Dein Weg aus der Erschöpfung - Alex Howard - E-Book

Dein Weg aus der Erschöpfung E-Book

Alex Howard

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Beschreibung

Gehen Sie der Ursache Ihrer chronischen Erschöpfungsdiagnose auf den Grund und entdecken Sie einen klinisch erprobten 12-Schritte-Plan zur Heilung, Genesung und Transformation! Das Leben mit Müdigkeit kann sich hoffnungslos und verwirrend anfühlen, da sich traditionelle medizinische Ansätze oft auf die Behandlung der Symptome konzentrieren, anstatt die zugrunde liegenden Ursachen zu verstehen und anzugehen. Aber Heilung ist möglich, wenn Sie lernen, Ihre Müdigkeit zu entschlüsseln und die richtigen Maßnahmen in der richtigen Reihenfolge zur richtigen Zeit zu ergreifen. Nachdem der renommierte Gesundheitsexperte Alex Howard sieben Jahre lang an chronischer Müdigkeit gelitten hatte, gründete er eine der weltweit führenden Kliniken, die sich auf Müdigkeit spezialisiert hat, und widmet sich seit über 20 Jahren der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet. Dieses Buch führt Sie durch eine klinisch erprobte Methodik, die Ihnen dabei hilft, -die Ursachen von Müdigkeit zu verstehen, -die wichtigsten Schritte zur nachhaltigen Steigerung Ihrer Energie zu entdecken, -Ihren persönlichen Genesungsplan zu entwerfen. Dieser revolutionäre 12-Schritte-Ansatz wird Ihnen nicht nur dabei helfen, Ihre Müdigkeit zu verstehen und zu überwinden, sondern er leitet Sie auch an, Ihren eigenen Weg zur Heilung und Transformation zu finden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 319

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Alex Howard

Dein Weg aus der Erschöpfung

Der 12-Schritte-Plan, um deine Energie zusteigern, deinen Körper zu heilen und deine Zielezu erreichen

Wichtige Hinweise

Die Empfehlungen in diesem Buch wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Die Publikation enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben; für diese fremden Inhalte können wir keine Gewähr übernehmen. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung nicht erkennbar.

Auch wenn eine gendergerechte Sprache wünschenswert ist, gibt es aus Sicht des Verlages bisher keine befriedigende, gut lesbare Lösung. Der leichteren Lesbarkeit zuliebe haben wir zumeist von der Doppelung männlicher und weiblicher Formen nach dem Muster »der … oder die …«, »er bzw. sie« usw. Abstand genommen. Selbstverständlich liegt es uns fern, dadurch jemanden zu benachteiligen. Die Ziffern der einzelnen Anmerkungen wurden aus der englischen Vorlage übernommen. Teilweise hat der Autor in den Kapiteln frühere Anmerkungen mitsamt ihrer Nummer wieder aufgegriffen, d.h. ohne ihnen eine fortlaufende, neue Nummer zuzuordnen.

Titel der Originalausgabe:

Decode Your Fatigue. A Clinically Proven 12-Step Plan to Increase Your Energy, Heal Your Body, and Transform Your Life.

© 2021 by Alex Howard

Hay House, Carlsbad/California, New York City, London, Sydney, New Delhi – www.hayhouse.com

Deutsche Ausgabe:

© 2022 NEXT LEVEL Verlag, ein Imprint der MOMANDA GmbH, Rosenheim

www.next-level-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung aus dem Englischen: Maria Müller-de Haën

Lektorat der Printausgabe: Gitta Lingen

Schaubilder: Sam Smith

Foto des Autors: Oliver Halls

Cover: Guter Punkt, München, unter Verwendung des Covermotivs der englischen Originalausgabe

Gesamtherstellung: Bernhard Keller

E-Book-Umsetzung: Brockhaus

eISBN 978-3-949458-42-2

Kommentare zu diesem Buch

»Ein hoffnungsvolles, praxistaugliches Buch, das den Menschen hilft, von der lähmenden Erschöpfung wieder zu einem zielgerichteten, freudvollen Leben zu finden.«

Miranda Hart, Comedienne, Schauspielerin und Autorin

»Sind Sie bereit, sich ermächtigen zu lassen, anstatt den Boden unter den Füßen zu verlieren? Aufgeklärt zu sein, statt im Dunkeln zu tappen? Dieses Buch zeigt den Weg auf und hilft Ihnen, an diesen Punkt zu gelangen. Geschrieben von jemandem, der gesund ist und an dem Punkt war, wo Sie jetzt sind!«

Jacob Teitelbaum, M.D., Autor des Bestsellers »From Fatigued to Fantastic!«

»Alex Howard und seine Kollegen leisten seit vielen Jahren hervorragende Arbeit mit Patienten und Klienten, die an allen möglichen Arten von chronischer Erschöpfung leiden. Erschöpfung bzw. Fatigue ist ein äußerst komplexes Thema, das es zu untersuchen und klinisch korrekt zu behandeln gilt, und dieses Buch leistet meisterhafte Arbeit, denn es greift diese Komplexität auf und erörtert das Thema so, dass es sowohl für Laien als auch für medizinische Fachkräfte leicht verständlich und nachvollziehbar ist. Bravo!«

Prof. Dr. David Brady, Autor von »The Fibro-Fix«

»In diesem Buch zeigt Alex auf, wie die westliche Medizin Patienten mit CFS/ME (Chronisches Fatigue-Syndrom/myalgische Enzephalomyelitis) im Stich lässt. Die Ärzte suchen nicht nach der Ursache der Krankheit und versuchen auch nicht, die Mechanismen zu erkennen, wodurch die betroffene Person krank geworden ist. Hier gibt Alex dem Leser einen ›Fahrplan‹ an die Hand und erklärt, wie Symptome als wichtige Wegweiser für die Genesung genutzt werden können. Mit den Regeln und Werkzeugen für die Genesung ist alles möglich. Die Werkzeuge sind für jedermann zugänglich, das Buch ist logisch aufgebaut, sodass schwierige Konzepte leicht verständlich sind. Ja, dies ist keine leichte Reise, sie erfordert Entschlossenheit und Mut. Aber mit ›Dein Weg aus der Erschöpfung‹können Sie es schaffen.«

Dr. Sarah Myhill, Autorin von »Diagnosis and Treatment of Chronic Fatigue Syndrome and Myalgic Encephalitis: it’s mitochondria, not hypchondria«

»Endlich ein praktischer Leitfaden zur Genesung vom Fatigue-Syndrom, der nicht nur inspirierend, sondern auch sehr praxistauglich ist. Alle Systeme, die bei der Erschöpfung eine Rolle spielen, werden behandelt. ›Dein Weg aus der Erschöpfung‹ zeigt auf, wie Sie Ihre Heilungsreise individuell gestalten können – was sehr wichtig ist, denn wir alle sind einzigartig. Vielen Dank, Alex, für diesen umfassenden Wegweiser zur Genesung! Eine sehr empfehlenswerte Lektüre!«

Donna Gates, M.Ed., American Board of Anti-Aging Health Practitioners (ABAAHP), Autorin des internationalen Bestsellers »The Body Ecology Diet«

»›Dein Weg aus der Erschöpfung‹ bietet den Lesern eine außergewöhnliche Gelegenheit: Sie können sich endlich verstanden fühlen; ihre gesundheitlichen Herausforderungen und Symptome im Zusammenhang mit dem Mangel an Energie werden anerkannt und validiert. Alex stellt einen einfachen 12-Schritte-Prozess vor, der Hoffnung auf Genesung macht. Dieses Buch ist ein Muss für alle, die unter chronischer Erschöpfung oder ähnlichen Beschwerden leiden, und wird in unserer Klinik und in der Ausbildung unserer Therapeuten zu einem festen Bestandteil werden.«

Andrea Nakayama, Master of Science in Nursing (MSN), Functional Lifestyle and Nutrition Practitioner (FNLP), Certified Nutrition Educator (CNE), Certified Nutrition Counselor (CNC), Ernährungsberaterin für funktionelle Medizin, Gründerin und klinische Leiterin der Functional Nutrition Alliance

»Ich weiß die Arbeit von Alex und seinem Team in der OHC sehr zu schätzen. Es gibt eine Menge Bücher über Erschöpfung – so viele, dass Sie dieses Buch vielleicht überspringen möchten –, aber ich bitte Sie inständig: Tun Sie es nicht! Nehmen Sie es in die Hand und lesen Sie es! Alex’ Herangehensweise an tiefe, chronische, multifaktorielle, komplexe Erschöpfung ist anders. Ja, am Anfang stand seine persönliche Erfahrung, aber sie führte dazu, dass er eine Klinik mit einer engagierten Forschungsabteilung und einem Team von brillanten gleichgesinnten Kollegen und Kolleginnen gründete, die alle verschiedene Aspekte des Erschöpfungs-Rätsels erforschen. Sie haben im Lauf der Jahrzehnte nicht nur Tausende von Patienten und Patientinnen erfolgreich behandelt, sondern auch zahlreiche Forschungsstudien über ihren Ansatz veröffentlicht. Unabhängig von der zugrunde liegenden Ursache Ihrer Erschöpfung wird dieses Buch – wenn Sie sich die Zeit dafür nehmen und Ihre kostbare Energie investieren – wahrscheinlich die letzte Station auf Ihrer langen, oft zutiefst entmutigenden Reise zur Heilung von chronischer Erschöpfung sein.«

Dr. Kara Fitzgerald, Klinikdirektorin und Moderatorin des Podcasts »New Frontiers in Functional Medicine«

Inhalt

Teil 1: Was ist Erschöpfung?

1. Radikale Verantwortung

2. Warum die Schulmedizin bei Erschöpfung ratlos ist

3. Wie unser Körper Energie erzeugt

4. Der Einfluss des Geistes und der Emotionen auf die Erschöpfung

5. Ein neues Modell zum Verständnis von Erschöpfung

Teil 2: Die Erschöpfung entschlüsseln

6. Die Persönlichkeit der Erschöpfung

7. Die Belastungen des eigenen Körpers verstehen

8. Befinden Sie sich in einem heilungsfördernden Zustand?

9. Das Verdauungssystem – unsere Energiequelle aufspalten

10. Unsere Hormone und das Energiereservesystem des Körpers

11. Das Immunsystem – die Belastungen des Körpers reduzieren

Teil 3: Sich von der Erschöpfung erholen

12. Selbstcoaching für die Genesung

13. Lernen, auf den eigenen Körper zu hören

14. Die drei Phasen der Genesung

15. Einen heilungsfördernden Zustand kultivieren

16. Ernährungsgrundlagen

17. Mit Ärzten und Therapeuten arbeiten

18. Einen Genesungsplan ausarbeiten

Anmerkungen/Quellen

Danksagung

Über den Autor

Teil 1: Was ist Erschöpfung?

1. Radikale Verantwortung

Wie die meisten Menschen bin ich in dem Glauben aufgewachsen, dass man eine Pille schluckt, wenn man krank wird, und es einem dann besser geht. Zumindest galt das bis kurz vor meinem 16. Geburtstag, als ich mich körperlich in einer Hölle wiederfand, die keine Pille heilen konnte.

Eines Morgens wachte ich auf, und etwas fühlte sich sehr falsch an. Es war, als hätte jemand den Stecker gezogen und meinen Körper von seiner Energieversorgung abgeschnitten; ich hatte keinerlei Energie mehr. Der kurze Weg von meinem Schlafzimmer zum Badezimmer fühlte sich wie ein Marathon an, meine Muskeln schmerzten, und mir wurde schwindlig, wenn ich auch nur die einfachsten Aufgaben erledigte.

Nach mehreren Arztbesuchen und diversen Bluttests kam man zu dem Schluss, dass ich mir ein Virus eingefangen hatte. Ich müsse mich nur ausruhen, hieß es, und in ein oder zwei Monaten würde alles wieder normal sein. Mir als Teenager, der nur Sport treiben und mit seinen Freunden Musik machen wollte, kam das wie eine Ewigkeit vor.

Keine Ahnung zu haben, was denn nun die Ursache war, machte mich zwar nicht gerade glücklich, aber es kam mir nie in den Sinn, dass es sich um etwas Schlimmeres handeln könnte als ein Virus, das von selbst wieder verschwinden würde. Außer, dass es eben nicht verschwand …

Ein Vierteljahr später landete ich auf der Suche nach Antworten erneut beim Arzt. Diesen Vorstoß hatte meine Großmutter unternommen – wenn jemand Antworten finden konnte, dann sie. Mein Gesundheitszustand hatte sich seit meinem letzten Termin nicht verbessert, sondern sogar deutlich verschlechtert. Der Versuch, ein paar Wochen zuvor die Schule wieder aufzunehmen, war furchtbar schiefgegangen: Nachdem ich 10 Tage lang durchgehalten und so getan hatte, als wäre alles in Ordnung, war ich zusammengebrochen und fühlte mich schlechter denn je.

Die Arztpraxis war nur 5 Autominuten von unserem Haus entfernt, aber sie hätte genauso gut eine Million Meilen weg sein können. Als wir dort ankamen, war mir so schwindlig, dass ich kaum stehen konnte, und die Erschöpfung war so lähmend, dass ich es kaum schaffte, mich nicht auf den Boden zu legen und mich zusammenzurollen.

Im Wartezimmer musterte ich die anderen Patienten, um mich abzulenken, und ertappte mich dabei, wie ich mir aus einem seltsamen Neid heraus wünschte, ich könnte meine Krankheit gegen ein greifbareres Leiden eintauschen. Gerne hätte ich einen gebrochenen Arm oder ein gebrochenes Bein oder sogar eine unangenehme Infektionskrankheit in Kauf genommen; für so etwas hätte es wenigstens einen klaren Weg zur Genesung gegeben. Die Ungewissheit, wie es mit mir weitergehen könnte, war fast so schlimm wie meine lähmenden Symptome.

Als ich zum Arzt gerufen wurde, begleitete mich meine Großmutter. Ich fing an, die neuesten Entwicklungen – bzw. das Fehlen jeglicher Entwicklungen – zu schildern, aber sie unterbrach mich: »Glauben Sie, dass es sich um ein chronisches Erschöpfungssyndrom bzw. um myalgische Enzephalomyelitis handeln könnte?«, fragte sie den Arzt mit der etwas zu forschen Stimme einer Person, die merkt, dass sie sich außer der Reihe einmischt.

Es folgte eine lange Pause, in der die Miene des Arztes einen etwas nachdenklichen Ausdruck annahm. Mein unnormal langsames Gehirn versuchte sich in dieser Pause einen Reim auf das zu machen, was meine Großmutter gerade vorgeschlagen hatte. Ich wusste nicht viel über das chronische Erschöpfungssyndrom, aber ich verstand, dass das eine schlechte Nachricht war und eine Diagnose, die mir gar nicht gefiel.

Schließlich antwortete der Arzt: »Ja, ich denke, das ist die wahrscheinlichste Erklärung.«

Nach einer weiteren Pause meldete ich mich zu Wort. »Was bedeutet das?«, fragte ich. »Gibt es eine Pille, die ich einnehmen kann oder so?«

»Nein, ich fürchte, es gibt nichts, was ich dir geben kann«, erwiderte der Arzt. »Das Beste, was ich dir anbieten kann, ist eine psychologische Beratung.«

Ich hatte Mühe, das Ausmaß dessen zu verarbeiten, was er mir mitteilte – dass ich an einer schweren Krankheit litt, gegen die man nichts tun konnte –, und sein Vorschlag, mich in psychologische Beratung zu begeben, traf mich zutiefst. Ich wollte laut herausschreien, wie lächerlich das war, aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Wie konnte er mich nur so beleidigen? Meine Krankheit steckte in meinem Körper, nicht in meinem Geist!

Die Kehrseite der Hoffnung

Es sollte noch einige Jahre dauern, bis ich den Schrecken jenes Herbstmorgens ganz verinnerlicht hatte. Im Lauf der Monate schleppte mich meine Großmutter, die nicht akzeptieren wollte, dass die Schulmedizin keine Lösung für meine Verfassung bieten konnte, durch die seltsame und wunderbare Szene der alternativen Heiler bei uns vor Ort: Ernährungsberater, Energieheiler, Ärzte für chinesische und indische Medizin … Ich habe sie alle aufgesucht.

Wie ich mich erinnere, war ich die ersten paar Male wirklich voller Hoffnung und ganz aufgeregt, aber schon bald zeichnete sich ein klares, vorhersehbares Muster ab: Man beschrieb mir die Vorzüge des neuesten Angebots, und ich las eine Broschüre mit Erfahrungsberichten von Menschen, die ähnliche Symptome wie ich hatten. Ich schob meine Zweifel beiseite und war optimistisch, dass die Behandlung funktionieren würde – nur um einige Wochen oder Monate später wieder enttäuscht zu sein, weil sich herausstellte, dass sie nicht das Geringste bewirkte.

Mit der Zeit machte ich mir keine Hoffnungen mehr. Nicht, weil ich nicht wollte, dass es mir besser ging – das wollte ich mehr als alles andere –, sondern weil ich die emotionale Achterbahn der Enttäuschung nicht mehr ertragen konnte. Ich war von Natur aus nicht zynisch, aber ich wurde zum Zyniker, weil es die einzige Möglichkeit war, mich vor der Kehrseite der Hoffnung zu schützen.

In den nächsten zwei Jahren suchte ich zahlreiche vermeintliche medizinische Experten auf, stellte meine Ernährung radikal um, ließ mehr Bluttests durchführen, als mir überhaupt bekannt waren, und konsultierte alle möglichen Leute, von Wunderheilern bis hin zu Leuten, von denen ich nicht weiß, ob sie überhaupt geistig zurechnungsfähig waren. Alles ohne Erfolg. Meine Symptome verschlimmerten sich eher, und nachdem ich längere Zeit in dieser Hölle des Lebens ausgehalten hatte, verschlechterte sich natürlich auch meine geistige Verfassung.

Der Wendepunkt

Mit 18 erreichte mein Gesundheitszustand seinen Tiefpunkt. Man kann nicht behaupten, ich sei suizidgefährdet gewesen – ich wollte ja nicht sterben –, aber ich sah gleichzeitig keine Möglichkeit mehr, in dem Albtraum weiterzuleben, zu dem mein Leben geworden war. Ich hatte jeden Tag Schmerzen, und manchmal fühlten sich die wenigen Schritte von meinem Schlafzimmer zum Badezimmer an, als hätte ich den Mount Everest erklommen. In diesem Zustand der Verzweiflung nahm ich eines Tages den Hörer in die Hand und rief meinen Onkel an. Ich führte mit ihm ein Gespräch, das mein Leben verändern sollte.

Mein Onkel war ein bisschen wie Gandalf in »Herr der Ringe« – er war nicht sehr oft da, aber er hatte die Angewohnheit, genau zur richtigen Zeit mit den richtigen Ratschlägen aufzutauchen, bevor er wieder hinter dem Horizont verschwand. Ich lernte ihn aus der Ferne zutiefst zu bewundern und zu respektieren, und die Tatsache, dass er ein Indie-Plattenlabel betrieb, machte ihn auch für einen aufstrebenden Punkrock-Gitarristen wie mich sehr cool.

Wenn man eine schwere chronische Krankheit hat, ist es nicht so einfach, ein Gespräch mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln zu beginnen. Auf die scheinbar harmlose Frage »Na wie geht’s denn so?« kann man alles Mögliche antworten, und ein »Danke der Nachfrage, mir geht’s ganz gut« klingt zwar höflich und ist eine ganz normale Antwort, aber auch eine glatte Lüge. »Ganz gut« fällt in dieselbe Kategorie wie »Ganz nett«; es kann sich eher darauf beziehen, dass eben eigentlich etwas fehlt und dass es nicht so ist, wie man es gerne hätte.

In diesem Stadium meiner Krankheit war es mir jedoch egal, was andere Leute von mir dachten. Ich hatte keine Kraft mehr, mich zurückzuhalten, und sagte meinem Onkel genau, was ich fühlte: Ich hasste mein Leben und alles, was dazugehörte; ich wollte keinen weiteren Tag in dieser Hölle erleben, zu der mein Leben geworden war; ich war am Ende meiner Kräfte und konnte nicht mehr.

Nun würde man in einer solchen Situation normalerweise eine freundliche, mitfühlende Reaktion erwarten, und mein Onkel wusste durchaus, dass ich beides verdiente. Aber er erkannte auch, dass Sympathiebeweise mit Tee und Keksen nichts ändern würden. Er wusste, dass ich die Umstände meines Lebens selbst ändern musste, wenn ich sie ändern wollte, so schwer es auch scheinen mochte.

Zunächst stellte er mir eine einfache Frage: »Auf einer Skala von null bis zehn, wie sehr wünschst du dir, dass es dir besser geht?«

Ich brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Ich glaubte, ich würde praktisch alles tun – außer Mord oder die Amputation eines Arms oder Beins –, um gesund zu werden. Ich gab mir 9½ von 10 Punkten.

Meine nächste Aufgabe bestand darin, eine Liste mit all den Dingen zu erstellen, die ich meiner Meinung nach tun könnte, um gesund zu werden, gefolgt von einer Liste mit all den Dingen, die meinen Zustand noch verschlechtern würden. Mein Onkel schlug mir vor, den Telefonhörer aufzulegen, diese beiden Listen zu erstellen und ihn in 10 Minuten zurückzurufen.

Als ich meine Liste der Dinge zusammenstellte, die ich tun konnte, damit es mir besser ging, stieß ich auf alle möglichen Ausreden: Ich hatte schon alles ausprobiert, und nichts hatte funktioniert, und wie sollte ich Antworten finden, wenn doch auch niemand sonst das geschafft hatte? Aber ich hatte Respekt vor meinem Onkel, außerdem war ich verzweifelt, also notierte ich Dinge wie »Meditation«, »Yoga« und »Mehr über Lebensmittel und Ernährung lernen«; ich zählte sogar »Mich mehr mit Psychologie beschäftigen« auf – so verzweifelt war ich.

Dann arbeitete ich an meiner Liste mit Dingen, durch die es mir schlechter ging. Darauf fand sich nur ein Wort: »Leben.« Es fühlte sich an, als ob schon der Versuch, den Tag zu überstehen, eine Quelle der Folter war.

Ich rief meinen Onkel an und war stolz, dass ich mir wenigstens die Mühe gemacht hatte, die Übung zu erledigen. Ich ging mit ihm meine Listen durch; wie er mir sagte, musste ich zum Teil tiefer graben, um Antworten zu finden. Es waren jedoch seine nächsten beiden Fragen, die alles für mich veränderten: »Wie viele Stunden am Tag verbringst du mit den Dingen, die deiner Meinung nach etwas bewirken können?«, fragte er.

Meine Antwort klang nicht nur erbärmlich – sie war es auch. Sie lautete im Grunde: »Nicht eine einzige.« Ich wusste, was ich hätte tun können – das stand ja schließlich auf meiner Liste –, aber ich hatte eben nichts davon gemacht. Das war die traurige Wahrheit.

Dann fragte er, ganz ohne Wertung oder Urteil: »Und wie viele Stunden verbringst du täglich vor dem Fernseher?«

Ich nahm mir einen Moment Zeit, um auszurechnen, wie viele Seifenopern ich mir neben allen möglichen anderen sinnlosen Fernsehsendungen ansah, und gab ihm etwas verlegen meine Antwort: Ich sah etwa sieben Stunden pro Tag fern. Natürlich hatte ich meine Ausreden: Ich hatte keine Energie, etwas anderes zu tun, und es half, meinen Geist zu betäuben, während mein Körper so krank war.

Nun verriet mir mein Onkel, worauf er hinauswollte: »Du wünschst dir also, dass es dir besser geht, mit neuneinhalb von zehn Punkten, und würdest fast alles tun, um das zu erreichen. Du hast eine Liste mit Dingen, die dir helfen könnten, doch du nimmst dir dafür keine Zeit. Aber du verbringst sieben Stunden am Tag vor dem Fernseher. Irgendetwas stimmt doch da nicht ganz, oder?«, schloss er, gerade so sanft und herzlich, dass ich nicht in die Defensive geriet, sondern lange und intensiv nachdachte.

In der nächsten Stunde half mir mein Onkel, einen Plan zu entwerfen, der alles für mich ändern sollte. Von diesem Moment an machte ich mich mit einer Entschlossenheit, die mich bis heute überrascht, daran, einen Weg zur Genesung zu finden.

Ich habe alles gegeben. Meine Reise der Heilung nahm mein ganzes Leben in Anspruch; ich war so verzweifelt, dass ich das Gefühl hatte, gar keine andere Wahl zu haben.

Das Rätsel der Erschöpfung entschlüsseln

In den folgenden 5 Jahren ging ich zu mehr als 30 verschiedenen Therapeuten, las mehr als 500 Bücher und praktizierte Tausende von Stunden Meditation und Yoga. Dabei wurde mir klar, dass das Überwinden der Erschöpfung wie das Entschlüsseln eines kryptischen Rätsels ist – man muss die richtigen Maßnahmen in der richtigen Reihenfolge und zum richtigen Zeitpunkt ergreifen.

Auf meinem Weg zur Genesung unternahm ich scheinbar endlose Versuche und erlitt zahllose Fehlschläge. Manchmal war es mehr als frustrierend, das Ganze verstehen zu wollen. Mit der Zeit wurde mir klar, dass die richtige Art der Zusammenstellung genauso wichtig sein kann wie die richtigen Zutaten: Wie ich feststellte, können Behandlungen, die in einer Phase der Genesung helfen, die Angelegenheit in einer anderen Phase verschlimmern. Lange bevor das Konzept des Biohackings in der Populärkultur Verbreitung fand, habe ich in gewisser Weise genau das getan: endlose Experimente an meinem Körper durchgeführt, um langsam das Rätsel meiner Erschöpfung zu entschlüsseln.

Fünf Jahre nach diesem schicksalhaften Gespräch mit meinem Onkel wusste ich endlich, dass ich mich vollständig erholt hatte. Ich glaube, jeder, der so eine Erfahrung macht wie ich, hat einen Maßstab dafür; er denkt: »Wenn ich das tun könnte, ohne dass es sich rächt, dann wüsste ich, dass ich vollständig genesen bin.«

Für mich bedeutete das, loszurennen, mich voll ins Zeug zu legen und mit nichts zurückzuhalten. Hätten Sie mich an diesem Tag gesehen, wären auch Sie der Meinung gewesen, dass es der legendären Szene in »Rocky« echt nahekam. Ich bin einen der steilsten Hügel Londons hinaufgelaufen und habe alles gegeben, und als ich oben ankam, war ich in Tränen aufgelöst. Der Lauf selbst war jedoch nicht der eigentliche Test für meine Genesung – der kam erst in den Tagen danach, als ich mich anstelle der für chronische Erschöpfung so typischen körperlichen Rückschläge vollauf bereit fühlte, wieder loszulegen.

Die Gründung der Optimum Health Clinic

In den späteren Jahren meiner Genesung absolvierte ich ein Psychologiestudium in Wales, und im Rahmen meiner Abschlussarbeit befragte ich zehn Menschen, die wie ich persönliche Erfahrungen mit schwerer Erschöpfung gemacht hatten, um herauszufinden, wie sich die Erschöpfung auf ihr Selbstgefühl ausgewirkt hatte. Die drei, die sich erholt hatten, berichteten, ihr Leben sei trotz der immensen Schwierigkeiten und des Leids, das sie durchgemacht hatten, durch die Erfahrung bereichert worden. In der Wissenschaft wird dies als posttraumatisches Wachstum bezeichnet.1

Und obwohl es mir auf dem Höhepunkt der Verzweiflung sehr schwergefallen wäre, es zu akzeptieren, wusste ich, dass das auch für mich galt. Nachdem ich durch die Hölle und zurück gegangen war, hatte ich etwas über mich selbst und die Welt gelernt, was mir ein starkes Gespür für meine Fähigkeiten verlieh sowie eine tiefe Verantwortung dafür, Menschen in einer ähnlichen Situation zu helfen.

Nachdem ich ein Jahr lang als Lehrling bei einem meiner Psychologieausbilder gearbeitet hatte, beschloss ich, die Art von Klinik zu gründen, die ich mir in den Jahren meiner Krankheit gewünscht hätte. Angetrieben von der Leidenschaft, zu helfen, und der Überzeugung, dass ich auf meinem Weg einige Antworten gefunden hatte, gründete ich die Optimum Health Clinic (OHC) aus meiner Ein-Zimmer-Wohnung im Norden Londons heraus, zu einer Zeit, in der ich kaum die monatliche Miete bezahlen konnte.

Innerhalb weniger Monate erhielt ich Tausende Anfragen von Menschen aus ganz Großbritannien, die an myalgischer Enzephalomyelitis (ME), chronischem Erschöpfungssyndrom und Fibromyalgie litten. Dann lud ich eine Ernährungstherapeutin, Niki Gratrix, ein, sich mir anzuschließen – ich hatte zwar ein gutes Grundwissen über Ernährung, aber mein Spezialgebiet war die Psychologie.

Und als Niki und ich das nicht mehr allein bewältigen konnten, stieß Anna Duschinsky zu uns. Sie wurde unsere psychologische Leiterin, sodass ich mich auf die allgemeine Vision und die Führung der Klinik konzentrieren konnte. Anna hatte eine sehr ähnliche Heilungsgeschichte wie ich, und unsere persönlichen Erfahrungen wurden zu einem wichtigen Bestandteil unseres patientenzentrierten Ansatzes.

Es war eine ungemein aufregende Zeit, aber sie war auch mit einer großen Verantwortung verbunden. Vom ersten Tag an waren wir entschlossen, nicht in die Falle zu tappen und zu behaupten, wir hätten alle Antworten oder unser Ansatz sei der einzige, der zählt, wie es viele andere Ärzte und Therapeuten getan hatten. Mit einer für unser Alter in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Reife entwickelten wir sehr sorgfältig einen neuen Ansatz für die Behandlung von Erschöpfungszuständen, bei dem die individuellen Unterschiede der einzelnen Patienten und Patientinnen im Mittelpunkt stehen.

In den Anfangsjahren der OHC waren wir mit der großen Herausforderung konfrontiert, das bestmögliche Expertenteam zu finden, auszubilden und zu unterstützen. Abgesehen von einem A-Level-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre hatte ich keinerlei geschäftliche Erfahrung und noch nie einen »richtigen« Job gehabt. Beim Arbeiten lernten wir ständig dazu, und im Rückblick grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass wir es schafften, das zeitweise rasante Wachstum zu überstehen.

Glücklicherweise schienen wir genau zur richtigen Zeit die richtigen Leute anzuziehen, die uns begleitend zur Seite standen und unterstützten – ein Segen, und zwar bis zum heutigen Tag. Einigen dieser Menschen werden Sie beim Lesen dieses Buches begegnen.

Wie uns mit der Zeit sehr klar wurde, mussten wir die Sprache der Medizin, also die Sprache der Forschung, sprechen, damit unser Ansatz zur Behandlung von Erschöpfungszuständen letztendlich von der Schulmedizin akzeptiert und in sie integriert würde. Und so gründeten wir 2011 unsere eigene Forschungsabteilung.

Ein Jahr später veröffentlichten wir eine prospektive Vorstudie im »British Medical Journal Open«, die eine statistisch signifikante Verbesserung durch unseren Ansatz aufzeigte.2 Es folgten Veröffentlichungen unter anderem in »Psychology and Health«, »Medical Hypotheses« und im »Journal of Integral Theory and Practice«.3

Seitdem haben die OHC-Teams mit über 10.000 Patienten in mehr als 50 Ländern gearbeitet. Wir haben 20 Vollzeitärzte und gelten als eine der weltweit führenden Kliniken für integrative Medizin. Auf diesem Weg haben wir viel gelernt, und heute wissen wir unendlich viel mehr über Erschöpfungszustände als ich in den Jahren, als ich selbst krank war. Doch es gibt noch so viel mehr zu entdecken, und leider lernen wir vor allem durch die Patienten, die nicht so reagieren, wie wir es erwarten.

Unsere gemeinsame Reise

Mit diesem Buch möchte ich die wichtigsten Prinzipien des Ansatzes, den ich zusammen mit den OHC-Teams entwickelt habe, in einem praxistauglichen Leitfaden zusammenfassen, damit er Ihnen hilft, sich selbst zu helfen. Das Buch wird wohl für viele Leser und Leserinnen nicht unbedingt ein Online-Coaching-Programm oder den persönlichen Besuch bei einem Arzt ersetzen; Sie können jedoch selbst eine ganze Menge zu Hause tun. Mich haben die vielen Kommentare sehr berührt, die ich per E-Mail und über die sozialen Medien von Menschen erhalte, die ihren Heilungsverlauf drastisch beeinflussen konnten, indem sie die Werkzeuge, die Sie gleich lernen werden, einfach online erlernten und in die Praxis umsetzten.

Ich werde mich in diesem Buch auf einige heikle Gratwanderungen begeben:

Ich möchte Ihnen Hoffnung geben, Ihnen aber auch die endlosen Enttäuschungen ersparen, die ich erlebt habe.

Mein Ziel ist es, der wissenschaftlichen Komplexität dieser Gruppe von Erkrankungen gerecht zu werden und gleichzeitig praktische Hilfsmittel für Sie zugänglich zu machen.

Wie mein Onkel es für mich getan hat, möchte ich Ihnen Mitgefühl und Empathie entgegenbringen, Ihnen aber auch mutig einen Tritt in den Hintern verpassen, wenn Sie ihn brauchen.

Sicherlich werde ich manchmal bei all diesen guten Absichten versagen; indem ich sie hier erwähne, werden Sie hoffentlich wenigstens wissen, dass sie gut sind! Obwohl sich dieses Buch an Leser richtet, die sich auf dem Weg der Heilung von Erschöpfung befinden, ist mir klar, dass alle möglichen medizinischen Experten meine Arbeit verfolgen. Daher habe ich gegebenenfalls Informationen zu Primärquellen angegeben, als Hilfe für all jene, die sich eingehender mit der unseren Ansatz untermauernden Forschung befassen möchten.

Vielleicht lesen manche dieses Buch auch weder als Betroffene noch als medizinische Experten, sondern als Betreuer oder Angehörige einer Person, die diese äußerst schwierige Erfahrung durchmacht.

Leider beruht mein Wissen über Erschöpfung nicht nur auf Erfahrungen von mir selbst und von unseren Patienten: Meine Schwägerin litt an chronischer Borreliose, und im schwersten Stadium dieser Krankheit lebte sie 2½ Jahre lang bei mir und meiner Frau; ihre Geschichte werden Sie im letzten Kapitel lesen. Sie zu pflegen war eine ganz eigene Herausforderung, und deshalb kann ich wirklich sagen, dass ich diese Gruppe von Krankheiten aus allen Blickwinkeln kennengelernt habe.

An dieser Stelle sollte ich klarstellen, dass ich die Krankheiten chronisches Erschöpfungssyndrom (in der Fachsprache auch chronisches Fatigue-Syndrom genannt), myalgische Enzephalomyelitis, postvirales Erschöpfungssyndrom (einschließlich Long Covid), Borreliose, Fibromyalgie und verschiedene andere unter dem Begriff »erschöpfungsbedingte Krankheiten« zusammenfasse (ich werde dies in den nächsten Kapiteln näher erläutern.) Ich bin mir bewusst, dass diese Vereinfachung bei Weitem nicht perfekt ist; wie wir sehen werden, treten jedoch neben ganz individuellen definierenden Merkmalen bei einigen dieser Diagnosen auch verbindende Faktoren auf, und so ergibt es einen Sinn, sie zusammen zu besprechen.

Und schließlich: Vielleicht lesen Sie dieses Buch als jemand, der unter leichter Erschöpfung leidet, und finden meine Aussagen womöglich manchmal etwas beunruhigend oder haben sogar das Gefühl, es habe nichts mit Ihren eigenen Erfahrungen zu tun – vor allem, wenn ich Fälle beschreibe, in denen das ganze Leben der Betroffenen durch ihre Symptome zerstört wird. Es ist wohl hilfreich, sich vor Augen zu führen, dass diese Werkzeuge höchstwahrscheinlich auch bei viel milderen Krankheitsverläufen dienlich sein können, da sie doch sogar in so schweren Fällen wirksam sind. Tatsächlich ist genau dies meine Erfahrung.

Der 12-Schritte-Plan

Das Herzstück dieses Buches sind 12 Schritte bzw. Lektionen, die Ihnen nicht nur dabei helfen, Ihre Erschöpfung zu entschlüsseln, sondern Sie auch dabei unterstützen, Ihren Weg zur Genesung zu finden und zu lernen, wie Sie ihn am besten beschreiten. Es sind dieselben 12 Schritte, die ich mit allen meinen Patienten im OHC durchführe – und sie bilden den Kern unseres Ansatzes.

Und wissen Sie was? Wir sind bereits beim ersten der 12 Schritte! Die Sache ist die: Ich weiß, dass Sie sich Ihre Erschöpfung nicht ausgesucht haben. Mehr noch, Sie haben sie nicht verdient (niemand hat so etwas verdient!), und Sie wollen sie nicht. Doch egal, ob es Ihnen nun behagt oder nicht, es ist halt so und wir müssen das gemeinsam angehen.

Mein Onkel hat mir geholfen, zu erkennen, dass man die Umstände seines Lebens nur dann ändern kann, wenn man selbst sie ändert. Genau das ist unser erster Schritt.

** Schritt 1: Verantwortung übernehmen **

Mit radikaler Verantwortung (siehe die Überschrift von Kapitel 1) meine ich, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen, und zwar auf jeder Ebene, die uns möglich ist.

Nun gibt es einen sehr wichtigen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung. Sie sind nicht schuld an der Situation, in der Sie sich befinden – Sie haben sie nicht absichtlich herbeigeführt –, aber wenn Sie nicht die Verantwortung dafür übernehmen, sie zu ändern, wird es wahrscheinlich niemand sonst tun.

Bevor wir also weitermachen, möchte ich Sie auffordern, die gleiche Übung zu machen, die mein Onkel mir vorgelegt hat.

Wie sehr wollen Sie Ihre Energie zurück?

Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um die folgenden Fragen zu beantworten und eine Liste zu erstellen:

1. Bewerten Sie auf einer Skala von 0 bis 10, wie sehr Sie sich wünschen, gesund zu werden.

2. Erstellen Sie jetzt eine Liste mit all den Dingen, von denen Sie wissen, dass sie Ihnen bei Ihrer Genesung helfen könnten (im Lauf des Buches kommen noch viel mehr dazu).

3. Wie viele Stunden am Tag verbringen Sie mit den Dingen, die Sie gerade als hilfreich identifiziert haben?

Wie Sie dieses Buch nutzen sollten

Ich bitte Sie, sich selbst eine Verpflichtung aufzuerlegen: Lesen Sie zumindest dieses Buch zu Ende, koste es, was es wolle!

Fällt es Ihnen im Moment schwer, sich dazu zu motivieren? Wie Sie feststellen werden, wird sich das ändern, wenn Sie auf den nächsten Seiten dabeibleiben.

Sind Sie motiviert, wissen aber nicht, wo Sie anfangen sollen? Auch das wird sich hoffentlich ändern.

In Teil 1 werden wir uns die Zeit nehmen, wirklich zu verstehen, was Erschöpfung überhaupt ist, welche Ursachen sie hat und warum die Schulmedizin sie nicht wirklich verstanden hat.

In Teil 2 machen wir uns daran, Ihre Erschöpfung gemeinsam zu entschlüsseln.

In Teil 3 werden wir einen Plan für Ihre Genesung erarbeiten.

Sie könnten versucht sein, direkt zu Teil 2 oder Teil 3 zu springen; da der Inhalt dieses Buches jedoch sehr sorgfältig strukturiert wurde und einer bestimmten Reihenfolge unterliegt, möchte ich Sie bitten, es in der von mir vorgegebenen Reihenfolge zu lesen.

Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich an einigen Stellen ein wenig technisch werde; da diese Informationen jedoch für Ihre Heilungsreise nicht unbedingt notwendig sind, haben wir sie mit dem Stichwort »INFO« versehen, sodass Sie sie auf Wunsch überspringen können.

Schließlich habe ich den Online-Kurs »Reset Program« (siehe unter www.alexhoward.de) erstellt, der als Ergänzung zu diesem Buch erworben und verwendet werden kann.

Bevor wir weitermachen, ist es mir wichtig, zu definieren, was wir eigentlich unter Erschöpfung und erschöpfungsbedingten Erkrankungen verstehen, und zu untersuchen, warum die Schulmedizin Sie wahrscheinlich im Stich gelassen hat.

Also schnallen Sie sich an und lassen Sie uns in die recht schmerzhafte Geschichte dieser komplexen, aber faszinierenden Gruppe von Erkrankungen eintauchen.

2. Warum die Schulmedizin bei Erschöpfung ratlos ist

Es war ein eiskalter Februarmorgen; das erste Mal seit über einem Monat hatte ich es geschafft, zur Schule zu gehen. Zusammen mit meinen Mitschülern war ich nach den Weihnachtsferien zurückgekehrt, bereit für ein weiteres arbeitsreiches Schuljahr.

Nur eine Woche später erlebte ich jedoch einen weiteren schweren Anfall von chronischer Erschöpfung. Selbst in einer meiner besseren Phasen konnte ich nur wenige Stunden am Tag zur Schule gehen. Eines Nachmittags wollte ich an einer zusätzlichen Unterrichtsstunde teilnehmen und hatte mich dabei ein bisschen zu sehr angestrengt; ich brauchte einen Monat, um mich zu erholen und wieder mein mickriges Ausgangsniveau zu erreichen.

Als ich im Klassenzimmer saß und auf den Beginn der Ökonomie-Stunde wartete, stellte sich das übliche Gefühl der Einsamkeit ein. Ich hatte zuvor nie verstanden, wie man sich einsam fühlen kann, wenn man mit anderen zusammen ist, aber ich stellte fest, dass ich nichts mehr mit meinen Klassenkameraden gemein hatte. Ich konnte keinen Sport treiben, blieb nur selten zu den Mahlzeiten und konnte schon gar nicht an gemeinsamen Unternehmungen teilnehmen. Ich ließ mir nichts anmerken, aber oft war es schwierig, überhaupt etwas zu finden, worüber ich mich mit den anderen unterhalten konnte.

Erschwerend kam hinzu, dass ich erst seit sechs Monaten auf dieser Schule war und kaum jemanden kannte, weil ich so viele Stunden wegen der Krankheit verpasst hatte.

Eines Tages fragte mich ein Junge aus meiner Klasse, wo ich gewesen sei. Ich erklärte ihm, dass ich an einem chronischen Erschöpfungssyndrom litt; ich hätte einen Zusammenbruch gehabt und mich zu Hause im Bett ausgeruht.

Ich kann seine Antwort heute noch so deutlich hören wie damals: »Du Glückspilz – klingt für mich himmlisch! Ich wünschte, ich könnte ein paar Wochen im Bett liegen und mich entspannen.«

Mein Klassenkamerad wollte gewiss nicht unfreundlich sein; schlimmstenfalls war seine Bemerkung ein bissiger Scherz, aber sie hatte eine verheerende Wirkung auf mich. Es war ein weiterer Sargnagel für meinen Versuch, von anderen verstanden zu werden, und ich zog mich noch einen Schritt weiter in meine eigene innere Welt zurück.

Royal-Free-Krankheit

In den fast zwei Jahrzehnten, seit ich mit Menschen arbeite, die unter den verschiedensten und komplexesten Formen von Erschöpfung leiden, habe ich gelernt, dass ich mit solchen Erfahrungen bei Weitem nicht allein dastand. Ich glaube, wenn man an Erschöpfung leidet, gehören die Urteile und die Schuldzuweisungen, die damit einherzugehen scheinen, zu den schwierigsten Herausforderungen.

Erschöpfung und erschöpfungsbedingte Erkrankungen wie myalgische Enzephalomyelitis, chronisches Fatigue- bzw. Erschöpfungssyndrom und Fibromyalgie werden als »medizinisch ungeklärte Krankheiten« eingestuft. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Erklärungen für diese Krankheiten gibt, sondern nur, dass die Schulmedizin nicht in der Lage ist, sie zu erklären.4,5 Vielleicht wäre die Bezeichnung »medizinisch ungeklärte Krankheiten aus Sicht der Schulmedizin« zutreffender.

Aber warum hat die konventionelle Medizin so spektakulär versagt, wenn es darum geht, Antworten für die von Erschöpfung Betroffenen zu finden? Da das Verständnis dieser Frage die Grundlage für unsere gesamte abenteuerliche Entschlüsselung des Rätsels Ihrer Erschöpfung ist, sollten wir uns etwas Zeit für eine Antwort nehmen. Dazu müssen wir einen Schritt zurück in die Vergangenheit tun, ins Großbritannien der 1950er-Jahre.

Zwischen Juli und November 1955 erkrankten 292 Mitarbeiter des Royal Free Hospital in London an einer Krankheit, deren Symptome von leichtem Fieber und geschwollenen Lymphknoten bis hin zu starken Kopfschmerzen und Erschöpfung reichten. Man lieferte 255 dieser Erkrankten ins Krankenhaus ein, und im Oktober musste es vorübergehend geschlossen werden, um den Ausbruch der Krankheit einzudämmen. Bei vielen dieser Patienten traten die Symptome über einen langen Zeitraum immer wieder auf und klangen ab, und in manchen Fällen hatten sie verheerende Auswirkungen. Trotz umfangreicher medizinischer Untersuchungen und Forschungen konnte keine Ursache für den Ausbruch der Krankheit gefunden werden.6

Nach dem Vorfall prägte Dr. Melvin Ramsay (Abteilung für Infektionskrankheiten des Royal Free Hospital) für diese Erkrankung den Namen »myalgische Enzephalomyelitis« – zusammengesetzt aus myalgisch (Muskelschmerz), enzephalo (Gehirn), myel (Rückenmark) und itis (Entzündung)7–9, um die Entzündung des Rückenmarks bei einigen Betroffenen sowie die Schmerzen und Kopfschmerzen zu beschreiben.

Da es keine medizinische Erklärung für die myalgische Enzephalomyelitis bzw. die »Royal-Free-Krankheit« gab, wurde die Hypothese der Massenhysterie aufgestellt; sie gilt in vereinzelten Bereichen der Medizin auch heute noch als Beispiel für eine kollektive medizinische Hysterie ohne physischen Ursprung.

Die Altlast der Keimtheorie

Um zu verstehen, warum die Schulmedizin bei der Erklärung des Krankheitsausbruchs im Royal Free so ratlos war, müssen wir in den Geschichtsbüchern noch weiter zurückblättern, zur Formulierung einer zentralen Überzeugung der Schulmedizin: der Keimtheorie.

Louis Pasteur war ein französischer Chemiker und Mikrobiologe des 19. Jahrhunderts, dessen Beitrag zur medizinischen Mikrobiologie nahezu unübertroffen ist: Zu seinen Entdeckungen gehörten die Prinzipien der Impfung und der mikrobiellen Fermentation sowie das nach ihm benannte Verfahren der Lebensmittelaufbereitung, der Pasteurisierung. Im Mittelpunkt von Pasteurs Wirken stand die Entwicklung und Verbreitung der heute noch anerkannten Keimtheorie.

Der Kerngedanke der Keimtheorie lautet, dass die Verbreitung von Mikroorganismen, die als Krankheitserreger oder »Keime« bekannt sind, im Körper Krankheiten verursachen kann.10,11 Einfach ausgedrückt kann man sagen: Von der gewöhnlichen Erkältung bis hin zur lebensbedrohlichen Sepsis ist Krankheit das Ergebnis eines externen Agens, das unseren Körper infiziert und uns krank macht.

Obwohl Pasteurs Keimtheorie nicht grundsätzlich falsch war, war seine Arbeit trotzdem unvollständig. Das Problem mit der Keimtheorie ist: Sie hat ein übermäßig vereinfachtes Modell der Medizin festgeschrieben, das nach einer einzigen Ursache sucht, einem Test, um sie zu messen, und dann einem einzigen Medikament, um sie zu neutralisieren, oder einer Impfung, um sie zu verhindern. Das ist in Ordnung, wenn man es mit vielen akuten Krankheiten zu tun hat, aber es ist eine totale Katastrophe, wenn man vielschichtige chronische Krankheiten zu verstehen versucht.

Wie wir gleich sehen werden, ist Erschöpfung ein kompliziertes Leiden, bei dem verschiedene Untergruppen, Stadien und Systeme betroffen sind, von denen jedes seine eigene einzigartige Signatur bei den einzelnen Betroffenen aufweist. Die Anwendung der Keimtheorie auf Erschöpfung ist an allen Stellen gescheitert. Nach jahrzehntelanger Suche ist es niemandem gelungen, den einen Erreger zu isolieren, sodass es weder einen Biomarker-Test noch eine einheitliche Behandlung in Form eines Medikaments gibt.12–15

Und selbst wenn es sich um etwas scheinbar klar Definiertes handelt, wie z.B. Long Covid (das heißt Ermüdungserscheinungen, die 3 bis 6 Monate nach der Infektion mit dem Coronavirus anhalten), bleibt die Frage offen, warum sich manche Menschen innerhalb weniger Wochen erholen und andere nicht.

Abgesehen von den verheerenden Auswirkungen, die die unpassende Anwendung der Keimtheorie auf Erschöpfung hatte, und der daraus resultierenden Lahmlegung von Forschungs- und Behandlungsansätzen gab es meiner Überzeugung nach eine fast noch schwerwiegendere Konsequenz: Das Fehlen eines Biomarkers hat zu der Schlussfolgerung geführt, Erschöpfung müsse »nur im Kopf« stattfinden.16–18

Arroganz auf Steroiden

In der Vergangenheit lautete die medizinische Sichtweise auf Erschöpfung: »Wir können nichts finden, was Ihnen fehlt, also fehlt Ihnen auch nichts.«

Aus Sicht eines Erschöpfungspatienten ist diese Aussage unglaublich arrogant, denn sie geht davon aus, dass die konventionelle Medizin alles über den menschlichen Körper weiß, und weil sie bei Ihnen nichts finden kann, fehlt Ihnen tatsächlich nichts.