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Ein schwedisches Idyll im heißen Sommer 1983, auf das dunkle Schatten fallen, als ein Kind verschwindet. Die verzweifelte Mutter engagiert eine gescheiterte Polizistin, die in der Nachbarschaft Nachforschungen anstellt – und mitten im sonnigen Paradies auf einen dunklen Abgrund stößt. Schweden im Sommer 1983. Die gescheiterte Polizistin Ingrid Wolt versucht fern der schwedischen Hauptstadt den Neuanfang als Privatdetektivin. Sie kommt gerade zur rechten Zeit: Konnte bis vor Kurzem nichts die Idylle in der Kleinstadt Våmhus trüben, überschattet nun das unaufgeklärte Verschwinden eines Jungen das Leben. Die örtliche Polizei bleibt trotz Mangel an Beweisen überzeugt davon, dass der Junge ertrunken ist; die Mutter des Jungen will sich damit nicht abfinden und engagiert Ingrid, die in das enge Geflecht nachbarschaftlicher Beziehungen eindringt – und dabei immer tiefer in einen dunklen Abgrund gerät. »Dieser Krimi ist einfach unfassbar gut – besser geht es nicht!« Smålandsposten Ingrid Wolt ermittelt in folgenden Fällen: - Den Tod belauscht man nicht (Band 1) - Das Paradies verrät man nicht (Band 2)
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Seitenzahl: 551
Ninni Schulman
Schwedenkrimi
Roman
Susanne Dahmann
Er fuchtelte wild mit den Armen und trat, so fest er konnte. Doch der Griff war eisern und er kam nicht los. Panik übertönte alles andere.
»Beruhige dich, sage ich! Ich werde dir nicht wehtun! Wenn du dich einfach nur beruhigst, dann …«
Doch so fühlte es sich überhaupt nicht an. Diese Augen, sonst so freundlich, waren jetzt nicht wiederzuerkennen. Der Blick völlig verändert, und der Mund, jetzt ganz nah bei seinem eigenen, stank nach ekligem Bier. Gleich würde er sich übergeben müssen.
»Still, sage ich! Ich will nur mit dir reden! Du kennst mich doch, oder?«
Der Schmerz durchflutete seinen Kopf, eine rotglühende Kugel.
Er schrie, so laut es ging, konnte einfach nicht anders. Brüllte so, dass es im Hals brannte. Hörte ihn denn niemand?
Eine schmutzige Hand drückte sich fest auf seinen Mund, wieder musste er würgen.
»Halt die Schnauze, sage ich!«
Er nahm einen der Finger und biss so fest zu, wie er nur konnte.
Ein unterdrückter Schrei durch zusammengebissene Zähne war zu hören. Dann ein Zischen:
»Bist du bescheuert, du verdammter dummer Junge?«
Der Geschmack von Blut breitete sich in seinem Mund aus, doch der Eisengriff lockerte sich nicht.
Hier würde er niemals rauskommen, das wurde ihm jetzt klar. Niemals.
Ingrid Wolt warf sich die Tasche über die Schulter und trat in die Freiheit hinaus. Obwohl es erst halb neun Uhr am Morgen war, flimmerte die Luft auf dem Anstaltsparkplatz schon vor Hitze. Hinter ihr schloss sich quietschend das hohe Gittertor.
Der Schatten der Stacheldrahtreihen auf dem Zaun lag schwarz über dem trockenen Kies. Die neue Jeans, die sie bei ihrem letzten überwachten Ausgang gekauft und für diesen Tag aufgehoben hatte, fühlte sich auf eine herrliche Weise steif an. Die Turnschuhe drückten etwas.
Nach ein paar hundert Metern bemerkte sie ein geflicktes Loch im Zaun. Vielleicht war Kiki vom Nordflügel im vorigen Sommer ja dadurch abgehauen. Ab und zu passierte es, dass Gefangene den Maschendrahtzaun aufschnitten und rauskrochen. Manche wagten sogar, obendrüber zu klettern, das Baumwollkleid in die Unterhose gestopft, um nicht am Stacheldraht hängen zu bleiben.
Die Straße runter nach Frövi fühlte sich bedeutend länger an als drei Kilometer, und sie musste mehrmals die Schulter für die Tasche wechseln, doch schließlich wichen die Bauernhöfe den Einfamilienhäusern. Sie versuchte aufrecht zu gehen, erhobenen Hauptes, obwohl ihr klar war, dass alle, die sie sahen, genau wussten, woher sie kam.
Erst am Bahnhof fand sie eine Telefonzelle. Sie schubste die unförmige Tasche in das Häuschen, nahm den Geldbeutel, dick befüllt mit all den Scheinen des Abschlusslohns, und fischte ein paar Ein-Kronen-Münzen heraus, die sie dann mit ihrer Hand umklammerte. War es zu früh, um anzurufen? Nein, sie waren um diese Zeit bestimmt schon wach. Sie steckte eine Krone in den Münzschlitz und wählte die Nummer, die sie auswendig konnte.
In der Telefonzelle war es heiß wie in einer Sauna. Während es klingelte, schob sie die Tür auf, um ein bisschen Sauerstoff reinzulassen. Sie wollte gerade schon wieder auflegen, als endlich eine Stimme zu hören war.
»Karlsson.«
Die Frau war ans Telefon gegangen.
»Hallo, ich bin es. Ingrid Wolt.«
»Aha. Hallo.«
Die Stimme distanziert, fast schon unfreundlich.
»Ich würde gern mit Anna sprechen.«
»Sie ist nicht da.«
»Ach so«, sagte Ingrid und schluckte. »Wo ist sie denn?«
»Bei einer Freundin.«
»Um diese Uhrzeit?«, fragte Ingrid und warf einen Blick auf die Bahnhofsuhr. »Es ist doch noch nicht mal neun.«
»Sie hat dort übernachtet.«
Ingrid hatte sich so sehr nach diesem Gespräch gesehnt und es in ihrem Innern Hunderte Male durchgespielt. Dass Anna nicht zu Hause sein könnte, war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen.
»Dann probiere ich es später noch mal«, erwiderte Ingrid. »Jedenfalls bin ich jetzt raus.«
»Okay.«
»Vielleicht können Sie ihr das ausrichten und sagen, dass ich später noch mal anrufe. Und dass ich sie liebe wie nichts anderes auf der Welt.«
»Ja, klar. Das werde ich tun.«
Ingrid hängte den Hörer auf die Gabel und seufzte tief. In den letzten Tagen hatte sie an nichts anderes denken können, als diesen Anruf in Freiheit zu tun und die Stimme ihrer Tochter wieder zu hören.
Die nicht benutzte Münze war in ihrer Hand klebrig geworden, und sie ließ sie wieder in den Geldbeutel fallen. Jetzt hätte sie gern auch Thomas angerufen, aber der war im Urlaub und würde erst nächste Woche wiederkommen.
Ingrid stieß die Tür mit der Schulter auf und versuchte, die Enttäuschung abzuschütteln. Sie würde Anna später am Tag sprechen, und ihr Bruder würde auch irgendwann nach Hause kommen. Sie war nicht völlig allein auf der Welt. Eigentlich nicht.
Genau wie Thomas versprochen hatte, stand das Auto, ihr alter Saab 99, in einer Seitenstraße hinter dem Bahnhof. Abgesehen von etwas Flugrost auf den Kotflügeln war er überhaupt nicht so mitgenommen, wie sie befürchtet hatte. Der Schlüssel lag auf dem rechten Vorderrad, und als sie den Kofferraum öffnete, um ihre Tasche reinzulegen, musste sie den Hockey-Koffer beiseite schieben, den sie an jenem Tag, an dem alles schiefging, gepackt hatte und der nunmehr alles enthielt, was sie noch besaß. Sie fuhr leicht mit der Hand über den Nylonstoff, wagte aber nicht, den Reißverschluss aufzuziehen, um zu sehen, was drin war.
Sie schloss die Fahrertür auf, ließ sich auf dem brennend heißen Sitz nieder und umfasste prüfend das Lenkrad. Im Handschuhfach fand sie den Zettel mit ihrer neuen Adresse und der Telefonnummer des Vermieters, einem Gert Boström. Ihr Bruder hatte ihr außerdem mit Kugelschreiber auf einem karierten Ringbuchblatt eine hilfreiche Karte gezeichnet. Mora. Våmhus. Kumbelnäs. Den Siljan-See hatte er mit viel blauer Tinte eingefärbt. Ingrid war noch nie in ihrem Leben in Dalarna gewesen, und das war genau die Idee. Ein Ort, wo niemand sie kannte, war genau richtig, um neu anzufangen.
Sie legte die Karte auf den Beifahrersitz und sah ein weiteres Mal in den Rückspiegel, als rechnete sie damit, dass eine Wachpatrouille hinter ihr hergerannt käme, um sie am Wegfahren zu hindern. Doch es war niemand zu sehen. Sie war nun ein freier Mensch und konnte tun und lassen, was sie wollte.
Ein Schauder des Glücks durchfuhr sie, als sie den Zündschlüssel herumdrehte, vom Parkplatz ausscherte und Frövi hinter sich ließ.
Draußen auf der Landstraße schaltete Ingrid das Radio ein, kurbelte die Scheibe ganz herunter und ließ sich den Wind durchs Haar wehen. Viel kühler wurde es nicht davon. Die Jeans klebte am Oberschenkel, und der Schweiß lief.
Allmählich ging die offene Landschaft in einen dichten Wald über, nur ab und zu durch kleine, von hügeligen Feldern umgebene Dörfer unterbrochen. Als sie gesessen und über ihr neues Leben draußen und darüber nachgedacht hatte, wo sie wohl neu anfangen könnte, war unwillkürlich Dalarna in ihren Gedanken aufgetaucht. Nach einer Weile hatte sie gemerkt, dass es sie dorthin zog, weil Benny immer von den Sommern seiner Kindheit dort erzählt hatte. Er war genau wie sie in der Stadt aufgewachsen, aber manchmal, wenn sie gemeinsam vor irgendeiner Kaschemme Dealer ausspähten, genügte schon der Geruch von frisch gemähtem Gras, um ihn in Gedanken zurück zu einem Mittsommerfest oder einer Angeltour zu versetzen.
Manchmal hatte sie sich gefragt, was Benny wohl jetzt von ihr dachte, nach all dem, was passiert war. Bestimmt wusste er alles. Ingrid konnte sich gut vorstellen, wie unter den Kollegen in der Polizeizentrale getratscht worden war. Aber vielleicht hatte er, der sie besser kannte als die meisten, seinen Glauben an sie doch nicht verloren.
Nach ein paar Stunden hinter dem Steuer bekam Ingrid Hunger. Inzwischen näherte sie sich schon Leksand am Siljan-See, und so bog sie ab und fand an einem kleinen Platz ein China-Restaurant, das nett aussah.
Ehe sie aus dem Auto stieg, fischte sie eine Bürste aus der Handtasche, fuhr sich ein paarmal durch die Haare und band sie dann zu einem Pferdeschwanz.
Hier kennt mich niemand, und man sieht mir nicht an, woher ich komme, dachte sie gebetsmühlenartig und schlug die Autotür zu. Auch wenn ich hier bei 25 Grad in einer Jeans rumlaufe. Trotzdem wird niemand erkennen, dass ich fast drei Jahre lang im Knast gesessen habe.
Sie streckte sich, fuhr sich noch einmal mit der Hand übers Haar und ging dann so stolz, wie sie nur konnte, an den draußen sitzenden Touristen vorbei und hinein in das dunkle Restaurant.
Ingrid steuerte einen Fenstertisch mit Blick über den Platz an. Außer ihr saß nur noch eine junge Familie drinnen im Lokal. Mama, Papa und zwei Kinder. Das kleine Mädchen im Kindersitz hatte ein kariertes Kleidchen an und kleine Schleifen in den Haaren. Ingrid konnte den Blick nicht von ihr wenden.
Ob Anna immer noch frittierte Krabben mochte? Bekam sie die wohl manchmal? Oder war die Pflegefamilie von der Sorte, die sich niemals einen Restaurantbesuch gönnte?
Als das Mädchen merkte, dass es beobachtet wurde, grinste es Ingrid breit an, und Ingrid erwiderte das Lächeln. Doch nun drehte sich der Vater zu ihr um, und als sie seinen skeptischen Blick sah, verging ihr die gute Laune. Der Mann sah sie kaum an, sondern drehte ihr gleich wieder den Rücken zu und redete weiter mit seiner aufgehübschten Frau.
Der sieht mich an, als wäre ich eine alte Säuferin in einer Vorortskneipe, dachte sie. Als würde ich hier verkatert und lichtscheu das erste Bier des Tages bestellen.
Ihr brannte das Gesicht vor Scham, und sie wollte gerade aufstehen und das Restaurant verlassen, als eine junge Bedienung an ihrem Tisch auftauchte.
»Was darf es sein?«
Ingrid verhandelte mit sich selbst. Der Hunger zog im Magen, und sie hatte alles Recht, hier zu sitzen. Geld hatte sie auch. Sie hatte ihre Strafe abgesessen.
»Drei Vorspeisen, bitte«, sagte sie rasch, damit sie es sich gar nicht erst anders überlegen konnte und die Bedienung nicht genug Zeit haben würde, das billige Waschmittel in ihren Kleidern zu riechen. »Und ein Glas Fanta.«
Die Bedienung nickte, legte Besteck und eine Serviette hin und verschwand.
Als das beschlagene Glas mit der Limonade kam, nahm Ingrid ein paar Schluck und schaute aus dem Fenster, darauf bedacht, nicht die Familie anzusehen.
Der Platz war voller normaler Menschen, die mit anderen normalen Menschen zusammengehörten.
Würde sie selbst jemals wieder irgendwo dazugehören? Eine Gemeinschaft haben, eine Herde? Oder würde sie für den Rest ihres Lebens wie ein räudiger Fuchs einsam umherstreichen?
Sie wurde aus ihren Grübeleien gerissen, als plötzlich ein dampfender Teller vor ihr stand. Frittierte Krabben mit süßsaurer Soße, Fleisch mit Bambussprossen, Hühnchen in Curry. Das war doch mal etwas anderes als Leberpfanne und lauwarme Fleischwurst in der Gefängniskantine.
Als sie aufgegessen hatte, trank sie den Rest der Fanta und winkte die Bedienung herbei, um zu bezahlen. Es war noch ungewohnt, in den Scheinen zu blättern, die man ihr eben erst ausgezahlt hatte. Eine verblichene Quittung vom Supermarkt in Hammarbyhöjden fiel aus einem Fach des Geldbeutels und landete auf dem Tisch. Milch, Dickmilch, Brot, eine Glühbirne, Hackfleisch. 12. November 1980. Vier Tage vorher.
Ingrid legte das Geld auf den Tisch, gab ordentlich Trinkgeld und flüchtete hinaus in den Sonnenschein.
Bei einem Brunnen stand eine Telefonzelle, und sie beschloss, noch einmal anzurufen. Der Schweiß lief ihr den Rücken herunter, als sie zum zweiten Mal an diesem Tag die Nummer wählte.
Es klingelte und klingelte, und am Ende musste sie einsehen, dass wohl niemand zu Hause war. Enttäuscht hängte sie ein, und die nicht benutzte Krone rasselte ins Münzfach.
Da sie nun schon mal vor einem Telefon stand, konnte sie genauso gut die Gelegenheit nutzen, ihren zukünftigen Vermieter anzurufen, Bescheid zu geben, dass sie auf dem Weg war, und ihn zu fragen, wie das mit den Schlüsseln und allem anderen funktionierte. Sie holte den Zettel mit der Telefonnummer heraus und wählte zum ersten Mal die unbekannte Nummer. Es klingelte ein paarmal, dann ging ein Mann mit dunkler Stimme ran.
»Hallo, mein Name ist Ingrid Wolt. Ich würde gern mit Gert sprechen.«
»Am Apparat.«
Er klang streng, oder zumindest entschieden. Überhaupt nicht höflich oder entgegenkommend. Ingrid sah grobe Hände und einen sonnengebräunten Nacken vor sich. Hoffentlich würde sich herausstellen, dass er trotzdem nett war.
»Wie gut«, erwiderte Ingrid. »Dann bin ich ja richtig. Ich werde über den Sommer Ihr Haus mieten.«
»Ach so, hallo. Wenn ich Ihren Mann richtig verstanden habe, kommen Sie heute.«
Jetzt klang er ein wenig freundlicher, aber vielleicht war das auch nur der singende Dialekt.
Ingrid machte sich nicht die Mühe, ihn wegen der Sache mit dem Mann zu korrigieren, sondern fuhr fort:
»Genau. Ich bin auf dem Weg, im Moment in Leksand. Sie wissen ja wahrscheinlich besser als ich, wie lange man von hier aus noch braucht.«
»Eine knappe Stunde ist es schon«, sagte Gert. »Haben Sie eine Wegbeschreibung, damit Sie uns hier finden?«
Jetzt sah sie auch Falten in den Augenwinkeln vor sich, die nach vielen Stunden des Spähens in die Sonne weiß waren.
»Ja, doch. Ich habe hier eine Karte, das kriege ich hin.«
»Also gut. Wenn Sie zum Mittsommerbaum kommen, biegen Sie ab Richtung See. Dann liegt das Haus auf der linken Seite, direkt vor der Reihe mit Briefkästen.«
»Das finde ich«, versicherte Ingrid. »Ich müsste unterwegs noch ein bisschen einkaufen. Wo mache ich das am besten?«
»Wir haben hier im Ort auch Läden, aber wenn sie etwas Größeres wollen, dann müssen Sie nach Mora«, antwortete Gert.
Okay. Es würde Mora werden. Obwohl sie allein war, würde sie sich heute Abend, an ihrem ersten Abend in Freiheit, ein gutes Stück Fleisch und ein Glas Wein gönnen.
»Dann sehen wir uns in ein paar Stunden«, sagte sie.
»So machen wir das. Auf der Straße zwischen Mora und Våmhus sind viele Elche unterwegs, fahren Sie also vorsichtig.«
Da schlug ein fürsorgliches Herz. Ingrid hängte ein, gerührt über eine Freundlichkeit, die sie so gar nicht gewohnt war.
Am Ende würde womöglich alles gut werden.
Ein paar Stunden später war Ingrid endlich in dem Ort angekommen, von dem sie am selben Morgen noch nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte. Ochsenblutrote Häuser und alte, langgezogene Scheunen standen ganz dicht an der Straße. Manche Schuppen sahen aus, als wären sie mehrere hundert Jahre alt. Hier und da standen zwischen den Höfen Pferde und Kühe und schlugen mit den Schwänzen. Das alles erinnerte sie an Skansen, das große Freilichtmuseum in Stockholm. Nur ein bisschen größer, dachte Ingrid. Und echt. Unterhalb des Orts lag blank wie ein Spiegel der Orsasjön.
Der hohe Mittsommerbaum war von weit her zu sehen. Er war weiß gestrichen und in eine Laubgirlande gewickelt, und neben den beiden Blumenkränzen war er mit von Pfeilen durchschossenen Herzen aus Holz dekoriert. Kein Wunder, dass Benny so deutliche Erinnerungen an seine Sommerferien hatte. Hier nahm man das Mittsommerfest wirklich noch ernst.
Sie blieb auf der Höhe des Mittsommerbaums stehen und studierte ein weiteres Mal die Karte, dann bog sie zwischen den alten Höfen ab. Hinter einem Gatter, zum Teil von zwei großen Birken versteckt, war ihr Zuhause für diesen Sommer zu erkennen. Das zweistöckige rote Haus war deutlich größer als erwartet. Was hatte Thomas hier denn für sie aufgetan? Sie wusste, dass er überall Kontakte hatte, aber dass er so etwas aus dem Ärmel schütteln könnte, hätte sie nie geahnt.
Der Geruch von frisch gemähtem Gras schlug ihr entgegen, als sie aus dem Auto stieg. Ein Stück entfernt sah sie einen jungen Mann über einen Mäher gebeugt zwischen Obstbäumen auf und ab marschieren. Als er sie sah, hob er die Hand zum Gruß.
Aus dem Wohnhaus näherte sich in Arbeitshosen, kurzärmeligem Hemd und Gummistiefeln ein anderer Mann.
»Da sind Sie ja«, sagte er und streckte ihr die Hand hin. »Gert. Ich wollte mir gerade schon Sorgen machen.«
Ungefähr vierzig, riet sie, bedeutend jünger, als er am Telefon geklungen hatte. Aber große Hände hatte er, und ein wettergegerbtes Gesicht. Der Körperbau ließ Ingrid vermuten, dass er einmal Fußball gespielt hatte, vielleicht sogar Hockey. Aus dem Halskragen stak etwas Brusthaar heraus.
Es war lange her, dass Ingrid mit einem Mann allein gewesen war, und sie tat ihr Bestes, um das Unbehagen zu unterdrücken. Es gab keinen Grund, sich zu fürchten.
»Sollen wir uns mal das Haus ansehen?«, fragte Gert.
Er musste etwas lauter sprechen, um den Motor des Rasenmähers zu übertönen.
Als er vor ihr zum Haus ging, sah Ingrid, dass Mücken um seinen Kopf schwirrten und das Hemd im Nacken schweißnass war. Er öffnete die Tür und ließ sie zuerst über die Schwelle gehen.
»Also, das hier ist mein Elternhaus«, fuhr Gert fort, während er sich selbst mit der Handfläche auf den Nacken haute.
Ingrid machte ein paar Schritte in eine dunkle Diele, die nach Pfeifenrauch und altem Holz roch. Ein starker Geruch, aber nicht unangenehm.
»Erwischt«, erklärte Gert und zeigte die Hand, auf der eine erschlagene Mücke klebte. »Am Abend sind sie aggressiv, aber im Badezimmer gibt es Mückenmittel und Salubrin. Hier stehen auch ein paar Insektengitter für die Fenster, falls Sie mal lüften wollen.«
Als sich Ingrids Augen an die Dunkelheit in der dämmerigen Diele gewöhnt hatten, konnte sie zwei Rahmen mit eingespannten Netzen erkennen, die an der Wand lehnten. Da gab es auch noch einen Spiegel und ein Schuhregal, das abgesehen von einem Paar Holzschuhe leer war.
Gert führte sie in eine große Küche mit Kiefernholztisch und blau gestrichenen Stühlen. An der Wand hing ein gesticktes Tuch und verkündete »Willkommen Groß, willkommen Klein, willkommen alle, die sind mein«.
»Speisekammer«, sagte Gert und wies mit der Hand auf eine Tür zwischen Spüle und dem freistehenden Kühlschrank.
Ingrid nickte.
»So, Sie sind also zum Urlaub hier?«, fragte er und drehte am Wasserhahn. Die Rückenmuskulatur war deutlich durch das dünne Hemd zu erkennen.
»Ja, genau«, sagte Ingrid. »Die Gegend um den Siljan ist doch so schön.«
Diese Antwort hatte sie vorbereitet. Sie brauchte einen langen Urlaub mit viel Ruhe, und das hier würde einfach perfekt sein.
Gert sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, etwas länger, als ihr angenehm war. Als würde er darüber nachdenken, was eine Frau Mitte dreißig dazu bewog, ganz allein in einem kleinen Dorf, wo sie niemanden kannte, Ferien zu machen. Wovor floh sie?
Doch er sagte nichts, sondern stieg vor ihr über eine hohe Schwelle in ein Zimmer, dass er »den Saal« nannte. Eine Sofagruppe aus Plüsch, ein Teakregal, auf dem das Telefon stand, ein Esstisch mit Armlehnstühlen.
»Das Telefon ist noch angemeldet. Die Nummer steht da«, sagte er und zeigte auf einen Zettel an der Vorderseite des Apparats. »Wir können die Rechnung dann aufteilen, wenn sie kommt.«
Auf dem Boden lagen hübsche Flickenteppiche, und die Wände hingen voller Bilder, meist Elche in Öl und typische Dalarna-Bauernmalerei. Ein handgewebter Wandbehang, der mit seinen klaren Farben an einen Sonnenuntergang am Meer erinnerte, war das schönste Einrichtungsobjekt.
»Meine Mutter ist voriges Jahr gestorben, und bis wir Geschwister übereingekommen sind, was wir mit dem Haus wollen, vermieten wir es.«
Er öffnete den Mund, als wollte er weitersprechen, besann sich dann aber, drehte sich um und murmelte etwas, was Ingrid nicht verstand.
»Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
Sie drehte den Kopf, wandte ihm das Ohr, auf dem sie hörte, zu, und trat ein paar Schritte näher.
»Der Fernseher ist schwarz-weiß«, wiederholte er, »funktioniert aber tadellos, genau wie der Schallplattenspieler.«
Ingrid ging zu dem einfachen Plattenspieler und klappte vorsichtig den Deckel hoch, der mit einer dünnen Staubschicht bedeckt war.
Da hörte man draußen auf der Veranda laute Schritte, und kurz darauf stand der junge Mann, der den Rasen gemäht hatte, auf der Schwelle zum Saal. Er war von ganz anderer Statur als Gert, hochgewachsen und schlank, Wuschelfrisur und ein schwarzes T-Shirt mit Hardrock-Aufdruck.
»Bin fertig«, sagte er und schob sich das lange Haar aus dem Gesicht.
»Verdammt noch mal, Patrik«, schimpfte Gert, »du trägst ja überall Gras rein. Deine Mutter hat hier heute auf den Knien gelegen und den Fußboden geschrubbt.«
Patrik machte auf dem Absatz kehrt und ging ohne ein Wort wieder raus.
»Mein Sohn«, erklärte Gert überflüssigerweise. »Manchmal fragt man sich, ob er überhaupt irgendetwas denkt.«
Dann rief er in die Diele hinaus:
»Wenn du die Stiefel schon anbehalten hast, dann kannst du auch der Dame hier mit ihrem Gepäck helfen.«
»Das ist wirklich nicht nötig«, erklärte Ingrid.
»Er soll sich ruhig mal nützlich machen.«
Gert stieg eine knarzende Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Da oben gab es eine kleine Toilette mit Handwaschbecken und drei Schlafzimmer in unterschiedlichen Größen.
»Hier können Sie sich einrichten«, sagte er und machte eine ausholende Geste. »Im großen Schrank unten im Saal gibt es Handtücher und Bettwäsche, nehmen Sie sich einfach, was sie brauchen.«
Als sie die Treppe wieder herunterkamen, standen Ingrids Einkaufstüten und die große Hockeytasche mitten in der Diele. Patrik saß auf einer Holzbank vor der Tür und ließ eine Snus-Dose zwischen den Fingern kreiseln. Ein Bein wippte nervös auf und ab.
Gert schob sich an der Hockeytasche vorbei, warf Patrik einen wütenden Blick zu und schloss dann demonstrativ die Eingangstür, um die Mücken auszusperren.
Anstatt die große Tasche noch einmal zu umrunden, wollte er sie zur Seite heben, musste allerdings mit beiden Händen zupacken, so schwer war sie.
»Teufel noch mal«, stöhnte er. »Was haben Sie da denn drin? Eine Leiche?«
»Woher wissen sie das?«, entgegnete Ingrid lächelnd.
Gert erwiderte das Lächeln, doch war unmöglich zu erkennen, was er wirklich dachte.
»Die Waschküche ist im Keller«, sagte er und zeigte auf eine Tür. »Aber die kann ich Ihnen auch ein andermal zeigen. Vielleicht müssen Sie ja nicht heute Abend schon waschen.«
Nachdem er ihr einen weiteren unergründlichen Blick zugeworfen hatte, kehrte Gert in die Küche zurück, öffnete den Kühlschrank und sagte etwas, was Ingrid nicht verstand.
»Wie bitte?«, fragte sie und lehnte sich vor.
»Er ist eingeschaltet und kalt«, wiederholte er.
»Ich bin auf dem rechten Ohr fast taub, deswegen verstehe ich manchmal was nicht«, erklärte sie. »Nur dass Sie das wissen. Ein Unfall.«
»Okay.«
Gert machte die Kühlschranktür zu und blieb dann stehen.
»Ja, dann ist da noch das mit der Miete«, begann er. »Wir haben einen Monat im Voraus vereinbart, Ihr Mann und ich.«
»Das geht in Ordnung«, erwiderte Ingrid. »Aber Thomas ist nicht mein Mann, sondern mein Bruder.«
Es gab so viel zu verschweigen, da wollte sie, wann immer möglich, ehrlich sein.
Sie holte ihre Brieftasche raus und legte zwei Hunderter auf den Küchentisch.
»Wie lange wollen Sie denn bleiben?«, fragte Gert.
»Ich weiß noch nicht genau«, antwortete Ingrid. »Aber auf jeden Fall den ganzen Sommer.«
Gert sah sie eingehend an, als würde er eine konkretere Zeitangabe erwarten, doch als nichts kam, sagte er:
»Nun gut. Dann sagen wir mal so.«
Er faltete die Geldscheine in der Mitte und schob sie in die Tasche.
»In der Garage stehen übrigens Fahrräder«, erklärte er. »Da können Sie sich einfach eins nehmen.«
Ingrid dankte ihm und begleitete ihn zur Tür.
Als Gert endlich die Eingangstür hinter sich geschlossen hatte, sank sie auf die Küchenbank. Der Kühlschrank brummte in der Ecke vor sich hin, und eine einsame Hummel flog immer wieder gegen die Scheibe. Sie zog die Gardine beiseite, öffnete das Fenster weit und sah die Hummel in den hellen Abendhimmel verschwinden.
Dann ging sie in den Saal und nahm den Telefonhörer ab.
Funktionierte – genau wie Gert gesagt hatte.
Sie ließ sich auf einem gepolsterten Hocker mit Kreuzstich-Bezug nieder und wählte wieder die Nummer. Während es klingelte, malte sie ein Herz in die dünne Staubschicht auf dem Regalbrett.
Diesmal war er am Telefon.
»Anna kann jetzt nicht telefonieren. Sie sitzt in der Badewanne.«
Jetzt konnte Ingrid sich nicht länger zurückhalten.
»Dann sagen Sie ihr doch vielleicht, dass sie mal rauskommen soll, oder? Und dass ihre Mutter mit ihr sprechen will.«
Sie wartete auf eine Antwort, doch da kam nur Schweigen.
»Ich habe jetzt ein eigenes Telefon«, sagte sie. »Können Sie vielleicht meine Nummer aufschreiben und ihr helfen, mich anzurufen, wenn sie fertig gebadet hat?«
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.«
»Warum denn nicht?«
»Wenn Sie mit ihr gesprochen haben, ist sie immer so aufgewühlt, dann schläft sie nur schwer ein.«
»Das wird sicher besser werden, wenn wir uns jetzt öfter sehen können«, entgegnete Ingrid. »Wann kann ich denn mal vorbeikommen?«
»So einfach ist das nicht«, sagte er. »Das muss Ihnen doch klar sein. Ich finde, wir sollten dieses Gespräch jetzt beenden.«
»Sie meinen, ich darf nicht mit ihr sprechen?«
»Alles Gute, Ingrid«, erwiderte er.
Ehe sie etwas sagen konnte, war am anderen Ende der Leitung ein Klicken zu hören.
Ingrid legte den Hörer auf und blieb sitzen, während ihr die Tränen hinter den Augenlidern brannten. So hatte sie sich ihren ersten Tag in Freiheit nicht vorgestellt.
Konnten die das wirklich machen? War es erlaubt, den Kontakt auf diese Weise zu verweigern?
Nach dem Wochenende würde sie das Jugendamt anrufen und um einen Umgangsplan bitten. Anna war trotz allem ihr Kind und sie musste die Chance bekommen, sie wieder kennenzulernen.
Aber jetzt würde sie erst einmal versuchen, die Sache loszulassen und das Beste aus ihrem ersten Abend in Freiheit zu machen.
Ingrid wischte sich die Tränen ab und stand vom Hocker auf.
Um die seltsame Stille im Haus zu verjagen, ging sie zur Musikanlage und fing an, die Schallplatten durchzublättern. Zwischen Evert Taube und Jussi Björling fand sie zu ihrer Überraschung ein paar von Johnny Cash und Elvis Presley. Waren die vielleicht noch von Gert?
Sie wählte Cash, platzierte die Nadel und klappte vorsichtig den Deckel zu.
Was war eigentlich aus ihrer eigenen Schallplattensammlung geworden? Sie wünschte, sie hätte wenigstens die allerbesten mitnehmen können, aber für solche Entscheidungen war keine Zeit gewesen. Und so wie sie Kjell kannte, war das alles auf der Müllkippe gelandet.
Ingrid drehte die Lautstärke ein wenig höher, dann ging sie in die Diele, um die Einkaufstüten zu holen, die sie nach dem Telefongespräch schon fast vergessen hatte.
Schnell packte sie die Molkereiprodukte in den Kühlschrank und hoffte, dass Milch und Dickmilch die Wärme überstanden hatten. Die Speisekammer war bereits voller Lebensmittel. Hier standen auch lange Reihen von Marmeladengläsern: Himbeere, Blaubeere, Preiselbeere und Multbeere. Doch ein Regalbrett war freigeräumt worden, und da sortierte sie ihre Makkaroni und die Konservendosen ein.
Monatelang hatte sie geplant, was sie sich am ersten Tag nach der Freilassung zum Abendessen kochen würde. Das war ihre persönliche Gutenachtgeschichte gewesen, die sie sich selbst erzählte. Und jetzt lag da auf der Arbeitsfläche eine dicke Scheibe Rinderfilet. Dazu würde sie sich ein Kartoffelgratin mit selbstgemachter Béarnaise-Soße machen. Außerdem hatte sie sich eine gute Flasche Rotwein gegönnt. Das hier war allein ihr Abend, und nichts durfte ihn ruinieren.
Ingrid fand einen Korkenzieher und ein Weinglas, öffnete die Flasche und schenkte sich ein. Während Johnny Cash aus dem Saal Walk The Line spielte, schnitt sie Zwiebeln, schälte Kartoffeln und nippte am Wein.
Als sie das Gratin in den Ofen geschoben hatte, ging sie mit dem Weinglas in den Garten hinaus. Die Bäume warfen lange Schatten über das frisch gemähte Gras, das jetzt in der Abenddämmerung noch mehr duftete. Scheunen, Wirtschaftshäuser und Wagenschuppen umgaben den Hof, schirmten sie vom Rest der Welt ab und gaben ihr Sicherheit. Ein Stück weiter auf dem Rasen, wo die Sonne immer noch schien, stand ein graues Vorratshaus.
Ingrid ging schräg über den Hof und setzte sich auf eine abgenutzte Treppenstufe. Sie fuhr mit der Hand über das warme, glatte Holz. Wie viele Menschen diese Treppe im Laufe der Jahrhunderte wohl schon hinaufgestiegen waren. Sie nahm einen kleinen Schluck vom Wein und schloss die Augen.
Dass sie hier sitzen und den Abend exakt so lange genießen konnte, wie es ihr selbst behagte. Niemand würde sie zwingen können, reinzugehen.
Wieder blubberte das Freiheitsgefühl in ihr hoch.
Sie ließ den Wein im Glas kreiseln und nahm noch einen Schluck. In der Ferne wieherte ein Pferd.
Aber würde sie es schaffen? Konnte man neu anfangen, sich ein ganz anderes Leben zulegen, als sie es bisher gehabt hatte?
Nach Stockholm würde sie lange nicht zurückkehren können, vielleicht niemals.
Sie könnte sich Tiere anschaffen: Hühner, Schafe. Das wäre doch vielleicht schön. Immerhin besaß sie nach ein paar furchtbaren Monaten im Hühnerstall auf Hinseberg ein Diplom in Hühnerzucht.
Nein, eigene Tiere würden zu viel Arbeit machen, und sie brauchte einen richtigen Job, der auch Geld brachte. Aber auf jeden Fall konnte sie doch von einem eigenen Garten träumen. Während einer anderen, bedeutend angenehmeren Periode, hatte sie nämlich im Gewächshaus des Gefängnisses gearbeitet und ein ganz neues Interesse für Pflanzenzucht entwickelt. Eigentlich nur da, in der feuchten Wärme und dem schweren Erdgeruch, war es ihr einigermaßen gut gegangen.
Als die Sonne hinter Wolken verschwand und die Mücken ihr um den Kopf zu summen begannen, ging sie ins Haus.
Das Gratin bekam allmählich eine schöne Farbe. Es duftete herrlich.
Wenn die Mücken nicht gewesen wären, hätte sie gern draußen gegessen, aber so musste sie sich damit begnügen, einen großen Strauß Blumen zu pflücken, den sie mitten auf den Tisch stellte. Sie zündete zwei Kerzen an, deren Schein dem Silberbesteck einen sanften Schimmer verlieh.
Ich darf nicht vergessen, gut zu mir selbst zu sein, auch wenn das manchmal schwerfällt, dachte sie.
Ehe sie mit der Soße anfing und das Fleisch briet, wechselte sie die Musik. Diesmal musste es Elvis sein, die alte Lieblingsplatte ihres Vaters. Das fühlte sich gut an.
Als alles fertig war, drapierte sie das Essen so schön sie konnte auf dem Teller und ließ sich dann am Tisch nieder.
Es würde schwer sein, in ein Leben außerhalb der Mauern zurückzukehren, das wusste sie. Sie hatte viele Menschen kennengelernt – sowohl in ihrem alten Leben als auch im Gefängnis –, die zuvor schon eine oder zwei Strafen abgesessen hatten. Aber Ingrid war nicht wie sie. Sie hatte weder Drogenprobleme, noch ging sie in kriminellen Kreisen um. Sie hatte ein ganz normales Leben mit Arbeit, Mann und Kind gehabt. Aber was half das jetzt schon?
Die Mahlzeit war viel zu schnell vorüber. Sie blieb noch am Tisch sitzen und betrachtete ihr eigenes verschwommenes Spiegelbild in der Fensterscheibe.
Um sich nicht in weiteren Grübeleien zu verlieren, stand sie auf, drehte die Musik ab und schaltete den Fernseher ein. Sie machte es sich auf dem Sofa gemütlich und sah gerade noch den Wetterbericht in den Nachrichten. Danach begann eine Krimiserie, die sie noch nicht kannte – sie war sehr unterhaltsam, und Ingrid blieb sitzen und schaute die ganze Folge.
Erst gegen Mitternacht, als das Fernsehprogramm zu Ende war und der Himmel draußen tiefblau, schaltete sie das Gerät aus und holte sich Bettwäsche aus dem Schrank. Sie wählte das Schlafzimmer mit dem Doppelbett, schlug sorgfältig die Decke zurück und bezog das Bett neu. Heute Nacht würde sie sich endlich richtig ausbreiten können.
Ehe sie unter die Decke kroch, holte sie den Fotorahmen aus der Tasche, wischte das Bild mit einem Zipfel ihres Nachthemds ab und stellte es auf den Nachttisch. Dann holte sie das Tagebuch heraus. »An meine Tochter, von Mama«, hatte sie auf das erste Blatt geschrieben. Zu Beginn ihrer Zeit auf Hinseberg hatte sie mehrere Seiten am Tag geschrieben. Alle Sätze, die sich in ihrem Kopf drängten, hatten herausgemusst. Eines Tages, wenn Anna so weit war, dann würde sie das alles lesen und vielleicht verstehen können.
Heute bin ich endlich freigelassen worden. Sowie ich ein Telefon gefunden hatte, habe ich dich angerufen, um es dir zu erzählen. Ich habe mich so danach gesehnt, deine Stimme zu hören, aber du warst nicht zu Hause und konntest nicht mit mir sprechen. Ich wohne jetzt in einem großen Haus in Dalarna, und ich hoffe, dass du bald hierherziehen kannst. Ich habe ein riesiges Bett, in dem wir zusammen schlafen können, und es gibt einen großen Garten, in dem wir spielen und auf Bäume klettern können. Es ist so schön. Fast wie in Bullerbü. Erinnerst du dich, wie ich dir die Bücher abends vor dem Einschlafen vorgelesen habe? Die Bilder vom Lämmchen haben dir so gefallen. Weißt du noch? Aber manchmal bist du eingeschlafen, ehe wir es bis da geschafft hatten. Hier gibt es im Frühjahr sicherlich massenhaft Lämmchen. Kühe und Pferde habe ich jedenfalls schon gesehen.
Ingrid legte das Buch auf den Nachttisch. Als sie die Lampe ausschaltete, wurde es sehr dunkel und sehr still. Kein Laut war von draußen zu hören, kein Auto fuhr vorbei, keine Kuh muhte. Nicht einmal das Summen einer Mücke.
Sie lag lange da und starrte in die Dunkelheit. Die Stille war so umfassend, dass es sich anfühlte wie Druck auf beiden Ohren. Sie hätte nie gedacht, dass sie das Gedudel von Gittes Radio einmal vermissen würde, aber jetzt sehnte sie sich nach einem kleinen Zeichen der Nähe anderer Menschen.
Vielleicht sollte sie in die Küche runtergehen und das Radio holen, das da auf dem Fensterbrett stand.
Plötzlich hörte sie ein knarrendes Geräusch. Dann etwas wie Schritte. War da jemand auf dem Weg die Treppe hinauf? Ingrid hielt die Luft an und horchte angespannt, doch es kam nicht wieder. Stattdessen ein neuer Laut, wie ein Knipsen, aus dem Zimmer nebenan.
»Das Haus macht Geräusche«, sagte sie zu sich selbst. »Wie Holzhäuser es nun mal so tun.«
In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung davon, wie es in alten Häusern klang, aber unrealistisch war es ja nicht. Das Radio wagte sie trotzdem nicht zu holen. Stattdessen legte sie sich auf die Seite, drückte sich fest ein Kissen aufs Ohr und kniff die Augen zu. Irgendwann schlief sie ein.
Solveig wischte die Krümel weg, die vom Frühstück auf dem Tisch übrig geblieben waren, und stellte die Stühle richtig hin. Mechanisch begann sie, die Breiteller abzutrocknen, die auf dem Geschirrständer tropften. Drei Teller statt vier. Drei Löffel statt vier. Immer eins zu wenig.
Sie schaute auf den Kalender an der Wand. Heute war es ein Jahr her, dass Mattias auf seinem Fahrrad losgeradelt war, um niemals zurückzukehren. Elchjagd, Weihnachten, Ostern waren gekommen und gegangen. Jetzt die Sommerferien. Ein ganzes Jahr.
Trotzdem standen die Zeiger der Küchenuhr seit jenem Tag still.
Esbjörns Schritte, wie er aus dem oberen Stockwerk die Treppe hinunter kam, das Stampfen der Gummistiefel in der Diele und dann die Tür, die aufging und zugeschlagen wurde. Nicht sanft, nicht hart. Einfach so, als wäre alles ganz normal.
Durchs Fenster konnte Solveig sehen, wie er einen Holzkloben hochkant auf den Hauklotz stellte, der Rücken gebeugt, dann schwang er mit schlafwandlerischer Sicherheit die Axt. Es war Gottes Vorsehung, dass er den Kloben noch nie verfehlt hatte. Bei der Kraft würde er sich das Bein abschlagen.
Solveig legte den letzten Löffel in die Schublade, schüttelte das nasse Geschirrtuch aus und hängte es zum Trocknen auf. Dann wischte sie noch einmal mit dem Lappen über die Spüle, bevor sie in die Diele hinausging und ihre Turnschuhe anzog.
Sie beschloss, zu der Lichtung am Fluss zu gehen, vielleicht auch noch ein Stück weiter. Meist überlegte sie sich nicht im Vorhinein, wohin sie wollte, sie ging einfach drauflos, bis die Füße schmerzten und es im Kopf endlich still wurde. Esbjörn hatte schon lange aufgehört zu fragen.
Ehe sie ging, schrieb sie einen Zettel, den sie auf den Küchentisch legte, falls Linda sich wundern sollte: »Bin draußen und laufe. In ein paar Stunden wieder zu Hause.«
Wie es jetzt ihre Gewohnheit geworden war, ging sie hinten raus und bog durch die Lücke in der Hecke direkt auf den Waldweg ein. Das ersparte ihr selbst und den Nachbarn das Unbehagen, sich zu begegnen und ein paar Worte wechseln zu müssen. Sie war der wandelnde Tod, schwarz und stumm. So jemand passte am besten in die Schatten zwischen den Bäumen.
Solveig ging mit langen Schritten los, versuchte, sich auf nichts anderes zu konzentrieren, als vorwärtszukommen und zu atmen. Nicht nachdenken. Sie hatte diesen Tag gefürchtet, hatte ihn schon lange herannahen sehen. Und jetzt war er hier.
Wie üblich nahm sie den Schotterweg durch den Wald nach Bäck. Nach Myran ging sie nicht mehr – wenn es nötig war, musste Esbjörn hinfahren und einkaufen. Post- und Bankangelegenheiten regelte sie in Orsa oder Mora.
Den Blick immer auf den Wegesrand gerichtet, ging sie schneller, bis es in Oberschenkeln und Waden brannte.
Die wenigen Male, dass ihr ein Auto entgegenkam, hob sie, ohne aufzusehen, die Hand zum Gruß. Es war immer eine Erleichterung, Björkvassla hinter sich zu lassen. Nach ungefähr einem Kilometer öffnete sich der Wald ein wenig. Kühe weideten unter den Birken und schauten sie unter stetigem Wiederkäuen stumm an, doch Olssons Arbeitspferd bewegte sich Richtung Zaun, um sie zu begrüßen.
Solveig sprang über den Graben und wartete, während der Gaul gemächlich auf sie zuschaukelte.
»Heute ist es schwer«, sagte sie und kraulte ihn, wie er es gernhatte, unter der Stirnmähne.
Das Pferd antwortete, indem es sie sanft mit der Schnauze stupste. Solveig streichelte es noch ein Weilchen, legte ihre Wange an seine. Dann stieg sie zurück über den Graben.
»Bis bald, mein Freund«, sagte sie. Das Pferd folgte ihr auf der anderen Seite des Zaunes, solange es konnte.
Schon oft hatte sie erwogen, sich einfach ins Moos zu legen und nie wieder aufzustehen. An Mattias’ Geburtstag im Dezember hatte sie eine Flasche Captain Morgan mitgenommen, in der Absicht, sich vollzusaufen, in einer umgestürzten Wurzel versteckt einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Aber der Alkohol hatte widerwärtig geschmeckt, und als sie kein Gefühl mehr in Fingern und Zehen hatte, überlegte sie es sich anders. Sie konnte doch Linda nicht ein paar Wochen vor Weihnachten verlassen. Es war ihr gelungen, auf ihrer eigenen Spur zurückzugehen, und sie war wieder zu Hause, noch ehe irgendjemand gemerkt hatte, dass sie weg gewesen war.
Heute lag diese umgestürzte Wurzel in Blaubeerreisig gebettet, und ringsherum wuchsen kleine Moosglöckchen. Sie warf einen raschen Blick darauf, ohne jedoch ihre Schritte zu verlangsamen.
Die Sonne brannte ihr auf dem Rücken, als sie das letzte Stück bis zum Fluss ging. Hier im Gras, ein paar Meter vom Ufer entfernt, hatte man Mattias’ Fahrrad und den Haufen seiner Kleider gefunden.
»Hallo«, sagte sie zu der hohen Kiefer, die dem Wasser am nächsten stand, die alles gesehen und gehört haben musste. Der Stamm war so dick, dass ihre Arme fast nicht herum reichten, aber sie umfasste ihn fest, drückte die Wange an die sonnenwarme Borke. Die Kiefer wisperte beruhigend, versuchte aber nicht, Trost zu spenden. Sie stand einfach nur da, mit den Wurzeln tief in der Erde, und hörte zu. Wenn sie treten und schlagen musste, ließ der Baum das zu, musste sie weinen, dann verbarg er ihre Tränen unter seiner Rinde und bewahrte sie wie kleine Geheimnisse auf.
Die Kiefer wusste alles von Mattias. Solveig hatte von dem Morgen erzählt, als er im Krankenhaus von Mora geboren wurde und wie gerne er Tigermuffins buk und wie er sich mal mit dem Schnitzmesser verletzt hatte und mit fünf Stichen genäht wurde. Wenn sie nichts von ihm erzählte, dann würde er für immer von ihr verschwinden, genau wie der Geruch auf seinem Kissen.
»Du weißt, was passiert ist«, flüsterte sie, die Stirn auf die Rinde gelegt.
»Sag mir, wer es getan hat.«
Doch wie gewöhnlich antwortete die Kiefer nicht, sondern ließ sie allein.
»Hilf mir!«, rief sie jetzt lauter. »Steh doch nicht einfach nur da.«
Die Wut in ihrer eigenen Stimme ließ sie noch zorniger werden.
»Verdammte, blöde Kiefer!«, schrie sie. »Zum Teufel!«
Sie hämmerte wie wahnsinnig mit den Fäusten gegen den Stamm, aber die Kiefer stand stumm da. Wiegte sich nur im Takt des Windes.
»Bitte«, schluchzte Solveig. »Hilf mir.«
Sie sank im Moos zusammen und weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Dann leckte sie sich das Blut von den Händen und machte sich ein weiteres Mal auf den langen Weg nach Hause. Einen anderen gab es nicht.
Ingrid schlug die Augen auf und starrte im hellen Schlafzimmer auf eine Tapete mit kleinen Blumensträußen. Kein Donnern an die Tür um Viertel nach sieben hatte sie geweckt, kein Schlüssel im Schloss. Kein barscher Befehl, aufzustehen.
Sie schaute sich unruhig in diesem Zimmer um, das sie überhaupt nicht wiedererkannte. Es dauerte einige Momente, bis sie begriff, wo sie sich befand, und die Erinnerung an den Tag zuvor holte sie ein.
Das hier war nicht ihre Zelle auf Hinseberg. Sie lag in nach Lavendel duftendem Bettzeug ganz allein in einem Doppelbett in Dalarna.
Sie war frei.
Das Sonnenlicht strömte durch die Ritze zwischen Rollo und Wand, und ihre nächtliche Angst kam ihr nun albern vor. Ein ganzer Tag lag vor ihr, und sie konnte alles tun, was ihr in den Sinn kam. Lange Zeit lag sie einfach nur da und dachte darüber nach, womit sie diesen Tag ausfüllen würde. Eine Fahrradtour durch den Ort. Vielleicht ein Bad im See, wenn sie einen schönen Badeplatz fand.
Sie setzte sich auf die Bettkante, lächelte das Foto auf dem Nachttisch an und berührte Annas Wange leicht mit den Fingerspitzen.
Die Tasche aus Hinseberg stand unausgepackt neben dem Bett. Am Abend zuvor hatte sie lediglich ihr Nachthemd und die Zahnbürste herausgeholt.
Ingrid tappte auf nackten Füßen hin und zog den Wintermantel und die Lederstiefel heraus, die sie an jenem Nachmittag getragen hatte, als alles zur Hölle ging. In einem der Schränke fand sie einen freien Bügel und hängte den Mantel an die Tür. Im Sonnenschein sah sie ganz unten mehrere dunkle Flecken. War das Blut?
Es war schwer vorstellbar, dass sie diese Stiefel oder den alten Mantel je wieder tragen würde, doch fürs Erste konnte er da hängen bleiben. Sie fischte einen Pullover und eine Strickjacke aus der Tasche, zwei Kleidungsstücke aus einer anderen Jahreszeit und einem anderen Leben. Ihre Garderobe musste eindeutig aufgefrischt werden.
Bevor sie in die Küche hinunterging, machte sie sorgfältig das Bett, steckte den Überwurf so fest, dass keine einzige Falte zu sehen war. Dann zog sie die viel zu warmen Jeans und denselben Pullover an wie am Tag zuvor.
Bis das Teewasser kochte, nahm sie ihren Geldbeutel heraus und leerte Scheine und Münzen auf den Küchentisch. Bei ihrer Freilassung wurde sie für ihre gute Arbeit in der Nähwerkstatt gelobt, und sie hatte auch keinen einzigen Abzug für ruinierte Kleider bekommen. Außerdem hatte sie ein paar Ersparnisse auf der Bank, aber auch alles zusammen würde zu keinen großen Ausschweifungen reichen.
Ingrid nahm Teetasse, Block und Stift mit und setzte sich auf die Treppe. Weiße Wattewolken zogen langsam über den Himmel. Es sah aus, als würde es ein weiterer schöner Tag werden, heiß, aber nicht drückend. Der Garten war voller Beerenbüsche unterschiedlicher Sorten, und eine prächtige Kletterrose bedeckte eine Hälfte des Schuppengiebels. Der Pfingstrosenbusch neben der Treppe verbreitete einen wunderbaren Duft.
Sie musste Thomas wirklich dafür danken, dass er diesen Ort für sie gefunden hatte.
Ingrid nahm ein paar vorsichtige Schlucke vom Tee und legte sich den Block auf den Schoß.
Wie baute man sich ein neues Leben auf? An welchem Ende fing man an? Zu wem hatten diese Jahre sie gemacht? Und wer wollte sie sein?
Vor dem Gerichtsurteil hatte sie genau wie die meisten anderen geglaubt, ein guter Mensch zu sein. Doch jetzt wusste sie, dass man erst dann, wenn man wirklich auf die Probe gestellt wurde, wirklich begriff, wie weit man seine Grenzen überschreiten konnte. In den Jahren hinter Gittern hatte sie auch erkennen müssen, dass sie imstande war, jemandem das Essen zu stehlen, weil ihr eigenes gestohlen worden war, und dass sie Leute, die sie schikanierten, an die Wand drücken konnte, bis sie vor Schmerz schrien und bettelten, losgelassen zu werden.
Sie schlug eine leere Seite auf und beschloss, die philosophischen Fragen bis auf weiteres beiseitezuschieben. Wie gewöhnlich, wenn sie sich verloren fühlte, musste sie etwas Praktisches tun. Eine Liste zu schreiben und dann eine Sache nach der anderen abzuhaken war besser für sie, als hier zu sitzen und zu grübeln.
Ingrid griff nach dem Stift.
Zuerst würde sie saubermachen: den Boden wischen und die Fenster putzen, abstauben und alle Teppiche ausklopfen. Auch wenn Gerts Frau den Boden gescheuert hatte, ehe sie kam, wollte sie es doch selbst noch einmal tun. Aller alter Staub musste weg.
»Grüne Seife« und »Glasreiniger«, landeten auf der Liste. Scheuerbürste und Lappen müssten eigentlich da sein.
Als nächsten Punkt schrieb sie: »Postfach«. Während der Zeit auf Hinseberg war sie bei Thomas gemeldet gewesen, und das wollte sie sicherheitshalber auch weiterhin bleiben. Doch von jetzt an würde er die Post anstatt ins Gefängnis nach Mora nachschicken. Hoffentlich würde Kjell ihren Bruder auch weiterhin in Frieden lassen.
Dann die Kleidung. Sie brauchte Shorts, ein paar Pullover und T-Shirts, vielleicht einen Badeanzug, ein Kleid, Sandalen. Eine Strickjacke.
Kleider und Postfach würde sie leicht organisieren können, aber sie musste auch einen Job finden, und der Gedanke machte sie nervös. Ihre Betreuerin war bereits in Kontakt mit der Arbeitsvermittlung gewesen, und hoffentlich würde sie etwas finden, aber jetzt war Wochenende, und heute konnte sie da nicht viel tun.
Ingrid goss den Rest des kalt gewordenen Tees ins Blumenbeet und ging rein, um den Geldbeutel zu holen.
In einem der Schuppen fand sie ein Damenfahrrad mit Korb. Sie radelte gemächlich los, der Kies knirschte unter den Reifen, und sie hatte den sanften Wind im Gesicht.
Nachdem sie an einer Tankstelle vorbeigefahren war, kam sie schließlich in ein kleines Ortszentrum. Eine Bushaltestelle mit einem Kiosk, ein paar Lebensmittelgeschäfte, Post und Bank, eine Bibliothek und eine Telefonzelle. In einer Metropole war sie nicht gerade gelandet.
Sie stellte das Fahrrad an der Bushaltestelle ab und drehte eine Runde durch die Geschäfte, um sich umzusehen.
Die kühle Luft im Lebensmittelgeschäft ließ sie schaudern. An diesem frühen Samstagmorgen waren fast keine anderen Kunden dort, nur ein älterer Mann mit einem Hackenporsche und ein paar kleine Mädchen, die vor dem Süßigkeitenregal hingen, und doch hatte sie das Gefühl, alle würden sie anstarren.
Sie glotzen mich an, weil sie mich nicht kennen, versuchte sie sich einzureden. In einem kleinen Ort wie diesem kennen sich alle. Ich bin Touristin, ich miete ein Haus, und das ist überhaupt nicht seltsam.
Die Kassiererin mit toupiertem Haar und baumelnden Plastikohrringen sah Ingrid neugierig an, als sie die Putzmittel auf dem Band aufreihte. Ingrid lächelte etwas steif zurück und musste sich zwingen, die Ware nicht in die Tüte zu schmeißen und zu fliehen, sondern in aller Ruhe einzupacken.
Als sie aus dem Laden kam, holte sie ein paarmal tief Luft und blieb vor der Anschlagtafel stehen. Das größte Plakat bewarb einen Auftritt der Schlagersängerin Carola Häggkvist im Folkets Park von Älvdalen, der am Abend zuvor stattgefunden hatte. Außerdem gab es diverse Ankündigungen von Freiluftgottesdiensten und Flohmärkten.
Doch ein Zettel zog Ingrids Blick auf sich, eine ausgeblichene Kopie in DIN A4 mit dem Text: »Hast du Mattias gesehen?« Das schwarz-weiße Bild war sehr unscharf, aber man konnte einen Jungen mit wuscheligem Haar und einem breiten Lächeln erkennen.
Ingrid trat einen Schritt näher, um den Text unter dem Bild lesen zu können.
»Mattias Holm ist am Samstag, dem 3. Juli, von zu Hause verschwunden. Wenn du Mattias gesehen oder Informationen hast, dann nimm bitte Kontakt zur Polizei oder zu seinen Eltern auf.«
»Das ist einfach zu traurig.«
Eine Frau mit Haarknoten war links von Ingrid aufgetaucht und nickte zu dem Bild hin, während sie eine Schachtel mit Reißzwecken aus der Tasche ihres Kleides holte. In der Hand hatte sie einen Zettel, den sie anpinnen wollte. Es fiel ihr schwer, die Reißzwecken zu platzieren, wieder und wieder hüpften sie weg, und eine nach der anderen fiel zu Boden.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte Ingrid.
Die Frau reichte ihr die Dose und antwortete etwas, was Ingrid überhaupt nicht verstehen konnte. Das klang wie eine andere Sprache.
»Entschuldigung?«
»Försteht se, wassich sak?«
»Äh, nein?«, erwiderte Ingrid und nahm die Reißzwecken entgegen.
»Das ist aber nett von Ihnen«, sagte die Frau jetzt mit einem Dialekt, den man verstehen konnte. »Ich sehe inzwischen einfach so vermaledeit schlecht.«
»Wenn Sie den Zettel festhalten, dann pinne ich ihn an«, erklärte Ingrid.
Die Frau presste den Zettel mit beiden Händen auf eine freie Fläche der Pinnwand, und Ingrid drückte eine Reißzwecke nach der anderen hinein.
»Hilfe gesucht«, las sie. »Wegen Krankheit brauchen wir Hilfe beim Ausführen unserer Donna. Grüße, Rut und Sixten.« Und dann Adresse und eine Telefonnummer ohne Vorwahl.
Bevor Ingrid die Schachtel zumachte, sammelte sie noch die Reißzwecken auf, die zu Boden gefallen waren.
»Sie sind nicht von hier?«, fragte die Frau, die offensichtlich Rut hieß.
»Nein. Das stimmt.«
»Sind Se von Stockom wech?«
»Entschuldigung?«, musste Ingrid erneut fragen.
»Stockholm«, wiederholte Rut. »Kommen Sie aus Stockholm?«
»Ja. Sie haben mich erwischt.«
Rut nickte.
»Was ist denn mit dem Jungen passiert?«, fragte Ingrid und zeigte auf den Zettel.
»Die Polizei glaubt, er ist ertrunken, aber die Leiche ham se nie gefunden. Manche meinen, er ist gekidnappt oder ermordet worden.«
Rut schob die Schachtel mit den Reißzwecken wieder in die Tasche ihres Kleides.
»Seine Mama macht jeden Tag lange Spaziergänge und sucht nach ihm«, fuhr sie fort. »Jedes Mal, wenn man sie trifft, ist sie noch dünner und dünner geworden. Es ist herzzerreißend, das mitanzusehen.«
Ingrid stellte ihre Tasche in den Fahrradkorb.
»Als Eltern gibt man nie auf«, sagte Rut. »So ist es einfach. Solange es die kleinste Hoffnung gibt, klammert man sich dran fest.«
»Das ist wahr«, sagte Ingrid.
Rut dankte für die Hilfe und verschwand im Laden.
Ehe Ingrid aufs Fahrrad stieg, sah sie noch einmal zu dem Jungen hin. Wohin war er wohl verschwunden?
Mattias kroch so tief in die Hecke, wie er nur konnte, und zog sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf. In dem Grün hatte sich eine kleine Grotte gebildet – perfekt, um sich darin zu verstecken. Er setzte sich auf den Boden und bog ein paar Äste zur Seite, damit er einen guten Überblick über das Haus hatte. Die Fenster zur Rückseite sahen finster aus, aber der nigelnagelneue Opel Rekord stand draußen, der Alte war also sicherlich zu Hause.
»Kaj hier, over«, klang es aus dem Walkie-Talkie in Mattias’ Hand.
»Vollen Überblick über die Rückseite, over«, flüsterte Mattias.
»Siehst du was, over?«
»Alles ruhig, over.«
Beim Anblick der leeren Fenster musste Mattias daran denken, wie er versucht hatte, dem Alten eine Weihnachtszeitung zu verkaufen. Er war reingebeten worden und musste sich an den Küchentisch setzen, während der Alte den Katalog durchblätterte. Drinnen hatte es komisch gerochen, fast wie im Schwimmbad, beißend und sauber. Als der Alte ein Glas Erdbeersaft mit Bodensatz vor ihn hingestellt hatte, trank Mattias es aus, obwohl er es eigentlich gar nicht wollte.
Während er eine Ewigkeit den Katalog durchblätterte, hatte Mattias allmählich dringend aufs Klo gemusst. Als der Alte endlich fertig war, schob er die Zeitung einfach über den Tisch und sagte, er hätte nichts gefunden, was ihn ansprechen würde.
Seitdem hatte Mattias nie wieder bei ihm geklingelt und auch nicht versucht, ihm ein Maiblümchen gegen eine Spende für die Schule zu verkaufen oder einen Osterbrief abzugeben.
»Bewegung im Küchenfenster, over«, klang es aus dem Walkie-Talkie.
Als der Alte sich ein neues Auto gekauft hatte, meinte sein Papa, es sei doch unglaublich, was manche Leute sich leisten könnten.
»Vielleicht hat er auf der Rennbahn gewonnen«, hatte seine Mutter gesagt, aber da hatte der Vater nur geschnaubt.
Doch Mattias und Kaj hatten eins und eins zusammengezählt und waren ganz sicher, dass es der Alte gewesen sein musste, der das Abendmahlsilber und die kostbaren Kerzenständer aus der Kirche von Våmhus geklaut hatte. Seit sie in der Woche zuvor Bilder von den Sachen in der Zeitung gesehen hatten – unter anderem eine schöne silberne Dose mit einem Schaf drauf und die Brautkrone, die Mama von der Kirche hatte ausleihen dürfen und im Haar gehabt hatte, als sie und Papa geheiratet hatten – wollten sie unbedingt den Dieb finden. Und jetzt wussten sie, wer es war.
Das ganze Wochenende über hatten sie das Haus des Alten unter Beobachtung gehabt und alles Verdächtige notiert. Wonach sie genau suchen, wussten Sie nicht so recht, aber sie waren sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er sich auf die eine oder andere Weise verraten würde. Erst war ihr Ziel gewesen, das Diebesgut zu finden und es zur Polizei zurückzubringen. Doch dann hatte Kaj, ziemlich schlau, wie Mattias fand, darauf hingewiesen, dass der Alte sicherlich alles verkauft hatte, um Geld für sein Auto zu haben. Also hatten sie den Plan etwas verändern müssen und sich darauf konzentriert, stattdessen Beweise zu sammeln.
Sie hatten eine Tatortuntersuchung durchgeführt. Mattias konnte mehrere deutliche Schuhabdrücke vor der hinteren Kirchentür fotografieren, und jetzt mussten sie nur noch Spuren von dem Alten finden, um sie damit zu vergleichen.
Langsam tat Mattias vom Sitzen der Hintern weh, ein paar harte Wurzeln bohrten sich in seine Pobacken.
Auf der Rückseite des Hauses gab es eine Veranda mit umlaufendem Holzgeländer. Einen Tisch oder schöne Möbel, auf denen man sitzen könnte, hatte der Alte nicht, sondern nur einen einsamen Sprossenstuhl direkt an der Wand. An der kurzen Seite des Grundstücks gab es eine kleine Tür, die zum Abstellraum unter der Veranda führte.
Lange betrachtete Mattias die Tür, die mit einem Haken verschlossen war. Wenn der Alte die Silberdinger noch hatte, waren sie dort versteckt, da war Mattias ganz sicher.
Irgendetwas musste jedenfalls passieren, ehe er vor Langeweile starb.
»Mattias an Kaj, over«, flüsterte er.
»Hier Kaj, over.«
»Ich gedenke den Abstellraum unter der Veranda zu untersuchen«, sagte er. »Stell dich so hin, dass du was siehst und mich warnen kannst, over.«
»Verstanden, over.«
Das Walkie-Talkie schwieg eine Weile. Von seinem Versteck aus sah Mattias, wie Kaj entlang der Hecke auf der anderen Seite des Grundstücks angekrochen kam. Im Schutz zwischen ein paar Beerensträuchern hielt er inne.
»Bereit, over«, sagte Kaj.
Vorsichtig erhob sich Mattias, bewegte ein wenig den einen Fuß, der fast eingeschlafen war, und begann, sich aus der Hecke zu schieben.
»Zähl bis drei, wenn die Luft rein ist, over«, flüsterte Mattias und machte sich bereit, über den Rasen zu rennen.
Die Beine fühlten sich wie Gelee an, und das Herz pochte laut in der Brust.
»Eins … zwei … drei«, klang es aus dem Walkie-Talkie.
Er rannte so schnell er konnte Richtung Veranda, die Kamera schlug ihm auf den Bauch. Schnell klappte er den Haken hoch und stürzte sich in die Dunkelheit. Da wurde ihm klar, dass er eine Taschenlampe hätte mitnehmen sollen. Richtige Spione hatten immer Taschenlampen dabei. Die Holzgitterwände ließen zum Glück etwas Licht herein und warfen kleine Rhomben über den Lehmboden.
Entlang einer Wand lagen ein paar Rechen unterschiedlicher Modelle, daneben stand eine Schubkarre. Mattias stieg über einen Liegestuhl mit Stoffbezug, so einen von der Sorte, die unmöglich aufzuklappen waren. Bei dem Gedanken an den Alten in Badehose musste er so furchtbar lachen, dass er über einen rostigen Rasenmäher stolperte und einfach auf den Boden knallte.
»Was ist passiert, over«, rief Kaj in den Apparat.
»Ich bin hingefallen«, flüsterte Mattias und wischte Erdkrümel von der Kamera.
Wenn bloß nicht irgendein Schmutz ins Objektiv gekommen war. Nein, es schien nochmal gut gegangen zu sein.
»Mayday! Mayday!«
Kajs aufgeregte Stimme brummte in Mattias’ Hand.
Im selben Moment ging die Verandatür leise quietschend auf. Über Mattias’ Kopf rumste es, als der Alte rauskam. Die Schritte bewegten sich langsam vor und zurück, als würde er auf der Veranda herumgehen und in verschiedene Richtungen spähen.
Mattias verkroch sich hinter der Schubkarre und hielt die Luft an.
Jetzt quietschte die Tür zur Abstellkammer. Mattias kniff die Augen so fest zu, wie er nur konnte, und presste die Stirn aufs Knie.
Gleich findet er mich. Gleich.
Aber stattdessen quietschte es wieder, die Tür wurde mit einem Rums zugeschlagen und der Haken vorgelegt. Er war eingeschlossen.
Plötzlich hörte er eine bekannte Stimme.
»Mattias!«, brüllte sein Vater. »Essen ist feeeertig!«
Er musste die Fahrräder gesehen haben, die sie ein paar hundert Meter entfernt bei der Anschlagtafel abgestellt hatten, und wusste somit, dass sie irgendwo in der Nähe waren.
»Mattias!« Jetzt rief er lauter und wütender.
Mattias sah auf die Uhr. Oje Er hätte schon vor zwanzig Minuten zu Hause sein sollen. Jetzt musste er sich beeilen.
Er begann auf dem Fußboden herumzukriechen, um etwas zu finden, womit er den Haken von innen hochschieben könnte. Versuchte es mit einem trockenen Ästchen, das aber abbrach, das nächste war zu weich und bog sich, doch schließlich fand er einen passenden kleinen Ast, den er so zurechtbrechen konnte, dass eine kleine Gabel entstand. Diesmal müsste es gehen.
Atemlos schob er das Ästchen durch den Spalt der Tür und begann zu fischen. Endlich glitt der Haken ab.
Mattias hielt die Tür fest, damit sie nicht aufging, ehe er bereit war.
Wenn er doch nur Kaj anrufen könnte, um zu hören, ob die Luft rein war, doch das wäre zu laut. Er musste es ganz einfach wagen.
Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt und steckte den Kopf heraus. Niemand zu sehen. Wie im Zeitraffer trat er durch die Öffnung, schloss die Tür und legte den Haken vor. An die Hauswand gepresst schlich er dann um die Ecke, den Blick nach oben zu den Fenstern über ihm gerichtet. Als er zu dem Zimmer kam, von dem sie annahmen, dass es das Schlafzimmer des Alten war, blieb er stehen und sammelte sich. Dann rannte er so schnell er konnte quer über den Rasen, durch die Hecke des Nachbarn und dann weiter ins Wäldchen, das da anfing, wo ihr eigenes Grundstück endete.
Weit hinter sich hörte er den Alten aus dem offenen Küchenfenster rufen:
»Wartet nur, bis ich euch kriege, ihr verdammten Lausebengel!«
Mattias rannte weiter. Kaj war ihm keuchend auf den Fersen. Erst als sie bei der Waldhütte waren, blieben sie stehen. Mattias sank ins Blaubeerreisig und fing an zu lachen. Er lachte, bis die Tränen nur so liefen. Es war völlig unmöglich aufzuhören. Auch Kaj lachte, er lag am Boden und wand sich wie in Krämpfen.
»Das war echt knapp.«
»Guck mal, wie ich zittere«, sagte Mattias und hielt seine Hand hoch.
Kaj antwortete mit einer weiteren hysterischen Lachsalve.
»Ich muss nach Hause zum Essen«, sagte Mattias und stand auf.
Die Beine zitterten immer noch.
Lachend gingen sie durch den Wald zurück nach Hause. So sollte es immer sein. Mattias und Kaj, beste Freunde auf ewig.
Ingrid füllte warmes Wasser in einen Eimer und gab einen ordentlichen Spritzer Seife dazu. In einem Putzschrank hatte sie Lappen und einen Fensterabzieher gefunden.
Sie machte die Tür auf, und der Durchzug trocknete alles schön.
Bevor sie mit dem Küchenfenster loslegte, suchte sie sich eine Schallplatte aus – diesmal Evert Taube – und drehte die Lautstärke auf.
Sie hatte schon immer gern geputzt und Ordnung um sich herum geschaffen. Die Zelle auf Hinseberg hatte sie versucht so gemütlich wie möglich einzurichten, mit Zimmerpflanzen und Naturbildern, die sie aus alten Zeitschriften ausgeschnitten hatte.
Mit Abzieher und Lappen kam sie schnell in einen Rhythmus, und ein Fenster nach dem anderen wurde abgearbeitet, bis alle Scheiben im Erdgeschoss strahlend sauber waren.
Hier gab es keine Gitter vor den Fenstern.
Sie drehte die Schallplatte herum und wechselte das Wasser im Eimer, ehe sie ihn die Treppe in den oberen Stock hinauftrug, um ihre Arbeit dort fortzusetzen.
In der Diele thronte der Hockey-Koffer wie ein riesiger Koloss und nahm fast allen Raum ein. Was hatte sie an dem Tag alles eingepackt? Sie erinnerte sich deutlich, dass sie die Tasche an einem kalten Samstagvormittag, als Kjell arbeitete, in einem Sportgeschäft auf der Götgatan gekauft und auf dem Dachboden versteckt hatte, bis es so weit war. Aber was sie am Ende reingepackt hatte, daran konnte sie sich kaum erinnern.
Ingrid umrundete die Tasche mit dem Eimer in der einen Hand und dem Fensterabzieher in der anderen. Irgendwann würde sie reinschauen. Vielleicht morgen.
Vom oberen Stockwerk hatte sie eine gute Aussicht über die kleine Dorfstraße. Besonders gefiel ihr das mit Gras bewachsene Dach des Nachbarhauses. Dass es so was wirklich gab. Und die hohen Schornsteine, in denen die Ziegel Kreuze und andere kunstvolle Muster bildeten. Einige erinnerten fast an kleine Kirchtürme.
Würde sie auch nach dem Sommer noch hierbleiben?
Der kleine Raum neben ihrem Schlafzimmer war mit einem weiß gestrichenen Bett und einem kleinen Schreibtisch mit Messingbeschlägen möbliert. Im Fenster, von dem aus man über eine Schafweide überblickte, hingen dünne Spitzengardinen.
Das sollte Annas Zimmer werden, entschied Ingrid.
Sie wischte das Fensterbrett besonders gründlich und staubte vorsichtig ein kleines Porzellanpferd ab, das hinter der Gardine versteckt stand.
Dann rollte sie alle Teppiche zusammen und trug sie hinaus auf die Veranda.
Nachdem sie in der Diele ein weiteres Mal über die Hockeytasche gestolpert war, hockte sie sich doch hin und zog langsam den Reißverschluss auf.