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In seinem Dialog De Providentia erörtert Seneca mit seinem Schüler Lucilius das Theodizeeproblem: Warum widerfährt guten Menschen oft viel Leid, obwohl doch die Welt nach stoischer Lehre von der göttlichen Providenz gelenkt wird? Die Autorin eines Kommentars zu diesem Senecadialog (ISBN 3-8311-4747-7) legt hier den Text mit einer neuen Übersetzung der Schrift vor. Sprache: Lateinisch/Deutsch
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Seitenzahl: 58
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Vorwort zur ersten Auflage
L. ANNAEI SENECAE DIALOGORUM LIBER I
Lucius Annaeus Seneca
Impressum
Nachdem ich zu Anfang dieses Jahres meinen Kommentar zu Senecas „De Providentia“ in zweiter Auflage herausgegeben hatte, bekam ich mehrfach die Anregung, ihm der besseren Lesbarkeit wegen den lateinischen Text mit einer Übersetzung hinzuzufügen. Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, Text und Übersetzung gesondert herauszugeben und später eventuell einmal in eine dritte Auflage des Kommentars zu integrieren.
Dem Text habe ich – wie auch schon meinem Kommentar – die Ausgabe von Reynolds1 zugrunde gelegt. Änderungen habe ich im Wesentlichen nur an der Zeichensetzung vorgenommen.
Obwohl es bereits gute deutsche Übersetzungen von „De Providentia“ gibt, lege ich hier eine eigene vor und folge damit einer guten Tradition: Aus der Zeit meines Studiums in Tübingen ist mir nämlich eine Äußerung von Walter Jens nachhaltig im Gedächtnis geblieben, mit der er einen Studenten, der in seinem Referat über einen lateinischen Text eine gedruckte Übersetzung zitierte, zurechtwies: „Merken Sie sich: Ein Philologe übersetzt seine Texte selbst!“
So habe ich nun zwar die guten Übersetzungen von Otto Apelt2 und Gerhard Krüger3 benutzt und sie an manchen Stellen sogar wörtlich übernommen, aber dies nur dann, wenn ich glaubte, das Gemeinte selbst nicht besser wiedergeben zu können. Dabei habe ich versucht, dem im Kommentar Herausgearbeiteten in der eigenen Übersetzung Ausdruck zu verleihen.
Das Wort virtus, das nicht zufriedenstellend ins Deutsche übersetzt werden kann, habe ich in der Regel lateinisch stehen lassen.4
Besonderen Dank schulde ich meinem Mann, der meine Übersetzung sorgfältig überprüft und manchem Satz dabei den letzten Schliff gegeben hat.
Quakenbrück, im November 2008Annrose Niem
1 L. Annaei Senecae dialogorum libri duodecim. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit L.D.Reynolds, Oxford 1977.
2 Lucius Annaeus Seneca, Philosophische Schriften, übersetzt, mit Einleitungen und Anm. versehen von Otto Apelt, Hamburg 1993 (= Leipzig 1923/24).
3 Lucius Annaeus Seneca, De otio, De providentia, lateinisch/deutsch, übersetzt und herausgegeben von Gerhard Krüger, Stuttgart 1996.
4 Vgl. dazu meinen Kommentar, bes. S. 98 ff.
Ich habe in meiner Übersetzung das lateinische Wort virtus unübersetzt gelassen und in diesem Zusammenhang auf die 2. Auflage meines Kommentars verwiesen. Um auch denen das Verständnis zu erleichtern, die meinen Kommentar nicht kennen, stelle ich jetzt eine Umschreibung vonvirtus voran:
Wörtlich bezeichnet virtus die „Art, wie ein Mann (vir) zu sein hat“. Übersetzungen wie „Mannhaftigkeit“, „Tapferkeit“, „Tüchtigkeit“ greifen meistens zu kurz, der Begriff „Tugend“ ist heute weitgehend unverständlich geworden. Deshalb hier die folgende Erklärung:
In der stoischen Philosophie bekommt der Begriff eine umfassende Bedeutung: Er vereint in sich alle „Tugenden“, d.h. neben Tapferkeit z.B. auch Gerechtigkeit, Besonnenheit und Weisheit.
Der Weise (sapiens) ist im Besitz dieser inneren Tugenden. Das macht ihn unempfindlich gegen alle Bedrohungen von außen. Kein Leid trifft ihn im Kern seines Wesens. Da aber ein wirklich Weiser nur ganz selten anzutreffen ist, kommt schon dem Streben nach Weisheit (philosophia) Bedeutung zu. Dieses Streben ist nichts weniger als eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Ursprünge des Menschen: Denn in der alten Philosophie wird die menschliche Seele als Abkömmling des die ganze Welt beseelenden göttlichen Geistes verstanden.
Quakenbrück, im Januar 2010Annrose Niem
Vorwort zur dritten Auflage
Kurz nach dem Erscheinen der zweiten Auflage habe ich von Herrn Prof. Dr. Otto Hiltbrunner einige Verbesserungsvorschläge für meine Übersetzung bekommen, die ich zum größten Teil in diese dritte Auflage aufgenommen habe. Sie waren der Anlass für diese Neuauflage.
Quakenbrück, im November 2010Annrose Niem
Vorwort zur vierten Auflage
Diese Auflage sollte vor allem äußerlich der 3. Auflage meines Kommentars angepasst werden. Dabei wurden auch kleine Unebenheiten in Text und Übersetzung ausgeglichen.
Quakenbrück, im August 2015Annrose Niem
AD LUCILIUM DE PROVIDENTIA
QUARE ALIQUA INCOMMODA BONIS VIRIS ACCIDANT,
CUM PROVIDENTIA SIT
I. 1. Quaesisti a me, Lucili, quid ita, si providentia mundus ageretur, multa bonis viris mala acciderent. Hoc commodius in contextu operis redderetur, cum praeesse universis providentiam probaremus et interesse nobis deum; sed quoniam a toto particulam revelli placet et unam contradictionem manente lite integra solvere, faciam rem non difficilem: Causam deorum agam.
2. Supervacuum est in praesentia ostendere non sine aliquo custode tantum opus stare nec hunc siderum coetum discursumque fortuiti impetus esse et, quae casus incitat, saepe turbari et cito arietare, hanc inoffensam velocitatem procedere aeternae legis imperio tantum rerum terra marique gestantem, tantum clarissimorum luminum et ex disposito relucentium; non esse materiae errantis hunc ordinem nec, quae temere coierunt, tanta arte pendere, ut terrarum gravissimum pondus sedeat inmotum et circa se properantis caeli fugam spectet, ut infusa vallibus maria molliant terras nec ullum incrementum fluminum sentiant, ut ex minimis seminibus nascantur ingentia.
3. Ne illa quidem, quae videntur confusa et incerta – pluvias dico nubesque et elisorum fulminum iactus et incendia ruptis montium verticibus effusa, tremores labantis soli aliaque, quae tumultuosa pars rerum circa terras movet –, sine ratione, quamvis subita sint, accidunt, sed suas et illa causas habent, non minus quam quae alienis locis con-
Dialoge Buch 1
Für Lucilius
Über die Vorsehung
Warum den Guten manches Leid widerfährt, obwohl es eine Vorsehung gibt
I. 1. Du hast mich gefragt, Lucilius, wieso eigentlich, wenn die Welt von der göttlichen Vorsehung bestimmt wird, guten Menschen viel Unheil zustößt.
Dies Thema könnte man besser im Zusammenhang eines Werkes behandeln, wo wir den Nachweis dafür brächten, dass die göttliche Vorsehung die Welt lenkt und der Gott an uns Anteil nimmt. Es besteht indessen der Wunsch, aus dem Gesamtkomplex ein Detail herauszutrennen und nur einen Widerspruch zu lösen und dabei die grundlegende Streitsache unberührt zu lassen. Deshalb will ich etwas tun, was nicht schwer sein wird: Ich werde die Partei der Götter ergreifen.
2. Für den Augenblick ist es überflüssig, Folgendes darzulegen:
Ein so großes Werk kann nicht ohne Beschützer bestehen; die Gestirne, die sich aufeinander zu-und voneinander wegbewegen, können nämlich nicht einem zufälligen Impuls folgen; denn was der Zufall in Bewegung setzt, gerät oft aus der Bahn und eckt schnell an, während dagegen diese schnelle Bewegung nach der Maßgabe eines ewigen Gesetzes ungebremst erfolgt, wobei sie so vieles zu Wasser und zu Lande, so viele strahlende und in fester Ordnung leuchtende Gestirne mit sich führt. Eine solche Ordnung kann aber nicht die Folge umherirrender Materie sein; denn nicht zufälliges Zusammentreffen könnte ein so kunstvolles Gleichgewicht gewährleisten, dass die schwergewichtige Erde unbewegt verharrt und auf die rings um sie dahineilende Himmelsbewegung blickt, dass sich die Meere in die Buchten ergießen und die Erde aufweichen, ohne ein Anschwellen der Flüsse zu bemerken, und dass aus winzigen Samenkörnern Gewaltiges entsteht.