. Außerdem habe ich sie auf den Markt geschickt. Wir brauchen frische Lebensmittel.«

Ein keckerndes Schäck – Schäck – Schäck lenkte die Blicke der beiden zur Fensterbank. Die Elster Theoderich hatte sich dort niedergelassen und musterte sie mit ruckendem Kopf. Einst hatte der schwarzweiße Vogel Gertrudis, Adelheids Mutter, gehört. Nach ihrem Tod fand er in Levi einen neuen Freund und Herrn. Sogar seine Schlafstange stand nun in Levis Kammer.

»Wo steckt der Bursche denn?«, wollte Martin wissen.

»Er ist in der Scheune, Holz hacken. Bei dieser Arbeit kann man ganz wunderbar seine Kräfte verausgaben und kommt nicht auf dumme Gedanken.«

Martin lächelte. Der zehnjährige Levi war ein lebhafter Junge, den sie alle sehr mochten. Leider streunte er allzu gern auf den Gassen herum. Er brauchte dringend eine sinnvolle Beschäftigung, doch bisher hatte sich in dieser Hinsicht nichts aufgetan. Levi hatte in Martins Fußstapfen treten wollen, was dieser aber entschieden ablehnte. Es war nicht nötig, den Jungen mit dem Stigma des Scharfrichters zu beschweren. Allein die Tatsache, dass er bei ihnen wohnte, war schlimm genug. Seine jüdische Abstammung machte es nicht besser.

Die Judenmorde am Valentinstag des vorigen Jahres waren so gründlich gewesen, dass die meisten Bewohner der Judengasse dabei den Tod fanden. Soweit er wusste, gab es außer Levi, den sie zu seinem Schutz in der Öffentlichkeit Lenhart nannten, keinen einzigen Juden in der Stadt. Levi hatte seine gesamte Familie verloren, und an manchen Tagen wirkte er still und in sich gekehrt. Der Junge brauchte eine Aufgabe, die ihn die schweren Gedanken vergessen ließ. Eine Tätigkeit, die es ihm eines Tages erlauben würde, sein Brot selbst zu verdienen. Blieb nur noch die Frage, wo er sie finden konnte.

Der Geruch des über dem Feuer simmernden Kräutersuds nahm eine überwältigende Note an. Martin warf einen skeptischen Blick in die Richtung des Kessels. »Was kochst du denn da?«

»Du liebe Güte«, rief Adelheid aus. »Das hatte ich ganz vergessen. Du kennst doch den alten Wolckel, der die Mühle des Ritters Zorn betreibt?«

»Gewiss. Erst letztens habe ich ihn mit Mehlstaub bedeckt auf die Straße treten sehen. Seine Beine biegen sich immer mehr nach außen. Man fürchtet fast, dass sie ihm beim Laufen zerbrechen könnten.«

Adelheid nickte bekümmert. Der Ärmste litt unter entsetzlichen O-Beinen, die sich im Alter immer mehr verstärkt hatten. »Seit gestern plagt ihn ein schreckliches Fieber.«

Martins Magen zog sich vor Schreck zusammen. »Du warst doch nicht etwa …?«

»Keine Angst«, unterbrach sie ihn. »Seine Frau war hier. Ich habe ihr versprochen, einen Sud für ihn zu bereiten. Nur über die Mischung war ich mir nicht ganz im Klaren, da er nicht nur unter Kopfschmerzen leidet, sondern auch einen schrecklichen Husten hat. Deshalb habe ich ihn selbst gekocht, damit er stark genug ist. Nun muss er noch etwas abkühlen und in einen Krug gefüllt werden. Dann kann ihn Levi hinbringen.«

Erleichtert stieß Martin die Luft aus den Lungen. Er wusste, dass Adelheid auch nach der Geburt des kleinen Veit nicht vorhatte, das Erbe ihrer Mutter Gertrudis ruhen zu lassen. Sie würde sich weiter um die Kranken kümmern. Besonders im Gerberviertel, deren Bewohner sich keinen Medikus leisten konnten. Aber ihn plagte die schreckliche Furcht, dass sie sich dabei etwas holen könnte. Wenigstens in den folgenden Wochen sollte sie seiner Meinung nach jeglichen Kranken fernbleiben. Und er würde sein Möglichstes tun, um sie davon abzuhalten.

Die Tür öffnete sich und brachte eine schnaufende Elßlin zum Vorschein. »Puh, ist das eine Hitze.«

Martins Verwandtschaft mit seiner Schwester ließ sich nicht leugnen. Auch sie hatte das volle schwarze Haar ihres Vaters, das ihr in einem dicken Zopf über den Rücken fiel. Ihr rundes Gesicht hatte sich in der letzten Zeit etwas gestreckt. Die kindlichen Pausbäckchen waren verschwunden. Stattdessen traten ihre Wangenknochen stärker unter ausdrucksvollen grauen Augen hervor. Auch ihre Figur wandelte sich immer mehr zu den sinnlichen Formen einer jungen Maid.

Sie war im heiratsfähigen Alter, doch er hatte sich geschworen zu warten, bis sie selbst auf das Thema zu sprechen kam. Als Tochter eines Scharfrichters blieb ihr nichts anderes übrig, als einen Sohn aus denselben Verhältnissen zu heiraten. Und da er die unangenehmen Erfahrungen in dieser Hinsicht kannte, scheute er davor zurück, den Kuppler zu spielen.

»Ich habe Brot, etwas Käse und Gemüse mitgebracht«, sagte Elßlin, während sie den Korb mit einem wuchtigen Schwung auf den Tisch stellte und die gehorteten Schätze auspackte. »Oh, und ein paar Eier, damit du zu Kräften kommst.« Womit sie Adelheid meinte.

»Das ist lieb von dir, aber ich glaube, ich muss zuerst Veit wickeln.« Ein intensiver Geruch breitete sich in der Küche aus. »Doch zuvor sollte ich den Sud abfüllen und Levi damit zu Wolckel schicken.«

»Geh nur. Ich werde mich um alles kümmern.«

Martin fühlte den Blick seiner Schwester auf sich. »Und du könntest inzwischen die Ziegen melken. Etwas frische Milch wird der jungen Mutter guttun.«

Adelheid lächelte dankbar, während sie die Küche verließ und die Stiege zur Schlafkammer emporstieg. Es war rührend, wie alle sie umsorgten. Obwohl sie es allmählich übertrieben. Anfangs war sie froh darum gewesen. Die Geburt hatte ihr zugesetzt, aber die Wunden heilten, und bald würde sie wieder ganz die Alte sein.

Eine langsam untergehende Sonne schien freundlich auf das große Ehebett, nachdem sie oben angekommen war. Geschickt breitete Adelheid eine Decke über das Laken und legte den Kleinen darauf. In letzter Zeit hatte sie gelernt, gewisse Dinge mit nur einer Hand zu tun, weil im anderen Arm ein Säugling schlummerte. Es war erstaunlich, was sich auf diese Weise alles bewerkstelligen ließ.

Liebevoll betrachtete sie ihren Sohn, dessen Mund im Schlaf ein wenig offenstand. Ein kleines Rinnsal aus Milch lief ihm aus einem Mundwinkel. Sacht berührte sie mit der Fingerspitze den zarten Schwung der Brauen über seinen geschlossenen Lidern, deren Haut so dünn war, dass sie die feinen Äderchen darin erkennen konnte. Martin hatte recht. Er war wirklich vollkommen. Im Stillen dankte sie Gott für dieses wunderbare Geschenk.

Ob er wohl den gleichen Weg wie sein Vater einschlagen muss?, dachte sie beklommen. Oder hat der Herr in seiner Güte ein anderes Schicksal für ihn vorgesehen? Noch schien das nicht möglich, aber die Dinge konnten sich wandeln. Nichts in dieser Welt war gewiss.

»Zeit für frische Windeln«, sagte sie, um auf andere Gedanken zu kommen. »Du stinkst wie ein Bär.« Behutsam fing sie an, die Umhüllung aus Leinenbändern zu lösen.

Nachdem alles wieder sauber und ordentlich an seinem Platz war und Veit in der Küche in einem Körbchen schlummerte, setzte sich die kleine Gemeinschaft zu Tisch.

Levi stürmte kurz darauf herein, den leeren Krug und ein Säckchen in den Händen. »Sagt bloß, ihr habt schon ohne mich angefangen«, rief er in gespielter Empörung. »Hoffentlich habt ihr mir genug übrig gelassen.« Sein erstaunlicher Appetit hatte ihn in letzter Zeit ein ganzes Stück in die Höhe schießen lassen. Das Leben im Gerberviertel stärkte seine Muskeln, aber sein von dunklen Locken umrahmtes Gesicht war immer noch kindlich.

»Keine Sorge, du wirst schon nicht verhungern«, erwiderte Martin amüsiert.

Die sanften braunen Augen des Jungen richteten sich auf Adelheid. »Die Müllerin schickt dir grob geschrotete Gerste zum Dank für deine Mühe«, wandte er sich an sie, was ihr ein kleines triumphierendes Lächeln entlockte.

Levi plapperte fröhlich drauflos und brachte sie ein ums andere Mal zum Lachen. Nichts trübte das Glück und die Heiterkeit, die in das Scharfrichterhaus eingezogen waren.

Martin nahm seine Frau in die Arme und küsste sie, nachdem sie sich endlich in die Schlafkammer zurückgezogen hatten. Seine Finger machten sich an den Schnüren ihrer Haube zu schaffen. Sanft nahm er sie fort. Dann löste er ihr Haar, das in einer nussbraunen Kaskade über ihren Rücken fiel und ihr mädchenhaftes Gesicht mit den großen blauen Augen weich umrahmte, fuhr den sanften Schwung ihrer Ohren nach. Ihr Duft erweckte seine Männlichkeit. Martin zog sie enger an sich, küsste ihren Hals und die empfindsame Stelle, wo er in die Schulter überging. Seine Hände wanderten über ihren Leib, der durch die zurückliegende Schwangerschaft etwas voller geworden war. Auch ihre Brust hatte an Umfang zugenommen, und er musste gestehen, dass ihn diese Tatsache mehr freute als störte.

Den Kleinen hatten sie in die Wiege gelegt, die Martin bei einem Schreiner hatte bauen lassen. Noch immer schlief er tief und fest.

»Dein Bart kratzt«, bemerkte Adelheid zwischen zwei Küssen. »Morgen solltest du dich rasieren.«

»Ich kann es auch gleich tun«, erwiderte er hoffnungsvoll.

Ein leises Krähen brachte sie aus dem Takt. Er fühlte, wie Adelheids Aufmerksamkeit mit jedem Laut näher zu der Wiege hindriftete. Bald war sie so fahrig wie eine Katze, die aus Versehen in eine Hundehütte geraten war.

»Lass ihn ein wenig schreien, das wird seine Lungen stärken«, flüsterte er. Dass es aber auch ausgerechnet jetzt sein musste! Sein Verlangen wuchs mit jedem Herzschlag. Doch sein Sohn schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Das zarte Quäken steigerte sich zu durchdringendem Gebrüll, das all seine Versuche zunichtemachte.

»Ich muss ihn stillen.« Behutsam löste sich Adelheid aus seinen Armen. »So oder so wirst du dich noch ein Weilchen gedulden müssen. Noch ist es zu gefährlich.«

Martin zog sich aus und kroch missmutig unter das Laken, während er Adelheid dabei zusah, wie sie Veit aus der Wiege nahm, sich an den Rand des Bettes setzte und ihn an die entblößte Brust legte.

Sie muss ja nicht gleich mit mir schlafen, dachte er verärgert. Schließlich gibt es noch andere Dinge, die wir tun könnten. Doch darauf schien sie nicht aus zu sein. Stumm lauschte er den glucksenden Lauten seines Sohnes, während er sich keinen besseren Platz vorstellen konnte als den, der jetzt besetzt war.

Ein weiteres unangenehmes Gefühl schlich sich in sein Herz, das einen Anflug von Scham in ihm auslöste. Du wirst doch nicht etwa eifersüchtig auf dein eigenes Kind sein?, schalt er sich stumm.

Trotzdem war sie da gewesen, diese Regung, sich etwas nehmen zu wollen, das gerade einem anderen gehörte. Jäh ging ihm auf, dass die Rolle des Vaters nicht nur pure Freude sein konnte, sondern auch Opfer von ihm verlangte. Die Aufmerksamkeit seiner Frau galt ihm nun nicht mehr allein. Er musste sie teilen.

Und er war sich nicht sicher, ob ihm dieser Gedanke gefiel.

27. August 1350

Martin verabschiedete sich im Hof von Adelheid, wo sie mit Elßlin gerade damit beschäftigt war, frisch ausgekochte Windeln über einer gespannten Leine zum Trocknen aufzuhängen. Veit schlummerte in seinem Körbchen, das sie in den Schatten gestellt hatte.

Kurz vor Tagesanbruch war ein kräftiger Schauer niedergegangen, doch in der morgendlichen Sonne verdampfte die Feuchtigkeit und ließ sie wie kochendes Wasser in einem Kessel nach oben steigen. Die Schwüle war jetzt schon beträchtlich, und der strahlend blaue Himmel deutete auf keine Abkühlung hin.

»Gib auf dich acht, und mute dir nicht zu viel zu.« Martin drückte Adelheid einen Kuss auf die erhitzte Stirn und schob eine nussbraune Haarsträhne unter ihre Haube zurück.

Waschen war eine anstrengende Arbeit. Gestern hatte sie mit Elßlin die Windeln im Fluss gespült und sie anschließend mit schwarzer Schmierseife eingerieben, die hervorragend bleichte. Die dunklen Flecken waren in dem ungefärbten Gewebe kaum mehr zu sehen. Adelheid hatte sie von Meralt, einer Seifensiederin, zum Dank für ihr Leben erhalten. Die alleinstehende Mutter war eine von jenen gewesen, die durch Adelheids Behandlung von der Pest genesen waren, was ihrer Tochter das harte Dasein einer Waise ersparte.

»Ich tue nur das, was alle Frauen tun. Es ist längst an der Zeit, dass ich wieder meinen Pflichten nachkomme.«

Martin verbiss sich eine Antwort, gewarnt durch den missbilligenden Ausdruck in Adelheids Gesicht. Sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, stahl er sich hinein. Manchmal war es besser, den Mund zu halten, denn sie konnte störrischer als ein Esel sein. Er konnte nur hoffen, dass sie es von allein merkte, sobald sie sich überanstrengte. »Bis zum Nachtmahl bin ich wieder da.«

Adelheid warf ihm einen spitzbübischen Blick zu. »Übertreibe es nicht.«

Er antwortete mit einem schiefen Grinsen. »Ich tue nur das, was alle Scharfrichter tun.« Sein Mund näherte sich ihrem Ohr. »Doch ich glaube kaum, dass mir die Milch davon sauer wird.«

Sie gab ihm lachend einen Klaps vor die Brust. »Hinfort mit dir, bevor du noch mehr Unfug daherredest.«

Martin dachte über die bevorstehende Angelegenheit nach, als er den Hinterhof durch das in den Holzzaun eingelassene Tor verließ. Auf der anderen Seite des schmalen Trampelpfades zu seinen Füßen ragte die Wehrmauer empor.

Der Delinquent, der ihn vor dem Rathaus erwartete, hatte sich in den Schänken der Stadt herumgetrieben und sich dort um Kopf und Kragen gesoffen. Schließlich war er so verschuldet, dass er Haus und Hof verloren hatte.

Mehr als eine Ehrenstrafe wird ihm dafür nicht blühen, obwohl diese, verbunden mit der Tatsache, dass er nun so arm wie eine Kirchenmaus ist, schon schlimm genug sein mag. Wenigstens wird er mit dem Leben davonkommen.

Der Ammeister hatte Martin bereits mitgeteilt, welche Buße der Richter verkünden würde, und so hatte er am gestrigen Tag die wenigen Vorkehrungen getroffen.

Inzwischen war er um das zweistöckige Fachwerkhaus und den daran anlehnenden, hoch aufragenden Henkerturm herumgegangen. Dort erstreckte sich das sandige Ufer der Breusch, die fast an seiner Eingangstür vorbeifloss.

Sein Heim lag in der Biekergasse, am Rand des Gerberviertels, das wiederum zu einem der äußersten Bezirke der Stadt zählte. Genau der richtige Platz für den Henker.

Lange hatte Martin mit seinem Schicksal gehadert, das ihm als Sohn eines Scharfrichters vorherbestimmt war. Doch die Hochzeit mit Adelheid hatte ihn mit vielem versöhnt. Auch wenn er seine Arbeit immer noch nicht mochte, so hatte er die Frau an seiner Seite, die er liebte. Und nun hatte sie ihm sogar einen Sohn geschenkt. Vielleicht würden im Lauf der Zeit weitere Kinder hinzukommen? Ein Grinsen überflog seine Lippen. Auf jeden Fall würde er sich gehörig anstrengen.

Martins Weg führte ihn am Fluss entlang, der in der sommerlichen Hitze schlimmer stank als im Winter. Dies hatte die Breusch den Abfällen der Gerber, Färber und Seifensieder zu verdanken, die hier ihrem Tagwerk nachgingen. Wie alle anderen nutzten sie die frühen Morgenstunden, in denen es trotz der feuchten Schwüle etwas kühler als am Mittag war. Die Luft stand seit Tagen. Nicht das leiseste Lüftchen sorgte für ein wenig Erfrischung.

Martin nickte mehreren Gerbern zu, die vor ihren Fachwerkhäusern eingeweichte, über einen Baumstamm gelegte Tierhäute mit Scherdegen bearbeiteten, um sie von Fleisch und Haaren zu befreien. Feucht, gedrungen und ohne ein steinernes Fundament erbaut, wirkten die Behausungen wie beengte Hütten, in denen die Familienmitglieder in Schmutz und einem Gemisch aus fauligen Gerüchen lebten. Zwei Gesellen hängten tropfende Häute an ein Stangengerüst, die sie zuvor im Fluss gespült hatten.

Bei den Färbern roch es anders, aber nicht besser. Über ihren Schindeldächern hing der beißende Gestank von Farbflotten und Beizlösungen, der sich mit den Ausdünstungen von kochendem Hammelfett aus den Seifensiedereien mischte.

Vom Flussufer lief Martin in die Gassen und gelangte schließlich zum St.Martinsplatz, wo sich eine weitere Herausforderung für seine Nase hinzugesellte. Das gammelige Aroma des Fisches, der hier verkauft wurde, schwebte wie öliger Nebel in der Luft und war selbst für ihn ungewöhnlich. Die Schwüle schien dem frischen Fang nicht zu bekommen. Martin versuchte, flacher zu atmen, bis er den trüben Augen von Zander, Wels, Karpfen und Schleien entkam, die auf den Bänken auslagen.

Unter den beiden Außentreppen und zwischen den Pfeilern des Rathauses standen Brotbänke und Krämerstände. Im Augenblick drängte sie eine Menschenmenge, die sich davor eingefunden hatte, in den Hintergrund. Der Ausrufer war gestern mit seiner Glocke durch die gesamte Stadt gewandert und hatte verkündet, dass heute das Urteil über Ellenhardt, Bäcker zu Straßburg, ergehen würde. Anscheinend wollte niemand den Spaß verpassen.

Martin wich den Schaulustigen aus, betrat das Rathaus durch den Hintereingang und meldete, dass er eingetroffen war. Dann ging er wieder nach draußen, um sich in eine unauffällige Ecke am Rand des Platzes zu drücken, bis er gebraucht wurde. Vielstimmiges Geplapper drang von den Männern und Frauen in dessen Mitte herüber. Was sie wohl reden mochten? Er hatte kein Recht, sich unter normale Menschen zu mischen, die das Glück hatten, in einen ehrlichen Stand hineingeboren zu sein. Es sei denn, sein Amt erforderte es.

Aber ganz egal, ob sie ehrlich oder unehrlich, so wie er, waren, die Pest kannte keinen Unterschied, und ihr grausiger Schnitter hatte fast überall reiche Ernte gehalten. Etliche Häuser in der Stadt standen immer noch leer. In andere waren neue Besitzer eingezogen. Weitere hatte man abgerissen, um Platz für Gärten, Grün- und Lagerflächen zu schaffen. Die Überlebenden bemühten sich, wieder ein normales Leben zu führen, doch nicht allen schien es zu gelingen.

Vermutlich war Ellenhardt einer von jenen, denen dies schwerfiel. Der Ammeister hatte Martin erzählt, dass der Beschuldigte versucht hatte, sich herauszureden. Er habe Frau und Kinder an die schreckliche Krankheit verloren und seinen großen Kummer in starkem Gesöff ertränkt. Konnte man ihm das verübeln?

»He, Scharfrichter!« Die erstaunlich tiefe Stimme eines Jungen riss Martin aus seinen Gedanken. »Hast du ein paar Münzen für uns? Nicht, dass wir unser Essen vor lauter Hunger noch stehlen müssen.«

Allzu hungrig sah er nicht gerade aus. Martin betrachtete den sehnigen Burschen, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Man konnte wohl sagen, dass er nicht dick war, aber keineswegs unterernährt. Er wirkte wie ein Junge, der seine ganze Energie darauf verwendete, in die Höhe zu schießen. Dennoch schien die männliche Stimme noch nicht so recht zu ihm zu passen.

Ein kleines, schmutziges Mädchen stand neben ihm, dessen runde blaue Augen viel zu abgeklärt für sein Alter dreinblickten. Den verschlissenen Kleidern nach zu urteilen, gehörten die beiden zu den Pestwaisen, die sich über den gesamten Platz verteilt hatten. Neuerdings sah man sie überall, vor allem in den Gassen des Stadtkerns, mit einer bittend nach vorn gereckten Schale oder der bloßen ausgestreckten Hand. Kinder und Halbwüchsige, für die niemand die Verantwortung übernahm. Das Waisenhaus war zum Bersten voll, und denen, für die dort kein Platz mehr war, überließ man es, für sich selbst zu sorgen. Oft hatten sie keine andere Wahl, als sich bettelnd über die Runden zu bringen. Doch Martin ahnte, dass sie es nicht dabei beließen. Der Junge gehörte eindeutig zu den Älteren und mochte um die 14 oder 15 Jahre alt sein.

»Das Stehlen würde ich an deiner Stelle lieber lassen. Es sei denn, du willst eine Hand verlieren oder mit dem Hals an einem Strick baumeln.« Immer wieder kam es zu Taschendiebstählen und kleinen Einbrüchen, bei denen die Diebe unerkannt entwischten. Vermutlich waren die Bettelkinder, wie man sie gemeinhin nannte, nicht ganz unschuldig daran.

»Nur, wenn man sich erwischen lässt«, entgegnete der Junge selbstsicher. Er sah ihm ohne jede Scheu in die Augen, was selbst für einen Gassenjungen ungewöhnlich war. Die meisten starrten zu Boden oder an ihm vorbei, damit das Pech und der Tod, die der Meinung der Bevölkerung nach an ihm hafteten, nicht auf sie überging.

Martin hob warnend die Brauen. »Manchmal geschieht es schneller, als einem lieb ist.«

Der Mund des Jungen zuckte spöttisch. Er hatte kastanienbraunes Haar mit einem rotgoldenen Schimmer, dessen Farbe sich ein wenig heller in seinen Augen widerspiegelte. Sein gut geschnittenes Gesicht strahlte eine verschmitzte Jungenhaftigkeit aus, wäre da nicht die lange schmale Narbe auf der linken Wange gewesen, die in einem Bogen bis zum Kinn verlief. Martin glaubte ohnehin nicht, dass er so harmlos war, wie er aussah.

In diesem Moment betrat der Ammeister Heirich Gire eine der überdachten Außentreppen. Er war ein Schustermeister, der Johannes Betschold abgelöst hatte. Der Magistrat wurde jedes Jahr erneuert. Und obwohl einige Ratsmitglieder ihr Amt im Laufe der Zeit mehrmals ausübten, übergab der Ammeister diese Würde einem anderen. Martin hatte sich an den Mann gewöhnt, so wie er sich nächstes Jahr den Gewohnheiten seines Nachfolgers würde anpassen müssen. Im Gegensatz zu Betschold war Gire klein und agil. Der ihm folgende Richter in seinem purpurnen Ornat war mehr als einen Kopf größer und fast doppelt so breit. Würdevoll schritten sie die Treppe herab, gefolgt von zwei Bütteln, dem Verurteilten und zwölf Schöffen. Den Abschluss bildete ein Stadttrommler.

Als sie unten ankamen, tupfte sich der Ammeister mit einem Tuch den Schweiß von der bleichen Stirn. Trotz seiner schlanken Gestalt bekam ihm die Anstrengung in der Hitze nicht, was sicher auch an den dicken Gewändern lag, die er zum Zeichen seines Amtes trug. Er wirkte darin wie ein Zelter in der Schabracke eines Kampfrosses.

Auch Martin fühlte Feuchtigkeit auf seiner Haut. Sein Blick glitt zu Ellenhardt. Der Bäcker maß die Menge, die zu seiner Bestrafung gekommen war, mit seltsam belustigter Miene. Die Trinkerei war ihm deutlich anzusehen. In seinem Gesicht flammten rote Flecke wie knospende Blüten auf, und das dümmliche Grinsen passte zu den trüben Augen. Hinter seiner Stirn schien es schon merklich leer zu sein. Wahrscheinlich hatte er lange vor der Pest jegliches Maß für starke Getränke verloren.

Die Menge verstummte, was an der kurzen Einlage des Stadttrommlers lag, der ein paar kräftige Wirbel auf seinem Instrument schlug. Nur das Plappern eines kleinen Kindes schallte jetzt noch über den Platz. Als es der Mutter endlich gelungen war, es zum Schweigen zu bringen, erhob der Richter seine Stimme.

»Ellenhardt, Bäckergeselle zu Straßburg. Ihr werdet beschuldigt, der Trunksucht verfallen zu sein, und habt Euch dadurch um Hab und Gut gebracht. Um Euch eines Besseren zu belehren, zur Warnung für alle anderen und zum Zeichen, dass Ihr ein Säufer seid, werdet Ihr in ein Fass gesteckt und müsst bis zum Abend damit durch die Stadt laufen.«

Ellenhardt setzte ein dümmliches Grinsen auf, das der Richter hoheitsvoll überging. »Nachrichter! Tu dein Werk!«

Martin, der inzwischen für alle sichtbar herangetreten war, eilte zum Hintereingang des Rathauses, um das dort deponierte Fass auf den Platz zu rollen.

Da niemand die Dinge berühren wollte, die er angefasst hatte, war er gezwungen, den Delinquenten unter dem Gelächter der Umstehenden allein in sein neues Kleid zu stecken. Es kostete ihn beträchtliche Mühe, es Ellenhardt überzustülpen. Gestern hatte Martin den vorderen Fassboden und die mittleren Bretter des hinteren entfernt. Auf diese Weise hatte er einen Ausschnitt für den Kopf geschaffen und eine ausreichende Auflagefläche für die Schultern gelassen. In der Mitte der Dauben hatte er zwei weitere Öffnungen für die Hände angebracht. Als Ellenhardt endlich darin steckte, wirkte der Bäcker wie ein wandelnder Bottich in Beinlingen und Schuhen. Der mit einer hellen Bundhaube bedeckte Kopf lugte wie ein großes Ei daraus hervor.

Auf Martins Nicken hin stellte sich der Stadttrommler vor den Delinquenten und begann, den Takt vorzugeben. Die mit Fell bespannte, zylinderförmige Tabor an seinem Gürtel gab bei jedem Schlag der Holzstöcke in seinen Händen dunkel dröhnende Laute von sich. Einer der Büttel versetzte Ellenhardt einen Tritt, der ihn nach vorne stolpern ließ. »Na los. Lauf hinterher. Oder sollen wir dich durch die Stadt rollen?«

Martin bildete die Nachhut der bizarren Prozession, die sich langsam in Bewegung setzte. Er warf einen Blick zu der Ecke, an der er vorhin gestanden hatte. Die beiden Bettelkinder waren verschwunden.

Das, was nun folgte, bestätigte Martins Meinung, dass es kaum etwas Gnadenloseres als Schadenfreude gab. Faulige Früchte wanderten aus Körben und Taschen in die Hände der Schaulustigen, und unter amüsiertem Gejohle und Gekreische wurde damit auf den Kopf des Delinquenten geworfen.

Drei junge Männer lieferten sich einen eifrigen Wettstreit in der Kunst des Zielens. Martin hörte das bewundernde Kichern der Mädchen, sobald einer einen Volltreffer landete. Nach nur wenigen Schritten war Ellenhardts helle Bundhaube von allerlei Flecken übersät.

Noch schlimmer wurde es bei den Fischbänken. Martins Geruchssinn wurde auf eine weitere harte Probe gestellt, als die Marktfrauen die Innereien der ausgenommenen Fische vom Boden klaubten und sie, begleitet von unflätigem Geschrei, gegen das Fass schleuderten. Auch hier war der Spaß unverkennbar.

Es wurde ein langer Tag voll von ekelerregenden Wurfgeschossen und üblem Gestank, der sich unter der heißen Sonne zu immer neuen Höhen aufzuschwingen schien. Eine Schar kreischender Kinder sprang hinter ihnen her, die Ellenhardt zum Takt der Trommel mit Dreck bewarfen, den sie von den Gassen klaubten. In jedem Viertel wechselte die Schar, was der Sache immer neuen Schwung verlieh.

Der Bäcker ertrug den Spott der Stadtbewohner mit hoheitsvoller Ignoranz. Ein paarmal kippte das Fass vor den höhnisch lachenden Zuschauern nach vorne in eine äußerst theatralische Verbeugung, als befände sich der Verurteilte in einem Schauspiel und nicht in der harten Realität. Einmal brach er selbst in Gelächter aus, nachdem ihn ein frischer Pferdeapfel an der Stirn getroffen hatte. Dies brachte sogar die Kinder für einen Moment zum Schweigen.

Als es endlich Abend wurde und Martin den Delinquenten aus dem stinkenden Holz schälte, an dem eine Schicht aus Kot und Verdorbenem klebte, konnte er sich eine Frage nicht verkneifen. »Sagt mir, was hat Euch dazu bewogen, so gelassen zu bleiben?«

Ellenhardt grinste. »Das zuverlässigste Mittel, das ich kenne.« Er rieb sich die schmerzenden Schultern und bedeutete Martin mit dem Kinn, zur Seite zu treten, damit ihn die Büttel nicht hörten, die den Zug ebenfalls bis zum Schluss begleitet hatten. »Ich hab vorher so viel getrunken, bis mir gleichgültig war, was die Leute über mich denken.«

»Ihr habt was?«

Ein schiefes Grinsen zog über Ellenhardts Lippen. »Gesoffen.«

»Aber Ihr seid weder getorkelt, noch hat man es gerochen.« Das dümmliche Lächeln, das er zur Schau gestellt hatte, und die trüben Augen passten allerdings dazu.

Ellenhardt hob den Zeigefinger. »Das ist eine Frage der Übung und das Ergebnis einer scharfen Zwiebel. Gründlich gekaut übertüncht ihr Gestank alle weiteren Gerüche.« Sein Grinsen wurde breiter. »Gib mir jeden Tag genug zu trinken, und ich brauche nie wieder eine Frau. So, und nun werd ich weiterüben. Das heißt …« Er sah an sich hinunter. »Sobald ich mich gewaschen hab. So werden sie mich wohl kaum in eine Schänke lassen.«

Martin schüttelte den Kopf und sah ihm verblüfft hinterher. Die Strafe schien Ellenhardt weder zur Vernunft zu bringen, noch änderte sie seinen Lebenswandel. Doch je länger Martin darüber nachdachte, desto klarer wurden ihm die Beweggründe des Mannes.

Wenn man es genau nimmt, hat er außer seinem Leben nichts mehr zu verlieren.

Ein mit einer Schandstrafe belegter Delinquent büßte jegliches Ansehen ein. Er verlor sogar seine Bürgerrechte und wurde von diesem Tag an nicht mehr als ehrbar betrachtet. Im Grunde war er fast auf Martins Stufe gesunken. Sein bisheriges gesellschaftliches Leben in Straßburg blieb ihm von nun an verwehrt. Die meisten Bürger würden ihn meiden, um nicht mit einer Person gesehen zu werden, deren Leumund ruiniert war. Vermutlich konnte Ellenhardt fortan weder als Bäcker arbeiten noch eine seiner bisherigen Schänken aufsuchen. Er würde in zwielichtige Spelunken mit halbseidenem Publikum ausweichen und – falls er Glück hatte – sein Brot als Tagelöhner verdienen müssen. Wenn dann auch noch der Halt einer Familie fehlte, war es kaum verwunderlich, wenn er sich vollends den Kragen absoff.

Wahrscheinlich wird man ihn eines Morgens leblos in der Gosse finden, vorausgesetzt, er hat genug Geld, um sich zu Tode zu saufen. Martin grübelte noch eine ganze Weile über das Los des Bäckers nach, hin- und hergerissen zwischen Mitleid und dem Gefühl, dass der Mann sich dies selbst zuzuschreiben hatte. Immerhin gab es noch die Möglichkeit, sich zusammenzureißen und wenigstens zu versuchen, das Schlechte in etwas Gutes zu verwandeln. So manch einem war dies schon gelungen.

Und während er darüber nachdachte, rollte er das notdürftig gewaschene Fass in den länger werdenden Schatten nach Hause.

29. August 1350

Mit einem hohlen hölzernen Ton glitt das Fass der vorgestrigen Schandstrafe an seinen Platz. Martin hatte es noch am selben Abend gründlich in der Breusch gewaschen und verstaute es nun – nach einem Tag an der frischen Luft – in der Kammer des Turms, die dafür vorgesehen war. Auf dem Boden und in Regalen reihte sich eine ganze Sammlung an Gegenständen, die für Ehrenstrafen verwendet wurden. Schandgeigen und Schandmasken, schwere Lastersteine, die man den Delinquenten um den Hals hängte, überdimensionale Rosenkränze, Falschspielerketten und vieles mehr. Alles Dinge, die dazu dienten, den Bestraften zu verunglimpfen, ihn lächerlich zu machen und im bestmöglichen Fall zur Vernunft zu bringen.

Martin ließ die Schmach und den modrigen Geruch der Kerkerräume hinter sich und trat ins Freie. Hinein in die reinigende Kraft der Sonne. Im Hof entdeckte er Levi, der eben aus dem Stall schlenderte. Anscheinend war er gerade damit fertig, die Ziegen zu füttern.

»Kommst du mit in die Stadt?«, fragte er und gähnte herzhaft.

Levis Nase kräuselte sich. »Hast wohl nicht viel geschlafen, was?«

Martin schüttelte den Kopf. Der kleine Veit hatte die letzten beiden Nächte mit Plärren verbracht. An Schlaf war kaum zu denken gewesen, geschweige denn an etwas anderes. Beim ersten Licht des erwachenden Morgens hatten Adelheid und er den erfolglosen Wunsch nach ein paar erholsamen Stunden endgültig aufgegeben und allein ihr Frühmahl eingenommen, während die anderen noch schliefen.

»Sein Geschrei war bis in meine Kammer zu hören. Selbst Theoderich fühlte sich davon gestört und konnte es nicht lassen, auf seiner Stange herumzuscharren.«

Martin schnaubte. Vermutlich war niemandem im Haus das Gebrüll entgangen, obwohl Elßlin kein einziges Wort darüber verloren hatte. Tagsüber schlief der Kleine wie ein Engel. Nur nachts schien ihn irgendetwas zu plagen. Adelheid hatte mit der Frau des Schinders gesprochen. Sie war der Ansicht, dass der Junge unter Blähungen leide, und hatte ihr einen Sud aus Fenchelsamen empfohlen. Wenn sie ihn trank, würde er auch Veit helfen. Doch bisher zeigte er keine Wirkung.

»Hast du in der Stadt zu tun?«, fragte Levi. Er zupfte sich ein paar Heuhalme aus den dunklen Locken, während er Martin aufmerksam musterte.

Die Frage entlockte Martin ein schiefes Grinsen. »Nicht auf diese Weise. Ich muss zum Ammeister.« Er wollte seinen Lohn für das Richten einfordern. Außerdem hatte er vor ein paar Tagen ein neues Fass für Ellenhardt angeschafft. Da er dies im Auftrag der Stadt getan hatte, würde der Magistrat ihm die Kosten dafür ersetzen.

»Gut, ich komme mit. Wir brauchen ohnehin frisches Heu für die Ziegen.«

Adelheid scheuerte das schmutzige Geschirr mit feuchtem Sand, um es danach in klarem Wasser zu spülen, als die beiden in die Küche traten. Um ihre schönen blauen Augen lagen dunkle Schatten. Sie wirkte genauso müde wie er. Veit lag in seinem Körbchen und schlief so friedlich, als ob er nie etwas anderes getan hätte.

»Mir wäre es lieber, wenn du dies nachts tun würdest«, wandte sich Martin an seinen Sohn. Seine Mahnung verhallte ungehört. »Du solltest dich ausruhen«, sagte er zu Adelheid.

»Später. Es gibt noch einiges zu tun.« Ihre sonst so rosige Haut hatte heute einen matten, blassen Ton angenommen.

Langsam begann er sich wirklich zu sorgen. »Wo ist Elßlin?«

»Ich habe sie zum Brunnen geschickt.«

»Das hätten doch Levi oder ich übernehmen können!«, schalt Martin. »Es wäre mir lieber, wenn sie dir etwas mehr zur Hand ginge.«

»Das tut sie doch«, zischte Adelheid. »Hör auf, mich wie ein rohes Ei zu behandeln. Ich bin nicht so schwach, wie du denkst!«

Nur, dass deine Nerven so dünn wie ein zu fein gesponnener Faden sind. Von seinen eigenen ganz zu schweigen.

»Ich warte dann mal lieber draußen.« Levi trat den geordneten Rückzug an, bevor ihn jemand aufhalten konnte. Offenbar hatte er keine Lust, in Streitigkeiten verwickelt zu werden und eventuell für den einen oder anderen Partei ergreifen zu müssen.

Martin holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Ich meine doch nur, dass du dich ein wenig hinlegen solltest. Glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich bin genauso müde und würde es sofort tun, wenn ich könnte.«

Ihre Lider verengten sich. Dazwischen glomm ein Funke, den man fast als boshaft bezeichnen konnte. »Ach, und warum tust du es dann nicht?«

»Weil ich, nun ja …«, er biss sich auf die Lippe, »noch zu tun habe.«

Die Genugtuung, die sich in Adelheids Gesicht ausbreitete, erinnerte ihn an die Miene einer Katze, die gerade eine Maus vertilgt hatte.

»Siehst du! Mir ergeht es nicht anders. Ich schlage deshalb vor, dass du deine Arbeit tust und mich die meine machen lässt.«

»Wir könnten eine Magd einstellen.« Früher hatte Irmel diese Aufgabe übernommen, aber sie war zusammen mit seinen Eltern an der Pest gestorben.

»Und von welchem Geld, wenn ich fragen darf? Muss ich dich daran erinnern, dass wir gerade so über die Runden kommen?«

»Was nicht an mir liegt.«

Sie senkte den Kopf und sah zu Boden. »Ich weiß. Dem Herrn sei Dank, dass du schon eine ganze Weile weder eine Tortur durchführen noch ein Todesurteil vollstrecken musstest.«

Bedauerlicherweise waren es diese beiden unerfreulichen Dinge, die das meiste Geld einbrachten. In seinem Handwerk war eine gute Entlohnung eine heikle Angelegenheit.

»Nun gut«, erwiderte Martin so würdevoll, wie es ihm möglich war. »Aber gib nicht mir die Schuld, wenn du keine Milch mehr hast.« Hoch erhobenen Hauptes verließ er die Küche.

»Wo gehst du hin?«, rief sie ihm nach.

»Meinen Lohn einfordern.« Der bissige Ton in seiner Stimme war auch für seine Ohren unüberhörbar.

Die Sonne schien so rücksichtslos wie schon in den letzten Tagen auf Martin und Levi herab, als sie sich auf den Weg zum Rathaus machten. Sie liefen im Schatten der Häuser und wichen übelriechendem Unrat aus, der sich auf den Gassen breitmachte.

»Ein reinigender Regen würde nicht schaden«, meinte Levi. Ein großer, leerer Sack hing über seiner Schulter.

»Das wäre nicht schlecht«, entgegnete Martin. »Aber wenn es zu stark regnet, laufen die Abortgruben voll, und ich muss sie leeren.« Obwohl es ein paar Münzen mehr in die Haushaltskasse spülen würde, dachte er zerknirscht.

Levi schüttelte nachdenklich den Kopf. »Kein angenehmer Gedanke.«

»Nein. Trotzdem gehört es zu den geringeren Übeln meines Standes.«

»Wenn man davon absieht, dass du hinterher wie ein Misthaufen stinkst«, erwiderte Levi grinsend.

»Sollte dir weiter der Sinn danach stehen, mich zu verspotten, nehme ich dich das nächste Mal mit.« Der Streit mit Adelheid steckte ihm noch in den Knochen, aber er wollte seine schlechte Laune nicht an Levi auslassen. Schließlich konnte niemand etwas dafür, dass sein junges Weib eine gewisse Streitlust in sich trug.

»Nein, schon gut«, wehrte Levi lachend ab. »Außerdem war es dein ausdrücklicher Wunsch, dass ich kein Scharfrichter werde.«

»Das stimmt – und ich bin immer noch derselben Meinung.« Er wusste, dass Levi ihn sehr mochte. Allein dies hatte den Burschen dazu bewogen, sein Schicksal mit ihm teilen zu wollen. Weil Martin ebenfalls große Zuneigung für ihn empfand, hatte er abgelehnt. Solange er die Wahl hatte, würde er sein Amt niemandem aufbürden. Und in diesem Fall hatte er sie. Was wieder einmal die Frage aufwarf, wie er es hinbekommen sollte, Levi eine angemessene Lehre zu beschaffen.

Die Bettelkinder hockten auf ihren Posten, als die beiden vor dem Rathaus ankamen. Martin suchte mit den Augen den St. Martinsplatz ab, während ihm das tranige Aroma der Fischbänke in die Nase stach. Der große Junge mit der Narbe war nirgends zu sehen. Er ließ Levi draußen warten und betrat das Rathaus wie üblich durch den Hintereingang.

»Meister Hans«, begrüßte ihn Heirich Gire in seiner Amtsstube. Anders als Betschold war der neue Ammeister stets begierig darauf, Martin wissen zu lassen, wie wenig er von ihm hielt, weshalb er ihn oft mit dem Spottnamen für einen Henker ansprach. Nur, wenn es sein musste, benutzte er die Bezeichnung Scharfrichter oder gar seinen wirklichen Namen. »Wie ich hörte, ist Ellenhardts unfreiwilliger Spaziergang ohne größere Zwischenfälle verlaufen.«

»So kann man es nennen.« Wenn man von den Mengen an Unrat absah, die den ganzen Tag auf ihn niedergegangen waren.

Der Raum mit den dunkel vertäfelten Wänden und den mit Schnitzereien verzierten Truhen und Bänken war trotz der hohen, mit kleinen rautenförmigen Bleiglasscheiben versehenen Fenster merklich kühl. Dies tat nicht nur Martin gut, wie er am Gesicht des Ammeisters feststellte, das längst nicht so verschwitzt wie vorgestern war. Kluge grüne Augen blickten daraus hervor. Eine Mahnung an alle, die Gefahr liefen, den etwa 40-jährigen Mann wegen seiner geringen Größe zu unterschätzen.

Der Schreiber, der etwas entfernt an einem Stehpult stand, schrieb Martins Forderungen mit.

Gires Lider verengten sich, als ob er prüfen müsse, ob sie gerechtfertigt waren. »Es sei ihm gewährt«, sagte er schließlich, damit auch dies notiert werden konnte.

Er zog eine der Schubladen auf, die sich in den Tiefen des klobigen Tisches verbargen, hinter dem er saß, und holte eine hölzerne Kassette hervor. Martin hörte das Schnappen eines Schlosses, bevor der Deckel sich öffnete. Mit geschickten Fingern zählte der Ammeister die Münzen vor seinen Augen in ein Tuch, das er anschließend verknotete und in seine Richtung schob.

»Gegeben am 29. Tag des Augusts an Martin, Scharfrichter zu Straßburg, im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1350, am Gedenktag der Enthauptung Johannes des Täufers, in der Regierungszeit des Herrn Karl IV., römisch-deutscher König im 4. Jahr seiner Königsherrschaft und König von Böhmen«, drang Gires Stimme durch den Raum.

Die Feder des Schreibers glitt kratzend über das Pergament. Martin nahm das Tuch mit den Münzen am obersten Zipfel an sich, um durch seine Hände nicht den Tisch des Ammeisters zu verunreinigen oder gar mit ihm selbst in Berührung zu kommen.

Levi lümmelte auf dem Platz herum, als er wieder nach draußen trat. Die Augen des Jungen schweiften umher, und wie so oft hatte Martin das Gefühl, als ob er etwas suche. Bisher hatte er kein Wort darüber verloren. Martin vermied es, allzu sehr in ihn einzudringen. Er wusste ohnehin, dass Levi unter dem Verlust seiner Familie litt. Sicher war es am besten, nicht an dieser Wunde zu kratzen und sie von Neuem aufzureißen. Der Junge würde ihm schon sagen, wenn ihn etwas bedrückte.

Er war sich fast sicher, dass Levi seine Geheimnisse Elßlin anvertraute. Die beiden waren gute Freunde geworden, was Martin ihnen keineswegs verübelte. Jeder Mensch brauchte jemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte. Und er hatte am eigenen Leib erfahren, was es hieß, wenn die Ständehierarchie oder gewisse Umstände dies verhinderten. So war es ein Segen, dass Elßlin diese Rolle für ihn übernahm.

»Komm, lass uns das Heu holen gehen.« Er tätschelte die Geldkatze an seinem Gürtel, die für ein Weilchen gefüllt sein würde.

Sie schlenderten zum Barfüßerplatz, auf dem der Wochenmarkt stattfand. Auf der großen, von Gebäuden gesäumten Fläche, zu der auch das Kloster der Franziskaner gehörte, erwartete sie das übliche Gemisch aus Marktständen, Fleischbänken, werbenden Händlern und feilschenden Kunden. Martin wartete vor dem Eingang einer Traufgasse, während Levi sich zu den Bauern aufmachte, um Heu zu kaufen und es in den Sack zu stopfen, der über seiner Schulter hing. Das Geplauder zweier wohlhabender Bürgerinnen, die ihre mit schweren Körben beladenen Mägde vor sich herscheuchten, vermischte sich mit den Stimmen von Marktfrauen, Bauern und Metzgern.

Was für eine schauerliche Mode manche von ihnen plötzlich tragen! Vor Martins erstaunten Augen schlenderten Marktbesucherinnen, deren Gewänder mit überlangen, bauschigen Ärmeln bestückt waren, die man nur als eine unerhörte Verschwendung von Tuch bezeichnen konnte. Hoch über ihren Köpfen türmten sich unterschiedliche Hauben. Schon allein vom Hinsehen bekam er einen steifen Nacken. Auch schienen sie sich die Haare an Stirn und Schläfen rasiert zu haben, so dass ihre Gesichter seltsam nackt aussahen. Natürlich galt dies nur für die Reichsten unter ihnen. Der Rest lief in der beruhigend einfachen Kleidung der Normalsterblichen umher.

Die vielen Eindrücke und das gleichmäßige Geschnatter der Marktbesucher lullten ihn ein. Nur mit Mühe hinderte er seine Augen daran, zuzufallen. Was würde er jetzt darum geben, auf sein Bett fallen und in einen tiefen, erholsamen Schlaf sinken zu können.

Ein plötzlicher Aufschrei riss ihn so unvermittelt aus seiner Lethargie, dass ihm das Blut in Finger und Zehen schoss und seine Kopfhaut zu kribbeln anfing.

»Haltet ihn!«, brüllte eine tiefe männliche Stimme.

Mit einem Schlag war Martins Müdigkeit wie weggeblasen. Seine Augen suchten in dem Durcheinander aus Kisten, Körben, Käfigen und Menschen nach dem Verursacher des Geschreis.

»So haltet ihn doch!«

Er fand ihn in einem edlen Herrn, dem der Wohlstand fast aus den Kleidern sprang, die eng an seinem gewichtigen Leib lagen. Mit erhobenen Fäusten preschte er durch die Menge. Sein wutverzerrtes Gesicht ließ nichts Gutes erahnen, obwohl die befehlsgewohnten Rufe ungehört verklangen. Der ganze Platz schien in eine Art Schockstarre gefallen zu sein. Wie Martin sahen alle zu ihm hinüber und suchten nach der Quelle seines Verdrusses.

Diese fand sich in der Gestalt eines bäuerlich gekleideten Mannes mit den dazu passenden kurz geschorenen Haaren. Seine abgerissene Kleidung stand in krassem Gegensatz zu der seines Verfolgers. Überdies schien er schon lange nicht mehr satt geworden zu sein.

Noch ehe Martins Gehirn all diese Eindrücke zu einer brauchbaren Information zusammenfügen konnte, brach ein Tumult los. Der ärmliche, etwa 20-jährige Mann schmiss mehrere Körbe um, sprang über eine der Fleischbänke und riss dabei den verblüfften Metzger mit sich. Krachend gingen beide zu Boden. Nur einen Wimpernschlag später war der Flüchtende schon wieder auf den Beinen und nutzte die nächstbeste Deckung, die sich ihm bot.

Die Leute stoben vor Schreck auseinander und versuchten, ihm und seinem Verfolger auszuweichen, was nicht immer gelang. Frauen kreischten auf, als der fremde Edelmann sie wütend beiseitestieß. Der Aufruhr war nun so groß, dass selbst die Tauben auf den Dächern erschrocken davonflatterten und die in Käfigen gehaltenen Hühner gackernd durcheinanderwirbelten.

Martin sah den Gejagten mehrere Haken schlagen. Der Abstand zu seinem Verfolger vergrößerte sich. Trotz dessen körperlicher Überlegenheit war er mindestens zehn Jahre älter und viel zu fett, um über eine gute Ausdauer zu verfügen.

Schließlich rannte der arme Kerl direkt auf ihn zu. Die Verzweiflung in seinem Gesicht hätte dem härtesten Mann ein volles Maß an Erbarmen abgerungen. Vermutlich handelte es sich um einen unfreien Bauern, der seinem Grundherrn entwischt war. Martin schlüpfte tiefer in die Traufgasse hinein, damit man ihn nicht sehen konnte. Rasch trat er zur Seite, damit sie im Dunkel der Gasse nicht aufeinanderprallten. »Folge mir. Ich werde dafür sorgen, dass du entwischen kannst«, raunte er. »Aber bleib weit genug hinter mir. Niemand soll merken, dass ich es bin, der dich führt.«

Der Mann zögerte nicht lange und nahm das Angebot an. Martin eilte durch die enge Gasse voran. Wenn sie Glück hatten, blieb ihr gewichtiger Verfolger mit all seinem Pomp darin stecken und musste sie wohl oder übel umgehen.