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In der drittgrößten Stadt Österreichs gibt es nur einen Kommissar, auf den Verlass ist: Kommissar Kurt Denk. Mit seinem ausgeprägten Gespür für jede Art von Verbrechen löst er 30 Fälle in diesem Buch. Welcher Kommissar kann das schon von sich behaupten? Seine Ermittlungen führen ihn quer durch Linz. Und nach der Lektüre - seien Sie sich dessen versichert, lieber Leser - werden Sie die Stadt mit anderen Augen sehen. Denn das Verbrechen lauert an jeder Ecke.
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Seitenzahl: 174
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Ernst Schmid
Denk ermittelt in Linz
30 Rätsel-Krimis
Die Texte sind erstmals in veränderter Form in der ›Presse am Sonntag‹ erschienen.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Sven Lang
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © robtek - Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-4312-1
Kurt Denk, Gruppeninspektor der Abteilung für Gewaltkriminalität der Bundespolizeidirektion Linz, liebte den Jahresbeginn. Der interfamiliäre Mord- und Totschlag der Weihnachtsfeiertage war überstanden und die Verbrecher schienen um diese Zeit ihren Winterschlaf abzuhalten. Kein Wunder bei der eisigen Kälte, die draußen herrschte! Er streckte sich einmal herzhaft und holte das Stück Linzer Torte aus seiner Tasche, das er sich am Morgen beim besten Konditor der Stadt gekauft hatte. Sofort erfüllte ein betörender Duft von Zimt und Nelken sein Büro. Er schob sich ein Stück in den Mund und schloss die Augen, um sich diese Köstlichkeit auf der Zunge zergehen zu lassen. In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen. Eine schrille Frauenstimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Elsa Treu mein Name. Sie müssen mir unbedingt helfen. Ich bin bestohlen worden.«
Denk riss die Augen auf. Vor ihm stand eine elegant gekleidete Dame und schaute ihn hochnäsig an. »Hier ist die Abteilung für Gewaltverbrechen«, erwiderte er mit vollem Mund. »Wenn Sie einen Diebstahl zur Anzeige bringen wollen, müssen Sie das einen Stock tiefer …«
»Walter hat mich an Sie verwiesen«, fiel sie ihm ins Wort.
»Walter?« Er warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Ihr Präsident! Er ist ein alter Freund der Familie und hat mit versprochen, dass sich sein bester Mann mit dieser leidigen Angelegenheit befassen wird.«
Vor Schreck verschluckte sich Denk, was einen Hustenanfall hervorrief. Tränen stiegen ihm in die Augen.
»Selbstverständlich stehe ich Ihnen zu Diensten«, presste er keuchend hervor und bat sie, Platz zu nehmen. Zwar war ihm die herablassende Art, mit der ihn die Frau behandelte, zutiefst zuwider, aber mit seinem obersten Vorgesetzten wollte er es sich nicht verscherzen.
»Dann erzählen Sie einmal, was Ihnen gestohlen worden ist«, forderte er sie auf, nachdem er wieder zu Atem gekommen war.
»20.000 Euro!«
Als sie die Summe nannte, verschluckte sich Denk ein weiteres Mal.
»20.000 Euro«, wiederholte er ehrfurchtsvoll. »Wo ist Ihnen das Geld entwendet worden?«
»Bei mir zu Hause«, gab sie lapidar zur Antwort, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, so viel Geld bei sich aufzubewahren.
»Natürlich habe ich nicht immer so viel bei mir zu Hause herumliegen«, beeilte sie sich zu sagen, als sie seinen erstaunten Blick bemerkte. »Ich war am sechsten Jänner auf der Bank und habe das Geld von meinem Konto abgehoben, weil für den nächsten Tag die neue Schmuckkollektion bei Sturm angekündigt war und ich mir ein paar Kleinodien für die Ballsaison kaufen wollte.«
Sturm war der Nobeljuwelier unter den Linzer Schmuckhändlern. Wenn Denk mit Eva einen Spaziergang in der Innenstadt unternahm, machte er immer einen großen Bogen um den Laden, damit seine Frau nicht auf dumme Gedanken kam.
»Allerdings habe ich mich vorgestern und gestern etwas indisponiert gefühlt und den Einkauf auf heute verschoben. Und was soll ich sagen? Als ich am Morgen das Geld aus der Kommode im Wohnzimmer holen wollte, war es weg. Einfach spurlos verschwunden.«
Denk ersparte sich einen Kommentar über die Fahrlässigkeit, mit der sie diese hohe Summe aufbewahrt hatte, und konzentrierte sich auf das Wesentliche. »Haben Sie einen Verdacht, wer das Geld an sich genommen haben könnte?«
Sie nickte heftig. »Und ob ich den habe! Da kommen mehrere Personen in Betracht. Insbesondere mein missratener Stiefsohn und das Flittchen, das mir mein eigener Sohn ins Haus gebracht hat.«
Die Abscheu, mit der sie die beiden Personen erwähnte, jagte Denk einen kalten Schauder über den Rücken. Wer diese Frau zum Feind hatte, war wahrlich nicht zu beneiden.
»Sie können mir sicher sagen, wo ich die beiden finde.«
»In meiner Villa. Leider. Wenn Sie sich beeilen, treffen wir sie gerade beim Frühstück an.«
Denk versprach ihr, sich sofort auf den Weg zu machen. Aber sie bestand darauf, dass er mit ihr fuhr, was er, nachdem sie noch einmal auf die langjährige Freundschaft mit dem Polizeipräsidenten hingewiesen hatte, zähneknirschend akzeptierte.
Er folgte ihr nach unten und zwängte sich auf den viel zu engen Beifahrersitz ihres Sportwagens, den sie in der Halteverbotszone vor dem Polizeipräsidium abgestellt hatte. Schon nach wenigen Sekunden Fahrt war er schweißgebadet. Frau Treu war offensichtlich der Meinung, dass ihr die Straße allein gehörte. Ohne auf den Vorrang zu achten, bog sie erst in die Kaplanhof- und dann in die Gruberstraße ein und raste mit weit überhöhter Geschwindigkeit Richtung Donaulände. Als sie im Römerbergtunnel zum Überholen ansetzte, schloss er die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Hinter der Martinskirche brachte sie den Wagen schließlich vor einer herrschaftlichen Villa mit einer Vollbremsung zum Stehen.
In seiner Jugend waren die kleinen Häuser auf dem Römerberg dem Verfall preisgegeben gewesen und hatten zur schlechtesten Wohngegend in ganz Linz gezählt. Bis die Schickeria den Reiz dieses Viertels für sich entdeckt hatte. Mittlerweile waren die Immobilien für Normalverdiener unerschwinglich.
Ohne ein Wort zu sagen, sprang Frau Treu aus dem Wagen und stürmte in das Gebäude. Denk hetzte ihr hinterher. Im Salon saßen zwei Männer und eine junge Frau vor einem reich gedeckten Frühstückstisch. Sie starrten die Eintretenden erstaunt an.
»Da haben wir ja die Schmarotzer«, höhnte sie. »Lassen es sich wieder einmal auf meine Kosten gut gehen.« Dann wandte sie sich an Denk. »Machen Sie sich an die Arbeit! In einer Stunde habe ich einen Exklusivtermin bei Sturm. Bis dahin möchte ich Ergebnisse sehen.«
Nachdem sie den Salon verlassen hatte, stellte sich Denk vor und teilte den Anwesenden mit, warum er hier war.
»20.000 Euro!«, wiederholte Frau Treus Stiefsohn verblüfft und stieß einen Pfiff aus. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir die Kohle sofort unter den Nagel gerissen.«
Denk bedachte ihn mit einem befremdeten Blick, worauf der junge Mann entschuldigend mit den Schultern zuckte.
»Es ist nicht so, wie Sie glauben. Mein Vater ist im Oktober verstorben. Eigentlich stünde mir die Hälfte der Erbschaft zu. Aber meine Stiefmutter ist beim Notar mit einem äußerst fragwürdigen Testament aufgetaucht, welches Sie als Alleinerbin ausweist. Bis diese Angelegenheit vor Gericht geklärt ist, bin ich vollkommen mittellos und auf ihre Almosen angewiesen.« Plötzlich huschte ein Grinsen über sein Gesicht.
»Und was gibt es da zu lachen?«, wollte Denk wissen.
»Jetzt ärgert sie sich grün und blau, weil ich hier wohne, und sie bis zum Abschluss der Untersuchungen keine Handhabe hat, mich aus der Villa zu werfen.«
»Und das Geld …?«
»Habe ich leider nicht entdeckt, sonst hätte ich es auf der Stelle verschwinden lassen.«
Denk konnte nicht verhehlen, dass ihm die Offenheit des jungen Mannes imponierte, allerdings hieß das nicht, dass er nichts mit dem Verschwinden des Geldes zu tun hatte. Er wandte sich den beiden anderen Personen zu.
»Wissen Sie etwas über den Verbleib des Geldes?«
Treus Sohn schüttelte den Kopf. »Leider nein! Und ich gestehe gleich, dass ich ähnlich wie Martin gehandelt und die 20.000 Euro sofort an mich genommen hätte, wäre mir bekannt gewesen, dass sich so viel Geld im Haus befindet.«
»Und warum hätten Sie das gemacht?«
»Weil mir meine Mutter keinen müden Cent mehr zukommen lässt, seit ich Silke kennengelernt habe. Erst wenn sie verschwindet, hat sie mir angedroht, wird sie mir mein Studium weiterfinanzieren.«
»Ich würde jedenfalls alles tun, um dieser Person zu schaden«, mischte sich die junge Frau ein. »Nur weil ich aus einfacheren Verhältnissen stamme, gibt ihr das nicht das Recht, mich wie eine Aussätzige zu behandeln.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo das Geld hingekommen ist?«
»Habe ich nicht! Und wüsste ich es, würde ich es Ihnen nicht sagen. Außerdem habe ich Besseres zu tun, als mich um die Angelegenheiten dieser Person zu kümmern.« Sie erhob sich und machte Anstalten zu gehen, aber Denk bedeutete ihr, sich wieder niederzusetzen. »Bis die Untersuchungen abgeschlossen sind, ersuche ich Sie, den Raum nicht zu verlassen.«
Denk hatte durchaus Verständnis für die Situation der jungen Leute. Aber Diebstahl blieb nun einmal Diebstahl, auch wenn es eine Person traf, die es verdient hatte. Da alle drei ein Motiv für die Tat hatten, waren sie gleichermaßen verdächtig. Ihm würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Zimmer der jungen Leute zu durchsuchen. Und was sollte er tun, wenn er dort nichts fand?
Aber eigentlich, fiel ihm ein, war das gar nicht mehr nötig. Er wusste plötzlich auch so, wo das Geld war.
Wer hat das Geld an sich genommen?
Frau Treu hat den Diebstahl nur vorgetäuscht. Sie behauptet, am 6. Jänner auf der Bank gewesen zu sein und das Geld von ihrem Konto abgehoben zu haben. An diesem Tag haben die Banken jedoch geschlossen, weil Heilige Drei Könige ist.
Es hatte bis in die frühen Morgenstunden geschneit. Alles lag unter einer weißen Schneedecke begraben. Entnervt brachte Inspektor Denk den Wagen vor dem schmucken Einfamilienhaus zum Stehen. Die Fahrt nach Hellmonsödt hatte ihm alles abverlangt. Der Ort lag auf einer Seehöhe von 825 Metern. Die Straße, die sich durch den Haselgraben in engen Kehren auf das ›Dach von Linz‹ wand, war nur unzulänglich geräumt worden. Mehr als einmal hatte er auf der glatten Fahrbahn die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und sich in die Tiefe stürzen gesehen. Dafür entschädigte der Ausblick, den man von hier aus hatte, für vieles. Die Luft war so klar, dass man sogar die Berge im fernen Salzkammergut erkennen konnte. Er stieg aus und sog gierig die frische Luft ein. In diesem Moment tauchte die Sonne hinter den Gipfeln auf und überflutete die Winterlandschaft mit ihrem gleißenden Licht. Geblendet schloss er die Augen. Was für ein prächtiger Morgen, schoss es ihm durch den Kopf. Wäre nur nicht der Tote auf der Terrasse hinter dem Haus gewesen!
Der Gerichtsmediziner war bereits vor Ort. Er kniete auf dem Boden und befreite den Körper des Mannes mit einem kleinen Besen vom Schnee. Denk trat neben ihn.
»Und?«
»Erschlagen. Meiner ersten Einschätzung zufolge mit einem stumpfen Gegenstand.«
»Wann?«
»Irgendwann gestern Abend. Eine genauere Angabe ist bei diesen Witterungsverhältnissen nicht möglich.«
Der Inspektor wandte sich um und ließ seinen Blick über den Tatort schweifen. Am Rand der Terrasse entdeckte er Fußspuren. Offensichtlich hatte der Täter über die verschneite Wiese hinter dem Haus das Weite gesucht. Denk beugte sich über einen der Abdrücke und begutachtete ihn. Das Profil der Sohle war deutlich zu erkennen. Als er einen Schritt nach vorn machte, versank er bis zum Knöchel im Schnee.
Trotzdem folgte er den Spuren. Nach einer Viertelstunde legte er eine Pause ein, um ein wenig zu verschnaufen. Er hatte nicht bedacht, wie anstrengend ein Marsch über das freie Gelände bei diesen Verhältnissen war. Das Haus war längst aus seinem Blickfeld verschwunden. Irgendwo dort hinten musste sich die Straße befinden. Die Spuren führten genau darauf zu. Er wollte schon umkehren, da nahm er in einiger Entfernung ein Glitzern im Schnee wahr. Neugierig kämpfte er sich weiter. Als er sah, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, stieß er einen leisen Pfiff aus. Vor ihm lag die Nachbildung eines Eiffelturms. Am Sockel war deutlich eingetrocknetes Blut zu erkennen. Die Mordwaffe!
Inzwischen war die Sonne hinter dichten Wolken verschwunden. Erneut setzte Schneefall ein. Denk blickte in den Himmel. Wenn die Kriminaltechniker nicht bald auftauchten, waren alle Spuren beim Teufel. Plötzlich erschien die Silhouette eines Autos am Horizont. Das mussten die Männer von der Spurensicherung sein. Obwohl er wie ein Verrückter mit den Armen fuchtelte, hielt das Fahrzeug erst an, als er laut schreiend darauf zurannte.
Schweißgebadet lehnte er sich an den Wagen.
»Wo bleibt ihr denn?«, presste er keuchend hervor. »An die Arbeit! Aber schnell!«
Nachdem die Männer ihre Utensilien ausgeladen hatten, ließ er sich vom Fahrer zum Haus zurückbringen. Dort wartete die Frau des Toten auf ihre Befragung.
»Wann haben Sie die Leiche entdeckt?«, wollte Denk wissen.
»Heute Morgen nach dem Aufstehen«, gab Frau Lang zur Antwort. »Ich bin ins Wohnzimmer und wollte einen Blick nach draußen werfen, um die Winterlandschaft zu bewundern. Da ist mir dieser eigenartige Schneehaufen aufgefallen. Beim genaueren Hinsehen habe ich bemerkt, dass es sich um einen Körper handelt.«
»Was haben Sie nach dieser Entdeckung gemacht?«
»Ich bin nach oben gelaufen, um meinen Mann zu wecken. Aber sein Schlafzimmer war leer. In diesem Moment ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen …«
Sie presste die Hand vor den Mund und unterdrückte ein Schluchzen. Denk wartete, bis sie sich beruhigt hatte.
»Und dann?«
»Dann habe ich die Polizei informiert. Aber ich habe die Ungewissheit nicht ertragen können und bin auf die Terrasse zurück, um nachzusehen, ob der Tote Georg ist. Da der Körper mit einer dicken Schneeschicht bedeckt war, musste ich den Kopf freilegen. Da habe ich … Die Augen waren weit offen … Es war so furchtbar.« Wieder schluchzte sie auf. Denk ließ ihr neuerlich Zeit, sich zu fassen.
»Entschuldigen Sie die nächste Frage! Aber da gibt es etwas, das ich nicht verstehe.
Sie haben ausgesagt, dass Sie gestern gegen 23 Uhr nach Hause gekommen sind. Haben Sie da nicht bemerkt, dass sich Ihr Mann nicht im Haus befunden hat?«
Frau Lang zuckte mit den Schultern.
»Wissen Sie, wir haben uns in der letzten Zeit etwas auseinandergelebt und in getrennten Räumen geschlafen. Als ich gestern heimgekommen bin, habe ich gedacht, dass mein Mann bereits zu Bett gegangen ist, weil in seinem Zimmer kein Licht mehr brannte. Ich habe noch ein Bad genommen und mich dann selbst schlafen gelegt.«
»Ist Ihnen bei Ihrer Heimkehr etwas Verdächtiges aufgefallen?«
»Warum fragen Sie?«, wollte Frau Lang wissen.
»Weil wir derzeit davon ausgehen, dass Ihr Mann einen Einbrecher überrascht hat.«
»Sie meinen, dass jemand Fremder im Haus war und ich das nicht bemerkt habe?«
Denk zuckte mit den Achseln. »Kann auch sein, dass der Täter bereits über alle Berge war. Haben Sie schon kontrolliert, ob etwas fehlt?«
»Habe ich, aber es scheint, alles da zu sein.«
»Befindet sich eigentlich ein Eiffelturm aus Bronze in Ihrem Besitz?«
Frau Lang blickte ihn überrascht an. »Ja. Das ist ein Erinnerungsstück an unsere Hochzeitsreise. Er steht dort drüben auf der Kommode.« Sie wandte sich um und wies mit der Hand nach hinten. »Er ist weg!«, rief sie überrascht aus. »Warum …? Ist Georg etwa damit …?« Sie beendete den Satz nicht, sondern begann, am ganzen Leib zu zittern, und brach in Tränen aus. An eine Fortsetzung der Befragung war im Augenblick nicht zu denken.
Denk erhob sich und trat auf die Terrasse. Der Schneefall war dichter geworden. In der Ferne konnte er schemenhaft die Kollegen von der Kriminaltechnik ausmachen, die sich abmühten, die letzten Spuren zu sichern, ehe sie vom Schnee verschluckt wurden. Der Leichnam war längst abtransportiert worden. Nichts wies mehr darauf hin, dass hier vor Kurzem ein Verbrechen passiert war. Er warf einen Blick auf die Abdrücke, die seine Füße im Schnee hinterlassen hatten, und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Packen Sie das Nötigste ein!«, forderte er Frau Lang auf. »Ich nehme Sie fest.«
Was veranlasst Inspektor Denk zu der Vermutung, dass Frau Lang ihren Mann getötet hat?
Da es bis in die frühen Morgenstunden geschneit hat, müssten auch die Fußabdrücke und der Eiffelturm – wie der Körper des Toten – mit einer dicken Schneeschicht bedeckt sein. Offensichtlich hat Frau Lang erst bei Tageslicht diese Spuren gelegt, um die Polizei in die Irre zu leiten. Außerdem konnte sie nicht ahnen, dass es sich bei dem Eiffelturm um die Mordwaffe handelt. Denk hat nichts erwähnt, was diese Vermutung zulassen würde.
»Kurt, du musst sofort kommen! Ich bin bestohlen worden. Die Perlenkette deiner Großmutter ist weg. Du weißt schon, das alte Erbstück, das ich einmal an dich weitergeben möchte.«
Inspektor Denk schnaufte vernehmlich in den Hörer. Seine Tante war seit geraumer Zeit etwas verwirrt. Erst vor wenigen Wochen hatte sie den Fernsehtechniker, der den Satellitenreceiver neu eingerichtet hatte, beschuldigt, ihre Geldbörse entwendet zu haben. Das gute Stück war dann am nächsten Tag im Kühlschrank hinter der Butterdose zum Vorschein gekommen.
»Bist du dir sicher, dass du sie nicht wieder verlegt hast?«
»Absolut sicher! Seit Jahr und Tag bewahre ich die Kette in der alten Keksdose in meiner Schlafzimmerkommode auf. Hinter den Unterhosen. Dort sucht garantiert niemand nach Wertgegenständen. Du musst kommen, sonst gehe ich zur Polizei und erstatte Anzeige.«
Die Drohung wirkte. Er wollte sich nicht ein weiteres Mal vor seinen Kollegen blamieren.
»Beruhige dich, Tante! In einer halben Stunde bin ich bei dir.«
Nachdem er die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hatte, musste er zugeben, dass die Kette tatsächlich verschwunden war.
»Dann erzähl noch einmal der Reihe nach, wer deiner Meinung nach für den Diebstahl infrage kommt!«
»Also«, begann seine Tante auszuholen, »ich habe mich gestern Nachmittag mit meinen Freundinnen wie jeden Mittwoch im Kaffeehaus getroffen. Wir haben zuerst eine Tasse Tee getrunken, dann ein Glas Wein und beim Tratschen ganz die Zeit übersehen. Deshalb bin ich auch erst wieder gegen halb sechs daheim gewesen.«
»Könntest du bitte endlich zur Sache kommen!«, forderte Denk seine Tante auf. Sie warf ihm einen gekränkten Blick zu.
»Ich hätte mir denken können, dass dich nicht interessiert, was deine alte Tante den lieben langen Tag so treibt. Kümmerst dich ja auch kaum mehr um mich! Damit du einmal bei mir vorbeischaust, muss schon ein Verbrechen passieren. Das ist eigentlich sehr traurig.«
»Tut mir leid«, sagte Denk. »War nicht so gemeint. Ich verspreche Besserung, aber könntest du jetzt trotzdem fortfahren.«
»Also, dass die Kette weg ist, habe ich erst am Abend bemerkt, als ich mich zu Bett begeben und gewohnheitsmäßig überprüft habe, ob alles in Ordnung ist.«
»Hast du einen Verdacht, wer sie gestohlen haben könnte?«
Seine Tante zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht! Ich weiß nur, wer gestern während meiner Abwesenheit in der Wohnung war.«
»Und das wäre?«
»Die Putzfrau. Sie kommt immer mittwochs. Herr Gabriel …«
»Wer bitte ist Herr Gabriel?«, wollte Denk wissen.
»Mein Nachbar, ein herzensguter Mensch. Er hat den tropfenden Wasserhahn im Bad ausgewechselt. Und Julian.«
»Julian?«, fragte er überrascht nach. Julian war der Sohn seiner Schwester. »Seit wann schaut er freiwillig bei dir vorbei?«
»Immer, wenn er in Geldnöten ist. Und glaub mir, das kommt gar nicht so selten vor!«
»Dann hätte er ja sogar ein Motiv. Was kannst du mir über die anderen Personen sagen?«
»Herr Gabriel erledigt immer wieder kleine Arbeiten für mich. Er ist handwerklich sehr geschickt, jedenfalls geschickter als in Geldangelegenheiten. Es wird gemunkelt, dass er sein ganzes Vermögen verspekuliert hat. Nun, und Ilona putzt seit über drei Jahren für mich. Sie ist ordentlich und gewissenhaft. Etwas Nachteiliges wüsste ich über sie nicht zu berichten.«
»Dann bitte alle drei heute Nachmittag zu dir, damit ich mich mit ihnen unterhalten kann! Und kein Sterbenswörtchen zu irgendjemandem, was passiert ist!«
Als Inspektor Denk kurz vor vier in die Wohnung seiner Tante zurückkehrte, waren die drei Verdächtigen bereits im Wohnzimmer versammelt.
»Du, Onkel Kurt!«, rief Julian Bauer überrascht aus, als Denk eintrat. »Was soll das bedeuten?«
»Das wirst du gleich erfahren. Meiner Tante wurde gestern etwas entwendet«, informierte der Inspektor die Anwesenden. »Eigentlich kommt nur jemand von Ihnen für den Diebstahl infrage.«
»Was?«, empörte sich sein Neffe. »Du verdächtigst auch mich? Da komme ich einmal vorbei, um bei meiner Großtante nach dem Rechten zu sehen, und schon werde ich des Diebstahls bezichtigt.«
»Also, ich war die ganze Zeit über im Bad«, meldete sich Herr Gabriel zu Wort. »Das kann Ihnen Ilona sicher bestätigen. Außerdem würde ich mich nie in das Schlafzimmer einer Dame wagen.« Er deutete eine leichte Verbeugung in Richtung seiner Nachbarin an, worauf diese errötete.
»Niemand verdächtigt Sie, Herr Gabriel«, beeilte sich seine Tante zu sagen. »Mein Neffe will sich nur ein umfassendes Bild machen.«
»Können Sie die Angaben von Herrn Gabriel bestätigen?«, wandte sich Denk an die Putzfrau.
»Ich ganze Wohnung saubergemacht und nicht aufgepasst auf Mann. Aber ich nichts genommen, tue so etwas nicht, brauche Job für Lebensunterhalt.«
»Und woher haben Sie das Geld für das Cabrio, mit dem Sie gerade vorgefahren sind?«, ereiferte sich Julian Bauer.
»Ich jeden Cent sparen. Ist Frechheit mich zu beschuldigen. Immer ehrlich«, wehrte sie sich. »Aber junger Mann halbe Stunde alleine in Wohnzimmer gewesen, warten auf Chefin. Wer weiß, was da getan.«
Denks Neffe sprang auf. »Unverschämtheit! Will uns glauben machen, dass sie sich vom Putzen einen teuren Schlitten leisten kann, und beschuldigt mich, dass ich stehle. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich mir das antue. Mir reicht es! Ich gehe.«
Auch Herr Gabriel erhob sich. Er deutete auf seine Armbanduhr. »Ich muss mich entschuldigen, ein dringender Termin wartet auf mich. Ich nehme an, Sie können auf meine Anwesenheit verzichten, nachdem sich alle Anschuldigungen als haltlos erwiesen haben.«
Inspektor Denk drückte seinen Neffen auf den Stuhl nieder und bat Herrn Gabriel, sich ebenfalls wieder niederzusetzen.