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Paracelsus (1493–1541) gehört zu den wirkungsvollsten Gestalten der Medizin. Sein Werk bildet den Markstein zwischen Mittelalter und Neuzeit, er ist ein Grenzgänger zwischen Magie und Wissenschaft. »Das Buch Paragranum« (entstanden um 1530) ist die Grundlegung einer neuen Heilkunst, die auf vier Säulen beruhen soll: Kenntnis der Natur – Astronomie – Alchemie – neues Ethos des Arztberufs. Der Mensch ist kein autonomes System, sondern Kind des Makrokosmos, seine Wiederholung im Kleinen. Man soll die Schöpfung lesen, nicht die Folianten der herkömmlichen Schulmedizin. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 178
Paracelsus
Der andere Arzt
Das Buch Paragranum
Eingeleitet und übertragen von Gunhild Pörksen
FISCHER E-Books
fischer alternativ
Programmschwerpunkt: perspektiven
Eine Reihe des Fischer Taschenbuch Verlags
Herausgegeben von Rudolf Brun
Was soll man von einem Arzt halten, der mit wahren Schimpforgien über seine Kollegen an den Hochschulen und in allen Heilberufen herfällt, der sie mit Ausdrücken wie Hundemetzger, Lügner, Bescheißer, Hornochsen, Mörder belegt – um nur einige zu nennen – der die Schriften aller medizinischen und naturkundlichen Autoritäten seiner Zeit und der vergangenen 1500 Jahre als unwahr, als tote Buchstaben, als Schlangengezücht brandmarkt, um dann zu beteuern, der Weg, den er aufzeige, sei der einzig wahre, sei der grundlegende, der von Gott und der Natur vorgesehene, um ein rechter Arzt zu werden? Solch ein Mensch ist entweder verrückt und gemeingefährlich – oder genial …
Die Zeitgenossen des Paracelsus haben lauthals für die erste Version plädiert, mit einigen typischen Varianten. Sie nennen ihn z.B. den Lutherus medicorum. »Darumb, ir verhoffent, Luther werd verbrennt und Theophrastus sol auch verbrennt werden …« Man hat ihm also den Ketzertod auf dem Scheiterhaufen angeboten. Als andere Möglichkeit Verachtung, Ächtung und Haft: »… werde ich … auf soliche verachtunge gezwungen (auch das sie mich in die insulen, Pilati Pontii genent, zu relegiren understanden) …« Oder Schmähung durch einen öffentlichkeitswirksamen überallhin weitergereichten Schimpfnamen: »… und mir mein taufnamen Theophrastum nemmen, denselbigen inen zulegen und aus mir Cacophrastum machen.« Verfolgung und Hetze: »so wird mir dasselbig hoch verarget … sie bewegent wider mich die unverstendige rott …« Teufelsbündnis und schwarze Magie werden ihm häufig unterstellt: »Hieraus nun ermessent, ir auditores, ir leser, … ob ich mein grund aus doller () weis hab oder aus der schwarzen kunst oder aus dem teufel, wie sie sagen.«
Wie hat er es fertiggebracht, sich so viel Feindschaft zuzuziehen? 1493 geboren als Sohn des Arztes Wilhelm von Hohenheim in Einsiedeln in der Schweiz – der Geburtsort verhilft ihm zu dem Namen »Waldesel von Einsiedeln« – verbringt er Kindheit und Jugend in Einsiedeln und später in Villach/Kärnten, wo sein Vater bis 1534 die Stelle eines Stadtarztes bekleidet. Was seine Ausbildung angeht, so ist sie, der Zeit entsprechend, ordnungsgemäß verlaufen: zunächst Unterricht durch den Vater, den er als seinen ersten, seinen vorzüglichsten Lehrer nennt – wie vielleicht seine Gedanken über Sohn-Sein und Vater-Beerben, die er als Grundmetapher für das Verhältnis von Mikrokosmos und Makrokosmos ansieht, auch in das Persönlich-Biographische zurückreichen. Danach oder begleitend eine klösterliche Schule im Lavanttal, im Kärntischen; einige seiner Lehrer sind namentlich überliefert. In Schwaz, nahe Innsbruck, hat er nach eigenem Zeugnis eine Zeitlang als Laborant gelernt und gearbeitet unter der Anleitung von »vil alchimisten«. Dort wurde Silber und Kupfer abgebaut. Möglicherweise hat Paracelsus in Wien die sieben freien Künste studiert, die Voraussetzung für die Zulassung zum Fachstudium waren, und hat wohl 1513 die Medizinische Fakultät der Universität Ferrara bezogen.
Die wissenschaftliche Medizin des 16. Jahrhunderts basiert auf der sog. Humoralpathologie, die auf Empedokles und Hippokrates zurückgeht, vor allem aber von Galen (129–199 n. Chr.) systematisch ausformuliert worden ist. Der menschliche Leib wird als ausgewogene Mischung der vier Kardinalsäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle) gedacht. Diese vier humores sind den vier wichtigsten Organen – Blut dem Herzen, Schleim dem Hirn, gelbe Galle der Leber, schwarze Galle der Milz – und den vier Elementen zugeordnet. Mit den Elementen verbinden sie ihre auch von Paracelsus oft erwähnten, aber in ihrer Bedeutung bestrittenen Qualitäten. Dem Blut, das im Herzen und in der Luft seine Entsprechung hat, wird die Qualität »warm« und »feucht« zugeschrieben, dem Schleim (Organ: Gehirn, Element: Wasser) die Qualitäten »feucht« und »kalt«, der schwarzen Galle (Organ: Milz, Element: Erde) »kalt« und »trocken«, der gelben Galle (Organ: Leber, Element: Feuer) die Qualitäten »warm« und »trocken«. Den vier Säften entsprechen die vier Temperamente. – Krankheit wird im Galenischen System als Disharmonie, als Unausgewogenheit dieser vier Säfte gedacht, die Krankheiten werden nach ihren Qualitäten systematisiert, die Heilmittel ebenso, und die Therapie beruht immer auf dem Grundsatz, daß Gegensätzliches mit Gegensätzlichem angegangen und geheilt werden muß: eine »kalte« Krankheit mit einer »warmen« Arznei. Bereits Galen hat die den einfachen Heilmitteln (simplicia) innewohnenden wärmenden, kühlenden, trocknenden oder feucht machenden Eigenschaften entsprechend ihrer Intensität in eine Grade-Skala eingeteilt.
Diese außerordentlich komplizierte Systematik, die ich hier nur vereinfacht skizziere, wurde in ihren letzten Teilausläufern bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein tradiert. Das Medizinstudium beinhaltete also vor allem gewaltige Massen von Lernstoffen, um zu wissen, welche Krankheit als warm, welche als kalt galt, welches Kraut als trocken oder feucht und wenn, dann in welchem Grad.
Das liest sich bei Galen z.B. folgendermaßen: »Dies werfe ich nun denjenigen vor, die sich ausführlich über die Wirkung des Essigs verbreitet haben …, daß sie die Wirkungen aller einfachen Heilmittel nicht nach ihrem höheren oder geringeren Grad unterschieden haben, sondern daß es ihnen genügte, gegebenenfalls zu sagen, die einen erwärmen, andere kühlen, andere trocknen und andere machen feucht. Denn es ist nicht nützlich, wenn man dies so schlechthin erkannt hat, sondern man muß wissen, bis zu welchem Grade Flohkraut und bis zu welchem Grade Nachtschatten, Venuskamm oder Bleiweiß, Portulak und Lattich kühlen und bis zu welchem Grade Kassia und bis zu welchem Grade Zimt, Amom oder Majoran erwärmen. Ebenso darf sich aber auch bei den in ihrer jeweiligen Wirkung trocknenden oder feucht machenden Heilmitteln das Wissen nicht auf den allgemeinen Sachverhalt beschränken, sondern man muß wissen, welches von den indifferenten und mittleren der in ihren Wirkungen entgegengesetzten Mittel im ersten Grad entfernt ist, welches auf jenes folgt, und so den dritten, vierten und, wenn möglich fünften Grad unterscheiden …« (Galen, Über Mischung und Wirkung natürlicher Heilmittel, Buch I, Kap. 27)
Zur Krankheitsdiagnose diente vorrangig die sog. Harnschau: man läßt den Urin des Kranken einige Zeit stehen und beobachtet, wo sich die Niederschläge im Uringlas ablagern, um davon her auf den Ort der Erkrankung zu schließen. Paracelsus macht sich nicht nur im Paragranum über dies »Seich-Besehen« lustig.
Jedenfalls hat er in Ferrara die ordnungsgemäßen Examina abgelegt und ist zum »Doctor beder arzneyen« – also für innere Krankheiten und für sog. Wundkrankheiten – promoviert worden. Belege dafür existieren keine, doch ist die Tatsache selbst von den Zeitgenossen nicht angefochten worden und kann deshalb als bewiesen gelten.
Die folgenden acht Jahre sind Wanderjahre, deren Stationen man allenfalls durch einige weitverstreute Aussagen und durch Bemerkungen wie »ist zu Rodis ein gemeiner brauch« (das ist allgemeiner Brauch auf Rhodos) in etwa rekonstruieren kann: ein Landfahrer, ein Vagant also, wie es ihm die Zeitgenossen ganz zurecht vorhalten. Aber was war der Sinn dieses Wanderns über Berg und Tal? Er habe sich nicht allein den Lehren, Schriften und Büchern der Hohen Schulen ergeben wollen, sagt Paracelsus später, er habe den Grund gesucht und sei also gewandert, und habe an allen Enden und Orten fleißig und emsig nachgefragt, nachgeforscht, um sichere, auf Erfahrung und Wahrheit beruhende Kenntnisse in der Arzneikunst zu erwerben. Und er erinnert an die Königin von Saba, die vom Ende des Meeres gekommen sei um der Salomonischen Weisheit willen. Die Weisheit sei ein Geschenk Gottes, und an dem Ort, wohin er sie verliehen habe, solle man sie suchen. Gottes Gaben müsse man nachgehen bis dahin, wo sie lägen. Wenn das aber notwendig sei, »wie kan man dan einen verachten oder verspeien der solches tut?«.
»Kunst« – Weisheit, Wissenschaft, Handwerkliches – hat Paracelsus nach eigener Aussage bei unzähligen Menschen gelernt, nicht nur von den vielen nichtakademischen, von der Zunft halbverachteten Heilberufen, nicht nur bei Alchimisten und Schwarzkünstlern, alten Weibern und Handwerkern, Schäfern und Zigeunern, nicht nur in Klöstern, bei Hoch und Nieder, bei Klugen und Einfältigen, sondern zuerst und zuletzt bei der Natur, »die natur ist der weisheit voll …«, »die natur ist der arzt, du nicht …«; »dan alle ding eröffnet die natur …«; »die deutliche natur …«; »das liecht der natur …«. Paracelsus sucht den Grund der Arzneikunst auf seinen Wanderungen und hat ihn offenbar in so vielen Jahren, in so vielen Ländern gefunden oder jedenfalls weit mehr als das, was die Hochschulen zu bieten hatten.
1524 will er sich in Salzburg als Bürger der Stadt, als Arzt niederlassen. Er schreibt seine Erfahrungen nieder, z.B. die »Elf Traktat vom Ursprung, Ursachen, Zeichen und Kur einzelner Krankheiten«. Er beginnt mit der Wassersucht. Zur Krankheitsursache stehen dort folgende Sätze: »Drei ding seind do zu wissen, des himels kraft, die irdisch natur und der microcosmus. den himel, als ein zweifachen werkman, sichtbar und unsichtbar, die irdische natur als ein natur, die on den himel gar nichts ist, und den microcosmo als den, der da leidet. der himel ist zwifach, die erde ist zwifach, einfach aber ist der mensch und ist in der unsichtbarn das subject und das do entpfecht.« (Sudhof, 1. Band, S. 3f.)
Er hat, so scheint es, auf seinen Wanderungen andere Augen bekommen, die sich nicht mehr an dem ausgestalteten und lange tradierten System, schwarz auf weiß nachzulesen, mit berühmten Namen und Buchtiteln als Unterpfand der Richtigkeit, zufriedengeben wollen. Er fängt an, die Kategorien der vier Säfte, der vier Qualitäten, der vier Temperamente als »grundlos«, als nur auf dem Papier stimmig anzusehen und ihnen einen anderen Grund entgegenzustellen: Wie außen, so ist es innen. Wie im Makrokosmos, so ist es im Mikrokosmos. Und daß etwas unsichtig (unsichtbar) ist, macht es nicht um ein Gran weniger wirklich. Eher im Gegenteil!
In Salzburg hat Paracelsus zu den aufständischen Bauern gesprochen, »aus dem Evangelium«, wie er behauptet. Man wirft ihm vor, er habe den Aufruhr geschürt. Er muß fliehen. Die Stadt konfisziert seine zurückgelassene Habe.
In Straßburg bemüht er sich ein zweites Mal um Bürgerrecht und Niederlassung. 1526, im Spätjahr, wird er dort ins Bürgerbuch der Stadt eingetragen. Offenbar geht ihm ein großer Ruf als Arzt voraus, denn ehe er sich in Straßburg recht etabliert, zieht man ihn bereits nach Basel. Der Buchdrucker Johann Frobenius, Freund und Verleger von Gelehrten wie Erasmus von Rotterdam und Oekolampadius, von Malern wie Hans Holbein und Urs Graf, wird sein Patient. Seine aufsehenerregende Heilung bildet den Anlaß, daß Paracelsus zum Stadtarzt und Professor in Basel berufen wird. Die Zeit, die Paracelsus in Basel verbringt, ist die am besten dokumentierte Zeit seines Lebens. Es handelt sich um eine Spanne von elf Monaten.
Er hat nun die Möglichkeit, sowohl in der Praxis – und große Namen finden sich unter seinen Patienten, selbst Erasmus hat ihn konsultiert – als auch in Theorie und Lehre seine Gedanken und Erfahrungen darzustellen, auf eine Erneuerung und Erweiterung der Heilkunst zu dringen, seine Beobachtungen über die Wirkung von Arzneimitteln an den Mann, d.h. an den Apotheker zu bringen. Als Stadtarzt hat er die Aufsicht über die Basler Apotheken. Eine Traumstellung. Eine Stellung, die dem vierunddreißigjährigen Arzt endlich Einfluß und die Möglichkeit zu wirken verspricht. Aus der Vehemenz, mit der er sich in seine neuen Aufgaben stürzt, kann man ermessen, wie bis zum Bersten erfüllt er davon gewesen ist, hervorzutreten und einen neuen Tag einzuläuten. Im Sommersemester 1527 liest er an der Basler Universität eine Vorlesung in der Sprache der gelehrten Welt, Latein, eine zweite, über Wundarznei, in deutscher Sprache. Das ist ein Fanfarenstoß. Anfang Juni bringt er ein Flugblatt heraus, ein lateinisch formuliertes, also sich an die Akademiker richtendes Programm, das die bisherige medizinische Tradition der Hochschulen und Arztpraxen in Frage stellt und neue Forderungen, wie der Arzt sein und was er lernen soll, programmatisch formuliert: »Nicht Titel und Beredsamkeit, nicht Sprachenkenntnisse, nicht die Lektüre zahlreicher Bücher … sind Erfordernisse eines Arztes, sondern die tiefste Kenntnis der Naturdinge und Naturgeheimnisse …«
Im Johannisfeuer auf dem Marktplatz verbrennt Paracelsus öffentlich ein medizinisches Kompendium. Spätestens seit jenem 24. Juni 1527 wendet sich die Universität gegen ihn. – Die nächste Fanfare ist seine Eingabe an den Magistrat, in der er die seiner Aufsicht untergebenen Apotheker der Stadt wüst anklagt, ihre schamlose Gewinnsucht, ihre haarsträubende Unkenntnis, die abenteuerlichen Zustände in den Apotheken benennt und Überwachung fordert. Damit hat er nicht nur den Lehrkörper der Universität, sondern auch alle Apotheker Basels gegen sich. Eine Verleumdungskampagne setzt gegen ihn ein. Frobu, sein Gönner, stirbt an einem Schlaganfall. – An den Basler Kirchentüren wird ein Pamphlet in lateinischen Hexametern ausgehängt mit der öffentlichen Schmähung des – darin so umgetauften – Cacophrastus, dem man alle Kenntnisse und allen Verstand abspricht, dem man den Beruf des Schweinehirten vorschlägt oder nahelegt, sich aufzuhängen. – Der Schlußakt ist ein Rechtshandel, der ihn aus dieser hoffnungsvollen Stelle vertreibt. Paracelsus hat eigene Gedanken über das Thema Arzt und Geld gehabt. Er trennt den Akt des Heilens vom Verdienen bzw. prägt ihn sozial um: verlangt viel Honorar von den Reichen und keines oder fast keines von den Armen. Vor dieser Folie muß man die Vereinbarung mit einem Basler Domherren sehen, daß dieser im Falle der Heilung ein außerordentlich hohes Honorar an Paracelsus zahlen müsse. Der Domherr sagt es zu, wird gesund und bricht die Vereinbarung. Paracelsus geht vors Gericht, das seine Klage ablehnt. Paracelsus verunglimpft das Gericht und muß Basel fluchtartig verlassen.
Was bleibt ihm übrig, als wieder auf Wanderschaft zu gehen? Elsaß, Schwaben, Nürnberg … »Wahrheit trägt Haß ein«, ist sein Resümee der Basler Erlebnisse. Seinen Beruf als Arzt kann er überall ausüben, doch zugleich formuliert er immer klarer seine größere Aufgabe, eine andere Medizin zu begründen, beruhend auf der Kenntnis der mysteria naturae und nicht auf papierenen und verdorbenen Überlieferungen. Also sucht er sich ein neues Forum. Er schreibt. Er diktiert. Er versucht, als Autor das medizinische Paradigma seiner Zeit zu entthronen. Von 1526 an entstehen in rascher Folge Schriften auf den unterschiedlichsten Gebieten: Traktate zu häufig auftretenden Krankheiten; eine Schrift zu den sog. Wundkrankheiten; Auslegungen der Psalmen Davids; Grundlehren – archidoxis – die mysteria naturae betreffend, Grundlage seiner Alchimie; Schriften über Heilpflanzen, Mineralien, Heilwasser und Bäder; verschiedene Bücher zu der Europa verheerenden »französischen Krankheit«, der Syphilis; Astrologisches. In Nürnberg erhält Paracelsus die Druckerlaubnis für zwei seiner Syphilis-Schriften, in denen er mit dem gängigen Heilmittel, dem aus Mittelamerika importierten Guajakholz ins Gericht geht. Damit ruft er die »Pharmaindustrie« seiner Zeit auf den Plan, in diesem Fall das Handelshaus Fugger in Augsburg, Hauptimporteur der Guajakrinde. Das Haus Fugger hat gute Verbindungen zur Hohen Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Diese beantragt ein Druckverbot für weitere Schriften des Paracelsus, das der Rat der Stadt Nürnberg ausspricht.
Frühjahr 1530, Entstehungszeit unseres Textes: der Bahnbrecher einer umstürzlerisch neuen Medizin ist nirgendwo Bürger, bekleidet kein universitäres Amt, hat keine Anstellung an einem Fürstenhof inne und besitzt keine Möglichkeit mehr, jedenfalls auf Jahre, das, was er nicht vom Katheder herab sagen darf, durch Druck zu verbreiten. Er liegt auf den Landstraßen, lebt als Gast oder in Wirtshäusern. Ist ein frommer Mann. Er hat ein zorniges Gemüt, ist aufbrausend und, nach dem Zeugnis mancher Zeitgenossen, trunksüchtig, lebt unter Gesindel. Schmähliche Ausdrücke heften sich an seine Person. Wenn man hinschaut, wie oft er selbst den Namen Cacophrastus aufnimmt – »wie gefeit euch der Cacophrastus?« – ahnt man, wie ihn dieser Name verletzt hat.
In dieser Lage also schreibt er »Das Buch Paragranum«, und zwar in mehreren Anläufen. Wenn er eine hätte, müßte man sagen, er schreibt es für die Schublade, er schreibt es, um sich frei- und klarzuschreiben; er schreibt, weil er muß. Denn gedruckt wurde das Paragranum, wie die allermeisten seiner Werke, erst nach seinem Tod. Adam Bodenstein hat es 1565 erstmalig herausgebracht, danach Johann Huser in seiner großen Paracelsusausgabe, die 1589–1591 erschienen ist. – Auf diesem Lebenshintergrund muß man die Vorrede, muß man die Polemik, die diese und fast alle seiner Schriften durchzieht, lesen.
Sein Leben wird sich, was die Gunst der Umstände angeht, auch nicht mehr grundlegend ändern. Sein »beweglich wesen«, sein »peregriniren« führt ihn in die Schweiz, nach Südtirol, nach Ulm, nach Preßburg, Villach, Klagenfurt und im Jahr vor seinem Tod nach Salzburg. Daß er als Arzt praktiziert hat, belegen einzelne Konsultationen, ärztliche Ratschläge und der die Jahrhunderte überdauernde Ruf. Wahrscheinlich ist, daß er sich einige Jahre überwiegend oder ausschließlich mit theologischen Fragen und Arbeiten beschäftigt hat. Kurt Goldammer, der Herausgeber der »theologischen und religionsphilosophischen Schriften« des Paracelsus schreibt über diese Jahre (wohl ab 1532ff.): »Möglicherweise hat er damals aufgeschlossene und bewegte Menschen gefunden, die auf ihn hörten, die für ihn eine Gemeinde und für die er eine Autorität wurde. Er muß sich vorübergehend als eine Art von Prediger oder Apostel gefühlt haben. Er war auf der Suche nach der wahren Kirche Christi.« (Paracelsus. Vom Licht der Natur und des Geistes. Hrsg. von Kurt Goldammer, Stuttgart 1960) – Theologisches, Neutestamentliches, der Arzt als Apostel, Metaphysisches, Lobpreis der göttlichen Dreieinigkeit, Lobpreis der Schöpfung, des Makrokosmos und des Kleinods Leib – ganz zu schweigen von der unsterblichen Perle in diesem Kleinod, der Seele – sind Grundlagen seiner Naturwissenschaft, seiner Medizin, seiner Alchimie.
So unsicher seine Stellung in der Welt war, so fragmentarisch seine Lebenswege heute nachzuzeichnen sind, so sicher war sich Paracelsus seiner Mission: »den wer ist ie gewesen, der den menschen als ein menschen fürgenommen?«, »mich hat nicht der himel zu einem arzt gemacht, got hat mich gemacht …«, »ich werde grünen und ir werdet dürr feigenbaum werden …«; »und mein geschrift beweist, das ich 600 inventiones hab in disem buch, welcher keine, die wenigst oder merist, von keim alten oder neuen philosopho oder medico gehalten oder zugelassen wird …«; »uber das alles meine secretarii bezeugen, das solches vom mund get und in zehen jaren kein buch gelesen offentlich ist …« Am 24. September 1541 hat Paracelsus, wie es auf seinem Grabstein in Salzburg heißt, das Leben mit dem Tod vertauscht.
»Das Buch Paragranum« stellt die vier Säulen der Medizin, der Arzneikunst, dar, d.h. das vierfache Fundament, von dem aus der Arzt den Menschen ansehen soll. Es behandelt Kapitel der Menschenkunde des Paracelsus, die in vielen seiner medizinischen Schriften Haupt- oder Nebenthema sind. Wie der Zimmermann das Bauholz, so muß derjenige, der über den Menschen Aussagen macht, das Zeug kennen, aus dem der Mensch gemacht ist, heißt es in der Astronomia magna. »dan wie kan ein zimmerman ein haus machen und nicht vorhin das holz erkennen? nachfolgend so kan er sovil als im zustehet, das haus aus dem holz urteilen, dan es muß allemal das letzt sein verstant aus dem ersten nemen …« So unbezweifelt Paracelsus weiß, daß den Menschen sein Unsterbliches – die Seele, das »biltnus« – vom Tier unterscheidet, so sicher ist er dessen, daß ihm als Arzt die Obhut über den sterblichen Leib anbefohlen ist. Der Leib ist erschaffen, ist der adamische Leib. In den medizinischen Schriften gilt an den allermeisten Stellen: wenn Paracelsus vom »Menschen« spricht, bezeichnet er den sterblichen Leib des Menschen damit. So verhält es sich auch im Paragranum. Das Reich des Arztes, ist das Reich des »Natürlichen«, nicht des Übernatürlichen.
Durch göttliches Schöpferwort ist aus dem Nichts ein Anfang erschaffen worden, in dem alles – alle Geschöpfe, alles, was materia wird, was Leib wird – enthalten war, ohne daß dieser Anfang – Iliaster – selbst materia oder Leib gewesen wäre. Aus dem Iliaster gebären sich durch wunderbare separatio (Scheidung) nacheinander die vier Elemente, zunächst die oberen: die Luft, die alles umschließt, das Feuer, aus dem das Firmament hervorgeht, sodann die unteren: Wasser und Erde. Im Verlauf der gewaltigen Schöpfungstage erzeugen und gebären die Elemente als Matrix ihre Kinder und Früchte, gebären alles, was wir als Natur, als Gestein, Pflanze, Tier, Stern wahrnehmen. Der Erschaffer der Welt hat am sechsten Schöpfungstag aus dem Makrokosmos einen Auszug gemacht – göttliche Alchimie! – und aus diesem »Zeug« den Menschen, das will heißen seine Leiber geformt. Die unteren Elemente sind der Stoff zum Leib aus Fleisch und Blut, die oberen geben das unsichtbare Material zum »gestirnten« Leib, zum »Astralleib«. Will man sie in ihrer Zweieinigkeit beschreiben, so zeigt sich, daß sie beide sterblich sind und sich in ihrer Herkunftssphäre wieder auflösen. Der Astralleib geht in den Himmel, den nicht metaphysischen Himmel, in Feuer und Luft, und der sog. »elementische Leib« wird wieder zu Erde und Wasser. Der elementische Leib ist so etwas wie das Spiegelbild des unsichtbaren Leibes.
In fast jeder seiner Schriften verwahrt sich Paracelsus wütend gegen die traditionelle medizinische Auffassung seiner Zeit, daß der Körper ein System von Säften und Qualitäten sei; so wie er die Herkunft des Menschen beschreibt, ist der Mensch kein autonomes System, sondern Kind des Makrokosmos. Alles Makrokosmische befindet sich in seinem Leib auch! Alles wirkt in seinem Leib auch! Sterne ziehen am Himmel ihre Bahn wie im astralen Leib – und »spiegeln« sich in den Organen des Leibes aus Fleisch und Blut.
Pflanzen, Metalle, Steine sind imstande, Arznei zu sein, weil sie außen und innen, in der großen Welt und im Menschenleib sind. Was zur Brennessel, was zum Talk, was zum Blitz geführt hat, gibt es auch im Menschen. Der Mensch ist mit allem, was den Kosmos erfüllt und in ihm lebt, erblich ausgestattet. Wollte man nur vom sichtbaren System, dem elementischen Leib und seinen funktionierenden Organen, ausgehen, geriete man auf ein Feld, das Paracelsus Spekulation, fantasei, nennt. Er strebt danach, mit einer am Makrokosmos orientierten empirischen Methode Aussagen über den Leib zu machen. »alle creata seind buchstaben, des menschen herkommen zu beschreiben.« Man muß die Schöpfung lesen, nicht Galen. Auf diesem Fundament errichtet Paracelsus die vier Säulen der Arzneikunst.
Die philosophia ist die erste Säule. Der Arzt muß von der Natur lernen. Er soll sich darin unterrichten, was ihm die beiden unteren Elemente, Erde und Wasser, mitsamt ihren mannigfaltigen Früchten oder Geburten mitteilen. Wenn er beispielsweise Brennessel und Eisen betrachtet, die Kinder von Erde und Wasser sind, soll er sie auch in den oberen Elementen aufsuchen, als Himmelstau und Mars, Früchte der Luft und des Feuers. Die vier sind eins, haben eine Tendenz, eine