Delnara Elfenherz - Florence Juares - E-Book

Delnara Elfenherz E-Book

Florence Juares

0,0

Beschreibung

Als Hauptmann der Garde von Belevim führt der Elf Delnara ein geordnetes Leben. Zumal er sich perfekt hinter seiner kühlen Fassade verstecken kann. Nähe ist dem Elfen unerträglich. Einzig der Löwenmensch Marcellus, sein langjähriger Freund, weiß um seine schwachen Seiten und um die Albträume, die ihn Nacht für Nacht heimsuchen. Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, als Delnara einen neuen Vorgesetzten bekommt: Betham, ausgerechnet ein Mensch! Delnara reagiert heftig auf ihn - aber anders als erwartet ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 542

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Danke

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Danke

Ich möchte all den Menschen danken, die dieses Buch auf eine neue Ebene gehoben haben.

2015 erschien die Erstauflage von » Delnara Elfenherz «

Es war mein allererstes Manuskript. Das erste Mal, dass ich einem Verlag meine Arbeit vorlegte. Diese Geschichte war schon immer etwas besonderes für mich.

Dann wechselte ich den Verlag und Delnara musste warten. Andere Projekte standen im Vordergrund. Anschließend entschied ich mich zum Schritt ins Selfpublish.

Nun, nach so langer Zeit kann ich dieses Buch erneut präsentieren. Das aber verdanke ich vor allem:

Meiner Lektorin: Claudia Danke für die lieben und kritischen Worte Meiner Coverdesignerin: Riedel Danke für deine Geduld! Und meinem Mann: Danke, dass du mich in der Überarbeitungsphase ertragen, getröstet und motiviert hast.

Ohne diese Menschen wäre dieses Buch nicht, was es ist. Danke dafür!

Eins

Weinen beherrschte den dunklen Raum. Das Schluchzen des Kindes hallte von den Wänden wider. »Fremdling«, »Spion« und »Eindringling« hatten sie den kleinen Jungen mit den spitzen Ohren genannt und dann hatte ihn dieser Mann in diesen fensterlosen Raum gesperrt. Wie lange war das jetzt her? Zwei Tage? Oder schon drei? Der Junge wusste es nicht. Er konnte die Hand vor Augen nicht sehen, so finster war es hier. Er wusste nicht, wie groß dieser Raum war und wo die Sonne nun stand. War vielleicht schon der Mond aufgegangen?

Vorsichtig legte er eine Hand an sein Gesicht. Er versuchte, mit den Fingerspitzen zu sehen. Er ertastete die Nase, die bebenden Lippen, die spitzen Ohren, das weiche Haar. Warum hatten sie ihn so beschimpft? Weil er als Elf in diesem Land nichts zu suchen hatte? Weil er hier im Land der Menschen ausgesetzt worden war? Er wusste nicht, was mit ihm passieren würde. Erneut krochen Tränen in seine Augen. Er war ein Findelkind. Er war allein.

»... nara!« Eine Stimme? Wer rief ihn? Der Junge sah sich hektisch um. Er war doch alleine hier, oder?

»Hallo? Ist da wer?«, fragte er mit zitternder Stimme in die Dunkelheit hinein.

»Delnara!« Da war sie wieder. Sie schien aus allen Richtungen zu kommen. Ängstlich sah der Junge sich um, doch da war nur Schwärze. Eiskalt rann die Angst durch seine Glieder. Wer rief ihn?

»Nein! Nicht! Tu mir nichts!«, flehte er. Er traute sich nicht, sich zu bewegen. Und doch wünschte er sich eine Wand im Rücken; für einen kleinen Hauch gefühlter Sicherheit.

»Delnara!«

»Nein! Lass mich in Ruhe!«, rief der Junge. Er presste die kalten Hände an seine Ohren und kniff die Augen zu. Panik überfiel ihn. Es sollte aufhören.

~* ~

»Delnara!« Er schreckte hoch und rutschte instinktiv in die hinterste Ecke seines Bettes. Panisch sah er sich um. Wo war er? Diese Helligkeit! Er legte sich seine Hand vors Gesicht und versuchte, seine Haut unter den Fingern zu spüren. Seine Wärme. Seinen eigenen Atem. Seinen schnellen Puls in den Fingerspitzen. Langsam begann er etwas zu fühlen. Dieses seltsame, taube Gefühl schwand aus seinem Körper und er begann auch den Rest seines Körpers wahrzunehmen.

»Gott, Delnara. Das war wohl wieder einer von den ganz schlimmen Träumen«, murmelte eine dunkle Stimme besorgt. Delnara öffnete seine Augen. Vor ihm stand ein übermenschlich großer Löwenmensch - sein Freund Marcellus. Seine Mähne hatte er zu einem Zopf gebändigt und der stolze Bart war mit einer Reihe Perlen zusammengefasst.

»Marcellus.« Delnaras Stimme zitterte und seine Glieder bebten, als stünde er seit einer Ewigkeit in winterlicher Kälte.

»Na, wenigstens erkennst du mich schon wieder«, sagte Marcellus, lächelte beruhigt und klopfte ihm auf die linke Schulter, ehe er in das Zimmer nebenan ging.

Wacklig stand Delnara auf. Seine Beine wollten ihm den Dienst versagen, doch er hatte sein Ziel vor Augen: den Spiegel, der über dem Tisch mit der Waschschüssel hing. Er atmete tief durch, als er dort ankam und sich abstützen konnte. So sehr hatte er lange nicht mehr unter einem dieser Träume gelitten. Sein Körper war steif und doch viel zu weich. Delnara schnaufte leise und straffte seine Schultern. Er wusch sich das Gesicht. Das kalte Wasser regte seine Lebensgeister an und die Erinnerungen an die Nacht begannen langsam, zu verblassen.

Sein Spiegelbild zeigte ihm einen jungen Mann. Delnara seufzte. Er war kein kleiner, hilfloser Junge mehr. Diese Zeiten waren lange vorbei. Er war erwachsen und Hauptmann der kirchlichen Garde von Belevim, Hauptstadt des Landes Zetote.

»Das Land der Menschen«, flüsterte er leise und spürte, wie auch seine Stimme an Festigkeit gewann. Er wusste noch immer nicht, wie er in dieses Land geraten war. Doch er musste sich eingestehen, dass er die Stadt, in der er lebte, mochte. Diese große Stadt, in der er auch als Elf unbehelligt leben konnte. Die Stadt, in der er als Hauptmann einer zweihundert Mann starken Truppe nicht mehr in dunkle Keller eingesperrt wurde. Er schüttelte den Kopf, wollte nicht wieder an diesen Traum, an seine Kindheit zurückdenken. Er ermahnte sich, diese Nacht als vergangen zu akzeptieren und den Tag als Hauptmann zu beginnen.

Er zog sich um und kam mit jedem Kleidungsstück mehr zu seinem jetzigen Ich zurück. Kalter Stoff umfing seine Beine, als er in seine braune Hose stieg. Er zog sein weißes Leinenhemd an, steckte es in die Hose und schnürte diese mit ihren Bändern zu. Mit flinken Bewegungen schlüpfte er in seine Lederstiefel und zog sich gleichzeitig das Wams des Hauptmannes über. Dieses war aus dunkelbraunem Wollstoff und an den Säumen mit goldenen Fäden kunstvoll bestickt. Delnara richtete den Kragen seines Wamses. Den Waffengürtel mit seinem Schwert legte er um seine Hüfte und zog ihn fest. Das Gewicht des Schwertes gab ihm ein vertrautes, sicheres Gefühl.

Noch ein letztes Mal sah er prüfend in den Spiegel. Er strich sich über das Kinn und die Kehle. Seine Finger ertasteten keine harten Stoppeln. Eine Rasur erschien ihm nicht nötig. Ein gepflegtes Aussehen war Delnara wichtig. In seiner Position als Hauptmann hatte er korrekt auszusehen. Er strich sich mit beiden Händen durch die dunkelblonden, schulterlangen Haare und fasste sie mit einem braunen Band zu einem Zopf zusammen.

Er verließ das kleine Haus und zog noch seinen Hut mit der aufgestellten Krempe an. Dieser Sommer schenkte dem Land heiße Winde und eine blendend helle Sonne. Erhobenen Hauptes ging er langsam durch die Straßen und Gassen und besah sich das bunte Treiben. Es war bereits 20 Jahre her, seit die Grenzen von Zetote sich für alle Wesen dieser Welt geöffnet hatten und Delnara sah Löwenmenschen, Elfen, Feen und Menschen Seite an Seite leben und Handel treiben. Noch immer breitete sich ein mulmiges Gefühl in seinem Magen aus, wenn er an die damaligen Reaktionen der anderen Länder dachte. Diese waren zum Teil geschockt und erzürnt über die Öffnung und drohten Zetote mit Abbruch diplomatischer Beziehungen und Krieg.

Er seufzte, denn noch immer lag reichlich Arbeit vor ihm, seiner Truppe und allen Soldaten der kirchlichen Garde. Sie mussten Streitigkeiten schlichten und Überfälle zurückdrängen. Er wusste, dass jeder Hauptmann der kirchlichen Garde ein hervorragender Stratege war und sie zusammen ihr Heimatland bestmöglich verteidigten. Doch echter Frieden wollte sich nicht einstellen. In letzter Zeit waren zwar nur kleinere Uneinigkeiten vorgekommen, die meist von den diplomatischen Vikaren der einzelnen Länder beigelegt worden waren, doch er blieb vorsichtig. Die Stimmung zwischen den Ländern glich noch immer einem Pulverfass.

»Delnara!« Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen und sah auf. Es war sein Freund, in Begleitung einer Löwenfrau. Marcellus trug nun ebenfalls seine Uniform. Diese war nicht bestickt, glich aber ansonsten der Delnaras. Auch er trug seinen Hut und schien den Schatten der Krempe zu genießen.

»Guten Morgen, die Dame«, begrüßte er die Löwenfrau. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er seinen Hut, legte ihn vor seine Brust und deutete eine leichte Verbeugung an. Kurz hielt er diese Position, ehe er den Hut wieder aufsetzte, darauf bedacht, dass die Seite der Krempe, die hochgeklappt war, nach rechts zeigte, wie es in der Uniform der Garde schon seit Jahrhunderten üblich war.

»Marcellus, sei so gut und stell uns vor«, bat Delnara mit einem Lächeln. Sein Freund straffte sich sichtlich und der Stolz schien seine Brust platzen lassen zu wollen.

»Das ist Aenlin. Meine Verlobte. Sie ist heute Morgen aus Tekuman angekommen«, berichtete er und ein stolzes Grinsen breitete sich auf seinem Löwengesicht aus. Delnara nickte anerkennend und unterdrückte ein Schmunzeln, als er sich an die Erzählungen und Schwärmereien seines Freundes erinnerte. Dieser war schon immer eine Frohnatur gewesen. Auch damals schon ... als Kinder in diesem Haus. Delnara schob die Erinnerungen weit weg und konzentrierte sich auf die Beiden vor ihm.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen«, meinte er. Er spürte den forschenden Blick der Löwenfrau.

»Marcellus, er ist dein Hauptmann? Er ist doch sicher einige Jahre jünger als du?«, fragte Aenlin. Der Löwe nickte.

»Drei Jahre, um genau zu sein«, bestätigte er. Ein spielerischer Blick traf den Löwen und dieser verzog sein Gesicht. Der leichte Spott in der Stimme der Frau war nicht zu überhören, jedoch spürte man, dass es eine liebevolle Neckerei war. Kurz zuckte Delnaras Mundwinkel, als er das Löwenpaar so beobachtete.

»Tekuman? Die Hauptstadt von Balinera? Dem Land der Löwen?«, fragte Delnara nach, um die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken. Aenlin nickte als Bestätigung und er erntete einen dankbaren Blick seines Löwen.

»Ich bin erstaunt, dass Balinera seine Einwohner so einfach nach Zetote kommen lässt. Sie haben am lautesten gegen die Öffnung der Grenzen protestiert. Noch immer wehren sich die Obersten stark dagegen.« Er stützte sein Kinn nachdenklich in die Faust, während er den anderen Arm vor der Brust verschränkte, keine Antwort erwartend.

Delnara schien die Blicke der Löwen nicht mehr auf sich zu spüren. Zu tief war er in seinen Gedanken versunken. Aenlin flüsterte ihrem Verlobten etwas ins Ohr und er lachte laut, entblößte sein raubtierartiges Gebiss.

»So ist er, unser Hauptmann. Lassen wir ihm seine Grübeleien!« Marcellus lachte erneut. Kurz sah er auf den viel kleineren Elf vor sich und wurde wieder leiser.

»Such du uns schon mal einen Platz. Ich werde versuchen, unseren Denker hier aus seiner Welt zu reißen«, bat er seine Verlobte mit einem warmen Ton. Aenlin nickte nur knapp und verließ die beiden Männer. Noch einige Zeit besah sich Marcellus den versunkenen Hauptmann, ehe er ihm seine prankenartige Hand auf die linke Schulter legte, um ihn in diese Welt zurückzuholen.

»Wenn du noch weiter grübelst, verpasst du die Predigt«, meinte er leise, aber bestimmt. Er beugte sich zu seinem kleineren Freund, der ihm nur bis zur Brust reichte, herunter und sah ihm mit einer Mischung aus Belustigung und ehrlicher Sorge in die Augen. Blau traf auf animalisches Gelb. Marcellus Pupillen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen - dies war der Helligkeit der Sonne geschuldet.

»Ich gehe nicht in die Kirche, Marcellus. Das weißt du doch.« Delnara setzte einen gelangweilten Blick auf. »Ich habe meinen Platz in der Hölle schon fest. Warum dann noch auf den Himmel hoffen und dafür Lügen heucheln?« Delnara hob Schultern und Arme, um seiner Gleichgültigkeit weiter Ausdruck zu verleihen.

»Sag nicht so etwas. Du bist ein Held. Du verteidigst dein Land und die Unschuldigen darin. Dafür bekommt man einen Freibrief in den Himmel!«, widersprach Marcellus mit breiten Gesten. Seine Lippen umspielte ein Lächeln. Delnara seufzte. Marcellus Laune war wirklich kaum zu trüben. Nur selten hatte er seinen Freund, der ihm so wichtig wie ein Bruder geworden war, ohne ein Lächeln gesehen.

»Marcellus.« Delnara schnaufte ergeben. Diese Diskussion hatten sie schon so oft geführt. Und jede Woche standen sie wieder vor der Kirche Belevims und schnitten dieses Thema erneut an.

»Wer auch nur ein einziges Leben nimmt, verdient den Himmel nicht. Egal, aus welchen Gründen dieses Leben ausgelöscht wurde. Und du solltest besser als jeder andere wissen, dass ich schon Hunderte getötet habe!« Delnara schloss die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. Der mehr als zwei Meter große Löwenmensch schlang seinen kräftigen Arm um die Schultern des schmalen Elfen. Delnara zuckte zusammen und riss erschrocken über diese unerwartete Geste des Löwen die Augen auf. Der Löwe presste ihn fest an sich und rieb ihm über die Haare.

»Jetzt wird keine Trübsal geblasen. Du bekommst schon noch deinen Platz auf einer der weißen Wolken!«, mahnte der Löwe mit Pathos in der Stimme. Lange konnte Marcellus sich jedoch nicht beherrschen und er lachte. Ein Laut, der von einem rauen Knurren aus seiner Kehle umspielt wurde.

Als Delnara den Kopf hob, erblickte er die schneeweißen Reißzähne seines Freundes. Noch nie hatte er Angst vor diesem Löwen gehabt, doch aus dieser Nähe hatten die spitzen Waffen etwas Bedrohliches an sich. Dann ließ er Delnara wieder los.

»Außerdem verpasst du dann die Vorstellung des neuen Vikars«, fügte Marcellus hinzu und wurde schlagartig ernst. Als Hauptmann war Delnara dem Vikar direkt unterstellt und diese Beziehung daher besonders wichtig für die ganze Truppe. Wieder hob Delnara eher gleichgültig die Schultern, richtete seine Haare und hob seinen Hut auf, der auf den Boden gefallen war.

»Ich kann mich nicht mal an den Namen vom alten Vikar erinnern und die Hierarchie funktionierte dennoch«, erklärte er und setze den Hut auf.

»Du kannst dich an Atunaris nicht erinnern? So viel Kuchen, wie der alte Mann verspeisen konnte?« Marcellus seufzte. »Dann merk dir wenigstens den Namen des neuen Vikars. Betham. Hörst du! Betham.«

Delnara schnaubte. Er legte den Kopf schräg und musterte den Löwen. Ihm war bewusst, dass Marcellus nur das Beste für ihn und seine Truppe wollte. Dennoch ... Delnara hatte sich eine gewisse Kühle und Distanz zu seiner Umwelt aufgebaut. Einzig sein Löwe war in der Lage durch die Lücken in seiner Mauer zu blicken. Diese Grenze sollte einfach nicht übertreten werden. Nicht einmal für einen Vikar. Nur kurz überlegte er und nickte dann.

»Gut. Ich werde es mir merken. Atunaris war der alte Vikar und Betham ist der neue. Wir hangeln uns also das Alphabet entlang. Na, hoffentlich lebe ich noch, wenn wir bei den wirklich schwierigen Buchstaben angekommen sind!«

Die Glocke der Kirche riss die beiden Männer aus ihrem Gespräch und Marcellus sah noch einmal fragend zu seinem Hauptmann.

»Nicht einmal, wenn ich in Flammen stünde und da drin das einzige Wasser der Stadt wäre!«, erklärte er und wandte sich zum Gehen. Er würde sich nicht der Heuchelei hingeben, denn er wusste, wie die Welt wirklich war. Diesem weichen Flaum aus Nächstenliebe und Vergebung wollte er sich nicht aussetzen. Er drehte sich um und verließ seinen Freund ohne ein weiteres Wort. Er wollte seine Zeit besser nutzen, als in einer Kirche den Worten eines alten, weltfremden Mannes zu lauschen. Einem Mann, der sicher und wohlbehütet aufgewachsen war und nie etwas mit Hunger, Krieg und Tod zu tun gehabt hatte ... Zumindest stellte Delnara es sich so vor und er hasste es schon jetzt.

Sein Ziel war die Ausbildungsstätte der Anwärter der Garde. Jede Woche sah er sich hier nach vielversprechenden Talenten um, hoffte einen ungeschliffenen Edelstein zu finden und für seine Truppe gewinnen zu können. Der Weg zur Arena führte ihn durch verwinkelte Gassen, die ihm Schutz vor der steigenden Sonne boten. Er war diese Strecke schon so oft entlang marschiert. Sicher würde er sie mit verbundenen Augen zurücklegen können, ohne an die Ecke eines Hauses zu stoßen. Dies gab ihm den Freiraum, tief in seinen Gedanken zu versinken. Er schritt durch das Tor der Arena und suchte sich einen Platz im Schatten. Viele neue Gesichter erweckten seine Aufmerksamkeit und er besah sich jeden einzelnen Anwärter. Ein leichtes Lächeln zog über seine Lippen, als sein Blick an einem jungen Elf mit Pfeil und Bogen hängen blieb. Sein Bruder. Er erinnerte Delnara an seine eigene Zeit als Anwärter. Es war keine leichte Zeit, doch er erinnerte sich gern daran zurück.

~* ~

»Was machst du so spät noch hier?«, riss eine raue Stimme den jungen Elfen aus seinen Gedanken. Er schreckte zusammen. Vorsichtig lenkte er seinen Blick auf den eindrucksvollen Löwen, der vor ihm stand und seine riesigen Pranken vor der Brust verschränkt hatte.

»General«, murmelte Delnara und versteckte Pfeil und Bogen hinter seinem Rücken. Der Hüne lachte laut und der aufkommende Wind zog an seiner bestickten Kleidung, seinem Hut und den sich daran befindenden Federn.

»Du bist zu klein, um diese große Waffe hinter dir verstecken zu können! Also lass es lieber bleiben!« Das Lachen des Generals mündete in einem überlegenen Grinsen. Delnara zuckte erneut zusammen, biss sich auf die Lippe.

»Aber wenn ich nicht übe, werde ich nie besser«, murrte er und betrachtete den Boden zu seinen Füßen.

»Warum klammerst du dich so an diesen Bogen?«, wollte der Löwe wissen und blickte Delnara ernst an.

»Ich will in die Elfenstaffel der kirchlichen Garde. Dort sind nur Bogenschützen! Die besten Schützen, die es in diesem Land gibt.« Er machte einen Schritt auf den General zu, sah ihm direkt in die Augen.

»Du gefällst mir, Kleiner. Was hältst du davon, wenn ich aus dir etwas Besonderes mache?«, fragte er leiser und beugte sich zu ihm herunter. Die Verwunderung stand Delnara ins Gesicht geschrieben. Er hatte mit Spott oder einer Beleidigung gerechnet, doch nicht mit einem solchen Angebot. Er nickte schnell, fast hektisch. Der General nickte ebenfalls und schickte sich an zu gehen. Delnara folgte ihm. »Eine Frage noch, kleiner Elf. Warum willst du zur kirchlichen Garde?« Delnara blieb stehen. Noch nie hatte jemand seine Gründe hinterfragt. Der Löwe stoppte ebenfalls und drehte sich halb zu ihm um.

»Das ist ganz einfach. Ich will die beschützen, die unschuldig in Kriege verwickelt werden. Niemand soll leiden müssen, der es nicht verdient hat!«, erklärte er und sah dem Löwenmenschen fest in die Augen. Dieser setzte ein breites Grinsen auf.

»Mein Kleiner, du bist ein Edelstein. Ich machte aus dir einen General!« Es klang fast väterlich, fürsorglich. Der General setzte seinen Weg fort und Delnara lief ihm schnell hinterher.

~* ~

Delnara schluckte kräftig, als er aus seiner Erinnerung erwachte. Langsam stand er auf. Seine Hand lag auf seinem Schwert. Dieses Stück Metall gab ihm Halt. Es war sein wertvollster Besitz.

»Ihr seid der einzig würdige General für mich«, murmelte er leise und sah in den Himmel, beobachtete die Wolken. Wie weiße Schleier strichen sie über das satte Blau des Himmels. Er sammelte sich und ging zum Ausbildungsplatz hinunter. Die Lehrstunde wurde gerade beendet, als er den Fuß auf den Sandplatz setzte. Mit verschränkten Armen stellte er sich neben den Leiter und besah sich die Anwärter.

»Wie macht er sich?«, fragte er und beobachtete seinen Bruder, wie dieser den Bogen überprüfte.

»Sein Ehrgeiz ist schwer zu befriedigen. Ich glaube, das zeichnet Eure Familie aus«, meinte der Mann und zog die Pfeile aus den Strohballen heraus. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass er Euer Bruder sein soll. Er ist gut fünf Jahre jünger. Das müsste schon ein großes Wunder sein, dass Sie beide sich bei dem Altersunterschied gefunden haben sollen. Als Waisenkinder. Beide nach der Geburt in einem fremden Land ausgesetzt«, murmelte er und zuckte dann zusammen. »Entschuldigt, Hauptmann. So war das nicht gemeint. Ich wollte keine Gerüchte sähen«, erklärte er schnell und zog devot seinen Hut. Delnara gab sich unbeeindruckt. Sein Blick war kühl und sein Körper entspannt. Zu einer Antwort würde er sich nicht hinreißen lassen.

»Sagt mir lieber, ob er den Bogen bändigen wird.« Seine Stimme war ruhig und hatte etwas an sich, das sein Gegenüber auf Distanz hielt. Der Leiter setzte seinen Hut wieder auf.

»Schwer zu sagen. Enurahs Ehrgeiz ist groß. Er verbessert sich stetig, doch es wird seine Zeit brauchen.« Delnara hörte nicht mehr, was der Mann noch von sich gab. Er war bereits auf dem Weg aus der Arena. Alle wichtigen Informationen hatte er bekommen.

»Ehrgeizig also?« Er lächelte, öffnete die Pforte und trat auf die Straße hinaus. Das Läuten der Kirchenglocken sagte ihm, dass es Zeit wurde, sich in die Kaserne und an seinen Schreibtisch zu begeben.

»Wie kann man ein Hauptmann der kirchlichen Garde werden, wenn man nicht einen Schritt in eine Kirche setzt?« Delnara warf nur einen flüchtigen Blick auf seinen Bruder, der mit dem Rücken an der Wand lehnte und die Arme hinter dem Kopf liegen hatte. Er genoss die Hitze der Sonne und hielt die Augen geschlossen.

»Sei nicht so frech, Enurah. Du weißt, dass ich durch meine Siege Hauptmann geworden bin und nicht durch das Knien in der Kirche«, meinte Delnara ruhig und ging auf ihn zu. »Und du weißt ganz genau, warum ich nicht in ein Gotteshaus gehe!« Seine Stimme war schärfer geworden. Er ging an Enurah vorbei, der nun die Augen geöffnet hatte.

»Nimmst du mich jetzt in deine Truppe auf?«, wollte Enurah wissen und löste sich von der Wand. Er lief Delnara einige Schritte hinterher. Immer wieder stellte der Kleine ihm diese Frage, wünschte sich, dass er sie bejahte. Bisher hatte er ihn jedes Mal abgewiesen. Doch das Wort Aufgeben gab es nicht in Enurahs Wortschatz. Er wollte in seiner Truppe kämpfen, war sie doch bei allen Anwärtern und Jünglingen berühmt für ihre hervorragend ausgebildeten Männer.

»Ich nehme dich, wenn ich sicher bin, dass du überlebst«, murmelte er ohne Enurah anzusehen und ging weiter. Er hörte den Jungen noch murren, blickte jedoch nicht zurück. Nie im Leben würde er seinen kleinen Bruder in eine Schlacht ziehen lassen, in der sein Überleben nicht sicher war.

Seine Füße trugen ihn zu der großen Kaserne auf dem Hügel, der hinter der Arena lag. Vor dem massiven Gebäude blieb er stehen.

»Vor acht Jahren standest du genauso hier, wie jetzt. Nur deutlich unsicherer als heute«, flüsterte Marcellus, gesellte sich zu ihm. Beide sahen auf das Gebäude und der Löwe stützte seine Hände in die Hüften.

»Ja. Und seit fünf Jahren gehe ich diesen Weg allein. Ohne den General«, murmelte Delnara vermeintlich unhörbar, doch er hatte die guten Ohren seines Löwenfreundes unterschätzt. Eins der Löwenohren zuckte. Marcellus grinste breit und schlug Delnara seine Pranke freundschaftlich auf den Rücken. Dieser stolperte durch den ungestümen Schlag nach vorne, konnte ein Fallen gerade noch verhindern.

»Dafür hast du doch jetzt mich! Du kannst zu mir aufsehen und ich kann dich belehren«, prahlte Marcellus lachend. Delnara schnaubte belustigt, hob seinen Hut auf und klopfte betont langsam den Staub ab.

»Wie sollst du mir etwas beibringen? Du kannst ja nicht mal die Kraft deiner Pranken kontrollieren. Wenn du so weitermachst, brichst du mir irgendwann noch den Hals!«, knurrte er, setzte straff seinen Hut auf und blickte Marcellus trotzig an.

»War die Nacht so schlimm, dass du heute so griesgrämig bist?«, fragte ihn sein Freund, leiser, ernster. Delnara wich dem Blick aus, indem er den Kopf etwas senkte. Gerade so viel, dass er seine Augen unter seinem Hut verstecken konnte. Er wusste, Marcellus konnte ihm alles in den Augen ablesen und gerade jetzt verfluchte er diese Gabe. Er wandte sich zum Gehen.

»Es gab schon schlimmere Nächte«, meinte er nur, wollte weitere Fragen des Löwen nicht hören. Seine Stimme sollte die Belanglosigkeit einer solchen Nacht verdeutlichen, jedoch glaubte er nicht an die Überzeugungskraft seiner Worte. Er kannte den Löwen an seiner Seite zu lange und zu gut. Gleichwohl hieß das im Umkehrschluss, dass sein Freund ihn genauso gut kannte. Er ging los und bedeutete Marcellus, ihm zu folgen. »Komm schon, wir haben zu tun!«

Marcellus knurrte dunkel. Er wusste, dass das gelogen war, kam es doch selten vor, dass Delnara sich bei einem Traum im Bett wälzte. Diese Nacht hatte er jedoch ununterbrochen das Rascheln der Decke vernommen. Er folgte dem Elfen und nahm sich vor, ihn am Abend noch einmal auf den Traum anzusprechen. So einfach würde er ihn nicht davonkommen lassen. Nicht dieses Mal.

Delnara achtete nicht weiter auf das Knurren hinter sich. Er ging in sein Arbeitszimmer und legte seinen Hut auf die Ecke des Tisches, auf der er immer lag. Es gab bei ihm Dinge, die stets an den gleichen Platz gehörten. Dies brachte dem Elfen Ruhe. Sein Blick richtete sich auf den Innenhof vor seinem Fenster. Leise Stimmen drangen durch das geschlossene Fenster an seine Ohren. Männer in Uniform liefen wie in einem Ameisenhaufen scheinbar ziellos, aber geschäftig über den Platz zwischen den vier Seiten dieses massiven Gebäudes. Ohne dass er es hätte verhindern können, versank er bei diesem Anblick ein weiteres Mal in seinen Erinnerungen, kehrte an den Beginn seiner Ausbildung zurück.

~* ~

»Du musst schneller werden, Kleiner!«, trieb ihn die Stimme des Generals an. Delnara atmete schwer und hob mit Mühen das Schwert in seinen Händen. Es war in den letzten Stunden immer schwerer geworden und nun schienen seine Finger so taub, dass er befürchtete, das Schwert fallen zu lassen.

»Berührt der Griff den Boden, werde ich deine Hände daran festbinden!« Delnara schreckte zusammen. Hatte der Löwe gerade seine Gedanken gelesen?

»Ich sehe die Zweifel in deinem Blick. Wenn du überleben willst, darfst du nicht zweifeln. Du musst deinem Schwert und dir selbst vertrauen. Dieser Stahl in deinen Händen ist ein Werkzeug, das dir das Leben retten kann. Das wird es jedoch nur, wenn du eins mit ihm wirst«, erklärte der Hüne und ging mit seinem eigenen Schwert auf ihn los. Metall traf Metall. Die Wucht des Aufpralls stieß ihn von den Füßen. Er umklammerte den Griff des Schwertes. Er durfte es nicht loslassen. Keuchend richtete er sich auf, sah seinen Lehrmeister wütend an. Er würde die Erniedrigung nicht erdulden, an ein Schwert gebunden zu werden.

»So ist es gut, Kleiner. Vergiss die Schmerzen. Sie machen dich langsam«, murmelte der General. Delnara umfasste den Schwertgriff fester und er griff nun seinerseits den General an. Sein Schlag ging ins Leere und die Breitseite des feindlichen Schwertes traf ihn hart zwischen die Schultern. Stöhnend fiel er und rutschte ein paar Meter über das Gras.

»Das war es dann wohl? Ich will dir ja nicht noch das Kreuz brechen«, meinte der General und steckte sein Schwert weg.

»Nein!«, presste Delnara keuchend hervor. Er stützte sich wacklig auf seine Arme, brachte sich auf die Beine, schnaufte heftig und funkelte den Löwen an. Dieser sah erstaunt auf. Wieder breitete sich ein Grinsen auf dem Gesicht des Generals aus und er lachte laut, ließ Delnara seine Reißzähne sehen.

»Du hältst viel aus. Eine sehr gute Eigenschaft. Du hast die richtigen Anlagen für ein etwas längeres Leben!«

~* ~

Es dauerte einige Zeit, ehe Delnara bemerkte, dass seine Finger ein weiteres Mal an sein Schwert geglitten waren. Sein Griff um den Knauf wurde fester. Wenn er diesem Löwen vor acht Jahren nicht gefolgt wäre ...

Seine Zähne mahlten aufeinander. Die Knöchel seiner Finger traten weiß hervor, ein leichtes Zittern begann seine Hand heimzusuchen. Seine Gedanken wurden rüde unterbrochen. Ein Unteroffizier stürmte in sein Zimmer und atmete schwer. Delnara fuhr herum und sein Blick wurde kalt.

»Sprich schnell und deutlich!«, befahl er dem Eindringling und dieser straffte sich augenblicklich.

»Die Löwen belagern seit gestern die südöstliche Küste. Die Räte von Tekuman sind außer sich vor Wut. Es heißt, wir, also Belevim, hätten Schiffe geschickt, um Löwenmenschen auf unsere Seite zu locken. Sie meinen, wir wollten sie in ihrem eigenen Land ausrotten, indem wir ihre Bevölkerung dezimieren! Es grenzt an blinde Raserei!«, berichtete der Unteroffizier und senkte seinen Blick. Es gab nicht viele Männer in dieser Armee, die seinem Blick standhalten konnten. Ein zorniges Murren entfloh Delnaras Kehle. Schnellen Schrittes verließ er das Zimmer.

Was er gehört hatte, erzürnte ihn. Die Räte standen in der Hierarchie noch über den Vikaren. Sie waren es, die die Länder politisch anführten. Dass nun solch realitätsfremde Anschuldigungen von den Räten Tekumans kamen ...

Sein Weg führte ihn durch die Gänge der Kaserne in einen Anbau, der durch eine große Tür abgetrennt war. Er stieß sie ohne Zögern auf und trat ein. Erschrockenes Raunen ging durch die Gruppe geistlicher Mönche, die sich hier an Schreibtischen mit allerhand Papieren beschäftigten. Delnara ignorierte sie völlig, eilte weiter. Eine große Pranke hielt ihn auf.

»Hauptmann, diesen Frevel werde ich Euch nicht gestatten. Vielleicht konntet Ihr dem alten Vikar auf der Nase herumtanzen, weil Sie beide Elfen waren, doch das sehe ich mir nicht ein weiteres Mal an. Ihr werdet hier warten, bis ich dem Vikar berichtet habe.« Delnara kochte vor Wut, dass dieser Mann, der hier als Mönch die Schreibarbeiten für den Vikar erledigte und als Verbindung zwischen Vikar und Kirche fungierte, ihn aufzuhalten wagte, ließ sich jedoch nichts anmerken. Scheinbar gelassen blickte er den Löwen an, warf einen kühlen Blick auf die Pranke auf seiner Schulter und hob dabei eine Braue. Dies reichte aus. Der Mönch zog seine Hand zurück und verschwand in den Räumen des Vikars. Wie albern ein Löwe in einer Kutte aussieht, dachte Delnara zynisch und biss die Zähne fest aufeinander. Während er wartete, dachte er an den Einsatz, der ihm bevorstand. Ein Feuer aus Wut, schneidenden Erinnerungen und einer gewissen Furcht wütete in ihm. Erneut würde er gegen eine Armee aus Löwenmenschen kämpfen, denen falsche Sorgen ins Ohr gesetzt wurden. Delnara war sich sicher, dass dieser Kampf ähnlich hart werden würde wie der, den er vor fünf Jahren schlagen musste - mit sehr schweren Verlusten und Folgen, die sich bis heute bemerkbar machten. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken, doch er verbot es sich, sich irgendetwas anmerken zu lassen.

»Ihr dürft jetzt ...«, fing der Mönch an, doch Delnara lief bereits an ihm vorbei. »Reißt Euch zusammen!«, rief der Mönch ihm noch nach, ehe die schwere Tür ins Schloss fiel.

Delnara blieb mitten im Raum stehen. Wie er diesen dunklen, fensterlosen Raum hasste! Er presste die Kiefer fest aufeinander. Er wusste, dass nur er das Knirschen seiner Zähne hören konnte, dennoch schien es ihm unnatürlich laut in den Ohren zu klingen.

»Wie ist Euer Name?«, wurde er von einer ruhigen, dunklen Stimme gefragt. Den Besitzer der Stimme konnte er nicht erkennen. Dessen Gesicht war von den Schatten der Bücherstapel um ihn herum in Dunkelheit gehüllt. Die wenigen Zeremonienkerzen in diesem Raum halfen Delnara nicht über das kalte Schaudern hinweg, das sich einen Weg in seine Glieder suchte. Er musste sich auf den Grund konzentrieren, der ihn hergeführt hatte. Er nahm seinen Hut ab.

»Ich bin Hauptmann Delnara Talath.«, erklärte er nüchtern und ging ein paar Schritte auf den Vikar zu. »Ich habe soeben erfahren, dass einige Truppen Balineras unsere Küste belagern und es vermutlich auf blinde Rache abgesehen haben. Schickt mich und meine Männer. Ich habe die besten und erfahrensten Krieger in meiner Truppe. Es muss kein unnötiges Blut fließen.« Delnaras Stimme blieb ruhig, fast kalt. Sein Herz jedoch schlug hart gegen den Brustkorb. Diese Dunkelheit, der kommende Kampf. Delnaras Nerven waren auf das Äußerste angespannt. Seine Ruhe war nur eine Hülle. Der Vikar erhob sich bedächtig und tauchte als schlanke Gestalt aus den Schatten hervor. Delnara schluckte hart, als er das Gesicht des Mannes sehen konnte. Ein Mensch! Diese Erkenntnis fuhr scharf durch seinen Kopf und er straffte seinen Körper. Er hatte lange für seine undurchdringliche Maske gearbeitet. Er würde sie jetzt nicht fallen lassen. Erst recht nicht vor einem Menschen.

»Ihr seid sehr klein für einen Elf«, stellte der Vikar fest. Er ging um den wuchtigen Tisch herum, lehnte sich vor Delnara an den Tisch und musterte ihn mit prüfenden Blicken.

»Und Ihr überraschend jung für einen Vikar ... Wollt Ihr die Zeit wirklich mit Gerede über meine Körpergröße verschwenden? Es sterben unschuldige Dorfbewohner, während Ihr mich mit anderen meiner Gattung vergleicht. Ich bin nicht wie andere!«, erklärte Delnara ungehalten und ging einen Schritt auf den Vikar zu, um die Dringlichkeit zu untermauern. Für solche Nichtigkeiten war keine Zeit. »Gebt mir endlich den Befehl!«, presste er mühsam beherrscht hervor. Der Vikar sah ihn eindringlich an und nickte dann knapp.

»Man sagte mir schon, dass Ihr vorlaut und unhöflich seid. Dann zeigt mir doch mal, wie gut Eure Fähigkeiten wirklich sind, Hauptmann.« Das reichte Delnara als Genehmigung. Ein letzter, herausfordernder Blick und dann ging er ohne ein weiteres Wort. Erneut ignorierte er die Mönche, die ihm nur, missbilligend den Kopf schüttelnd, hinterhersahen. Auf dem Gang setzte er seinen Hut auf und holte die Handschuhe aus seiner Hosentasche. Er zog sie sich straff über die Finger und ballte ein paar Mal die Fäuste. Er erkannte Marcellus Gestalt, die am Ende des mit Fliesen ausgelegten Flures auf ihn wartete. Nur Hauptmänner und Generäle durften diesen Gang betreten und mit dem Vikar direkt sprechen.

»Es geht los!«, informierte er Marcellus. Dieser nickte, hob den riesigen, reich verzierten Bogen samt Köcher vom Boden und lief mit ihm durch die Korridore zu den Aufenthaltsräumen der Truppe.

Gelächter vermischte sich mit Gesprächen zu einer einladenden, gelassenen Kulisse. Delnara trat mit seinem Freund in den Raum und betrachtete seine Männer. Diese saßen oder standen an den Tischen und das ausgelassene Gerede lockerte die Muskeln in seinen Fäusten.

»Ruhe!«, brüllte Marcellus schließlich in den großen Raum. Sein animalisches Knurren hallte von den Wänden wider und beendete abrupt alle Gespräche. Alle Aufmerksamkeit war auf den Hauptmann und seinen Löwen gerichtet.

Diese Truppe kannte sich aus vielen Kämpfen. Es war eine gewachsene Gemeinschaft. Jeder in diesem Raum kämpfte ohne Widerspruch mit jedem anderen an seiner Seite.

»Wir ziehen in den Kampf. Unsere Gegner sind Löwenmenschen. Sie wurden geschickt, weil die Räte Balineras falschen Informationen Glauben schenkten und sich nun von Belevim unter Druck gesetzt und bedroht fühlen. Rechnet also mit einer außergewöhnlichen Inbrunst der Krieger. Sie kämpfen für den Erhalt ihres Volkes, so wie auch wir für die Bewohner unseres Landes kämpfen. Es wird eine schwere Schlacht. Wer nicht dazu bereit ist, gegen diese wütenden Löwen zu kämpfen, bleibt hier. Von allen anderen erwarte ich die gleiche Überzeugung wie bei unseren Gegnern. Ich akzeptiere keine Zweifel! Und nun nehmt eure Waffen!«, erklärte Delnara mit kraftvoller Stimme.

Die Krieger sanken jeder auf ein Knie. Marcellus sprach laut ein Gebet für den Schutz der Männer und ihre sichere Heimkehr. Ein festes Ritual vor jeder Schlacht.

Delnara blieb stehen. Er umgriff seinen Schwertknauf und schloss bedächtig die Augen. Ein emotional aufgeladener Kampf erwartete sie. Noch einmal würde er nicht zulassen, dass ein Vertrauter vor seinen Augen starb. Er würde nicht noch einen Freund verlieren, nur weil er Zweifel hatte.

Die Truppe erhob sich. Die Männer holten ihre Ausrüstung und gingen zu ihren Pferden, sattelten auf. Sie verstauten Proviant, Ausrüstung und Waffen in den Satteltaschen. Delnara stieg auf seinen Schimmel und sah neben sich, als er einen Schatten im Augenwinkel wahrnahm. Marcellus Löwenpferd überragte den Schimmel deutlich. Er lächelte. Jetzt fühlte er sich neben seinem großen Freund noch kleiner.

»Ist es ein schlechtes Zeichen, wenn du vor einem Kampf mit der Truppe betest?«, flüsterte Marcellus. Delnara setzte einen überlegenen Gesichtsausdruck auf.

»Ich habe nicht gebetet. Ich habe geschworen, in diesem Kampf keinen Freund sterben zu lassen«, gab er ebenso leise zurück, zog an den Zügeln und ritt los. Seine zweihundert Mann starke Truppe folgte ihm im Schritttempo. An der Stadtmauer lockerte er die Zügel und stieß dem Hengst die Fersen in die Seiten. Auch die Pferde seiner Männer verfielen in Galopp.

Das Getrappel der Hufe erschütterte den Boden, kündigte die Truppe mit einem dunklen Grollen kilometerweit an. Fast eine Stunde lang brachten sie Distanz zwischen sich und ihre Heimat, ehe sie langsamer wurden. Den weiteren Weg, durch Dörfer und Wälder, überbrückten sie im Schritttempo, bis sie an dem Dorf im Südosten ankamen.

Bei Einbruch der Dunkelheit schlugen sie ihr Lager auf einer Lichtung auf. Der Wald um sie herum würde sie vor neugierigen Blicken schützen. Delnara teilte die Männer zum Aufbau der Zelte ein und stieg von seinem Pferd, machte es an einem Baum fest. Sein Blick wanderte in den dunkler werdenden Himmel. Sie hatten gerade noch genug Zeit, um alles im Restlicht des Tages aufzubauen.

Marcellus sandte Späher aus, teilte die Männer für die Nachtwachen ein und schickte einige Soldaten, um Fallen aufzustellen und Holz für kleine Feuer zu sammeln. Die letzten Zelte wurden aufgestellt und er richtete seine Schritte auf das kleinste Zelt, das schon stand und mit dem Licht von Kerzenflammen beleuchtet war.

»Ich hoffe, ich störe dich nicht«, meinte er leise, als er sich nach dem Eintritt in das Zelt wieder aufrichtete. Delnara saß an einem provisorischen Tisch und studierte die Blätter und Karten vor sich mit voller Konzentration.

»Nein, nein. Komm ruhig her«, antwortete der Elf sanft und verglich zwei Papiere. »Wir müssen morgen das Gebirge komplett durchqueren, mit unserer Truppenstärke wird es schwierig, das bis zur Dämmerung zu schaffen. Die Verletzungsgefahr im Dunkeln ist viel zu hoch«, murmelte er vor sich hin und warf einen weiteren Blick auf die Karte. Marcellus nickte zustimmend.

»Dann werde ich den Männern sagen, sie sollen sich gut sättigen und gleich zur Ruhe begeben. Wir werden bei Tagesanbruch die Lichtung verlassen, um die Helligkeit des Tages auszunutzen.« Sein Hauptmann nickte. Marcellus ließ seinen Blick über das angestrengte Gesicht Delnaras gleiten und atmete tief durch. Er musste die Sorgen um seinen Freund zurücknehmen. Diese Gefühle bedeuteten Zweifel und Zweifel waren etwas, das sich in dieser Situation kein Krieger erlauben durfte. Schnell lenkte er seine Gedanken auf ein anderes Thema.

»Delnara«, begann Marcellus und wartete mit dem Weitersprechen, bis er die geforderte Aufmerksamkeit erhielt.

»Könntest du dir vorstellen, ein einziges Mal in eine Kirche zu gehen?«, fragte er verlegen, was Delnara erst einen skeptischen Blick und anschließend ein belustigtes Lachen abrang.

»Keine Sorge. Für die Hochzeit meines Seelen-Bruders werde ich ein einziges Mal in meinem Leben zum Heuchler!«, meinte er mit einem Grinsen auf den Lippen. Eine Pranke schnellte auf Delnaras Kreuz und presste ihm die Luft aus den Lungen. Der Elf stützte sich auf seinen Tisch und atmete ein paarmal konzentriert und tief durch. Ob nun doch eine Rippe gebrochen war?

»Wer hat dir gesagt, dass es um meine Hochzeit geht?«, fragte Marcellus verlegen lachend und sah dann etwas besorgt auf seinen Freund.

»Ich werde eher durch deine Freundschaft sterben, als im Kampf«, seufzte Delnara und sah zu ihm auf. »Du würdest mich nicht mit diesem ernsten Ton fragen, ob ich es mir vorstellen könnte, wenn es dir nicht so wichtig wäre. Was wäre wichtiger, als die Hochzeit eines Bruders, auch wenn man nur im Herzen verwandt ist«, erklärte er und stand auf. Delnara schien bestrebt, dieses Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Eigentlich wie immer, wenn es über die Bedeutung der Kirche in ihrem Berufsstand und der Gesellschaft, in der sie lebten, ging. Vielleicht wollte Delnara aber auch nicht an die Konsequenzen einer Eheschließung seines Bruders denken.

»Ich werde noch etwas zu mir nehmen und mich dann auch zur Ruhe begeben«, beendete Delnara das Gespräch. Marcellus griff nach Delnaras Arm.

»Nach der letzten Nacht ... Ich bin als Nachtwache eingeteilt.« Er kannte Delnaras Alpträume schon lange, doch der letzte hatte ihn erschreckt. Er machte sich Sorgen. Sein Freund sollte wissen, dass er für ihn da war. Sein Elf lächelte beruhigend und löste sich aus seinem Griff.

»Ich komme schon zurecht! Ich muss mich langsam daran gewöhnen allein zu schlafen, wenn du bald heiratest!« Dabei klopfte ihm Delnara aufmunternd auf den Oberarm.

Marcellus´ Lachen erhellte kurz den Raum, ehe Delnara das Zelt verließ und sich an eines der Feuer stellte. Er konnte nicht zulassen, dass sein großer Freund sich Sorgen um ihn machte. Ein weiteres Mal versicherte er sich selbst, dass dieser Traum nichts weiter als das gewesen war. Ein Traum. Nichts, worüber er weiter nachdenken musste. Sein Blick wanderte kurz in den Himmel. Diese Nacht war sternenklar. Es würde kühl werden. Seine Aufmerksamkeit widmete er immer wieder dem Waldrand. Er wollte nicht in einen Hinterhalt geraten. Seine Informationen besagten zwar, dass die Löwen das Gebirge noch längst nicht erreicht hatten und Späher waren ausgesandt worden, doch er ging lieber auf Nummer sicher. Delnara schärfte den Soldaten noch einmal Vorsicht ein. Sie mussten aufmerksam sein und durften die Ruhe dieser nächtlichen Stille nicht unterschätzen. Langsam ging er in sein Zelt und setzte sich an den Tisch; gegessen hatte er nichts. Sein Blick wanderte müde und erschöpft durch den Raum und blieb auf seinem Nachtlager hängen. Kalte Schauer auf seiner Haut verhinderten, dass er sich erhob und zur Ruhe legte. Stattdessen schwang er seine Beine auf den Tisch, überkreuzte sie, löschte die Mehrzahl der Kerzen und schloss die Augen. Er wollte ihnen nur etwas Ruhe gönnen und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Erschöpfung war so groß, dass er die kräftigen Arme des Schlafes nicht mehr bemerkte, die ihn tief mit sich zogen.

~* ~

Delnara ging einen langen Flur entlang. Die Mosaike, auf die er trat, glichen denen im Gang zum Vikar. Verwirrung erfasste ihn. Er griff nach seinem Schwert und erschrak: seine Finger glitten ins Leere. Ein Blick auf die Hüfte bestätigte seine Befürchtung - er war unbewaffnet. Schnell sah er sich nach einer anderen Waffe um und stockte erneut, wich einen Schritt zurück. Er stand in einem fensterlosen Raum. Nur wenige Kerzen erhellten die kargen Wände. Zu dunkel, um die Größe des Raumes ausmachen zu können, doch nicht zu dunkel, um den kauernden, kleinen Jungen zu übersehen.

»Hey, Kleiner!«, sprach er ihn an. Zum einen wollte er seine eigene Angst verdrängen, zum anderen weinte der Junge so bitterlich, dass es ihm ans Herz ging. Der Junge, ein Elf, drehte sich vorsichtig zu ihm um und er schluckte. Er sah in sein kindliches Spiegelbild.

»Wir sind wieder hier eingesperrt«, flüsterte der Kleine und sah sich um, als könnten die Wände ihre Unterhaltung verraten. Delnara spürte, wie seine Brust enger wurde. Der Junge hatte Recht. Es war jener dunkle Raum, in den er als Kind immer wieder eingesperrt worden war. Panik versuchte, sich in seinen Kopf zu drängen, doch das Quietschen einer Metalltür riss seine Aufmerksamkeit auf sich.

»Da ist er«, wisperte der Junge panisch und seine Augen weiteten sich. Delnara sah in das Licht, das in den Raum geworfen wurde. Seine Augen verengten sich. Er hatte kein Schwert als Waffe, doch er würde diesem Kerl mit seinen eigenen Händen den Garaus machen. Er rannte auf den Mann zu, stürzte sich auf ihn. Presste ihn mit all seiner Kraft auf die Fliesen und umklammerte den Hals des Menschen. Rasende Wut überschwemmte ihn.

»Ich bin nicht mehr so schwach, wie ich es als Kind war«, zischte er und hörte das Röcheln des unter ihm Liegenden mit Genugtuung. Hände packten seine Arme und rissen ihn von dem Mann weg, der hektisch nach Luft schnappte und sich von einem Mönch aufhelfen ließ. Delnara war verwirrt. Warum half diesem Menschen ein Mönch eines Vikars?

»Lasst mich los!«, rief er und wehrte sich nach Leibeskräften.

»Man hat mir viel von Euch berichtet, aber ich dachte nicht, dass Ihr einen solchen Hass auf die Menschen habt, dass Ihr auch mich töten wollt«, erklang die Stimme des Vikars. Delnara hielt inne und sah sich um.

»Das Vorzimmer des Vikars«, stellte er verwirrt fest und besah sich die Mönche, die ihn noch immer festhielten. Sein Blick wurde schlagartig auf das Gesicht des neuen Vikars gezwungen. Dessen Hand war eisern um sein Kinn gelegt, seine Augen so dunkel.

»Dass Ihr mich so grundlos angreift, ist der Beweis dafür, dass Ihr Euch an uns Menschen rächen wollt. Ihr habt euch hier eingeschlichen und nun benutzt Ihr die kirchliche Garde. Das ist Hochverrat!« Das Urteil des Vikars war gefallen. Delnara riss die Augen in Panik auf. Erneut versuchte er sich, zu befreien. Er schrie und fluchte.

»Bringt ihn endlich in eine Zelle. Sperrt den Verräter weg!« Mit übertriebenem Schwung wurde er in eine Zelle geworfen. Er stolperte und schlug hart mit dem Kopf gegen die Wand. Keuchend sank er an dieser herunter und vergrub sein Gesicht in den Händen. Wie konnte das nur geschehen? Er sah sich um. Dunkelheit wollte ihn einhüllen. Er erkannte nur seine blutverschmierten Finger in dem Schein einer einzelnen, heruntergebrannten Kerze. Sie flackerte bedrohlich und Delnara flehte die Flamme innerlich an, nicht zu erlöschen. Sie kam seinem Wunsch nicht nach und überließ ihn der absoluten Dunkelheit.

~* ~

Der dumpfe Lärm eines Hornes riss Delnara aus der Dunkelheit seines Traumes und er sprang auf. Es dauerte einen Moment, bis sein Geist in der Realität angekommen war. Er blickte auf seine zitternden Finger. Kein einziger Tropfen Blut klebte an ihnen. Er ergriff sein Schwert und lief aus dem Zelt. Schnell verschaffte er sich einen ersten Überblick. Marcellus erblickte ihn und kam mit großen Schritten auf ihn zu.

»Die Löwen sind in der Nacht durch das Gebirge gekommen. Komplett verrückt! Ihre Verluste müssen enorm gewesen sein. Jetzt ist ihre Truppe zwar kleiner, aber auch schneller!«

Delnara nickte knapp. Er hatte eine solche Möglichkeit in Gedanken durchgespielt.

»Es scheint, als wären sie erzürnter, als wir dachten.« Er legte sich den Waffengürtel um und band ihn fest.

Die Kampfgeräusche näherten sich und er zog sein Schwert. Das polierte Metall glänzte im Schein der Feuer. Aus den Augenwinkeln sah Delnara, wie Marcellus seinen Löwenbogen spannte, bis an sein Kinn. Der Pfeil war gut einen Meter lang und fast so dick wie Delnaras Daumen. Zischend durchschnitt der Pfeil die Luft, verschwand im dunklen Wald. Ein Stöhnen zeigte an, dass er sein Ziel getroffen hatte. Mit animalischem Gebrüll rannte eine Horde Löwen auf das Lager zu. Die Geräusche ihrer Waffen ließen Delnara jeden Muskel anspannen. Schnell entbrannten die ersten Gefechte. Er rannte zu einer Gruppe von Schwertkämpfern, um sie zu unterstützen. Delnara parierte einen Hieb und schlug hart zurück, drängte seinen Gegner einen Schritt nach hinten. In diesem Moment war ihm egal, was für ein Wesen vor ihm stand. Wer ihn angriff, würde seine Klinge spüren. Im Kampf waren sie alle gleich. Jeder von ihnen war ein Krieger. Jeder von ihnen kämpfte für sein Ziel. Jeder von ihnen war bereit, sein Blut auf dem Schlachtfeld zu vergießen.

Delnara schlug mit zwei weiteren Kriegern geschickt eine Schneise durch die Angreifer, drängte sie zurück. Die Zyklen der Angriffe ließen ihnen kaum Zeit zum Luftholen und sie kämpften sich verbissen durch die Horde. Die übersäuerten Muskeln begannen zu brennen. Immer wieder trat er auf die Körper von Gefallenen, versuchte, nicht zu stolpern. Auf dem Boden liegend wäre er ein leichtes Ziel und Gnade konnte er hier nicht erwarten.

»Runter!«, warnte ihn eine Stimme. Delnara drehte sich nicht um, sondern packte seine Mitkämpfer bei den Kragen und riss sie mit sich auf die Knie. Über ihre Köpfe jagten Pfeile hinweg und trafen drei Löwen in die Brust. Den Luftzug, den die Geschosse verursachten, spürte er an seinem Hinterkopf. Delnara stand auf und sah hinter sich. Noch immer hielt Marcellus seinen Bogen fest in der Hand, nickte seinem Hauptmann kurz zu. Er nickte zurück. Hinter einem Baum erkannte er das Glitzern einer Sehne, die sich spannte. Er rannte auf Marcellus zu, trat auf sein Knie, schnellte empor und sprang über seinen Kopf. Mit einem Schwerthieb wehrte er den Pfeil vom Rücken seines Löwen ab. Er kam auf dem Boden auf und ging tief in die Hocke, um sein Gewicht abzufangen. Sofort richtete er sich wieder auf, rannte auf den Schützen zu und sprang ihn an. Er riss sein Schwert nach oben und stieß mit dem Knauf zu. Schmerzerfüllt stolperte der Schütze einen Schritt zurück. Delnara rammte ihm sein Schwert in die Schulter, brachte ihn zu Fall. Er spürte, wie der scharfe Stahl sich durch das Gewebe drängte. Plötzlich drang Siegesjubel an sein Ohr.

Er atmete schwer, war mit seiner Kraft am Ende. Seine Finger pulsierten am Griff des Schwertes. Er hatte keine Ahnung, wie lange er gekämpft hatte und nur langsam beruhigte sich sein Atem und das Zucken seiner Muskeln ließ nach.

Dann wurde es stiller. Delnara blickte in den Himmel und sah die Sonne, die friedlich durch die Blätter schien. Der Anblick war grotesk. Bis eben wurde gekämpft. Blut vergossen und Leben genommen. Doch die Sonne schien hell und streichelte mit den verspielten Schatten der Blätter über sein Gesicht. Die Ruhe brachte ihn schließlich dazu, sich zu erheben und sein Schwert mit einem Ruck aus der Schulter eines Löwen zu ziehen. Dieser blickte ihn schmerzverzerrt an, hielt sich den Arm.

»Ich hoffe, dass ich den Knochen nicht verletzt habe. Wenn du zu Hause bist, lass dich richtig versorgen und schone dich«, riet er ihm leise und entfernte sich.

Delnara sah sich genauer um. Der Kampf war zu Ende. Fliehende Löwen ließen sie ziehen und ihnen wurde unter Bewachung gestattet, die Leichen ihrer Einheit mit sich zu nehmen. Ruhe kehrte auf der Lichtung ein. Eine Ruhe, die ihm einen eisigen Schauer über den Rücken trieb. Der Tod hatte sie heimgesucht. Er ging zu Marcellus, der die Löwen mit einem Pfeil in seinem Bogen bewachte, bis diese im Wald verschwunden waren. Dann senkte er seine Waffe, sah Delnara prüfend an.

»Hast Du noch mehr abbekommen als das?«, fragte Marcellus und hob das Kinn des Elfen an. Eine lange, jedoch nicht tiefe Wunde zog sich über Delnaras Wange. Das Blut hatte sich seinen Weg über die Haut gesucht und war bereits getrocknet.

»Ich lebe noch. Das wird sicher ohne Narbe verheilen, wenn du mir nicht noch Schmutz in die Wunde reibst«, erklärte er mürrisch und löste die Pranke von seinem Gesicht.

»Verluste?«, fragte er dann nüchterner, um von sich abzulenken und suchte nach Leichen in ihrer Uniform. Auch Marcellus sah sich um, nutzte seine Größe, um sich ein genaueres Bild zu machen. Vereinzelt lagen Körper im Gras.

»So wie es aussieht, haben wir keine Toten zu verzeichnen. Der Angriff ist zurückgeschlagen, wir sollten nach Hause. Die Verletzten brauchen einen Arzt.« Delnara nickte.

»Wir packen zusammen. Alles, was noch zu gebrauchen ist, kommt mit, den Rest lasst hier!«, befahl Delnara laut in die Runde. »Die Verletzten werden mit dem ersten Trupp zurückgebracht!«

»Du solltest auch mit dem ersten Zug mit. Dein Arm sieht aus, als bräuchte er Pflege«, murmelte Marcellus und deutete auf seinen linken Arm. Delnara sah verwundert an sich herunter, entdeckte das rote Rinnsal, das bis zu den Fingerspitzen lief und dort Tropfen bildete. Er nickte und stieg auf seinen Schimmel. Er hatte nicht die Muse, sich mit dem Löwen zu streiten.

»Bleib du beim zweiten Zug und führ ihn nach Hause«, wies er Marcellus an und machte sich auf den Weg an die Spitze. Der Tross setzte sich in Bewegung. Wenn sie die Nacht durchritten, konnten sie morgen im Laufe des Vormittags zu Hause ankommen. Delnara seufzte müde. Er würde noch über Stunden in seiner schmutzigen Kleidung bleiben müssen, die sich an seiner verschwitzten Haut festsaugte und bei jeder Bewegung rieb und mit der Ruhe kam auch der Schmerz in seiner Schulter.

Delnara straffte seine Schultern, als er ein Pferd herantraben hörte. Einer seiner Unteroffiziere schloss zu ihm an die Spitze des Trosses auf.

»Wie geht es den Verletzten?«, erkundigte der Hauptmann sich. »Schaffen sie es, die Nacht durchzureiten?« Der Feenmann nickte.

»Sie sind allesamt stabil. Einige haben starke Schmerzen, doch sie werden durchhalten. Je eher wir nach Hause kommen, desto eher kann man ihnen helfen.« Delnara brummte zustimmend. »Ich habe gesehen, wie Ihr Marcellus gerettet habt. Auf einen Löwen aus dieser Entfernung zuzulaufen ist waghalsig, Hauptmann.« Der mahnende Unterton in der Stimme des Unteroffiziers war nicht zu überhören. Ein lautloses seufzen entfloh Delnara und er hielt sich den linken Arm. Es schmerzte doch mehr, als er gedacht hatte.

»Wir leben alle noch. Das sollte das Wichtigste sein«, murrte er kühl und ritt ein Stück voran. Waghalsig? Er dachte über dieses Wort nach. Es gefiel ihm besser als leichtsinnig. So hatte ihn sein General immer genannt. Leichtsinnig und zu klein für einen richtigen Elfen. Ein Spott, der ihn nur zu neuen Höchstleistungen angetrieben hatte. Delnara sah auf seinen Arm. Sein Kettenhemd musste einen Treffer abgefangen haben. Die Glieder waren verbogen und ein paar hatten sich in sein Fleisch gebohrt. Er legte seinen Arm auf dem Sattel ab und ritt einhändig. Das verminderte die Bewegung im Gewebe ein wenig und verringerte den Schmerz. Sobald sie ihm die Glieder zu Hause aus dem Fleisch zogen, würde der Schmerz nachlassen.

Zwei

Sie brauchten länger, als gedacht. Erst weit nach Sonnenuntergang kamen die Stadtmauern Belevims in Sicht. Am Stadttor wurden sie von einer aufgeregten und besorgten Menge empfangen. Er sah ängstliche Blicke. Sah suchende Frauen, Kinder, Eltern. Schnell stieg er ab und übergab sein Pferd einem der Reiter des Trosses. Schmerzvoll verzog er das Gesicht und rieb sich über den verletzten Arm.

»Wir haben keine Gefallenen zu betrauern. Wir bringen die Verletzten. Der Großteil des Heeres folgt uns nach und wird in wenigen Stunden bei euch zu Hause sein!«, rief er in die Menge. Immer wieder wiederholte er seine Worte, wollte zu so später Stunde keine Angst in den Gesichtern sehen. Er begleitete den Tross zu Fuß bis zum Lazarett. Als er sicher war, dass seine Männer behandelt wurden, ließ auch er sich versorgen. Kräftig klopfte er seinem Unteroffizier beim Verlassen des Lazarettes auf die Schulter.

»Wir sehen uns morgen. Ich will einen vollständigen Bericht!« Dieser nickte.

Die Sommernacht war kühl. Tief atmete Delnara durch und machte sich auf den Weg zu seiner Unterkunft im Stadtkern. Er wollte sich waschen und schlafen.

»Hauptmann! Hauptmann!« Er drehte sich um und erkannte seinen Bruder, der hektisch auf ihn zulief.

»Enurah. Was willst du denn zu so später Stunde von mir?«, fragte er und hob eine Augenbraue.

»Der Vikar will dich sehen, Bruder!« Ein Murren entfloh Delnara.

»Kann das nicht bis Morgen warten?«, sagte er gereizt und setzte seinen Weg fort.

»Nein! Sobald ich dich sehe, soll ich dich zu ihm bringen.« Enurah verstellte ihm den Weg. Delnara fluchte. So schmutzverkrustet wie er war, wollte er dem Vikar nicht unter die Augen treten. Trotzdem drehte er sich um, machte sich auf den Weg. Seinen Ärger verbarg er hinter einer kühlen Miene.

»Kommst du?«, fragte er. Enurah folgte seinem Bruder mit der gleichen Bewunderung im Blick, mit der die Jünglinge in seiner Gruppe aus Anwärtern Delnara verehrten. Zusammen liefen sie die Gassen zur Kaserne entlang. Vor dem Gang zum Zimmer des Vikars blieben die Brüder stehen. Da Enurah das Betreten verboten war, verabschiedeten sie sich voneinander. Delnara betrat das Vorzimmer.

»Nach mir wurde geschickt!«, erklärte er kühl und kümmerte sich nicht weiter um die Mönche. Er trat in das Zimmer des Vikars. Es war heller erleuchtet als bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Ein Mönch stürmte hinter ihm ins Zimmer.

»Verzeiht Herr, ich konnte ihn nicht aufhalten!«, entschuldigte er sich und fiel auf die Knie. Missbilligend sah Delnara auf den Mönch herab. Er konnte eine solch unterwürfige Haltung nicht ausstehen und war zu erschöpft, um einen Rest Höflichkeit aus sich herauszuholen.

»Schon gut. Ich habe damit gerechnet, dass der Hauptmann euch allesamt überrennt. Ihr könnt gehen!«, meinte der Vikar ruhig und erhob sich von seinem Stuhl. Delnaras Blick folgte dem Mönch, bis er die Tür gänzlich geschlossen hatte und sah dann zum Vikar. Er nutzte das vermehrte Licht, um sich den Mann anzusehen. Groß gewachsen, schlank, dunkle Haare und Augen und ein Gesicht, das weit weniger bedrohlich wirkte, als das aus seiner Kindheit.

»Euer Ruhm eilt Euch voraus, Hauptmann. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass Ihr ohne einen einzigen Toten zurückkehrt.« Der Vikar kam um den Tisch herum. Delnara knirschte mit den Zähnen. Er hatte das diffuse Gefühl, in eine Falle gelaufen zu sein, aus der er sich nicht würde befreien können.

»Ich würde Euch danken, Vikar, wenn es die Wahrheit wäre. Löwen sind gestorben«, erwiderte er und zog seinen Hut. Wenigstens vor seinem Vorgesetzten sollte er noch ein paar Manieren beweisen. Er sah den Mann vor sich wieder an und dieser lächelte nur freundlich.

»Aber ganz ohne Verluste ist eine Schlacht nicht zu schlagen!«, kam die philosophische Antwort. Ihm wurde immer unwohler im Magen. Was war es, was an dieser Situation nicht stimmte? Er musterte den Mann vor sich genau. War er der Rasse der Menschen gegenüber wirklich so skeptisch eingestellt? Die Worte aus seinem Traum kamen ihm wieder ins Gedächtnis. Wollte er sich an ihnen für sein Leid rächen?

»Kommt. Ich habe einen hervorragenden Wein für einen solchen Sieg.« Delnara erstarrte. Alkohol? Er hatte noch nie einen Tropfen Alkohol getrunken, doch er konnte dem neuen Vikar nicht schon wieder über den Mund fahren. Obwohl er als unhöflich und wild galt, wusste er doch genau, wo seine Grenzen lagen.

»Ja«, war seine leise Antwort und er folgte dem Mann nach nebenan. Auch dieser Raum war fensterlos, doch durch die geringere Größe und die vielen Kerzen wirkte er deutlich behaglicher.

»Setzt Euch«, bat der Vikar. Delnara ließ sich im Schneidersitz an dem kleinen Tisch nieder, der mitten im Raum stand. Er stützte die unversehrte Hand auf sein Knie und sah sich um. In einer Ecke erspähte er viele Kissen und Decken und sehnte sich ein weiteres Mal nach seinem eigenen Bett.

»Möchtet ihr ein Tuch für Eure Hände und Euer Gesicht?«, fragte der Vikar, als er sich ebenfalls setzte. Delnara stutzte und spürte, wie Röte in seine Wangen stieg und entschloss sich, diese mit Wut zu überspielen.

»Ich wurde zu Euch gerufen, bevor ich mich waschen konnte!«

»Das ist mir bewusst. Aber ich finde dieses Aussehen passender, als die geglättete Uniform bei unserem ersten Treffen. Es entspricht mehr Eurem Charakter.« Die Stimme des Vikars klang erheitert.

»Macht Ihr Euch über mich lustig?«, fragte er scharf. Der Vikar schob eine Schüssel mit einem Tuch über den Tisch zu ihm hin.

»Nein. Über Euch würde ich mich nie lustig machen. Vikar Atunaris hat mir viel von Euch erzählt. Ihr dientet lange unter ihm.« Delnara nahm das Tuch aus der Schüssel. Insgeheim war er sehr dankbar dafür, dass das Wasser warm war. Er strich sich mit dem Tuch über das Gesicht, den Nacken und über die Kehle. Er wusch abschließend seine Hände in der Schüssel und stellte sie mit einem Räuspern weg. Durch den Staub und das Blut war das Wasser so trüb geworden, dass man den Boden der Schüssel nicht mehr erkennen konnte.

»Meine ganze Dienstzeit lang war ich Vikar Atunaris unterstellt. Was erzählte er Euch über mich?« Delnaras Laune war wieder etwas gestiegen. Er fühlte sich nicht mehr ganz so unwohl und war nun auch bereit ein Gespräch zu führen.

»Er berichtete mir, dass Ihr ein Wildfang seid, der seines Gleichen sucht. Ihr seid sehr temperamentvoll und kämpft mit ganzem Herzen«, erzählte der Vikar und goss den roten Wein in zwei Gläser, von denen er eins zu Delnara hinüberschob. »Er sagte mir, es sei schwer, Euch Befehle zu geben, doch wenn man Eure Kette etwas locker ließe, würdet Ihr Euren Weg schon gehen, auch wenn das nicht immer der Weg der Kirche ist.« Der Vikar erhob sein Glas. Delnara war irritiert.

»Kette?«, echote er und folgte der stummen Aufforderung. Er hob sein Glas und trank, als auch der Vikar das Glas an die Lippen gelegt hatte. Delnara leerte es in einem Zug. Er hatte gar nicht bemerkt, wie durstig er gewesen war.

»Ihr habt einen guten Zug!«, lobte der Vikar und schenkte nach. Der Wein war fruchtig, süß und lockte zum Weitertrinken. Delnara leckte sich über die Lippen. Er nahm einen großen Schluck und sah die rötliche Flüssigkeit durch das Glas an.

»Mein Name ist Betham«, erklang die Stimme des Vikars. Delnara sah fragend auf. Hatte er sich gerade verhört? Bot der Vikar ihm soeben eine engere Beziehung an?

»Delnara«, erwiderte er und sah in das Glas, ehe er es erneut mit wenigen Schlucken leerte. Ob es gut war, sich auf einen Menschen tiefer einzulassen? Er hatte das Gefühl, sein Hirn würde mit den Schultern zucken. Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht. Dieser Gedanke war aber auch zu erheiternd. Mit einem Nicken quittierte er, dass sein Glas erneut gefüllt wurde.

»Ihr seid einer der besten Kämpfer unter meinem Befehl. Lasst mich Euch ein Geschäft vorschlagen«, begann Betham. Delnara trank sein Glas mit einem großen Schluck aus. Er hatte wirklich Durst und nickte dankend, als der Vikar erneut nachfüllte. Er hatte auch seit zwei Tagen kaum etwas gegessen. Ob sich sein Kopf deswegen so leicht anfühlte? Delnara stutzte. Der Vikar hatte ihm ein Geschäft vorgeschlagen. Sollte er jetzt etwas antworten? Betham schien auf etwas zu warten. Er straffte die Schultern und atmete tief durch. Er musste sich zusammennehmen.

»Ich höre!«, meinte er nur. Er hatte die Sorge, dass längere Sätze nicht mehr akzentuiert genug aus seiner Kehle kamen, fühlte diese sich doch seltsam entspannt an. Die Entspannung zog sich durch seinen Körper und wärmte ihn. Seine Müdigkeit schien sich zu steigern, dennoch glaubte er sich hellwach. Noch ehe er sich über diesen Zustand wundern konnte, hatte der Vikar seine Stimme wieder erhoben.