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Den richtigen Lebensweg einzuschlagen, um so manches' Kopfsteinpflaster zu umfahren, ist nicht immer ganz einfach. Oft navigieren wir blind und unbewusst durch den spröden Alltag - mit je seinen guten und schlechten Momenten. Aber vergiss den Kompass, hör' auf Dein Herz! Das hier vorliegende Buchexemplar erzählt nicht nur den inspirierenden Blickwinkel aus Sicht des aufstrebenden Autors im Kindes- und Erwachsenenalters, sondern hebt zudem die tiefe Bindung zu seinem Stiefsohn auf die Bühne des Lebens. Eine starke Bindung, die erst wachsen musste und noch weiter wachsen wird. Die emotionalen Facetten des versteckten Glücks müssen erst gefunden werden. Hilf mit bei dieser Suche und werde Dir bewusst, wie schön das Leben "singen" kann.
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Kai Pfrommer
Dein Kompass ist dein Herz
© 2021 Kai Pfrommer
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-26492-2
Hardcover:
978-3-347-26493-9
e-Book:
978-3-347-26494-6
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Prolog
Für mich geht tagtäglich die Sonne auf, wenn ich ihn so fröhlich sehe. Er muss gar nicht viel tun, aber trotzdem zaubert er mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen. Als würde dieser Eisenbahnwagen meinen Stiefsohn in seinen Bann ziehen, spielt er schon den ganzen Morgen damit. Er fährt durch ausgedachte Täler und über hohe Berge, und jedes Mal erfreue mich an seiner Faszination für dieses Spielzeug.
Ich sitze am Frühstückstisch und versuche mich auf die Sonntagszeitung zu konzentrieren, was mir aber sehr schwerfällt. Auf der einen Seite bereitet meine Frau in der Küche summend Pfannkuchen zu, und auf der anderen Seite spielt mein Stiefsohn auf unserer großen Couchlandschaft mit seinem Eisenbahnwagen. Ich behaupte, der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Für die beiden würde ich alles tun, obwohl mir einmal erzählt wurde, dass ich höchstwahrscheinlich ganz nach meinem Vater kommen werde.
Nachdenklich schließe ich kurz die Augen und richte mein Gesicht gen Fenster. Warme Sonnenstrahlen, die nach einem langen Winter den Frühling ankündigen, legen sich auf meine Haut. Das Fenster ist offen, das Geschnatter verschiedenster Vögel dringt in unsere Wohnung. Auch bekommen wir es jedes Mal mit, wenn ein Auto aus dem Dorf fährt, da unser Haus am Ortsausgang in einem Talabschnitt liegt. Fast an jedem Sonntagnachmittag können wir das Fußballspiel live im eigenen Wohnzimmer mitverfolgen, da der Sportplatz unmittelbar in unserer Nähe liegt. Und keine fünfzehn Meter vor dem Haus befindet sich ein ungefähr drei Meter breiter Bach, mit dem ich sehr schöne Momente verbinde.
Meine Eltern trennten sich, als ich ungefähr ein Jahr alt war. Daraufhin zogen wir vorübergehend in das Haus von meiner Oma und meinem Opa, in dem auch meine Uroma lebte und in das ich vor fünf Jahren wieder zog. Ein weiteres Mal stiehlt sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich an ein bestimmtes und für mich wundervolles „Ritual“ mit meinem geliebten Opa zurückdenke.
Er nahm mich des Öfteren am Wochenende, aber auch unter der Woche mit an den kleinen Bach vor unserem Haus. Er musste mich gar nicht fragen, ob ich mit ihm gehen möchte. An seinem Blick erkannte ich schon, was er vorhatte, und er sah vermutlich an meinen leuchtenden und neugierigen Augen, dass mich nichts davon abhalten konnte, ihn an den Bach zu begleiten. Wir alberten herum, und ich merkte, dass er alles dafür tat, um mich aufzumuntern, damit ich die Trennung meiner Eltern besser verkraftete. Ich war zwar noch sehr klein, trotzdem war mir klar, dass irgendetwas nicht stimmte.
Mein Opa und ich sammelten bei jedem Spaziergang am Bach Steine. Und das bei Wind und Wetter; am besten gefielen mir aber die Sonnenstunden. Ich mochte es, wenn die Strahlen der Sonne das fließende Wasser zum Glitzern brachten. Aber ich mochte es auch sehr, die Wolken darin zu beobachten und wie sie mit oder gegen den Strom des Baches schwebten.
Als wir genug Steine und von jeder Größe genug beisammenhatten, setzten wir uns zusammen ans Bachufer und warfen diese ins Wasser. Noch heute höre ich den Laut, wie jeder einzelne Stein ins Wasser ploppte und welch unterschiedliche Geräusche je nach Größe sie von sich gaben.
Mein Opa machte eines Tages daraus einen Wettkampf. Er schlug vor zu versuchen, wer es hinbekäme, am weitesten zu werfen, oder wer die größte Wasserfontäne erschaffen konnte. Das war jedes Mal wie eine Olympiade für mich, und ich bin mir heute ganz sicher, dass mein Opa mich ständig gewinnen ließ, damit ich nicht allzu enttäuscht war. Dass mir dieser Bach, der mir eigentlich immer ein bisschen Ruhe, Kraft und auch Vertrautheit schenkt, einmal riesige Angst machen wird, habe ich in diesem Augenblick kein bisschen gedacht.
Ich atme tief durch und falte die Zeitung zusammen, dabei werfe ich wieder einen Blick auf meinen Stiefsohn. Entspannt lehne ich mich nach vorn und verschränke die Arme vor meiner Brust auf dem Tisch. Dabei schweifen meine Gedanken wieder zu meinem Opa. Er hatte eine große Leidenschaft, und das waren seine Modelleisenbahnen im Hobbykeller des Hauses. Er entwarf die größten Landschaften – grüne Berge mit weißen Gipfeln, Täler und Flüsse –, und dazu baute er zum Teil auch seine eigenen Eisenbahnen selbst.
Er erlaubte mir immer, dass ich ihm dabei zusehen durfte. Ein Bild schleicht sich in meinen Kopf, wie ich als kleines Kind und mit riesigen Augen begeistert meinen Opa dabei beobachte, wie er sich seinem Hobby widmet und mit welcher Leidenschaft und Hingebung er sich damit beschäftigt. In seinen teils zusammengekniffenen Augen, wenn er ziemlich kleine Teile bearbeitete, konnte ich trotzdem ein gewisses Glitzern erkennen, und für mich war das damals das Glitzern der Begeisterung, des Stolzes und der Inspiration.
Seine Stimme hallt durch meinen Kopf, wenn ich ihn in Gedanken höre, wie er mir jedes noch so kleine Detail seiner Arbeit erklärt. Seine ruhige und vertraute Stimme, die ich so vermisse. Für mich war damals als kleines Kind schon sehr schnell klar, dass ich irgendwann einmal dieses Hobby mit ihm teilen würde, eher früher als später. Wenn seine Eisenbahnen dann durch seinen Fuhrpark fuhren, kam jedes Mal der kleine Junge in ihm durch. Und diesen Anblick werde ich niemals in meinem Leben vergessen.
Desto mehr überkommt mich Stolz, wenn ich meinen Stiefsohn mit diesem einen Eisenbahnwagen sehe. Manchmal bilde ich mir ein, das Glitzern in den Augen meines Opas in seinen Augen zu sehen. Ein angenehmer Druck breitet sich in meinem Brustkorb aus, und meine Gedanken schweifen zu dem besonderen Tag, als ich ihm den Eisenbahnwagen schenkte.
Vor ungefähr einem Jahr machten mich meine Frau und mein Stiefsohn überglücklich, als sie zu mir zogen. Das war ein sehr emotionaler, fesselnder, besonderer und wichtiger Moment für mich. Von Anfang an war ich sofort Feuer und Flamme für meinen Stiefsohn, und ich schloss ihn sofort in mein Herz. Somit baute ich für ihn sein erstes eigenes Bett, welches ich nach seinem Wunsch im Piratenstil anfertigte. Dazu bekam er direkt darüber eine Spieleplattform.
Als wir sein Zimmer fertig eingeräumt und gestaltet hatten, mussten wir sämtliche überschüssigen Möbel auf den Dachboden verfrachten, damit wir mehr Platz in der Wohnung zur Verfügung hatten. Ich denke, wir waren alle gleichermaßen froh, als der Umzug, das Chaos und die Einräumung endlich vorüber waren.
Also machten wir uns an die Arbeit. Ich dachte mir nichts dabei und nahm meinen Stiefsohn mit nach oben auf den Dachboden. Er wollte unbedingt mit und bei mir sein, denn wir hatten schon in kurzer Zeit eine sehr große Bindung aufgebaut. Dies war eines der größten Glücksgefühle für mich und machte mich auch sehr stolz, da ich so etwas aus meiner eigenen Kindheit von meinem Stiefvater nicht kannte. Wir schafften es nie, eine enge Bindung zueinander aufzubauen, aber mit meinem Stiefsohn war das anders, und dafür bin ich sehr dankbar. Mittlerweile ist er nicht mehr mein Stiefsohn, sondern er ist für mich mein Sohn, und darüber bin ich sehr glücklich.
Als wir auf dem finsteren Dachboden ankamen, sagte ich zu meinem Sohn, dass er kurz hier am Aufgang warten solle, bis ich das Möbelstück, welches seine Mutter zu uns hochreichte, abnehmen konnte. Dann bestand mein Plan darin, dass wir den Schrank zusammen aufräumen.
Unser Dachboden hat, wie wahrscheinlich der größte Teil der Dachböden, nur ein Licht am Aufgang. Nach hinten ist es komplett finster. Zum Zeitpunkt des Umzuges ging es in den Winter hinein, von daher wurde es leider schon sehr früh dunkel.
Als ich Sekunden später das Möbelstück auf dem Dachboden hatte, schnaufte ich erst einmal tief durch und schaute nach meiner Frau, die mit hochrotem Kopf die Wangen aufblies und die Augen groß machte, um mir somit stumm zu sagen, dass das Teil ziemlich schwer war. Ich grinste, nickte und drehte mich zu meinem Sohn um. Verwundert und ein bisschen erschrocken stellte ich fest, dass er nicht mehr da war. Sofort rief ich seinen Namen, holte mein Handy aus der Hosentasche und schaltete die Taschenlampe an.
Keinen Atemzug später schnappte ich nach Luft und fand ihn ganz am Ende vor einer Kiste wieder. Im ersten Augenblick konnte ich gar nicht glauben, wo mein Sohn sich befand. Ich bekam Gänsehaut und zitterte. Er stand vor einer Kiste, in der mein Opa seine kompletten selbst gebauten Eisenbahnen und auch noch Flugzeuge verstaut hatte. Fasziniert sah er sich die Teile an, das Leuchten in seinen Augen werde ich nie vergessen, und das war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Ich bekam weiche Knie und musste erst einmal neben ihm in die Hocke gehen, um nicht umzukippen.
Dieser überaus magische Moment, der meiner Meinung nach nie zu Ende gehen sollte, erinnerte mich vollkommen an die wundervolle Zeit mit meinem Opa. Immer wieder holten mich die Bilder von damals ein. Ich sah mich ein weiteres Mal mit ihm im Hobbykeller und wie erstaunt ich seine Sammlung bewunderte.
Zu meiner Überraschung konnte ich meinen Sohn kaum von der Kiste wegbekommen. Immer wieder zeigte er mir ein neues Teil und gab einen Kommentar dazu ab, seine Stimme hoch und neugierig. Aber als meine Frau einen Stock tiefer schon ungeduldig wurde, schlossen wir einen Kompromiss, und ich erlaubte ihm, diesen einen kleinen Eisenbahnwagen mit nach unten zu nehmen.
Seitdem gehen wir jede Woche auf den Dachboden und bestaunen unsere eigene Eisenbahnwelt. Sobald wir die Treppe nach oben steigen, zeigen seine Finger auf die Dachbodenluke, dabei werden seine Augen groß und bekommen dieses Glitzern. Und diese kleinen Augenblicke rufen die Erinnerungen an meinen Opa immer wieder in mir wach. Egal wo, selbst im Zoo, wenn mein Sohn voller Begeisterung vor der Scheibe der Eisbären steht. Oder beim Spazierengehen, wenn er freudig mit den Worten „Mama, Papa, schaut mal, ein Flugzeug“ in den Himmel zeigt.
Teilweise schmerzen diese Rückblicke an meinen geliebten Opa sehr. Ich vermisse ihn von ganzem Herzen und würde behaupten, dass ich bis heute noch nicht richtig über seinen Tod hinweg bin. Jemanden zu vermissen und zu verstehen, dass man ihn nie wiedersehen wird, ist ein ganz anderes Gefühl, als jemanden zu vermissen, von dem man weiß, dass man ihn wiedersehen wird.
Ich würde es als ein Gefühl der Leere beschreiben. Aber im Hinterkopf sagt eine Stimme, dass man diese Leere immer füllen kann, wenn man denjenigen wiedersieht. Und so fühlte ich mich, als meine Mutter ungefähr ein Jahr nach der Trennung von meinem Vater einen anderen Mann kennenlernte und wir zu ihm zogen. Es war für mich damals nicht leicht, meine Oma und meinen Opa zu verlassen und mich an einen neuen Mann an der Seite meiner Mutter zu gewöhnen.
Aber zu meinem Glück wohnte der Mann im selben Ort. Von daher durfte ich meine Großeltern weiterhin jedes Wochenende besuchen und Zeit mit ihnen verbringen. Ich erinnere mich an einen ganz bestimmten und besonderen Wochenendbesuch, als ich mit meinem Opa zu einem nahe gelegenen Bahnhof fuhr und wir uns dort eine echte Dampflok ansahen.
Es war ein wunderschöner sonniger und warmer Tag. Ich kann noch genau beschreiben, wie ich mich fühlte, als ich diese riesige Lok das erste Mal sah – sie war mit den kleinen Modellen meines Opas gar nicht zu vergleichen.
Mein Herz raste in meiner Brust, und ich war ganz aufgeregt, so aufgeregt, dass ich im ersten Moment gar nichts sagen konnte, sondern nur staunte, vielleicht stand sogar mein Mund offen. Kurz zuckte ich zusammen, als der Dampf aus dem Schlot der Lok schoss, dann lachte mein Opa laut und herzhaft, und ich stimmte mit ein.
Selbst heute noch, wenn wir als Familie unterwegs sind und eine Dampflok zu Gesicht bekommen, löst das einen ganz bestimmten Erinnerungspunkt in mir aus. Besonders wenn mein Sohn an meiner Seite ist, fühle ich mich in die Rolle meines Opas als Vaterfigur versetzt.
Mittlerweile sitzen mein Sohn und meine Frau gemeinsam mit mir am Frühstückstisch und genießen ihre Pfannkuchen. Das gönnen die beiden sich jeden Sonntagmorgen. Mein Sohn sitzt gegenüber von mir neben seinem Teller der Eisenbahnwagen. Ich lächele ihm liebevoll zu, was er erwidert, dabei fällt mir die kleine Beule an seiner Schläfe auf, die er sich letzte Woche bei einem kleinen Unfall zufügte.
Wieder schweifen meine Gedanken ab, und ich erinnere mich daran, wie ich meiner Mutter und meinem Opa einen richtigen Schrecken einjagte. Meine Mutter musste an einem Vormittag zur Arbeit, sie absolvierte eine Ausbildung zur Arzthelferin, und während dieser Zeit war ich an jenem Tag bei meiner Uroma zu Hause. Als Kind habe ich sie natürlich ganz schön gefordert und auf Trab gehalten.
Beim Wickeln passierte es dann, ich fiel vom Wickeltisch auf den Kopf, wo sich auch sofort eine Beule zeigte. Ob ich geschrien habe oder nicht, kann ich heute nicht mehr sagen. Höchst alarmiert holte meine Uroma meinen Opa zu Hilfe, der nicht weit entfernt war. Er zögerte nicht lange und brachte mich zum Arzt. Dieser gab aber Gott sei Dank gleich Entwarnung, außer der Beule hatte ich keine weiteren Verletzungen.
Auch durch dieses Erlebnis schloss ich meinen Opa immer mehr ins Herz, und die Bindung zu ihm wurde immer stärker. Für mich war er schon längst mein Vater, obwohl mein leiblicher Vater zu dieser Zeit ab und an auch da war, wie zum Beispiel an Geburtstagen, aber so richtig fand ich keinen Draht mehr zu ihm. Mein Opa war eben immer für mich da, und ich konnte mich immer auf ihn verlassen.
Mein Leben veränderte sich schlagartig, als meine Mutter eines Tages von meiner Oma einen Anruf bekam. Noch während meine Mutter mit meiner Oma telefonierte, bemerkte ich an ihrem Ausdruck und an ihrer dünnen Stimme, dass etwas nicht stimmte. Als sie dann aufgelegt hatte, fiel mir auf, dass sie sehr aufgebracht war, sie versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Wortlos brach sie sofort auf und ließ mich bei ihrem damaligen Freund zurück.
Obwohl ich noch sehr klein war, wusste ich sofort, dass etwas Schreckliches passiert war. Der Freund meiner Mutter versuchte mich abzulenken, und wir spielten bis in den Abend hinein. Irgendwann kam dann auch meine Mutter wieder nach Hause. Sie sah blass, müde und niedergeschlagen aus, und an ihren geschwollenen Augen erkannte ich, dass sie weinte. Mit einem einfühlsamen Lächeln setzte sie sich neben mich, nahm mich in den Arm und erzählte mir, dass mein Opa nun bei den Engeln sei und dass er über mich wachen werde. Er war mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und hatte einen Herzinfarkt erlitten.
Somit wurde mir klar, dass ich meinen Opa nie mehr sehen würde. Für mich brach eine Welt zusammen. Nun hatte ich keinen richtigen Vater mehr und keinen Opa, der die Vaterrolle so wundervoll übernommen hatte. Er war der männliche Part in unserer Familie, er war für mich alles, mein Vorbild und mein Fels in der Brandung.
Ich fragte als Kind oft nach ihm, und dieser dumpfe und festsitzende Schmerz verfolgt mich bis heute. Eine geliebte Person zu verlieren, die von einer Sekunde auf die andere nicht mehr Teil deines Lebens ist, ist, als würde dir jemand das Herz bei lebendigem Leibe herausreißen. Aber was mir hilft, mit dem Schmerz einigermaßen klarzukommen, sind die Erinnerungen an meinen Opa.
Kapitel 1
Lange Zeit wohnten meine Mutter und ich zusammen mit meinem Stiefvater im Haus seines Vaters. Seit 2015 wohne ich nun wieder in dem Haus meiner Großeltern, dadurch werden auch immer wieder die Erinnerungen an meinen Opa geweckt. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass er mir ganz nah ist. Anfangs machte mir diese Empfindung etwas Angst, aber mittlerweile schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen, wenn ich ihn in meine Nähe denke.
So lächele ich auch jetzt. Unser Frühstück ist mittlerweile vorbei, und ich habe mich für eine kurze Zeit in den Garten zurückgezogen, um mich weiter ein bisschen an die Vergangenheit zu erinnern. Entspannt habe ich mich auf die Gartenliege gelegt und lasse mich von den warmen Sonnenstrahlen verwöhnen.
Meine liebe Uroma ist zwischenzeitlich leider verstorben. Daraufhin einigten wir uns, dass meine Oma wegen ihres Alters in den ersten Stock zog, während ich nun mit meiner Frau und meinem Sohn den zweiten Stock bewohne. Wie schon erwähnt, liegt unser Haus in einem Tal, und nicht weit davon entfernt befindet sich der Bach. Bis zum Jahre 1999 lag der Bach noch ein bisschen näher an unserem Haus.
Aber durch ein schweres Hochwasser, bei dem unser ganzer Ort unter Wasser stand, wurde der Bachlauf geändert, damit wir so ein schreckliches Ereignis in Zukunft nicht noch einmal erleben müssen. Das Jahr 1999 war für mich ein ereignisreiches Jahr. Es ist viel passiert, Gutes, nicht so Gutes und Erschreckendes, dadurch bleibt mir dieses Jahr immer unvergessen.
Wenn ich irgendwo die Zahl 1999 sehe, muss ich zuerst an meine kleine Schwester denken. Zwar haben wir nicht denselben Vater, aber für mich ist und bleibt sie einfach meine richtige Schwester. Sie spielt schon mein ganzes Leben lang eine wichtige Rolle für mich, sie gibt mir immer Halt und hat immer die richtigen Ratschläge für mich parat, und wenn ich Probleme habe, kann ich mich immer und überall auf sie verlassen. Und umgekehrt ist das auch so, ich würde sie nie im Stich lassen.
Sie kam in diesem Jahr zur Welt, und ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie aufregend diese Zeit für mich war und wie ich mich auf meine kleine Schwester gefreut habe. Sie war noch gar nicht auf der Welt, und ich hatte sie schon unheimlich lieb und konnte es gar nicht erwarten, sie endlich zu sehen, mit ihr zu kuscheln, mit ihr zu spielen und sie das erste Mal im Arm halten zu können.
In der ganzen Zeit, als meine Mutter schwanger war, habe ich mich jeden Tag an ihren Bauch gekuschelt und versucht, etwas zu hören. Manchmal trat das kleine Wesen kräftig, manchmal weniger kräftig und manchmal war auch gar nichts von ihr zu spüren.
Dabei stellte ich meiner Mutter fast jeden Tag dieselben Fragen: „Wann kann ich meine kleine Schwester endlich sehen? Wann kommt sie denn? Wann ist es endlich so weit?“ Zum Ende der Schwangerschaft hin konnte ich sogar beobachten, wie der Bauch meiner Mutter Tag für Tag größer wurde, und somit steigerte sich auch die Aufregung bei mir, denn mir wurde klar, dass es womöglich nicht mehr lange dauern wird, bis meine kleine Schwester in unsere Familie tritt.