Das wundersame Land von Oz - Die Oz-Bücher Band 2 - L. Frank Baum - E-Book

Das wundersame Land von Oz - Die Oz-Bücher Band 2 E-Book

L. Frank Baum

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Beschreibung

Im 2. Band der Oz-Reihe - Das wundersame Land von Oz - erlebt der Waisenjunge Tip spannende Abenteuer im Lande Oz. Nachdem Tip in höchster Not aus dem Haus der bösartigen Hexe Mombi geflohen ist, macht er sich mit seinem selbstgebauten Kürbismann und dem belebten Sägepferd auf die Reise in die Smaragdstadt. Dort ist jedoch gerade eine Rebellion im Gange - eine Horde diebischer Mädchen besetzt die Stadt. Im Nu sind Tip und seine Freunde in die politischen Wirren verwickelt, und versuchen mit vereinten Kräften, die Pläne der bösen Hexe zu durchkreuzen und die Rebellion zu beenden ... Empfohlenes Alter: 5 bis 10 Jahre. Große Schrift, auch für Leseanfänger geeignet.

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Seitenzahl: 208

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Die Oz-Bücher

Bisher erschienen:

Band 1: Der wunderbare Zauberer von Oz

Band 2: Das wundersame Land von Oz

Ein Bericht

Über die weiteren Abenteuer

Der Vogelscheuche und des Blechmanns;

Über die seltsamen Erlebnisse

Des Stark Vergrößerten Wackelkäfers;

Über Jack Kürbiskopf,

Das belebte Sägepferd und den Dussel.

Eine Fortsetzung des Zauberers von Oz.

Inhalt.

Vorbemerkung des Verfassers

Kapitel 1: Tip stellt einen Kürbiskopf her

Kapitel 2: Das wundersame Pulver des Lebens

Kapitel 3: Die Flucht

Kapitel 4: Tip macht ein magisches Experiment

Kapitel 5: Das Erwachen des Sägepferds

Kapitel 6: Jack Kürbiskopfs Ritt zur Smaragdstadt

Kapitel 7: Seine Majestät die Vogelscheuche

Kapitel 8: Generalin Jinjurs Rebellionsarmee

Kapitel 9: Die Vogelscheuche plant zu fliehen

Kapitel 10: Die Reise zum Blechmann

Kapitel 11: Ein vernickelter Kaiser

Kapitel 12: Herr S. V. Wackelkäfer, Ü. G.

Kapitel 13: Eine Stark Vergrößerte Geschichte

Kapitel 14: Die alte Mombi frönt der Hexerei

Kapitel 15: Die Gefangenen der Königin

Kapitel 16: Die Vogelscheuche braucht Zeit zum Nachdenken

Kapitel 17: Der erstaunliche Flug des Dussels

Kapitel 18: Im Dohlennest

Kapitel 19: Dr. Nikidiks berühmte Wunschpillen

Kapitel 20: Die Vogelscheuche bittet Glinda die Gute um Hilfe

Kapitel 21: Der Blechmann pflückt eine Rose

Kapitel 22: Die Verwandlung der alten Mombi

Kapitel 23: Prinzessin Ozma von Oz

Kapitel 24: Die Reichtümer der Zufriedenheit

Vorbemerkung des Verfassers.

NACH der Veröffentlichung von „Der wunderbare Zauberer von Oz“, begann ich Briefe von Kindern zu erhalten, die mir von der Freude erzählten, die es ihnen bereitet hatte, die Geschichte zu lesen, und die mich baten, etwas mehr über die Vogelscheuche und den Blechmann zu schreiben. Zuerst betrachtete ich diese kleinen Briefe, obschon sie ehrlich und ernstgemeint waren, als schöne Komplimente, aber während der folgenden Monate und sogar Jahre erhielt ich viele weitere Briefe.

Schließlich versprach ich einem kleinen Mädchen, das eine lange Reise unternommen hatte, um mich zu besuchen und ihre Bitte persönlich zu überbringen, – und sie ist übrigens eine „Dorothy“, – daß, wenn tausend kleine Mädchen mir tausend kleine Briefe geschrieben hätten, die nach der Vogelscheuche und dem Blechmann fragten, ich das Buch schreiben würde. Entweder war die kleine Dorothy eine verkleidete Fee und schwang ihren Zauberstab, oder der Erfolg der Bühnenproduktion von „Der Zauberer von Oz“, bescherte der Geschichte neue Freunde, denn die tausend Briefe haben seitdem schon längst ihr Ziel erreicht – und viele weitere folgten.

Und jetzt, obwohl ich mich einer langen Verzögerung schuldig gemacht habe, habe ich mein Versprechen mit diesem Buch eingelöst.

L. FRANK BAUM.

Chicago, Juni 1904

Kapitel 1.

Tip stellt einen Kürbiskopf her.

IM Land der Gillikins, das im Norden des Landes von Oz liegt, lebte ein Junge namens Tip. Sein Name war eigentlich länger, denn die alte Mombi erklärte oft, daß sein ganzer Name Tippetarius lautete, aber man konnte von niemandem erwarten, daß er ein so langes Wort aussprechen sollte, wenn „Tip“, es ebenso tat.

Dieser Junge hatte keine Erinnerungen an seine Eltern, denn er war noch sehr jung gewesen, als er zu der alten Frau, die man Mombi nannte, gebracht wurde, damit sie ihn aufzog. Bedauerlicherweise war ihr Ruf nicht der beste. Denn die Gillikins hatten Grund zu der Annahme, daß sie sich magischen Künsten widmete, und scheuten deshalb davor zurück, sich mit ihr anzufreunden.

Mombi war eigentlich keine Hexe, weil die Gute Hexe, die diesen Teil des Landes von Oz beherrschte, verboten hatte, daß irgendeine andere Hexe in ihrem Reich existierte. Tips Pflegemutter, so gerne sie auch Magie betreiben wollte, mußte erkennen, daß sie nicht mehr als eine Zauberin oder höchstens eine Zaubermeisterin sein durfte.

Tip mußte Holz aus dem Wald hertragen, damit die alte Frau in ihrem Topf kochen konnte. Er arbeitete auch in den Maisfeldern, wo er hackte und schälte; und er fütterte die Schweine und molk die vierhörnige Kuh, die Mombis ganzer Stolz war.

Aber ihr müßt nicht glauben, daß er die ganze Zeit gearbeitet hat, denn er dachte selbst, daß das schlecht für ihn wäre. Wenn er in den Wald geschickt wurde, kletterte er oft auf Bäume, um Vogeleier aus den Nestern zu stehlen oder vergnügte sich damit, die flinken weißen Hasen zu jagen oder mit umgebogenen Nadeln in den Bächen zu angeln. Dann sammelte er hastig seinen Arm voll Holz und trug ihn nach Hause. Und wenn er in den Maisfeldern arbeiten sollte und die hohen Halme ihn vor Mombis Blick verbargen, stocherte Tip oft in den Bauten der Erdhörnchen herum, oder legte sich, wenn ihm danach war, zwischen den Reihen von Mais auf den Rücken, um ein Nickerchen zu machen. Indem er darauf achtete, seine Kraft nicht zu erschöpfen, wurde er so stark und robust, wie ein Junge nur sein kann.

Mombis Zauberkünste erschreckte ihre Nachbarn oft, und sie verhielten sich ihr gegenüber wegen ihrer seltsamen Kräfte zwar zurückhaltend, dennoch waren aber stets voller Respekt. Tip jedoch haßte sie von ganzem Herzen und bemühte sich nicht, seine Gefühle zu verbergen. In der Tat zeigte er manchmal weniger Respekt für die alte Frau, als er es hätte tun sollen, wenn man bedenkt, daß sie seine Pflegemutter war.

Es gab Kürbisse in Mombis Maisfeldern, die goldrot zwischen den Reihen grüner Halme lagen; und diese wurden gepflanzt und sorgfältig gehegt, damit die vierhörnige Kuh im Winter davon essen könnte. Aber eines Tages, nachdem der Mais geschnitten und gestapelt war und Tip die Kürbisse in den Stall trug, kam er auf die Idee, einen „Kürbiskopf“, zu machen und zu versuchen, die alte Frau damit zu erschrecken.

Also wählte er einen schönen, großen Kürbis – einen mit einer satten, orangeroten Farbe – und fing an, ihn zu schnitzen. Mit der Spitze seines Messers machte er zwei runde Augen, eine dreieckige Nase und einen Mund, der wie ein Halbmond geformt war. Das fertige Gesicht hätte nicht als schön gelten können; aber es trug ein Lächeln, das so groß und breit war und so lustig aussah, daß sogar Tip lachte, als er seine Arbeit zufrieden betrachtete.

Das Kind hatte keine Spielkameraden, deshalb wußte es nicht, daß Jungen oft das Innere eines „Kürbiskopfs“, ausgraben, und in die so gemachte Höhlung eine angezündete Kerze setzen, um das Gesicht erschreckender aussehen zu lassen. Er dachte sich etwas Eigenes aus, das ebenso wirksam zu sein versprach. Er entschied sich, die Gestalt eines Mannes herzustellen, der diesen Kürbiskopf tragen sollte, und ihn dann an einem Ort abzustellen, an dem die alte Mombi ihm von Angesicht zu Angesicht begegnen würde.

„Und dann“, sagte Tip lachend zu sich selbst, „wird sie lauter quieken als das braune Schwein, wenn ich es am Schwanz ziehe, und vor Schreck schlimmer zittern, als ich im letzten Jahr, als ich den Schüttelfrost hatte!“

Er hatte genug Zeit, um diese Aufgabe zu erfüllen, denn Mombi war in ein Dorf gegangen – um Lebensmittel zu kaufen, hatte sie gesagt – und es war eine Reise von wenigstens zwei Tagen.

Also ging er mit seiner Axt in den Wald und wählte einige kräftige, gerade Bäumchen aus, die er abhackte und von allen Zweigen und Blättern befreite. Aus diesen wollte er die Arme, Beine und Füße seines Mannes machen. Für den Körper zog er ein Stück dicke Rinde von einem großen Baum ab und formte sie mit viel Mühe zu einer Walze von ungefähr der richtigen Größe, wobei er die Ränder mit Holzpflöcken zusammensteckte. Dann steckte er, fröhlich pfeifend, während er arbeitete, die Gliedmaßen vorsichtig zusammen und befestigte sie mit Pflöcken, die er mit seinem Messer in Form brachte, am Körper.

Als dies vollbracht war, begann es dunkel zu werden, und Tip erinnerte sich, daß er die Kuh melken und die Schweine füttern mußte. Also hob er seinen hölzernen Mann auf und trug ihn mit nach Hause.

Während des Abends, im Licht des Feuers in der Küche, rundete Tip sorgfältig alle Kanten der Glieder ab und glättete die rauhen Stellen in einer ordentlichen und fachmännischen Art und Weise. Dann lehnte er die Gestalt gegen die Wand und bewunderte sie. Sie schien bemerkenswert groß, selbst für einen ausgewachsenen Mann; aber das war ein Pluspunkt in den Augen eines kleinen Jungen, und Tip hatte überhaupt nichts gegen die Größe seiner Kreation einzuwenden.

Als er am nächsten Morgen seine Arbeit wieder betrachtete, sah Tip, daß er vergessen hatte, der Attrappe einen Hals zu geben, mit dem er den Kürbiskopf am Körper befestigen konnte. So ging er wieder in den Wald, der nicht weit entfernt war, und schnitt von einem Baum mehrere Holzstücke ab, mit denen er seine Arbeit vervollständigte. Als er zurückkehrte, befestigte er ein Querstück am oberen Ende des Körpers und machte ein Loch durch die Mitte, um den Hals aufrecht zu halten. Das Holzstück, das diesen Hals bildete, war am oberen Ende angespitzt, und als alles fertig war, legte Tip den Kürbiskopf an, drückte ihn fest auf den Hals herab, und stellte fest, daß er sehr gut paßte. Der Kopf konnte nach Belieben auf die eine oder andere Seite gedreht werden, und die Scharniere an den Armen und Beinen erlaubten ihm, die Attrappe in jede gewünschte Position zu bringen.

„Nun“, erklärte Tip stolz, „das ist wirklich ein sehr guter Mann, und er sollte einige Schreie aus der alten Mombi herauslocken! Aber er wäre viel lebensechter, wenn er richtig angezogen wäre.“

Kleidung zu finden, schien keine leichte Aufgabe zu sein, aber Tip durchwühlte kühn die große Truhe, in der Mombi alle ihre Andenken und Schätze aufbewahrte, und ganz unten entdeckte er eine violette Hose, ein rotes Hemd und eine rosa Weste mit weißen Punkten. Diese trug er zu seinem Mann und es gelang ihm, obwohl die Kleidungsstücke nicht sehr gut paßten, die Kreatur in dieser lebhaften Mode anzuziehen. Strickstrümpfe von Mombi und ein sehr abgenutztes Paar seiner eigenen Schuhe vervollständigten die Kleidung des Mannes, und Tip war so erfreut, daß er auf und ab tanzte und in jungenhafter Ekstase laut lachte.

„Ich muß ihm einen Namen geben!“, rief er. „So ein guter Mann wie dieser muß einfach einen Namen haben. Ich glaube“, fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu, „ich werde den Kerl ‚Jack Kürbiskopf‘ nennen!“

Kapitel 2.

Das wundersame Pulver des Lebens.

NACHDEM er die Sache sorgfältig erwogen hatte, entschied Tip, daß der beste Ort, um Jack zu plazieren, die Biegung der Straße sein würde, die ein Stück vom Haus entfernt war. Also machte er sich daran, seinen Mann dorthin zu tragen, fand ihn aber schwer und ziemlich unbequem in der Handhabung.

Nachdem er die Kreatur ein kurzes Stück hinter sich hergezerrt hatte, stellte Tip sie auf ihre Füße; und indem er die Gelenke zuerst des einen und dann des anderen Beines beugte und gleichzeitig von hinten schob, gelang es dem Jungen, Jack dazu zu bringen, zur Biegung an der Straße zu gehen. Ganz ohne Unfälle erreichte er sie nicht, und Tip arbeitete wirklich härter, als er dies jemals auf den Feldern oder im Wald getan hatte; aber die Liebe zum Schabernack drängte ihn weiter, und er freute sich darauf, seine kunstfertige Tüftelei auszuprobieren.

„Jack ist in Ordnung und funktioniert gut!“, sagte er zu sich selbst, als er unter der ungewöhnlichen Anstrengung keuchte. Aber dann entdeckte er, daß der linke Arm des Mannes unterwegs abgefallen war, und ging zurück, um ihn zu suchen. Nachdem er einen neuen und kräftigeren Stift für das Schultergelenk hergestellt hatte, reparierte er die Verletzung so erfolgreich, daß der Arm stärker war als zuvor. Tip bemerkte auch, daß Jacks Kürbiskopf sich auf seinen Rücken gedreht hatte, aber das wurde leicht behoben. Als er den Mann schließlich auf den Weg gestellt hatte, auf dem die alte Mombi erscheinen sollte, sah er natürlich genug aus, um einen Gillikin-Bauern nachzuahmen – und unnatürlich genug, um jeden zu erschrecken, der ihm unvorbereitet begegnete.

Da es noch zu früh war, um die Rückkehr der alten Frau zu erwarten, ging Tip ins Tal unterhalb des Bauernhauses und fing an, Nüsse von den dort wachsenden Bäumen zu sammeln.

Die alte Mombi kehrte jedoch früher als gewöhnlich zurück. Sie hatte einen buckligen Zauberer besucht, der in einer einsamen Höhle in den Bergen lebte, und hatte mehrere wichtige Geheimnisse der Magie mit ihm ausgetauscht. Auf diese Weise gelangte sie in den Besitz von drei neuen Rezepten, vier magischen Pulvern und einer Auswahl an Kräutern von wunderbarer Kraft und Wirksamkeit. Sie humpelte so schnell sie konnte nach Hause, um ihre neuen Zaubereien auszuprobieren.

So begierig war Mombi auf die Schätze, die sie erworben hatte, daß sie, als sie die Biegung an der Straße erreichte und einen Blick auf den Mann erhaschte, bloß nickte und sagte:

„Guten Abend, mein Herr.“

Aber einen Augenblick darauf, als sie bemerkte, daß die Person sich nicht bewegte oder antwortete, warf sie einen scharfen Blick in sein Gesicht und entdeckte den Kürbiskopf, der von Tips Taschenmesser kunstvoll geschnitzt worden war.

„Ha!“, stieß Mombi aus und gab eine Art Grunzen von sich; „Dieser verrückte Junge hat wieder Streiche ausgeheckt! Sehr gut, wirklich sehr gut! Ich werde ihn grün und blau schlagen, weil er versucht hat, mich auf diese Weise zu erschrecken!“

Wütend hob sie ihren Stock, um den grinsenden Kürbiskopf der Attrappe zu zertrümmern. Aber ein plötzlicher Gedanke ließ sie innehalten, und der erhobene Stock verharrte regungslos in der Luft.

„Aber es wäre doch eine gute Gelegenheit, mein neues Pulver auszuprobieren!“, sagte sie eifrig. „Und dann kann ich sagen, ob dieser bucklige Zauberer anständig mit mir Handel getrieben hat, oder ob er mich so verschlagen getäuscht hat, wie ich ihn.“

Also stellte sie ihren Korb ab und kramte darin nach einem der wertvollen Pulver, die sie bekommen hatte.

Während Mombi solcherart beschäftigt war, schlenderte Tip mit seinen Taschen voller Nüsse zurück und entdeckte die alte Frau, die neben seinem Mann stand und sich anscheinend nicht im geringsten davor fürchtete. Anfangs war er ungemein enttäuscht. Aber im nächsten Moment wurde er neugierig, was Mombi tun würde. Also versteckte er sich hinter einer Hecke, wo er sie beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Nach einigem Suchen zog die Frau eine alte Pfefferbüchse aus ihrem Korb, auf deren verblichenes Etikett der Zauberer mit einem Bleistift geschrieben hatte:

Pulver des Lebens

„Aha – hier ist es!“, rief sie freudig. „Dann wollen wir einmal sehen, wie stark es ist. Der geizige Zauberer hat mir nicht viel davon gegeben, aber ich schätze, es wird für zwei oder drei Versuche ausreichen.“

Tip war sehr überrascht, als er diese Rede hörte. Dann sah er, wie die alte Mombi ihren Arm hob und das Pulver aus der Büchse über den Kürbiskopf seines Mannes streute. Sie tat das auf die gleiche Weise, wie man eine gebackene Kartoffel pfeffern würde, und das Pulver rieselte über Jacks Kopf und verteilte sich über das rote Hemd und die rosa Weste und die violette Hose, die Tip ihm angezogen hatte, und eine Prise fiel sogar auf die geflickten und abgenutzten Schuhe.

Dann legte Mombi die Pfefferbüchse zurück in den Korb, hob ihre linke Hand mit dem kleinen Finger nach oben und sagte:

„Wio!“

Dann hob sie ihre rechte Hand, so daß der Daumen nach oben wies, und sagte:

„Tio!“

Dann hob sie beide Hände, mit ausgebreiteten Fingern, und rief:

„Pio!“

Jack Kürbiskopf trat einen Schritt zurück und sagte mit vorwurfsvoller Stimme:

„Schrei nicht so! Denkst du ich bin taub?“

Die alte Mombi tanzte außer sich vor Entzücken um ihn herum.

„Er lebt!“, rief sie: „Er lebt! Er lebt!“

Dann warf sie ihren Stock in die Luft und fing ihn auf, als er herunterkam, und sie schlang beide Arme um sich und versuchte, ein paar Tanzschritte zu machen, und die ganze Zeit wiederholte sie verzückt:

„Er lebt! – Er lebt! – Er lebt!“

Nun kann man sich gut vorstellen, daß Tip all dies voller Verwunderung beobachtete.

Zuerst war er so verängstigt und entsetzt, daß er weglaufen wollte, aber seine Beine zitterten und bebten so stark, daß er es nicht vermochte. Dann kam ihm der Gedanke, daß es eine sehr lustige Sache war, daß Jack zum Leben erwacht war, und besonders der Ausdruck auf seinem Kürbisgesicht kam ihm so drollig und komisch vor, daß er einfach lachen mußte. Nachdem er sich also von seiner ersten Angst erholt hatte, fing Tip an zu lachen; und die fröhlichen Klänge erreichten die Ohren der alten Mombi und ließen sie schnell zur Hecke humpeln, wo sie Tip am Kragen packte und ihn dorthin schleppte, wo sie ihren Korb und den kürbisköpfigen Mann zurückgelassen hatte.

„Du unartiger, hinterhältiger böser Junge!“, schrie sie wütend: „Ich werde dich lehren, was es heißt, meine Geheimnisse auszuspionieren und sich über mich lustig zu machen!“

„Ich habe mich nicht über dich lustig gemacht“, protestierte Tip. „Ich habe über den alten Kürbiskopf gelacht! Sieh ihn dir an! Ist das nicht ein Bild?“

„Ich hoffe, du meinst damit nicht mein Aussehen“, sagte Jack. und es war so lustig, seine ernsthafte Stimme zu hören, während sein Gesicht weiterhin sein fröhliches Lächeln trug, daß Tip wiederum in Gelächter ausbrach.

Selbst Mombi zeigte ein gewisses Interesse an dem Mann, den ihre Magie zum Leben erweckt hatte; denn nachdem sie ihn aufmerksam gemustert hatte, fragte sie jetzt:

„Was weißt du?“

„Nun, das ist schwer zu sagen“, antwortete Jack.

„Obwohl ich fühle, daß ich eine enorme Menge weiß, weiß ich noch nicht, was es alles in der Welt gibt, um etwas darüber herauszufinden. Es wird ein wenig Zeit brauchen, um herauszufinden, ob ich sehr weise oder sehr dumm bin.“

„Gewiß“, sagte Mombi nachdenklich.

„Aber was wirst du jetzt, wo er lebt, mit ihm machen?“, fragte Tip ratlos.

„Ich muß darüber nachdenken“, antwortete Mombi. „Aber wir müssen sofort nach Hause gehen, denn es wird dunkel. Hilf dem Kürbiskopf beim Gehen.“

„Mach dir darum keine Gedanken “, sagte Jack. „Ich kann ebenso gut laufen wie du. Habe ich nicht Beine und Füße, und sind sie nicht verbunden?“

„Sind sie es?“, fragte die Frau, indem sie sich an Tip wandte.

„Natürlich sind sie es, ich habe sie schließlich selbst gemacht“, erwiderte der Junge stolz.

Also machten sie sich auf den Weg zum Haus. Als sie aber den Hof erreichten, führte die alte Mombi den Kürbismann zum Kuhstall und schloß ihn dort ein, worauf sie die Tür von außen fest verschloß.

„Ich muß mich zuerst um dich kümmern“, sagte sie und nickte Tip zu.

Als er das hörte, wurde der Junge beunruhigt, denn er wußte, daß Mombi ein böses und rachsüchtiges Herz hatte und vor keiner Übeltat zurückschrecken würde.

Sie betraten das Haus. Es war rund und oben wie eine Kuppel geformt, wie fast alle Bauernhäuser im Lande von Oz.

Mombi trug dem Jungen auf, eine Kerze anzuzünden, während sie ihren Korb in einen Schrank stellte und ihren Mantel an einen Haken hängte. Tip gehorchte schnell, denn er hatte Angst vor ihr.

Nachdem die Kerze angezündet worden war, befahl Mombi ihm, ein Feuer im Kamin anzuzünden, und während Tip damit beschäftigt war, aß die alte Frau ihr Abendbrot. Als die Flammen zu knistern begannen, kam der Junge zu ihr und bat um ein Stück Brot und Käse, aber Mombi verweigerte es ihm.

„Ich habe Hunger!“, sagte Tip verdrossen.

„Du wirst nicht lange hungern“, antwortete Mombi mit einem grimmigen Blick.

Dem Jungen gefielen diese Worte nicht, denn sie klangen wie eine Drohung; aber er erinnerte sich, daß er Nüsse in seiner Tasche hatte, also knackte er ein paar und aß sie, während sich die Frau erhob, die Krümel von ihrer Schürze schüttelte, und einen kleinen schwarzen Kessel über das Feuer hängte.

Dann maß sie gleiche Teile Milch und Essig und goß sie in den Kessel. Als nächstes holte sie mehrere Päckchen mit Kräutern und Pulvern hervor und begann, jeweils einen Teil davon in den Kessel zu geben. Gelegentlich rückte sie näher an die Kerze und las von einem gelben Papier das Rezept für das Gemisch, das sie herstellte. Indem Tip sie beobachtete, nahm sein Unbehagen zu.

„Wofür ist das?“, fragte er.

„Für dich“, erwiderte Mombi kurz angebunden.

Tip zappelte auf seinem Stuhl herum und starrte eine Weile auf den Kessel, der zu sprudeln begann. Dann warf er einen Blick auf das strenge und faltige Gesicht der Hexe und wünschte, er wäre an einem anderen Ort als in der trüben und verrauchten Küche, wo selbst die Schatten der Kerze an der Wand einem Furcht einflößten. So verging eine Stunde, in der die Stille nur von dem Blubbern des Topfes und dem Zischen der Flammen gebrochen wurde.

Schließlich sprach Tip wieder.

„Muß ich das Zeug trinken?“, fragte er und wies auf den Topf.

„Ja“, sagte Mombi.

„Was wird es mit mir machen?“, fragte Tip.

„Wenn es funktioniert“, antwortete Mombi, „wird es dich in eine Marmorstatue verwandeln.“

Tip stöhnte und wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

„Ich möchte keine Marmorstatue sein!“, protestierte er.

„Das ist egal, denn ich will, daß du eine bist“, sagte die alte Frau und sah ihn streng an.

„Aber wozu bin ich dann noch nutze?“, fragte Tip. „Es wird niemanden geben, der für dich arbeitet.“

„Ich werde den Kürbiskopf für mich arbeiten lassen“, sagte Mombi.

Wieder stöhnte Tip.

„Warum verwandelst du mich nicht in eine Ziege oder ein Huhn?“, fragte er besorgt. „Mit einer Marmorstatue kannst du nichts anfangen.“

„Oh doch, das kann ich“, erwiderte Mombi. „Ich werde nächsten Frühling einen Blumengarten pflanzen, und ich werde dich als eine Zierde in die Mitte setzen. Ich frage mich, warum ich nicht vorher daran gedacht habe; du bist mir schon seit Jahren zur Last gefallen.“

Bei dieser schrecklichen Rede spürte Tip, wie ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach, aber er saß still und zitterte und schaute ängstlich auf den Kessel.

„Vielleicht wird es nicht funktionieren“, murmelte er mit einer Stimme, die schwach und entmutigt klang.

„Oh, ich denke doch, daß es das wird“, antwortete Mombi fröhlich. „Ich mache selten einen Fehler.“

Wieder herrschte für eine Zeit Stille, eine so lange und düstere Stille, daß es, als Mombi den Kessel endlich vom Feuer nahm, kurz vor Mitternacht war.

„Du kannst es erst trinken, wenn es abgekühlt ist“, verkündete die alte Hexe, die trotz des Gesetzes zugegeben hatte, daß sie Hexerei praktizierte. „Wir müssen jetzt beide zu Bett gehen, und bei Tagesanbruch werde ich dich rufen und dich sofort in eine Marmorstatue verwandeln.“

Damit humpelte sie in ihr Zimmer und trug den dampfenden Kessel mit sich, und Tip hörte, wie sie ihre Tür hinter sich verriegelte.

Der Junge ging nicht zu Bett, wie ihm befohlen worden war, sondern starrte immer noch in die Glut des erlöschenden Feuers.

Kapitel 3.

Die Flucht.

TIP dachte nach.

„Es ist eine arge Sache, eine Marmorstatue zu sein“, dachte er rebellisch, „und ich werde es nicht aushalten. Seit Jahren bin ich ihr lästig, sagt sie; also will sie mich loswerden. Nun, es gibt einen leichteren Weg, als eine Statue zu werden. Kein Junge könnte Spaß daran haben, für immer in der Mitte eines Blumengartens zu stehen! Ich werde davonlaufen, das werde ich tun – und ich kann genauso gut gehen, ehe sie mich dazu bringt, dieses scheußliche Zeug im Kessel zu trinken.“ Er wartete, bis das Schnarchen der alten Hexe verkündete, daß sie fest schlief, und dann erhob er sich leise und ging zum Schrank, um etwas zu essen zu suchen.

„Es ist sinnlos, eine Reise ohne etwas zu essen zu beginnen“, entschied er und suchte die schmalen Regale ab.

Er fand ein paar Brotkrusten; aber er mußte in Mombis Korb schauen, um den Käse zu finden, den sie aus dem Dorf mitgebracht hatte. Während er den Inhalt des Korbes durchwühlte, stieß er auf die Pfefferbüchse, die das „Pulver des Lebens“ enthielt.

„Ich sollte es besser mitnehmen“, dachte er, „sonst wird Mombi es benutzen, um noch mehr Unheil anzurichten.“ Also steckte er die Büchse zusammen mit dem Brot und dem Käse in seine Tasche.

Dann verließ er vorsichtig das Haus und ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Draußen leuchteten der Mond und die Sterne, und die Nacht schien friedlich und einladend nach der engen und übelriechenden Küche.

„Ich kann froh sein, hier wegzukommen“, sagte Tip leise, „weil ich diese alte Frau nie mochte. Ich frage mich, wie ich jemals zu ihr gekommen bin.“

Er ging langsam auf die Straße zu, als ein Gedanke ihn innehalten ließ.

„Mir gefällt der Gedanke nicht, Jack Kürbiskopf der Gnade der alten Mombi zu überlassen“, murmelte er. „Und Jack gehört mir, denn ich habe ihn gemacht, auch wenn die alte Hexe ihn zum Leben erweckt hat.“

Er ging zurück und öffnete die Tür des Kuhstalles, wo der kürbisköpfige Mann zurückgeblieben war.

Jack stand in der Mitte des Stalls, und im Mondlicht konnte Tip sehen, daß er genauso breit lächelte wie zuvor.

„Komm mit!“, sagte der Junge und winkte ihn zu sich.

„Wohin?“, fragte Jack.

„Das wirst du wissen, sobald ich es weiß“, antwortete Tip und lächelte freundlich in das Kürbisgesicht. „Alles, was wir jetzt tun müssen, ist laufen.“

„Wie du wünscht“, erwiderte Jack und ging ungeschickt aus dem Stall und in das Mondlicht hinaus.