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Zwei Wochen mit Nick Devlin im Tropenparadies! Mirandas Herz klopft wild. Doch schon einmal hat der attraktive Doc sie nach nur einer Liebesnacht eiskalt abserviert. Diesmal muss sie ihm widerstehen! Nur wie, wenn plötzlich jeder Blick ein zärtliches Versprechen ist?
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Seitenzahl: 191
IMPRESSUM
Dein Blick verspricht so viel erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2008 by Lilian Darcy Originaltitel: „A Proposal Worth Waiting For“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBENBand 88 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733734657
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Die Tür zu Joshs Krankenzimmer stand offen. Als er sah, wer bei seinem Sohn war, wich Nick hastig einen Schritt zurück.
Miranda Carlisle.
Vor acht Jahren hatten sie sich zuletzt gesehen, und nicht nur das gemeinsame Medizinstudium lag eine halbe Ewigkeit zurück, sondern inzwischen war er mit Anna verheiratet.
Aber meine Ehe steht auf der Kippe …
Nick verdrängte den Gedanken. Er hörte Anna reden, die bei Josh am Bett saß. Sie stellte bohrende, besorgte Fragen, und Miranda beantwortete sie freundlich und geduldig. Nick bezweifelte jedoch, dass sie Anna auf Dauer beruhigen konnte.
Halb verborgen hinter der Tür sah er, wie Miranda sich über Joshs Krankenkarte beugte und etwas notierte. Wie damals trug sie das seidige honigbraune Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, was ihren schlanken Hals betonte und ihr eine bezaubernde jugendliche Frische verlieh. Wie bei einer biegsamen Tänzerin.
Sie war jetzt für Josh zuständig, seit ihr Vorgänger Dr. McCubbin in den Ruhestand gegangen war. Anna hatte ihm in ihrer hektischen, überbesorgten und gestressten Art begeistert von der neuen Ärztin erzählt, nachdem Josh gestern mit einem akuten Asthmaanfall in die Klinik eingeliefert werden musste.
Natürlich hatte Nick nicht erwähnt, dass er Miranda näher kannte. „Wir haben zusammen Medizin studiert“, sagte er nur. „Sie hat hart gearbeitet, es wundert mich nicht, dass sie eine gute Ärztin ist.“
Und eine Frau, die ihm immer noch gefährlich werden konnte …
Er brauchte sie nur anzusehen, und sofort waren die Bilder ihrer kurzen, leidenschaftlichen Begegnung wieder da, aufregend und berührend, als wäre es gestern gewesen. Aber es gab gute Gründe, Miranda aus dem Weg zu gehen, allen voran seine zerbrechliche Ehe.
Normalerweise wäre es unmöglich, ein Zusammentreffen zu vermeiden. Josh litt unter beängstigenden Asthmaattacken, und als Vater hätte er selbstverständlich oft Kontakt zu seiner behandelnden Ärztin.
Wenn er allerdings daran dachte, wie Anna sich verhielt, seit die Krankheit diagnostiziert worden war, stellte sich bei ihm die übliche Frustration ein. Seine Frau setzte alles daran, dass er sich heraushielt. Fragen, Gefühle, ein nahezu aufopferndes Bemühen um Joshs Wohl … dafür war in erster Linie sie zuständig.
Jetzt, zum Beispiel, wäre sie bestimmt nicht erfreut, dass er hier auftauchte. Dabei war es alles andere als einfach gewesen, seinen Dienstplan am Royal Victoria Hospital so umzustellen, dass man ihn um diese Tageszeit kurz entbehren konnte.
Er sah, wie Miranda die Krankenkarte wieder in das Plastikfach am Fußende des Betts steckte. Vermutlich würde sie gleich das Zimmer verlassen.
Nick zog sich rasch zurück und verschwand in der nächsten Besuchertoilette.
Sie hatte ihn nicht gesehen. Sehr gut. Er würde ein paar Minuten abwarten und dann zu seiner Frau und seinem Sohn gehen.
Nick irrte sich. Miranda hatte ihn sehr wohl gesehen. Als er auftauchte und sofort wieder zurückwich, hatte sie die Bewegung aus dem Augenwinkel bemerkt. Vielleicht lag es daran, dass sie mit einer Begegnung gerechnet hatte und deshalb besonders aufmerksam gewesen war.
Der Name Nicholas Devlin, der in Joshs Akte auftauchte, hatte ihr keine Ruhe mehr gelassen. Auch weil ihr ehemaliger Kollege James McCubbin erwähnt hatte, dass er einen kleinen Patienten namens Devlin hätte, dessen Vater Chirurg sei. James war inzwischen im Ruhestand, und seine Patienten waren unter den drei Ärzten der Gemeinschaftspraxis aufgeteilt worden.
Sie hatte den Fall geerbt, weil sie zufällig Dienst gehabt hatte, als Josh mit seiner Mutter gestern Nachmittag in die Notaufnahme kam. Miranda brauchte die Familiendaten nur kurz zu überfliegen, um endgültig sicher zu sein – der Vater des Kleinen war ihr Nick, der Nick, der in sechs Jahren Medizinstudium ihr Herz eroberte, ohne dass sie es gemerkt hatte, um es dann nach einer einzigen Nacht in tausend Stücke zu brechen.
Und jetzt war sie die behandelnde Ärztin seines Sohnes. Ob es etwas mit ihr zu tun hatte, dass er von der Tür verschwunden und gar nicht ins Zimmer gekommen war? Oder hatte nur sein Pager geklingelt?
Sollte er allerdings versuchen, ihr aus dem Weg zu gehen, so würde das schwierig werden. Früher oder später mussten sie sich wiederbegegnen.
Unfassbar, aber es dauerte zwei Jahre.
Josh Devlin war drei Jahre alt gewesen, als Miranda seinen Fall übernommen hatte. Seinen Vater sah sie erst wieder, als der kleine Junge fünf war …
„Ich kann nicht mitkommen, Miranda. Ich muss die erste Woche passen. Schlimmstenfalls schaffe ich es überhaupt nicht!“
Anna Devlin war kreideweiß. Ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten, hatte sie Miranda am Arm gepackt und mit kippender Stimme auf sie eingeredet. Dass sich vor den Abfertigungsschaltern des Melbourner Flughafens die Reisenden drängten und Zeugen ihres Gefühlsausbruchs wurden, schien sie gar nicht wahrzunehmen.
„Anna …“
„Meine Mutter hat sich das Bein gebrochen“, fuhr Joshs Mutter hektisch fort. „Heute Morgen. Ausgerutscht auf der Verandatreppe. Ich habe telefoniert, war im Krankenhaus, natürlich bleibt alles an mir hängen. Meine Schwestern haben gesagt, dass sie unmöglich herkommen können. Es tut mir so leid, Miranda. Was für ein Chaos!“
„Schon gut, Anna, beruhigen Sie sich. Wie kommt Josh damit zurecht, dass Sie ihn nicht begleiten können? Wo ist er?“
„Dahinten, passt auf sein Gepäck auf.“ Fahrig strich Anna sich die Haare zurück. „Tue ich auch das Richtige? Aber was bleibt mir anderes übrig? Ich habe solche Panik, ich darf mir nur nichts anmerken zu lassen.“
Womit sie leider grandios scheiterte.
Miranda erlebte sie immer wieder als sehr emotional und hochgradig ängstlich, wenn es um ihr Kind ging. Schon oft hatte sie Anna schonend versucht beizubringen, dass sie Josh damit nichts Gutes tat. Bisher vergeblich.
„Möchten Sie die Reise lieber verschieben?“ Über Annas Schulter sah sie, wie zwei weitere Familien eintrafen. Aber es war noch Zeit. Für den Flug nach Queensland brauchten sie sich erst in einer halben Stunde am Gate einzufinden.
„Nein, nein, Josh wäre so enttäuscht“, antwortete Anna gestikulierend. „Wir reden seit Wochen von nichts anderem. Nein, er fliegt auf jeden Fall mit. Es würde doch Monate dauern, bis ein neuer Termin gefunden ist, oder?“
„Wahrscheinlich“, musste Miranda zugeben.
Die Plätze im Crocodile Creek Kid’s Camp auf Wallaby Island waren sehr begehrt. Miranda freute sich auch schon auf die zwei nächsten Wochen, obwohl sie keinen Urlaub machte, sondern als begleitende Ärztin mitreiste.
Endlich ließ Anna ihren Arm los, und nun entdeckte Miranda den kleinen Josh, der brav auf seinem Koffer in der Nähe des Check-in-Schalters saß. Ein zarter Junge, klein für sein Alter, der doch etwas Verschmitztes hatte mit seinen frechen Zahnlücken. Ein Bengel mit einem natürlichen Sinn für Unfug, ausgebremst durch zu viele Krankenhausaufenthalte wegen seines Asthmas. Anna vergötterte ihr Kind – das einzige, das sie hatte.
Weitere würde es nicht geben. Anna und Nick waren geschieden.
„Es wird schon gut gehen“, versicherte Miranda. „Wir kümmern uns um ihn. In der Gruppe sind noch ein paar andere Kinder, die ohne Eltern ins Camp fahren.“
Sie deutete auf Stella Vavunis, eine scheue, unsichere Dreizehnjährige. Ihr Vater sollte erst ein paar Tage später nachkommen. Als einer der Hauptsponsoren des neuen medizinischen Versorgungszentrums auf Wallaby Island würde er bei der offiziellen Einweihung am Samstag Ehrengast sein. Bis dahin war Stella jedoch auf sich allein gestellt.
Stella hatte Knochenmarkkrebs. Zurzeit war sie in Remission, aber der Kampf gegen die Krankheit hatte sie nicht nur ihre Haare gekostet, die nun nach der Chemotherapie weich wie Babyflaum nachwuchsen. Man hatte ihr einen Unterschenkel abnehmen müssen, und Miranda spürte, wie schwer das Mädchen damit zurechtkam. Um die neue Prothese zu verbergen, trug es eine feste Jeans, die im heißen North Queensland viel zu warm sein würde.
„Er fährt nicht allein“, erklärte Anna, und ihre Stimme klang eigentümlich schrill. Miranda kannte das schon. Es war ein untrügliches Zeichen, dass Joshs Mutter unter starkem Stress stand. Anna war eine exotische Schönheit mit großen dunklen Augen und hohen Wangenknochen. Das und ihr hektisches Auftreten begannen allmählich die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich zu ziehen.
„Aber …?“
„Das ist es doch, Miranda!“ Anna packte wieder ihren Arm. „Deshalb bin ich ja so fertig.“ Sie senkte die Stimme zu einem klagenden Flüstern: „Nick kommt mit!“
Ah ja. Nick kommt mit.
Sie hatte wohl nicht verbergen können, wie schockiert sie war, denn Anna fuhr angespannt fort: „Bitte, machen Sie es für mich nicht noch schlimmer, als es schon ist. Und vor allem nicht für Josh.“
„Natürlich nicht.“
„Nick müsste in den nächsten zehn Minuten hier sein. Er hat mir versprochen, dass er es nicht vermasselt.“
„Konnte er so kurzfristig einspringen? Für zwei Wochen?“
Anna verdrehte die Augen. „Ja, ich weiß, es ist ein Wunder. Ein einziges Mal wenigstens bringt er Opfer, um für seinen Sohn da zu sein.“
Miranda hielt es tatsächlich für ein Wunder – ohne den bitteren Sarkasmus, der bei Anna aus jedem Wort triefte –, dass der viel beschäftigte Chirurg nur wenige Stunden vor dem Abflug in die Bresche springen konnte. Sie hatte nur erschrocken reagiert, weil sie nicht damit gerechnet hatte, die nächsten zwei Wochen mit Nick Devlin zusammen auf einer Insel zu verbringen. Doch das war ihr Problem, nicht Annas.
„Ich hoffe, es muss nur für die erste Woche sein“, fuhr Anna fort. „Ich werde einen Weg finden, ihn danach abzulösen, das schwöre ich Ihnen! Zwei Wochen mit Nick – das tut Josh nicht gut.“
Hatte der kleine Junge das gehört? Anna war manchmal nicht besonders taktvoll.
Ob Nick nun eine oder zwei Wochen blieb, in jedem Fall hatte er einige Hebel in Bewegung setzen müssen. Diese Entschlossenheit überraschte sie. Da sie ihn in zwei Jahren als Joshs Ärztin nie zu Gesicht bekommen hatte, war sie irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass er im Leben seines Sohnes keine große Rolle spielen wollte.
Anna und Nick waren seit Monaten geschieden, doch auch vorher war sie diejenige gewesen, die das Kind zu den Terminen brachte. Sie telefonierte, sie stellte Fragen, und auf den Krankenhauspapieren war ausschließlich ihre Unterschrift zu finden.
Auf dem Tagesprotokoll stand zwar gelegentlich sein Name – 19.00 Uhr: Dad zu Besuch –, aber gesehen hatte sie Nick nie. Anna beklagte sich oft über ihn. Er ist so kühl, so distanziert, sagte sie. Josh interessiert ihn überhaupt nicht. Josh ist so komisch, wenn sie zusammen sind, so schüchtern und in sich gekehrt.
Miranda fand das sehr seltsam.
Vor Jahren, als sie noch jünger und naiver gewesen war, was Männer im Allgemeinen und Nick Devlin im Besonderen betraf, da hätte sie keinen Zweifel daran gehabt, dass er eines Tages ein großartiger Vater sein würde. In jener einen leidenschaftlichen Nacht glaubte sie, erkannt zu haben, dass seine arrogante, unnahbare Art nur Fassade war und dass sich dahinter ein wunderbarer Mensch verbarg.
Aber das war wohl falsch. Eine Ehefrau, auch wenn sie inzwischen seine Ex war, musste es einfach besser wissen.
Wie wird es sein, wenn ich ihn wiedersehe?
Miranda wappnete ihr Herz. Sie würde es bald erfahren …
Nick bezahlte den Taxifahrer, schnappte sich seine Reisetasche und eilte ins Flughafengebäude. Er hatte Anna versprochen, dass er nicht zu spät kommen würde, und das Versprechen wollte er einhalten.
Aber es wurde knapp.
In einem Anfall von Panik hatte er zu Hause eine geschlagene Viertelstunde damit vertrödelt, dass er sich nicht entscheiden konnte, was er seinem Sohn mitbringen sollte. Ihm war fast schlecht geworden, und die Emotionen, die dabei hochkamen, hatten ihn nahezu gelähmt.
Er hatte ein paar Süßigkeiten und etwas zu trinken für den Flug mit und ein Bilderbuch. Aber müsste er ihm nicht ein richtiges Geschenk mitbringen? Eine Kamera vielleicht oder eine Schnorchelausrüstung? Oder sollte er einfach den Lego-Bausatz, Joshs Weihnachtsgeschenk, das er schon besorgt hatte, mitnehmen? Weihnachten war erst in zwei Monaten, bis dahin konnte er sich etwas anderes überlegen. Oder war das zu übertrieben? Es könnte so aussehen, als wollte er sich mit großen Geschenken die Liebe seines Sohnes erkaufen.
Wie paralysiert wusste er nicht, was er tun sollte.
Das glaubt mir keiner, dachte er sarkastisch. Dr. Nicholas Devlin, hochdotierter Spitzenmediziner in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie an Melbournes renommiertem Royal Victoria Hospital, konnte innerhalb von Sekunden lebensverändernde Entscheidungen treffen, wenn es sein musste. Aber die Frage, ob er seinem kleinen Sohn ein Geschenk mitbringen sollte, überforderte ihn völlig.
Was Anna sagen würde, wusste er schon jetzt: „Oh nein, Nick, was soll das?“
Egal, wofür er sich entschied, in Annas Augen war es immer unmöglich. Unerschütterlich in ihrem Glauben, dass sie als Mutter eines asthmakranken Kindes am besten wusste, was gut für Josh war, machte sie Nick ständig Vorwürfe. Sagte er etwas zu Josh, war es falsch, unternahm er etwas mit ihm, war es falsch, kaufte er ihm etwas, war es falsch. Und so weiter und so fort.
Natürlich hatten sie sich nicht deswegen scheiden lassen, aber ihre ewige Kritik vergiftete die Atmosphäre noch zusätzlich. Geändert hatte sich bis heute nichts.
Okay, da er ihr sowieso nichts recht machen konnte, würde er tun, was er für richtig hielt, und nicht länger überlegen, was sie dazu sagte. Solange sie nicht direkt nachfragte, brauchte er ihr nicht zu erzählen, was er Josh mitgebracht hatte. Nick ließ den Bausatz zu Hause und beschloss, vor Ort einzukaufen, falls Josh Fotos machen oder schnorcheln wollte.
Alles geregelt.
Die Gefühle, die ihm immer wieder ein Bein stellten, waren sorgfältig weggepackt.
Thema erledigt.
Als er dann endlich die Panik abgeschüttelt hatte und sich nicht mehr wie ein hilfloser, frustrierter Vater ohne Sorgerecht, sondern wieder wie ein kühl denkender Chirurg fühlte, wurde ihm klar, dass er noch kein Taxi bestellt hatte. Wichtige fünfzehn Minuten waren verstrichen, er würde zu spät kommen.
Nick entdeckte Anna, als er zu den Check-in-Schaltern marschierte. Blass und mit anklagender Miene hielt sie nach ihm Ausschau.
„Wo bleibst du denn?“, fauchte sie ihn vorwurfsvoll an. Es klang, als müsste er mindestens eine Massenkarambolage auf der Autobahn vorweisen, um seine Verspätung zu entschuldigen.
„Das Taxi kam nicht.“ Nick hatte sich ausführliche Erklärungen abgewöhnt. Es hatte keinen Zweck, an ihren gesunden Menschenverstand zu appellieren oder an ihren Gerechtigkeitssinn. Zu oft schon hatte er es vergeblich versucht. Anna begriff einfach nicht, dass sie ihren Sohn mit ihrer überbehütenden Mütterlichkeit fast erdrückte und seinen Vater mehr und mehr aus seinem Leben ausschloss.
Bevor er um sie herumgehen und Josh begrüßen konnte, überschüttete sie ihn mit hastig hervorgestoßenen Anweisungen und Ermahnungen. „Nick, wenn du Mist baust“, beendete sie ihre Tirade, „wenn du Josh diese Ferien verdirbst, dann bringe ich dich um!“
Nick ignorierte die Drohung, die seine Exfrau fast jedes Mal ausstieß, sobald sie auch nur ein paar Worte mit ihm wechselte. „Wie kommst du darauf, dass ich ihm die Ferien verderben werde?“
„Weil du seine Krankheit nie ernst nimmst. Weil du ihn kaum kennst, er hat kein Vertrauen zu dir.“
„Und das ist mein Fehler?“ Ärger kochte in ihm hoch, den er aber schnell unterdrückte. „Ach, vergiss es.“ Solche Diskussionen hatten sie schon zigmal gehabt. „Mach dir keine Sorgen, Josh und ich kommen bestimmt gut zurecht.“ Er holte tief Luft. „Ich liebe meinen Sohn, Anna, und wage es nicht, das Gegenteil zu behaupten.“
„Liebe ist nicht genug“, murmelte sie und wandte sich ab. „Nicht annähernd.“
Für ihre Verhältnisse war das ziemlich großzügig, also beließ er es dabei und sah zu Josh hinüber. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Was würde er im Gesicht seines Sohnes lesen, wenn er zu ihm ging?
Gleichgültigkeit? Abwehr? Furcht?
Natürlich war Anna zuerst bei ihm. Während Nick noch drei Schritte entfernt war, beugte sie sich schon über Josh und drückte ihn fest an sich. Sie zitterte, wie Nick sah, als sie dem Jungen hastig etwas ins Ohr flüsterte. Nick schnappte nur wenige Worte auf. „Ich möchte nicht … große Angst … immer, die ganze Zeit.“
Josh nickte. Sein Atem klang pfeifend. Was zum Teufel erzählte ihm Anna da? Dass sie große Angst um ihn hatte?
„Und du rufst mich sofort an, wenn es irgendwelche Probleme gibt, ja?“ Sie richtete sich auf.
Probleme mit Dad, hörte Nick im Unterton heraus. Wenigstens sprach sie es diesmal nicht laut aus. Er trat vor. „Geh ruhig, Anna“, sagte er gelassener, als ihm zumute war. „Josh und ich schaffen das schon, nicht wahr, kleiner Mann?“
„Nenn ihn nicht so!“, zischte sie und verschwand hinter einer lärmenden Gruppe Touristen, bevor Nick antworten konnte.
Verdammt.
Er hatte es als Kosewort gemeint. Litt Josh darunter, dass er sehr klein für sein Alter war? Und wenn ja, woher sollte er das wissen? Anna sorgte dafür, dass er so wenig Zeit wie möglich mit seinem Sohn verbrachte. Und sie selbst erzählte ihm auch nicht viel von Josh. Also, wessen Schuld war es denn, wenn der Junge ihm gegenüber scheu und zurückhaltend war?
Oder trug er selbst dazu bei? Gefühle zu zeigen, fiel ihm nicht leicht. Und in Situationen, in denen es besonders emotional zuging, flüchtete er sich nicht selten in Sachlichkeit. Was bei anderen als ziemlich zugeknöpft und verschlossen ankommen konnte …
Erstickende Selbstzweifel packten ihn, und Nick trat einen Schritt zurück, anstatt vor Josh in die Hocke zu gehen und ihn auf Augenhöhe anzusprechen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Er nahm ihm auch nicht den bunten Rucksack ab, in dem das Asthmaspray, die Inhalationshilfen und der Notfallplan steckten, obwohl Nick hörte, wie Josh beim Atmen keuchte. Und er legte dem Kleinen auch nicht den Arm um die Schulter, weil er es nicht ertragen hätte, wenn Josh ihn wegstieß.
Eine solche Unsicherheit hatte er bis zu Joshs Geburt nie erlebt. Nick wusste immer noch nicht, wie er damit umgehen sollte. Er war dazu erzogen worden, wenigstens nach außen stark und unerschütterlich zu wirken, egal, wie es in ihm aussehen mochte. Natürlich zweifelte er manchmal an sich, aber damit wurde er immer schnell fertig.
Das langsame, zermürbende Scheitern seiner Ehe, der tiefe Graben, der sich zwischen Anna und ihm aufgetan hatte, all das warf jedoch ein neues Licht auf das Bild, das er von sich hatte.
In diesem Moment konnte er Anna nur recht geben. Josh und er kannten sich nicht gut genug, um zusammen wegzufahren. Vater und Sohn waren sich fremd, die Vorstellung, dass sie eine tolle Zeit miteinander verbringen würden, war reine Illusion. Annas Schuld, hatte Nick immer gedacht, aber jetzt war er sich dessen nicht mehr so sicher. Plötzlich fühlte er sich der Aufgabe nicht gewachsen. Wahrscheinlich würden sich Annas negative Erwartungen erfüllen, er würde alles vermasseln.
Du wirst Josh wehtun.
Ihm Angst machen.
Das Falsche tun und das Falsche sagen.
Ihn enttäuschen und ihm diese lang ersehnten Ferien verderben.
„Dr. Carlisle?“, sagte Josh leise und sehr ängstlich.
Dr. Carlisle …
„Dr. Carlisle, ich glaube, ich brauche meinen Püster.“
Der Name hatte Nick aus seinen düsteren Gedanken gerissen. War Miranda hier? Kam sie etwa auch mit? Natürlich, die Kinder wurden bestimmt von Medizinern begleitet! Nick hatte nur nicht daran gedacht.
Na dann, heute war also der Tag, den er so lange hinausgezögert hatte.
„Hey, warum keuchst du so?“
Und da war sie, direkt vor ihm, fast genau so, wie Nick sie in Erinnerung hatte: elfenhaft schlank und zierlich, mit ruhiger, melodischer Stimme und einer heiteren Offenheit, die ihm verriet, dass sie immer noch das Herz auf der Zunge trug, jederzeit bereit, die ganze Welt zu umarmen.
„Hallo, Nick“, sagte sie.
Zehn Jahre. Die verpasste Gelegenheit vor zwei Jahren zählte nicht. Selbstverständlich erinnerte er sich an sie, Miranda sah es seinem Gesicht an, als Nick ihr die Hand entgegenstreckte.
„Wir haben … es noch nicht geschafft, uns zu sehen, seit du Josh behandelst.“
Wie damals umgab ihn diese kühle Aura zurückhaltender, fast abweisender Selbstsicherheit, die andere als Arroganz bezeichnen würden. Nur ein einziges Mal hatte er Miranda hinter diese Fassade blicken lassen. Hochgewachsen und breitschultrig wirkte er allein durch seine Statur einschüchternd. Nicht dass es bewusst geschah. Nick beeindruckte auf den ersten Blick, weil er so groß und kraftvoll war.
„Stimmt“, antwortete sie und musste aufpassen, dass sie ihn nicht unverhohlen musterte.
Äußerlich hatte er sich kaum verändert: leichte Sonnenbräune, kantige männliche Züge. Nur die feinen Fältchen an den Augen und am Mund zeigten, dass zehn Jahre vergangen waren, taten aber seiner Attraktivität keinen Abbruch. Durchtrainierter Körper … Miranda stellte sich vor, wie Nick täglich ein paar Kilometer joggte oder morgens um sechs im Fitnessstudio trainierte, bevor seine Sprechstunde oder Visite anfing.
„Anna hat großes Vertrauen in dich“, fügte er hinzu. „Das ist sehr gut.“
„Ich bin froh, dass du so kurzfristig einspringen konntest“, sagte sie. Zehn Jahre waren eine lange Zeit, und dieser Mann war der Vater eines ihrer Patienten, mehr nicht. Das durfte sie nicht vergessen! „Es ist schön für Josh, dass sein Vater bei ihm ist.“
„Meinst du?“
„Ja, natürlich.“
Sah er das etwa anders? Hatte seine Frage zynisch geklungen? Anna war sehr nervös gewesen, was sie eigentlich immer war. Aber vielleicht wollte Nick gar nicht hier sein, und dann hätte Anna recht: Wenn sein Vater Josh bei diesem Campaufenthalt nur lustlos begleitete, konnte das den Heilerfolg gefährden.
Aber Miranda hatte jetzt keine Zeit, sich damit zu befassen. Bei Josh kündigte sich ein ernsthafter Asthmaanfall an, und darum musste sie sich sofort kümmern.
Zu allem Überfluss traf auch noch Familie Allandale mit ihrer dreizehnjährigen Tochter ein – spät dran, beladen mit Koffern, Tüten und Taschen, rauschten sie auf sie zu. Wie immer erwarteten sie, dass Miranda ihnen sofort und uneingeschränkt ihre Aufmerksamkeit schenkte.
Sie tat, als hätte sie sie nicht gesehen, und bückte sich, um das Asthmaspray aus dem bunten Kinderrucksack zu holen. Joshs Atmung hatte sich verschlechtert, und er wurde von Sekunde zu Sekunde unruhiger. Unglücklich fummelte er an dem Rucksack, versuchte, ihn zu öffnen, aber der Reißverschluss klemmte. Auf die Idee, seinen Vater um Hilfe zu bitten, kam der Junge gar nicht.
„Gib mir den Rucksack, mein Schatz“, bat Miranda. „Du musst das nicht selbst machen. Versuch nur, ruhig weiterzuatmen, okay?“
„Dr. Carlisle!“ Rick Allandale baute sich so dicht vor ihr auf, dass sie erst einmal nur seine Knie sah.
Um eine lange Liste von Fragen, Erklärungen oder Beschwerden abzuwehren, die sie gerade jetzt nicht brauchen konnte, sagte sie rasch: „Mr. Allandale, ich trage gleich auf meiner Liste ein, dass Lauren da ist. Wir warten noch, bis alle zusammen sind, bevor wir einchecken.“