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Dieser Band vereint mehrere neue Gedichte von Andie G. Schmitt. In diesen zeigt er, dass jeder trostlosen Umgebung und dem banalen alltäglichen Trott aussagekräftige lyrische und schonungslose erzählerische Sentenzen zu entreißen sind, manchmal mit melancholischen Abgesängen. Schmitt erzeugt so das Bild einer Welt, die von scheinbar grotesken, verwegenen oder verkrachten Männer- und Frauenfiguren bevölkert wird, ohne das Menschliche der Protagonisten auszugrenzen.
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Seitenzahl: 72
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Andie G. Schmitt ist 1970 geboren. Ab 1991 durchlebte er zahlreiche Umzüge und Jobs im In- und Ausland. Seit 1996 erscheinen diverse Veröffentlichungen von ihm in Literaturzeitschriften, Fanzines und Anthologien.
BALKONGÜNTHER
BUNDESJUGENDSPIELE
ALLES AUFGERÄUMT
DORF DER SELBSTMÖRDER
ALLE BÜCHER DIESER WELT
FRAU MIT ÜBERSINNLICHEN KRÄFTEN
DAS LETZTE MAL UND DANN FORT
MELODIEN EINER NACHT
AUS EINER ANDEREN ZEIT
ORT, WO NICHTS IST
AUS ALTEN SCHUBLADEN
SPUKHAUS
WAS IST POESIE?
PURPURROT IM MORGENGRAUEN
NOTHILFE
HOCH HINAUS
AUF DER SUCHE
AUF DER TERRASSE
DAS GESETZ SEINER LIEBE
DIE GESCHICHTE VON EINEM BILD
ZURÜCKGESPULTES SCHICKSAL
AUF DER ÜBERHOLSPUR IN DIE VERGANGENHEIT
TOTE DICHTER
U-BAHN DIVA
AUSGELÖSCHT
ALTER WACHMANN
BLAU
BURGER-KING-TÜTE
DIE RESTE DER KLEINEN LEUTE
EIN TAG VORM TOD
DIESE FRAU DA DRÜBEN
GENERALDIREKTOR
ALS KIND GLAUBST DU ALLES
DIE VERGÄNGLICHKEIT EINER ANTHURIE
BEAM ME UP, SCOTTY
DIE SCHÖNHEIT DER DRECKIGEN NATUR
ABENDGEDANKEN
DIESES ETWAS
FEIERN, FESTE & LIEBE
DOPPELT UND DREIFACH ABGESICHERT
GROSSVATERS HAND
ALTE NEUE HEIMAT
DIE STEHER
FEELINGS
FARBE SCHWARZ
GESCHICHTENERZÄHLER
HARTE ZEITEN STEHEN BEVOR
EIN VERRÜCKTER NACHBAR
KARTEIKARTENFRAU
ZWEI BOXER
DIESEN GEIST ZU SEHEN
WENN SICH DIE DINGE LANGSAM ÄNDERN
WIE DER HUND, SO DER MENSCH
ZUKUNFT, WAS FÜR EIN WORT!
ALS DU FORT WARST
DER BRÜLLER
ALUMINIUMMANN
LEBEN IN EINER STRASSE
AN IHREM HAUS VORBEI
ICH WOLLTE DICH NOCH FRAGEN
DIE AMPEL DES LEBENS
EINE FRAU MIT GLÄSERNEM GESICHT
ICH WERD’ SIE MAL BESUCHEN
ENDE
DECKUNG WIE EIN BOXER
Jedes Mal wenn ich zum Haus
meiner Freundin ging,
musste ich an diesem
Balkon vorbei.
Es ging gar nicht anders.
Es sei denn, ich hätte
einen großen Umweg in
Kauf genommen.
Egal welches Wetter, egal welcher
Wochentag, dieser alte Mann,
saß immer auf diesem Balkon.
Hinter ihm hing eine große US-Flagge
an der Hauswand.
Das sei Balkongünther,
ließ meine Freundin mich wissen.
Balkongünther?
»Ja, weil er fast immer aufm Balkon sitzt.
Der is’ mehr draußen als in seiner Wohnung!«
Eines Tages, als ich wieder mal vorbeilief,
stand seine Frau innen an der Balkontür.
Ich konnte sie durch die weißen
Gardinen erkennen. Es war, als würde sie
sich verstecken und sah verstohlen zu mir rüber.
Mit ihm hatte ich öfters ein paar Worte
gewechselt. Doch seine Frau kannte
ich nicht.
»Du, heut’ war Balkongünther gar nicht da.
Hab nur seine Frau gesehen. Hat sich hinter
der Gardine versteckt oder so.«
»In Zukunft wirst du nur noch seine Frau sehen!«
Ich erfuhr, dass es Balkongünther
nicht mehr gab.
War im Krankenhaus gestorben.
Krebs.
Heute ist Samstag.
Ich gehe wieder an dem Balkon vorbei
und es regnet, als wäre Gott über
einen mit Wasser gefüllten Eimer gestolpert.
Der Balkon ist verlassen und ich
nicke kurz Richtung US-Flagge.
Möge es ihm gut gehen
und möge er einen schönen
neuen Platz auf einem noch
schöneren Balkon gefunden haben.
In der letzten Grundschulklasse:
Jeder wollte diesen Zettel.
Diese URKUNDE.
Es gab Ehren- und Siegerurkunden.
Ich wollte sie nicht.
Keine von beiden.
Aber ich tat, was man von
mir verlangte:
50-Meter-Lauf in etwas über 14 Sekunden:
Zu langsam.
Im Zonenweitsprung,
keine zweieinhalb Meter: Zu kurz.
Weitwurf mit dem Schlagball,
was mir besonders nutzlos erschien,
keine 20 Meter:
Wieder zu kurz.
Ich wollte es nicht.
Ich wollte es einfach nicht.
Das kam mir alles so sinnlos vor.
So sinnlos wie einem
ausgewachsenen Löwen einen
Erdbeerjoghurt zu servieren.
PLUP, wieder war ein anderer
abgesprungen. So weit wie
er flog, wollte er diese Urkunde.
Unbedingt. Und wenn schon,
dann eine Ehrenurkunde.
Er war so weit
weg von mir.
Soweit wie der Saturn
von uns allen.
Alles ein riesiger Erdbeerjoghurt.
Mehr nicht.
Während der andere Junge
im Sandbett landete,
umkreiste ich den Saturn.
Voller Bewunderung für seine
schönen riesigen Ringe,
die ihn umgaben. In wundervollem
schimmerndem Licht.
Ganz weit, weit weg.
Als ich erneut übertrat.
Ungültig, Andreas!, brüllte der
Sportlehrer und warf mir einen
genervten Blick zu. Schließlich
wollte er, dass seine Jungs
möglichst viele Urkunden holten.
Augenblicklich spürte ich seine tiefe
Abneigung. Als hätte sich sein genervter
Blick in einen warmen Atem
verwandelt, welchen ich in jenem Moment
im Nacken spürte.
Doch ich blieb auf meiner Reise
um den Saturn.
Wir drehten aneinander und es
war so real. So, als wolle es
niemals enden.
Während sie rannten und warfen
und in einen Sandkasten hüpften,
drehte ich mich weg,
mit aufgestellten Handflächen
über meinen Augen,
in den Mittagshimmel blickend.
Sie sagte es mir an einem Septembernachmittag.
Du, hör mal, ich muss mit dir reden. Und ich wusste,
es wird nichts Gutes zu hören sein.
Unsere Beziehung sei am Ende. Das wisse ich doch
sicherlich auch. Ich wusste es nicht. Das müsse ich
doch auch spüren, dass da nichts mehr sei.
Für mich war da noch allerhand. Klar, unsere
Beziehung hatte feine Haarrisse. Wie bei einer Vase.
Von weitem sieht’s top aus, aber wenn du näher
rangehst … na ja. Gut, ich nahm es an. Alles, was
kam, nahm ich an. Was hätte ich sonst auch tun
sollen? Heulen?
Es hätte nichts geändert. Ich hätte mich nur zum
Trottel gemacht. Also nahm ich es, wie man es von
einem Mann in meinem Alter erwartete.
Am nächsten Morgen fing ich an aufzuräumen. Ich
wollte nicht unnötig an sie erinnert werden. Doch das
war leichter gesagt, als getan.
Nahezu alles in meinem Apartment war von ihr. Also
Dinge, die ich nicht so einfach wegräumen konnte.
Ein Sekretär, eine Kommode, ein kleines Schränkchen
und ein kleiner Nachttisch. Die Dinge, die darauf oder
darin lagen, machten mir zu schaffen. Setzten mir
arg zu. Wesentlich mehr, als ich mir tags zuvor noch
anmerken ließ. Aber es musste sein, das wusste
ich. Aufräumen. Nimm die Dinge vom Herzen weg,
verabschiede dich mit Respekt und dann:
Lass es los. Lass es in Ruhe. Mit einem
Schlüsselanhänger von ihr fing ich an. Er lag in der
ersten Schublade des Sekretärs.
Mit einem kleinen Stoffbären dran. Wir beide
mochten Bären. Besonders Pandas hatten es
uns angetan. Erblickten wir einen im Fernsehen,
wurden wir butterweich. Verwandelten uns für
einen kurzen Augenblick in kleine Kinder zurück. Oh,
sind die niedlich. Wie schön. Dieses Fell und diese
Knopfaugen.
Dann fand ich einen Bierdeckel aus einem
gemeinsamen Urlaub. Der kleine weiße Rand war
vollgeschrieben mit ihren Liebesbekundungen. Es
war eine wirklich schöne Zeit damals.
Ein Kugelschreiber mit dem Logo ihres kleinen
Unternehmens fand ich als nächstes und vier
Passbilder von ihr. Weiß Gott, wie die hierherkamen.
Des Weiteren, ein Nasenhaarschneider. Sie
verabscheute es, wenn mir die Haare aus der Nase
wuchsen. Zwei kleine grüne Tupperdosen folgten.
Sie liebte Tupperdosen. Eine Sonnenbrille lag in der
untersten Schublade.
Das war’s. Es war nicht viel. Im Badezimmerschrank
lag noch ein schwarzer Haarring von ihr, umwickelt
von einigen ihrer langen braunen Haare und ich roch
an ihnen.
Aber da war nichts mehr. Nur eine dünne Schicht
Staub, die jetzt an meiner Nase hing. Jetzt habe ich
nur noch eins von ihr. Ein altes Weihnachtsgeschenk.
Diese silberne Sprungdeckeluhr. Ich drückte die
Krone, der Deckel ging auf und ich sah, die Zeiger
waren stehengeblieben.
Ich erinnere mich an einen ihrer letzten Sätze:
ALLES HAT SEINE ZEIT!
Nur wir hatten fortan keine mehr.
Es ist jetzt fast 35 Jahre her. Meine Großeltern
väterlicherseits lebten damals in einem kleinen Dorf.
Südwestlich von Mainz. Keine 2000 Einwohner.
Geprägt von Landwirtschaft und Weinbau.
An Wochenenden waren wir oft zu Besuch. Große
Neuigkeiten gab es selten. Zumindest keine guten.
Wenn doch, ging’s dabei meist um Selbstmorde.
Entweder hatte sich der Sohn eines Karl-Heinz in
seiner Scheune oder der „Helmut von drüben“
auf’m Dachboden erhängt.
Ein paar Wochenenden später gab es diesen
Karl-Heinz auch nicht mehr. Hatte sich ebenfalls
erhängt.
Zwei, drei Wochenenden danach hatte sich „der
Helmut, dem die Frau davongelaufen ist“ mit seinem
Motorrad den Schädel eingefahren. Ist ungebremst
gegen ‘nen Baum gerast. Hatte keinen Helm auf. Der
Arme. Seine Tochter hatte es überall herumerzählt.
Die Arme.
Und es dauerte gar nicht lange ... Mein Vater fragte,
mit der Kuchengabel in der Hand, wie es denn dem
Manfred vom Hof Soundso ginge.
Ach der Mani ... Den haben se in seinem Bett
gefunden. Der hatte doch Schulden für Drei. Der ist
jetzt auch tot! Hat Tabletten genommen – der alte
Säufer. Jetzt is’ er weg!
So ging das über Jahre. Und jedes Mal, wenn
wir in dieses Dorf hineinfuhren, sah ich keine