Defenseless - Patricia Dohle - E-Book

Defenseless E-Book

Patricia Dohle

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Beschreibung

Josie ist Journalistin. Bei einem Interview, dass sie anstelle ihrer besten Freundin Lou mit dem berühmten Basketballer Benjamin Nolan hält, trifft sie auf den selbstgefälligen Bad Boy. Dieser Mann ist ihr jedoch ein einziges Rätsel. Alles, was Josie will, ist mehr über ihn und über sein abruptes Verschwinden aus der Basketballsaison im letzten Winter zu erfahren. Doch umso näher sie Benjamin und seinen Geheimnissen kommt, umso mehr versteht sie den Mann, hinter der Maske. Kann Josie wirklich einen Artikel über Benjamin verfassen oder hat ihr Herz bereits seine eigene Story geschrieben?

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Seitenzahl: 447

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Patricia Dohle wurde 1997 im Landkreis Holzminden geboren, wo sie bis heute auch lebt. Während ihrer Ausbildung schrieb die damals achtzehnjährige ihren ersten Roman. Eine Leidenschaft, die sie bis heute mit Leib und Seele ausfüllt. Sie lebt gemeinsam mit Ihrem Mann und ihren Katzen, schmückt sich gerne mit Tattoos und verbringt ihre restliche Freizeit mit Sport und der Kunst des Backens. Defenseless ist der erste Teil einer Trilogie, der im Winter 2021 erschien.

Impressum

Text:© Copyright by Patricia Dohle

Umschlag: © Copyright by Patricia Dohle

Druck:epubli – ein Service der neopubli GmbH

Berlin

Widmung

Für all die Liebenden und die Leidenden auf der Welt, die wissen, wie schwer und zugleich atemberaubend das Leben sein kann.

Prolog

Mein Blick wandert für einen kurzen Moment zur Uhr. Wir haben noch genau 32 Sekunden bis das dröhnende Signal das Ende der zweiten Halbzeit und des Spiels verkündet.

Ich kann spüren, wie mindestens zwei der drei Schiedsrichter mich taxieren. Als würden sie nur darauf warten, dass ich einen Fehler mache.

Der Ball fühlt sich rau und etwas klebrig an meinen Fingern an. Doch instinktiv weiß ich, dass es mein Schweiß ist, der ihn mir immer wieder leicht aus der Hand rutschen lässt.

Das Spiel ist fast vorbei und ich kann Katherina noch immer nirgends entdecken. Wahrscheinlich hat ihr dämlicher Choleriker Chef sie mal wieder nicht gehen lassen. Gerade heute, wo ich sie so sehr gebrauchen könnte. Es steht 103 zu 103. Gleichstand.

Und wenn ich jetzt den Ball verliere, war es das für uns.

Die Purple Pirates Boston verlieren. Meinetwegen.

Ich atme tief durch. Lasse all das Adrenalin auf mich wirken. Der Ball springt vom Hallenboden zurück in meine Hand und ich sehe im Augenwinkel, wie Speedy, unser Sportmanager, auf den Coach zu rennt.

Er scheint aufgeregt zu sein und gestikuliert wie wild, mit seinen Händen auf und ab. Der Coach fährt sich durch seine viel zu langen und mittlerweile an einigen Stellen grauen Haare und ich mache den ersten Schritt zurück ins Spielfeld.

Unsere Fans jubeln. Andere wiederum schreien laut immer wieder im Chor: „Defense!“, was so viel bedeutet wie, dass unsere Gegner, die Heimmannschaft, endlich verteidigen sollen. Zwei Spieler der New Yorker Dragons kommen auf mich zu. Ich mache wieder zwei Schritte.

Dribble den Ball näher zum Korb.

Die enorme Lautstärke der Halle wird zu einem dumpfen Pochen in meinen Ohren. Kurz täusche ich an und werfe den Ball dann doch zielsicher in Richtung Korb.

Gleichzeitig strömen mehrere Gefühle auf mich ein. Die Wärme, die mir wohl zu Kopf gestiegen ist. Mein Coach, der zuerst ziemlich energisch meinen Namen und dann ein panisches Time-out brüllt. Und zu guter Letzt die Wucht meines Herzens.

Als würde es für eine Millisekunde stehen bleiben. Ein ungutes Gefühl oder die Gewissheit, dass jetzt in diesem Augenblick etwas ganz Grausames geschehen ist, während der Basketball eine Runde auf der Korbstange dreht und dann mit einem ohrenbetäubenden Knall zu Boden geht.

1. Benjamin

Ich stöhne. Das kalte Wasser bringt meine heiße Haut zum Zischen.

Nur mit Mühe reibe ich mir den Schlaf aus den Augen. Die letzte Nacht war hart. Ach was sage ich, jede Nacht ist hart.

Nur heute ist es besonders schlimm. Als ich gestern Abend endlich etwas Ruhe fand und sich meine Lieder endlich schlossen, sah ich immer wieder nur das gleiche Bild vor Augen. Und auch meine Träume ließen nicht darauf schließen, dass es heute tagsüber einfacher werden würde.

Als das matte Licht heute Morgen sich den Weg durch meine Jalousien bahnte, war es vorbei mit schlafen.

Ich drehte mich immer wieder von einer Seite auf die andere. Schlussendlich stand ich auf und überredete meinen Körper dazu, etwas Sport zu treiben. Mein Kopf sollte frei und meine Gedanken zurück in den Hintergrund verdrängt werden. Doch nichts funktionierte.

Die kalte Dusche scheint gerade mein letzter Ausweg zu sein. Vielleicht hätte ich gestern doch die Einladung von den Jungs annehmen und mit ihnen um die Häuser ziehen sollen. So wie früher.

Collin wäre wahrscheinlich begeistert gewesen, wenn ich endlich zugesagt hätte. Er ist der Einzige von den Jungs, der noch oft vorbeikommt und versucht mich aus meiner Wohnung zu treiben. Doch meist beläuft es sich auf ein einfaches Bier vor dem Fernseher und irgendeiner Sportschau, die gerade läuft.

Ich schäume mir die Haare ein und genieße den frischen Duft, der mir in die Nase steigt. Das Wasser perlt langsam an mir ab. Ich spüle meine Haare aus und meinen Körper ab, ehe ich nach dem Handtuch über dem Haken neben der Dusche greife. Mein Blick fällt auf mein Spiegelbild und ich muss gestehen: Ich sehe wirklich fertig aus.

Unter meinen Augen zeichnen sich kleine Fältchen und dunkle Ränder ab. Mein Bart steht in alle Richtungen ab und verlangt danach endlich mal wieder rasiert zu werden.

Ich sehe müde und tatsächlich etwas verkatert aus.

Meine Schultern und mein Brustkorb scheinen angespannt zu sein, als würde eine durchsichtige Kraft darauf lasten. Ich binde mir mein Handtuch um meine Hüften und schlendere in Richtung Wohnbereich.

Mein Wohnzimmer ist quasi überdimensional. Die riesige Wohnlandschaft und der breite Flatscreen nehmen gerade einmal die Hälfte des Raumes ein, während die offene Küche und der Essbereich, der für mich allein viel zu groß ist, den restlichen Platz beanspruchen. Der gesamte Raum ist hell erleuchtet. Durch die großen Panoramafenster fällt bereits die Sonne und wärmt den Fußboden angenehm.

Die Aussicht ist atemberaubend. Doch mich lässt sie an solchen Tagen einfach kalt. Früher hätte ich mich mit Sicherheit für einen Moment darin verloren.

Ich hätte die prunkvolle Skyline nicht einfach verstohlen gemustert und ich wäre auch bestimmt nicht so enttäuscht gewesen von dem Gefühl, das sie in mir auslöst. Vielleicht ist es arrogant doch mich interessiert die Macht, die man von hier Oben hat, reichlich wenig, denn ich weiß, dass sie nichts an all dem ändern kann.

In der Küche quäle ich mir zunächst Schmerztabletten und dann einen Kaffee hinunter. Die Bitterkeit breitet sich auf meiner Zunge aus und zieht sich über meinen ganzen Körper. Ehe ich mich versehe sind sie wieder da.

Die Albträume von letzter Nacht. Diese unendliche Last, die auf meinen Schultern ruht.

Das Gewicht presst sich an meinen Körper und ich habe, wie immer das Gefühl, zu ertrinken. Meine Kehle schnürt sich zu und ich wünschte mir, dass es endlich nachlässt.

Meine Finger verkrampfen sich und ich umfasse die Arbeitsplatte meiner Küchentheke nur noch intensiver. Bis meine Knöchel weiß hervortreten. Ich schiele zum Medikamentenschrank. Machen wir uns nichts vor, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ein Wrack.

Und meine Willenskraft ist eine noch viel größere Katastrophe als mein Ebenbild. Ich schlucke schwer und will mich gerade in Bewegung setzen, als mein Handy vibriert. Ich greife danach und starre den Bildschirm viel zu lange an.

Wie geht es dir? Es ist eine einfache Frage von meinem Teamkollegen und dennoch reißt es mir noch ein Stückchen mehr den Boden unter den Füßen weg.

Er weiß es. Er weiß ganz genau, was heute für ein Tag ist und dennoch stellt er mir solch eine absurde Frage.

Theoretisch würde ich mich heute eher zurückziehen. Doch ich weiß, ich kann meinem besten Freund nichts vormachen und noch dazu gebe ich ihm sowieso nur noch eine Stunde bis er hier aufschlagen wird, um mich abzulenken.

Mein Schädel brummt noch immer und ich drücke die Nachricht vorerst weg, ehe ich mir eine weitere Schmerztablette einflösse. Eine dritte lege ich bereit, falls mein Kopf auch in den nächsten Stunden keine Ruhe geben wird. Und das wird er nicht.

„Du siehst echt mies aus Mann.“ Ich kann Collin nicht mal ansehen, als er sich, wie als würde er hier wohnen, auf meiner Couch ausbreitet.

„Auch schön dich zu sehen“, presse ich mit einer Glasur von Sarkasmus zwischen den Zähnen hervor. Doch meine bissige Art lässt Collin völlig kalt.

„Du scheinst etwas neben der Spur zu stehen.“ Seine Stimme ist ruhig, aber ich bin kein Idiot. Seine Schultern sind angespannt und seinen Rücken drückt er energisch durch.

„Es ist alles okay“, lüge ich ihn an und fange mir einen bösen, wissenden Blick von ihm ein. Innerlich hoffe ich, dass Collin es gut sein lassen wird.

Wir starren uns an, dann wendet er den Blick ab und widmet sich wieder dem Fernseher.

Eine Weile ist es still zwischen uns. Ich weiß, dass er immer wieder in meine Richtung schielt. Dennoch würde er niemals etwas sagen. Collin war schon immer so.

Er ist einen halben Kopf kleiner als ich. Seine dunkelblonden Haare stehen die meiste Zeit in sämtlichen Richtungen ab und ergeben meiner Meinung nach, nicht einmal eine wirkliche Frisur. Sein Gesicht ist eher jugendhaft und spiegelt sein Alter kaum wieder. Von einem Bartwuchs träumt er wohl schon eine ganze Weile, während ich das ewige Rasieren leid bin. Theoretisch sind wir das genaue Gegenteil vom jeweils anderen.

Dennoch sind wir seit mehreren Jahren einfach unzertrennlich.

Collin räuspert sich und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Er sieht mich immer noch nicht an, als er spricht: „Der Trainer schickt mich.“ Ich seufze.

Die meisten unserer unangenehmen Gespräche beginnen genau so. Genervt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen, antworte aber nicht auf seine Anspielung.

Ich spüre förmlich, wie die Luft um uns herum dünner wird, trotzdem beginnt Collin erneut zu sprechen: „Er fragt, ob du nicht mal wieder beim Training vorbeischauen willst.“ Das ist keine Frage, das höre ich.

Es ist eine brummige Aufforderung von unserem Coach und sie stinkt bis zum Himmel. Er kennt meine Antwort auf diese Frage.

„Nein“, entgegne ich ziemlich abrupt. Collin wendet sich mir zu. „Bench, du weißt genauso gut wie ich, dass du dich nicht ewig hier verstecken kannst.“

Ich hasse es, wenn er mich bei meinem Team-Spitznamen nennt. Das macht er mit Absicht. Collin mustert mich mit besorgtem Blick und für einen kleinen Moment möchte ich wirklich nachgeben. Aber ich kann nicht.

„Ich wurde fast rausgeworfen. Schon vergessen?“, erwidere ich nur trotzig.

Es waren ein paar üble Monate. Vieles davon ist einfach untergegangen in Filmrissen und permanenten Kopfschmerzen. Und zu guter Letzt waren da noch meine Gefühle. Der Schmerz und der unglaubliche Hass auf mich und die Welt. Wenn ich genau drüber nachdenke ist dort sogar ein bisschen Hass auf sie. Aber ich wage es nicht diese Tatsache laut auszusprechen.

„Wir haben dich aber alle verstanden. Es ist nicht so, dass dir irgendjemand böse ist. Wir wollten dich nur beschützen“, erklärt Collin und ich verdrehe nur die Augen. Wütend stehe ich vom Sofa auf und tigere in meiner Wohnung auf und ab.

„Ihr habt das verstanden, ja?“ Meine Worte sind hart und dominant. Doch mein Freund bleibt weiterhin unbeeindruckt. „Bench, so war das nicht gemeint“, versucht er die Situation zu entschärfen.

„Wie könnt ihr glauben, etwas zu verstehen, was ich nach sechs Monaten immer noch nicht verstanden habe?“, brülle ich ihm entgegen und wieder meldet sich mein Kopf.

Wie gerne würde ich dieses Gefühl einfach nur betäuben wollen. „Niemand macht dir Vorwürfe, das ist es, was ich sagen wollte.“ Collin erhebt sich ebenfalls vom Sofa und kommt auf mich zu. Mein Blick heftet sich starr in die Ferne und an die Skyline, die mir mit einem Mal so klein vorkommt.

Seine raue Hand landet auf meiner Schulter und ich gebe ein kleines bisschen nach. „Tut mir leid Collin. Das ist alles noch ein bisschen viel.“

Er presst seine Lippen aufeinander und sucht anscheinend nach den richtigen Worten. „Genau aus dem Grund solltest du von vorne anfangen. Wir sind doch eine Familie. Die Jungs wissen einfach nicht, wie sie sich verhalten sollen. Sie fragen ständig nach dir. Es ist nicht so, dass du ihnen egal bist. Selbst Drake zieht langsam den Schwanz ein.“ Wie oft hatte Collin schon versucht unsere Jungs in Schutz zu nehmen. Er hat ein großes Herz.

Doch im Endeffekt ist es so: Collin ist der Einzige, der sich in meine Nähe traut. Und das Drake über mich redet, wundert mich kein Stück. Wenn es nötig wäre, würde ich ihm ein weiteres Mal das Gesicht polieren. Teamkollege hin oder her.

„Drake ist ein Arsch“, höre ich mich antworten und Collin lacht auf. Ich bin mir sicher, er würde nur zu gerne etwas darauf erwidern. Aber er bleibt stumm.

„Wie viel ist dem Team den mein Comeback wert?“, flüstere ich und Collin wird hellhörig.

„Heißt das, du kommst zurück?“ Ich liebe Collins euphorische Art. Genau das lässt ihn oft so jung wirken. „Ich habe nicht ja gesagt“, versuche ich ihn zu bremsen, aber mir fehlte der chaotische Haufen und vielleicht kann ich mein Blut mit Sport eher in Wallung bringen als mit irgendwelchen Substanzen und bewerteten Pupillen.

2. Benjamin

Als wir vor unserer Trainingshalle ankommen hat sich bereits ein dicker Kloß in meinem Hals gebildet.

Es ist Monate her, dass ich hier war. Als ich die große Doppeltür sehe, die direkt zur Halle führt, schnürt es mir die Kehle zu. Colin sagt nichts. Er macht keine abfällige Bemerkung über mich oder mein Verhalten selbst.

Ich weiß, was gleich auf mich zukommen wird.

„Bist du dir immer noch sicher?“, höre ich Collin neben mir sagen und ich zucke bloß mit den Schultern. Dieser Ort hier ist heilig. Mein Zuhause. Ich kann mich kaum daran erinnern, je etwas anderes gemacht zu haben.

Nur heute wiegt meine Sporttasche mehr als ich selbst und der Schatten, über den ich gerade versuche zu springen, ist größer als ich mit meinen 2,09m. Trotzdem steige ich aus dem Jeep aus und steuere geradewegs auf die Halle zu. Dicht gefolgt von unserem Point Guard.

In der Halle ist es warm und der Geruch von Schweiß und Anstrengung liegt in der Luft. Die Trainingseinheit ist mittlerweile im vollen Gange. Niemand nimmt mich so recht wahr. Speedy ist der Erste, der mich mit großen Augen mustert.

„Benjamin, wie schön dich zu sehen!“, ruft er und kommt auf mich zu. Bei meinem Namen bewegen sich einige Köpfe ruckartig in unsere Richtung.

Ich klopfe unserem Manager auf die Schulter und muss sogar ein bisschen schmunzeln.

„Ich freu mich auch dich zu sehen“, gebe ich wahrheitsgemäß zurück. Für einen kurzen Moment scheint es mucksmäuschenstill in der Halle zu sein, keiner bewegt sich. Alle starren mich, wie gebannt, an.

„Du bist zu spät!“, ertönt bebend die Stimme von Nowikovs durch die Halle. Doch die unausgesprochene Drohung gilt nicht mir. Während der Coach starr an mir vorbei sieht und seine Aufmerksamkeit ganz auf Collin richtet, der beschwichtigend die Arme hebt.

„Dafür habe ich Benjamin mitge…“ Noch bevor Collin mehr erwidern kann, kommt Nowikov mit erhobenem Zeigefinger auf uns zu. „Mir egal. Nolan in mein Büro. Alle anderen weitermachen.“

Sein Blick ähnelt einem Gletscher im hohen Norden. Es gibt nicht viel, was ich über unseren Coach Anton Nowikov sagen kann, aber eines weiß ich ganz genau, wenn er sauer ist, dann ist er kein besonders geselliger Genosse. Er arbeitet professionell und verlangt von uns grundlegend Bestleistungen. Und gerade jetzt habe ich die Befürchtung, dass ich in weniger als Zehn Minuten den Einlauf meines Lebens bekommen werde.

Schnurstraks drehe ich mich auf dem Absatz um und finde mich in seinem Büro ein. Ich kann spüren, wie sich die Blicke meiner Teamkollegen in meinen Rücken brennen. Vor allem der von Drake.

3. Josephine

Ungeduldig tippe ich auf meinem Laptop hin und her. Schreibe etwas und lösche es gleich darauf wieder. Erneut huscht mein Blick auf die Uhr.

Verdammt es ist viel zu spät aber der Bericht, an dem ich gerade noch arbeite, soll noch mit in die morgige Ausgabe. Ich bin verdammt spät dran und kann mich kein Stück auf das eigentliche Thema konzentrieren.

Die Redaktion der The Boston Globe Zeitung ist heute nur noch spärlich besetzt. Das Titelblatt ist fertig und die einzelnen Artikel stehen in den Startlöchern, um gemailt und gedruckt zu werden. Das Einzige, was fehlt ist dieser dämliche Artikel über einen abgehobenen reichen Typen, den ich schreiben muss.

Das Interview mit ihm war eine einzige Katastrophe. Er hat wahnsinnig nach Alkohol und Zigarren gestunken und obendrein hat er mich die ganze Zeit Schätzchen genannt.

Es wird höchste Zeit mal wieder mit den echten Prominenten ein Pläuschchen zu halten.

Manchmal verfluche ich diesen Job. Ausgerechnet heute fällt es mir unglaublich schwer die richtigen Worte zu finden. Schon seit Wochen plane ich, heute an Bryans Geburtstag früher zu gehen.

Es ist halb Fünf und eigentlich wollte ich seit 30 Minuten auf dem Heimweg sein. Der Feierabendverkehr wird mich umbringen. Die Vorbereitungen für diesen Anlass waren enorm gewesen.

Bryan und ich sind jetzt seit zwei Jahren ein Paar und sein Dreißigster sollte einfach etwas ganz Besonderes werden.

Der Umschlag mit den verdammten Tickets für das Footballspiel seiner Lieblingsmannschaft, die New Englands Patriots, liegt bereits feinsäuberlich auf dem Rücksitz meines Autos. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass mich dieses Geschenk über 200$ gekostet hat.

Für ein verdammtes Spiel!

Und dennoch, ist alles was ich möchte, ihm eine Freude bereiten. Wieder lösche ich eine Zeile auf meinem Laptop. Die Formulierungen sind öde und der Dialog hört sich an wie von Vorgestern. Es ist langweilig.

Niemand liest langweilige Dialoge. Niemand, der die The Boston Globe liest.

Wütend stemme ich meine Ellenbogen auf den Schreibtisch, während ich mein Gesicht in meinen Händen vergrabe und seufze.

Ein leises Klopfen reißt mich aus meiner Verzweiflung. Mein Blick fällt auf die Tür meines Büros.

„Sag mal, wolltest du nicht schon längst zu Hause bei deinem Mr. Right sein?“ Lou, meine beste Freundin und Kollegin, steht mit verschränkten Armen im Türrahmen und mustert mich skeptisch. Ihr Blick wandert zwischen mir und ihrer Armbanduhr hin und her.

„Ja, ich weiß. Aber ich bekomme heute einfach nichts zustande“, versuche ich mich verzweifelt zu erklären. Meine Freundin sieht mich strafend an. „Josie, du liegst mir schon seit Wochen in den Ohren damit, dass du heute nach Hause willst. Warum zum Geier bist du noch nicht dort?“ Ich seufze erneut und Lou tritt an mich heran.

„Du siehst müde aus. Geh nach Hause.“

Das ist keine Bitte oder ein Gefallen. Lou´s Ton ist eher herrisch. „Louisiana, ich kann nicht einfach gehen.“

Sie hasst es, wenn ich sie bei ihrem vollen Namen nennen. Es ist für sie wie eine unangenehme Frequenz im Ohr. Ihr sonst so zartes Gesicht verzieht sie bei diesem Laut zu einer Grimasse und ich muss schmunzeln.

„Nenn mich nicht so! und rutsch gefälligst rüber.“ Lou schiebt mich auf meinem Bürostuhl zur Seite bis sie ebenfalls Platz findet. Energisch zieht sie sich meinen Laptop bis an die Schreibtischkante heran.

„Was machst du da?“, frage ich verwirrt und stehe auf, um ihr den vollen Platz meines Stuhls zu überlassen, während sie bereits meine Notizen und Bilder, die wild auf meinem Schreibtisch verteilt liegen, zu sortieren beginnt.

„Gott, bei deiner Ordnung kann das auch nichts werden. Wer schreibt den so bitteschön einen Artikel?“, flötet Lou vor sich hin, als hätte sie meine Frage gar nicht wahrgenommen. Ich verdrehe die Augen.

Manchmal kann Lou wirklich melodramatisch werden. Ich nehme ihr den Stapel mit zahlreichen Notizblättern aus der Hand und stemme die Hände in die Hüften.

„So kann ich nun mal am besten denken. Das ist halt nicht für jeden was. Sag mir jetzt bitte, was das hier werden soll!“, fahre ich sie an. Ihr Augenaufschlag wirkt fast so unschuldig, wie sie selbst. Sie legt diesen süßen Welpenblick auf, mit dem sie mich für gewöhnlich immer herumkriegt. Die meiste Zeit habe ich wirklich Mitleid mit ihrem Freund Phillip. Auch er hält diesem Blick nicht lange stand.

„Ich schreibe deinen Artikel fertig. Was sonst?“ Mir bleibt der Mund offenstehen. Louisiana und ich arbeiten schon drei Jahre zusammen, befreundet sind wir schon ein ganzes Leben lang, dennoch ist sie nicht dafür verantwortlich meinen Mist aufzuräumen. „Du kannst nicht einfach meine Arbeit machen. Was ist, wenn das Jemand mitbekommt?“ Nervös streife ich meinen Bleistiftrock glatt. „Und wenn schon! Wichtig ist doch, dass der Artikel in der nächsten Ausgabe erscheint. Wer ihn schlussendlich geschrieben hat, ist dem Chef doch egal.“

Kurz lasse ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen.

Für gewöhnlich ziehe ich bei Lous Einfällen immer mit. Doch dieser Job bedeutet mir zu viel, als dass ich ihn wegen so einer Kleinigkeit an den Nagel hängen möchte. Andererseits hat Lou vollkommen Recht. Wer sollte den mitbekommen, wer nun den Artikel geschrieben hat?

„Na los, verschwinde schon! Ich halte hier die Stellung“, versichert sie mir erneut und ich werde weich.

„Okay, aber wenn irgendetwas schiefgeht oder du nicht weiterkommst, ruf mich an.“ Auf meine Bitte hin verdreht sie nur die Augen und reißt mir meine Notizen erneut aus der Hand. Ihre Augen fliegen bereits über meine Handschrift als ich meine Jacke über meine Schultern streife. Eifrig drücke ich ihr einen Kuss auf die Stirn und wische gleich darauf meinen Rosé farbenen Lippenstift von ihrer Haut.

„Du hast was gut bei mir!“, schwöre ich.

Lou haut mir daraufhin auf meinen Hintern und deutet mit dem Finger in Richtung Tür. „Du kannst mir später danken. Grüß Bryan von mir und vergiss den grandiosen Geburtstags-Sex nicht.“

Sie schmunzelt und auch ich muss lächeln. Eilig räume ich meine Handtasche ein und drücke Lou nochmals meine Lippen auf.

„Du bist ekelhaft!“, zischt sie und ich verschwinde aus meinem Büro. Der Fahrstuhl braucht gefühlt ewig, bis er endlich in der Tiefgarage unseres Bürogebäudes angekommen ist.

In meinem Auto angekommen, lasse ich mich nach hinten in meinen Sitz fallen. Kurz schließe ich die Augen und atme tief durch, dann greife ich auf die Rücksitzbank und fische den Umschlag mit den Footballkarten vom Sitz.

„Dann wollen wir mal“, sage ich mehr zu mir selbst als zu der Stille, dann starte ich den Motor und setze zurück, um endlich nach Hause zu kommen.

Als ich an unserem Bungalow ankomme ist bereits eine Stunde vergangen. Es ist schrecklich sich abends durch Boston zu schlagen. Der Verkehr ist anstrengend und ermüdend zugleich.

Schon von außen erkenne ich, dass Bryan bereits zu Hause ist. Sein Ford Explorer steht auffällig in der Auffahrt und ich parke direkt dahinter. Voller Vorfreude springe ich aus meinem Auto. In der Hand halte ich den Umschlag mit den Karten und eine Packung von seiner Lieblingsschokolade.

Es ist nicht sonderlich viel Material aber der Wert ist enorm. Langsam stöckle ich auf meinen Pumps zur Haustür. Ich drehe meinen Schlüssel im Schloss und merke schon beim Eintreten, dass etwas nicht stimmt. Der Flur ist hell erleuchtet und in der Luft liegt der Duft eines billigen Parfüms.

„Bryan?“, rufe ich in den Eingangsbereich. Erhalte aber keinerlei Antwort. Verunsichert will ich meine Jacke an die Garderobe hängen, doch als ich genau hinsehe, bemerke ich einen Mantel.

Ich streiche über den schwarzen Stoff und noch mehr Parfümduft weht mir entgegen. Ich ziehe die Nase kraus.

Meine Haut beginnt zu kribbeln und innerlich bete ich, dass ich mir das alles nur einbilde.

Wie zur Bestätigung, höre ich ein dumpfes Pochen und horche auf. Diese Szenerie kenne ich aus unzähligen schlechten Filmromanzen und augenblicklich wird mir schlecht. Wie benebelt schleiche ich den Flur entlang und versuche die unzähligen, gerahmten Bilder von mir und Bryan, die mir von den Wänden entgegenspringen zu ignorieren.

Umso näher ich unserem Schlafzimmer komme, desto lauter werden die Geräusche. Es ist eine Mischung aus Kichern und leisen Stimmen.

Vor der Tür bleibe ich stehen und schließe die Augen. Meine Hände zittern und ich umfasse den Umschlag nur noch fester. Ganz langsam drücke ich die Türklinke herunter und öffne die Tür.

Doch auf das Bild, das sich mir bietet, bin ich keineswegs vorbereitet. Mein Atem stockt und ich versuche die drängende Übelkeit, die sich meine Kehle empor drängt, hinunterzuschlucken.

Sie liegen in unserem Bett. Das ich ihr Gesicht nicht zuordnen kann, beruhigt mich dennoch kein Stück. Noch dazu ist an ihren Gesichtszügen klar zu erkennen, dass sie jede Sekunde genießt und als ihr Blick auf mich fällt scheint sie kein bisschen geschockt zu sein, sondern mehr als nur befriedigt. Sie liegt auf dem Rücken, wie auf dem Servierteller. Bryan kniet zwischen ihren einladenden Schenkeln, während sie ihm ihre perfekten Brüste ins Gesicht drängt.

Auf Bryans Rücken kann ich Schweißperlen erkennen und als er sich erschrocken zu mir herumdreht sind seine Augen weit aufgerissen.

Er hatte definitiv nicht mit mir gerechnet. „Josie!“, bringt er mit trockenem Mund zum Vorschein und meinen Namen in dieser Situation von ihm zu hören, bringt mich fast zum Würgen.

„Babe, sagtest du nicht, sie kommt sowieso später“, höre ich die blonde Frau, die kein bisschen Ähnlichkeit zu mir hat, faseln, als sei ich für sie vollkommen unsichtbar und das bringt mein inneres Fass zum Überlaufen.

„Raus hier!“, brülle ich und deute den Beiden mit dem Zeigefinger den Ausgang. Mehr Worte bekomme ich nicht über die Lippen. Alles in mir bebt.

Bryan zieht sich langsam vom Bett zurück und sucht wie wild seine Klamotten zusammen, während die fremde Frau noch immer nackt im Bett verweilt.

„Mel, ich glaube du solltest jetzt gehen“, flüstert Bryan in ihre Richtung.

„Ihr Beide!“, fauche ich.

Mit Mühe versuche ich meine Tränen zurückzuhalten. Zwei Jahre meines Lebens habe ich für diesen Mann geopfert. So viel habe ich für ihn getan, um ihn jetzt mit einer anderen Frau in meinem verdammten Bett zu erwischen.

Vor einem halben Jahr hatten wir ganz Boston und sogar New York auf den Kopf gestellt für eine gemeinsame Wohnung. Für diesen beschissenen Bungalow.

Den Bungalow, den er für absolut perfekt für uns hielt.

Und mit einmal dämmert es mir. Mein Kopf fährt herum und mein Blick fällt auf seine Geliebte.

Ganz langsam zieht sie sich an und lässt mich dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. Als sie ihre leicht faltige weiße Bluse in ihre Jeans stopft erinnere ich mich.

Melanie Grower. Unsere Maklerin.

Vor sechs Monaten war ich diejenige, die sie für unqualifiziert hielt. Weiß Gott wie viele Wohnungen sie uns vor die Nase hielt und es war einfach nicht das Richtige dabei. War ich tatsächlich so blind gewesen?

Nicht zu sehen, was für schöne Augen sie meinem Mann machte? Fassungslos fasse ich mir an die Stirn und unterdrücke ein Schluchzen.

„Lass uns doch nochmal in Ruhe darüber reden. Du weißt doch Josie, heute ist mein Geburtstag.“ Bryans Stimme scheint Kilometer weit von mir entfernt. Nur im Nebel verstehe ich die Bedeutung seiner Worte.

Sein Geburtstag. Genau.

Ich starre ihn an und kann gerade verhindern, dass er einen Arm um mich herum legt.

„Ich sagte: RAUS HIER!“ Melanie steht bereits zurecht gemacht in der Tür und wirft mir noch ein triumphierendes Lächeln zu. Wütend schmeiße ich Bryan den Umschlag und die Schokolade entgegen.

Bryan macht einen Schritt rückwärts und sieht mich bemitleidenswert an.

„Das bedeutet doch gar nichts! Das ist wirklich nur Sex. Du weißt, dass ich dich liebe“, beginnt er sich zu erklären und in meinem Herz scheint etwas zu brechen.

„Das hier nennst du Liebe?!?“, brülle ich und bemerke, wie sich die ersten Tränen lösen und sich den Weg meine Wange herunterbahnen.

„Verschwinde Bryan! Sofort!“ Mit Nachdruck trete ich gegen die Schokoladenpackung. Währenddessen höre ich bereits die Haustür knallen und bin fast schon erleichtert, dass Melanie sich aus dem Staub gemacht hat. Auch Bryan schnappt sich seine letzten Sachen und verlässt mit gesenktem Kopf den Raum.

Fassungslos starre ich auf das verwüstete Bett. Am liebsten, würde ich mich heulend darin verkriechen.

Doch es widert mich an. In der Luft hängt noch immer der Geruch von Melanies Parfüm. Als ich höre, wie auch Bryan das Haus verlässt, sackt in mir alles zusammen.

Meine Beine geben nach und auch meine Tränen kann ich nicht mehr halten. Ich weine und weine. Bis keine einzige Träne mehr übrig ist.

Alles tut weh. Jeder Muskel in meinem Körper sträubt sich gegen das, was gerade passiert ist.

Wie konnte ich nur so dumm und naiv sein? Was ist nur passiert, dass das alles so in die Brüche ging? Umso länger ich auf Knien im Schlafzimmer hocke, umso tauber werden meine Gliedmaßen. Immer wieder versuche ich mich zu beruhigen. Versuche irgendwie meine Tränen zu stoppen. Doch sobald mir Melanies genießerisches Gesicht wieder in den Sinn kommt, ist es vorbei. Mein Kopf pocht bereits vom vielen Weinen und ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen ist.

Durch die Fenster dringt kein Funken Licht mehr. Selbst die Laternen aus der Nachbarschaft scheinen sich schlafen gelegt zu haben. Ich selbst hocke noch immer auf dem Fußboden und fühle mich wie ein Häufchen Elend.

Ein Geräusch meines Handys lässt mich für einen kurzen Moment aufleben. Es ist Lou und sofort kommt mir der Gedanke, dass ich sie für diesen Mist im Büro allein haben sitzen lassen.

Ich bin eine miese Freundin und anscheinend nicht nur im freundschaftlichem Sinne.

Die Nachricht von meiner Freundin ist wie eine Ohrfeige. Na,nocheinStückvomKuchenabbekommen?

Augenblicklich wird mir übel. Mit einem Mal sind meine Knochen wieder lebendig. Ich springe vom Boden auf und renne ins Bad und halte gerade noch rechtzeitig meinen Kopf über die Kloschüssel.

Meine Lunge brennt und die Säure, die ich hochwürge, ätzt sich durch meinen Körper. Müde sinke ich zusammen und wische mir den Mund mit dem Handtuch ab, was neben dem Waschbecken hängt. Der Geschmack in meinem Mund vermischt sich mit dem widerlichen Gefühl meiner nassen Wangen und meinen tauben Gliedern.

„So ein Mist“, flüstere ich in die Stille und streiche über meine pochende Stirn. Der Fußboden unter mir ist kalt und ich schaffe es aufzustehen.

Ich drücke die Klospülung und versuche meinen Mageninhalt zusammen mit meinen Gedanken zu ertränken. Zurück im Schlafzimmer fische ich mein Handy vom Laminat und beginne Lou zu texten.

Kannstduvorbeikommen?Mehr braucht es nicht, um meiner besten Freundin ein SOS zu senden. Auch mitten in der Nacht würde sie alles für mich geben.

Ich reiße die Fenster auf, in der Hoffnung, dass mein Kopf und die Luft sich erholen. Im Schlafzimmer werde ich die Nacht wohl kaum verbringen. Erschöpft hole ich aus dem Schrank eine saubere Decke und bringe sie provisorisch ins Wohnzimmer. Einsamkeit war nie meine Stärke oder ein Bedürfnis, was es zu füttern hieß. Viele Menschen sind sogar gerne ab und an allein. Ich ebenfalls.

Doch heute fühlt es sich nach mehr als nur Einsamkeit an.

Das Gefühl der Stille und die immer noch anhaltende Übelkeit drohen mich zu zerbrechen. Kleine Risse in der Oberfläche. Mein Handy surrt und ich muss ein winziges Lächeln über die Lippen bringen.

IneinerStundebinichda.

Lou ist wie immer meine Rettung.

4. Benjamin

Nowikos Büro ist ziemlich spärlich eingerichtet.

An den Wänden hängen unzählige Urkunden und Auszeichnungen. Jedoch nicht ein einziges Familienfoto.

Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt Jemanden hat, der ihn spät abends, wenn er endlich die Halle verlässt, zuhause begrüßt. Nicht einmal ein Anzeichen darauf, dass er ein Haustier hat. Kein Freund, der einen Arm lächeln um ihn legt. Einfach nichts. Das Büro erscheint leer.

Lediglich der große Schreibtisch und ein Whiteboard zieren den Raum. Ich mache mir nicht die Mühe mich irgendwo hinzusetzen. Wenn ich schon einen Arschtritt kassiere, dann will ich auch genauso schnell die Flucht ergreifen können.

Es dauert keine zwei Minuten und der Coach reißt die Tür hinter mir auf. Sein Gesichtsausdruck lässt nicht erahnen, wie es unter der Oberfläche aussieht.

Ist er sauer? Geht es hier um etwas rein Geschäftliches? Die Möglichkeiten scheinen unendlich. Ich wage es nicht, auch nur ein Ton von mir zu geben. Schließlich hat er mich aufgefordert hier bei ihm im Büro anzutanzen.

Anton schaut mich nicht an. Er durchquert ziemlich gehetzt den Raum und nimmt unruhig auf seinem Lederbürostuhl platz. Ganz langsam mustert er mich.

Noch immer herrscht Stille zwischen uns. Keiner sagt ein Wort. Um etwas die Spannung aus der Situation zu nehmen, beginne ich mich zu räuspern und Nowikos übernimmt das Gespräch.

„Warum sind sie hier, Nolan?“ In seiner Stimme erkenne ich keinerlei Vorwurf. Keine Wut oder Enttäuschung. Lediglich eine neutrale Frage.

Ich stecke meine Hände in meine Hosentaschen und bleibe vor seinem Schreibtisch stehen.

„Ich will spielen. Sir“, entgegne ich auch, wenn ich mir nicht sicher bin, ob dies der Wahrheit entspricht.

Der Coach scheint unbeeindruckt. Er zieht seine Augenbrauen in die Höhe und mustert mich weiterhin ganz gebannt. „Wie kommen Sie darauf, dass sie Monate lang einfach von der Bildfläche verschwinden können und dann hier aufkreuzen und mir erzählen sie wollen spielen?“

Meine Antwort ist frech aber auch das scheint den Coach nicht aus der Bahn zu werfen: „Sie wollten, dass ich zurückkomme. Hier bin ich.“ Ich weiß, wie riskant es ist Nowikos zu reizen. Dennoch geht mir seine gehobene Art auf die Nerven. Ich fühle mich, wie ein kleiner Junge, der erneut die Schulbank drücken muss, weil seine Noten miserabel sind.

Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Niemals hätte ich das Team so im Regen stehen lassen sollen. Das hier ist meine Familie. Aber sie war es auch.

„Setzen Sie sich Mr. Nolan.“ Seine Aufforderung ist keineswegs bissig oder streng. Es ist lediglich eine Bitte, der ich nachkomme.

„Wie lange spielen Sie jetzt schon für mich?“ Diese Frage überrascht mich. Kurz überschlage ich die letzten Jahre. Vom College bis hier her war es ein langer Weg.

„Es ist jetzt das sechste Jahr bei den Pirates.“ Seine Stirn legt sich in Falten. Anscheinend ist die Zeit auch an ihm vorbeigezogen. „Das ist eine lange Zeit. Die meisten sind gerade einmal seit zwei Jahren dabei. Sie gehören quasi zum Inventar des Teams. Sie sind verdammt nochmal der Kapitän. Sie tragen die Verantwortung für diesen chaotischen Haufen da unten.“ Seine Stimme wird mit jedem Wort lauter und er deutet mit dem Zeigefinger in Richtung Halle.

Ich schlucke schwer. Kapitän. Natürlich, ich hätte für jeden Einzelnen da unten da sein sollen.

Ich hätte uns zum Sieg führen sollen.

Langsam beginne ich zu nicken. Es gibt nichts, was ich dem entgegensetzen könnte.

„Dennoch kann ich nicht leugnen, dass Sie mein bester Spieler sind. Ansonsten hätten sie diesen Posten niemals so lange beibehalten.“ Mein Blick erhebt sich vom Laminatfußboden und landet direkt in dem ernsten Gesicht vom Coach. „Danke Sir“, erwidere ich etwas gehemmt. „Fühlen Sie sich wirklich in der Lage diese Aufgabe, das Spiel und den Druck wieder aufzunehmen? Sie waren lange weg Nolan. Sie wissen, genauso gut wie ich, wie hart der Hallenboden da draußen ist. Und nach allem, was passiert ist bin ich mir nicht sicher, ob sie das wirklich packen.“

Für einen kurzen Moment bleibt mir die Luft weg. In den Augen meines Trainers sehe ich etwas, was ich noch nie zuvor erlebt habe. Ich sehe Sorge.

Vor mir sitzt ein alter nachdenklicher Mann. Diese Seite kenne ich von Anton kein bisschen. Gerade in den stressigen Phasen der Saison wurde unser Coach nicht unbedingt für seine Menschlichkeit ausgezeichnet.

„Ja, Sie haben recht. Das Spiel ist nicht ohne. Aber ich will zurück zum Team.“ Mit einem Mal ist es genau das, was ich will. Ein Gefühl der Klarheit durchströmt mich und ich kann spüren wie mein Blut pulsiert.

Meine Muskeln fangen an unkontrolliert zu zucken und ich fixiere meinen Gegenüber.

„Ich werde Sie nicht schützen. Sie werden genauso schwitzen, wie jeder andere aus dem Team. Keine Privilegien. Keine Ausreden mehr. Sie werden bei jedem beschissenen Training pünktlich hier erscheinen und den gleichen Kampf führen, wie alle.“

Ich bin mir sicher, dass hinter diesen Anforderungen eine Art Drohung steht. Der Coach will mich zurück im Team und ich bin bereit das Risiko einzugehen.

Aber bin ich wirklich soweit? Kann ich all dem standhalten? Kopfschmerzen schleichen sich von hinten an und umkreisen mein Gedächtnis. Schwärze bildet sich vor meinem inneren Auge und das Bild von meinem Trainer beginnt zu verschwimmen.

Schlussendlich nicke ich erneut und setze zur Flucht aus Anton Nowikos Büro an.

„Einverstanden!“ ist alles, was ich erwidere.

Keuchend finde ich mich auf einer der unbequemen Holzbänken in der Umkleidekabine wieder.

Wie ein gehetztes Tier hatte ich das Büro von Anton verlassen. Die Übelkeit und der Nebel um meine Gedanken brachten mich um den Verstand.

Ich bin zurück im Spiel. Dieser Gedanke beruhigt mich und gleichzeitig bringt er mein Blut in Wallung. Meine Hände sind schweißnass und ich wische sie, zum gefühlten hundertsten Mal, an meiner Shorts ab.

Als ich höre, dass sich die Tür zu den Umkleiden öffnet, sehe ich auf. Ich hatte gehofft, Collins Gesicht zu erblicken. Das Gesicht, das jedoch in der Tür erscheint, passt mir überhaupt nicht.

Drake mustert mich von Kopf bis Fuß, eher er sich seinem Schließfach zu wendet. Die Stille zwischen uns ist nichts Neues und auch meiner Meinung nach nichts Negatives.

Meine Mutter sagte mir mal: Wenn man nichts nettes über jemanden zu sagen hat, sollte man lieber gar nichts sagen. Diesen Ratschlag beherzige ich bei Drake ganz besonders.

Drake wiederum ist leider jemand, der selten weiß, wann es Zeit ist den Mund zu halten. So auch jetzt.

„Du bist also wieder dabei?“ Er sieht mich nicht an und presst sein Gesicht dabei in ein Handtuch, um sich den Scheiß von der Stirn zu wischen.

„Sieht ganz so aus“, erwidere ich trocken.

Ich denke nicht, dass Drake eine Erklärung verdient hat.

Es ist kein Geheimnis, dass er seit Jahren auf meinen Posten im Team scharf ist. Er kann es nicht leiden im Schatten anderer zu stehen.

Zugegeben, dieser Junge hat Talent. Lediglich das Feingefühl fehlt ihm zum Teamkapitän.

„Ich dachte, du hättest dem Team den Rücken gekehrt.“ Der Unterton in seiner Stimme gefällt mir nicht und ich werde hellhörig. Dies ist kein Gespräch unter Teamkollegen, sondern unter Rivalen.

In der Luft liegt eine gewisse Spannung. Ich erhebe mich und stehe direkt vor Drake. Trotz meiner bedächtigen Größe können wir uns direkt in die Augen sehen.

Sein Blick fixiert mich und ich spanne den Kiefer an.

„Ich gehöre zum Team. Ich weiß, dass ich nicht da war. Aber das wird sich jetzt wieder ändern.“ Meine Aussage bestärkt meine Entscheidung, die ich vorhin in Nowikos Büro beschlossen habe, nur noch mehr. Ein winziges Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.

Jedoch finde ich darin nichts Freundliches.

„Vielleicht solltest du dennoch drüber nachdenken, ob du diesen Posten verdienst. Das Team braucht jemanden, der hinter ihnen steht.“ Ich wende mich von ihm ab. Diese Diskussion endet im Leeren oder gegebenenfalls in einer Prügelei. Ich höre noch, wie Drake tief Luft holt, um nachzulegen. Im gleichen Augenblick öffnet sich jedoch erneut die Kabinentür und Collin steht im Raum.

Misstrauisch mustert er uns beide. Sein Blick bleibt an mir hängen und er reagiert sofort: „Wollen wir jetzt spielen, oder was?“

Ich nicke ihm zu und schenke Drake einen letzten vernichtenden Blick.

Wir werden sehen, wer hier welchen Posten verdient hat.

5. Josephine

Der Schmerz sitzt tief. Doch noch viel tiefer sitzt die Scharm. Es ist bereits drei Tage her, seitdem ich Bryan der Wohnung verwiesen habe. Letztendlich verlief jeder einzelne von ihnen gleich.

Schlafen, aufstehen, weinen, versuchen etwas zu essen, da Lou mich quasi dazu zwang.

Noch am gleichen Abend und wie versprochen stand Lou vor meiner Tür. Sie war ein rettendes Schiff in der Brandung. An diesem Abend redeten wir nicht sonderlich viel. Das brauchten wir auch nicht. Lou verstand sofort, was los war.

Ich öffnete ihr die Tür und fiel ihr um den Hals und weinte. Immer wieder erschütterten mich wilde Schluchzer.

Ich fühlte mich verraten. Allein gelassen und vom Schicksal missbraucht. Lou weicht mir kaum einen Millimeter von der Seite. Sie kümmert sich um mich.

Viel zu oft gab es diese Situation bereits umgekehrt. Viele Männer hatten Lou bereit das Herz gebrochen und ich war immer da gewesen, in jeder Sekunde. Dieses Mal war ich, diejenige, die sie brauchte. Und sie war, wie zu erwarten da. Sie hatte sich darum bemüht mich fürs erste Krank zu melden. Mir etwas Ruhe versprochen.

Doch die Ruhe wurde zu meinem eigenen persönlichen Gefängnis. Die Stille im Bungalow macht mich wahnsinnig. An jeder Ecke lauern die Erinnerungen.

Wundervolle Momente, bei denen ich dachte, dass sie mich und Bryan immer verbunden hatten. Doch diese Verbundenheit war jetzt nur noch ein Haufen Asche. Nichts war mehr übrig. Und das spürte ich. Jede Sekunde.

Ich sitze in einem alten Pyjama auf meinem Sofa, auf dem sich seit Tagen unzählige Decken und Kissen tummeln.

In unserem, nein, in meinem Bett, habe ich es seit dem Abend mit Bryan und Melanie nicht geschafft.

Ich schlafe auf dem Sofa in einem fleckigem Top und der dazu passenden Pyjamashorts, die ebenfalls nicht mehr die Beste und Sauberste ist. Als ich versucht habe meine altbewerten Negligé zu tragen bin ich in Tränen ausgebrochen. Wieder eine schmerzhafte Erinnerung.

Das Klicken der Haustür lässt mich für einen kurzen Moment meinen Blick vom Fernsehbildschirm lösen. Lous Prada Absätze schallen über den Flur.

„Du solltest dich dringend unter die Dusche schleppen, Mäuschen.“ Sie steht mit verschränkten Armen im Türrahmen und rümpft die Nase. Missbilligend sieht sie mich an, während ich mit einem Löffel in einer Müslischüssel herumrühre. Anstatt zu essen spiele ich eher damit herum.

„Du siehst scheiße aus, Josie“, versucht Lou mich erneut wach zu rütteln. „Ich freue mich auch dich zu sehen“, versuche ich zu scherzen. Doch Lou scheint nicht zum Lachen zumute zu sein.

„Hast du das Sofa heute überhaupt schon mal verlassen?“, fragt sie. Kurz denke ich darüber nach und ich schäme mich schon jetzt für die Antwort. Tatsächlich hatte ich das Sofa nur einmal verlassen, und zwar um mir die Schüssel Müsli aus der Küche zu holen. Das war jetzt gerade einmal eine halbe Stunde her.

Ganz langsam schüttle ich den Kopf. Dabei kann ich Lou nicht einmal ansehen. Als ich den Kopf hebe, sehe ich in ihr makelloses Gesicht. Sie sieht mich traurig an und stemmt dabei ihre Hände in die Hüfte.

„Wir müssen dringend an deinem Zustand etwas ändern. Liebeskummer hin oder her. Im Büro fragen sie bereits nach dir.“ Demonstrativ ziehe ich mir die Decke über den Kopf und Lou eine Augenbraue in die Höhe.

„Ab unter die Dusche!“, befiehlt sie und deutet mit dem Daumen in Richtung Badezimmer. Ich seufze und verdrehe die Augen.

„Ins Bad!“, befiehlt sie erneut. Diesmal noch energischer. „Und wenn du wieder da bist, habe ich gute Neuigkeiten für dich“, verkündet sie und setzt ein Lächeln auf, dann nimmt sie mich an die Hand und schleppt mich ins Badezimmer.

Die Dusche tut tatsächlich gut und mit ein bisschen Seife und warmen Wasser fühle ich mich, wie ein ganz neuer Mensch. Mein Kopf dröhnt und meine Brust wiegt noch immer schwer aber das warme wohlige Gefühl auf der Haut hüllt mich in eine Art Trance, die mich Hoffnung schöpfen lässt, dass es besser werden wird.

Wer brauchte schon einen Mann? Es würde immer einen neuen Weg geben. Auch in dieser Situation. Mit neuer Kraft steige ich aus der Dusche und wappne mich auf den Gute-Neuigkeiten-Sturm von Lou.

Als ich zurück ins Wohnzimmer komme strahlt sie mich an und scheint fast noch zufriedener mit mir, als ich selbst.

„Jetzt siehst du wenigstens mal wieder wie ein Mensch aus, meine Liebe“, flötet sie und grinst. Ich lächele zurück und binde mir meine noch feuchten Haare zu einem Dutt zusammen. Meine Muskeln schmerzen und meine Augen brennen leicht von der Anstrengung der letzten Tage. Meinen Pyjama habe ich gegen ein weißes Shirt und eine ebenso bequeme Yogapants eingetauscht.

„Ich fühle mich auch deutlich besser! Also schieß los, was sind den jetzt nun die super Neuigkeiten?“, sage ich etwas euphorischer als notwendig und lasse mich dabei zurück in die weichen Polster meines Sofas fallen. Direkt neben Lou, die in meinem chaotischen Wohnzimmer ziemlich fehl am Platz erscheint. In ihren hohen Prada Pumps, einer engen Lederoptik Jeans und einer cremé farbenen Tunika wirkt sie viel zu schick zwischen den Decken und dem laufenden Fernseher.

Doch ihr schüchternes Lächeln übertrifft einfach alles. Ihre Wangen glühen und zaubern ihr eine niedliche Röte ins Gesicht. Meine Freundin sieht aus als würde sie jeden Augenblick platzen, wenn sie nicht bald ihr Geheimnis preisgibt.

„Während du zu Hause warst und krankes Häschen gespielt hast, habe ich mir die Mühe gemacht und für uns beide gearbeitet“, verkündet sie mit einem triumphierenden Unterton.

Auf diesen Seitenhieb erwidere ich nichts. Schließlich bin ich mehr als dankbar, dass sie mich bei Riley, unserem Boss, so raus geboxt hat.

„Und ich habe dir einen unglaublichen Job an Land gezogen!“ Lou strahlt und die Röte in ihrem Gesicht wird noch intensiver. Sie klimpert mir mit ihren Wimpern entgegen und wartet meine Reaktion ab. Ich kenne meine Freundin gut genug, dass hier etwas faul ist. Also lehne ich mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust.

„Wo ist der Haken, Lou?“ Ich funkle sie wissend an und sie sieht schüchtern zurück.

Dann bricht sie endlich ihr Schweigen: „Ohhh, du bist gemein! Ja, okay, das Ganze hat eventuell einen kleinen Haken.“ „Na los, erzähl schon“, fordere ich sie auf und sie rutscht noch etwas näher an mich heran.

Liebevoll lege ich den Arm um meine Freundin und drücke sie an meine Schulter.

„Ich versuche seit Monaten ein Interview mit Benjamin Nolan zu ergattern“, flüstert sie so niedergeschlagen, dass es mir schon leid tut. „Mit wem?“, frage ich verwirrt und Lou stöhnt auf.

„Ach Niemand. Nur der größte und heißeste Basketballer der Nation.“ Sie tut es als eine Belanglosigkeit ab, aber ich merke anhand ihrer Stimme und ihrer versteiften Haltung, wie wichtig ihr dieser Auftrag ist.

„Also ein Interview mit dem heißesten Typen der Nation? Wo ist das Problem?“ Lou verzieht das Gesicht und beißt sich ungeniert auf der Unterlippe herum.

„Nolan war der beste Spieler, den wir zu bieten hatten. Er spielt seit Jahren für das gleiche Team und trifft jeden Korb“, erklärt sie aufgewühlt.

Ich horche auf. „Er war der beste Spieler? Ist das die große Schlagzeile, die sich Riley wünscht?“ „Nicht direkt. Er hat das Handtuch geschmissen. Einfach so. Kein Statement. Nichts. Nada. Und jetzt kommst du ins Spiel!“, verkündet sie stolz und springt vom Sofa auf.

Wie ein Tiger streift sie auf und ab durch mein Wohnzimmer. So nervös habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Ich verdrehe die Augen.

Es gab einen Grund, warum ich mich nie für die Sportwelt interessiert habe. Ich schreibe ständig irgendwelche Artikel über die High Society. Aber Sportler zähle ich nie dazu. Die meisten sind einfach nur noble Snobs oder Machos.

„Was hat dieser Blödsinn bitte mit mir zu tun?“ Lou wirkt aufgebracht und immer mehr wird mir klar, dass es hier nicht um die Arbeit geht. Die Stimmung droht derartig zu kippen.

„Josie, du musst mir einen Gefallen tun.“ Endlich bleibt Lou stehen und sieht mich an. Ihr Blick ist traurig und ihr ganzer Körper ist angespannt.

Ihr steht dieser Look nicht. So viel ist sicher.

„Riley kam heute auf mich zu. Das Management von Benjamin Nolan hat sich bei uns gemeldet. Nach Monaten. Er will ein Statement abgeben. Ein Gespräch, wo erklärt wird, wie es jetzt weiter geht. Riley sagt, dass das ein riesen Fang für uns wäre. Die Leser würden ausflippen. Nolan spricht mit Niemandem. Keiner weiß so genau, warum jetzt. Das ist unsere Chance!“, sagt sie und lässt die Schultern hängen.

„Aber das ist doch großartig Lou! Riley wird dir zu Füßen liegen mit dieser Story.“ Ich verstehe den Aufreger kein bisschen und Lou macht es mir nicht gerade leicht ihr zu folgen. „Lou, warum freust du dich denn nicht?“, fragte ich und trete vor meine Freundin.

Als Lou aufsieht, sehe ich Tränen in ihren Augen brennen. Ich schlinge meine Arme um sie und drücke sie erneut an mich. „Hey, was ist den los? Wo drückt der Schuhe?“

Lou beginnt zu schluchzen. „Das Interview soll gleich nächste Woche stattfinden. Am Jahrestag von Phil und mir. Wir haben uns in den letzten Tagen unglaublich gestritten und ich wollte, dass es was Besonderes wird. Ich wollte dir das alles nicht so unter die Nase reiben, weil du ja gerade selbst mit dir und Bryan so viel um die Ohren hast.“ Mein Herz wird schwer und ich lächle meine Freundin an. Wie kann man nur so gütig sein?

Ich kenne niemanden, dessen Herz so groß ist, wie ihres. Ich bin ihr mehr als dankbar. „Ach Süße, warum hast du den nichts gesagt? Du hättest doch mit mir reden können. Was ist den mit dir und Phil?“, frage ich sie und ihr Blick wirkt noch gequälter.

„Ich bin mir nicht sicher. Er ist in letzter Zeit so merkwürdig, irgendwie abweisend. Er kommt oft spät nach Hause. Manchmal bleibt er sogar in seinem alten Apartment in der Stadt.“ Lous Körper vibriert mit jedem Wort, das sie sagt, nur noch mehr. Ihr Lippen beben und sie drückt sich an mich. Beruhigend streichle ich ihr den Rücken. „Ich hatte mir für unseren Jahrestag frei nehmen wollen und jetzt kommt Riley mit so einer Nummer um die Ecke. Ich kann diesen Auftrag nicht einfach ausschlagen!“

Behutsam schiebe ich Lou etwas von mir, damit ich ihr ins Gesicht sehen kann. Ihre Wangen sind noch immer tränennass und sie zieht einen Schmollmund.

Dann dämmert es mir. „Du weißt genau, dass ich mit solchen Idioten nichts am Hut haben will! Riley hin oder her!“ „Komm schon Josephine!“, schmollt sie.

Ich muss zugeben, ich hasse es, wenn meine beste Freundin mich mit meinem vollen Namen anspricht. Vor allem, weil ich weiß, wie sehr sie es selbst hasst. Unsere Mütter waren nicht nur im selben Krankenhaus, sondern auch genauso grausam mit ihrer Namensauswahl.

„Du weißt genau, dass ich für sowas nicht geschaffen bin“, protestiere ich weiterhin.

„Josie, ich bitte dich nicht um das siebte Weltwunder sondern nur um diesen einen Artikel für die neue Ausgabe. Dieser Artikel wird uns mehr Geld bringen, als wir ausgeben können!“ Ich verdrehe die Augen und wende mich von Lou ab, die sich die Tränen von der Wange wischt. Ich seufze. Verdammt! Ich bin ihr was schuldig.

„Phil bedeutet dir viel, oder?“, frage ich stattdessen.

Lou holt tief Luft und nickt schlussendlich. Sie war schon immer eine hoffnungslose Romantikerin. Ich kann nicht beurteilen, wie ernst es Phil ist aber der Blick meiner Freundin lässt, mich tatsächlich weich werden. „Okay. Du hast mir in den letzten Tagen den Arsch gerettet. Jetzt rette ich dir den Arsch. Ich werde den Artikel schreiben“, verkünde ich.

„Wirklich?“, quietscht Lou und springt förmlich in meine Arme. „Du bist die Beste Josie!“ Ich lache lauthals.

„Ja, schon klar!“ Ich weiß noch nicht, worauf ich mich da eingelassen habe, aber meiner Karriere wird es mit Sicherheit nicht schaden.

6. Josephine

Ein letztes Mal kontrolliere ich in meinem Handydisplay mein Aussehen. Nicht, dass es wichtig wäre, aber wenn das hier meine einzige Möglichkeit ist einen bleibenden Eindruck für Lou zu machen, dann sollte alles perfekt sein.

Noch dazu sind Sportler nicht unbedingt meine Spezialität. Nicht zum ersten Mal habe ich gehört, dass das Thema Sport für uns Journalisten eine Meisterleistung ist.

Sportler sind oft abgehoben und subtil. Noch dazu ist die meiste Zeit keiner von Ihnen bereit ein Interview zu geben. Umso größer sind die Türen, die ich mir eventuell mit diesem Schachzug öffnen könnte.

Benjamin Nolan ist ein Star. Die Mehrheit seiner Fans war sich wahrscheinlich nicht einmal einig, ob er zuerst das Basketballspielen oder das Laufen lernte. Auf dem Feld war er ein junger Gott. Er traf jeden, wirklich jeden verdammten Korb. Dieser Mann hätte Sportgeschichte schreiben können. Doch jede Medaille hat zwei Seiten.

So auch die von Starspieler Benjamin Nolan. Vor ungefähr Sechs Monaten verschwand er von der Bildfläche. Er war der Auslöser für die Niederlage eines wichtigen Matches der Purple Pirates Boston. Nolan spielt schon lange für die Bostoner Piraten und keiner wusste genau, was an diesem Tag schieflief.

Nach dieser Niederlage sah man den Shooting Guard nicht mehr in der Halle. Ein paar unreife Schlagzeilen zierte das Netz. Ein betrunkener Benjamin Nolan in irgendwelchen dreckigen Bars. Ein Benjamin Nolan, des Paparazzos beschimpfte und bedrohte und zu guter Letzt ein Benjamin Nolan, der sogar einen seiner Teamkollegen nieder prügelte. Kurz gesagt ein gebrochener Mann.

Mehr hatte ich in der kurzen Zeit, die Lou mir gelassen hatte, nicht über den jungen Spieler herausfinden können.

Das Netz war voll von unzähligen Siegeswürfen, Interviews, Fanseiten und Teamfotos.

Aber was geschah verdammt nochmal danach?

Als Journalistin kann mir niemand erzählen, dass es lediglich die Niederlage war, die Nolan zu Fall brachte. Meist sind die Geschichten dahinter viel tiefgründiger. Ein gebrochenes Herz, eine schwere körperliche Verletzung oder einfach nur das Erwachsen werden.

Die anfänglichen Jungs werden zu Männern und natürlich auch zu Proleten. Keiner von diesen Männern konnte wahrscheinlich mit Geld umgehen. Sie waren jung und wild.

Ich mustere ein Bild auf meinem iPhone-Display und muss schmunzeln. Es zeigt Nolan, wie er in seinem Spielertrikot vor einem protzigen Mustang posiert. Ich wette fast drum, dass er den Wagen für einen lächerlichen Preis erworben hat und dass nur weil, er ein Sportler ist.

Normalerweise heißt es immer Vorurteile lenken einen vom eigentlichen Interview ab. Doch in diesem Fall, kann ich einfach nicht anders.

Nolan hatte bisher noch nicht ein Wort mit der Presse gesprochen. Weder über sein plötzliches Verschwinden noch über einen Ausstieg. Warum gerade Lou es geschafft hatte dieses Gespräch klarzumachen war mir ein Rätsel. Lou ist wirklich gut in dem, was sie tut. Aber eine Zauberin ist sie noch lange nicht. Kein Promi wirft sich freiwillig der Presse zum Fraß vor, wenn es nicht wirklich notwendig ist.

„Na, dann wollen wir mal“, versuche ich mich selbst zu motivieren und schwinge gekonnt meine Beine aus meinem Auto.

Der Parkplatz vor dem Hallengelände ist riesig und doch komme ich mir mit meinem Honda wahnsinnig auffällig vor. Überall entdecke ich deutlich modernere und hochwertigere Fahrzeuge. Worunter mein Honda umso mehr auffällt. Lediglich mein sorgfältig ausgewähltes Outfit verschafft mir eine gewisse Zufriedenheit.

Als ich heute Morgen nach einem passenden und professionellen Outfit suchte, entschied ich mich schlussendlich für eine schlichte schwarze Jeans, die meine Beine perfekt betont. Dazu trage ich passende schwarze Pumps und eine beerenfarbene ärmellose Bluse.

Leider gab mein Kleiderschrank nichts Lilafarbenes her. Somit musste ich mich mit der nächstgelegenen Farbe anfreunden. Meine Haare habe ich mir zu einem ordentlichen Knoten hochgesteckt, so dass es keine Strähne wagt mir ins Gesicht zu fallen.