Death Bastards – Düstere Berührung - Elena MacKenzie - E-Book
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Death Bastards – Düstere Berührung E-Book

Elena MacKenzie

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Beschreibung

Wie sollst du dem Menschen vertrauen, der dich entführt hat?

Der Iron Riders MC ist einer der härtesten Bikerclubs der USA. Doch seit der neue Präsident einen menschenverachtenden Prostitutionsring aufgebaut hat, zweifelt Gun an seiner Mitgliedschaft. Aber ein Schwur ist ein Schwur - und so erfüllt er auch den nächsten Auftrag des neuen Präsidenten. Er entführt Lara, die Tochter des Staatsanwalts, um ihn unter Druck zu setzen und von seinem persönlichen Rachefeldzug gegen die Riders abzubringen.

Als Gun die junge Frau in seiner Gewalt hat, läuft allerdings überhaupt nichts nach Plan, denn Lara geht ihm vom ersten Moment an unter die Haut. Gun schafft es nicht, den Auftrag bis zum Ende durchzuziehen. Stattdessen flieht er mit Lara, doch ihr Weg führt sie geradewegs in das Gebiet der Death Bastards - und die sehen es gar nicht gern, wenn ein fremder Biker bei ihnen wildert ...

Ein leidenschaftlicher Kampf widerstreitender Gefühle und eine packende Flucht vor dem sicheren Tod. Der vierte und düsterste Band der mitreißenden Dark-Romance-Reihe von Elena MacKenzie.

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

Epilog

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

Über dieses Buch

Der Iron Riders MC ist einer der härtesten Bikerclubs der USA. Doch seit der neue Präsident einen menschenverachtenden Prostitutionsring aufgebaut hat, zweifelt Gun an seiner Mitgliedschaft. Aber ein Schwur ist ein Schwur – und so erfüllt er auch den nächsten Auftrag des neuen Präsidenten. Er entführt Lara, die Tochter des Staatsanwalts, um ihn unter Druck zu setzen und von seinem persönlichen Rachefeldzug gegen die Riders abzubringen. Als Gun die junge Frau in seiner Gewalt hat, läuft allerdings überhaupt nichts nach Plan, denn Lara geht ihm vom ersten Moment an unter die Haut. Gun schafft es nicht, den Auftrag bis zum Ende durchzuziehen. Stattdessen flieht er mit Lara, doch ihr Weg führt sie geradewegs in das Gebiet der Death Bastards – und die sehen es gar nicht gern, wenn ein fremder Biker bei ihnen wildert …

Elena MacKenzie

DEATHBASTARDS

Düstere Berührung

1. Kapitel

Gun

Headshot nimmt den Richterhammer und klopft damit zweimal auf den Tisch in der Kapelle. Die Messe ist eröffnet. Sein Blick geht in die Runde, er seufzt theatralisch und beugt sich schwerfällig mit dem Oberkörper über die Tischplatte. Dabei zuckt sein rechtes Auge, dessen Ober- und Unterlid durch eine Narbe geteilt sind, was ihn ein wenig aussehen lässt wie Scar aus König der Löwen.

»Wir haben ein Problem«, meint er und vergewissert sich mit einem weiteren Blick in die Runde, dass auch jeder mitbekommen hat, was er gesagt hat. Vor drei Jahren wurde Headshot mehrere Wochen von den Mexikanern gefangen gehalten. Als wir ihn befreien konnten, war er kaum noch als Mensch zu erkennen. Sie haben die übelsten Sachen mit ihm angestellt, um an Informationen über den Club und dessen Routen für den Drogenschmuggel zu kommen.

Die Iron Riders haben mächtige Verbindungen zu den Nordiren und der IRA. Diese Verbindungen haben den Club zu einem der gefürchtetsten und mächtigsten im Osten der USA gemacht. Und die Mexikaner versuchen uns seit Jahren abzulösen, was nicht passieren wird. Jedenfalls war Headshot seither nie wieder der Bruder, den wir bis dahin gekannt hatten. Sie haben ihn gebrochen, und was sie aus ihm gemacht haben, ist ein Psychopath, wenn es nach meiner bescheidenen Meinung geht. Die meisten meiner Brüder sind leider anderer Meinung und lieben seinen harten Führungsstil, der Geld in die Kasse bringt.

Ich verdrehe innerlich die Augen. Ich bin seit acht Jahren Fullmember des Iron Riders MC, sechs Jahre lang war dieser Club genau so, wie ich dachte, dass so ein Club sein sollte: Zusammenhalt, Freundschaft, Spaß, hier und da vielleicht ein paar krumme Dinger. Aber vor allem Zusammenhalt und Spaß. Brüder, die für dich da sind und notfalls mit dir in den Tod gehen würden. Dann starb mein Präsident an so etwas Profanem wie einem Herzinfarkt. Nicht auf seinem Bike und nicht durch eine Kugel oder bei einem Kampf. Nicht mal, während er seine Old Lady gefickt hat. Ein Herzinfarkt am Frühstückstisch.

Headshot wurde der neue Präsident. Er war ein guter Bruder, wir alle waren uns einig und haben ihn gewählt. Wir kannten ihn ja seit Jahren. Selbst die härteste Folter hat ihn nicht dazu gebracht, den Club zu verraten. Verrat gilt in unseren Gefilden als das schlimmste Verbrechen überhaupt. Loyalität ist unser wichtigstes Gut.

Aber Headshot hat sich nach der Folter immer mehr verändert und mit sich den Club. Das Schädeltrauma, das er durch die Folter erlitten hatte, hat aus ihm einen anderen Menschen gemacht. Zum Teil auch aus Brüderlichkeit haben wir alle weggeschaut und diese Veränderungen hingenommen. Psychologen nennen das Dysexekutives Syndrom. Das entsteht nach gewaltvollen Einwirkungen auf den Schädel, wie bei einem Autounfall, Tritten oder durch Schläge mit einem Baseballschläger. Folge ist eine totale Persönlichkeitsänderung, nicht immer und auch nicht bei jedem. Aber bei Headshot war es so. Ich habe Truman Capotes True-Crime-Roman über die Mörder Hickock und Smith gelesen. Bis zu einem schweren Autounfall, der Hickocks Schädel eingedrückt und sein Gehirn geschädigt hat, war er ein ganz normaler junger Mann, danach hat sich sein Wesen völlig verändert hin zu einem Menschen, der am Ende eine ganze Familie ausgelöscht hat.

Headshot ist nach der Folter immer kälter und emotionsloser geworden, als wäre seine Seele ausgelöscht worden. Dieses Arschloch kam auf die Idee, zusätzlich zu den Drogen- und Waffengeschäften noch in ein weiteres Geschäftsfeld der IRA mit einzusteigen: Frauenhandel. Mehr als die Hälfte meiner Brüder fand den Vorschlag genauso gut wie er, sie leben nach dem Motto: Geld stinkt nicht. Also ziehen wir es seit einem Jahr durch. Und ich hasse es, fühle mich besudelt, halte den Club für besudelt, weil wir alle besudelt sind.

Headshot räuspert sich. »Dieser Idiot Hanson sitzt uns im Nacken. Er will uns mit RICO drankriegen. Savage, Mac und Hunt sitzen im Knast. Hanson will die Giftspritze für jeden Rider, den er kriegen kann. Er will mit uns den Michael Stix Addison machen.«

Ja, wegen etwas, das du getan hast. Das nichts mit dem Club zu tun hatte, denke ich angepisst. Dank des RICO-Gesetzes könnten wir alle dafür die Todesstrafe bekommen, weil du einen Polizisten umgebracht hast, als wir gemeinsam von einem Run auf dem Weg nach Hause waren und er uns angehalten und kontrolliert hat. Ich verziehe das Gesicht. Michael Stix Addison sitzt seit 2008 im Todestrakt für seinen Mord an einem Polizisten. RICO bedeutet, dass es ausreicht, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein, um für etwas bestraft zu werden, das diese Vereinigung getan hat. Das Gesetz geht in dem Fall davon aus, dass man als Mitglied über die Taten Bescheid wusste. Sozusagen: mitgegangen, mitgefangen. Was bedeutet, es wäre durchaus möglich, dass wir alle für den Mord an dem Polizisten verantwortlich gemacht werden können. Genauso wie für den Frauenhandel, den ich nie mitgetragen habe.

Das hier ist nicht mehr mein Club. Wenn ich könnte, wenn ich nicht geschworen hätte, dann würde ich die Sache beenden. Aber einmal Rider, immer Rider. Nur der Tod beendet den Vertrag mit dem Club. Eine Regel, die Headshot aufgestellt hat, um sicherzugehen, dass niemand aus der Reihe tanzt.

Hier läuft so viel schief in den letzten beiden Jahren, dass ich nur noch kotzen will. Bisher konnte ich mich aus dem Dreck herauswinden, indem ich mich immer mit den Aufgaben habe eindecken lassen, die nichts mit dem Sumpf zu tun haben, in den Headshot den Club manövriert hat. Aber wie lange noch?

»Wir müssen Hanson eine Botschaft zukommen lassen. Er muss wissen, dass er mit uns nicht spielen kann«, fährt Headshot fort und erntet zustimmendes Gemurmel. »Wir haben die Iren im Nacken, sie werden uns aus dem Handel rausnehmen, wenn Hanson uns weiter unter Druck setzt. Wir haben die Feds vierundzwanzig Stunden am Tag vor dem Clubhaus stehen. Wir brauchen schnell eine Lösung. Am besten gestern.«

Ich werfe Renegade einen knappen Blick zu. Auch er ist nicht glücklich, wie sich alles entwickelt. Headshot wird den ganzen Club vernichten, wenn nicht mit seinem neuen Geschäftsmodell, dann mit dem Bullshit, den er sonst so macht, zugekokst einen Jungen mit dem Bike überfahren oder eine Nutte aufschlitzen.

»Deswegen habe ich eine Lösung für unser Problem. Wenn wir es richtig anstellen – und das werden wir –, bekommen wir unsere Brüder aus dem Knast, und Hanson lässt uns von der Leine. Was auch gut für unsere Geschäfte wäre.« Headshot legt eine künstliche Pause ein, auf den Lippen ein um Zustimmung heischendes Lächeln. »Wenn uns der Staatsanwalt und seine Bullen noch weiter auf den Pelz rücken, werden die Iren uns nicht mehr trauen, was heißt, wir verlieren unseren wichtigsten Geldgeber. Wir sind, was den Frauenhandel betrifft, noch immer in der Probezeit. Demnächst findet unser dritter Fleischmarkt statt, wenn wir den gut über die Bühne bringen, werden die Iren zufrieden und wir dick im Geschäft sein. Pussys, Brüder. Jede Menge Pussys«, erklärt er und endet wieder mit einem vielsagenden Blick in die Gesichter der zwölf Riders am Tisch. Acht von ihnen stehen voll und ganz hinter Headshot, weil er ihr Präs ist. Mein Präs ist er nicht mehr. Er ist dabei, alles zu zerstören, was ich geliebt habe. Dieser Club hat mir ein Zuhause gegeben, als ich keins hatte. Als ich nach dem Scheiß, der mein Leben war, und nach Afghanistan obdachlos und am Ende war.

»Also, was hast du vor?«, will Ink wissen.

»Wir tun das, was wir sowieso schon eine Weile tun. Der gute Staatsanwalt hat eine hübsche kleine Tochter. Die Süße ist auf dem besten Weg, in Daddys Fußstapfen zu treten. Hat gerade ihren Abschluss in Harvard gemacht und arbeitet seit drei Monaten in einer Kanzlei. Wenn es nach Daddy geht, wird sie schon bald als Staatsanwältin gewählt.«

»Du willst, dass wir uns die Kleine holen«, meint Ink und grinst unter dieser volltätowierten Maske, die sein Gesicht ist. »Das könnte Hanson dazu bringen, nach unserer Pfeife zu tanzen. Ist die Kleine denn wenigstens hübsch?«

Ich schließe kurz die Augen und stöhne innerlich. Das ist seine Lösung? Hanson gewaltig ans Bein pinkeln? »Was ist, wenn das die Granate erst scharfmacht?« Ich sehe Headshot mit hochgezogener Augenbraue an. »Gut möglich, dass Hanson erst so richtig wütend wird. Angenommen, wir entführen das Mädchen, Hanson lässt sich auf einen Deal ein, lässt unsere Brüder aus dem Knast und verspricht, in Zukunft brav die Füße stillzuhalten. Hanson ist ein Bluthund. Der Mann jagt seit Jahren Leute wie uns und zieht sie aus dem Verkehr. RICO ist für ihn, was für andere Männer ein Porno ist. Der wichst sich darauf einen. So einer lässt sich nicht einschüchtern. Sobald er also gemacht hat, was wir verlangen, er seine Tochter zurückhat, wird er uns jagen und nicht mehr aufhören, bis seine Kleine nichts mehr von uns zu befürchten hat.«

»Da stimme ich Gun zu«, sagt Renegade und deutet mit dem Finger auf mich. Dass ich im Club bin, verdanke ich Renegade. Ich war mit ihm zusammen über ein Jahr in Afghanistan. Er ist nicht nur mein Clubbruder, er ist mein bester Freund. Wenn ich einen leiblichen Bruder gehabt hätte, dann wäre er das. Als er mich damals runtergekommen und bettelnd vor einem Wolkenkratzer in der Stadt gesehen hat, hat er den verstorbenen Präs überredet, es mit mir zu versuchen.

Headshot runzelt die Stirn und sieht mich mehrere Sekunden lang nachdenklich an. »Möglich, aber der Mann ist nicht dumm. Er weiß, dass wir uns sein Mädchen jederzeit wieder holen können. Selbst wenn er sie einsperrt oder sie rund um die Uhr bewachen lässt, das hält uns nicht auf. Und wenn wir sie wiederhaben, bekommt er sie nicht zurück. Das müssen wir ihm nur deutlich erklären.« Headshot hat auch ein paar Gehirnzellen verloren, seit die Mexikaner seinen Schädel mit einem Baseballschläger bearbeitet haben. Das mit dem Denken hat er nicht mehr so drauf, und das meine ich jetzt nicht ironisch.

Zustimmendes Gemurmel.

In den letzten Monaten habe ich gelernt, egal was irgendjemand gegen Headshots Pläne einzuwenden hat, egal wie schlüssig es vorgebracht wird, er wischt alles einfach weg. Er ist wie einer dieser Irren, denen kann man die Fakten um die Ohren hauen, sie glauben dir trotzdem nicht. Nicht dass ich mich mit denen befassen würde.

»Und, wer ist die Kleine?«, will Ink wissen.

Headshot zieht ein Foto aus der Innentasche seiner Kutte und wirft es auf den Tisch. Das Foto schlittert bis in die Tischmitte, wo Ink danach greift und leise pfeift. »Die Gene muss sie von Mom haben.« Er reicht das Bild nach rechts weiter. Als es bei mir ankommt, spüre ich ein Zucken in meinem Magen.

Headshot bemerkt meine Reaktion und grinst. »Unser Gun hier kennt das Mädchen. Er war mit ihr auf der Schule. Die Kleine war dort Cheerleaderin.«

»Ich kenne sie nicht, hatte nie was mit ihr zu tun«, korrigiere ich Headshot. Ich weigere mich, ihn auch nur in Gedanken als meinen Präs zu bezeichnen. »Jede Wette, dass sie jemanden wie mich nicht mal zur Kenntnis genommen hat.« Mit »jemanden wie mich« meine ich, dass uns Welten getrennt haben. Während sie die wohlhabende kleine Prinzessin war, bin ich im Trailerpark aufgewachsen, habe mich mit der Drogensucht meiner Eltern rumgeplagt und bin kurz nach dem Abschluss, nach dem Mord an der einzigen Frau, die ich je geliebt habe, in die Army eingetreten.

Headshot sieht wütend zu mir herüber. »Jedenfalls ist das mein Plan. Abstimmung?«, fragt er in die Runde, und alle nicken. Renegade wirft mir wieder einen dieser Blicke zu, er will das hier so wenig wie ich. »Wer ist dafür?«, möchte Headshot wissen. Die acht Brüder, die immer hinter ihm stehen, melden sich. Welch eine Überraschung.

»Wer dagegen?«, hakt er nach. Ich hebe meine Hand, genauso wie Renegade. Puff und Coke enthalten sich.

Headshot lässt den Hammer auf den Tisch sausen. »Dann ist es entschieden.« Er richtet den Blick auf mich. »Gun, du und Vorn besorgt das Goldstück. Ihr habt zwei Wochen.«

»Entführungen sind nicht so mein Ding«, entgegne ich und ernte einen wutverzerrten Blick von der Stirnseite des Tischs.

»Deswegen habe ich dich ausgesucht. Wird Zeit, dass du dich an den Clubgeschäften mal wieder beteiligst. Du machst den Job oder ich lasse darüber abstimmen, wie wir dich bestrafen oder ob wir dich als Verräter betrachten. Du hast die Wahl.«

Die Wahrheit ist, dass ich keine Wahl habe. Abzulehnen würde bedeuten, dass ich entweder eine Runde durch die Gasse der Hölle vor mir habe. Was bedeutet, meine Brüder stellen sich in zwei Reihen auf, und ich muss dazwischen durchlaufen, während sie mich mit Fäusten, Baseballschlägern oder Steinen traktieren. Eine Form der Bestrafung für Gehorsamsverweigerung, die Headshot eingeführt hat. Früher hat man das Spießrutenlauf genannt. Oder ich werde als Verräter betrachtet, was meinen Tod bedeuten würde. Ich muss vorsichtig sein, wenn ich nicht will, dass der Club jemals herausfindet, was ich getan habe. Was ich vielleicht wieder tun werde, wenn ich die Möglichkeit bekomme. Es ist also besser, Headshot zu geben, was er will, bevor mein Körper in irgendeinem Graben landet. Scheibchenweise.

Ich sehe zu Vorn, der mich breit angrinst. Ihm gefällt seine neue Aufgabe als die Waffe in meinem Rücken. »Dann hole ich die Kleine.« Und überschreite eine Grenze, die ich nie überschreiten wollte.

Lara

Meine Hände zittern, als ich das Apartment betrete, das mein Vater allein bewohnt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde ich mit ihm noch immer hier wohnen, aber zumindest dieses eine Mal konnte ich mich bei ihm durchsetzen und nach Beendigung meines Harvard-Studiums in eine eigene kleine Wohnung ziehen. Einzige Bedingung war, dass ich in der renommierten Kanzlei seines Freundes anfange, um genug Erfahrungen zu sammeln und mir einen Namen zu machen. Denn irgendwann in meiner Zukunft sieht mein Vater mich an seiner Seite als Staatsanwältin auf der Jagd nach dem organisierten Verbrechen. Lieber heute als morgen hätte er es, dass das Verbrechen von den Straßen des Landes verschwindet. Insbesondere Gangs, Mafiaclans, Triaden und Motorradclubs. Alles, was glaubt, weit über dem Gesetz zu stehen. Einem Gesetz, das krankt.

Ich stelle meinen Aktenkoffer auf dem kleinen Tisch neben dem Eingang ab und schließe die Augen. Nur noch ein paar Mal durchatmen. Mich beruhigen. Kraft sammeln. Denn das hier wird schwerer als jede Prüfung auf der Harvard-Universität. Meine Knie fühlen sich an wie Gummi, als ich den ersten Schritt in Richtung der offenen Bürotür gehe. Ich kann meinen Vater hören, er tippt auf seiner Tastatur. Selbst wenn er zu Hause ist, arbeitet er weiter. Als ich noch ein Kind war, kam er immer mit dem Spruch: »Das Verbrechen schläft nicht, Prinzessin. Wenn du verhindern willst, dass jemals wieder ein Kind seine Mutter wegen einer Straßengang verliert, dann musst du kämpfen. In jeder Minute deines Lebens.« So wie er es tut, seit meine Mutter vor vierzehn Jahren bei einer Schießerei ums Leben gekommen ist. Sie war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.

Zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Für mich klingt das, als wäre man selbst schuld, denn man hätte ja auch woanders sein können. Aber so ist das nicht. Egal um welches Verbrechen es sich handelt, das Opfer ist niemals schuld. Der Täter hat eine bewusste Entscheidung getroffen, er hat das Verbrechen begangen. Das ist der einzige Grund, weswegen ich immer hinter dem Wunsch meines Vaters stand und auch Anwältin wurde, um genau das zu beweisen. Ich wollte nicht länger zusehen, wie aus Opfern Schuldige gemacht werden. Eine Frau ist nicht schuld an ihrer Vergewaltigung. Ein Kind nicht schuld an seinem Missbrauch. Meine Mutter ist nicht schuld, dass sie an diesem einen Tag ihrer Aufgabe als Sozialarbeiterin nachgegangen ist und in einer der übelsten Straßen von Boston unterwegs war, in der zwei jugendliche Straßengangs aufeinander losgegangen sind.

Als ich dann angefangen habe zu studieren, mir Fälle wie die von Levon Brooks angesehen habe, der sein halbes Leben unschuldig im Gefängnis saß, habe ich begonnen, am System zu zweifeln. Will ich wirklich Teil von etwas sein, das unschuldige Menschen ins Gefängnis steckt und sie nach Jahren mit 50.000 Dollar pro Jahr über einen Zeitraum von nur zehn Jahren entschädigt? Levon Brooks saß sechzehn Jahre unschuldig im Gefängnis, weil ein Staatsanwalt die Macht hat, zu entscheiden, welche Beweise er für eine Verhandlung zulässt und welche nicht. Will ich also wirklich Staatsanwältin werden und vielleicht unschuldige Menschen wegsperren, weil ich glaube, dass jemand schuldig ist, und von meiner Meinung auch die Geschworenen überzeugen kann? Weil ich das Spiel einfach besser spiele als der unerfahrene Strafverteidiger? Nein. Aber mein Vater will es. Ich habe den Glauben an das Rechtssystem verloren, als ich angefangen habe, dahinterzublicken. Und damit habe ich auch den Glauben daran verloren, dass ich die Opfer davor schützen kann, zu Tätern gemacht zu werden.

Ich hole noch einmal tief Luft, dann betrete ich das Büro. Mein Vater sitzt hinter seinem Schreibtisch. Er hebt kaum den Kopf, als ich eintrete, und tippt weiter etwas in seinen PC. Ich sehe mich nervös in dem kleinen Büro um. Hier hat sich nichts verändert seit dem Tod meiner Mutter. Es sind noch immer die gleichen dunklen Möbel, Regale voll mit Büchern über Gesetze, Gerichtsurteile und Verfahren. Eigentlich kenne ich hier jeden Winkel, ich müsste mich nicht umsehen. Aber besser, ich betrachte all die Buchrücken als meinen Vater. Denn je länger ich ihn ansehe, desto mehr gerät mein Entschluss ins Wanken, ihm zu sagen, was ich zu sagen habe.

»Wie läuft es in der Kanzlei?«, fragt er mich, als er endlich aufblickt und sich in seinem Sessel zurücklehnt.

Ich stehe noch immer hier, als wären meine Füße mit dem Hartholzboden verwachsen. Weil ich Angst habe, dass er das Zittern meines Körpers bemerkt, beschließe ich, mich besser zu setzen. Also nehme ich in dem Ohrensessel Platz, in dem ich früher oft saß und ihm stundenlang zugehört habe, wenn es um Gesetze und Verbrechen ging. Ich war zwölf, als meine Mutter starb und ich miterleben musste, wie mein Vater so sehr zerbrach, dass ich mit meiner Trauer allein zurechtkommen musste. Für ihn hat es sich angefühlt, als wäre sein Schmerz größer als meiner. Als könnte ich niemals so sehr leiden wie er. Tja, Überraschung, Dad, sie war meine Mutter, und ich war ein Kind. Mein Schmerz war unendlich. Er hat mich zerfressen und mich ausgehöhlt. Aus mir die Frau gemacht, die jetzt vor dir sitzt und von der alle behaupten, sie wäre nicht fähig zu fühlen. Aber ich fühle, nur lasse ich das niemanden wissen. Und ich betäube mich, indem ich Sex habe. Viel Sex. Und auch das weiß niemand. Außer den Männern, die das Vergnügen haben, mit mir zu schlafen.

»Nun, wenn es meiner Karriere weiterhilft, Akten zu sortieren, Gesetzesbücher nach Schlupflöchern zu durchforsten und Verfahren zu recherchieren, dann läuft es wohl gut«, sage ich bissig. Denn mehr als eine besser bezahlte Sekretärin bin ich im Moment in der Kanzlei nicht. Trotz meines guten Abschlusses fange ich ganz unten in der Hierarchie an. Was mich langweilt, weil ich mich nicht herausgefordert fühle. Die Unterforderung hat dazu geführt, dass meine Zweifel an meiner Berufswahl noch größer wurden. Diese Zweifel habe ich wiederum mit Sex, Partys und Alkohol zum Schweigen gebracht. Was zu dem Grund führt, weswegen ich jetzt hier sitze, meine Hände wringe und versuche, nicht vor Panik durchzudrehen.

»Du wirst schon bald deinen ersten Fall bekommen«, sagt er trocken.

Ich hatte immer einen Traum. Schon als ich ganz klein war, habe ich meine Mutter für ihre Liebe zu ihrem Beruf geliebt. Sie wollte immer nur Familien unterstützen und Kindern helfen. Ihr lagen besonders die Kinder am Herzen, die niemanden anders als sie hatten, der für sie gekämpft hätte. Also hat sie gekämpft. Sie hat nie zugelassen, dass eins dieser schon traumatisierten Kinder in eine schlechte Pflegefamilie kommt. Sie hat sich jede Pflegefamilie genau angesehen. Ich wollte immer so sein wie sie und etwas bewirken. Ich wollte die Welt retten. Und eine Weile lang habe ich geglaubt, wenn ich dem Wunsch meines Vaters nachkomme und Staatsanwältin werde, würde mir das gelingen. Bis ich gelernt habe, dass das nicht funktionieren wird. Deswegen gibt es einen kleinen Teil von mir, der glaubt, dass das hier vielleicht sogar mein Ausweg sein könnte.

»Was das betrifft«, setze ich an, und mir versagt die Stimme. »Diesen Fall sollte ich schleunigst bekommen, weil ich demnächst für einige Zeit ausfallen werde.«

Mein Vater runzelt die Stirn und mustert mich verständnislos. »Wie meinst du das?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich will es nicht sagen. Schon der Versuch, den Mund zu öffnen, lässt meinen Magen gehörig krampfen. Aber ich muss es tun. Es lässt sich nicht länger aufschieben. Auch weil ich es sehr bald schon in der Kanzlei melden muss. »Ich bin schwanger.«

Mein Vater schnappt entsetzt nach Luft, sein Gesicht nimmt die Farbe eines Hydranten an, und er reißt mit zitternden Fäusten die Augen weit auf. Wenn er sie noch weiter aufreißt, werden sie vor ihm auf dem Tisch landen. »Du bist was?«, will er keuchend wissen, als hätte er es nicht verstanden.

Ich tue ihm den Gefallen und sage es noch mal, damit er die Zeit nutzen kann, um sich zu überlegen, was er mit mir tun will. »Schwanger.«

»Das ist doch nicht zu fassen«, brüllt er los. Ich versteife mich und drücke meinen Rücken fester gegen die Sessellehne, als könnte mich das irgendwie schützen. »Du schmeißt alles weg, weil du zu blöd bist, Kondome zu benutzen? Du wirst abtreiben.« Er schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte. So heftig, dass ich zusammenzucke.

»Das wirst du nicht entscheiden. Ich werde entscheiden«, stoße ich frustriert aus. In meinem Magen entsteht ein harter Knoten aus Wut. Ich habe meinem Vater noch nicht oft die Stirn geboten, aber wie kann er glauben, dass er über meinen Körper entscheiden kann? Die Frage beantwortet sich ganz einfach, genauso wie er schon über mein ganzes Leben entscheidet. Ich würde ihm am liebsten gleich noch sagen, dass ich auch keine Staatsanwältin werden möchte.

Ich will mein Leben nicht damit verbringen, Kriminelle zu jagen. Auch wenn es natürlich richtig und gut ist, wenn sie bestraft werden, damit sie niemanden mehr verletzen oder gar töten können. Und was, wenn auch ich irgendwann so blind werde wie mein Vater, so versessen darauf, das Böse auszurotten, dass ich die Wahrheit manchmal ausblende und Menschen bestrafe, die unschuldig sind? Hauptsache, ich habe jemanden in den Knast gebracht. Mein Vater hat es getan. Er hatte seinen eigenen Levon Brooks. Einen jungen Mann, der mit achtzehn Jahren für etwas ins Gefängnis kam, das er nicht getan hat. Für den Mord an meiner Mutter. Erst vor drei Jahren hat das Innocence Project seine Unschuld beweisen können. Mein Vater hat das Alibi, das der Mann hatte, einfach wegargumentiert, bis es in den Augen der Geschworenen zu einer Lüge wurde. Er wollte es nicht wahrhaben, weil er einen Täter für den Mord an meiner Mutter überführen wollte. Er wollte es so unbedingt, dass er alles getan hat, um die Geschworenen zu überzeugen, dass dieser Junge schuldig ist und es daran keinen Zweifel gibt. Aber als das Project das Geständnis des wahren Mörders hatte, musste er sein Versagen einsehen. Bereut hat er es trotzdem nicht. Das war der Zeitpunkt, zu dem ich meine ersten Zweifel bekam, ob sein Weg der richtige für mich ist.

»Du tust, was ich dir sage, denn du wirst nicht deine Karriere wegwerfen«, brüllt er und spuckt sogar beim Sprechen vor Wut. Mein Vater ist ein großgewachsener Mann, schlank mit grauen Strähnen im vollen nachtschwarzen Haar. Er kann furchteinflößend hart sein, aber er hat mich nie geschlagen. Ich fürchte mich manchmal vor seinem Zorn und seiner Kontrolle, die er über mich ausübt. Doch ich kann nicht so weitermachen und mich ständig vor ihm wegducken. Früher habe ich es aus Mitleid zugelassen, dass er mein ganzes Leben bestimmt. Später dann aus Gewohnheit und Furcht. Es ist Zeit, mein Leben wieder in meine eigenen Hände zu nehmen, damit ich nicht so werde wie er.

Ich wappne mich innerlich gegen das, was vielleicht folgen wird. Wenn ich es jetzt nicht tue und mich gegen ihn stelle, schaffe ich das vielleicht nie. »Das werde ich nicht. Mein Körper, mein Kind, meine Entscheidung.«

Er schlägt wieder auf den Tisch. »Du willst es behalten?« Er blinzelt fassungslos, als er merkt, dass ich mich gegen ihn auflehne und zum ersten Mal nicht seinen Befehlen folge.

»Das weiß ich noch nicht. Aber wenn, wird es meine Entscheidung sein und nicht deine.«

Er deutet auf mich. »Du wirst alles verlieren. Mit einem Kind am Hals wirst du deine Pläne, Staatsanwältin zu werden, an den Nagel hängen können.«

»Es waren deine Pläne. Niemals meine. Du hast mich nie gefragt, was ich will. Du hast immer nur angenommen, dass ich das für mich will, was du für mich willst, und niemals nachgefragt. Deine Pläne, immer.« Ich hole seufzend Luft. Ich wollte ihn eigentlich erst mal die eine Nachricht verdauen lassen, bevor ich mit der nächsten komme. Aber er zwingt mich dazu, endlich aufzuhören, eine Lüge zu leben, die ich nur aus Liebe für ihn lebe. »Ich möchte keine Staatsanwältin werden. Ich will auf der richtigen Seite stehen: Familienrecht, Kinder, Frauen. Ich will für die Menschen da sein, die sonst niemanden haben, der sich für sie einsetzt. So wie Mom.«

»Was du eigentlich sagen möchtest, ist, dass du verhindern willst, dass es noch einmal einen Trendt Harrington gibt. Er war vielleicht an diesem Tag nicht da, aber er gehört zur gleichen Gang, und damit ist er genauso schuldig.« Er steht auf, geht um den Schreibtisch herum zu dem kleinen Barwagen in der Ecke und gießt sich ein Glas Whiskey ein. »Wer ist der Vater?«

Ich spanne mich wieder an. Auch das ist eine Sache, die ihm nicht gefallen wird. Wahrscheinlich schmettert er gleich vor Wut das Glas gegen eins der Bücherregale. »Ich kenne ihn nicht. Irgendein Kerl aus irgendeiner Bar.«

»Du hattest also betrunken mit irgendeinem Kerl Sex.« Er wirft das Glas nicht, stattdessen kippt er sich nach, und als er das Glas jetzt wieder an seine Lippen führt, zittern seine Hände. »Ohne Kondom?«

»Du musst nicht noch einmal wiederholen, dass ich blöd bin, ich weiß es mittlerweile.« Ich sage ihm nicht, dass ich ein Kondom verwendet habe, das unbemerkt gerissen war.

»Du bekommst dieses Kind auf gar keinen Fall«, betont er noch einmal. »Und du wirst keine Familienanwältin. Dafür habe ich dein Studium nicht finanziert.«

»Du hast mein Studium nicht finanziert, das war die Familie deiner Frau, lange bevor sie geboren wurde und du ihr Mann werden konntest.« Ich deute auf das teure Apartment, in dem er wohnt. »Das alles haben sie finanziert.« Ich stehe auf und ignoriere, was er gesagt hat. »Ich bin nur gekommen, um dir das zu sagen, bevor du es von deinem Freund, meinem Chef, erfährst, denn ich werde ihn informieren müssen.«

»Das musst du nicht, wenn du diesen Bastard wegmachen lässt«, brüllt er jetzt wieder. Er wirft eine der Akten quer durch den Raum, und die Blätter darin verteilen sich flatternd auf dem Boden.

»Falls ich das tun sollte.« Ich wende mich der Tür zu. »Es tut mir leid, dass ich so eine Enttäuschung für dich bin. Immer wieder.« Damit verlasse ich das Apartment meines Vaters. Es ist besser, jetzt zu gehen und mich nicht weiter auf diese Diskussion einzulassen. Am Ende werde ich wie immer nachgeben und tun, was er verlangt. Er weiß genau, wenn er mir vorwirft, vergessen zu haben, was meiner Mutter passiert ist, wie viel er für mich getan hat und wie hart er jeden Tag kämpft, dann wird er gewinnen. So war es all die Jahre gewesen. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn es ihm schlecht geht. Egal was zwischen uns vorgefallen ist, wie hart er auch manchmal zu mir war oder wie fixiert darauf, mich zu der Person zu formen, die er in mir gesehen hat, ich habe ihn immer geliebt. Schließlich ist er mein Vater. Ich habe nur noch ihn. Und wir hatten auch sehr schöne Momente.

Er wird tagelang nicht mehr mit mir reden. Irgendwann wird er vorsichtig nachfragen, ob ich es schon erledigt habe, und von da an wird er mich drängen, bis er seinen Willen durchgesetzt hat. Und wenn alles so läuft wie immer, werde ich einknicken und ihm geben, was er will. Ich wische mit den Händen über mein verheultes Gesicht und stoße einen leisen, aber befreienden Schrei aus. Der Fahrstuhl schluckt hoffentlich den Schrei, sodass er nicht nach außen dringt und niemand im Haus meinen Ausbruch miterleben muss.

Wütend reiße ich die Haustür unten auf und bemerke den weißen Transporter am Straßenrand erst, als jemand aus der offen stehenden Seitentür aus dem Laderaum springt. Im Glauben, er will in das Apartmenthaus, trete ich zur Seite und beschimpfe ihn noch als Idioten, weil er mich fast umrennt. Aber er will gar nicht in das Haus hinter mir. Stattdessen spüre ich einen heftigen Schmerz, als er seine Faust gegen meine Schläfe donnert. Mir wird schwarz vor Augen, bevor ich irgendetwas tun kann oder auch nur verstehe, was hier passiert.

2. Kapitel

Gun

Vorn lässt die Kleine auf das Bett fallen und fesselt ihre Hände an das Gitter über ihrem Kopf. Dem Grinsen in seinem Gesicht entnehme ich, dass ihm das alles hier unglaublichen Spaß macht. Er beugt sich über ihr Gesicht und drückt gegen den dunklen Fleck an ihrer Schläfe, den seine Faust dort hinterlassen hat. Wenn ich gewusst hätte, dass Vorn sie schlägt, hätte ich ihn fahren lassen und das Mädchen selbst in den Transporter verfrachtet. Aber ich habe mich wohler gefühlt mit dem Gedanken: Wenn ich nur der Fahrer bin, lade ich nicht den Schmutz ihrer Entführung auf mich. Was genau genommen Augenwischerei ist.

Die Messe ist jetzt zwei Tage her. Viel Vorbereitungszeit hat Headshot uns nicht gegeben. Wir haben also keinen herausragenden Plan ausgeklügelt, sondern uns für die naheliegendste Methode entschieden. Der weiße Transporter ohne Aufschrift an der Seite und ohne Kennzeichen. Bei all den Entführungen und Banküberfällen, die schon mit weißen Transportern verübt wurden, fragt man sich doch, warum es die Teile noch gibt. Wieso hat die nicht längst jemand verboten? Offensichtlich sind sie ja ziemlich gefährlich. Es soll Leute geben, die einen weißen Transporter irgendwo stehen sehen und schnell die Straßenseite wechseln.

Vorn befummelt das Mädchen weiter und zupft am Ausschnitt ihres Blazers herum, dabei wird sein debiles Grinsen immer breiter, und mir wird übel in der Magengrube. »Nimm die Hände von ihr«, verlange ich nervös. Ich habe keine Lust, dass die Sache hier noch schlechter für die Anwaltstochter laufen könnte als bisher. Die Gier in Vorns Blick jagt mir eine Gänsehaut ein. Dieser Mann ist ein gefährlicher Irrer, weswegen es mir überhaupt nicht passt, dass ich ausgerechnet mit ihm zusammenarbeiten soll. Aber in seinen leiblichen Bruder hat Headshot schon immer das meiste Vertrauen gehabt. Was in diesem Fall absolut unverständlich ist.

»Ich werde ihr nicht wehtun, also komm runter.« Vorn schiebt ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und geifert fast.

Mir krampft sich der Magen zusammen. »Bist du es nicht langsam gewohnt, Frauen zu entführen?«, fahre ich ihn harsch an.

»Ja, und mir geht jedes Mal einer ab, wenn ich es tue.« Seine Finger gleiten über ihre Beine, und er betrachtet versonnen ihren Körper. »So eine wie die fangen wir selten. Die reichen Mädchen sind noch mal ein ganz anderes Kaliber als die Barfliegen, mit denen wir es sonst so zu tun haben.«

Ich erschauere innerlich vor Ekel. »Weil die reichen Mädchen sich eher selten in dreckigen abgeranzten Hinterlandbars rumtreiben«, sage ich leise eher zu mir als zu ihm. Außerdem hält sich der Club an die verlorenen Seelen, wie Headshot sie nennt, weil diese keiner vermisst. Was der Grund dafür ist, dass wir bisher noch nicht entdeckt wurden. Mit der Entführung von Hansons Tochter sind wir ein erhebliches Risiko eingegangen. Aber Lara ist ja auch nicht für den Markt gedacht, also ist das Risiko für Headshot eins, das der Club bereit sein sollte zu tragen.

»Wir sollten hin und wieder auf erstklassige Ware setzen«, meint er und geht endlich auf Abstand. Ich bin froh und atme erleichtert aus. Ich wünschte, Headshot hätte genaue Anweisungen gegeben, was die Behandlung der Kleinen betrifft. So was wie: Keiner rührt sie an. Damit ich Vorn notfalls mit Gewalt von ihr fernhalten kann. Aber Headshot hat nichts über ihre Unversehrtheit verlauten lassen.

Das Problem mit Vorn ist, er hat zwar den Körper eines Berserkers, aber nur das Hirn eines Kindes. Und er ist fixiert auf Headshot. Er hört also nur auf ihn. Uns andere betrachtet er als Kakerlaken, während Headshot in seinen Augen so etwas wie Gott ist. Was Vorn zu einer tickenden Zeitbombe macht. Und zur idealen Waffe, denn er tut alles, was Headshot ihm aufträgt, ohne darüber nachzudenken. Vorn mit seiner geistigen Reife eines Zwölfjährigen und Headshot mit seiner Impulskontrollstörung sind die schlimmste Kombination, die man sich vorstellen kann.

»Ja, sag das Headshot«, gebe ich abfällig von mir und setze mich auf einen der Stühle, die an dem kleinen Esstisch stehen. Die Jagdhütte besteht nur aus einem Raum, in dem sich eine Kochnische mit Gaskocher, ein Bett und ein kleiner Wohnbereich befinden. Strom bekommt die Hütte über einen Generator. Wasser kommt aus dem Brunnen vor der Hütte. Im Sommer ist es hier drin einigermaßen angenehm, weil die Bäume vor der Hitze schützen. Und im Winter heizt der kleine Ofen das Innere aus. Im Moment haben wir Herbst, tagsüber geht es gerade noch so, aber nachts wird es schon unangenehm, weswegen es wohl schlau wäre, für die Nacht vorzuheizen. Der Fernsehempfang über die Satellitenschüssel und der Handyempfang sind eher schlecht, gerade so, dass beides zumindest funktioniert. Eigentlich benutzen wir die Hütte für Brüder, die für einige Zeit abtauchen müssen.

Die Frauen, die für den Markt bestimmt sind, hält der Club in einer alten Industriehalle am Stadtrand gefangen. Dort werden sie gesammelt und müssen wie Vieh in ihrem eigenen Dreck ausharren, bis der nächste Verkaufstag ansteht, wie Headshot seinen Sklavenmarkttag gern nennt. Manchmal sind sie wochenlang dort gefangen. Ich war bisher nur zwei Mal in dieser Halle, wenn Frauen dort waren. Und was ich dort gesehen habe, hat mir für ein ganzes Leben Albträume gereicht. Als jemand, der in Afghanistan stationiert war, habe ich schon viele schlimme Dinge gesehen, aber nichts kommt an die Hölle ran, die mich jetzt seit Monaten umgibt.

Ich reibe mir über die Stirn und spanne mich an, als draußen das Röhren eines Motorrads einen Besucher ankündigt. Headshot, er will sichergehen, dass alles so gelaufen ist, wie er sich das vorstellt. Mein Widerwille gegen diesen Mann hat in den letzten Wochen Formen angenommen, die mir Angst machen. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, krampft mein Magen. Wenn ich seine Stimme höre, breitet sich eine Gänsehaut, begleitet von enormer Wut, auf meiner Haut aus. Und wenn ich auch nur an ihn denke, flammen in meinem Kopf Gewaltfantasien auf. Ich spiele schon seit einer Weile mit dem Gedanken, den Club zu verlassen. Ich brauche nur einen Plan, der mein Überleben absichert, denn Headshot wird mich von jedem Chapter im Land jagen lassen. Früher oder später muss ich weg. Möglichst bevor sie rausgefunden haben, dass ich ein Verräter bin.

Headshot reißt die Tür auf, er grinst, als er meine Hand an der Waffe bemerkt. »Lass mal stecken, Junge. Ink draußen hätte mich nicht reingelassen, wenn ich der Feind wäre. Der Bruder nimmt seinen Job im Club noch ernst.« Er sagt es nicht, aber was er eigentlich meint, ist, dass ich es nicht tue, weil ich mich nicht in die neuen Clubgeschäfte einbringe. Was mich nicht im Geringsten ärgert. Meine Magenverstimmung rührt einzig von Headshots Anwesenheit her.

»Da ist ja die Prinzessin«, meint Headshot freudig und betrachtet für einen langen Augenblick Hansons Tochter.

»Schläft wie eine Tote. Hab ihr die Spritze gegeben, wie du gesagt hast«, murmelt Vorn glücklich und zittert vor Stolz. Sein Bruder klopft ihm auf die Schulter.

»Nachdem du sie geschlagen hast«, füge ich an.

»Propofol, das Zeug, das Michael Jackson bekommen hat«, sagt Vorn und grinst. Er wiederholt damit nur das, was sein Bruder ihm gesagt hat, als der ihm die Spritze gegeben hat.

»Genau«, bestätigt Headshot. »Gut gemacht.« Er zieht sein Handy aus der Tasche und macht eine Reihe von Fotos. Mit denen wird er später Hanson erpressen. »Wir behalten sie erst mal ein paar Tage hier, ich nehme mit ihm Kontakt auf und unterbreite unser Angebot. Ein paar Bilder werden ihn dazu bringen, mit uns arbeiten zu wollen. Bestenfalls ist die Sache schon morgen erledigt. Zurück bekommt er sie aber erst, wenn er gelernt hat, wie beschissen es sich ohne sie anfühlt, damit er uns nicht noch mal in die Suppe spuckt.«

Was für ein bescheuerter Plan. Hanson wird glauben, dass er es mit Idioten zu tun hat.

Headshot sieht mich an. »Vorn wird den Transporter wieder in die Stadt fahren. Wir brauchen ihn für eine Ladung, ich schick ihn dir gleich zurück. Vorn, nicht den Transporter. Nur damit du Gesellschaft hast. Ink nehme ich wieder mit.«

»Sag doch gleich, dass du mir nicht traust.« Ich versuche mich an einem Grinsen. »Ich kann damit leben, wenn du ehrlich zu mir bist.«

Headshot ignoriert meine Worte. »Ihr werdet abwechselnd vor der Hütte Wache schieben, während das Mädchen unser Gast ist.« Er sieht Vorn kurz an und macht eine Bewegung mit dem Kopf, die Vorn bedeutet, dass er ihm folgen soll.

Ich atme erleichtert aus, als die beiden die Tür hinter sich schließen und ich zum ersten Mal allein bin, seit wir Lara Hanson entführt haben. Ich stehe auf, gehe zu ihr und lege meinen Finger auf den Puls an ihrem Handgelenk, um zu prüfen, ob alles mit ihr in Ordnung ist. Es ist eine reine Gewohnheitshandlung, ich habe eine Ausbildung zum Sanitäter. Ihr Puls ist ruhig, ihre Atmung regelmäßig, ihre Haut sieht gesund aus. Aber sie schläft nicht mehr. Denn ich fühle, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper verspannt, als ich sie berühre. Sie tut nur so, als würde sie noch schlafen.

»Du kannst die Augen aufmachen, im Moment sind wir allein«, sage ich zu ihr.

Sie schlägt flatternd die Lider auf, zugleich beginnt sie kreischend an ihren Fesseln zu zerren, bäumt ihren Körper auf, stemmt die Fersen in die Matratze und brüllt immer wieder nach Hilfe, bis sie heiser ist und ihre Stimme bricht. Sie muss unbändige Angst haben, und das tut mir leid, trotzdem ist es besser, ich zeige ihr mein Mitleid nicht, damit sie nicht das Gefühl bekommt, sie könne von mir irgendetwas erwarten. Ich stehe nur neben ihr, starre auf sie runter und grinse.

Lara Hanson hat tiefgrüne Augen, irgendwas so in der Art von Armeegrün. Sie hat sich seit ihrer Zeit als Cheerleaderin an der Highschool kaum verändert. Sie ist noch immer sportlich schlank mit muskulösen Oberschenkeln, die sich unter dem dünnen Stoff ihrer schwarzen Businesshose abzeichnen. Wahrscheinlich, weil sie noch immer Sport macht. Nur ihre goldblonden Haare sind kürzer. Sie hat jetzt das, was Frauen einen kinnlangen Bob nennen. Es ist nicht so, dass ich mich auf der Schule viel für die Cheerleader interessiert hätte, aber übersehen konnte man sie auch nicht. Sie waren immer irgendwo präsent, besonders Lara Hanson. Gut aussehend, immer perfekt gekleidet, immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von so ziemlich jedem. Jeder mochte sie oder das Geld ihrer Familie. Ihre Mutter war Erbin eines kleinen Vermögens, das aus dem Patent ihres Großvaters stammte, der irgendwann in den Fünfzigern einen Tomatenschneider erfunden hatte.

Um ehrlich zu sein, ich habe mich kaum für die anderen Cheerleader interessiert. Bei ihr war das was anderes. Ihr dabei zuzusehen, wie sie in einem kurzen Röckchen rumgehüpft ist, ihre Beine und ihren Hintern präsentiert hat, hat meine gerade erst erwachenden Hormone Amok laufen lassen. Sie war sozusagen meine liebste Fantasie. Aber nur aus der Ferne, denn eigentlich war ich der Außenseiter, der, der alles, was auf der Schule lief, vom Spielfeldrand aus beobachtet hat und damit auch zufrieden war. Und als dann Andy mit ihren Eltern in den Trailerpark gezogen ist, da hat sich meine Welt nur noch um sie gedreht.