Denkmale - Statuten - Zeitzeugen -  - E-Book

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Beschreibung

Dieser Band der Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte vereint die Beiträge des Symposiums, das anlässlich des 75. Geburtstages des Herausgebers dieser Reihe, Herrn Professor Kersten Krüger, am 7. und 8. November 1914 stattgefunden hat. Marian Füssel widmet sich in seinem Beitrag den Geheimnisse der europäischen Universität in der Neuzeit. Werner Buchholz gibt einen Überblick über die Forschungsfelder des Jubilars jenseits von Universitäts- und Bildungsgeschichte, während die nachfolgenden Texte von Mitstreitern des Jubilars auf dem Gebiet der Universitätsgeschichtsschreibung stammen. Susi-Hilde Michael stellt das Universitätskonzil anhand der ältesten Statuten vor, Ernst Münch berichtet anhand von Gebäuden über die enge Verbindung von Stadt- und Universitätsgeschichte sowie über den fünften Auszug der Rostocker Universität. Angela Hartwig geht auf Aktivitäten des Archivs und der Kustodie auf dem Weg zum Universitätsjubiläum ein. Dazu gehört auch der Catalogus Professorum Rostochiensium, an dem Matthias Glasow intensiv mitgearbeitet hat und der nun darüber berichtet, wie dieses Projekt auf Hamburger Verhältnisse angewendet und weiterentwickelt wird. Zu den Aktivitäten von Kersten Krüger zählen auch Zeitzeugeninterviews, über die Altrektor Günther Wildenhain als Befragter und Steffen Eggebrecht als studentischer Fragender berichten.

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Inhalt

Vorbemerkung

Marian Füssel

Öffentlichkeit und Geheimnis an der Universität der Frühen Neuzeit

Werner Buchholz

Von der Stände- und Finanzgeschichte zur Historischen Demografie. Ein Rückblick zum 75. Geburtstag von Kersten Krüger

Susi-Hilde Michael

Das Universitätskonzil anhand der ältesten Statuten

Ernst Münch

Tycho de Brahe oder: Das falsche Denkmal am richtigen Platz

Angela Hartwig

Archiv und Kustodie auf dem Weg zum 600. Geburtstag der Universität Rostock

Matthias Glasow

Kollektivbiographisches Erinnern – Der Catalogus Professorum Hamburgensium

Steffen Eggebrecht

Zeitzeugen im Gespräch: Die Verwaltung der Universität Rostock

Günther Wildenhain

Reminiszenz an die Wendezeit. Kersten Krüger – ein motivierender Gesprächspartner

Über die Autoren

Vorbemerkung

Der Arbeitskreis Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte traf sich im Herbst des letzten Jahres in der besonderen Form eines zweitägigen Symposiums. Anlass dazu gab uns der 75. Geburtstag von Herrn Professor Kersten Krüger, den der Jubilar im Sommer 2014 feiern konnte. Herr Krüger zählt zu den Gründungsmitgliedern des Arbeitskreises. Er hat sich an der Gestaltung unserer Sitzung immer sehr aktiv beteiligt. Was uns darüber hinaus und in ganz hervorgehobener Weise dazu bewogen hat, ihm unsere Tagung zu widmen, das war die Tatsache, dass Herr Krüger vor 10 Jahren vom damaligen Rektor Herrn Professor Hans Jürgen Wendel die Aufgabe übernahm, sich nach seiner Emeritierung der Vorbereitung des Universitätsjubiläums zu widmen, das wir 2019 begehen werden.

Nachdem uns am Abend des 7. November 2014 durch den Vortrag von Professor Marian Füssel aus Göttingen die Geheimnisse der europäischen Universität in der Frühen Neuzeit nahegebracht worden waren, widmeten wir uns am 8. November ganz den Projekten, die Herr Krüger initiiert und auf den Weg gebracht hat.

Den Anfang machte, nachdem der Rektor eine Würdigung von Herrn Krügers bisheriger universitätshistorischer Arbeit vorgenommen hatte, Herr Kollege Werner Buchholz, Pommerscher Landeshistoriker an der Greifswalder Universität. In einem Überblick über die Forschungsfelder des Jubilars jenseits von Universitäts- und Bildungsgeschichte sollte damit der von uns gewählten Art der Veranstaltung Genüge getan und eine Laudatio gehalten werden.

Ziel der dann auf dem Symposium folgenden Beiträge, deren chronologische Abfolge wir in dieser Veröffentlichung beibehalten haben, war es, ein vorläufiges Fazit und eine Bilanz zu ziehen, was die universitätshistorischen Aktivitäten von Herrn Krüger angeht. Neben der Einrichtung einer Kommission, zu der auch wir Herausgeber gehörten – das Präteritum scheint uns hier durchaus angebracht, arbeitet diese Gruppe doch nicht mehr – hat sich Herr Krüger, wie er damals völlig zu Recht und sachgemäß feststellte, die Aufgabe zu eigen gemacht, Projekte der Grundlagenforschung zur Rostocker Universitätsgeschichtsschreibung zu ersinnen und umzusetzen. Von ihm sind dazu einige grundlegende Unternehmungen ins Leben gerufen worden, die nicht nur hier an unserer Universität Aufmerksamkeit erhalten haben, sondern auch maßstabsetzend für andere Universitätsstandorte wurden und bundesweit Beachtung fanden. Die Aufgabe unseres Symposiums war es, an diese von Herrn Krüger erbrachte Leistung für die Erschließung wichtiger Quellen der Universitätsgeschichte zu erinnern.

Die Wertschätzung seiner Initiativen und Projekte wurde auch aus dem Munde einiger derjenigen vorgetragen, die ihm Mitstreiter bei diesen Unternehmungen waren und sind und die bereit waren, seine Arbeit zu würdigen. So wurden beispielsweise aus Sicht der Beteiligten die von Herrn Krüger in mehreren Semestern durchgeführten Zeitzeugeninterviews vorgestellt. Sicherlich könnte man einwerfen, dass diese bemerkenswerten Versuche, oral history für die Universitätshistoriographie zu nutzen, bereits gedruckt vorliegen. Trotzdem haben wir uns entschlossen, zwei Vertreter der beteiligten Parteien, Altrektor Professor Günther Wildenhain als Befragten und Herrn Engelbrecht als teilnehmenden Beobachter und studentischen Fragenden zu Wort kommen zu lassen. Beide hatten sich vorgenommen, über die Erinnerung hinaus, die nicht alltägliche Dynamik, die sich in diesen Gesprächen ergab, vorzustellen. Sie sprachen also von Dingen und Wahrnehmungen, die nicht unbedingt in die gedruckten Dokumente eingegangen sind. Herr Glasow aus Hamburg berichtete, wie das Rostocker Projekt des Professorenkatalogs, an dem er in Rostock mitgearbeitet hat, in Hamburg aufgenommen und weiterentwickelt werden konnte. Zwei Vorträge schenkten den historisch gewachsenen Sammlungen unserer Hochschule und ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung – auch eine Initiative, die Herr Krüger mit angeregt und unterstützt hat – ihre Aufmerksamkeit. Schließlich wurden in drei Beiträgen Themen vorgestellt, die dem üblichen Charakter unserer Arbeitskreissitzungen entsprachen: dem Vorstellen neuer Forschungen und Überlegungen zur Rostocker Universitätshistoriographie. Dass sie den Anlass der Tagung jedoch nicht ganz aus dem Auge verloren, verstand sich von selbst.

Rostock, im Oktober 2015 Gisela Boeck und Hans-Uwe Lammel

Marian Füssel

Öffentlichkeit und Geheimnis an der Universität

der Frühen Neuzeit*

Wenn wir uns hier an diesem Wochenende versammeln, um die Verdienste Kersten Krügers für die Geschichte der Universität Rostock wie für die Universitätsgeschichte allgemein zu würdigen, so tun wir dies in einem feierlichen öffentlichen Rahmen und in einem zentralen Lehr- und Repräsentationsraum der Universität: der Aula. Wir stehen damit in einer langen Tradition akademischer Festkultur. In der Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit begehen wir einen actus publicus solemniter celebrandus.1 Darunter fasste man die unterschiedlichen Formen von öffentlichen Feierlichkeiten wie Universitätseinweihungen, Promotionsfeiern, Vizerektoratswechseln, Begräbnissen oder Jubiläen zusammen.2 „Solemniter“ bedeutete laut zeitgenössischen Lexika „alljährlich, feyerlich, herrlich, desgleichen gebräuchlich, rechtmäßig, ordentlich, mit grossem Gepränge, oder mit vielen und besondern Ceremonien“.3 Und damit sind wir in mehrfacher Hinsicht bereits mitten im Thema. Von der öffentlich inszenierten akademischen Festkultur bis zur geheimen Senats-bzw. in Rostock Konzilssitzung4 war die vormoderne Universität durch verschiedene Grade von Öffentlichkeit und Geheimnis bzw. Öffentlichkeit und Privatheit geprägt.5 Ganz gleich, ob öffentliche Vorlesungen oder private Tischgesellschaften, Professoren in Freimaurerlogen oder Studenten in Orden, akademische Sammlungen oder öffentliche Bibliotheken, überall markierten Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wissenschaftliche wie soziale Grenzen. Um die Begriffe etwas zu schärfen, kann die soziologische Unterscheidung zwischen „heimlich“ und „geheim“ hilfreich sein. Im einen Fall wird das Wahrnehmungsfeld der Akteure begrenzt, im anderen vollständig auf Kommunikation verzichtet. Der Soziologe Alois Hahn unterscheidet entsprechend Heimlichkeit als „Differenz zwischen Bewußtsein und Kommunikation“, also der Begrenzung der Wahrnehmung des Einzelnen und Geheimnis als „Zugangssperre zwischen Systemen der Kommunikation“.6 Eine Senats- oder Konzilssitzung ist in diesem Sinn ‚heimlich‘, da jeder wissen kann, dass sie stattfindet, aber nur die Mitglieder des Gremiums zugangsberechtigt sind.7 So bestimmen bereits die ältesten Rostocker Universitätsstatuten, dass die „in den Konzilien besprochenen Angelegenheiten [...] von jedem Mitglied des Konzils, gemäß den gegebenen Versprechen, geheim zu halten“ sind.8 „Allein der Rektor beschließt, was öffentlich bekannt zu geben ist. Die Geheimhaltung hat der Rektor oder ein anderer, der bei einem abzuhaltenden Konzil den Vorsitz hat […] genau anzuordnen“ heißt es weiter.

Die Existenz einer Geheimgesellschaft wie dem Illuminatenorden war bis zu seiner Aufdeckung hingegen ‚geheim‘, da seine Existenz Außenstehenden unbekannt war. Fälle wie der letztere sind der Universitätsgeschichte zwar nicht unbekannt, der Regelfall an der vormodernen Universität war jedoch eher das Geheime im Sinne des Heimlichen. Durch entsprechende kommunikative Barrieren gelingt es Institutionen, Grenzen zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern sowie unterschiedlichen Berechtigungsstufen ihrer Mitglieder zu ziehen und damit institutionelle Autonomie geltend zu machen.9

Die in der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung gebräuchlichere Gegenüberstellung ist trotz ihres semantischen Anachronismus jene zwischen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘.10 Mit den Worten von Peter von Moos:

„Das Öffentliche ist demnach das allgemein und unbegrenzt Erfahrbare, Zugängliche, Verbindliche oder Nützliche; das Private ist das nur begrenzt oder eingeschränkt Erfahrbare, Zugängliche, Verbindliche oder Nützliche. Überall müssen Geheimnisse, exklusive Räume, Befugnisse oder Zweckbestimmungen und deren Gegenteil in irgendeiner Form differenziert werden.“11

Eine Feststellung, die insbesondere auch für die Räume der vormodernen Universitäten gilt.

Ein Jenaer Stammbuch aus den 1730er Jahren zeigt, wie öffentliche und private Sphären zeitgenössisch in einem Bild zusammengedacht werden konnten.12 Oben rechts wird eine feierliche, öffentliche Prozession der Professoren über den Jenaer Markt präsentiert, oben links Studenten beim nächtlichen Musizieren. Unten rechts findet sich ein verschuldeter Student in Verhandlung mit seinem potentiellen Kreditgeber, und unten links die mögliche Ursache der Verschuldung, eine Szene von Studenten beim offiziell verbotenen Glücksspiel.13 Das Bild mit seinen vier Szenen ist typisch einerseits für den synoptischen Darstellungsmodus von Stammbuchbildern, die oft so viel wie möglich auf einmal präsentieren, zum anderen für die nicht minder typische Doppelbödigkeit der Stammbuchbilder, die Offizielles und Privates, Erlaubtes und Verbotenes, Verpöntes und Ersehntes gern parallelisierten.14

Im Folgenden soll es jedoch nicht um Stammbuchbilder gehen, sondern um einen kulturhistorischen Streifzug durch die frühneuzeitliche Universitätsgeschichte entlang der Kategorien Öffentlichkeit und Geheimnis bzw. dem Offenen und dem Verborgenen, dem Offiziösen und dem Privaten. Meine Ausgangshypothese ist dabei, dass die Frage der Öffentlichkeit in grundlegender Weise dazu angetan ist, die weit größere Frage „Was ist eigentlich eine Universität?“ mit Antworten zu versehen. Erkenntnisziel ist es damit, eine radikale Historisierung der Universität in ihren sozialen und rechtlichen wie in ihren wissenschaftlichen und materiellen Dimensionen zu ermöglichen. Ich gehe im Folgenden in drei Schritten vor und diskutiere zunächst die Verortung des akademischen Personenverbandes und seine materiell-räumlichen Infrastrukturen, dann die Figurationen des akademischen, vor allem professoralen Habitus im Spannungsfeld von Öffentlichkeit und Privatheit, um drittens auf die akademische Geselligkeit im Geheimen zu sprechen zu kommen.

Universität und Raum

Auf die Frage „Wo ist die Universität?“ reagieren wir heute wie selbstverständlich mit einer Ortsangabe – sei die Antwort nun ein Campus oder weite Teile der Innenstadt.15 Die Universität als konkreten physischen Ort im Sinne eines Gebäudes zu denken, ist jedoch erst das Ergebnis eines Jahrhunderte andauernden Prozesses des Sesshaftwerdens akademischer Personenverbände. Blicken wir zurück auf die Anfänge der Universitäten in Bologna, Paris, Oxford, Cambridge oder Prag, so haben wir es mit relativ mobilen Gruppen zu tun, die noch über keine feste institutionelle Räumlichkeit verfügten. In Anlehnung an einen Modebegriff unserer Tage: Es war ein Zeitalter, in dem jeder Akademiker einen Migrationshintergrund hatte. Am Beginn steht mit der sogenannten authentica habita Kaiser Friedrichs I. von 1155 ein Privileg, das die räumliche Mobilität der Scholaren sicherte und ihnen rechtliche Immunität garantierte.16 Aus diesem Privileg entwickelte sich in der Folge ein Ideal „akademischer Freiheit“, das auf einem vor Umwelteinflüssen geschützten Rechtsraum basierte. Die universitas der Magister und Scholaren bildete fortan einen privilegierten korporativen Personenverband, der sich in bestimmten Orten einnistete und diese im Zweifelsfall auch zugunsten einer anderen, gastfreundlicheren Stadt – wie z. B. Greifswald oder Leipzig – wieder verlassen konnte.17

Ein schönes Beispiel für die symbolische Koppelung der Materialität der akademischen Architektur und der öffentlichen performativen Inszenierung des akademischen Personenverbandes bietet folgende Postkarte der Jubiläumsfeierlichkeiten der 100jährigen Zugehörigkeit Erfurts zu Preußen im Jahre 1902. Ein Modell des mittelalterlichen Universitätsgebäudes wird von als Mitgliedern der universitas kostümierten Männern in einem actus publicus durch die Straßen getragen.

Abb.: Historischer Festzug zu Erfurt am 21. August 1902, Ansichtskarte, Privatbesitz von Marian Füssel

Durch seine zeremonielle Ausgestaltung in Form der Choreographie der Handlungen, Kleidung, Musik etc. war der actus publicus räumlich wie zeitlich aus dem universitären Alltag herausgehoben und diente im Wesentlichen der Darstellung von Ordnungsprinzipien der Universität als Institution, d. h. als „symbolische Repräsentanz“ ihrer Zielsetzung und ‚Verfassung’. Die alltagstranszendierenden Rituale gestalteten sich gleichsam als ein „Prozeß der Selbstcharismatisierung“ der akademischen Gemeinschaft als solcher.18 Eine ihrer Hauptfunktionen bestand insofern in der Herstellung einer „repräsentativen Öffentlichkeit“ im Sinne von Jürgen Habermas, die der Visualisierung und Demonstration von Verfassungs-, Lehr-, und Gemeinschaftsordnung der Universität diente.19 Diese richtete sich jedoch nicht nur nach innen, sondern manifestierte auch ständische Geltungsansprüche nach außen, etwa gegenüber der städtischen Bevölkerung.20

Anhand der Chronik des Rostockers Vicke Schorler (1560–1625), die dieser für die Jahre 1584–1625 führte, lässt sich exemplarisch zeigen, wann, wo und wie die Universität und ihre Angehörigen in der städtischen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Die dominanten Ereignisse sind in erster Linie die Todesfälle der Akademiker, gefolgt von den Graduierungsveranstaltungen der Magister und Doktoren sowie schließlich Einzelereignissen wie dem 200-jährigen Gründungsjubiläum der Universität 1619, studentischen Theateraufführungen oder gewaltsamen Todesfällen unter den Studenten.21 Mit 25 Nennungen nehmen die Graduierungen breiten Raum ein und zeigen, dass die Verleihung akademischer Grade nicht nur eine zentrale Solennität darstellte, sondern der Öffentlichkeit auch einen wesentlichen Aspekt des Funktionierens der Hochschule kommunizierte.22 Allein in vier Fällen verbanden die Kandidaten die Promotion mit der eigenen Hochzeit und sparten damit nicht nur Kosten, sondern symbolisierten den Übergang vom zwangszölibatären Studentenleben zum ‚gelehrt-bürgerlichen‘ Mann von Stand23 – ein Ereignistyp, der sich auch auf der von Vicke Schorler angefertigten „Abcontrafaktur“ der Stadt Rostock, einer kolorierten Federzeichnung von 1860 cm Länge und 60 cm Höhe, verbildlicht findet.24

Gerade die Bewohner der Städte sahen sich alltäglich immer mehr mit der physischen und baulichen Präsenz der Akademiker konfrontiert, die nicht nur zur Untermiete wohnten, sondern den urbanen Raum auch aktiv veränderten und gestalteten. Während sich die frühen Universitäten in bereits vorhandenen angemieteten oder gekauften städtischen Orten niederließen, entstanden vom 14. Jahrhundert an auch erste architektonische Gesamtentwürfe von Universitäten.25 Diese gingen von den Kollegien aus und orientierten sich an der Architektur der Klöster und Abteien. Frühe Beispiele sind das Collegio di Spagna in Bologna, das Collège de Sorbon in Paris oder das New College in Oxford.26 Von nun an existierten in Europa zwei Modelle akademischer Räumlichkeit: Eine diffus über den städtischen Raum ausgedehnte Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, die sich auf eine Vielzahl von Professorenhäusern und einige wenige zentrale Hörsaalgebäude verteilte, und eine genau lokalisierte klosterähnliche Gemeinschaft, die bis heute im Modell der sogenannten Campus-Universität fortlebt.

Die Kollegarchitektur versuchte, alle Elemente der Institution in ein räumliches Gesamtensemble zu integrieren. Lehrende und Lernende sollten idealerweise ebenso an einem Ort wohnen, wie Bibliothek, Hörsäle, anatomisches Theater oder der Karzer darin vereinigt sein sollten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden bedeutende Kollegbauten mit der Sapienza in Rom, dem Neubau der Sorbonne in Paris oder im Reich mit den Neugründungen der Universitäten Helmstedt und Würzburg.27

An der 1577 gegründeten Universität Helmstedt entstand zwischen 1592 und 1597 das 1612 eingeweihte und bis heute erhaltene Hauptgebäude der Universität: Das Juleum Novum und der vorgelagerte Collegienplatz bilden bis in die Gegenwart das kulturelle Wahrzeichen Helmstedts.28 Ein genauerer Blick ins Innere dieses Gebäudekomplexes eröffnet in nuce die räumliche Strukturierung universitären Lebens der Frühen Neuzeit. Im Hörsaalbau manifestiert sich die hierarchische Ordnung der vier Fakultäten: Im Erdgeschoss ist die Aula als der größte Hörsaal den Theologen vorbehalten, ihm folgen auf der zweiten Etage die gleich großen Hörsäle für Medizin und Jurisprudenz. Der Hörsaal für die artes liberales, die propädeutische philosophische Fakultät, findet sich bezeichnenderweise gar nicht im gleichen Gebäude, sondern ausgegliedert im linken Flügel der Anlage. Hier befanden sich auch ein Anatomisches Theater und ein Sezierraum sowie der Karzer für die Einsperrung devianter Studenten. Im Obergeschoss befanden sich ein Disputationssaal sowie verschiedene Fakultätsräume. Im vorderen Bereich des Gebäudes waren ferner Wohnräume für Stipendiaten und Pedell, Buchläden und Stallungen untergebracht. Das rechte Gebäude beherbergte das Archiv, die Küche, Wirtschaftsräume und die Mensa, im Obergeschoss Beratungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsräume.

Vergleichbar funktional differenzierte universitäre Gebäudekomplexe sind im frühneuzeitlichen Reich selten. Ähnliche Bauten existierten nur im Nürnbergischen Altdorf sowie an einigen katholischen Universitäten Süddeutschlands. Vor allem im Zuge der Konfessionalisierung und Territorialisierung kam es im Reich zu einer Welle von Neugründungen, die sich ihren Raum erst aneignen mussten.29 Die Beschaffung und Errichtung großer Gebäude für den akademischen Unterricht war zunächst einmal ein finanzielles Problem, weshalb vielfach auf bestehende Einrichtungen, wie etwa auf säkularisierten Klosterbesitz, zurückgegriffen wurde.30 In der Entwicklung der Universitätsarchitektur spiegelt sich somit die geschichtliche Entwicklung der Institution und ihrer Selbstverwaltung wider. In der Frühen Neuzeit wich das im monastischen Bautyp verkörperte Ideal einer nach außen abgeschlossenen autonomen Genossenschaft von Lehrenden und Lernenden zunehmend der Herrschaft des Territorialstaates. Die Ästhetik des Klosters wurde durch die des Schlosses ersetzt, und die höfische Repräsentation mit ihrer öffentlichen Schauseite prägte die landesherrlichen Stätten der Bildung. Besonders sinnfällig wird dies selbst an der Universitätsgründung, die als Inbegriff der modernen Reformuniversität gilt: Als 1810 in Berlin eine neue Hochschule errichtet wurde, bezog sie das umgebaute Palais des Prinzen Heinrich an der Prachtstraße Unter den Linden.31

Der neue Palast des Wissens stand nun in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen herrschaftlichen Gebäuden und wurde Teil fürstlicher Machtdarstellung. Eine Repräsentationsstrategie, die bis heute in zahllosen Universitäten und Forschungseinrichtungen fortlebt, die in Schlössern (z. B. Bonn, Münster, Mannheim, Osnabrück) untergebracht sind und gegenwärtig wiederum in Berlin einen besonderen Ausdruck findet. So soll der Neubau des Berliner Stadtschlosses künftig unter anderem die akademischen Sammlungen der Humboldt-Universität beherbergen.32

Ein besonderer Typus akademischer Sammlung, vielleicht sogar der älteste, ist die Bibliothek.33 An ihrer Geschichte kann die Spannung von ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ besonders gut verdeutlicht werden.34 In der Frühen Neuzeit bildeten die Privatbibliotheken von Gelehrten und die jeweilige Universitätsbibliothek eine funktionale Einheit.35 Vom 17. und 18. Jahrhundert an gingen immer mehr Professorenbibliotheken dann in öffentlichen Universitätsbibliotheken auf, die nun zunehmend die privaten Sammlungen – zumindest dem Anspruch nach – entlasten konnten.36 Bis in das 19. Jahrhundert erwies sich jedoch der verfassungsmäßige Charakter der Universität als privilegierter Personenverband als so prägend, dass sich auch der Buchbesitz dezentral auf seine einzelnen Mitglieder verteilte. Die Aufhebung gelehrter Privatbibliotheken und ihre Übernahme in öffentliche Universitätsbibliotheken kann als Seismograf für die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems gewertet werden. Im Übergang von der barocken Wissenstopologie individueller Sammlungsbestände zu einer umfassenden systematischen Katalogisierung lässt sich der Institutionalisierungsgrad einer Universitätsbibliothek ablesen. Auch der Universitätsbibliothekar, ein Amt, das in der Frühen Neuzeit Nebenaufgabe eines Professors war, differenzierte sich nun allmählich als eigene Rolle und als eigenes berufliches Kompetenzfeld aus. Schließlich brachte der Übergang von privaten Sammlungen zu öffentlichen Bibliotheken eine deutliche Verbesserung der Zugangsbedingungen. Gerade Studenten wurden parallel zur Förderung individueller Leistungen auch bessere Nutzungsbedingungen eingeräumt. Die Universitätsbibliotheken spielten eine tragende Rolle im Prozess der Entstehung öffentlicher Bibliotheken. An ihnen manifestierte sich die Nützlichkeit ganz praktisch, indem sie Teil des Studiums waren, während das überregionale Netzwerk der Gelehrtenrepublik ihre Bestände bekannt machte und zu nutzen wusste. Ihr Konstitutionsprozess war jedoch eher ein Phänomen der Emergenz als der bewussten Planung. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildeten sich bestimmte institutionelle Mechanismen wie die Verrechtlichung von Bibliotheksordnungen, ein fester Etat und eine Professionalisierung des Personals heraus, die den Bibliotheken den Charakter des Zufälligen und Willkürlichen mehr und mehr nahmen.

Blicken wir noch einmal zurück auf das Gebäude der Universität Helmstedt. Das Helmstedter Ensemble wirkt auf den ersten Blick ähnlich autark wie eine moderne amerikanische Campus-Universität; von der Lehre über die Speisegemeinschaft bis hin zur Ausübung der eigenen Gerichtsbarkeit konzentrieren sich grundlegende Praktiken an einem Ort. Doch einige wesentliche Elemente fehlen: Auch wenn es im Erdgeschoss des Juleums eine Universitätsbibliothek gab, beinhaltete diese nur einen geringen Teil des privaten Bücherbesitzes, der sich über die Professorenwohnungen der Stadt verteilte.37 Neben den Wohnungen der Professoren existierten keine Büroräume im modernen Sinne und die Vorlesungsräume waren ausschließlich für die öffentlichen Lektionen – die collegia publica – bestimmt, die jedoch nur einen kleinen Teil der gesamten Lehre ausmachten. Den eigentlich lukrativen Teil der Lehre bildeten die collegia privata oder privatissima – Lehrveranstaltungen zu aktuellen und begehrten Themen, die im Haus des Professors für bare Münze erteilt wurden.38 Das wesentliche intellektuelle Leben des Professors – Forschung wie Lehre – spielte sich damit in seinem eigenen Haus ab, das zusätzlich noch einige Studenten zur Untermiete beherbergen konnte.39

Der Professor allein zu Hause? Oder: Das Private ist öffentlich

Universitäten wie Oxford und Cambridge waren seit dem späten Mittelalter vom bruderschaftlich-monastischen Modell der Colleges geprägt. An diesen Universitäten herrscht bis in die jüngere Gegenwart ein geradezu männerbündischer Zwang zur Geselligkeit, der sich etwa in den Portweinritualen an den Hightables der Colleges manifestiert.40 Auf dem Kontinent und vor allem im Reich setzte jedoch bereits im Spätmittelalter ein Säkularisierungs- und räumlicher Differenzierungsprozess der Universitäten ein, der es den Professoren ermöglichte, zu heiraten und eigene Professorenhaushalte zu gründen.41 Jenseits der vom Jesuitenorden geprägten Hochschulen bildete das Professorenhaus an den meisten Universitäten des frühneuzeitlichen Reiches fortan die Grundeinheit akademischer Soziabilität.42 Der sprichwörtliche Professorentisch wurde zur Keimzelle exklusiver Kommunikationszirkel, deren vorläufigen Endpunkt vielleicht das Oberseminar bildet.43 Die eigenen vier Wände boten den Professoren jedoch von nun an auch besondere private Rückzugsmöglichkeiten, die gerade das Arbeitszimmer (Studiolo) als Ort der Einsamkeit auswiesen.44

Gerade eine Einbeziehung der privaten Räume bringt auch die weiblichen Lebenswelten im Umkreis der Universitäten zutage. So konnte ein Professor seine „beruflichen Pflichten“ nur erfüllen, „wenn er eine Frau hatte, die ihm den Haushalt führte und ihn in seinen gesellschaftlichen und sozialen Pflichten unterstützte.“45 Seine Arbeit füllte dabei im „Idealfall“ den Tag so aus, dass keine Zeit mehr für andere Dinge blieb. Besonders deutlich wird es 1796/97 im Bericht eines ungarischen Studenten über den Göttinger Historiker Johann Christoph Gatterer (1727–1799): Wenn Gatterer nicht gerade im Auftrage der Universität mit der Wetterbeobachtung beschäftigt war,

„saß er fortwährend am Schreibtisch und schrieb oder las; wenn es Zeit war, begab er sich aus dem Studierzimmer in sein Auditorium und von dort nach Beendigung seiner Vorlesung zurück an den Schreibtisch. Um 12 Uhr ging er zum Mittagessen ins Erdgeschoß zu seiner Frau, nach einer halben Stunde kam er wieder nach oben und setzte sich an den Schreibtisch; so ist das Leben der hiesigen Professoren eine einzige Sklaverei, denn entweder studieren sie, oder sie lehren, kaum gehen sie mal an einem Tag eine Stunde spazieren. Auch die Frauen Professor klagen über ihr Leben, hätten sie doch voller Hoffnung geheiratet, herrschaftliche Damen zu werden, die behaglich lebten, dabei gab es in ihrem Leben nichts Ergötzliches, sie leben abgeschieden und wie in Gefangenschaft; nur ein bis zwei Viertelstunden beim Mittag- und Abendessen bekommen sie den Gatten zu Gesicht, auch dann mit gerunzelter, düsterer Stirn, den Kopf voller Gedanken und ohne ein geneigtes Wort, vielleicht merkt er noch nicht einmal, was er isst.“46

Auch die unbewusste Weltvergessenheit des Gelehrten, der nur Augen für seine Studien hat, konnte im Sinne der Stabilisierung dieser ungleichen „Arbeitsteilung“ also durchaus funktional sein,47 schienen doch Alternativen unter diesen Bedingungen kaum denkbar. Neuere wissenschaftshistorische Studien haben jedoch inzwischen wiederholt darauf hingewiesen, dass das Leben eines frühmodernen Professors – gerade auch was seine wissenschaftliche Produktivität anbelangt – keineswegs isoliert von seinem häuslichen Lebenszusammenhang betrachtet werden kann. So hatten die Frauen der Gelehrten oftmals großen Anteil an deren wissenschaftlicher Arbeit.48 In einem Reisebericht des Straßburger Magisters Philipp Heinrich Patrick (1747–1819) der Jahre 1774/75 heißt es beispielsweise über den Leipziger Arabisten Johann Jakob Reiske (1716–1774):