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Auf einem Social Network für Lesben lernen Bea und die gehörlose Jeanny sich kennen. Die Chats werden schnell heiß und intim, und so drängt Bea darauf, Jeanny endlich persönlich zu treffen. Doch Jeanny lässt sich darauf nicht ein. Nachdem Bea in Gesprächen mehr über Jeannys Leben herausgefunden hat, setzt sie sich über ihre Wünsche hinweg und taucht auf ihrer Arbeitsstelle auf – wo man nichts von einer Jeanny weiß ...
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Seitenzahl: 169
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Liebesgeschichte
© 2016édition el!es
www.elles.de [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-95609-197-1
Coverillustration: © XtravaganT – Fotolia.com
»Wie läuft denn deine Partnerinnensuche so?«, fragte Franzi am anderen Ende der Leitung.
»Ach, wie verrückt.« Bea seufzte. »In der Tagespresse schreiben mir nur die Ladenhüter, die nicht an die Frau zu bringen sind. Die haben mir fast alle letztes Jahr auch schon geschrieben. Und die Internetplattformen haben auch nicht gerade das zu bieten, was ich suche. Wahrscheinlich sind meine Anforderungen zu außerirdisch . . . ich weiß es nicht.« Sie sah den Regentropfen nach, die an der Fensterscheibe nach unten rannen. Dieser Märztag war so trüb wie ihre Stimmung.
»Oh je, das klingt aber schwer gefrustet.«
»Ich bin nicht gefrustet«, widersprach Bea. »Ich hab nur das ganze Theater so langsam satt. Am besten, ich bleibe allein, da habe ich auch nicht so ein Hoch und Runter mit den Gefühlen. Ich glaube, da lebt man wesentlich ruhiger und kann machen, was man will.«
»Das ist aber schade. Ich wollte dir gerade noch einen Tipp geben. Hab kürzlich noch von einer Seite gehört, die richtig gut sein soll.«
»Lieb von dir, aber ich will nicht mehr. Sollen mich einfach alle in Ruhe lassen.«
»Du willst doch jetzt nicht etwa den Kopf in den Sand stecken?«
»Das nicht. Aber vielleicht sollte ich mir Sand in den Kopf stecken. Danach ist mir im Moment eher.«
»Guck doch wenigstens mal rein«, beharrte Franzi. »Den Sand kannst du dir dann auch noch danach in den Kopf stecken.«
Bea grinste. »Ich hab dich auch lieb.«
Franzi war schon seit vielen Jahren ihre beste Freundin und wusste, wie sie Bea dazu brachte, doch noch einen Versuch zu wagen: Sie musste nur lange genug nerven. Jetzt nannte sie Bea den Namen der Plattform und verabschiedete sich mit dem nachdrücklichen Wunsch, auf dem Laufenden gehalten zu werden.
Bea legte auf und sah wieder zum Fenster. Das Wetter war wirklich nicht dafür geeignet, nach draußen zu gehen. Also konnte sie das Ganze ebenso gut sofort hinter sich bringen, um Franzi beim nächsten Gespräch Bericht erstatten zu können. Sie fuhr ihren Laptop hoch, fand die Seite und meldete sich an. Dann machte sie noch den üblichen Persönlichkeitstest und war damit registriert.
Gelangweilt nahm sie die letzten Einstellungen vor und grenzte den Radius um ihren Wohnort herum ein, bis das Angebot an Vorschlägen überschaubar war. Auf dieser Seite gab es sogar Matchingpunkte, die angaben, wie sie zu der jeweiligen Frau passen würde. Dafür waren also diese komischen Persönlichkeitstests gut. Aber ob die Chemie stimmte – das war eine ganz andere Frage, dachte Bea ernüchtert.
Trotzdem scrollte sie sich durch die Profile, las die Selbstbeschreibungen, betrachtete die Fotos. Na ja. Es war wie immer. Einige schienen ganz interessant, denen schickte sie eine kurze Nachricht. Aber nichts Überwältigendes, nichts, das sie fasziniert oder das Bedürfnis geweckt hätte, die Frau unbedingt kennenzulernen. Inzwischen hatte sie schon so viele Profile durch, dass sie die Lust verlor. Nur noch zwei, nahm sie sich vor. Dann würde sie den Computer ausschalten.
Es war das zweite Inserat.
Wow! Was für eine Frau. Dieses Foto . . . der Oberhammer! Lange, braune Haare umrahmten ein feingeschnittenes Gesicht, aus dem ein Paar blaue Augen die Betrachterin sanftmütig anlächelte. Ein Blick, der Bea gefangen nahm. Sie schluckte, bevor sie die Details des Profils aufrief. Besser nicht zu viel erwarten.
Doch was sie da las, ließ sie erneut schlucken. Das war genau das, was sie sich von einer Frau vorstellte. Sollte es ihre Traumfrau tatsächlich geben?
Beas Blick wanderte zwischen dem Foto und dem Profiltext hin und her. Das konnte doch nicht sein. So was war unmöglich! Das gab es einfach nicht! Das wäre ja ein Sechser in der Liebeslotterie. Bea meinte fast, eine Stimme zu hören: Sie haben gewonnen . . . aber dazu müssen Sie erst etwas bestellen, sonst werden Sie von der Ziehung ausgeschlossen.
Bea schüttelte den Kopf. Das war doch verrückt. Aber egal . . . ich bestelle jetzt einfach. Die oder keine!
Wie ferngesteuert tippte sie ein paar Zeilen an Jeanny, wie sich die Frau nannte, und schickte sie ab. Dann wartete sie mit hämmerndem Herzen. Ob Jeanny antworten würde?
Schlaflos betrachtete Bea das Foto auf dem Bildschirm – zum wievielten Mal? Jeanny war einfach wunderschön. Sie hatte tatsächlich auf Beas Kontaktanfrage geantwortet, und seitdem hatten sie bereits einige kurze Nachrichten ausgetauscht. Jeanny schien genauso sympathisch, wie sie auf dem Bild aussah, diesen ersten Eindruck hatte Bea schon gewonnen. In ihrer letzten Nachricht hatte Jeanny ihr dann eine gute Nacht gewünscht und ein Herzchen dahinter gesetzt. Es sah vielversprechend aus.
Bea lehnte sich am Schreibtisch zurück und versank förmlich in diesen blauen Augen, die einen interessanten Kontrast zu den dunkelbraunen Haaren bildeten. Es war fast Mitternacht, und sie hätte längst im Bett liegen sollen. Aber sie konnte sich einfach nicht losreißen. Ihre Lider versuchten sich schon zu schließen, aber sie riss sie gewaltsam wieder auf.
Dann musste sie über sich selbst lachen. Was für ein Unsinn. Jeanny lag wahrscheinlich längst im Bett und träumte süß, und sie selbst sollte auch schlafen gehen.
Mit einem Lächeln fuhr sie den Computer herunter. Auch wenn es nur ein paar E-Mails waren – sie hatte jetzt schon das Gefühl, dass es mehr werden könnte. Nicht wieder so eine Enttäuschung wie die letzten Male.
Seufzend warf sie noch einen letzten Blick auf den nun dunklen Bildschirm. Es kam ihr vor, als hätte sich Jeannys Bild darauf eingebrannt. Oder vielleicht brannte es auch auf ihrer Netzhaut, weil sie es so lange angestarrt hatte. Sie fuhr sich mit einer Hand über die Augen, aber das Bild verschwand nicht. Es war in ihr. Ihr Lächeln wurde zärtlich. Dann würde sie jetzt wohl auch süß träumen – von Jeanny.
Wie immer in den letzten Tagen war Beas erste Tat am Morgen der Griff zum Einschaltknopf des Computers. Sie freute sich auf die E-Mail von Jeanny. Bisher hatte sie jeden Morgen eine kurze Nachricht von ihr im Postfach gehabt. Aber diesmal wurde ihre Hoffnung enttäuscht. Keine Mail, kein Wort.
Seufzend brühte sie sich einen Tee auf. Es war Samstag, vielleicht schlief Jeanny heute länger. Ein paar Minuten später ging sie mit der Tasse in der Hand an den Schreibtisch zurück. Immer noch nichts.
Jetzt wurde Bea doch nervös. War etwas passiert? Hatte sie gestern etwas geschrieben, das Jeanny verstimmt haben könnte? Schnell öffnete sie den Ordner, in dem sie alle E-Mails von und an Jeanny speicherte. Aber sie fand nichts Anstößiges. Dann durchsuchte sie den Spam-Ordner. Alle möglichen Viagra-Präparate wurden da angepriesen, aber von Jeannys Namen keine Spur. Also war ihre Mail auch nicht versehentlich dort gelandet.
Es klingelte an der Tür. Besuch am Samstagmorgen? Das konnte nur Franzi sein. Bea öffnete.
Wie erwartet wedelte Franzi mit einer Tüte frischer Brötchen vor ihrer Nase herum. »Gibt’s noch Kaffee?«
»Es gab noch gar keinen.« Bea ließ sie eintreten.
»Dann wird es aber höchste Zeit. Du hast ja das Temperament einer Schlaftablette.« Tatkräftig machte Franzi sich an der Kaffeemaschine zu schaffen und häufte die doppelte Dosis Kaffee in den Filter, während Bea den Tisch deckte.
Wenig später saßen sie am Tisch, und der Kaffee verströmte seinen herben Duft durchs ganze Haus. Bea hoffte, dass nicht noch die Nachbarn klingeln würden und sich zum Frühstück einluden. »Da bleibt ja glatt der Löffel drin stehen«, sagte sie nach dem ersten Schluck und verzog das Gesicht. »Willst du mich mit einem Herzinfarkt umbringen?«
»Dafür muss man dich erst mal wiederbeleben, so wie du aussiehst«, erwiderte Franzi ungerührt. »Erzähl mal, was gibt’s denn Neues?«
Gelangweilt biss Bea in ihr Marmeladenbrötchen. »Was soll’s denn Neues geben? Die Sonne geht früh auf und abends wieder unter.«
»Du weißt schon, was ich meine. Hast du mal auf die Seite geschaut, die ich dir genannt habe?«
»Hm.« Das Brötchen wollte nicht so recht rutschen. Im Gegenteil. Der Brei im Mund schien immer mehr zu werden.
»Und?«
Krampfhaft würgte Bea den Brötchenbrei runter. »Was und?«
»Na, hast du jemand kennengelernt?«
»Ich schreib mit einigen.« Einen Schluck Kaffee hinterher.
»Also bist du doch fündig geworden?«
Nächster Bissen. Ein bisschen kauen, um Zeit zu gewinnen. »Es klingt ganz interessant. Mal sehen, was daraus wird.«
Franzi sah Bea scharf an. »Du hast jemand ganz Spezielles im Auge. Das sehe ich dir doch an.«
»Hab ich eine Leuchtreklame auf der Stirn?« Bea fühlte sich durchschaut. Wahrscheinlich hätte sie wissen müssen, dass es zwecklos war, ihrer besten Freundin etwas zu verheimlichen. Franzi würde so lange bohren und löchern, bis sie alles aus Bea herausgequetscht hatte. »Also gut«, seufzte sie. »Ja, da ist eine Frau, die mir gefällt.«
»Nur gefällt? Ganz sicher? Nach deinen Augenringen zu urteilen, hast du die ganze Nacht mit ihr verbracht. Ich weiß nur nicht, in welcher Form.«
Nach einigem Zögern rang Bea sich schließlich durch und erzählte von Jeanny. Wie fasziniert sie von ihr war und dass sie die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan hatte, weil sie ständig ihr Bild vor sich sah.
»Das muss ja eine Hammerfrau sein«, kommentierte Franzi beeindruckt. »Zeigst du sie mir?«
Wortlos führte Bea sie zum Computer. Als Bildschirmschoner hatte sie eine Diashow eingerichtet. Verschiedene Fotos einer langhaarigen Dreißigjährigen wechselten einander ab.
»Ich muss wohl nicht erst fragen, ob sie das ist?«, mutmaßte Franzi.
Bea nickte.
»Dann ist deine Schlaflosigkeit allerdings begründet. Sie sieht wirklich toll aus.« Franzi betrachtete die Bilder einen zweiten Durchlauf lang. »Sie sieht zu gut aus. Solch eine hübsche Frau kann doch an jedem Finger zehn Frauen haben. Da muss ein Haken an der Sache sein.«
»Mensch, Franzi«, schnaubte Bea. »Jetzt habe ich endlich mal eine Frau gefunden, die mich interessiert, und schon machst du sie wieder madig.«
Franzi wandte sich vom Computer ab und Bea zu. »Ich möchte ja nur vermeiden, dass du wieder verarscht wirst. Also, was ist bei ihr der Haken?«
Bea zuckte mit den Schultern. Aber Franzi starrte sie unnachgiebig an, und Bea wusste, dass sie ihr die Ahnungslosigkeit nicht abkaufte.
»Schon gut«, rückte sie schließlich widerstrebend mit der Wahrheit heraus. »Sie ist gehörlos.«
»Ups.« Damit hatte Franzi offensichtlich nicht gerechnet. »Das . . . macht die Sache wirklich nicht ganz einfach.«
»Aber es macht mir nichts aus«, versicherte Bea. In Gedanken führte sie den Satz fort mit dem, was sie Jeanny in ihrer letzten Mail geschrieben hatte: Manchmal ist es in dieser Welt sogar von Vorteil, wenn man nicht alles hört. Ich könnte mir vorstellen, dass es wesentlich prickelnder ist, wenn man seiner Partnerin ein »Ich liebe dich« von den Lippen ablesen kann.
Das war doch sicher nicht schlimm, oder? Gut, sie hatte dann noch hinzugefügt: Ich bekomme richtig Gänsehaut, wenn ich daran denke. Und auf diese Mail hatte Jeanny bisher noch nicht geantwortet. War ihr das zu persönlich gewesen? Hatte Bea sie irgendwie schockiert?
Sie gab sich einen Ruck und erzählte Franzi davon. »Meinst du, ich hab etwas Falsches geschrieben?«
»Hm.« Franzi dachte nach. »Möglicherweise war es das Ich liebe dich. Du hast es zwar nicht direkt gesagt, aber ihr kennt euch ja kaum, eigentlich gar nicht. Diese drei Worte sind schon etwas Besonderes. Vielleicht fand Jeanny es zu früh, sie auszusprechen oder zu schreiben – in welchem Zusammenhang auch immer. Vielleicht hat sie das erschreckt.«
Das klang logisch, fand Bea. »Und was soll ich jetzt tun?«
»Schreib ihr noch eine Mail. Dass du sie nicht überrumpeln wolltest oder so ähnlich. Wenn du ihr sympathisch bist, schreibt sie dir zurück.«
»Du hast recht.« Bea war froh, dass noch nicht alles verloren war. Sie konnte es kaum erwarten, die Mail zu schreiben und möglichst bald eine Antwort zu bekommen. »Ach, Franzi, bevor ich es vergesse . . . wo bekomme ich eigentlich Lektüre über Gebärdensprache her? Das Alphabet habe ich mir schon aus dem Internet heruntergeladen. Nur kann man ja nicht jedes Wort einzeln buchstabieren, und ich würde mir gern mal ein paar andere Gesten ansehen.«
»Ich könnte in der Bücherei nachfragen. Muss sowieso hin, ein paar Bücher abgeben.«
»Das wäre lieb von dir.«
Als Franzi gegangen war, setzte sich Bea sofort an den Computer und verfasste eine neue Mail.
Bin ich zu sehr mit der Tür ins Haus gefallen? Das tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich weiß, ich bin manchmal – na gut, ich gebe zu: oft – sehr direkt. Sag mir, wenn Du das nicht magst. Dann versuche ich mich zurückzuhalten. Ich fände es sehr schade, wenn Du deshalb nicht mehr antworten würdest. Jede Mail von Dir ist für mich, als ob die Sonne aufgeht. Ohne Deine Mails würde es sehr dunkel werden.
Mit zitternden Fingern schickte sie die Nachricht ab. Ob das reichte? Es war so schwierig, wenn man sich nicht kannte. Wenn alles, was man voneinander hatte, ein Bild und ein paar Buchstaben auf einem Bildschirm waren. Wie leicht konnte da ein dummes Missverständnis alles zerstören.
Verzweifelt starrte sie auf den Bildschirm, als könnte sie ihn dadurch veranlassen, eine Antwort von Jeanny zu produzieren. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wohl war, gehörlos zu sein. Von Geburt an, hatte Jeanny geschrieben. Also wusste sie gar nicht, wie eine Stimme klang, das Zwitschern eines Vogels, das Rauschen eines Baches.
Wenn man sich schrieb, hatte Gehörlosigkeit keine Bedeutung. Aber wenn man miteinander sprechen wollte? Sich süße Worte ins Ohr flüstern? Da sah es schon anders aus. Gut, sie konnte Gebärdensprache lernen . . . aber wie weit käme sie damit bei einem Date? Oder im Bett?
Ihr wurde heiß bei der Vorstellung. Daran sollte sie überhaupt nicht denken. So weit waren sie noch lange nicht. Sie hatten sich noch nicht einmal in natura gesehen. Alles war noch frisch und neu und würde vielleicht auch zu nichts führen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie nicht länger auf den Bildschirm starren konnte, sondern zur Arbeit musste. Dass sie gerade jetzt Wochenenddienst hatte, war wirklich nervig. Widerstrebend schaltete sie den Computer aus.
Den ganzen Tag über checkte Bea ihre Mails regelmäßig übers Handy, aber nichts kam. Keine Nachricht von Jeanny. Sie wusste kaum, wie sie sich durch den Arbeitstag quälen sollte, und war froh, als sie endlich nach Hause gehen konnte. Dort schaltete sie den Computer gleich wieder ein, aber auch während der Fahrt hierher war nichts gekommen.
Sie hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als doch noch eine neue Mail in ihrem Postfach aufblinkte. Beas Herz fing sofort wild an zu pochen. Ihre Augen brannten, als sie die Nachricht öffnete.
Ich sitze hier mit Tränen in den Augen, begann Jeanny. So etwas Romantisches hat mir noch niemand geschrieben. Ich konnte nicht sofort antworten, weil ich gar nicht glauben konnte, dass es so einen Menschen wie Dich gibt.
Ja, Du warst ziemlich direkt, und ich habe mich gefragt, worauf das hinausläuft.Es ist ja leider so, dass man sich in Mails oftmals schneller näherkommt als im wirklichen Leben, wo das länger dauert. Zu schnell wird es zu intim. Und auch wenn mich das genauso reizt wie anscheinend Dich, habe ich auch Angst davor. Es ist dann meistens genauso schnell wieder vorbei.
Bei dem Wort vorbei musste Bea schlucken. War es das nun? Kaum hatte es angefangen, wollte Jeanny es schon wieder beenden? Sie traute sich kaum weiterzulesen.
Ich hoffe sehr, dass das bei uns nicht so sein wird, fuhr Jeanny fort, und ein erleichterter Seufzer entrang sich Beas Brust. Denn das könnte ich nicht ertragen. Ich bin schon zu oft enttäuscht worden. Doch Deine lieben Worte haben mich so tief berührt, dass ich es einfach sagen musste. Ich will mehr als nur einen heißen Flirt, und ich hoffe, das willst Du auch.
Bea lehnte sich zurück, und ihre Augen wurden feucht. Es sprach so viel Gefühl aus Jeannys Worten – genau dasselbe Gefühl, das sie selbst empfand. In ihrem Innersten spürte sie: Sie waren Seelenverwandte.
Tief atmete sie durch. Nur langsam wich die Anspannung des ganzen Tages von ihr, die auch noch während des Lesens angehalten hatte. Dann endlich legte sie ihre zitternden Finger auf die Tastatur.
Ich bin so froh, dass Du geantwortet hast. Nun ist alles gut. Ich dachte, dass ich nie wieder von Dir hören würde. Es war ein furchtbarer Tag im Büro. Ich konnte mich überhaupt nicht auf meine Arbeit konzentrieren.
Sie schrieb weiter, die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, und die Mail wurde länger und länger. Bisher hatten sie immer nur kurze Nachrichten ausgetauscht, kleine persönliche Details miteinander geteilt, aber kaum etwas von ihrem sonstigen Leben und ihrem Alltag preisgegeben. Jetzt schrieb Bea von ihrer Arbeit und ihren Hobbys, von ihrem Pferd, das sie in einem Reitstall in Pension untergestellt hatte. Schließlich hängte sie noch ein Bild von sich an, auf dem sie auf ihrem Schimmel saß.
Erleichtert schickte sie die Mail ab. Die Welt war auf einmal wieder wunderschön, der Himmel voller Sterne. Keine von den Frauen, die Bea bisher kennengelernt hatte, hatte so eine Ausstrahlung wie Jeanny, schrieb so einfühlsam und liebevoll wie sie. Bea war sich sicher, dass sie auf dem richtigen Weg war. Diesmal war es anders als mit den anderen Frauen bisher.
Fast zwei Wochen waren seit ihrem Kennenlernen inzwischen vergangen, doch Bea kam es viel länger vor. Es war, als würden sie und Jeanny sich schon Ewigkeiten kennen. Sie schrieben sich über alles Mögliche, und Bea verstand immer besser, wie man ohne Gehör kommunizierte. Jeanny arbeitete in der Altenpflege, und anfangs hatte Bea sich nicht so recht vorstellen können, dass sie sich mit den alten Leuten verständigen konnte. Aber Jeanny erklärte ihr ausführlich, wie das funktionierte. Zudem hatte Franzi zu Beginn der Woche ihr Wort gehalten und zwei Gebärdensprachebücher aus der Stadtbücherei mitgebracht. Gemeinsam hatten sie die Gebärdensprache mit Händen und Mimik ein wenig ausprobiert. Dabei hatte Franzi gemeint: »Die Leiterin der Bücherei hat mir gesagt, dass die Volkshochschule auch Kurse in Gebärdensprache anbietet.«
»Mach mal langsam«, hatte Bea abgewehrt. »Ich will ja auch nicht gleich eine Kuh kaufen, wenn ich ein Glas Milch trinken will.«
»War ja nur so ein Vorschlag.«
»Danke. Aber dazu müssten wir uns schon erst einmal getroffen haben.«
»Aber gerade da wäre es doch von Vorteil, wenn du in ihrer Sprache schon ein paar Worte wechseln könntest.«
»Franzi! Es reicht!«
»Okay.« Franzi hatte mit den Schultern gezuckt und die Sache ruhen lassen. Wahrscheinlich wusste sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatte: Das Thema beschäftigte Bea.
Seitdem malte sich Bea immer häufiger und immer konkreter aus, wie ihr erstes Date mit Jeanny ablaufen könnte. So ein paar Gesten in Gebärdensprache dafür zu lernen, wäre schon nicht schlecht. Jeanny wäre sicher überrascht und würde sich darüber freuen. Oder würde alles in der Überwältigung der ersten Augenblicke untergehen? Verlegen würden sie bestimmt beide sein. Auch wenn man sich schon so vieles geschrieben hatte, eine Menge Persönliches voneinander wusste, war es doch etwas anderes, wenn man sich leibhaftig gegenüberstand. War Jeanny wirklich so, wie Bea sie sich vorstellte? Wie sie auf den Fotos und in ihren geschriebenen Worten rüberkam? Oder war sie in Wirklichkeit ganz anders, und Beas Bild von ihr würde sich als Illusion entpuppen?
Nein, dachte Bea. So, wie Jeanny schrieb, war es keine Illusion. Diese Herzlichkeit und Wärme, die aus ihren Zeilen sprachen, konnten nicht gespielt sein. Jedes ihrer Worte zeigte Bea, dass sie endlich ihr passendes Gegenstück gefunden hatte. Obwohl sie sich wirklich bemühte, ihre Gedanken nicht allzu oft in diese Richtung abdriften zu lassen. Seit sie geglaubt hatte, mit den berühmten drei Worten schon alles vermasselt zu haben, war sie vorsichtiger geworden. Je größer ihre Hoffnungen und Erwartungen waren, desto schlimmer könnte sie enttäuscht werden, das wusste Bea. Doch mit jeder Mail zog es sie mehr zu Jeanny hin – sie konnte es nicht verhindern. Sie wollte alles von ihr erfahren und erzählte Dinge von sich selbst, die sie sonst niemandem nach so kurzer Zeit offenbart hätte.
Und immer wieder überlegte sie, wie sie ihr erstes Date angehen sollte. Sollte sie einen Strauß roter Rosen mitnehmen? Oder nur eine einzige? Oder gar keine? Was war das richtige Maß? Früher hatte sie sich darüber nie den Kopf zerbrochen, sie hatte einfach getan, was sie für richtig hielt. Bei Jeanny hätte sie am liebsten einen ganzen Lkw voll Rosen mitgebracht. Sie war einfach etwas Besonderes. Aber zum ersten Mal stellte sich Bea die Frage, ob Jeanny das auch wollen würde. Vielleicht ginge ihr das zu schnell, und Bea würde damit wieder ins Fettnäpfchen treten. Diese Dinger standen ihr leider massenweise im Weg.