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In dem Roman In unserem Chaos – Grenzen ziehen wir später von Patricia Dohle geht es um eine tragische Liebesgeschichte. Jeder hat es schon einmal erlebt... Freundschaft Ja... Liebe Nein und dann ist auf einmal alles anders. Emily hatte es nie leicht. Erst starb ihr Vater und dann vergewaltigt sie auch noch der Junge, in den sie bis zu den Ohren verliebt war. Hilfesuchend wendet sie sich an ihren besten Freund und Sandkastenkameraden Mason. Doch der erscheint auf einmal in einem ganz anderen Licht. Plötzlich machen seine vollen Lippen sie schwach und seine dunklen Augen lenken sie ab. Was ist nur los mit ihr? Doch als sie endlich herausfindet, was da zwischen Mason und ihr ist, passiert es. Die tragische Katastrophe…
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Seitenzahl: 327
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Patricia Dohle ist eine junge Buchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie im kleinen Landkreis Holzminden.
(Niedersachsen)
Mit Achtzehn veröffentlichte sie ihr erstes Buch.
https://www.facebook.com/PatriciaDAutorin/
Foto: Fischer Foto (Holzminden)
Liebe…
ist im Allgemeinen die Bezeichnung für das höchste Empfinden der Menschheit. Dieses Empfinden beschreibt das Gefühl von größter Zuneigung und Wertschätzung, die wir einem anderen Menschen entgegen bringen können.
Der Erwiderung bedarf sie nicht.
Eine Sandkastenliebe kennt jeder. Jeder kennt dieses dumme Gefasel: Mädchen und Jungen können nicht befreundet sein, und so weiter und so weiter. Jeder kennt die unzähligen Liebesgeschichten, wie aus jahrelanger Freundschaft etwas Magisches entsteht. Meines Erachtens ist das kompletter Blödsinn. Liebe entsteht nicht über Jahre. Sie wächst höchstens daran und zerbricht, wie so vieles im Leben, an der Zeit. Nicht mit ihr. Die Zeit kann bis ins Unendliche reichen, die Liebe nicht. Sie wird nie reichen, um das gesamte Leben mit Freuden und Glück zu füllen. Jeder Mensch macht im Laufe der Zeit Fehler. Fehler, mit denen man leben kann und Fehler mit denen man eben nicht leben kann. Ich habe so einen Fehler begangen und ich bin mir seither nicht mehr sicher, ob das Leben einem überhaupt irgendwas bieten kann. Doch eins verrate ich euch: Fehler müssen nicht immer schlimm sein. Sie verletzen und werden eine Weile, nein besser gesagt für immer, in unseren Köpfen bleiben und doch sind sie ein Teil von uns, der uns ausmacht. Uns zu etwas ganz Besonderem macht und unsere Leben vielleicht nicht immer mit Freude oder Glück füllt, aber zumindest mit Hoffnung. Vor Jahren besaß ich auch so eine Freundschaft. Eine Bindung, die durch alle Zeiten ging und jemanden auf den ich mich immer, und egal zu welcher Tageszeit verlassen konnte. Bis zu dem Tag, an dem die Zeit nicht mehr ausreichte. An dem Tag, wo die Sonne ihren Lauf nahm und für immer unterging. Mason und ich haben viel in den Jahren durchgemacht, haben uns von der Zeit mitreißen lassen, uns hinter Lügen und Ausreden versteckt und doch immer wieder einen Ausweg gefunden bis zum Schluss. Wie ich schon sagte, vielleicht erwartet ihr jetzt eine typische, langweilige und, um ehrlich zu sein, unrealistischeLovestory.Aber diesekann und werde ich euch nicht liefern. Ich habe angefangen zu schreiben, weil ich die Menschen berühren, wach rütteln und nicht belügen wollte. Liebe ist keineswegs einfach und ich wette mit euch, dass niemand so liebt, wie in den unzähligen Romanen, die ich bereits gelesen habe. Hier kommt eine der wahren Definitionen für Liebe. Die Wahrheit über Freundschaft, Liebe und den Tod.
05.02.2015
„Hör auf! Das tut weh du Idiot!“ Ich schubse Mason weg und strecke ihm meine Zunge entgegen und gebe dabei lustige Geräusche von mir. „Ach tut das etwa weh, wenn ich darauf rum drücke?“ Er grinst mich breit an und legt erneut sein Zeigefinger auf die erst gestern frisch tätowierte Stelle. Ich knurre ihn spielerisch an, während er mich durch mein halbes Zimmer jagt. „Du Sadist!“, brülle ich und lasse mich unsanft auf das Bett fallen. Unser Lachen prallt an den kahlen Wänden ab. Alles was ich habe, ist ein Bett mit hunderten von Kissen, eine Kommode, einen kleinen Tisch und einen Fernseher, der so gut wie nie läuft. Das einzige Highlight in meinem Zimmer ist wohl der XXL Bücherschrank, der nach mehreren Jahren Bücher horten, schon so gut wie aus allen Nähten platzt. „Sadist, sagt sie.“ Mason lacht noch lauter und ich falle mit ein. Beide lehnen wir uns in die riesige Kissenfront auf meinem Bett und atmen aus. So unbeschwert ist es selten zwischen uns. So leicht und so vertraut. Diese kleinen Momente liebe ich. Hier muss ich mich nicht verstellen. Mason nimmt mich so, wie ich bin und das jeden gottverdammten Tag. Heute ist es gar nicht mal so schlecht. Wir sind beide gut drauf und albern herum. Das ist nicht immer so. Mason kenne ich eigentlich schon mein ganzes Leben. Er ist eine ganz eigenartige Person. Aber irgendwie eben genauso eigenartig wie ich selbst. Unser Altersunterschied macht uns Beiden nichts aus. Drei Jahre liegen zwischen uns und doch kommt es mir oft so vor, als wären wir keinen einzigen Tag auseinander. „Ja, das sage ich! Meinst du nicht auch?“ und haue ihm ein altes Kissen um die Ohren.
Mason schmeißt sich theatralisch auf die Seite und spielt tot, wie ein Hund, der gerade nichts Besseres zu tun hat, als seinem Herrchen zu gehorchen. „Jetzt tu nicht so!“, sage ich und ziehe einen Schmollmund. Er rollt mit den Augen. Ich gebe es zu… Mason ist etwas ganz Besonderes für mich. Die Zeit soll ja immer angeblich jede Wunde heilen, aber heute möchte ich euch gerne von etwas anderem überzeugen und ich weiß, dass viele von euch dieses Gefühl schon kennen. Liebe ist kein Spielzeug, das sollte jeder beherzigen. Doch Freundschaft ist eine noch viel größere Waffe. Mason und ich sind wie Pech und Schwefel. Nur das bei uns eben noch nicht die Frage geklärt ist, wer was ist. Ich weiß, dass ich in dem Sinne anderer Meinung bin als er. Ich bin das Pech. Eindeutig. Ich war schuld an der ganzen Misere, auch wenn jeder etwas anderes behaupten würde. Das hier ist meine Devise, mein Urteil, meine Geschichte und genau hier fängt sie an. Im Nichts, da wo die Welt einigermaßen gerade stand. Wie ich schon sagte, sind wir Beide nicht ganz normal. Mason sagt immer, wir gehören zu der Art Mensch, die wissen, was Schmerz bedeutet. Wir sind beide vaterlos aufgewachsen. Er durch Dummheit, ich durch Verlust. Ich versuche mir einzureden, Schmerz sei etwas Relatives. Etwas, das man nicht fühlen muss, solange man es verdrängt, ignoriert oder einfach vernachlässigt. Man beginnt mit der Tatsache zu leben. Doch was ist, wenn die Tatsache so scharf vor deinem eigenen Auge erscheint, dass du sie nicht ignorieren kannst, wenn du weißt, dass du gerade das verlierst, was dir am Herzen liegt und du es nicht aufhalten kannst? Verlust kann man in den meisten Fällen nicht aufhalten. Mein Vater starb bei einem Autounfall. Unerwartet. So wie der Schmerz eben auch auftrat. Die Nachricht, dass er noch an Ort und Stelle verstorben war und es gar keine Chance gab ihm irgendwie zu helfen, traf mich mit einer Wucht, die mit dem Aufprall eines Kometen auf die Erde gleich zu stellen war. Der Unterschied ist nur, diese Wucht wäre kurz und schmerzlos. Meine Wucht tauchte immer wieder auf. Die Nachricht war nur der Anfang. Das Begräbnis und die nächtlichen Zusammenbrüche meiner Mutter taten ihr Übriges. Sie überrollten einen mit einer Masse aus Stahl und Beton. Mason war damals derjenige, der versuchte diese Massen zu stoppen und der einige Wunden zur Heilung anregte. Er kannte es, kannte das Gefühl alleine zurückgelassen zu werden. Sein Vater verließ ihn, als er gerade einmal Acht war. Ich kann mich ehrlich gesagt kaum noch daran erinnern je seine ganze Familie gesehen zu haben. Seine Mutter ist ein heikles Thema, das Mason strikt meidet und das respektiere ich. Es gibt nicht viel, was ich in den Jahren gelernt habe, aber eins ist sicher: Verlust und Dummheit lassen sich mit Freundschaft auskurieren. Nicht alles, aber zumindest kann man damit die Wunden verbinden und ruhen lassen, auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Mason war meine Rettung, daran zweifle ich heute kein Stück. Doch genauso weiß ich, dass er mein Untergang war und das wird er auch immer bleiben. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und schmiege mich an. Ich genieße diese kleinen ruhigeren Momente. Selbst die Stille zwischen uns ist nie wirklich unangenehm. Ich kann mich noch ganz genau an die Katastrophe erinnern. Mason lächelt mich an. „Jetzt mal ernsthaft. Tut das so sehr weh?“ Ich muss schmunzeln und mustere den Jungen so, wie er neben mir liegt, von oben bis unten. Alles an ihm ist mir so vertraut. Nichts an ihm stört mich wirklich. Weder seine immer zerzausten Haare noch sein plumper Style in Jogginghose und Shirt mir gegenüber. Alles ist halt einfach so wie eigentlich immer , denke ich mir. „Es geht. Es verheilt langsam und das juckt höllisch.“ Vorsichtig ziehe ich mit dem Zeigefinger die kleine Sternwarte an meiner Wade entlang und presse meinen Finger auf die Zwei winzigen Initialen. Ein schönes Tattoo . Der Schmerz war es wert , zischt es mir durch den Kopf. „Ich finde es cool. Es passt irgendwie zu dir.“ Mason strahlt über das ganze Gesicht. „Vielleicht sollte ich mir auch eins stechen lassen. So eine kleine Hello Kitty auf den Oberarm. Was hältst du davon?“ Die Vorstellung, wie Mason mit so einem leuchtend grell pinken Tattoo rumläuft, versetzt mich in schallendes Gelächter. „Meinst du nicht, ein Regenbogenpony würde dir besser stehen?“ Mason knufft mich mit der Faust leicht in die Seite. Er würde mich niemals verletzen wollen. „Ey, du tolerierst überhaupt nicht meinen Geschmack.“ Spielerisch zieht er die Nase kraus und überschlägt, ziemlich weiblich meiner Meinung nach, die Beine. Ich kann mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Ich gröle schon fast und schmeiße mich auf die Seite und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, um meine grässliches Lachen zu dämpfen. Mühsam unterdrücke ich ein Grunzgeräusch, womit mich Mason sicherlich nur wieder aufziehen würde. „Also ich verstehe gar nicht, was daran so komisch sein soll!“ Jetzt verstellt er auch noch seine Stimme zwei Oktaven höher und mein Magen verkrampft sich. Ich presse meine Hände noch dichter vor mein Gesicht. „Hör auf! Hör auf! Ich kann nicht mehr“, kreische ich. Mein Magen krampft sich noch enger zusammen. Mason hält endlich die Klappe und ich kann mich wieder etwas beruhigen. Ich setze mich auf und merke, wie mir das Gesicht vom Lachen wehtut. „Also falls du mal schwul werden solltest, kann ich dir zu hundert Prozent sagen: Du würdest wahnsinnig gut bei den Männern ankommen, die auf sowas stehen.“ Er grinst mich an, sieht mir aber nicht in die Augen. „Meinst du wirklich? Also ich würde mich ja nicht anbaggern.“ Dass das kompletter Unsinn ist, weiß er jedoch selbst. Mason ist keiner von der Schlechten-Sorte-Mann. Er hat braune Haare und dunkle Augen. Er ist nicht dick, aber auch nicht sonderlich muskulös, eben genau das Mittelding. Seine Wangenknochen schneiden tief in sein Gesicht ein und üben einen perfekten Kontrast zu seinem markanten Kinn aus. Seine einzige Macke ist, dass Mason nicht sonderlich groß ist für einen Jungen in seinem Alter. Er ist gerade mal 1,68m groß. Vielleicht zwei Zentimeter größer als ich. Wenn wir uns gegenüber stehen, können wir uns direkt in die Augen sehen. Auf Partys ist da nichts mit High Heels. Mason fühlt sich dann immer schrecklich und meckert gefühlt den halben Abend nur rum. Wenn er es sich doch anders überlegt und auf die andere Seite des Ufers geht, könnte er demnächst die High Heels tragen anstatt ich , grüble ich, spreche es aber nicht laut aus. Stattdessen schaue ich ihn strafend an und verziehe meine Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Was denn?“, er zuckt unschuldig mit den Schultern. Er weiß genau, was er angestellt hat. „Jetzt tu doch nicht so scheinheilig! Wenn du bei den Männern genauso gut ankommst, wie bei den Frauen, gehe ich demnächst ins Kloster.“ Dramatisch verschlinge ich meine Arme vor der Brust und strafe Mason weiterhin mit Blicken. Er lacht nur schnippisch auf. „Warum willst du denn dann ins Kloster? Die dulden keine Tattoos, noch dazu wollen die, dass du keusch bleibst und jeden Morgen um vier Uhr aufstehst, damit du zu Gott beten kannst.“ Er hebt warnend den Zeigefinger und fuchtelt mir damit vor der Nase herum. „Ja, wenn ich doch sowieso niemanden abbekomme, kann ich auch gleich unter Gottes Angesicht treten und den Männern dieser grausamen Welt verwehrt bleiben.“ Ich setze mich in den Schneidersitz und falte meine Hände, als würde ich beten. „Oh Herr. Ich bringe Schande über dein Haupt, vergib mir meine Sünden.“ Dabei schiele ich zur Decke und sehe nur aus den Augenwinkeln, wie Mason die Augen verdreht. Er schubst mich zur Seite und ich muss wieder kichern. „Ist doch wahr“, sage ich. Wieder drehen sich seine Pupillen. „Rede nicht immer so einen Müll.“ Ich sinke zurück an die Sofalehne und schmunzle vor mich hin. Mason tut es mir gleich. „Glaubst du denn, dass dein neues Tattoo gut bei deinen weiblichen Liebschaften ankommt? Ich mein, Frauen stehen doch auf Hello Kitty und diesen ganzen verniedlichten Scheiß.“ Irgendwie klang die Frage in meinen Ohren etwas zu ernst, zu verachtend. Ich muss zugeben, ja, ich mag Masons Lebensweise in der Hinsicht nicht. Ich verstehe vor allem nicht, wie sich immer wieder die gleichen Frauen auf dieses Hüh-und-Hot-Theater einlassen. Mason führt keine Beziehungen und wenn, keine ehrlichen. Ich vermeide es grundsätzlich mit den Damen, die bei ihm ein und ausgehen, Bekanntschaft zu machen. Ich lasse Mason seinen Spaß. Ich will mir einfach keine Sorgen darum machen müssen, wie verletzt sie im Endeffekt wirklich sind, nachdem er sie abserviert. Ich will nicht wissen, wie viel Hoffnung manchmal in ihren Blicken liegt, wenn sie ihn anhimmeln und beten die Eine zu sein, die seine Meinung ändern können. Und schon gar nicht will ich an eine alte Story denken, die immer noch irgendwie zwischen uns steht. Es sollte mir egal sein, welche Mädchen den Weg in Masons Bett finden. Mason mustert mich. In seinem Blick liegt eine gewisse Abschätzung, als würde er mir nicht über den Weg trauen, dann grinst er und sagt: „Machst du Witze? Einige von denen würden das wahrscheinlich total herzzerreißend finden und es wäre noch einfacher.“ Irgendwie bin ich von Masons Antwort nicht wirklich begeistert. Einen kleinen Moment sticht es in meiner Brust. Doch ich lasse mir nichts anmerken. Stattdessen grinse ich zurück. „Du hast vollkommen Recht.“
14.05.2002
Die Sonne blendet mich und ich muss die Augen zu Schlitzen zusammen kneifen, damit ich überhaupt etwas sehen kann. Wenn das so weiter geht, wird das ein ziemlich harter Sommer. Genug Sonne für Alle. Nur irgendwie nie genug Zeit. Seitdem Masons Vater verschwunden ist, hat er kaum noch Zeit und immer öfters hocke ich alleine an unserer kleinen Stelle unten am Bach. Er denkt sich immer irgendwelche Ausreden aus. Er muss seiner Mutter helfen, er sei krank oder er hat einfach keine Lust. Das Spielen macht nur noch halb so viel Spaß und es wird mit der Zeit langweilig, immer alleine die Füße ins Wasser zu stecken. So auch heute. Die Sonne neigt sich langsam über den Horizont, doch trotzdem ist es immer noch warm. Ich liege im Gras, die Füße über den Rand des Bachufers, und summe vor mich hin. Ich hasse die Stille. Normalerweise wäre Mason jetzt hier, doch heute meinte er, er hätte keine Lust. Ich habe bestimmt zwanzigmal einen Kieselstein an sein Fenster geworfen, bis er endlich reagiert hat. Seine Augen waren rot. Ich habe ihn gefragt, ob er geweint hätte und er meinte nur, das sei etwas für kleine Kinder, nicht für ihn. In letzter Zeit ist Mason immer merkwürdiger geworden. Ob das wohl daran liegt, dass es seiner Mutter so schlecht geht? Ich darf ihn jetzt auch viel seltener besuchen. Meine Mum sagt immer, ich solle Mason etwas Ruhe gönnen. Nur verstehe ich nicht wovor. Sein Vater ist verschwunden oder zumindest nur für eine Weile verreist, ich weiß es nicht genau. Aber das ist noch lange kein Grund, nicht mehr zu unseren Verabredungen zu kommen. Irgendwie macht mich das sauer. Trotz des schönen Wetters und der kühlen Brise habe ich schlechte Laune. Ich mag keine schlechte Laune. Mein Vater sagt immer, ich sei eine richtige Zicke. Das bin ich gar nicht! Ich höre die Vögel zwitschern und frage mich, was sie wohl zu erzählen haben. Vielleicht wissen sie, wovor Mason Ruhe braucht. Dann höre ich es: dumpfe Schritte, die sich auf den kleinen Abhang zu bewegen. Ich kenne diese Schritte ganz genau und sofort springe ich auf. „Mason!“ Er sieht immer noch etwas traurig aus, auch wenn die Schwellung um seine Augen schon etwas verblasst ist. Ungeduldig, bis er endlich bei mir angekommen ist, renne ich ihm entgegen. Erst kurz vor ihm komme ich zum Stehen. „Du bist ja doch noch gekommen“, strahle ich ihn an. Er hat die Hände in seiner viel zu langen Jeans gesteckt und zuckt nur mit den Schultern und murmelt: „Sieht wohl so aus.“ „Das freut mich.“ Und das tut es wirklich. Er räuspert sich kurz, ehe er wieder etwas sagt. „Wie lange sitzt du schon hier unten so ganz alleine?“ Kurz überlege ich und schau hoch zum Himmel. Mason weiß, dass ich Schwierigkeiten mit der Uhrzeit habe und will mich nur ärgern. Wenn ich jetzt nur mit einem „Ich weiß es nicht“ antworte, wird er lächeln, das weiß ich. Er findet es lustig, dass ich schon bald in die Schule komme und noch immer nicht sagen kann, wie spät es ist, wenn der große Zeiger seine Vollen erreicht. Ich wiederum finde es ziemlich unwichtig, zu wissen wie lange man draußen ist. Eigentlich kann man immer draußen sein. Ob morgens, mittags, abends oder nachts. Nur meine Eltern sehen das leider völlig anders. Sie verstehen einfach nicht, wie wunderschön es ist sich nachts diese riesige, dunkle Kristallkugel anzusehen. Auf der hunderte, ja vielleicht sogar tausende Glühwürmchen festhängen. Sie ignorieren es einfach oder haben es wohl schon zu oft gesehen. Doch ich möchte all das irgendwann verstehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich nachts aus meinem Bett schleiche, hinunter ins Wohnzimmer zu dem großen Fenster, um mir die vielen leuchtenden Sterne anzusehen. Mason erzähle ich oft davon und irgendwann können wir uns das Ganze auch von draußen ansehen, dort wo uns keine dicke Fensterscheibe an der Sicht hindert. Dann wenn unsere Eltern uns nicht mehr um 20:00 Uhr ins Bett schicken. Das haben wir uns fest vorgenommen. Statt dem Üblichen „Ich weiß es nicht“, entgegne ich also ein kleinlautes: „Schon eine Weile“. Und verschränke meine Finger auf dem Rücken. Mason verdreht die Augen. „Emily du kannst nicht immer einfach zu Hause abhauen. Deine Mum macht sich große Sorgen. Du kannst von Glück reden, dass ich dich gefunden habe. Hätte ich ihr sagen müssen, dass du eben nicht hier bist, wäre sie wahrscheinlich umgefallen vor Sorge.“ Sein Blick ist weich und doch steckt etwas Ernstes dahinter. Irgendwie macht mich die Erkenntnis traurig, dass er nur wegen Mum hier ist. Er hätte meinetwegen hierher kommen sollen. Zum spielen, nicht als großer Aufpasser. „Mum weiß, wo ich bin“, fauche ich und drehe mich auf dem Absatz um und laufe los, zurück zum Bach. „Emily!“, brüllt Mason hinterher. Ich brauche keinen Babysitter mehr! Das weiß Mason genau! Wütend klettere ich zurück über den winzigen Hügel zu meinen Schuhen. Gerade als ich nach ihnen greifen will, um damit nach Hause zu laufen, weg vor Mason, holt er mich ein und packt mich am Handgelenk. „Lass mich los!“, quieke ich und versuche mich loszureißen. Bei Masons festem Griff tut das ziemlich weh und Tränen schießen mir in die Augen. „Mason lass mich los!“, sage ich ein zweites Mal. „Emily, ich lasse dich nicht los“, sagt er und ich höre auf zu zappeln. Ich schaue ihn durch den Tränenschleier hindurch an. „Du hast nie Lust raus zu kommen. Du magst mich nicht mehr!“, schluchze ich. Mason starrt mich entgeistert an, dann lacht er. „Das glaubst du?“ Er sieht aus, als würde er jeden Moment in grölendes Gelächter ausbrechen und mir ist zum Weinen zumute. Ganz toll. Wütend stampfe ich mit dem Fuß auf. „Hör sofort auf zu lachen Mason!“ Augenblicklich verstummt er und zieht mich zu sich. „Komm her.“ Bockig beuge ich mich zu ihm. „Näher! Du Ziege.“ „Ich bin keine Ziege!“ Er zieht mich noch ein Stück näher und streckt mir seine Hand entgegen. Seine Finger sind zu einer Faust geballt. Nur der Daumen und der kleine Finger sind weit von der Handfläche abgespreizt, wie eine Art imaginäres Telefon. Er grinst. „Freunde für immer. Schon vergessen?“ Meine Wut verraucht in Sekunden. Doch so schnell kriegt er mich nicht. Ich drehe mich weg und verschränke die Arme vor der Brust. „Schwörst du es?“, sage ich arrogant und kann das Grinsen auf seinem Gesicht förmlich hören. „Ja ich schwöre es Emily.“ Einen Moment lasse ich ihn noch zappeln, ehe ich mich umdrehe und ihm um den Hals falle. Überrumpelt fallen wir ins Gras und verfallen in lautes Gelächter. Der Boden riecht nach Erde und frischem Gras und zusammen mit Mason ist es eben genau dieses wundervolle Gefühl, das mich durchströmt. Ich quieke drauf los, als Mason seine Finger an meinen Bauch legt und anfängt mich auszukitzeln. „Mason lass das!“, brülle ich und fange immer wieder das an zu lachen. Doch er hört nicht auf. „Ergibst du dich?“ Ich werfe die Hände in die Luft und unterwerfe mich dem Gefühl, gleich keine Luft mehr zu bekommen vor lachen. „Ja! Ja! Ich ergebe mich.“ Augenblicklich nimmt er seine Finger von meinem Bauch und ich schnappe nach Luft. Ich setze mich auf und halte noch immer meinen Bauch mit meinen gespreizten Fingern fest, während ich meine Beine von mir strecke. „Das war nicht nett!“, schnaube ich und ziehe einen Schmollmund. Mason lächelt. „Na und?“ Ich schubse ihn leicht zur Seite, er verliert das Gleichgewicht und taumelt zurück ins Gras. So mag ich Mason. So ausgelassen, nicht so ernst. „Wir sollten langsam wirklich nach Hause gehen. Deine Mutter tötet mich wahrscheinlich, wenn ich dich nicht bald zu ihr zurück bringe.“ Ich lege den Kopf schräg und ziehe noch immer den kläglichen Schmollmund. „Na komm schon!“ Widerwillig stemme ich mich auf meine kurzen Beine. Mason setzt schon zum Gehen an, ehe ich ihn aufhalten kann. „Warte!“ Er dreht sich um und mustert mich. Trotzig wische ich mir übers Gesicht und mache einen Schritt auf ihn zu, dann nehme ich seine Hand und verkeile unsere beiden kleinen Finger. „Freunde für immer“, sage ich und lächle ihn an. Die Sonne blendet mich und ich nehme sein schwaches Lächeln kaum wahr, als er unsere Finger noch enger aneinander drückt, den Fingerschwur noch etwas fester zieht, ehe er nochmals wiederholt: „Freunde für immer.“
29.11.2012 – 30.11.2012
Wenn ihr schon einmal einen geliebten Menschen verloren habt, wisst ihr sicherlich, wie das ist. Ihr wisst, wie unendlich dieser Schmerz reichen kann. Ihr kennt die Angewohnheiten, die man entwickeln kann. Man fragt sich ständig, was wäre gewesen, wenn… und man wird niemals eine Antwort darauf bekommen. Manche Leute schotten sich dann ab, verkriechen sich in ihren Bettritzen und kommen erst Jahre später wieder zum Vorschein. Andere wiederum wandeln ihre Trauer in Wut um und lassen sie bei jeder Gelegenheit heraus. Wiederum andere leben einfach weiter mit einer gewissen Leere in sich und suchen verzweifelt den Korken, der zumindest zur Hälfte das klaffende Loch in ihrer Brust stopfen kann. Ich denke, ich hatte von allem ein bisschen was. Es ist ein Abend wie jeder andere auch. So ist es doch immer, nichts Ungewöhnliches. Ich habe die Tür zu meinem Zimmer verbarrikadiert und versuche den Streit meiner Eltern im nahe liegenden Wohnzimmer zu verdrängen. Es genügt mir, das Bild bereits vor Augen zu haben, wie meine Mutter von links nach rechts durchs Zimmer stakst und dabei energisch das Telefon anschreit, während mein Vater am anderen Ende der Leitung, in seinem Büro sitzt, die Ellenbogen auf den Schreibtisch abgestützt und sich genervt die bereits mit Falten übersäte Stirn reibt. Es ist bereits spät, aber noch früh für meinen Vater. Seit Neustem verbrachte er die Abende alleine in seinem viel zu kleinen Büro mit chinesischem Essen und seiner Sekretärin, während seine Familie, die aus meiner Mutter und mir besteht, nur um ihn an dieser Stelle noch einmal daran zu erinnern, gemütlich zu Abend essen. Mich stört das nur wenig. In den ersten Tagen war ich sehr verwundert und zugleich auch etwas enttäuscht. Doch umso öfters dieser Ablauf seinen Lauf nahm, umso ignoranter wurde ich. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Er ist generell kaum noch daheim. Er vernachlässigt nicht nur unsere Familie, sondern auch seine Hobbys und Freunde und das macht mich wütend. Ich bin ständig wütend und das verstecke ich keineswegs. Ich bin ein trotziges Kind, so wie eigentlich alle 15-jährigen Mädchen. Ich setze meine Kopfhörer auf und drehe die Lautstärke auf die höchste Stufe. Böse klingende Gitarrensounds begleitet von dröhnenden Schlagzeugrhythmen durchfluten meine Ohren und lassen die Spannung in meinem restlichen Körper verhallen. Rock-Musik inspiriert mich irgendwie. Erleichtert, dass endlich der Lärm aus meinen Kopfhörern das Geschrei aus dem Wohnzimmer übertönt, lehne ich mich zurück auf mein Bett und starre an die Decke. Eine weiße Fläche, die mir Platz zum Denken gibt. Eine saubere Leinwand quasi. In Gedanken male ich mir aus, wie schön es jetzt sein könnte, die Füße im weißen Strand, vor mir das Meer und über mir nichts als Schwärze. Ein Himmel aus purem Schwarz versetzt mit winzigen kleinen, funkelnden Perlen und der Leadsänger schreit mir ins Ohr „And in the dark the paradise screams my name. Be my hero tonight. I am alive…“ Ich schließe die Augen und atme tief durch. „I am fucking alive…“ Ein ungewohntes Piepsen reißt mich aus meiner Trance und lässt mich hochfahren. Ich starre auf mein Handydisplay. Eine neue Nachricht prangt leuchtend auf der Vorderseite meines Handybildschirms. Ich tippe das kleine Briefsymbol an und meine Musik verschwindet für einen Moment im Hintergrund. Es ist Mason. Klar, wer den auch sonst? Isabell und Vicky, meine besten Freundinnen, wenn ich mal nicht gerade mit Mason zusammen hocke, sind beide für ein paar Tage mit ihren Eltern verreist und kommen erst am Montag wieder. Isabell sitzt derzeit in Italien und schlägt sich den Bauch mit hausgemachter Pasta voll und Vicky genießt die Sonne am Strand von Lloret de Mar und zeigt der Welt ihre Kurven. Eigentlich sind sie beide ganz untypische Mädchen genau wie ich. Sie schicken mir selten SMS und rufen mich auch so gut wie nie an. Ich hasse endlose Telefonate über die letzte Shoppingtour oder den süßen neuen Nachbarn von Vicky. Vicky ist generell eine gespaltene Persönlichkeit. Sie ist ein Jahr älter als ich, sieht aber dafür auch schon drei Jahre älter aus. Sie ist meiner Meinung nach wirklich hübsch. Ihr langes, blondes Haar reicht ihr bis zur Taille und umrandet ihre blauen Augen. Außer Haar- und Augenfarbe haben wir jedoch äußerlich so gar nichts gemeinsam. Sie ist wirklich immer, selbst im eisigen Winter, braungebrannt und versprüht einen angenehmen Duft von frischen Gras und Douglas . Sie gehört jedoch nicht zu diesen Magermodellen von Victoria Secret , ihre Hüften sind üppig, genau wie ihr Busen. Ihr Hintern gleicht eher einem etwas zu prallen Apfel als einer Birne und trotzdem kommt sie immer noch besser bei den Jungs an als ich. Vicky erzählt ständig davon, mit was für Typen sie schon was hatte und, um ehrlich zu sein, drückt sich hin und wieder etwas der Neid bei mir durch. Mason ist quasi der einzige Junge der mein Zimmer je betreten hat und leider muss ich gestehen, dass ich glaube, dass das noch eine ganze Weile so bleiben wird. Vicky zieht mich ständig damit auf, macht mir Vorwürfe, warum zwischen Mason und mir nicht schon längst was gelaufen ist. Meine Antwort bleibt immer dieselbe. Wir sind Freunde, nichts weiter. Ich kenne Mason schon mein Leben lang. Ich wüsste nun wirklich nicht, was er in meinem Bett verloren hätte. Noch dazu trennen uns immerhin drei Jahre voneinander und Mason hatte bereits haufenweise Mädchen. All die kleinen, hübschen, blasierten Dinger, die eigentlich nur ihre große Liebe suchen und schlussendlich, dann doch nur in verschiedenen Betten an mehreren Wochenenden landen. So will ich niemals werden, das habe ich mir geschworen! Mit Fünfzehn muss ich, meiner Meinung nach, nur in einem Bett liegen und das ist mein eigenes. Mason findet meine Ansichten lustig, was das betrifft. Er und Vicky ähneln sich in dem Punkt wirklich. Vielleicht ist das der Grund, warum ich sie trotz all der Sticheleien ins Herz geschlossen habe. Isabell ist da dann doch wiederum das komplette Gegenteil. Für ein Mädchen ist sie ein winziges Stück zu groß geraten und sticht, dank ihrer langen Beine, immer in der Menge heraus. Sie ist größer als so mancher Junge in der Oberstufe und betont ihre Beine die meiste Zeit natürlich noch mit einer engen Röhrenjeans. Ihre dunkelbraunen Haare sind circa schulterlang und hängen ihr immer wie wild im Gesicht herum. Sie ist deutlich schlanker als Vicky und ich und würde wahrschlich auch in Jogginghose oder Blaumann sexy aussehen. Und zwischen diesen beiden Geschöpfen komme dann ich. 1,65m groß, dunkelblond, frech und aufmüpfig. Nichts was Jungs so wirklich attraktiv finden. Ich glaube, mein einziger Bonus, ist es, dass ich dank Mason total auf Videospiele abfahre. So kommt man zumindest mit Jungs ins Gespräch. Doch seien wir mal ehrlich, welcher Junge steht auf ein Mädchen, das im Schlabber-Look stundenlang vor der Konsole hängt und Metal hört? Und genau da kommt Mason ins Spiel. Er ist der Einzige, der all diese Macken an mir toleriert, aber eben nur als Freund. Für alles andere ist Mason viel zu sehr damit beschäftigt sich mit anderen älteren und reiferen Frauen zu amüsieren. Was kann ich ihm denn schon bieten? Zugegeben an Verständigung und Redebedarf mangelt es bei uns nicht, doch ich bezweifle, dass Mason eine Beziehung sucht in der man Stunde um Stunde auf dem Sofa kopfüber mit den Füßen zur Decke über alles Mögliche redet. Männer wollen einfach mehr als das. Das habe ich selbst mit meinen fast fünfzehn Jahren begriffen und das ist einer der Gründe, warum ich mich von Männern fernhalte. Sex ist das Zauberwort, nachdem alle Jungs in meinem Alter suchen und dafür bin ich noch nicht bereit. Alle haben es schon einmal getan, nur eben halt ich noch nicht. Ein weiterer Punkt auf der Liste von Vickys Sticheleien und wahrscheinlich genauso gut ein Punkt auf meiner Liste, Neid gegenüber meinen Freundinnen zu empfinden. Meine Mutter sagt immer: „Der Richtige wird kommen.“ Ja vielleicht hat sie damit ja auch Recht. Schließlich ist sie nicht umsonst Mutter und doch zweifle ich irgendwie an ihrer Theorie. Woher zum Teufel soll man wissen, wer der „Richtige“ ist? Ich habe noch niemanden in meiner Schule getroffen mit einem riesigen Umhängeschild oder Leuchttafeln um den Hals, wo mit großen Buchstaben drauf steht: „Ich bin der Eine!“ und mal davon abgesehen, dass so was wahrscheinlich total bescheuert aussehen würde, bin ich der Meinung, dass es solche Schilder nicht gibt. Vielleicht versprüht ja „Der Eine“ einen ganz bestimmten Geruch oder es umgibt ihn eine Art Aura, die normale Menschen erkennen sollten. Nur dass ich eben zu blöd bin es zu bemerken. Vielleicht kommt daher die Redewendung „Eine rosa-rote Brille tragen“. Es würde zumindest so einiges erklären. Obwohl mir ja bei so einigen Jungs in meiner Klasse schon ziemlich merkwürdige Gerüche aufgefallen sind, auch wenn nichts wirklich Angenehmes dabei war. Moritz in meiner Klasse müffelt zum Beispiel ständig nach Schweiß und Thunfisch. Frederik wiederum zieht eine riesige Wolke Playboy -Parfüm hinter sich her, wenn er durch die Gänge huscht. Ich mag weder Fisch noch anzügliche Klatschmagazine. Ich glaube, es gibt nur einen Jungen in meiner Umgebung, der meinen Kreislauf und meine Gedanken komplett durcheinander schmeißt. Jace Frair. Jace ist ein Junge aus der Oberstufe und für jemanden wie mich natürlich unerreichbar. Er bringt meine Welt einfach jedes Mal, wenn ich ihn sehe, aus dem Gleichgewicht.
Erst gestern bin ich fast gegen eine offen stehende Tür gerannt und das ausgerechnet genau vor seinen Augen. Schlimmer geht es nimmer! Ich war viel zu vertieft in das Gespräch zwischen ihm und der hübschen Rothaarigen aus seiner Stufe. Ich hasse sie einfach. Ich hasse es, wie sie ihn ansieht und ich hasse es, wie nah sie ihm immer kommt und ich hasse es, dass ich nur eine kleine Mittelstufengängerin bin und er mich wahrscheinlich gar nicht wahrnimmt. Nur gestern, da hat er mich wahrgenommen, dessen bin ich mir ziemlich bewusst. Ich starrte die Beiden quasi fassungslos an, während das rote Mädchen Jace Hand hielt und ihm etwas ins Ohr flüsterte, woraufhin er zu lachen anfing. Was hatte sie nur zu ihm gesagt? Was fand er so lustig, dass er seine weißen, makellosen Zähne und sein schönes Lächeln zeigen musste? Auf jeden Fall übersah ich im Eifer des Gefechts die Lehrerzimmertür, die vor mir sperrangelweit offen stand, weil Mr. Wiez irgendwelche Kartons mit Büchern von A nach B schleppte. Während also Vicky und Isabell einen großen Bogen um die Tür machten, gab es bei mir einen lauten Knall, der durch den gesamten Flur hallte. Die Vögel, die mir um den Kopf schwirrten, tschilpten fröhlich ihr schadenfrohes Lied und sämtliche Schüler im Gang 3A fielen in grölendes Gelächter. Nur Isabell und Vicky starrten mich ungläubig an und natürlich Jace, da trafen sich unsere Blicke. Genau in diesem Moment und ich spürte förmlich, wie sich eine heiße Woge aus Verlegenheit und Scheu über meine Wangen zog und sie knallrot färbten, während Jace krampfhaft versuchte ein Lachen zu unterdrücken. „Alles okay Em?“, fragte Vicky und beugte sich zu mir runter ehe ich meinen Blick von Jace reißen konnte. „Ja alles bestens.“ Ich sprang zurück auf meine Beine und folgte den Beiden mit schnellen Schritten, um die nächste Ecke um der peinlichen Szenerie und Jace zu entkommen. Ich strich mir mit der flachen Hand über die Stirn und spürte bereits die Beule, die sich dort gebildet hatte. Hoffentlich wird das nicht auch noch blau , dachte ich, das kann ich unmöglich alles überschminken. Mum bringt mich um , huscht es mir durch den Kopf. Isabell hatte mir eine Hand auf die Schulter gelegt. „Wirklich alles okay bei dir?“ Ich wollte in dem Moment auf diese Frage keine Antwort geben. Ich zischte einfach drauf los. „So ein Idiot! Warum steht er auch da so dumm rum!“ Vicky und Isabell wechselten einen Blick. „Du meinst Jace?“, fragte Vicky ungläubig, dass ich das wirklich so gesagt hatte. „Er mit seinen dummen Büchern.“ Ich schaute auf und blickte in fragende Gesichter, bis die Frage endlich zu mir durchgedrungen ist. „Was? Hä? Nein! Nicht Jace. Mr. Wiez zum Teufel!“ Ihre Gesichter hellten sich auf und Vicky verdrehte nur die Augen. „Ich habe mich total blamiert!“ Ich möchte schreien oder besser noch gleich losweinen, aber das bringt mich jetzt auch nicht mehr weiter. Isabell schaut mich liebevoll an: „So schlimm war es jetzt auch wieder nicht. Jedem ist hier schon mal was Peinliches passiert und er hat bestimmt nicht mal bemerkt, dass du ihn angesehen hast.“ Vicky lacht auf. „Stimmt, weil er viel zu beschäftigt war mit seiner Fuchskönigin.“ Autsch . Der hat gesessen. Doch Vicky hat leider Recht. Ich seufzte und schiebe meine Tasche, die mir seit meinem Auftritt nur noch halb auf der Schulter hängt, zurecht. Doch Vicky ignoriert mein deprimiertes Getue und hakt sich schnell bei mir unter. „So zuerst sollten, wir deine Orientierung wieder besser in den Griff bekommen, dann färben wir dir die Haare rot, du wächst noch gute fünf Zentimeter und Izzy und ich kaufen dir zum Geburtstag ein paar schöne knappe Höschen.“ Wir Mädels fingen an zu lachen und ich versuchte meinen Auftritt schnellstmöglich wieder zu vergessen und vor allem Jace Gesicht.
Mein Display strahlt mir immer noch hell ins Gesicht. Mason ist zwar kein großer Freund von langen nächtlichen Telefonaten aber hin und wieder bekomme ich trotzdem eine SMS. Ich klicke also weiter oben auf Masons Namen. „ Alles okay bei dir Honey?“, lese ich. Ein kleines Lächeln schiebt sich auf meine Mundwinkel. Honey nennt mich Mason nur, wenn er sich wirklich Sorgen um mich macht oder er ein schlechtes Gewissen hat. Ich habe mich seit gestern Morgen nicht mehr bei Mason gemeldet und habe sämtliche SMS von ihm gelesen aber ignoriert. Nicht etwa, weil ich sauer auf ihn war, nein einfach nur, weil ich keine Lust hatte zu schreiben. Nach meiner peinlichen Debatte mit Jace wollte ich nun wirklich nicht mit Mason darüber diskutieren. Er hasst Jace und generell redet Mason nicht gerne über andere Jungs. Ich denke, Mason interessiert sich viel lieber für sich selbst und natürlich für die weiblichen Geschöpfe dieser Erde als für irgendwelche Jungs, die ihm am besten auch noch Konkurrenz machen könnten. Ich kann jetzt schon förmlich seine Stimme in meinem Ohr hören: „Was interessiert es dich überhaupt, was die rothaarige mit ihm zu tun hat? War sie wenigstens heiß?“ oder so etwas wie „Du bist echt vor eine Tür gelaufen? Wegen einem Typen, der dich ohne deine peinlichen Aktionen gar nicht bemerkt hätte? Nicht dein Ernst!“ Und dann würde er lachen, aber das Problem an der ganzen Geschichte wäre, dass es kein freundschaftliches Lachen wäre so wie Vicky das immer macht. Bei Mason hat dieses Lachen immer einen hämischen Unterton und das verletzt mich. Er tut das ständig bei all seinen Leuten in der Umgebung. Ich meine, versteht mich nicht falsch, ich bin ein Mensch, der total auf Ehrlichkeit steht, aber es gibt Momente, in denen man seine Ehrlichkeit auch ein kleines bisschen im Zaum halten sollte und ich denke, das es bei Mason genau an diesen Momenten fehlt. Trotz meiner Bedenken beginne ich auf den kleinen Tasten endlich Mason zu antworten. Ja, alles Bestens und bei dir? Wie war dein Tag? Hier ist etwas dicke Luft. Zufrieden klicke ich auf Senden und lausche weiter der Musik auf meinen Ohren. Behalte aber den Blick neugierig auf meinem Handy und es dauert auch nicht lange, bis Mason antwortet . Echt? Warum dicke Luft? Dein Dad? Ich merke, wie er meine restlichen Fragen ignoriert. Er hat sich wirklich Sorgen um mich gemacht, eben wie ein großer Bruder. Ich beginne zu tippen . Ja ich glaube schon.Er ist noch… ein lauter Knall lässt mich zusammen zucken und mir fällt mein Handy fast aus der Hand. Ich halte inne und ziehe meine Kopfhörer von meinen Ohren. Ich lasse mein Handy auf meinen Nachtisch sinken und springe vom Bett. „Mum?“, rufe ich in Richtung Tür. Doch keine Antwort. Ich strecke meinen Kopf aus meinem Zimmer und sehe mich um. Nichts zu sehen. Vorsichtig husche ich vom Flur in die Küche. Immer noch nichts zu sehen. Von der Küche aus tapere ich zum Wohnzimmer. Die Tür ist verschlossen und ich überlege, ob das vielleicht der laute Knall war. Immer wenn meine Mutter etwas aufgewühlter ist, knallt sie nämlich unheimlich gerne mit Türen oder schmeißt auch gerne mit Gegenständen um sich. Zum Glück ist dabei noch Niemand zu Schaden gekommen, außer eventuell mein Vater, der es ja auch in gewisser Masen verdient hat, nehme ich mal an. Ich taste mich weiter vor und stoße die Wohnzimmertür auf und entdecke meine Mutter, die wie ein aufgebrachtes Huhn tatsächlich von links nach rechts läuft, nur eben mittlerweile ohne Telefon am Ohr. Stattdessen grummelt sie irgendwelche unverständlichen Wörter vor sich hin und scheint mich gar nicht zu beachten. Ich lasse meinen Blick kurz durch den Raum schweifen, um zu kontrollieren, ob alle Gegenstände heile geblieben sind. Bis auf das Haustelefon, was meine Mutter wohl liederlich auf den Wohnzimmertisch hat fallen lassen, kann ich keinen Schaden feststellen, also wage ich mich langsam einen Schritt vorwärts. „Mum? Alles okay?“ Ihr Kopf schnellt hoch in meine Richtung. Ihre Augen sehen müde und trüb aus. Ein Zeichen längerer Nächte ohne Schlaf und Ruhe. „Ja, klar alles gut Maus. Ich hab mich nur etwas mit Papa gestritten. Alles gut.“ Wirklich glaubwürdig klingt es nicht und doch zucke ich nur mit den Achseln. „Es ist nur so, dass mir das Ganze langsam den letzten Nerv raubt.“ Sie lässt sich gedankenverloren auf das Sofa fallen, das unter ihrem Gewicht etwas nachgibt. Eigentlich habe ich keine Lust auf tiefsinnige Gespräche und doch bewege ich mich zu ihr und lasse mich neben sie fallen. Irgendwie tut sie mir leid, auch wenn ich das nicht wirklich zugeben will. Ich will nicht diskutieren und auch nicht ihr Klagelied mit anhören, aber irgendwas lässt mich bei ihr bleiben. Ich weiß, dass sie mich jetzt gerade braucht. Behutsam lege ich ihr eine Hand auf den Rücken. „Ich weiß Mama“, flüstere ich schon fast. Sie sieht mich an, als würde sie jeden Moment los weinen, doch dann bildet sich ein winziges Lächeln auf ihren Lippen. „Wenn ich dich nicht hätte.“ Vorsichtig beugt sie sich vor und drückt mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. Ich lächle zurück. „Du solltest langsam ins Bett. Es ist schon spät und du musst morgen zur Schule.“ Ich verdrehe die Augen. Sind Mütter eigentlich dazu verpflichtet so was zu sagen, wenn sie kurz vorm Weinen sind? Oder soll das so eine Art Siehst-Du-ich-bin-trotzdem-eine-gute-Mutter-Tour sein? So genau will ich darüber gar nicht nachdenken und ehe wir doch noch in eine Diskussion geraten, stehe ich auf und schleife mich zurück in mein Zimmer. An der Tür bleibe ich noch einmal kurz stehen. „Ich hab dich lieb Mama“, sage ich und sehe, wie es ihr gut tut. „Ich dich auch mein Schatz. Schlaf gut“, sagt sie mit immer noch den gleichen müden Augen. Zurück in meinem Zimmer schwinge ich mich zurück aufs Bett und lehne mich wieder dem Kissen an der Wand entgegen. Mein Blick wandert kurz zu meinem Wecker. 21:56. Ich verdrehe wieder die Augen, auch wenn es niemand sieht. Es ist wirklich schon spät. Genervt schiebe ich die Decke unter meinen Beinen weg, um mich damit zuzudecken. Das Kissen drücke ich mit meinem gesamten Gewicht in Richtung Matratze. Nachdem ich endlich bequem liege, greife ich nach meinem Handy und sehe immer noch die angefangene Nachricht, die an Mason gehen sollte. Ich lösche meinen angefangenen Text und beginne einen neuen zu schreiben. Nein alles gut mach dir keine Sorgen. Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht. Ich schicke das Ganze ab, lege mein Handy zurück auf den Nachttisch und drehe mich um. Erst jetzt merke ich, wie müde ich eigentlich selbst bin und schließe die Augen. Kurz darauf schlafe ich ein…
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