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In Der achtsame Weg durch Schwangerschaft und Geburt stellt die erfahrene Hebamme und Achtsamkeitslehrerin Nancy Bardacke ein innovatives Programm vor, das auf wegweisenden Forschungsergebnissen aus der Neurowissenschaft, der Achtsamkeitsforschung und der Geist-Körper-Medizin basiert und werdende Eltern durch die Schwangerschaft, die Geburt und die ersten Monate danach begleitet.Mit den hier Schritt für Schritt erklärten, aufeinander aufbauenden Achtsamkeitsübungen bringen Sie mehr Ruhe, Glück und Gelassenheit in diese Zeit, die Ihr Leben verändern wird, und legen die Grundlage für ein gesundes Leben und eine von Weisheit erfüllte Elternschaft.
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Seitenzahl: 711
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Nancy Bardacke
Übersetzt von Sabine Bongartz
Arbor Verlag
Freiburg im Breisgau
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Einleitung
1 Alles verändert sich!
2 Innere Vorbereitung auf die Geburt und die Zeit danach
3 Die Welt in einer Rosine
4 Der Atem – Ein Freund fürs Leben
5 Voll und ganz im Körper sein: Der Body-Scan
6 Das dynamische Duo: Schmerzen und Angst
7 Achtsamkeitsübungen bei Schmerzen
8 Der Yoga der Geburt
9 Die Praxis vertiefen und erweitern: Sitzmeditation
10 Wenn Sie gehen, dann gehen Sie; wenn Sie ein Kind zur Welt bringen, dann bringen Sie ein Kind zur Welt
11 Achtsamkeit im Alltag
12 Ein Tag der Achtsamkeit
13 Freundschaft schließen: Achtsamkeit in Beziehungen
14 Es geht allein um Freundlichkeit
15 Verlust, Trauer und Heilung durch Achtsamkeit
16 Ursachen und Bedingungen: Sich in dem, was ist, zurechtfinden
17 Ihr Baby, Ihr Achtsamkeitslehrer
18 Stillen: Ein Tanz der Verbundenheit
19 Ende und Anfang: Der letzte Kursabend
20 Das Leben nach der Geburt: Ein Wiedersehen
21 Eine Achtsamkeitspraxis zur Welt bringen
Nachwort
A MBCP und integrative Medizin: Etwas mehr Hintergrund
B Ressourcen
C Tagebuch „Angenehme und unangenehme Ereignisse“
D Verzeichnis der Achtsamkeitsübungen
Quellennachweis
Über die Autorin
Dank
Cover
Inhaltsbeginn
Anhänge
© 2012 Nancy Bardacke
© 2013 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH, Freiburg
by arrangement with HarperStudio, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:
Mindful Birthing: Training the Mind, Body, and Heart for Childbirth and Beyond.
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2022
Titelfoto: © gettyimages/Walter B. McKenzie
Illustrationen: © Logan Granger
Lektorat: Dörte Fuchs, Fachlektorat: Clarissa Schwarz
Hergestellt von mediengenossen.de
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-265-8
Die Ratschläge zur Selbstbehandlung in diesem Buch sind von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft worden. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Bei ernsthafteren oder länger anhaltenden Beschwerden sollten Sie auf jeden Fall einen Arzt oder einen Heilpraktiker Ihres Vertrauens zu Rate ziehen. Eine Haftung der Autorin oder des Verlages für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Für alle Eltern, überall
– dafür, dass sie genau in diesem Augenblick
die Zukunft in die Welt bringen und sie wachsen lassen
Hin und wieder werden Bücher geschrieben, die eigentlich einem ganz bestimmten Zweck dienen. Wenn man sie dann für diesen Zweck nutzt, öffnen sie einem plötzlich die Augen und verändern die Art und Weise, wie man sein Leben und die Welt sieht und versteht und sich in ihr bewegt. Der achtsame Weg durch Schwangerschaft und Geburt ist ein solches Buch.
Als Leserin oder Leser haben Sie sich zweifelsohne für dieses Buch entschieden, weil Sie nach Informationen, sachkundiger Hilfe und einer klaren Perspektive suchen und auf eine aktuelle, evidenzbasierte Behandlung der Themen Schwangerschaft und Geburt hoffen, die Ihren Wünschen und Vorstellungen möglichst nahekommt. All dies bekommen Sie mit diesem Buch. Doch weil das Programm für achtsamkeitsbasierte Geburt und Elternschaft (MBCP), wie sein Name schon sagt, auf Achtsamkeit basiert, bietet es Ihnen – wer immer Sie sind, allein oder gemeinsam mit Ihrem Partner – weitaus mehr als reine Informationen, wie nützlich diese auch sein mögen. Dieses Buch stellt Ihnen eine praxisorientierte und systematische Methode vor, ein anderes, umfassenderes Verhältnis zu sich selbst und zu Ihrer Erfahrung zu gewinnen, indem es die Schwangerschaft, die Geburt und die Zeit danach als Rohstoff und Lehrplan nutzt – für das Abenteuer und Wunder unseres sich entfaltenden Lebens und des neuen Lebens, das sich in uns und aus uns heraus entwickelt.
Sie hätten sich in keine besseren Hände begeben können. Wenn wir alle eine besondere und einzigartige Gabe und Berufung haben – und daran glaube ich –, dann ist der achtsame Weg durch den Geburtsprozess sicherlich Nancys Gabe und Berufung. Das von ihr entwickelte MBCP-Programm, das sie im Laufe der Jahre an über tausend werdende Eltern vermittelt hat, ist die Quintessenz dieser Gabe und Berufung. Es ist ein großes Glück, dass es das MBCP-Programm jetzt in dieser Form gibt, und ich hoffe, dass es bis in die letzten Winkel unseres Kulturkreises gelangen und werdenden und frischgebackenen Eltern eine echte Hilfe sein wird.
Mit diesem Buch stehen nun auch Ihnen das MBCP-Programm und die Achtsamkeitsfähigkeiten, die Sie durch beständige Praxis kultivieren werden, zur Verfügung, ganz so, als nähmen Sie selbst an einem von Nancys Kursen teil. Sie werden sehen und spüren, dass Nancy Bardacke mit Leib und Seele Hebamme ist. Tatsächlich wird sie Sie als Ihre Hebamme durch eine ganz besondere Lebensphase begleiten – vorausgesetzt, Sie entschließen sich aus ganzem Herzen dazu, Nancys Programm und den sorgsam zusammengestellten Übungen, durch die sie Sie führen wird, zu folgen. Andernfalls werden all die positiven Wirkungen, von denen die Berichte der Paare in diesem Buch zeugen, wahrscheinlich nur eine abstrakte Idee oder ein Wunsch bleiben. Wenn Sie die Vorteile dieses Ansatzes selbst erfahren möchten, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Ihren Namen auf die „Teilnehmerliste“ dieses Kurses zu setzen, sich hineinzustürzen, Nancys Rat anzunehmen und, was noch wichtiger ist, Achtsamkeit auf die von ihr vorgeschlagene Art und Weise zu praktizieren, gewissermaßen als Hausaufgabe, und dem Leben selbst dann die Rolle des wahren Lehrers zu übertragen, von Moment zu Moment zu Moment. Denn so ist das Leben, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Nancy ist, was diesen Punkt betrifft, sehr überzeugend, und das auf eine ausgesprochen einnehmende Weise, wie Sie sehen werden.
Ein Baby zu bekommen ist eine ganz besondere Gelegenheit, Achtsamkeit zu erlernen und zu erleben, wie tiefgehend, heilend, verwandelnd und schlichtweg nützlich die zielbewusste Kultivierung von Achtsamkeit und Herzensgüte angesichts der Herausforderungen in dieser besonderen Lebensphase sein kann. Nancy ist eine kluge und mitfühlende, aber auch eine sehr realistische Autorin, die auf jede romantische Verklärung verzichtet. Ihr Buch erinnert an ein benutzerfreundliches Überlebenshandbuch für einen Aufenthalt in der Wildnis, und es liefert die entsprechende Grundausbildung gleich mit – nur dass es in diesem Fall nicht ums Überleben geht, sondern darum, wie Sie im Angesicht des Unbekannten und Ungewissen aufblühen können. Zu diesem Unbekannten und Ungewissen gehören die Krankenhauskultur (falls Sie sich für eine Klinikgeburt entschieden haben), die Risiken und Vorteile einer Periduralanästhesie und anderer medizintechnischer Interventionen, Ihre eigenen Ängste, Beziehungsprobleme, äußere und innere Stressfaktoren; Wehen im engeren und im übertragenen Sinne (ein großes Thema, das sich durch das ganze Buch zieht), Schmerzen und andere intensive Empfindungen sowie starke Gefühle; Dies alles wird eingefasst von der viel größeren Perspektive Ihrer eigenen angeborenen Weisheit, der angeborenen Weisheit des Körpers und der Weisheit des Lebens selbst. All diese Themen und Inhalte, die zugegebenermaßen ein bisschen einschüchternd wirken könnten, werden durch Nancys trockenen Humor auf angenehme Weise aufgelockert.
Das Entscheidende ist natürlich, vorbereitet zu sein. Dieses Buch und das Kursprogramm, zu dem es Sie einlädt, deckt alle Bereiche ab und trifft sowohl auf der Gefühlsebene als auch auf der Sachebene immer den richtigen Ton. Zugleich geht es tiefer, indem es einen Rahmen und ein Umfeld schafft, in dem alle – Sie und Ihr Partner und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der MBCP-Kurse – die Gelegenheit haben, sich mit der Ungewissheit anzufreunden und ihr mit vollem Gewahrsein, Klarheit und gemeinsam mit dem Partner zu begegnen. Um eine so wichtige Aufgabe auf kluge Weise meistern zu können, muss die Vorgehensweise von Güte und Selbstmitgefühl durchzogen und getragen sein. Und dieses Buch ist in der Tat voller Güte und Mitgefühl und zeigt Ihnen viele Möglichkeiten, für sich selbst, für Ihr Baby und Ihren Partner mehr Güte, Freundlichkeit und Mitgefühl zu kultivieren.
Eine weitere Stärke dieses Buchs sind die hier wiedergegebenen lebhaften Gespräche zwischen Nancy und den Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern. Dank ihrer Kommentare und Fragen und Nancys Antworten wird Ihnen Nancy wie eine zuverlässige Freundin und Beraterin erscheinen. Dieser Aspekt des Buches ist sowohl im Hinblick auf die vermittelten Informationen als auch im Hinblick auf Haltungen und Einstellungen sehr hilfreich. Ein Teil von Nancys Botschaft ist jedoch, dass Ihre zuverlässige Freundin in Wirklichkeit die Realität selbst und Ihr Verhältnis zu dieser Realität ist – ein Verhältnis, das während der Schwangerschaft, der Geburt und der Zeit danach durch das systematische Kultivieren von Achtsamkeit genährt, vertieft und geprägt wird. Ein Vater formuliert das so:
Anfangs dachte ich, der MBCP-Kurs sei ein Geburtsvorbereitungskurs, bei dem ich vielleicht auch noch etwas anderes lernen würde. Dann hat sich herausgestellt, dass dies ein Kurs ist, der die Lebensperspektive verändert und bei der Geburt helfen wird. Jetzt, am Kursende, ist es komplett umgekehrt: Es geht nicht mehr um die Geburt. Was wir gelernt haben, wird uns zwar bei der Geburt helfen, aber es geht nicht mehr um die Geburt. Es geht um unser Leben.
Nancys Liebe zum weiblichen Körper und dem Wunder von Schwangerschaft und Geburt und die diesem Wunder zugrunde liegenden komplexen biologischen Prozesse werden Sie beim Lesen immer wieder zum Staunen und Lächeln bringen und Sie manchmal vielleicht auch ergreifen und rühren – so ist es zumindest mir an vielen Stellen ergangen. Dieses Wunder wird niemals alt und ist niemals weit weg, denn wir sind alle verkörperte Wesen, die von Müttern geboren wurden und jetzt vermutlich werdende Eltern oder bereits Eltern oder sogar Großeltern sind. Das Wichtigste ist, dass wir uns selbst erlauben, dafür vollkommen gegenwärtig zu sein. Nancy Bardacke zeigt uns, wie das geht. Ich wünsche Ihnen bei diesem fortwährenden Abenteuer des sich entfaltenden Lebens alles Gute.
Jon Kabat-ZinnLexington (Massachusetts),USA 16. Januar 2012
„Ich bin schwanger!“ Wo waren Sie, als diese Worte in Ihrem Geist aufblitzten? Waren Sie beim Arzt oder im Wartezimmer eines Labors? Hatten Sie den Telefonhörer oder das Teststäbchen eines Schwangerschaftstests in der Hand? Oder sind Sie eines Morgens mit einem flauen Gefühl im Magen aufgewacht und haben es „einfach gewusst“? Auf welche Weise auch immer Sie von Ihrer Schwangerschaft erfahren haben: Ein ganzer Schwall von Gedanken und Gefühlen wird durch Ihren Geist und Ihren Körper geströmt sein. Wie viele Frauen auf der ganzen Welt und in der gesamten Menschheitsgeschichte haben diesen Augenblick wohl schon erlebt? Es müssen Milliarden gewesen sein. Und nun sind Sie an der Reihe. Ein transformativer Prozess des Geistes, des Körpers und des Herzens hat begonnen.
Und jetzt haben Sie sich für dieses Buch entschieden. Auf welche Art und Weise auch immer es seinen Weg in Ihre Hände gefunden hat: Wahrscheinlich suchen Sie nach Orientierung oder Informationen oder vielleicht auch nach etwas, das noch keinen Namen hat, aber Ihnen dabei helfen kann, die Klippen der Schwangerschaft, der Geburt und der ersten Zeit mit Ihrem neugeborenen Kind sicher zu umschiffen. In meiner über vierzigjährigen Tätigkeit als Hebamme hatte ich das Privileg, Tausende von Frauen und ihre Partner während der Schwangerschaft und Geburt in Kliniken, Geburtshäusern und in den eigenen vier Wänden begleiten zu dürfen, und diesen Erfahrungen verdanke ich unzählige außergewöhnliche Lektionen über das Leben selbst. Sie waren außerdem der Anlass für mich, das Mindfulness-Based Childbirth and Parenting Program (MBCP) zu entwickeln, ein Geburtsvorbereitungsprogramm für werdende Eltern, das auf der Lebenskompetenz der Achtsamkeit basiert.
Man kann sich Achtsamkeit als „nichturteilendes Gewahrsein von Moment zu Moment vorstellen, (…) das kultiviert wird, indem man auf eine bestimmte Weise aufmerksam ist, das heißt im gegenwärtigen Augenblick“.[1] Achtsamkeit wird durch die Praxis der Meditation kultiviert. Durch die in diesem Buch beschriebenen Achtsamkeitsübungen werden Sie Fähigkeiten entwickeln, die Ihnen dabei helfen werden, die vor Ihnen liegenden unerforschten Gewässer mit mehr Freude, Freundlichkeit, Gewahrsein, Ruhe und Weisheit zu durchqueren.
Obwohl Achtsamkeit eine universelle Fähigkeit des menschlichen Geistes ist, verbringen wir den Großteil unserer Zeit im Autopilot-Modus. Wenn wir uns nicht bewusst dazu entschließen, unsere Fähigkeit zur Achtsamkeit zu kultivieren, gehen wir wie Schlafwandler durchs Leben, anstatt ganz und gar gegenwärtig zu sein. Wenn Sie sich die Zeit nehmen, die Praxis der Achtsamkeit zu erlernen, werden Sie die unausweichlichen Stresssituationen während der Schwangerschaft und die mit dem Geburtsprozess verbundene Ungewissheit besser meistern können. Achtsamkeitsmeditation hilft Ihnen darüber hinaus auch dabei, mit den intensiven Empfindungen während der Geburt umzugehen, die wir normalerweise als Schmerzen bezeichnen. Dadurch gewinnen Sie mehr Zuversicht und verringern die Ängste, die diese tiefgehende Reise ins Unbekannte häufig begleiten. Achtsamkeit kann Sie auch darin unterstützen, lebenslang wirksame innere Fähigkeiten zu kultivieren, die für ein gesundes Leben, eine von Weisheit erfüllte Elternschaft und eine liebevolle Partnerschaft so wichtig sind.
Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, in dem ich beschloss, werdenden Eltern die Kunst der Achtsamkeit nahezubringen. Es war das Jahr 1994, und ich nahm an einem einwöchigen Fortbildungsretreat bei Jon Kabat-Zinn und Saki Santorelli für Menschen in Gesundheitsberufen teil, das am Mount Madonna Center in Watsonville (Kalifornien) stattfand. Jon hatte 1979 an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts das bahnbrechende MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction; Stressbewältigung durch Achtsamkeit) entwickelt. Seitdem haben er und seine Kollegen Tausende von Krankenhauspatienten in der alten buddhistischen Praxis der Achtsamkeitsmeditation unterrichtet. Mit Hilfe dieses Programms gelang es ganz gewöhnlichen Menschen, die an einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen litten – wie chronischen Schmerzen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Depressionen, Asthma, Migräne, Diabetes, Krebs und dem alltäglichen Stress des Berufs- und Familienlebens –, tiefgründige und heilsame Weisen des Umgangs mit ihren Schmerzen und Erkrankungen zu finden.
Ich hatte diese Meditationspraxis zwölf Jahre zuvor, im Jahr 1982, für mich entdeckt. Seitdem hatte sie sich zu einem unschätzbar wertvollen Bestandteil meiner Arbeit als Hebamme, Ehefrau, Mutter und Stiefmutter von vier Kindern entwickelt. Über Meditationsnetzwerke hatte ich mich immer wieder über Jons Arbeit informiert und brannte nun darauf, zu erfahren, wie er und seine Kollegen es schafften, die Achtsamkeitspraxis aus den Meditationszentren in die Krankenhäuser zu holen. Jons Buch Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung[2] war zusammen mit anderen wegweisenden Studien über die positiven Auswirkungen von Achtsamkeitsmeditation auf chronische Schmerzen und Angstgefühle erschienen. Das MBSR-Programm war außerdem in Bill Moyers’ Fernsehserie Healing and the Mind vorgestellt worden und hatte das Interesse an Meditationspraktiken und dem damals noch jungen Gebiet der Geist-Körper-Medizin (oder Mind-Body-Medizin) geradezu explodieren lassen.
Über hundert in Gesundheitsberufen tätige Menschen aus der ganzen Welt nahmen 1994 an dem erwähnten Retreat teil. Wir saßen in einem geräumigen, lichtdurchfluteten Meditationssaal mit Blick auf die Stadt Watsonville und den Pazifik auf unseren Kissen und wurden Zeugen dieser bahnbrechenden Arbeit. Jene Woche mit Jon und Saki hat mein Leben verändert.
Am vierten Tag des Retreats – wir hatten gerade eine vierundzwanzigstündige Praxisphase im Schweigen beendet –, sprach Jon über die Verbindung von Körper und Geist, als plötzlich, in einem unerwarteten und elektrisierenden Moment, alles anders war. In diesem Moment wusste ich, wie ich das, was mir am wichtigsten war – meine Arbeit als Hebamme, meine Meditationspraxis und mein leidenschaftliches Interesse an der Verbindung von Körper und Geist –, miteinander verknüpfen und den Menschen, für die ich arbeitete, nahebringen konnte. Ich wusste, was ich tun wollte oder, besser gesagt, einfach tun musste. Ich beschloss, werdende Eltern in der Kunst der Achtsamkeit zu unterrichten, damit sie den körperlichen und emotionalen Stress einer Schwangerschaft, die Angst vor der Geburt und die damit verbundenen Schmerzen sowie die lebenslange Reise, die das Elternsein bedeutet, meistern konnten.
Als der Retreat zu Ende war, wandte ich mich an Saki und erzählte ihm von meinem Vorhaben. „Du kannst nur das weitergeben, was du selbst kennst“, lautete seine kluge Antwort, die ich mir zu Herzen nahm. Ich fuhr nach Hause und verdoppelte mein Bemühen, jeden Tag zu meditieren. Ich besuchte weitere Schweigeretreats und Weiterbildungen und wurde Teil einer außergewöhnlichen Gemeinschaft von Menschen, die Achtsamkeit praktizierten und sich das Ziel gesetzt hatten, die heilsamen Wirkungen der Achtsamkeitspraxis dem Gesundheitswesen und der Gesellschaft als Ganzes zugänglich zu machen. Ich fand in Bob Stahl einen Mentor und Freund, der nicht nur meinen Wunsch, Achtsamkeitskurse für werdende Eltern anzubieten, verstand und unterstützte, sondern mir auch die Möglichkeit gab, mehrere Jahre lang MBSR-Kurse im Rahmen eines von ihm begründeten Programms am El Camino Hospital in Mountain View (Kalifornien) durchzuführen.
Obwohl ich nicht genau wusste, wie ein Achtsamkeitskurs für werdende Eltern beschaffen sein sollte, hielt ich an meiner Absicht fest. Als ich Jon gestand, dass ich nicht wusste, was ich da eigentlich tat, ermutigte er mich: „Vertraue einfach auf deine Praxis. Du wirst deinen Weg schon finden.“ Im Jahr 1998 war ich schließlich bereit, aus dem MBSR-Kurs ein Programm für achtsamkeitsbasierte Geburt und Elternschaft zu entwickeln.
Zu dieser Zeit bestanden Geburtsvorbereitungskurse vornehmlich darin, werdenden Eltern in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Information zu vermitteln – ganz im Einklang mit dem hohen Tempo unseres modernen Lebens. Außerdem passte dieser Schwerpunkt sehr gut zu der damals praktizierten Geburtshilfe, die sich mehr und mehr auf die technischen Möglichkeiten der Geburtsmedizin verließ. Deshalb fragte ich mich natürlich, ob ich nicht ein klein wenig verrückt war, wenn ich einen neunwöchigen Geburtsvorbereitungskurs anbot, bei dem es hauptsächlich um die Vermittlung von Lebenskompetenzen ging und in dem werdende Mütter und ihre Partner und Partnerinnen aufgefordert wurden, ihr Tempo zu verlangsamen, stillzusitzen und den Blick nach innen zu richten.
Da ein Achtsamkeitskurs für werdende Eltern etwas vollkommen Neues war, sprach ich lange mit jeder Frau bzw. jedem Paar, bevor diese sich zu meinem Kurs anmeldeten. Ich erklärte ihnen, dass die Bereitschaft, an sechs Tagen der Woche täglich eine halbe Stunde zu meditieren, die Bedingung für ihre Teilnahme sei. Oft sagte ich auch zu ihnen: „Der Kurs ist eine Herausforderung, aber ein Kind ohne eine Achtsamkeitspraxis auf die Welt zu bringen und großzuziehen ist weitaus schwieriger.“
Heute, vierzehn Jahre und achtundsechzig Kurse später, haben über tausend werdende Eltern meine MBCP-Kurse besucht. Und was ich in dieser Zeit erlebt habe, übertrifft alles, was ich mir anfänglich vorgestellt hatte. Schwangere Frauen und ihre Partner berichten mir oft, dass sie der bevorstehenden Geburt und dem Leben mit dem Kind seit dem Kurs mit mehr Zuversicht entgegensähen. Eine Frau erklärte lachend, sie habe nun „weniger Panikattacken und mehr Attacken freudiger Erwartung“. Die Partner der Frauen berichten immer wieder, dass sie sich ihren Partnerinnen stärker verbunden fühlen und besser miteinander kommunizieren. In E-Mails und Telefonanrufen, die ich nach der Geburt erhalte, äußern die frischgebackenen Eltern große Dankbarkeit für ihre durch den Kurs gewonnene Fähigkeit zur Achtsamkeit, die ihnen geholfen habe, das Geburtserlebnis, wie immer es sich entwickelt hatte, anzunehmen.
Bei den Nachtreffen erzählen Frauen, die sich eine Geburt möglichst ohne Medikamente gewünscht hatten, sie hätten durch ihre Achtsamkeitspraxis besser mit den Wehenschmerzen umgehen und sich so dem Geburtsvorgang von Moment zu Moment öffnen können, anstatt dagegen anzukämpfen. Verlief die Geburt nicht wie gehofft, nutzten die Frauen und ihre Partner Achtsamkeitsübungen, um mit der unerwünschten Entwicklung zurechtzukommen und eine kluge Entscheidung zu treffen. Obwohl gelegentlich auch Gefühle wie Enttäuschung und Traurigkeit auftraten, gelang es den werdenden Eltern, diesen Empfindungen mit Mitgefühl und Wohlwollen zu begegnen, wie sie es in ihrer Achtsamkeitspraxis gelernt hatten. Eine Teilnehmerin, deren Kind, anders als erhofft, durch einen Kaiserschnitt zur Welt kam, formulierte das so: „Achtsamkeit schenkt dir nicht das Geburtserlebnis, das du gerne hättest, aber sie schenkt dir eine Möglichkeit, dich in das Geburtserlebnis, das du dann hast, zu verlieben.“
Bei den Kursnachtreffen äußern auch die Partner Frauen oft, wie dankbar sie dafür seien, dass sie durch ihre Achtsamkeitspraxis während der Geburt vollkommen gegenwärtig sein konnten. Und am meisten freue ich mich, wenn Eltern mir erzählen, dass sie ihre Achtsamkeitspraxis über die Geburt hinaus fortsetzen, um das Wunder eines neugeborenen Babys ganz bewusst zu erleben und die Wochenbettphase zu überstehen, wenn unterbrochener Schlaf, unerwartete Schwierigkeiten beim Stillen und der Stress, sich um ein schreiendes Baby zu kümmern, ihren Tribut fordern. Eine frischgebackene Mutter hat dies so auf den Punkt gebracht: „Danke, Nancy. Jetzt können wir nicht nur mit den Geburtswehen, sondern auch mit den Wehen des Lebens umgehen!“
Heute gründen werdende Eltern aus den MBCP-Kursen Online-Communitys (Netzgemeinschaften). Hier kündigen sie die Ankunft ihrer Babys an, teilen ihre Geburtserlebnisse miteinander und stellen einen Ort zur Verfügung, an dem man bei Fragen und Sorgen Hilfe finden kann. Zu meiner großen Freude treffen sich viele Gruppen auch weiterhin, manchmal über viele Jahre, um gemeinsam zu meditieren und sich darüber auszutauschen, wie sie Achtsamkeit bei der Erziehung ihrer Kinder einsetzen können – einer Erziehung, die von Gewahrsein, Freundlichkeit, Weisheit und Mitgefühl geprägt ist, und all das inmitten des Alltagschaos, „der ganzen Katastrophe“[3].
Schwangerschaft und Geburt können uns sehr viel lehren, wenn wir ihre Lektionen aufzunehmen wissen – mit unserem Geist, unserem Körper und unserem Herzen. Dieses Buch ist eine Einladung an Sie, sich den Prozess, den Sie gerade durchleben und der Ihr Leben verändern wird, als eine Gelegenheit zur Selbsterforschung, zu innerem Wachstum und zur Transformation zunutze zu machen. Sie erleben schließlich diejenige Phase Ihres Erwachsenenlebens, die mit den größten Veränderungen verbunden ist, und Ihr Leben und das Ihres Partners wird nie wieder dasselbe sein wie zuvor. Warum also nicht so viel wie möglich aus diesem Prozess lernen?
Ich habe dieses Buch geschrieben, um Ihnen und Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin die Möglichkeit zu geben, ebenso von der Achtsamkeitspraxis zu profitieren wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meiner neunwöchigen MBCP-Kurse. Außerdem soll das Buch als zusätzliche Ressource für diejenigen dienen, die einen Kurs bei einer MBCP-Kursleiterin besuchen. Ob Meditation für Sie etwas ganz Neues ist oder ob Sie sie bereits seit Längerem praktizieren: Vermutlich werden Sie das Buch zunächst einmal ganz lesen wollen, um sich einen Überblick über das Territorium zu verschaffen, das wir erforschen werden. Wenn Sie dann nicht an einem MBCP-Kurs teilnehmen, können Sie und Ihr Partner oder Ihre Partnerin zu Kapitel 21 übergehen und dem Ablauf des MBCP-Kurses Woche für Woche folgen. Hier finden Sie außerdem Antworten auf praktische Fragen zur Meditation – zum Beispiel auf die Frage, wann und wo man praktizieren sollte.
Auch wenn es manchen Menschen leichtfällt, etwas anhand von Büchern zu lernen (mein Mann Kenji hat auf diese Weise im Alter von sechsundzwanzig Jahren schwimmen gelernt), kann es doch hilfreich sein, von einem erfahrenen Meditationslehrer angeleitet zu werden. Obwohl ihre Zahl wächst, gibt es zurzeit kaum mehr als eine Handvoll ausgebildeter MBCP-Lehrerinnen in den USA und in anderen Ländern. (Wenn Sie gerne MBCP-Lehrerin werden möchten, finden Sie im Anhang B einige Informationen.) Wenn Sie keinen MBCP-Kurs in Ihrer Region finden, können Sie und Ihr Partner auch an einem normalen MBSR-Kurs teilnehmen und das dort Gelernte dann durch die Informationen und Übungen in diesem Buch ergänzen. Anhang B enthält Adressen, die Ihnen helfen, einen geeigneten Kurs zu finden.
Eine weitere Möglichkeit ist, andere werdende Eltern ausfindig zu machen, die die Praxis der Achtsamkeit für Schwangerschaft und Geburt erlernen möchten, und Ihren eigenen Geburtsvorbereitungskurs ins Leben zu rufen. Sich gegenseitig zu unterstützen, während Sie jede und jeder für sich diese innere Arbeit leisten, kann Ihren Weg durch Schwangerschaft und Geburt um vieles angenehmer und freudvoller machen. Für Ihre wöchentlichen Meditationsübungen und das Erlernen der Yogasequenz können die Audio-CDs mit den im MBCP-Kurs benutzten geführten Meditationen eine große Hilfe sein (Bezugsquellen finden Sie in Anhang B).
Eine dritte Möglichkeit ist, dieses Buch einfach nur zu lesen, aufzunehmen, was Sie interessant oder nützlich finden, und den Rest nicht weiter zu beachten. Wenn Sie jedoch mehr Achtsamkeit entwickeln und ein weniger stressreiches Leben führen möchten, kommen Sie um den Aufbau einer formalen Meditationspraxis nicht herum. Sie kann durch nichts anderes ersetzt werden. Ohne diese Praxis sind die Informationen in diesem Buch nur das: Informationen. Regelmäßig zu meditieren hat insofern sehr viel mit der Erfahrung gemeinsam, ein Kind auf die Welt zu bringen und großzuziehen: Bücher können Ihnen zwar Wissen darüber vermitteln, aber nur durch eigenes Erleben lernen Sie wirklich.
Wie immer Sie Der achtsame Weg durch Schwangerschaft und Geburt für sich nutzen möchten, ich wünsche mir aufrichtig, dass Sie etwas Wertvolles auf diesen Seiten finden werden, etwas, das Ihnen eine wirkliche Hilfe ist und Sie durch die täglichen Freuden und die unvermeidbaren Herausforderungen der Schwangerschaft und Geburt begleitet.
1 Jon Kabat-Zinn, Coming to Our Senses. New York: Hyperion, 2005; dt.: Zur Besinnung kommen. Freiamt: Arbor, 2005, S. 121.
2 Der Titel des englischen Originals lautet Full Catastrophe Living: Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain, and Illness.
3 Anm. der Übersetzerin: Die Autorin nimmt hier Bezug auf Jon Kabat-Zinns Buch Full Catastrophe Living, das in Deutschland unter dem Titel Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung erschienen ist.
Alles ist unbeständig: Glück, Leid, eine schmackhafte Mahlzeit, ein mächtiges Reich, unsere Gefühle, die Menschen um uns herum, wir selbst. Durch Meditation lernen wir, diese Tatsache – vielleicht die Grundwahrheit der menschlichen Existenz – zu verstehen …
Sharon Salzberg
Auf dem Schild an meiner Eingangstür steht: „Willkommen. Die Tür ist offen. Bitte eintreten.“ Heute findet der erste Abend des MBCP-Kurses statt und mein Wohnzimmer hat sich in einen Kursraum verwandelt: Stühle stehen im Kreis, und meine Kursunterlagen, die Teilnehmerliste und die Lehrmaterialien für den Abend liegen auf einem kleinen Tisch neben meinem Stuhl. Heißes Wasser für Tee steht bereit; Cracker, Käse, Erdnussbutter und Äpfel für unsere Pause sind in der Küche; saubere Handtücher liegen im Badezimmer.
Ich freue mich jedes Mal auf diesen Abend. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich mich mit jeder schwangeren Frau und ihrem Partner oder ihrer Partnerin am Telefon, oft sehr lange, unterhalten. Sie haben mir ein wenig von sich erzählt und wie sie den Kurs entdeckt und warum sie sich angemeldet haben. Ich kenne einige Details ihrer Schwangerschaft – wann der errechnete Geburtstermin ist, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchten (im Krankenhaus, in einem Geburtshaus oder zu Hause) und wer ihr Gynäkologe bzw. ihre Hebamme ist. Ich weiß auch, wie alt sie sind, welchen Beruf sie haben und ob sie sich um ihre Schwangerschaft, die Geburt oder die Gesundheit ihres Kindes Sorgen machen.
Ich wiederum habe ausführlich erklärt, dass dies kein gewöhnlicher Geburtsvorbereitungskurs ist, sondern dass das Erlernen und Praktizieren von Achtsamkeit während der folgenden gemeinsamen neun Wochen im Mittelpunkt stehen wird. Wir werden lernen, wie der Geist die Physiologie des Geburtsprozesses beeinflusst und warum die Fähigkeit, im gegenwärtigen Moment zu sein, eine äußerst wichtige Rolle für den Geburtsverlauf spielen kann. Wir werden lernen, mit den Schmerzen während der Wehen zu arbeiten, denn die meisten Frauen, ob sie sich für Schmerzmittel entscheiden oder nicht, werden einige sehr intensive körperliche Empfindungen erleben, die wir normalerweise als Schmerzen bezeichnen. Wir werden uns außerdem hilfreiche Positionen während der Wehen und der Geburt ansehen, uns damit beschäftigen, wie die Partner ihre Frauen während der Geburt unterstützen können, sowie die Grundlagen des Stillens und Möglichkeiten des Umgangs mit den körperlichen und emotionalen Bedürfnissen der neuen Familie kennenlernen. Die Partner und Partnerinnen werden verstehen, dass es auch für sie wichtig ist, Achtsamkeit zu erlernen, denn auch sie werden eine Geburt erleben und Eltern werden.
Manchmal äußert eine schwangere Frau während unseres Telefongesprächs, dass sie sich eine „natürliche Geburt“ wünsche. In solchen Fällen erkläre ich sanft, dass aus einer Perspektive der Achtsamkeit jede Geburt natürlich ist. Es ist natürlich, dass das Baby im Körper der Mutter heranwächst. Es ist natürlich, dass es auf die Welt kommt, und es ist natürlich, dass andere Menschen bei diesem Vorgang helfen möchten. Wenn eine Frau jedoch ihr Kind möglichst ohne medizinische Eingriffe zur Welt bringen möchte, wird sie in diesem Kurs lernen, was sie dazu braucht – ebenso wie sie lernen wird, mit einer Krankenhausatmosphäre umzugehen, wo es sehr wahrscheinlich Menschen geben wird, die ein bisschen zu viel helfen möchten. Und sie wird lernen, mit ihrem ganz individuellen Geburtsprozess umzugehen, denn wie dieser genau verlaufen wird, kann niemand voraussagen.
Vicki und Matt treffen als Erste ein. Vicki, die vor Leben nur so sprüht, ist klein und hat lockige, dunkle Haare und einen runden Bauch, über dem sich ein blaues Stretchoberteil spannt. Matt wirkt beständig und ruhig, fast als wolle er einen Ausgleich zu Vickys lebhafter Energie schaffen. Ich weiß aus unserem Telefongespräch, dass die beiden frisch verheiratet sind und sich sehr über die Schwangerschaft freuen.
Ich weiß auch, dass dies eine stressige Zeit für beide ist. Kurz nachdem sie herausgefunden hatten, dass Vicky schwanger war, wurde Matt von seiner Firma ganz unerwartet von der Ostküste in die San Francisco Bay Area versetzt. Zurzeit wohnen sie zur Untermiete in einer kleinen Wohnung, in einer neuen Stadt, ohne Freunde oder Familie, und Matt macht viele Überstunden in seiner neuen Position. Vicky, die ihre geliebte Arbeit als Grundschullehrerin aufgegeben hat, vermisst ihre Familie und ganz besonders ihre Mutter, zu der sie immer ein sehr enges Verhältnis hatte. Matts früher nur gelegentlich auftretende Migräneanfälle werden jetzt häufiger. Angesichts dessen, was die beiden um die Ohren haben, bin ich sehr froh, dass sie sich für diesen Kurs angemeldet haben.
Als Nächstes kommen Kristin und ihr Mann Peter. Ich fühle mich Kristin sofort verbunden. Sie arbeitet als Frauenärztin in der Geburtshilfeabteilung des örtlichen Kreiskrankenhauses und hat noch die typische grüne Krankenhauskleidung an, was Erinnerungen an meine eigenen Arbeitstage und -nächte im Krankenhaus wachruft. Sie sieht müde aus. Am Telefon hatte sie mir verraten, dass sie Angst vor der Geburt und den Schmerzen habe, weil sie als Geburtshelferin wisse, was alles schiefgehen könne. „Ich weiß, dass ich etwas gegen meine Ängste unternehmen muss. Ich muss mich emotional vorbereiten – irgendwie lernen, auf gesündere Art und Weise mit dem, was passiert, umzugehen.“
Kristins Ehemann Peter sucht nach Möglichkeiten, wie er seinen Stress in den Griff bekommen kann. Später überrascht er die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kurses durch seine Offenheit: „Ich stehe zurzeit beruflich sehr unter Druck und habe eine wichtige Deadline knapp vor dem errechneten Geburtstermin. Kristin und ich blaffen uns momentan mehr an als früher und sind darüber ziemlich unglücklich. Ich weiß, dass es am Stress liegt, und hoffe, dass dieser Kurs uns hilft, wieder ruhiger zu werden.“
Während ich Peter und Kristin Namensschilder gebe und ihnen zeige, wo das Badezimmer ist, öffnet sich die Eingangstür erneut. Elizabeth ist zierlich und blond und macht einen schüchternen Eindruck. Ihr Mann Doug überragt sie. Sie sind seit neun Jahren verheiratet und hatten eigentlich geplant, viel früher ein Kind zu bekommen. Eine unerwartete Phase der Unfruchtbarkeit hatte ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als ich mich am Telefon mit Elizabeth unterhielt, erzählte sie mir, dass dieses Baby für Doug und sie ein Wunder sei. Obwohl sie ihr Kind am liebsten ohne Medikamente bekommen würde, gestand Elizabeth mir, dass all die Medikamente und medizinischen Eingriffe, die sie über sich habe ergehen lassen müssen, um schwanger zu werden, sie in ihrem Glauben erschüttert hätten, dass ihr Körper fähig sei, ein Kind auf die Welt zu bringen. „Ich würde gern mit dem Glauben in die Geburt gehen, dass mein Körper, obwohl er solche Schwierigkeiten hatte, schwanger zu werden, weiß, wie er ein Kind auf die Welt bringen muss. Ich denke, dass dieser Kurs mir dabei helfen wird.“
Doug freut sich nicht nur aus den üblichen Gründen auf den Kurs, sondern auch, weil sich eine alte Rückenverletzung, die er sich in seiner Highschoolzeit bei einem Footballmatch geholt hatte, wieder gemeldet hat und nun chronische Schmerzen verursacht. „Ich möchte in der Lage sein, mit meinem Kind auf dem Boden herumzukrabbeln und zu spielen“, hatte er mir am Telefon erklärt. „Und ich möchte nicht so viele Schmerzmittel nehmen. Ich habe gehört, dass dieser Kurs eventuell helfen kann, mit den Schmerzen umzugehen.“
Gegen 19:00 Uhr öffnet sich meine Eingangstür häufiger, und ich habe alle Hände voll zu tun, die neu ankommenden Paare zu begrüßen. Monica wurde der MBCP-Kurs von ihrem Frauenarzt empfohlen. Er glaubt, dass die Praxis der Achtsamkeit ihr dabei helfen wird, mit dem emotionalen Auf und Ab ihrer Schwangerschaft zurechtzukommen. „Ich bin ein sehr ängstlicher Mensch“, vertraut sie mir während unseres Gesprächs an, „und meine Schwangerschaft hat mich noch ängstlicher gemacht. Ich würde gerne lernen, ruhiger zu werden.“ Monicas Lebensgefährtin Kathy unterstützt sie darin voll und ganz.
Emily und Hameed haben zurzeit Schwierigkeiten mit der Familie. Nach reiflicher Überlegung haben sie sich für eine Hausgeburt mit einer Hebamme entschieden, was in Emilys Familie für Aufregung gesorgt hat, besonders bei Emilys Vater, der Arzt ist. Emily weiß, dass sie bei einer Hausgeburt keine Medikamente und auch keine Periduralanästhesie bekommen kann, und interessiert sich daher ganz besonders dafür, zu lernen, wie sie mit den Schmerzen während der Geburt umgehen kann.
Ich freue mich sehr, als Cara und Luis eintreffen. Cara ist die Tochter meiner Jugendfreundin Deborah und ich habe sie vor zweiunddreißig Jahren mit meinen eigenen Händen in Empfang genommen. Ich bin überglücklich, dass ich jetzt einem „meiner Babys“ dabei helfen kann, selbst ein Kind auf die Welt zu bringen – und ihre Mutter, meine Freundin, damit zum ersten Mal zur Großmutter zu machen.
Als Nächstes kommen Stephanie und Eric an. Stephanie hatte Anfang des Jahres eine Fehlgeburt mit Komplikationen. Sie befindet sich jetzt in der zweiten Schwangerschaftshälfte, und die Angst, noch ein Baby zu verlieren, ist immer gegenwärtig. Sie gibt zu, dass sie sich Sorgen mache, weil sie mit den Schmerzen während der Fehlgeburt nicht gut habe umgehen können. Eric habe große Schwierigkeiten damit gehabt, sie so leiden zu sehen. „Ich hoffe, dass die Achtsamkeitspraxis uns helfen wird, innere Ruhe zu finden. Wir würden die Schwangerschaft wirklich gerne genießen, aber ich glaube, wir machen uns beide zu viele Gedanken.“
Tomiko und Greg sind die Letzten. Tomiko erwartet ihr zweites Kind und berichtet, dass Greg und sie mit ihren Erfahrungen bei der Geburt ihres Sohnes Kai vor drei Jahren im Krankenhaus sehr unzufrieden gewesen seien: „Es war eine lange und sehr anstrengende Geburt. Am Ende hatte ich wegen all der Medikamente, Schläuche und Maschinen gar nicht mehr das Gefühl, überhaupt daran beteiligt zu sein. Diesmal würden wir es gerne anders machen. Und wenn wir noch einige Tipps bekämen, wie uns Achtsamkeit bei der Erziehung eines energiegeladenen Dreijährigen helfen kann, wäre das auch nicht schlecht.“
Ich stehe am Eingang zum Wohnzimmer und beobachte, wie alle ihren Platz finden. Dann nehme ich selbst im Kreis Platz. Im Zimmer kehrt Ruhe ein.
„Hallo und herzlich willkommen! Ich freue mich sehr, dass ihr alle heute hier seid, und bedanke mich für euer Kommen.“
Nach einer kurzen Erklärung, wie ich dazu gekommen bin, diese Art von Kurs anzubieten, fahre ich fort.
„Als ich mit jeder und jedem von euch telefoniert habe, haben wir über eure Selbstverpflichtung zu regelmäßiger Meditationspraxis gesprochen. Ich weiß, wie viel ihr zu tun habt, und es kann wirklich schwierig sein, sich zu einer formalen Meditationspraxis zu verpflichten – keine Frage. Daher möchte ich gerne die Tatsache würdigen, dass ihr euch zu einer solchen Selbstverpflichtung entschieden habt. Die gute Nachricht ist, dass wir uns dieser Herausforderung gemeinsam stellen werden und uns so gegenseitig unterstützen können. Aber letztendlich ist jeder von uns für seine eigene Praxis verantwortlich. Ich kann eure ‚Achtsamkeits-Hebamme‘ sein – ich kann euch anleiten, euch unterstützen und an euch glauben, euch Mut machen und euch sogar lieben –, aber ich kann nicht für euch meditieren. Und ich kann auch nicht euer Baby für euch bekommen. Das ist eure Aufgabe. Was ich tun kann, ist, sicherzustellen, dass ihr so viel aus unserer gemeinsamen Zeit mitnehmt, wie ihr in sie hineinsteckt. Und vergesst nicht, dass ihr Fähigkeiten erlernen werdet, die euch für den Rest eures Lebens zur Verfügung stehen.“
Wir haben uns in der Einleitung bereits kurz mit dem Thema Achtsamkeit beschäftigt. Werfen wir jetzt einen genaueren Blick darauf. Was genau ist Achtsamkeit, und warum sollten Sie sich während Ihrer Schwangerschaft die Zeit nehmen, diese Fähigkeit zu erlernen? Achtsamkeit ist, wie wir erfahren haben, das Gewahrsein, das entsteht, wenn man seine Aufmerksamkeit bewusst und ohne zu urteilen dem zuwendet, was in diesem Moment ist. Man kann Achtsamkeit durch Meditationsübungen kultivieren, die in Asien entstanden sind und dort seit ungefähr 2500 Jahren praktiziert werden. Obwohl die Übungen, die Sie lernen werden, ihre Wurzeln in der buddhistischen Tradition haben, ist Achtsamkeit eine universelle Fähigkeit des menschlichen Geistes und kann unabhängig von bestimmten religiösen, spirituellen oder kulturellen Traditionen erlernt werden. Sie müssen nicht Buddhist oder Buddhistin werden, um die Vorteile der Achtsamkeitsmeditation genießen zu können. Das Einzige, was Sie tun müssen, um mehr Achtsamkeit zu entwickeln, ist, Achtsamkeit zu praktizieren. So einfach ist das – auch wenn es nicht immer leicht ist.
Um besser zu verstehen, was Achtsamkeit ist, können wir sie mit Achtlosigkeit vergleichen. Wenn wir achtlos sind, handeln wir oft automatisch und gehen wie Schlafwandler durchs Leben. Haben Sie schon einmal eine Autobahnausfahrt verpasst oder sind von einem Zimmer in ein anderes gegangen und wussten dann nicht mehr, was Sie dort eigentlich wollten? Das sind Beispiele für den „Autopilot-Modus“, dafür, nicht in der Erfahrung gegenwärtig zu sein.
Wenn Sie anfangen, die Dinge wirklich bewusst wahrzunehmen, werden Sie sehr schnell entdecken, dass Ihr Geist die meiste Zeit über mit Gedanken an die Vergangenheit oder die Zukunft beschäftigt ist. Sie erinnern sich vielleicht an etwas, das Ihr Partner letzte Woche getan hat, oder an ein Familienereignis, das vor Jahren stattgefunden hat, oder Sie schmieden Pläne für die Zukunft oder malen sich aus, was passieren könnte. Wenn wir uns in solchen Gedanken verlieren, erleben wir den gegenwärtigen Moment nicht vollständig. Das heißt nicht, dass dies nicht in Ordnung wäre. Natürlich denken Sie jetzt, da ein Baby unterwegs ist, oft an die Zukunft. Es ist aber so, dass Ihr Leben jetzt, im gegenwärtigen Moment, stattfindet. Nur in diesem Moment können Sie lernen, wachsen und vollkommen lebendig sein. Wenn Sie ständig Pläne für die Zukunft machen oder die Vergangenheit wiederaufwärmen, entgeht Ihnen dieser Moment Ihres Lebens. Und dieser Moment ist der einzige Moment, den Sie je wirklich haben.
Vollkommen präsent zu sein ist eine Fähigkeit, die man, wie jede andere Fähigkeit auch, durch Übung erwirbt. Manchmal ist es nicht einfach, im gegenwärtigen Augenblick zu sein, zum Beispiel dann, wenn Sie gerade ein Kind zur Welt bringen. Und aus diesem Grund meditieren wir: damit wir lernen, gegenwärtig zu sein – jetzt, in dieser Situation, so, wie sie ist, egal, wie sie ist, und auch dann, wenn sie schwierig ist. Wir entdecken, dass unser Leben reicher und interessanter wird und ganz sicher weniger Stress erzeugt, wenn wir mehr Zeit im Jetzt verbringen. Schwanger zu sein und ein Kind zu gebären sind Von-Moment-zu-Moment-Erfahrungen. Babys und Kinder leben zweifellos im Jetzt, und das Jetzt ist genau der Moment, in dem Kindererziehung stattfindet. Deshalb kann es sehr sinnvoll sein, zu lernen und zu üben, im Jetzt gegenwärtig zu sein.
Diejenigen, die andere in dieser Art des Geistestrainings unterrichten, vergleichen das Praktizieren von Achtsamkeit manchmal mit dem Weben eines Fallschirms. Wir fangen damit nicht erst kurz vor dem Sprung aus dem Flugzeug an, sondern arbeiten jeden Tag daran, damit der Fallschirm uns dann, wenn es Zeit zu springen ist, auch sicher trägt. Die Geburtserfahrung hat viel mit dem Sprung aus einem Flugzeug gemeinsam. Indem wir jetzt, während der Schwangerschaft, Achtsamkeit praktizieren, erlernen wir Fähigkeiten, mit deren Hilfe wir während des Sprungs Momente der Freude und vielleicht sogar eine sanfte Landung erleben.
Die Vorteile der Achtsamkeitsmeditation
Meditieren zu lernen ist mehr als einfach nur eine gute Idee. Die Forschung hat wiederholt nachgewiesen, dass eine regelmäßige Meditationspraxis enorme Vorteile für unser körperliches und geistiges Wohlergehen hat.
So haben zahlreiche psychologische Studien gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig meditieren, glücklicher und zufriedener sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Diese Ergebnisse haben auch eine große medizinische Bedeutung, weil zwischen positiven Gefühlen und einem längeren und gesünderen Leben ein Zusammenhang besteht.
Angstzustände, Depressionen und Reizbarkeit nehmen bei regelmäßiger Meditation ab. Die Gedächtnisleistung verbessert sich, die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt zu, und die geistige und körperliche Ausdauer steigert sich.Menschen, die regelmäßig meditieren, haben bessere und erfülltere Beziehungen.Weltweite Studien haben gezeigt, dass Meditation die Hauptindikatoren für chronischen Stress, einschließlich Bluthochdruck, reduziert.Meditation mindert wirksam die Auswirkungen von schweren Erkrankungen wie chronischen Schmerzen und Krebs. Sie kann sogar bei Drogen- und Alkoholabhängigkeit helfen.Neuere Studien haben außerdem gezeigt, dass Meditation das Immunsystem stärkt und so hilft, Erkältungen, Grippe und andere Erkrankungen abzuwehren.[4]In der Gruppe, die sich in meinem Haus zusammengefunden hat, beginnt ein Gespräch über all die Veränderungen, die mit der Schwangerschaft Einzug in das Leben dieser Paare gehalten haben. Vicki meldet sich als Erste zu Wort und erzählt uns, wie erstaunt sie über die vielen Veränderungen in ihrem Körper sei. Sie sei immer stolz auf ihre sehr schlanke Figur gewesen und habe jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben einen BH kaufen müssen. „Ich habe jetzt tatsächlich Brüste!“, teilt sie uns mit, und freundliches Gelächter füllt den Raum. Andere beschreiben, auf welche Weise ihr Körper ihnen zu verstehen gibt, dass sie es langsamer angehen lassen sollten. Sie erzählen von dem Wunder, die Bewegungen des Babys in ihrem Bauch zu spüren, und stellen fest, dass sie den Wunsch haben, mehr Zeit zu Hause zu verbringen, anstatt ständig unterwegs zu sein. Mit dem Moment der Empfängnis ist ein tiefgreifender biologischer Prozess in Gang gesetzt worden. Natürlich verändert sich unser Körper ständig, aber weil dieser Prozess während der Schwangerschaft so schnell und so dramatisch abläuft, haben wir hier die besondere Gelegenheit, uns solche Veränderungen genau anzusehen. Während der Schwangerschaft ist, im wahrsten Sinne des Wortes, alles im Fluss, und wenn Ihr Blutvolumen ansteigt und in Ihrer Gebärmutter ein Meer aus Fruchtwasser entsteht, können Emotionen Sie regelrecht überfluten. Vielleicht kommen Ihnen überraschend – und häufiger als sonst – die Tränen. Sie hören eine traurige Geschichte in den Abendnachrichten oder sehen eine rührselige Werbung im Fernsehen, und schon fließen die Tränen, weil die tiefgreifenden hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft die Oberhand gewinnen.
Jessica lehnt sich auf ihrem Stuhl nach vorne und sagt lachend: „Ich esse jetzt ganz andere Dinge als vorher. Was mir früher geschmeckt hat, mag ich jetzt nicht mehr. Stattdessen habe ich Heißhunger auf Sachen, die ich vorher nie gegessen hätte.“ Hameed beschreibt sein neu entstandenes Bedürfnis, Emily zu beschützen, und sagt, dass er sich jetzt viel mit seinem Vater darüber unterhalte, wie es ist, Vater zu sein.
Eine Schwangerschaft bringt außerdem neue und zeitintensive Aufgaben mit sich. Neben all dem, was Sie zu erledigen haben, müssen Sie sich jetzt mit Vorsorge- und Blutuntersuchungen beschäftigen und eine Grundausstattung für das Baby, einen Kinderwagen und einen Autokindersitz aussuchen und kaufen. Bücher zum Thema Schwangerschaft und Kindererziehung sammeln sich auf Ihrem Nachttisch, obwohl Sie kaum Zeit haben, sie auch zu lesen. Regelmäßige Bewegung kann, wenn sie nicht bereits ein Teil Ihres Lebens ist, nicht mehr länger aufgeschoben werden.
Und dann sind da noch die Veränderungen in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus. Wo wird der Wickeltisch stehen, und wo werden Sie die Windeln und Babysachen und all das Spielzeug aufbewahren, das Sie schon jetzt von Freunden und aufgeregten Großeltern bekommen? Plötzlich muss der Raum, den Sie als Arbeits- oder Gästezimmer benutzt haben, in ein Kinderzimmer verwandelt und deshalb natürlich auch gestrichen werden, also recherchieren Sie im Internet, ob Farbdämpfe während der Schwangerschaft schädlich sind. Oder Sie fragen sich womöglich, ob Sie überhaupt genug Platz haben. Vielleicht ist es Zeit für einen Umzug oder einen Umbau.
Auch wenn der Grund für all diese großen Veränderungen ein höchst freudiges bevorstehendes Ereignis ist, kann die Tatsache, dass sie alle auf einmal stattfinden, Stress erzeugen. Und dieser Stress kann durch den Zeitfaktor noch verschlimmert werden: Der Satz „bevor das Baby kommt“ erinnert Sie laufend daran, dass Sie jetzt wirklich unter großem Zeitdruck stehen.
Die verschiedensten Fragen kämpfen in Ihrem Kopf um Ihre Aufmerksamkeit. Wo und wie möchten Sie jetzt wohnen? In der Nähe Ihrer Eltern und Familie? Wenn ja, wessen Familie? Welche Wünsche hat Ihr Partner oder Ihre Partnerin? Was für ein Zuhause möchten Sie sich gemeinsam aufbauen? In welchem Umfeld soll Ihr Kind aufwachsen?
Und wie sieht es finanziell aus? Sie und Ihr Partner sind vielleicht an zwei Einkommen gewöhnt oder sogar darauf angewiesen und müssen jetzt darüber nachdenken, wie es sein wird, wenn einer von Ihnen seine Arbeit aufgibt, um sich um Ihr Baby zu kümmern, oder welche zusätzlichen Kosten für eine Kinderbetreuung auf Sie zukämen.
Viel Stress? Das kann man wohl sagen!
Auch berufliche Aspekte und Probleme nehmen Raum ein. Der Druck, ein Projekt, eine Aus- oder Weiterbildung oder Prüfungen zu einem Abschluss zu bringen oder eine Vertretung für die bevorstehende Elternzeit einzuarbeiten, ist groß. Bei diesem Thema meldet sich Kristin zu Wort. „Ich liebe meine Arbeit im Krankenhaus“, erzählt sie uns. „Ich habe vor, ungefähr vier Monate Elternzeit zu nehmen, kann mir aber nicht vorstellen, wie das mit dem Stillen klappen soll, wenn ich wieder arbeite. Was ist, wenn genau dann, wenn ich Milch abpumpe, eine andere Frau ihr Kind zur Welt bringt?“
Wenn wir schwanger sind, denken wir außerdem häufiger darüber nach, wie unsere Eltern uns erzogen haben und in welcher Familie wir groß geworden sind. Als ich erwähne, dass sich durch die Praxis der Achtsamkeit familiäre Muster zwischen den Generationen verändern können, richtet sich Emily, die bis zu diesem Zeitpunkt nichts gesagt hat, auf, fährt sich mit der Hand durch das dunkle Haar und sagt mit klarer Stimme: „Deshalb bin ich hier. Ich habe keine Angst vor der Geburt selbst, aber ein Teil von mir fürchtet sich ziemlich davor, Mutter zu werden. Ich möchte auf keinen Fall so werden wie meine Mutter. Ich glaube, dass mir Achtsamkeit dabei helfen kann.“
Manchmal äußern sowohl die Frauen als auch ihre Partner Angst vor den Veränderungen, die die Geburt des Babys für ihre Beziehung bedeuten könnte. Doug bringt seine Sorge zum Ausdruck: „Wir haben uns so daran gewöhnt, selbst zu entscheiden, wie wir unsere Zeit verbringen. Das wird dann nicht mehr der Fall sein.“
Ihre Beziehung zu Ihrem Partner mag auf dem Konzept von Fairness und Gleichberechtigung beruhen: Sie teilen sich das Kochen und die Hausarbeit und haben vielleicht sogar ein vergleichbar hohes Einkommen. Aber jetzt gibt es eine neue Wirklichkeit: Eine von Ihnen wird jetzt Schwierigkeiten haben, sich die Schuhe zuzubinden, weil ein Baby in ihrem Körper heranwächst. In den meisten Fällen liegt die Hauptverantwortung für das Baby, zumindest am Anfang, bei der Mutter. Das Geldverdienen ist, zumindest zeitweise, Aufgabe des Partners. Das führt – oft zur Überraschung, manchmal auch zum Entsetzen beider Partner – häufig zu einer eher traditionellen Rollenverteilung. Die Praxis der Achtsamkeit hilft uns dabei, uns an die neue Wirklichkeit, die zur Gründung einer Familie dazugehört, anzupassen. Sie kann uns auch dabei unterstützen, gegenwärtig zu sein, aufmerksam zuzuhören und die Bedürfnisse des anderen klarer zu erkennen, während wir dabei sind, eine gemeinsame Basis zu finden.
Vielleicht haben Sie festgestellt, dass sich mit Ihrer Schwangerschaft auch Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern, Geschwistern und Schwiegereltern verändert hat. Plötzlich rufen Ihre Eltern häufiger an und erkundigen sich nach Ihrer Gesundheit und der Ihres Babys. Sie bringen nicht nur Ihr Kind auf die Welt, sondern vielleicht auch ein Enkelkind, eine Nichte, einen Neffen, einen Cousin, eine Cousine oder ein Geschwisterchen. Eine Schwangerschaft kann eine Familie, deren Mitglieder gute Beziehungen zueinander haben, fester zusammenschweißen oder aber alte, ungelöste Konflikte ans Tageslicht bringen. Glücklicherweise kann die Geburt eines Kindes eine Gelegenheit zum Wachsen, zur Wandlung und sogar zur Heilung problematischer Beziehungen sein. Mit der Ankunft dieses neuen Wesens verändert sich die Welt aller Familienmitglieder.
Mit der Verlagerung Ihrer Interessen ändern sich wahrscheinlich auch Ihre Beziehungen zu Ihren Freunden. Stephanie vergleicht dies mit einer Weggabelung: „Wir sind die Ersten in unserem Freundeskreis, die ein Baby bekommen. Unsere Freunde können nicht nachvollziehen, warum Eric und ich uns nicht mehr spätabends auf ein Bier treffen oder ins Kino gehen wollen. Es ist so, als ob sie ein ganz anderes Leben führten, ein Leben, an dem wir immer weniger Interesse haben.“
Die Schwangerschaft selbst kann zusätzlichen Stress verursachen. Auch wenn die meisten Schwangerschaften normal verlaufen, können sich manchmal medizinische Probleme ergeben, die dazu führen, dass Sie sich Sorgen um Ihre eigene Gesundheit oder die Ihres Babys machen. Ein unerwartetes Untersuchungsergebnis kann Ihnen schlaflose Nächte bereiten. Vorzeitige Wehen oder eine Schmierblutung können der Anlass dafür sein, dass sich Ihr Leben sofort und drastisch ändert. Plötzlich sind Sie gezwungen, Ihr Lebenstempo zu reduzieren oder früher als erwartet Ihre Arbeit aufzugeben. Selbst wenn Ihre Schwangerschaft normal, gesund und unauffällig verläuft, können typische Schwangerschaftsbeschwerden wie Sodbrennen, Wadenkrämpfe, geschwollene Beine oder Füße Ihren Alltag anstrengend machen.
Außerdem wird Ihnen immer deutlicher bewusst, dass die körperlichen und emotionalen Herausforderungen einer Geburt vor der Tür stehen. Ich erinnere mich immer noch an den Moment vor über vierzig Jahren – ich war ungefähr in der 30. Schwangerschaftswoche –, als es mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. „Moment mal“, dachte ich. „Damit dieses Baby auf die Welt kommen kann, muss es zuerst hier herauskommen!“ Ja, es gibt nur einen Weg, der nach draußen führt. Und natürlich kann der Geburtsvorgang selbst, wie bemerkenswert und erfreulich er auch sein mag, mit sehr viel Stress verbunden sein.
Achtsam zu sein, das heißt, sich der gegenwärtigen Situation in jedem Augenblick bewusst zu sein, während dieser transformierende Lebensprozess vonstattengeht, ist das beste Werkzeug, das ich kenne, um all diesen ganz normalen und zugleich außerordentlichen Veränderungen in der Schwangerschaft mit mehr Gleichmut zu begegnen und Sorgen und Unruhe im Hinblick auf die Geburt und das Leben mit dem Kind zu besänftigen. Während Sie Ihre Fähigkeit, achtsam zu sein, ausweiten, entdecken Sie vielleicht einen Weg, um Veränderungen besser zu verkraften, das Wunder noch mehr zu genießen, das in diesem Moment in Ihrem Körper geschieht, und die Freude über das neue Leben, das Sie in diese Welt bringen, zu fördern.
Unser Gespräch über Veränderungen, Stress, Schwangerschaft, Geburt und die Vorteile der Achtsamkeitspraxis hat über eine Stunde gedauert. Die Gesichter, in die ich schaue, sind jetzt offener, die Körper entspannter. Sich selbst in den anderen wiederzuerkennen war für diese Gruppe von Fremden der Beginn einer Transformation zu einem Ganzen, einer Gruppe miteinander verbundener Menschen, die durch ihre Schwangerschaft und ihre Entscheidung, Achtsamkeit zu lernen und zu praktizieren, zusammengefunden haben, um gemeinsam den Prozess des Elternwerdens zu meistern.
Und so fangen wir an.
4 Mit freundlicher Genehmigung von Mark Williams und Danny Penman, Mindfulness: An Eight-Week Plan for Finding Peace in a Frantic World, New York: Rodale, 2011 [dt.: Meditation im Alltag: Gelassenheit finden in einer hektischen Welt. München: Arkana, 2011], S. 6. Die wichtigsten Nachweise finden Sie auf S. 253–255.
Wir müssen mit unserem warmen Herzen lernen, nicht nur mit unserem Gehirn.
Shunryu Suzuki
Heute findet der zweite Abend des MBCP-Kurses statt und wir werden mehr voneinander erfahren und uns intensiver mit der Praxis der Achtsamkeit befassen. Als alle ihren Platz eingenommen haben, beginne ich: „Ich möchte euch einladen, mit mir an einer kleinen, geführten Betrachtung teilzunehmen.
Lass deine Augen zugehen, wenn du dich dabei wohlfühlst, und spüre die Empfindungen, die durch den Atem entstehen. Stell dir jetzt vor, dass du an einem Brunnen stehst. Vielleicht hast du diesen Brunnen schon einmal gesehen oder du stellst dir diesen Brunnen erst jetzt in diesem Moment vor. Achte auf die Landschaft um diesen Brunnen herum, auf das Wetter, die Lufttemperatur. Schau auf den Boden neben deinen Füßen und nimm einen Stein in die Hand. Nimm das Gewicht des Steins wahr, seine Beschaffenheit auf der Haut deiner Handfläche. Halte jetzt den Stein über die Öffnung des Brunnens und lass ihn zu einer Frage werden. Und diese Frage lautet: ‚Warum bin ich hier?‘„ Ich halte einen Augenblick inne, um die Frage wirken zu lassen.
„Lass den Stein jetzt in den Brunnen fallen, und nimm wahr, ob eine Antwort auftaucht, wenn der Stein mit einem Spritzer im Wasser landet. Und dann warte einfach. Warte darauf, dass der Stein tiefer sinkt. Schau, ob eine weitere Antwort aufsteigt, vielleicht aus einer tieferen Schicht. Stell dir vor, wie der Stein langsam auf den Grund des Brunnens sinkt und dort liegenbleibt. Lass eine Antwort aufsteigen, wenn da eine Antwort ist, die aufsteigen will. Es gibt keine richtige Antwort. Und selbst wenn es keine Antwort gibt, ist dies auch eine Art von Antwort.“
Es ist still im Raum. Nach einer gewissen Zeit schlage ich meine Zimbeln an und alle öffnen wieder die Augen. Danach tauschen wir uns aus und verstehen jetzt viel besser, wer jeder von uns ist und warum wir in diesem Moment in diesem Raum sitzen. Weil wir uns gegenseitig in einem größeren Kontext gesehen haben, können wir jetzt das Gleiche mit unserer Achtsamkeitspraxis tun.
Das Kultivieren bestimmter Geisteshaltungen gehört zum Achtsamkeitstraining und trägt dazu bei, dass Sie aus Ihrer Meditationspraxis größtmöglichen Gewinn ziehen und Anknüpfungspunkte haben, auf die Sie zurückkommen können, wenn Sie Fragen haben oder auf Hindernisse stoßen. Solche Geisteshaltungen sind der Anfängergeist, eine nichtwertende Haltung, Geduld, eine Haltung des Nichtstrebens, Vertrauen, Anerkennen, Seinlassen und Freundlichkeit. Diese Einstellungen bauen aufeinander auf. Mit einer bestimmten Haltung zu arbeiten bedeutet daher, alle anderen Haltungen ebenfalls zu fördern. Stellen Sie sich die Praxis der Achtsamkeit wie das Anlegen und Pflegen eines Gartens vor, der dann gedeiht, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: ein fruchtbarer Boden, viel Sonne und genug Wasser. Wenn Sie sich diese acht Haltungen ins Gedächtnis rufen, über sie nachdenken und sie kultivieren, dann werden Sie Ihre Praxis nähren, fördern und stärken. Und Sie werden Ihre Fähigkeit festigen, in jedem Augenblick Ihres Lebens wach und bewusst zu sein.
Die meiste Zeit über betrachten wir das Leben durch die Linse vorgefasster Meinungen, die auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, abstrakten Konzepten oder Erwartungen an die Zukunft beruhen. Im Gegensatz dazu hilft uns der Anfängergeist, jedem Augenblick, den wir erleben, mit einer frischen, vorurteilsfreien und offenen Perspektive zu begegnen. Seinen Anfängergeist zu pflegen heißt, jeden Moment so zu erleben, wie er in Wirklichkeit ist: neu, einzigartig und unbeständig – etwas, das nie wieder so erlebt werden wird.
Mit einem Anfängergeist bringen wir allem, was wir jetzt, in diesem Moment, erleben, Neugier entgegen und kultivieren auf diese Weise einen Geist, der nicht so viele angstvolle Gedanken an die Zukunft oder Bedauern über die Vergangenheit enthält. Wenn Sie Ihren Anfängergeist während der Schwangerschaft stärken, wird es Ihnen leichter fallen, diese Haltung der Neugier auch während der Geburt aufrechtzuerhalten. Wenn Sie erlebt haben, dass kein Atemzug wie der andere und keine Meditationserfahrung wie die andere ist, werden Sie auch verstehen, dass keine Geburtswehe wie die andere und jede Geburtserfahrung einzigartig ist. Wenn Sie Ihre vorgefassten Meinungen über die Geburt – Ihre eigenen Vorstellungen oder die anderer Menschen – loslassen, werden Sie frei sein, für sich selbst zu entdecken, was es bedeutet, ein Kind auf die Welt zu bringen.
Auch wenn bestimmte Aspekte der Geburt für alle Frauen die gleichen sind, wird Ihr Geburtserlebnis Ihre ganz eigene Erfahrung sein – es wird anders sein als das Geburtserlebnis Ihrer Mutter, Ihrer Schwester oder Ihrer Freundin. Es wird anders sein als ein früheres Geburtserlebnis oder frühere Geburtserlebnisse, wenn Sie schon einmal oder mehrmals Mutter geworden sind. Es wird anders sein als das, was Sie in Büchern, im Fernsehen oder in Videos gelesen, gehört und gesehen haben. Die Geburt wird für Sie so einzigartig sein, wie Sie es in diesem Moment sind, und Ihren Anfängergeist durch Meditation zu kultivieren kann Ihnen dabei helfen, dies wirklich zu verstehen.
Der Anfängergeist hat einen nahen Verwandten, den „Weiß-nicht“-Geist. Wenn wir schwanger sind, treffen wir oft auf etwas Unerwartetes – das kann ein Blutwert sein, der auf einen Eisenmangel (Anämie) oder vielleicht auch auf etwas Ernsteres hindeutet, oder die Feststellung, dass das Baby sich in Beckenendlage befindet (mit den Füßen oder dem Po voran), was einen vor die Frage stellt, wie das Baby nun geboren werden wird. Während der Geburt sind Überraschungen unvermeidlich: etwa die Überraschung, dass die Fruchtblase in diesem Augenblick springt, dass Sie in diesem Augenblick Pressdrang haben, dass es sich so anfühlt, wenn Ihr Baby aus Ihrem Körper herausgleitet. Wenn Sie den gegenwärtigen Moment mit einem „Weiß-nicht“-Geist erleben und verstehen, dass dieser Moment der einzige Moment ist, den Sie wirklich kennen, dann fallen all Ihre Erwartungen, Vorstellungen und Phantasien über die Zukunft von Ihnen ab und Sie erleben den gegenwärtigen Moment mit einem Geist, der offen ist für das, was ist. Der „Weiß-nicht“-Geist, ein Zustand, in dem wir uns unserer Hoffnungen und Erwartungen bewusst werden können, ohne krampfhaft an ihnen festzuhalten, unterstützt uns beim Aufbau einer mentalen Belastbarkeit, die uns während der Geburt und auch sonst in unserem Leben sehr zugutekommt.
Diese Tatsache der Ungewissheit zu akzeptieren, sich bewusst zu werden, dass man nicht weiß, was der nächste Augenblick bringen wird, kann, zumindest am Anfang, beängstigend sein. Amy gab schon in einer der ersten Sitzungen zu, dass es ihr überhaupt nicht gefiel, nicht zu wissen, was passieren würde. Sie beschrieb sich selbst als einen „Kontrollfreak“ und erzählte der Gruppe, dass sie mit Hilfe vieler Listen und Pläne versuche, ihre Ängste angesichts einer ungewissen Zukunft in den Griff zu bekommen.
Eines Abends sagte sie: „Heute bekam ich während der Meditation auf einmal Angst.“ Als ich sie fragte, an was sie gedacht habe, unmittelbar bevor sie diese Angst bemerkt habe, antwortete sie: „Ich habe mich gefragt, wie lange das wohl noch dauern wird. Dann tauchte der Satz ‚Weiß nicht‘ in meinem Kopf auf und ich bin zum Atem zurückgekehrt. Dann fing mein Geist wieder an, sich besorgt zu fragen, wie lange die Meditation wohl noch dauern würde. Und wieder habe ich gedacht: ‚Weiß nicht‘, und bin zum Atem zurückgekehrt. Und das habe ich die ganze Meditation über gemacht. Und es hat funktioniert. Die Angst war zwar noch da, aber ich fühlte mich nicht mehr so in ihr gefangen. Es war faszinierend, zu beobachten, wie mein Geist mir Angst machte, und zu wissen, dass ich eine Möglichkeit hatte, das zu unterbrechen. Mir ist jetzt klar, wie nützlich das während der Geburt sein kann.“
Ein Anfängergeist und ein „Weiß-nicht“-Geist können besonders dann sehr nützlich sein, wenn Sie bereits ein Kind geboren haben, vor allem, wenn diese Erfahrung schwierig oder nicht so war, wie Sie es sich erhofft hatten. Es mag offensichtlich sein, kann aber trotzdem nicht oft genug wiederholt werden: Es ist vollkommen unmöglich, dieselbe Geburtserfahrung zweimal zu machen. Indem wir unseren Geist trainieren, immer wieder zum gegenwärtigen Moment zurückzukehren, wenn er sich in Erinnerungen verfangen hat, können wir den Anfängergeist nutzen, um uns von unserer Angst zu befreien, dass wir eine in der Vergangenheit aufgetretene Schwierigkeit während dieser Geburt noch einmal erleben werden. Das ist nicht leicht und erfordert zweifelsohne Übung, aber es ist möglich.
Kimberly und Tyrone hatten sich für die Geburt ihres ersten Kindes möglichst wenig medizinische Eingriffe gewünscht. Ein unerwarteter Abfall der Herzfrequenz des Babys, kurz nachdem die Fruchtblase gesprungen war, sorgte jedoch für ein ganz anderes Szenario. Man versuchte es schnell mit verschiedenen Maßnahmen, die jedoch alle erfolglos blieben. Kimberly wurde sofort in den Operationssaal gebracht, wo ihr Sohn Ryan per Notfall-Kaiserschnitt geholt wurde. Obwohl sowohl mit Ryan als auch mit ihr nach der Geburt körperlich alles in Ordnung war, hatte sich Kimberly emotional nie ganz von der Angst, die sie während der Geburt erlebt hatte, erholt.
Als sie wieder schwanger wurde, suchte Kimberley sich einen Arzt und ein Krankenhaus, die ihren Wunsch, ihr zweites Kind nach dem vorausgegangenen Kaiserschnitt vaginal zu gebären, unterstützten. Obwohl ihr Arzt ihr erklärte, es sei sehr unwahrscheinlich, dass sich das, was sich während der ersten Geburt abgespielt habe, wiederholen würde, dachte Kimberly oft an die beängstigenden Erlebnisse bei Ryans Geburt. Als sie sich für den MBCP-Kurs anmeldete, sagte sie mir, sie sei auf der Suche nach etwas, das ihr helfen könne, mit ihrer Angst zurechtzukommen. „Ich hatte vor Ryans Geburt keine Angst. Die Angst kam erst, als sie mich schnell in den OP brachten. Jetzt habe ich Angst, dass so etwas noch einmal passieren wird. Ich weiß, dass ich an meinen Emotionen arbeiten muss, um mich auf diese Geburt vorzubereiten, und glaube, dass die Praxis der Achtsamkeit mir dabei helfen kann.“ Tyrone, der während Ryans Geburt auch sehr viel Angst gehabt hatte, pflichtete ihr bei.
Als Kimberly und Tyrone lernten, öfter und länger im gegenwärtigen Moment zu sein, berichteten beide, dass ihre Angst viel geringer geworden sei. „Ich weiß nicht, ob ich es erklären kann“, erzählte uns Kimberly eines Abends, „aber ich bin mehr mit mir im Reinen, was diese Geburt und alles andere betrifft.“ Beim Nachtreffen sagte Kimberly: „Erinnert ihr euch noch daran, wie viel Angst ich hatte? Meine Fruchtblase ist so ziemlich zum gleichen Zeitpunkt gesprungen wie bei Ryans Geburt, und ich spürte, wie die Angst langsam in mir hochstieg. Also sagte ich zu der Krankenschwester[5]