Dead End at Heliopolis - Melanie Vogltanz - E-Book
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Dead End at Heliopolis E-Book

Melanie Vogltanz

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Beschreibung

»Muss ich jetzt Angst haben?« »Es ist Halloween, Mann. Natürlich!« Kunstblut, Spinnweben und Papiergeister – das "Heliopolis" schmeißt eine Halloweenparty. Selbst Mafed reist aus New York an, um mit Seth dessen erstes Halloween zu feiern. Mit Kostümen und Live-Musik wollen die beiden Götter die Katastrophen der Vergangenheit vergessen. Und wann, wenn nicht an Halloween, kann man für eine Nacht jemand ganz anders sein? Doch der ungewöhnlich helle Mond wirft tiefe Schatten, zwischen Gästen und Masken lauert Gefahr. Plötzlich steht die Zukunft von Seths Bar und das Leben ihrer Angestellten auf der Kippe. Eine göttliche Party in der unheimlichsten Nacht des Jahres!

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Dead end at Heliopolis
Content Notes
Impressum
Kapitel 1
1
2
3
4
Kapitel 2
1
2
3
Kapitel 3
1
2
3
Kapitel 4
1
2
3
4
Kapitel 5
1
2
3
4
Kapitel 6
1
2
3
4
Kapitel 7
1
2
3
4
5
6
Kapitel 8
1
2
3
4
Kapitel 9
1
2
3
4
5
6
7
Kapitel 10
1
2
3
3
4
5
6
Danksagung
Glossar
Mehr

Vogltanz • Wood

Dead end at Heliopolis

Seth und Mafed feiern Halloween

Content Notes

Ableistische und saneistische Sprache

Alkohol

Blut

Closeted Queerness und Angst vor dem Outing

Eingeweide

Erotik

Essen

Explizite Sprache

Feuer

Gewalt gegen Erwachsene und Tiere

Kannibalismus (erwähnt)

Kulturelle Aneignung

Leichen (explizite Darstellung)

Medizinische Behandlung

Mord

Nacktheit

Narben

Prügelstrafe und körperliche Züchtigung (impliziert)

PTBS

Rassismus

Sex (erwähnt, consensual)

Sexuelle Belästigung

Spritzen

Strangulation (explizit)

Tabakkonsum

Tod

Trauma

Verletzungen

Waffen (Stichwaffen, Granaten)

Impressum

Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim

Art Skript Phantastik Verlag und den Autor*innen.

Copyright © 2024 Art Skript Phantastik Verlag

1. Auflage 2024

Art Skript Phantastik Verlag | Salach

Lektorat » Isa Theobald

Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

Bildmaterial von creativemarket.com

Druck » BookPress | www.bookpress.eu

ISBN » 978-3-949880-57-5

Auch als eBook erhältlich

Der Verlag im Internet » www.artskriptphantastik.de

Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Musik hat dieses Buch geprägt und trägt viel zu seiner Stimmung bei. Mit der Spotify-App kann dieser Strichcode gescannt werden und man gelangt direkt ins Heliopolis und zu Seths Playlist.

»Nie wird das Zepter aus meiner Hand fortgenommen. […]

Die Hügel werden zu Städten,

die Städte werden zu Hügeln werden,

ein Haus wird das andere zerstören.«

Der Allherr über seine Schöpfung (Sargtexte)

Altägyptische Dichtung (ed. von Erik Hornung, Reclam 1996), S. 118

Kapitel 1

Blut!

1

Sie haben ihn gefunden.

Er hat ihr Nahen nicht gespürt, bevor es zu spät war. Seine Suche führt ihn in den Schankraum. Blut sammelt sich auf dem Boden, auf der Theke. Klebt an den Wänden.

Ihre Leichen erkalten schon. Anklagend starren ihre Augen aus ihren erbleichten Gesichtern.

Deine Schuld, sagen sie. Du hast uns das angetan. Sie kamen wegen dir!

Da, plötzlich: ein Klopfen im Dunkel der Nacht. Es zieht ihn fort von ihren Körpern. Zurück nach oben. Er folgt dem Geräusch und dem Ziehen tief in seinem Magen, das es begleitet. Es führt ihn vor seinen Schrank. Er ist verschlossen, wie stets seit seiner Rückkehr, aber die Schlösser, die ihn versperrten, sind verschwunden.

Etwas schlägt von innen gegen die Tür.

Bewegungslos steht er da, lauscht dem Wüten von etwas Großem, etwas Wildem, das nach draußen strebt. Die Tür erzittert unter dem Ansturm.

Zwischen den Ritzen des Holzes strahlt orangefarbenes, pulsierendes Licht.

Nimm mich, flüstert es darin. Nimm mich, und ich nehme dich.

Er streckt die Hände nach der Tür aus.

Nach der Hitze.

Nimm mich – und sei ganz.

2

Der Albtraum saß Seth immer noch unangenehm im Nacken, als er am Morgen des 31. Oktobers nach unten in den Schankraum des Heliopolis ging. Es war nicht der erste seiner Art und würde bestimmt auch nicht der letzte sein – doch er gewöhnte sich einfach nicht daran. Im Gegenteil, je öfter sie sich wiederholten, desto unruhiger ließen ihn die nächtlichen Schreckensbilder zurück. Mehrfach hatte er die Schlösser an seinem Schrank überprüft, ehe er es gewagt hatte, sein Zimmer zu verlassen.

»Verfickte Kackscheiße!«

Mitten im Schritt erstarrte Seth und sah fassungslos auf das Blutbad, das sich ihm darbot. Das Rot war überall: bedeckte die Wände in zornigen Spritzern, hatte sich vor der Theke zu einer erstarrten Pfütze gesammelt, klebte an der Registrierkasse und der Durchreiche zur Küche. Hier musste ein regelrechtes Gemetzel stattgefunden haben, und Seth hatte nichts davon mitbekommen. Der Anblick jagte Feuer durch seine Adern. Sofort begann die Luft um ihn zu knistern.

Diesmal war es kein Traum gewesen. Irgendetwas hatte sie gefunden, hatte unter den Sterblichen gewütet, und Seth war nicht dagewesen. Für die Dauer eines Herzschlags schnürte das Grauen ihm die Luft ab.

»Tara? Billy?«, schrie er, als er genug Atem gesammelt hatte.

»Boss, es ist noch zu früh für dieses Rumgebrülle. Du könntest damit wenigstens bis Mittag warten.« Missmutig steckte Billy den Kopf durch die Durchreiche in den Schankraum und stützte die Ellbogen darauf. In seiner Hand hielt er ein Wasserglas, durch das Seth den viel zu hellen Milchkaffee darin erkennen konnte. Der Sterbliche runzelte die Stirn. »Oh. Dir gefällt unsere Deko wohl nicht?«

»Deko«, wiederholte Seth zweifelnd. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu sammeln. Dann deutete er auf die Blutpfütze vor ihm. »Willst du mich verarschen? Hier sieht es aus wie in einem beschissenen Schlachthaus!«

»Das … war irgendwie der Sinn der Sache, Boss. Tara und ich sind extra früh aufgestanden, um alles fertig zu bekommen, bevor wir unseren richtigen Dienst aufnehmen müssen. War ein ganz schöner Haufen Arbeit.«

Wortlos presste Seth die Lippen zusammen und ließ seinen Blick erneut durch den Schankraum wandern. Das Blut hatte seine Aufmerksamkeit so vereinnahmt, dass ihm der Rest der Veränderung bislang entgangen war. Eine Gummiaxt steckte in der Theke, riesige Spinnweben klebten in den Ecken des Raums. Ein nicht besonders anatomisch korrekt wirkendes menschliches Skelett aus Papier baumelte an einem Strick von der Decke, und dann prangte da noch ein mehr als kopfgroßer Kürbis im Raum, der ein geritztes Grinsen in der Schale trug.

»Oh oh«, befand Billy, während er Seths Mienenspiel beobachtete. »Taras Idee!«, schob er rasch hinterher. »Ich hab nur geholfen!«

»Das ist …« Seth atmete durch. Kramte eine Zigarette hervor und zündete sie an. »Das ist … Das ist …«

»Abgedreht? Genial? Verdammt solide für das Winz-Budget, das wir zur Verfügung hatten?«, schlug Billy vor.

»Fuck, das ist abscheulich!«, endete Seth.

»Danke, Boss«, kommentierte eine Stimme hinter ihm. »Wir haben uns auch den Arsch dafür aufgerissen.«

Tara kam in den Schankraum geschlendert und zog sich neben Seth auf die Theke hoch. Grinsend musterte sie ihn. »Sag bloß, wir haben den großen, furchterregenden Gott des Chaos’ das Fürchten gelehrt? Sieht so aus, als wären wir noch besser, als wir dachten! Wird eine geile Party heute Nacht.«

Seth schüttelte den Kopf. Nachdem er energisch an seiner Zigarette gezogen hatte, fragte er bemüht ruhig: »Will mir einer von euch erklären, was die ganze Scheiße hier soll?«

»Mann, Boss, jetzt komm mal wieder klar. Du tust ja so, als hättest du noch nie Halloween gefeiert!«, sagte Billy.

Tara hob die Augenbrauen. In ihrer Miene dämmerte es. »Oh Fuck. Du hast noch nie Halloween gefeiert, oder, Seth? Daran hab ich nicht gedacht.« Sie klaute sich eine Kippe von Seth und ließ sich Feuer von ihm geben.

»Ihr sagtet, ihr wolltet heute eine Veranstaltung hier abziehen – irgendein Feiertag –, aber wenn ich gewusst hätte, dass ihr ein verficktes Schlachthaus aus meiner Bar macht, dann …«

»Boss, dafür ist Halloween da«, unterbrach Tara ihn. »Für gruseligen Scheiß! Das ist der eine Tag im Jahr, an dem einen niemand schief ansieht, wenn man makabres, blutiges oder krankes Zeug abfeiert. Der Tag, an dem die Toten wandeln. Nicht richtig«, fügte sie schnell hinzu, als sie Seths beunruhigten Blick sah. »Aber du weißt schon … im übertragenen Sinne.« Sie wedelte mit der Hand und der Qualm ihrer Zigarette malte Wirbel in die Luft.

Wieder betrachtete Seth missmutig die Deko.

»Den Gästen wird’s gefallen«, versprach Billy, als das Schweigen anhielt. »Glaub mir, Boss, das wird super ankommen. Du wirst Kohle machen! Kohle ist gut. Oder?«

Seth versetzte dem Papierskelett einen Stoß, sodass es vor- und zurückschwang. Das stupide Pappgrinsen schien ihn zu verhöhnen. Seths Lippen verzogen sich unwillig. »Einmal im Jahr? Ein einziger Tag?«

»Eine Nacht«, präzisierte Tara.

Seth schnaubte. »Von mir aus. Aber ihr räumt diesen Scheiß anschließend wieder weg. Wenn die Gäste gegangen sind, will ich keine einzige Spinnwebe mehr in meiner Bar finden, klar? Weder echt noch falsch.«

»Seth … Kann es sein, dass du kein Blut sehen kannst?«

Seths Kopf zuckte herum. Sein vernichtender Blick traf Billy, dessen verschmitztes Grinsen augenblicklich in sich zusammenfiel.

»Ich hab meinen Anteil an Blut gesehen, Billy«, sagte er hart. »Mehr als genug davon.«

»Okay«, murmelte Billy halblaut. »Chill mal, Mann. Ist doch alles nur Spaß.«

»Ihr Sterblichen habt einen verdammt schrägen Sinn für Humor«, brummte Seth. Er stieß Rauch durch die Nase aus.

Tara schenkte ihm ein Lächeln. »Weißt du, Boss, ich weiß schon genau, wie wir dich wieder aufheitern können.«

Alarmiert musterte Billy sie. »Nicht die Cop-Sache, oder? Ich dachte, damit kommen wir erst, wenn er etwas mehr … du weißt schon … Einen höheren Pegel hat?«

»Cop-Sache?«, wiederholte Seth knurrend.

Tara weitete die Augen. »Nein! Ich meine – doch! Cop-Sache. Äh …« Sie lachte nervös. »Wir haben einen Gast für heute eingeladen!«

»Einen Cop?«, hakte Seth skeptisch nach.

»Nicht so ganz. Aber nah dran!«

»Langsam fang ich an zu glauben, ihr habt mir gestern was in den Schnaps getan.«

»Das Gefühl haben wir bei dir immer, Boss«, bemerkte Billy trocken.

3

»Fuck!«

Mafed steckte sich den Zeigefinger in den Mund und leckte das Blut ab. Verärgert schleuderte er das scharfe Messer in die Spüle und schnaubte.

»Alles in Ordnung?« Ian kam aus dem Wohnzimmer und warf ihm einen besorgten Blick zu.

Vorsichtig zog Mafed den Finger aus dem Mund und betrachtete den Schnitt. Er war bereits wieder verheilt und hinterließ nur eine silberne Linie. »Die Tomaten haben ein Blutopfer gefordert.«

Ian trat an ihn heran, nahm die verletzte Hand in seine und küsste sanft die Fingerspitzen. »Du solltest besser aufpassen. Gliedmaßen wachsen nicht nach.« Er runzelte die Stirn. »Oder doch?«

Lachend schlang Mafed einen Arm um Ians Hüfte und schmiegte sich an ihn. Der Sterbliche trug bereits eine graue Anzughose und ein himmelblaues Hemd. Die anthrazitfarbene Krawatte hing locker um seinen Hals.

»Musst du los?«, fragte Mafed mit leiser Enttäuschung.

Ian nickte. »Du weißt, dass heute Nacht die Hölle los sein wird.«

»Teufelsnächte«, flüsterte Mafed. Er verzog das Gesicht, als er daran dachte, was ihnen letztes Jahr zugestoßen war. Sanft strich er mit einer Hand über Ians Wange. Während Mafeds längerer Abwesenheit hatte er sich einen Bart wachsen lassen. Er hatte ihn seit ihrer Versöhnung mehrfach abrasieren wollen, doch Mafed hatte jedes Mal protestiert. Irgendwie machte es Ian kerniger, verwegener – und Mafed gefiel das.

Verträumt betrachtete er den Sterblichen, prägte sich jede feine Falte ein, die das Lachen in sein Gesicht zauberte. »Pass bitte auf dich auf.«

Mit einem Schmunzeln beugte Ian sich zu ihm herunter und küsste ihn. »Du kannst ja mitkommen und auf mich aufpassen«, raunte er.

Mafed entwich ein abfälliger Laut. »Ich soll meinen freien Abend mit gutem Essen und Wein gegen einen chaotischen Dienst auf dem Revier eintauschen? Ian, ich hab dich gern, wirklich. Aber das geht zu weit.« Dass er längst andere Pläne für diesen Abend hatte, verschwieg er.

Lachend schlang Barnell die Arme um den Totengott. »Falls dir dein freier Abend zu langweilig wird, kannst du ja vorbeikommen. Im Archivraum findet sich bestimmt eine dunkle Ecke.«

Mafed stieß ein leises Schnurren aus und stahl sich einen Kuss. »Verlockender Gedanke. Allerdings habe ich morgen früh Dienst und darf den Müll aufräumen, den ihr hinterlassen habt.«

»Dann schlaf ich später wohl besser zu Hause, hm?«, überlegte Ian laut und legte enttäuscht die Stirn in Falten.

»Ich komm nach Feierabend zu dir und bringe was vom Italiener mit«, schlug Mafed vor. »Dann machen wir es uns zusammen gemütlich. Was hältst du davon?«

Ein sehnsuchtsvolles Lächeln stahl sich auf Ians Lippen. »Klingt gut.« Er küsste Mafed erneut, erst zärtlich und liebevoll, doch je länger der Kuss dauerte, desto fordernder wurde er. Hände legten sich auf Mafeds Hüfte, schoben ihn zum Küchenblock, auf den er sich geschickt hochzog. Ian stellte sich zwischen die Beine des Gottes, beugte sich drängend über ihn und nestelte an dessen Hemd.

Keuchend löste Mafed den Kuss, legte seine Hände auf Ians Brust und schob ihn sacht von sich. »Schluss. Wir sollten das lassen. Sonst kommst du noch zu spät zum Dienst.«

»Na und? Es wird niemanden interessieren.«

»Es wird Nolen interessieren«, widersprach Mafed sanft und lachte, als er Ians Grimasse sah. »Was für eine Ausrede willst du deiner Tante erzählen? Sorry, ich musste noch kurz den Rechtsmediziner ficken?«

Ein plötzlicher Schatten huschte über Ians Gesicht. Er ließ von Mafed ab, trat einen Schritt zurück und kontrollierte die Hemdknöpfe an den Ärmeln. Obwohl ihre Beziehung nun schon einige Wochen andauerte, hatte Ian noch nicht den Mut gefunden, sich offiziell zu outen. Auf dem Revier wahrten sie Abstand und Professionalität. Für Mafed war das in Ordnung. Er wollte dem Sterblichen so viel Zeit wie nötig geben. Es war sein Leben und seine Entscheidung. Und die Menschen machten einem ein Outing nicht unbedingt leicht. Bei der Polizei arbeiteten einige Idioten, die ihre Nase in Dinge steckten, die sie nichts angingen. Hinzu kam die Sorge, was Ians Tante, die Lieutenant des Morddezernates, dazu sagen würde.

»Hey, Detective.« Behutsam griff Mafed nach Ians Hand und zog ihn wieder zu sich. Barnells Miene blieb ernst. »So hab ich das nicht gemeint«, erklärte Mafed und küsste Ians Mundwinkel.

»Ich weiß. Aber du hast ja recht. Irgendwann muss ich es ihr sagen.«

»Irgendwann ist nicht heute«, wandte Mafed ein, griff nach Ians Krawatte und begann, sie zu binden. »Alles mit seiner Zeit. Ich lauf dir nicht weg. Nicht … noch mal.« Er lächelte entschuldigend.

Als Mafed den Knoten zurecht zog, griff Ian nach seinen Fingern und führte sie an seine Lippen. Die moosgrünen Augen musterten ihn nachdenklich. »Du weißt, dass mir das ernst ist … mit uns. Nicht wahr? Zumindest … weitaus ernster als alles, was davor war.«

Mafed nickte. Ians dringlicher Gesichtsausdruck beschleunigte seinen Puls mehr, als der Kuss es gekonnt hätte.

»Ich will …« Ian seufzte. »Ich will das auch ernst angehen können. Mit Dates und Berührungen in der Öffentlichkeit und … ich will, dass du endlich meine Freunde kennenlernst.«

Meine Freunde kennenlernst.

Ein Stich durchfuhr Mafed. Er setzte sich gerade auf und blinzelte irritiert. »Ja, das … das wäre schön.«

Ian schien von seiner Unruhe nichts zu bemerken oder ignorierte sie. Er atmete tief ein. »Lass uns das später bereden. Ich muss wirklich los.« Er gab Mafed einen Kuss, löste sich dann von ihm und ging in den Flur.

Zischend stieß der Totengott die Luft aus und fuhr sich übers Gesicht. Das schlechte Gewissen grub seine Zähne in Mafeds Verstand. Er hasste es, Geheimnisse vor Ian zu haben, aber manche schienen bitter nötig – vor allem, wenn es darum ging, Götter von ihm fernzuhalten. Götter bedeuteten Gefahr.

Mit einem Satz schwang Mafed sich vom Küchenblock und betrachtete den Teller mit Tomaten, Mozzarella und frischem Ciabatta. Irgendwie war ihm der Appetit vergangen. Er sah auf, als Ian zurück in die Küche kam. Der Detective hatte sich noch Jackett und Mantel übergeworfen. In einer Hand hielt er die Autoschlüssel.

»Dann sehen wir uns morgen?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Genau.«

Ein schelmisches Lächeln schlich sich auf Ians Züge. »Ich freu mich.« Er gab Mafed einen Abschiedskuss, wandte sich ab, hielt aber im Durchgang zum Flur noch mal inne.

»Hey, Totendoc?«

»Hm?«

»Ich …« Nervös fuhr Ian sich durchs Haar. Röte stieg ihm ins Gesicht. »Vergiss es. Nicht wichtig. Mach dir einen schönen Abend.«

»Okay.«

Irritiert sah Mafed dem Sterblichen nach. Selbst nach all den Jahren blieben dieser Mensch und Beziehungen ein Rätsel für ihn. Aber auch dieses würde er früher oder später lösen – hoffentlich.

Als die Tür ins Schloss fiel, zog Mafed sein Smartphone aus der Hosentasche. Kurz nach neunzehn Uhr. Ein Lächeln huschte über seine Züge. Die Zweifel und Probleme konnten noch eine Nacht warten. In einer Stunde würde er im Heliopolis sein.

4

Stöhnen, schmerzerfülltes Ächzen, Flüstern, Gelächter – alles untermalt von atonaler, kreischender Musik. Seth lieferte sich ein grimmiges Blickduell mit der Anlage. So grauenvolle Töne hatte sie noch nie von sich gegeben, nicht einmal, als Billy sie bei einem denkwürdigen Abendessen aus unerfindlichen Gründen mit haarsträubendem Smoothjazz gefüttert hatte.

»Nur bis die Band loslegt«, hatte Tara ihn beschwichtigt, doch Seth fragte sich ernsthaft, wie er bis dahin durchhalten sollte, ohne sich Eispickel durch die Trommelfelle zu jagen.

Mit einem Kopfschütteln riss er sich von der Anlage los. »Verdammte Scheiße, Billy, wo steckst du? Schwing deinen Arsch hier runter!«

»Der zieht sich noch oben um«, rief Tara, die gerade dabei war, die Tische abzuwischen, quer durch den Raum.

»Wozu?«

»Halloween!«, erwiderte Tara grinsend. Das schien heute die Antwort auf alles für die beiden Sterblichen zu sein.

Auch Tara selbst hatte seit dem Morgen ihr Outfit gewechselt. Sie trug nun einen für das Wetter Nevadas viel zu warmen Strickpulli mit rot-grünem Streifenmuster, einen übergroßen Schlapphut und einen Handschuh mit sichelförmigen Klingen aus Plastik an der rechten Hand, der Seth weder geeignet dafür erschien, Dienst an der Bar zu versehen, noch um jemanden damit aufzuschlitzen, und dadurch insgesamt völlig nutzlos wirkte.

»Halloween«, knurrte Seth düster. »Was für ein Dreckstag.«

»Wenn du so drauf bist, sollte ich vielleicht lieber gleich wieder umdrehen.«

Seth fuhr herum. Seine Laune besserte sich schlagartig, als sein Blick auf den Gast fiel, der eben durch die Vordertür in den Schankraum getreten war.

»Yuppie!«, stellte Seth überrascht fest. Ehe er noch mehr sagen oder tun konnte, war bereits Tara herangerauscht und nahm den Totengott aus New York in Beschlag.

»Ist das Ihr verdammter Ernst, Doc? So schlagen Sie hier auf?«

Mafed blickte irritiert an sich herab. Für Seth sah er aus wie immer – ein schlichtes schwarzes T-Shirt, eine Jeans, saubere Chucks.

»Das ist eine Kostümparty!«, fuhr Tara fort. »Und Sie arbeiten immerhin mit Leichen! Sitzen sozusagen direkt an der Quelle! Hätte schon gedacht, dass Sie da etwas Inspiration tanken würden. Wenigstens einen Kadaver als Begleitung hätten Sie mitnehmen können oder so.«

Mafed verzog säuerlich die Lippen. »Ich arbeite den ganzen Tag mit toten Menschen, Tara. Da brauche ich das in meiner Freizeit nicht auch noch.«

Tara seufzte. »So was ähnliches hat der Boss heute Morgen auch schon gesagt. Ihr Götter versteht echt keinen Spaß.« Mit einem Kopfschütteln vertrieb sie den, wie Seth erkannte, ohnehin nur aufgesetzten Ärger aus ihrer Miene. »Schön, dass Sie es geschafft haben!«

»Danke für die Einladung.« Mafed umarmte Tara, die ihn herzlich drückte.

»Aber über Ihren Sinn für Party müssen wir noch mal dringend reden!«, kündigte sie an. »Ich muss jetzt erst mal weiter ranklotzen, bevor der Boss mich noch als Deko an den Wänden verteilt. Der hat heute echt glänzende Laune.«

»Seth? Niemals«, erwiderte Mafed schelmisch grinsend.

»Ich kann euch sehr gut verstehen«, murrte Seth.

Tara zog den Kopf zwischen die Schultern. »Hab ich’s nicht gesagt? Viel Glück, Doc!« Und mit dieser kryptischen Bemerkung und einem breiten Grinsen verschwand sie hinter der Theke und anschließend im Durchgang zur Küche, wo Seth sie kurz darauf mit Geschirr klappern hörte.

Während Seth zu Mafed hinüberschlenderte, sah dieser sich im makaber geschmückten Schankraum um. Zur Feier des Tages hatten die Sterblichen die Tische umgestellt, und irgendwie war es ihnen gelungen, auf dem begrenzten Raum sowohl eine Art Tanzfläche freizumachen als auch eine kleine Bühne aufzubauen. Die Bandmitglieder würden dort vermutlich Schulter an Schulter stehen, doch Seth war überrascht gewesen, dass die Bar überhaupt genug Platz für eine Bühne bot. Die Aussicht auf Livemusik war der einzige Lichtblick an diesem Tag gewesen.

Bis jetzt.

»Ihr habt euch hier ja richtig ins Zeug gelegt. Hoher Feiertag für euch?«, fragte Mafed.

»Für Tara und Billy scheinbar«, meinte Seth und stellte sich neben den Totengott, um mit ihm gemeinsam die Bühne zu betrachten. Das Schlagzeug war bereits aufgebaut, ebenso wie eine halb mannshohe Lautsprecherbox und ein Mikrofonständer, ansonsten war sie noch völlig leer. »Ich versteh den ganzen Aufriss nicht.«

Mit einem Lächeln wandte Mafed sich ihm zu. »Darf ich dich zur Begrüßung umarmen oder beißt du mir dann den Kopf ab?«

»Ich wär da echt vorsichtig, der hat heute noch nicht gefrühstückt!«, kam ein spöttischer Kommentar von der Treppe.

Seth musste zweimal hinsehen, als Billy vom Privatbereich im Obergeschoss zu ihnen nach unten kam. Der Sterbliche hatte sich in der Tat umgezogen. Statt dem verwaschenen Shirt und den Jeans von vorhin trug er nun Polyester – eine knielange schwarze Tunika, darüber ein Lendentuch aus billigem goldenem Stoff und, um dem Ganzen buchstäblich die Krone aufzusetzen, ein stark vereinfachtes Nemes-Kopftuch, unter dem einzelne Strähnen seines schwarzen, gegelten Haares hervorlugten. Unvermittelt lief ein Schauer über Seths Körper.

»Heilige Scheiße«, stieß er hervor.

»Oh, Billy. Ist das dein Ernst?«, ächzte Mafed.

»Doc! Cool, Sie sind gekommen! Aber was soll das für ein Kostüm sein? Langweiler vom Big Apple? Nichts für ungut.«

»Billy«, knurrte Seth bedrohlich.

»Was denn?«

»Ich glaube, Seth ist kein Fan deiner Kostümidee«, half Mafed aus. »Und um die Wahrheit zu sagen, ich muss ihm zustimmen.«

»Was? Wieso denn!«, protestierte Billy. »Das ist eine Hommage an euch Jungs! Ich hab mir echt Mühe gegeben.«

»Es ist … fast schon beleidigend.«

»Ihr Aufzug beleidigt mich auch, Doc. Ihr seid beide Kulturmuffel. Begrüßen Sie mich jetzt, oder krieg ich die kalte Schulter, weil ich mich für euch zwei ins Zeug gelegt hab?«

Mafed seufzte ergeben und zog Billy bereitwillig in die Arme.

Seth starrte Billy lediglich finster an. Der Sterbliche wandte sich zu Seth um. Nun wirkte er doch etwas verunsichert. »Mann, echt so schlimm? Ich wollte mich nicht lustig über euch machen oder so, wirklich nicht. Aber«, er warf Mafed einen hilfesuchenden Blick zu, »vielleicht hab ich das irgendwie nicht zu Ende gedacht. Wenn es euch echt stört, dann zieh ich mich noch mal um. Irgendwas find ich schon.«

Seth schnalzte kritisch mit der Zunge. »Und drückst dich noch länger vor der Arbeit? Mit Sicherheit nicht.«

»Dir kann man es aber auch echt nicht recht machen, Boss.«

»Wenn du das nächste Mal etwas in diese Richtung planst, melde dich bei mir«, bot Mafed schmunzelnd an. »Dann helfe ich dir bei deinem Outfit. Über eine geschmackvolle und respektvolle Hommage würden wir uns sicher beide freuen.«

Seth schnaubte lediglich. Er wusste, dass es dem Totengott da meist anders ging, aber Seth bevorzugte es, nicht an die alte Heimat erinnert zu werden.

»Makeover mit Ihnen, Doc? Das klingt hammer! Aber dafür müssen wir doch nicht bis zum nächsten Halloween warten, oder?« Billy grinste breit. Seine Zerknirschtheit hatte nicht lange angehalten. Da bemerkte er wieder Seths finstere Miene. »Schau so fies, wie du willst, Boss – meine Laune kannst du mir heute nicht vermiesen. Und apropos Kostüm: So kannst du nicht bleiben, das ist immerhin unsere gemeinsame Party! Du würdest dich lächerlich machen, als Barbesitzer und überhaupt. Tara und ich haben dir auch was zum Anziehen besorgt, und noch ist genug Zeit, um …«

»Fick dich, Billy«, sagte Seth.

»Messerscharf argumentiert. Sehr charmant.« Billy verdrehte die Augen. »Und das vor deinem Gast.«

»Hast du nichts zu tun?«, knurrte Seth. »Zum Beispiel die Zeit aufholen, die du für diesen Aufzug verschwendet hast?«

»Hätte mir besser ein Dienerkostüm besorgen sollen, hm?«, kommentierte Billy an Mafed gewandt. Doch er schien zu begreifen, dass er Seths Geduld überstrapaziert hatte, und gesellte sich rasch und ohne weitere Spitze zu Tara in die Küche.

»Nicht gefrühstückt?«, griff Mafed zielsicher Billys Bemerkung auf. »Es ist nach fünf Uhr abends. Du siehst dünn aus, Seth. Isst du genug?«

Seth seufzte. »Yuppie …«

»Yuppie, ich esse genug? Richtig?«

Seth musste grinsen. »Weißt du, das hat mir gefehlt. Dieses ständige Genörgel.«

Spontan zog Mafed ihn in die Arme. Instinktiv spannte Seth sich an, und so ließ der andere Gott ihn rasch wieder los.

»Entschuldige«, murmelte Mafed verlegen und brachte wieder eine halbe Armlänge Sicherheitsabstand zwischen sie.

Seths Mundwinkel zuckten. »Schon gut, Yuppie.«

»Muss ich jetzt für dich kochen?«, fragte Mafed.

»Nicht nötig. Tara und Billy haben Partyfraß für heute Abend besorgt.«

»Partyfraß«, wiederholte Mafed skeptisch.

Seth zuckte mit den Schultern. »Ihre Worte, nicht meine.«

»Dann sollten wir dir mal was von diesem Fraß besorgen, hm? «

»Später«, versprach Seth. »Lass die Sterblichen erst mal in der Küche arbeiten. Außerdem würd ich gern ein paar Worte mit dir wechseln, ohne dass ständig jemand dazwischen grätscht.«

Mafed lächelte. »So?«

»Hab das Gefühl, du warst ewig nicht hier. Wieder viel Stress in der großen Stadt?«

Mafed lachte. Es wirkte unbehaglich. »Etwas. Aber nicht die schlechteste Art von Stress. Es geht mir gut, wenn du das fragen wolltest.«

Seth nickte nachdenklich und zündete sich eine Zigarette an. »Setzen wir uns noch kurz, bevor hier alles drunter und drüber geht. Tara und Billy machen das schon mit den Vorbereitungen. Ist ja auch ihre Schnapsidee gewesen – jetzt können sie das auch selbst ausbaden. Was hältst du von Whiskey?«

»Ist es dafür nicht etwas früh am Abend?«

»Wasser?«

»So früh auch wieder nicht.«

Seth lachte leise. »Okay, Yuppie. Mal sehen, ob ich Wein dahabe, den ich dir zumuten kann.«

»Das klingt perfekt!«

Kapitel 2

Demon Days

1

Unter Mafeds prüfendem Blick ließ Seth sich tatsächlich dazu herab, etwas zu essen. Billy und Tara hatten sich die Mühe gemacht, verschiedene Häppchen vorzubereiten, und sie auf mehreren Tabletts auf den Tischen verteilt. Nichts, was Mafeds Ansprüchen bezüglich einer vollwertigen Mahlzeit genügte, aber besser als Toast und Ketchup. Und es erfüllte seinen Zweck. Der Totengott hatte eine kleine Auswahl auf einem Teller zusammengestellt – Würstchen im Schlafrock, Kräcker mit Sauerrahm, Nachos mit Guacamole und eine mit Käse überbackene Brezel. Wortlos hatte er Seth den Teller hingestellt und sich innerlich auf eine Diskussion vorbereitet. Zu seiner Verwunderung aß der Chaosgott widerstandslos. Vielleicht war ihm – ebenso wie Mafed – nicht nach streiten.

»Die anderen haben dir wirklich nicht gesagt, dass ich komme?«, fragte Mafed, nachdem er Seth eine Weile beim Essen zugesehen hatte. Er hatte sich ihm gegenüber auf der Bank niedergelassen und nippte an seinem Wein.

Seth schob sich einen Taco-Chip in den Mund und schüttelte den Kopf. »Kein Wort.«

»Es sollte eine Überraschung sein.« Mafed runzelte kritisch die Stirn. »Ich dachte, du freust dich vielleicht.« Er selbst war sich längst nicht mehr sicher, ob es eine so gute Idee gewesen war.

Seth betrachtete ihn eine Weile mit zusammengezogenen Augenbrauen. Dann griff er nach der Whiskeyflasche und füllte sein leeres Glas auf. »Das tue ich.«

Mafed verzog die Lippen. Größere Ausdrücke der Freude würde er wohl heute nicht von dem anderen Gott bekommen. »Gut, ich freu mich nämlich, dich zu sehen. Ich bin gerne bei euch.«

»Ach ja?«

Mafed zuckte mit den Schultern und lächelte charmant. »Das Wetter ist in Nevada deutlich besser als in New York zu dieser Jahreszeit. Und die Gesellschaft hier ist meistens auch nicht schlecht.« Er stellte sein Glas ab, beugte sich vor und stahl sich einen Kräcker von Seths Teller, den er in den Sauerrahm tunkte.

»Meistens?«, hakte Seth nach und schob den Teller näher zum Totengott, damit er sich besser bedienen konnte.

»Du bist heute kein Sonnenschein, Rowdy.« Mafed leckte sich etwas Sauerrahm vom Finger. Ihm war schnell aufgefallen, dass Seth keinen guten Tag hatte. Selbst wenn der andere Gott kein grummeliges Wort gesagt hätte, wäre es ihm klar geworden. Es waren die knappen Ausdrücke in seiner Mimik, seine Haltung, die Art, wie er auf die Umarmung reagiert hatte. Seth war angespannt.

»Was ist los?«, fragte Mafed geradeheraus und neigte den Kopf zur Seite. »Ich seh doch, dass irgendwas nicht stimmt.«

Murrend stieß Seth die Luft aus. Das Thema schien ihm endgültig den Appetit zu verderben. Er lehnte sich zurück, griff nach seinen Zigaretten und klemmte sich eine zwischen die Lippen. Kurz flammte sein Heka auf, um die Kippe zu entzünden.

»Seth«, raunte Mafed flehend. Sie hatten sich versprochen, miteinander zu reden, und der Totengott war nicht gewillt, dieses Versprechen so schnell zu brechen.

»Es ist nichts. Hab in letzter Zeit bloß beschissen geschlafen.«

»Wieder was in Brand gesetzt?«, fragte Mafed alarmiert. Die Bilder aus dem Sommer kamen ihm in den Sinn. Brandflecken auf dem Laken, Seth, wie er eingehüllt von Flammen auf dem Balkon stand. Mafed strich sich über den linken Unterarm, der bei dem Gedanken verheißungsvoll kribbelte.

»Nein!«, erwiderte Seth gereizt. Sein Blick fiel auf Mafeds Hand, die die Brandnarben verdeckte. »Nein«, wiederholte er leiser. »Das hab ich im Griff. Wirklich. Ich bin einfach nur … Scheiße, ich weiß auch nicht. Unruhig.«

»Ist das alles?« Mafed spürte, dass da noch mehr war. Er nahm einen Schluck von seinem Wein, ohne Seth dabei aus den Augen zu lassen.

Der Chaosgott rauchte und schwieg. Mafed kannte das bereits und ließ ihn gewähren. Abwartend drehte er das Glas in seinen Händen. Schließlich drückte Seth die Kippe im Aschenbecher aus.

»Manchmal ist diese neue Welt verdammt ätzend.« Mit einem Nicken deutete er auf den Fleck aus Kunstblut vor der Theke.

»Du meinst Halloween?« Mafed runzelte die Stirn und überlegte. »Muss dein erstes sein, oder?«

Seth nickte. »Find es jetzt schon beschissen«, verkündete er.

Mafed lachte trocken. »Ja, ist es.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Seth zu ihm, worauf er leise seufzte. »Man sollte meinen, als Totengott müsse es mir gefallen, wenn man der Verstorbenen gedenkt. Das war vielleicht irgendwann mal so, aber Halloween ist nur noch eine Satire des Grundgedankens. Jetzt geht es um aufreizende Kostüme, Alkohol und Süßigkeiten. Ein haltloser Vorwand, um Party zu machen.«

Seths Mundwinkel zuckten. »Klingt wirklich so, als sollte dir der Tag eigentlich gefallen, Yuppie.«

»Hey!« Mafed hob mahnend einen Zeigefinger. »Ich jage nicht jedem Rock einer nuttigen Hexe hinterher.«

»Ich meinte wegen dem Süßkram«, erklärte Seth ungerührt.

»Ich bin erwachsen und reich. Ich kann mir einen verdammten Süßigkeitenladen mieten, wenn ich es will.«

»Wusste gar nicht, dass du dich für so was interessierst.«

»Was genau meinst du?«

Seth zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Frauen. Weibliche Sterbliche. Was auch immer. Bisher hab ich davon nicht viel mitbekommen.«

Der plötzliche Themenwechsel irritierte Mafed. Er hatte nicht geglaubt, dass Seth sich Gedanken über sein Liebesleben machte. »Ich habe eine Schwäche für spannende Personen – unabhängig vom Geschlecht. Es wundert mich, dass dir das noch nicht aufgefallen ist. Allerdings war während meines Aufenthaltes hier im Sommer auch nicht viel Zeit zum Flirten. Aber ich mach da kein Geheimnis drum.« Mafed musterte Seth. »Und … bei dir? Also … wofür interessierst du dich?«

Seth zog die Brauen zusammen. »Du weißt, wofür ich mich interessiere.«

Mafed lachte. Wie es aussah, war Seth ausgestiegen. Hin und wieder vergaß er, dass er mit dem Chaosgott einen direkteren Ton anschlagen musste. »Sex«, präzisierte er daher.

»Oh. Das.« Seth trank beiläufig von seinem Whiskey. »Besser als Süßkram, aber schlechter als Alkohol. Und das letzte Mal ist verdammt lang her.«

Damit hatte Mafed immer noch keine richtige Antwort auf seine Frage bekommen, gab sich jedoch damit zufrieden. Er erinnerte sich an eine Andeutung, die Billy vor einigen Monaten gemacht hatte, doch es schien ihm vernünftiger, aktuell nicht darauf einzugehen. Der Gedanke allerdings, Seth flirten zu sehen, amüsierte ihn. In der alten Zeit hatte man den Menschen nicht viel Honig ums Maul schmieren müssen, wenn man ein Gott war.

»Sind auf jeden Fall schon zwei Dinge auf der Liste, für die ich keinen gesonderten Tag brauche«, fuhr Seth fort. »Und saufen geht immer. Für mich klingt das nach einem Haufen Bullshit, wenn du mich fragst. Überflüssig und …«, sein Blick schweifte erneut zu dem Blutfleck vor der Theke, »verdammt geschmacklos.«

»Das war aber nicht immer so. Ursprünglich war Halloween jene Zeit des Jahres, in der die Grenzen zwischen den Welten als besonders dünn und durchlässig galten«, erklärte Mafed. »Geister und Dämonen hatten es dann angeblich leichter, von ihrer Welt in unsere zu wechseln. Durch die Kostüme sollten sie entweder abgeschreckt oder in Sicherheit gewiegt werden. Wenn sie denken, man ist einer von ihnen, dann lassen sie einen vielleicht in Ruhe, so die Prämisse.«

»Hm«, machte Seth nachdenklich. »Kann mir kaum vorstellen, dass das je funktioniert hat. Weder bei Dämonen noch in anderen Fällen.«

Mafed überlegte, suchte nach einem Weg, Seth das Fest näherzubringen, mit Begriffen, die ihm vertraut waren. »Es ist ein wenig wie Heriu-renpet«, sagte er dann.

Seths Stirn runzelte sich, er beugte sich ein Stück vor. Damit schien er schon eher etwas anfangen zu können.

»Du weißt schon, in der goldenen Zeit?«, fuhr Mafed fort. »Die Epagomenen? Die Demon Days? Da gab es fünf Extratage im Jahr, zwischen Akhet und Shemu. Die Zeit zwischen den Jahren, vor der Nilflut, in denen auch das Risiko höher sein sollte, einem Dämon über den Weg zu laufen.«

»Du musst mir keinen Vortrag halten«, unterbrach Seth ihn unwirsch. »Das kenn ich gut.« Er zündete sich eine neue Zigarette an und zog daran, bevor er hinzufügte: »In der Zeit bin ich geboren.«

»Während der Demon Days?«, versicherte Mafed sich überrascht.

Seth nickte und blies Rauch an die Decke. »War jene Zeit, in der die Sterblichen noch größere Angst vor mir hatten als üblich, weil – nun, du sagst es ja. Dünne Wände zwischen den Welten, entfesselte Dämonen … Ideale Bedingungen für Zerstörung und Chaos, richtig? Da liefen die Sterblichen mit Schutzamuletten rum, trauten sich ohne gar nicht vor die Tür, aus Angst, dass ich ihnen sonst … keine Ahnung, die Pocken anhexe oder was auch immer für eine Scheiße ihnen da durch den Kopf ging. Aber genau wie die modernen Sterblichen mit ihren widerlichen Süßigkeiten hätte ich damals auch keinen Grund gebraucht, wenn mir der Sinn nach Chaos gestanden hätte. Daher … Bullshit. Heriu-renpet konnte ich schon nicht leiden, und das hier …« Seth schüttelte den Kopf. »Werd wohl auch von dieser Nummer kein Fan.«

Mafed machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist nur einmal im Jahr und dann zum Glück keine fünf Tage. Und sei froh, dass du hier in der Wüste bist. Die Großstädte sind dann wahre Hexenkessel. Du willst nicht wissen, was ich da schon alles erlebt habe.« Sein Blick fiel auf den halbleeren Teller. »Bist du satt? Keine ausreichende Grundlage für einen ausschweifenden Abend.«

»Mehr, als ich die letzten drei Tage gegessen habe«, erwiderte Seth und leerte sein Glas, nur um sich direkt wieder nachzugießen. »Außerdem feiere ich heute nicht. Ich arbeite.«

Mafed blähte genervt die Wangen und stieß zischend die Luft aus. »Seth, du musst wirklich besser auf dich aufpassen. Du schläfst schlecht und ernährst dich quasi nur von Glimmstängeln und Alkohol. Auch wenn du ein Gott bist, ist das auf Dauer nicht gut für dich. Es schwächt dich.« Er lehnte sich vor und sah den anderen eindringlich an. »Scheiße, ich kann nicht jeden zweiten Tag vorbeikommen und nach dir sehen!«

»Warum nicht?«

Die Frage blies allen Ärger aus Mafeds Kopf und hinterließ nur ahnungslose Leere.

Ja, warum nicht?, fragte Ians Stimme in seinem Geist mit einem frechen Schmunzeln.

Um Zeit zu schinden, griff Mafed nach seinem Wein und trank einen Schluck. Er würde Seth von Ian erzählen. Irgendwann, aber nicht an diesem Abend. Wenn Ian noch nicht mal zu seinen Freunden und Verwandten ehrlich war, wieso sollte Mafed dann sein Geheimnis verbreiten, ohne das vorher mit ihm abzusprechen? Außerdem war Seth nicht in der Laune, um so ein Gespräch zu führen.

»Ich habe … Verpflichtungen«, antwortete er ausweichend. »Wenn wir einen neuen Fall haben, kann mich das tagelang beanspruchen. Ich kann dann nicht einfach weg.«

Seth schien etwas erwidern zu wollen, doch eine Stimme von der Theke unterbrach sie.

»Okay, Doc. Showtime.«

Irritiert warf Mafed einen Blick zu Billy, der auf sie zusteuerte. Sein Outfit war wirklich eine Ohrfeige gegen die alte Kultur. Sein Grinsen wirkte breiter als sonst – was eigentlich undenkbar war.

»Ich versteh nicht ganz?«, entgegnete Mafed, der im Stillen ganz froh über die Unterbrechung war. Es würde sich ein ruhiger Moment finden, in dem er mit Seth über alles sprechen konnte.

Billy baute sich direkt vor Mafed auf und stemmte die Hände in die Seiten. »So können Sie nicht auf unserer Party auftauchen.«

»Was stimmt denn mit meinem Outfit nicht?« Pikiert sah er an sich hinab. Er hatte fast eine Stunde in seinem Kleiderschrank verbracht, um etwas zu finden, das etwas Eleganz ausstrahlte, ohne dabei zu bieder zu sein.

»Alles«, mischte Seth sich ein. Mafed warf ihm einen verärgerten Blick zu, musste aber lächeln, als er das Schmunzeln im Gesicht des anderen sah.

»Lach nicht, Boss. Du kommst auch noch dran.«

Beiden Göttern entglitten die Gesichtszüge.

»Okay, wenn Seth sich verkleidet, mach ich mit«, verkündete Mafed und fand sein überhebliches Grinsen wieder.

»Zieh mich da bloß nicht rein, Yuppie!«, bellte Seth.

»Zu spät«, triumphierte Billy. »Ihr habt jetzt einen Deal! Und an Deals hältst du dich, stimmt’s, Boss?«

Energisch drückte Seth seine Zigarette im Aschenbecher zwischen ihnen aus. »Billy, ich schwöre bei Apophis, wenn du es weiter so bunt treibst, zeig ich dir, was ich in meiner Glanzzeit mit unbequemen, aufgeblasenen Wichtigtuern in Tuniken gemacht hab!«

»Okay, von mir aus – aber vorher verkleiden wir den Doc!«

Mafed lachte leise. Ein Teil von ihm wollte zu gern sehen, wie ein wutschnaubender Seth den Sterblichen ums Gebäude jagte. Und scheiße, er würde ihm dabei sogar noch helfen. Billys offensichtliches Interesse an Halloween machte ihm klar, dass das noch ein anstrengender Abend werden würde.

»Es gibt nur ein Problem«, warf Mafed ein. »Ich habe kein Kostüm dabei.«

Billy bedeutete ihm, aufzustehen. »Tara und mir fällt schon was ein. Wir improvisieren einfach. Und jetzt mitkommen.«

Nach einem hilfesuchenden Blick zu Seth, den dieser nur mit einem Schnauben quittierte, erhob Mafed sich. Diesem Kampf musste er sich wohl allein stellen. Widerwillig ließ er sich die Treppe hinauf bis ins Bad führen. Billy platzierte ihn auf dem Klodeckel.

»Tara, wir sind so weit!«, rief er durch den Flur.

»Moment!«, kam als Antwort.

Mafed schlug genervt die Beine übereinander. »Muss ich jetzt Angst haben?«

»Es ist Halloween, Mann. Natürlich!«, wandte Billy ein.

Mafed betrachtete erneut das schreckliche Kostüm und rümpfte die Nase. Schlimmer als das konnte es kaum werden. »Es ist zumindest ziemlich erschreckend, was ihr Amerikaner über meine alte Kultur denkt.«

Abwartend lehnte Billy sich gegen das Waschbecken. »Haben Sie so was damals nicht getragen?«

Ein überraschtes Lachen drang aus Mafeds Kehle. »Nein. Erstens kannten wir damals keinen Chiffon und zweitens trug ich weniger Stoff. Deutlich weniger Stoff, aber dafür mehr Schmuck.«

Interessiert zog Billy eine Augenbraue hoch. Sein Blick wanderte kurz über Mafeds Gestalt. »Weniger Stoff, hm?«

Das Grinsen des Totengottes wurde listig, doch bevor er etwas erwidern konnte, tauchte Tara in der Tür auf. »Bereit für ein Makeover, Doc?«

»Nein«, gestand Mafed. »Aber ich habe wohl keine Wahl, oder? Also, was soll es werden? Mumie? Zombie?«

Wortlos hob Tara ein zerfranstes Black Sabbath-Shirt hoch sowie eine zerschlissene, braune Lederjacke.

Der Totengott verstand. »Er wird es hassen, Freddie.«

Vielsagend wackelte Tara mit den Augenbrauen.

Ein bösartiges Lächeln stahl sich auf Mafeds Züge. »Bin dabei.«

2

Seth, der gerade hinter dem Tresen ein paar letzte Handgriffe gemacht hatte, stutzte mitten in der Bewegung, als sein Blick auf die Dreier-Gruppe fiel, die nun die Treppe herunterkam. Ein leises, misstrauisches Knurren drang aus der Tiefe seines Brustkorbs, während er Mafeds Kostümierung in Augenschein nahm.

»Er nimmt’s viel besser auf, als ich erwartet hab«, kommentierte Tara.

»Nein, das ist schlecht«, widersprach Billy. »Wenn der so still wird, sollte man besser in Deckung gehen.« Der Sterbliche machte jedoch keine Anstalten, seinen eigenen Rat in die Tat umzusetzen, sondern blickte bloß mit einem breiten und unverkennbar schadenfrohen Grinsen von Mafed zu Seth und wieder zurück.

Auch die Miene des Totengotts wirkte verschmitzt. Mit zusammengekniffenen Augen taxierte Seth seinen veränderten Aufzug genauer: das Black Sabbath-Shirt, das eigentlich Seth gehörte und das er zum letzten Mal gesehen hatte, als Tara es vor ein paar Tagen zur Wäscherei mitgenommen hatte, die alte Jeans, die mit Löchern und Rissen durchsetzt war und an deren Gürtelschlaufen einzelne Ketten hingen, die übergroße Lederjacke um seine Schultern, das grüne Haar und etwas, das ganz nach Piercings in seinen Ohren aussah, auch wenn Seth bei genauerem Hinsehen erkannte, dass die Ringe nur angeklemmt waren und die Haut nicht durchdrangen. Die Farbe in seinem Haar musste dem aufdringlichen, chemischen Geruch nach, der in der Luft lag, aus einer Spraydose stammen. Ungewöhnlich unordentlich stand es ihm vom Kopf ab, verlieh ihm ein fremdes und doch irgendwie verdächtig vertrautes Aussehen.

»Soll das etwa witzig sein?«, fragte Seth schließlich langsam.

»Ich bin Punk«, verkündete Mafed.

»Du bist Arzt.«

»Heute bin ich mal Punk! Ach, komm, Seth. Schau nicht so finster. Ich hatte Vorbehalte gegen das Verkleiden, aber vielleicht war das doch keine so schlechte Idee. Tara und Billy haben ihren Spaß, und ich … ich find’s auch gar nicht so übel. Steht mir, oder?«

Erneut knurrte Seth skeptisch. Er konnte sich einfach nicht entscheiden, ob Mafed ihn mit diesem Aufzug verarschen wollte oder ob es wirklich nur harmloser Spaß war, der nicht auf seine, sondern auf Mafeds Kosten ging.

»Keine Ahnung«, murmelte Seth schließlich. »Schätze schon. Siehst zumindest deutlich besser aus als sonst.«

»Ich verbuche das einfach mal als Kompliment. Und wir machen uns beide zum Affen, richtig?«, hakte Mafed nach, als hätte sich ein Teil von Seths Gedanken in seiner Mimik widergespiegelt. »Jetzt bist du dran! Du kannst ja nicht der Einzige ohne Verkleidung im Team bleiben. Solche Aktionen sind gut für die Arbeitsmoral und stärken den Zusammenhalt. Außerdem willst du doch kein Spielverderber sein.«

»Damit hab ich kein Problem.«

»Du hast es versprochen, Boss!«, behauptete Billy.

Seth hatte das anders in Erinnerung, doch da alle gegen ihn zu stehen schienen, stieß er ein resigniertes Seufzen aus. »Fuck.«

»Sie sollten lieber mit ihm gehen, um sicherzustellen, dass er nicht doch noch kneift, Doc«, schlug Tara vor. »Das Kostüm hängt innen an meiner Zimmertür – Sie finden es schon.«

»Ich brauch keinen Babysitter«, schnappte Seth.

»So sicher bin ich mir da oft nicht«, erwiderte Mafed.

Seth schluckte die bissige Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag. Statt sich weiter mit der Bande rumzustreiten, stieß er sich wortlos von der Theke ab und marschierte an den dreien vorbei. Mafed beeilte sich, ihm die Treppe hinauf zu folgen. Vielleicht fürchtete er, Seth würde ihm sonst die Tür vor der Nase zuknallen.

Oben angekommen, öffnete Mafed Taras Zimmertür. Seth konnte von seiner Position aus nicht sehen, was er dort vorfand, doch bei seinem nur halb erstickten Auflachen schwante ihm Übles.

»So schlimm?«, fragte Seth vom Flur aus.

»Nein«, behauptete Mafed. »Nein, überhaupt nicht! Du wirst verdammt heiß aussehen.« Dennoch zögerte Mafed merklich, ehe er sich mit dem Kostüm wieder aus Taras Zimmer wagte. An der ausgestreckten Hand hielt er einen transparenten Kleidersack aus billigem Plastik. Das, was Seth darin erkennen konnte, sah nach einem marineblauen Anzug aus – und war damit tatsächlich deutlich harmloser, als die Mienen der Sterblichen ihn hatten befürchten lassen.

Vielleicht würde dieser verdammte Tag doch über die Bühne gehen, ohne dass Seth den kläglichen Rest seiner Würde völlig zur Duat schicken musste.

Erst, als Mafed den Reißverschluss am Kleidersack aufzog, fiel Seth die glänzende Plastikmarke an der Brusttasche des Hemds auf.

Augenblicklich verfinsterte sich seine Miene. »Vergiss es.«

»Seth …«

»Das ist eine Uniform. Scheiße, ich mach euch doch nicht den verfickten Cop! Was denken sich die beiden eigentlich?«

»Wahrscheinlich, dass dieser Tag für uns alle eine gute Gelegenheit ist, zu entspannen und alles nicht ganz so ernst zu nehmen«, schlug Mafed vor.

»Für alle?«, wiederholte Seth. »Oder vielmehr für mich?«

»Ich glaube, Tara und Billy würden dich gern öfter mal lachen sehen. Ich übrigens auch.« Mafed legte den Kopf schief. »Ich weiß, die letzten Monate waren nicht einfach. Es ist verständlich, dass du immer noch unter Spannung stehst. Aber man muss auch einfach mal … loslassen können. Heute ist ein Tag, der uns erlaubt, ausnahmsweise jemand völlig anderes zu sein. Das ist eine Chance, die sich selten bietet. Also … was meinst du? Tust du ihnen den Gefallen, und mir?« Vielsagend hob Mafed den Kleiderhaken mit dem Cop-Kostüm höher.

Seth knirschte mit den Zähnen. »Ausgerechnet!«, schnaubte er und riss Mafed das Kostüm aus der Hand. »Sie hätten kaum etwas aussuchen können, das mir mehr gegen den Strich geht.«

Noch im Flur begann Seth, sich seiner Jacke und seines T-Shirts zu entledigen, seine Stiefel von den Füßen zu treten und seine Hose fallenzulassen.

»Du hättest auch auf dein Zimmer gehen können, um dich umzuziehen«, meinte Mafed.

»Wozu?«

»Wenn du mich so fragst, keine Ahnung.« Mafed beobachtete ihn schmunzelnd, während Seth versuchte, sich zwischen den verschiedenen Teilen, die sich in dem Plastiksack befanden, zu orientieren.

»Ich glaube, wir haben uns beide getäuscht. Das ist gar kein Cop-Kostüm«, fügte der Totengott hinzu.

»Sondern?«, wollte Seth wissen. Der dünne Stoff fühlte sich billig und unangenehm glatt an seiner Haut an, als er die Uniformhose fand und hineinstieg.

»Wenn ich das so sehe, hab ich das dringende Gefühl, ich sollte dir ein paar Dollarnoten zustecken.«

Seth hielt im Anziehen inne und blickte auf, um Mafed mit verständnislos gerunzelter Stirn anzusehen.

Der Totengott grinste so breit, dass Seth fürchtete, er könnte womöglich seine eigenen, mit Fake-Piercings gespickten Ohren verschlucken. »Schon mal dran gedacht, den Job zu wechseln? Du gibst einen guten Stripper ab, Rowdy«, erklärte er.

Seth schnaubte. »Nackt da runtermarschieren wäre mir deutlich lieber.«

Lachend hob Mafed beide Hände. »Ich halte dich nicht auf. Aber ich befürchte, ich habe für so was zu wenig Bargeld dabei.«

3

Billy legte sein Smartphone, in das er versunken gewesen war, beiseite und stieß einen leisen Pfiff aus, als Mafed und Seth den Schankraum betraten. »Fuck, du hast das echt durchgezogen, Boss. Respekt.«

Seth beließ es dabei, dem Jungen einen finsteren Blick zuzuwerfen. Trotzdem fürchtete Mafed kurz, der Sterbliche würde einfach in Flammen aufgehen. Doch Billy schien an diesem Tag nichts aus der Ruhe zu bringen – was ihn offensichtlich auch noch leichtsinnig machte.

»Ernsthaft. Blau steht dir, Mann«, stichelte Billy weiter. »Unterstreicht deine Augen.«

»Fresse, Billyboy«, schnappte Mafed, bevor Seth reagieren konnte. Erschrocken über sich selbst schlug er die Hände vor den Mund. Er hatte schon oft gehört, wie die anderen das zu dem Jungen sagten, aber ihm selbst war es noch nie herausgerutscht. Irgendwie hatte er Seth vor weiteren Sprüchen bewahren wollen, um zu verhindern, dass die Stimmung kippte. Da war es ihm reflexartig über die Lippen gekommen, als wäre er ein bissiger Wachhund.

Billy starrte ihn aus geweiteten Augen an. Selbst Seth wandte sich mit überraschter Miene zu ihm um.

Nur Tara brach in schallendes Gelächter aus. »Scheiße, Doc. Entweder ist Ihnen das Kostüm zu Kopf gestiegen oder Sie sind jetzt endlich einer von uns.«

Irritiert schüttelte Mafed sich. »Verflucht! Billy, es tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.«

Der Sterbliche warf Seth einen verärgerten Blick zu. »Schau dir an, was du angerichtet hast. Du hast den Doc versaut!« Aufgebracht deutete er auf Mafed.

»Glaub mir, dafür brauch ich Seth nicht«, wandte der Totengott ein.

Neben ihm zuckte Seth nur mit den Schultern. »Keine Ahnung, was du hast. Ich find’s gut.«

Nun musste auch Mafed lachen. »Okay, das ist wirklich beunruhigend.«

»Wir sollten ein Foto machen«, schlug Tara plötzlich vor. »Bevor die ersten Gäste kommen. Boss, hast du deine Kamera?«

Wortlos zog Seth seine Polaroidkamera aus der Tasche seiner Lederjacke, die er über der Polizeiuniform trug. Irgendwie war die Kamera ein Teil von ihm geworden. Mafed hatte nie geglaubt, dass so eine kreative Leidenschaft in Seth schlummerte, aber mittlerweile wollte er sie nicht mehr missen. Immer wieder bekam er Fotos aufs Handy geschickt und es gefiel ihm, die Welt ein Stück weit aus Seths Augen zu sehen – außerdem war es ein gutes Zeichen dafür, dass der wortkarge Chaosgott noch lebte.

»Perfekt!«, kommentierte Tara und winkte Billy zu sich, der immer noch einen entzückenden Schmollmund zeigte. »Ach, Billyboy, jetzt lach doch wieder. Das wird ein geiler Abend!«

Tatsächlich schlich sich das Grinsen schnell wieder auf seine Züge.

»Wenn ihr euch nicht bald mal aufstellt, wird das heute nichts mehr«, brummte Seth, der die Kamera mittlerweile angeschaltet hatte.

»Moment mal.« Mafed runzelte misstrauisch die Stirn, als er sah, wie Seth als Fotograf seinen Posten einnahm. »Was soll das werden, Rowdy?«

Seth sah ihn an, als hätte er eine äußerst dumme Frage gestellt. »Irgendwer muss das Bild ja machen, oder?«

»Das macht die Kamera von allein.«

»Was?« Skeptisch betrachtete Seth das Gerät in seinen Händen.

Mafed unterdrückte einen Seufzer. Manchmal war es wirklich ein Wunder, wie dieser Gott es geschafft hatte, sich die letzten Monate in der modernen Welt zurechtzufinden. »Hast du dir jemals die Bedienungsanleitung durchgelesen? Kameras haben Selbstauslöser. Das … Ach, warte. Gib her.« Auffordernd streckte er die Hand aus.

Seth sah ihn missbilligend an, folgte aber der Aufforderung und reichte Mafed die Kamera, ehe er zu den Sterblichen ging. Es dauerte eine Minute, bis der Totengott die richtige Einstellung gefunden hatte, dann positionierte er die Kamera in einem Regal hinter der Theke.

»Aufstellung!«, befahl Mafed, drückte den Auslöser und huschte zu der kleinen Gruppe. Er stellte sich neben Tara, die ihre Klauenhand um ihn legte und so tat, als wolle sie ihn aufschlitzen. Mafed setzte eine erschrockene Miene auf, dann klickte es leise und die Kamera spuckte surrend ein Foto aus. Seth löste sich augenblicklich von der Gruppe, während Mafed Tara mit der Hüfte anstieß und ihr zuzwinkerte.

Die Sterbliche lächelte herzlich. »Sie haben heute ein Auge auf ihn, oder?«, flüsterte sie und spähte zu Seth, der die Kamera aus dem Regal holte und sich das Bild ansah.