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Mit 51 Zeichnungen Dieser Roman von Jules Verne ist eine spannende Kombination aus Liebes- und Piratengeschichte. Auslöser für die Erzählung und gleichzeitig historischer Hintergrund ist die Griechische Revolution der 1820er Jahre, während der sich die Hellenen vom Joch des Osmanischen Reiches zu befreien suchen. Der französische Offizier Henry d'Albaret kämpft als Freiwilliger an der Seite der Griechen. Er verliebt sich in die reiche, griechische Erbin Hadjine. Doch auch der Pirat und Kollaborateur Nicolas Starkos ist an der Bankierstochter interessiert. Schließlich wird der Kampf um Griechenlands Freiheit und das Herz Hadjines in einer Seeschlacht entschieden. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 319
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Jules Verne
Der Archipel in Flammen
Jules Verne
Der Archipel in Flammen
(L’Archipel en feu)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Jürgen Schulze, UnbekanntIllustrationen: Léon Benett EV: A. Hartleben’ Verlag, 1887 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-78-7
null-papier.de/neu
Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Erstes Kapitel – Ein Schiff in Sicht
Zweites Kapitel – Auge in Auge
Drittes Kapitel – Griechen gegen Türken
Viertes Kapitel – Das traurige Haus eines Reichen
Fünftes Kapitel – Die messenische Küste
Sechstes Kapitel – Auf die Piraten des Archipels
Siebtes Kapitel – Eine Überraschung
Achtes Kapitel – Um zwanzig Millionen
Neuntes Kapitel – Der Archipel in Flammen
Zehntes Kapitel – Beim Kreuzen im Archipel
Elftes Kapitel – Signale ohne Antwort
Zwölftes Kapitel – Eine Versteigerung in Scarpanto
Dreizehntes Kapitel – An Bord der »Syphanta«
Vierzehntes Kapitel – Sacratif
Fünfzehntes Kapitel – Die Lösung des Dramas
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze null-papier.de/kontakt
Reise um die Erde in 80 Tagen
Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Eine Idee des Doktor Ox
Eine Überwinterung im Eis
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Fünf Wochen im Ballon
Robur der Eroberer
Der Herr der Welt
Von der Erde zum Mond
und weitere …
Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Titelseite der französischen Originalausgabe
Am 28. Oktober 1827 gegen fünf Uhr abends bemühte sich ein kleines levantinisches Fahrzeug, noch vor Einbruch der Nacht den Hafen von Vitylo, am Eingang des Golfs von Coron, zu erreichen.
Dieser Hafen, das Oetylos Homers, liegt an einer der tiefen Einbuchtungen, welche aus dem Ionischen und Ägäischen Meere das Platanenblatt ausschneiden, mit dem man das südliche Griechenland so trefflich verglichen hat. Dieses Blatt nimmt der alte Peloponnes, das Messene der Griechen unserer Tage, ein. Die erste dieser Ausbuchtungen bildet im Westen der Golf von Coron, der sich zwischen Messene und Laconia öffnet. Die zweite, der Golf von Marathon, der die Küste des ernsten Laconia tief einschneidet. Die dritte, der Golf von Nauplia, dessen Gewässer Laconia und Argolis scheiden.
Zu dem ersten der drei Golfe gehört der Hafen von Vitylo. An der Ostküste, im Hintergrunde einer unregelmäßigen Bai liegend, reicht er bis an die letzten Ausläufer des Taygetos heran, dessen Bergkämme das Skelett des Hinterlandes bilden. Die Sicherheit seines Ankergrundes, der bequeme Verlauf der Einfahrtsstraßen und die ihn umgebenden Höhen machen ihn zu einem der besten Zufluchtshäfen dieser von allen Winden der südlichen Meere unausgesetzt gepeitschten Küste.
Das Fahrzeug, welches bei ziemlich frischer Nordnordwestbrise sehr dicht am Winde segelte, konnte von den Hafendämmen Vitylos nicht erkannt werden, da dasselbe noch eine Entfernung von sechs bis sieben Meilen von demselben trennte. Da das Wetter aber ausgezeichnet klar war, hob sich doch der Rand seiner oberen Segel deutlich von dem leuchtenden Hintergrund des äußersten Horizonts ab.
Was aber von unten nicht sichtbar war, konnte doch von oben, das heißt von dem Gipfel der Höhenzüge, gesehen werden, welche das Dorf umgrenzen. Vitylo ist in Gestalt eines Amphitheaters auf abschüssigen Felsen erbaut, welche die alte Akropolis von Kelapha verteidigt. Darüber erheben sich noch einige alte, zerfallene Türme von jüngerem Ursprung als jene merkwürdigen Überreste eines Tempels der Seraphis, desse Säulen und Capitäle von ionischer Ordnung noch heute die Kirche von Vitylo zieren. Neben jenen Türmen stehen auch noch zwei oder drei kleine, wenig besuchte Kapellen, in welchen fromme Mönche den Kirchendienst versehen.
Es ist hier von Wichtigkeit, auf die Bezeichnung »den Kirchendienst versehen« und selbst auf die Qualifikation eines Mönches, welche diese Geistlichen der messenischen Küste sich zulegen, zu achten. Einer derselben, der soeben seine Kapelle verließ, wird sogleich dem Leser näher vor Augen treten.
Zu jener Zeit war die Religion in Griechenland noch ein eigentümliches Gemisch von heidnischen Sagen und christlichen Glaubenssätzen. Viele Gläubige betrachteten die Gottheiten des Altertums noch gewissermaßen als Heilige der neuen Religion. In der Tat, wie das Henry Belle schildert, vermengen sie die Halbgötter mit den Heiligen, die Kobolde der bezaubernden Täler mit den Engeln des Paradieses und rufen ebenso die Sirenen und Furien an, wie sie noch Brotopfer darbringen. Diese Umstände haben gewisse merkwürdige Gebräuche eingeführt, welche andere zum Lachen reizen, während die Geistlichkeit große Mühe hat, dieses wenig orthodoxe Chaos zu entwirren.
Während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts – es ist einige fünfzig Jahre her und die Zeit, mit welcher unsere Erzählung beginnt – war der Clerus der griechischen Halbinsel noch unwissender, und die sorglos dahinlebenden, naiven, zutraulichen Mönche, »gute Kinder«, schienen sehr wenig geeignet, die von Natur abergläubische Bevölkerung auf rechte Wege zu leiten.
Und wenn diese niederen Kirchendiener nur allein unwissend gewesen wären! In gewissen Gegenden Griechenlands aber, vorzüglich in den wilden Distrikten von Magne, scheuten die armen Teufel, von Natur und aus Not schon Bettler und gierig auf die paar Drachmen, welche mitleidige Reisende ihnen zuwarfen, ohne alle Beschäftigung, außer etwa der, den Gläubigen das gefälschte Bildnis eines Heiligen zum Kusse darzureichen oder eine ewige Lampe in irgendeiner Grotte zu unterhalten, dazu verstimmt über den geringen Ertrag ihrer Pfründen, der Beerdigungen und der Taufen, nicht davor zurück, die Auflauerer – und was für Auflauerer – im Solde der Bewohner des Küstengebietes zu spielen.
Die Seeleute von Vitylo, welche am Hafen umherlungerten wie dei Lazzaronis, welche gleich mehrere Stunden Ruhe brauchen, um sich von der Arbeit während einiger Minuten zu erholen, erhoben sich doch rasch, als sie einen ihrer Mönche, die Arme heftig bewegend, schnellen Schrittes nach dem Dorfe hinabsteigen sahen.
»Was gibt’s denn, Vater, was ist denn los?«
Es war das ein Mann von fünfzig bis fünfundfünfzig Jahren, der nicht nur dick, sondern fett war von jenem Fette, das der Müßiggang erzeugt, und dessen schlaue Physiognomie1 nur sehr mittelmäßiges Vertrauen einzuflößen vermochte.
»Was gibt es denn, Vater, was ist denn los?« fragte einer der Seeleute, der ihm entgegenging.
Der Vityliner sprach mit so näselndem Ton, dass man Nason hätte für einen Vorfahren der Hellenen halten können, und dazu jene maniatische Mundart, in der sich das Türkische mit dem Italienischen mischte, als rühre dasselbe aus der Zeit des Turmbaues von Babel her.
»Haben die Soldaten Ibrahims etwa die Höhen des Taygetos besetzt?« fragte ein anderer Seemann mit sehr sorgloser Geste, welche eben nicht viel Patriotismus verriet.
»Wenns nicht gar Franzosen sind, mit denen wir es zu tun haben«, erwiderte der erste Sprecher.
»Na, die sind einander wert!« bemerkte ein dritter.
Diese Äußerung bewies, dass der Kampf, welcher damals gerade am heftigsten wütete, die Bewohner des untersten Peloponnes nur sehr wenig berührte, sehr verschieden von den Maniaten des Nordens, welche sich im Unabhängigkeitskriege so rühmlich hervortaten.
Der dicke Geistliche vermochte aber weder dem einen, noch dem anderen Antwort zu geben. Er war von dem Herabklettern über die steilen Abhänge noch ganz außer Atem. Seine asthmatische Brust keuchte. Er wollte sprechen, konnte es aber nicht. Einer seiner Ahnen im alten Hellas, der Soldat von Marathon, hatte doch wenigstens, noch ehe er starb, den Sieg des Miltiades verkünden können. Doch es handelte sich hier weder um Miltiades noch um den Kampf der Athener gegen die Perser. Es waren kaum Griechen, diese verwilderten Bewohner der untersten Spitze von Magne.
»So sprich doch, Vater, sprich doch!« rief der alte Seemann, namens Gozzo, der sich ungeduldiger als die anderen gebärdete, als hätte er schon erraten, was der Mönch verkünden wollte.
Endlich hatte dieser sich wieder etwas beruhigt. Da streckte er die Hand nach dem Horizont aus und rief:
»Ein Schiff in Sicht!«
Auf diese Meldung hin sprangen die Tagediebe alle auf, klatschten in die Hände und stürmten nach einem Felsen, der den Hafen überragte. Von hier aus konnten sie das Meer in weitem Umkreis sehen.
Ein Fremdling hätte glauben können, dass diese Bewegung nur hervorgebracht würde durch das Interesse, welches jedes von der See herkommende Fahrzeug naturgemäß Seeleuten einflößen muss, denen so etwas ja besonders angeht. Das wäre aber eine falsche Annahme gewesen oder war es vielmehr; wenn dies ein Interesse dieser Leute aufzustacheln vermochte, war das doch ein solches ganz spezieller Art.
In der Tat ist Magne, jetzt wo wir diese Erzählung niederschreiben – nicht zurzeit, als die darin geschilderten Vorfälle sich ereigneten – noch immer ein von Griechenland halb abgesonderter Landstrich, ein unabhängiges Königreich, geschaffen durch den Beschluss der europäischen Großmächte, welche 1829 den Vertrag von Adrianopel unterzeichneten. Die Maniaten, oder mindestens diejenigen derselben, welche auf den verlängerten Landausläufern zwischen den Golfen wohnen, sind noch halbe Barbaren geblieben, welche sich mehr um ihre persönliche Freiheit, als um die des Landes bekümmern. Diese äußerste Zunge des unteren Moreas ist von jeher auch kaum zur Botmäßigkeit zu bringen gewesen. Weder die türkischen Janitscharen, noch die griechischen Gensdarmen haben sie zu bezwingen vermocht. Streitsüchtig und rachbegierig, oft in Familienzwistigkeiten verwickelt, welche nur durch Blut ausgetragen werden können, Räuber von Geburt und doch gastfreundlich, Mörder, wenn der Raub einen Mord bedingt, nennen sich deshalb die rohen Bergvölker nicht weniger die direkten Nachkommen der Spartaner; aber eingeschlossen in die Verzweigungen des Taygetos, in dem man zu tausenden jene kleinen Befestigungen oder »Pyrgos«, welche kaum zu erklimmen sind, findet, spielen sie gar zu gern die zweifelhafte Rolle jener Wegelagerer des Mittelalters, die ihre Feudalrechte mit Dolch und Pistole übten.
Wenn die Maniaten zur Stunde auch noch halb wild sind, so mag man sich vorstellen, was dieselben vor nun fünfzig Jahren sein mochten. Ehe die Kreuzfahrten der Dampfschiffe ihren Raubzügen zur See ein Ziel setzten, traten sie während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts als die verwegensten Seeräuber auf, welche die Handelsfahrzeuge in allen Stapelplätzen des Morgenlandes nur zu fürchten hatten.
Gerade der Hafen von Vitylo erschien durch seine Lage am Ende des Peloponnes, am Eingang zweier Meere, durch die Nähe der den Seeräubern wohlbekannten Insel Cerigotto, höchst geeignet, sich allen Übeltätern zu öffnen, welche den Archipel und die benachbarten Gegenden des Mittelmeeres unsicher machten. Der Zentralpunkt der Bewohnerschaft dieses Teils von Magne hieß speziell das Land von Kakovonni, und die Kakovonnioten, welche zu beiden Seiten der Landspitze siedelten, welche mit dem Kap Matapan2 ausläuft, hatten es bequem, ihre Untaten auszuführen. Auf dem Meer überfielen sie die Schiffe; an das Land lockten sie dieselben durch falsche Signale. Überall plünderten und verbrannten sie dieselben. Ob deren Besatzung nun eine türkische, maltesische, ägyptische oder selbst eine griechische war, das kümmerte sie nicht; sie wurde ohne Erbarmen niedergemetzelt oder nach den Barbareskenstaaten3 in die Sklaverei verkauft. Gab es einmal eine Zeit lang nichts zu tun, und wurden die Küstenfahrer in der Bucht von Cerigo oder dem Kap Gallo seltener, so stiegen öffentliche Gebete auf zu dem Gott der Stürme, damit dieser sich herabließe, ein Schiff von großem Tonnengehalt und mit reicher Ladung in ihre Hand zu geben. Die Mönche schlugen es auch nicht ab, diese Gebete zum Nutzen ihrer Gläubigen zu zelebrieren.
Jetzt hatte es seit mehreren Wochen nichts zu plündern gegeben. Kein Schiff war an der Küste von Magne angelaufen. Deshalb verursachte es einen wirklichen Ausbruch der Freude, als der Mönch jene von asthmatischem Keuchen unterbrochenen Worte ausgerufen hatte:
»Ein Schiff in Sicht!«
Sofort erschallten die dumpfen Schläge des Simanders, einer Art Glocke aus Holz mit eisernem Klöppel, welche in den Provinzen in Gebrauch ist, wo die Türken die Verwendung von metallenen Glocken nicht zuließen. Die klanglosen Schläge genügten jedoch, die habgierige Bevölkerung zusammenzurufen, Männer, Frauen, Kinder, herrenlose furchtbare Hunde, alle begierig zu plündern und wenn nötig zu morden.
Inzwischen verhandelten die auf dem Felsen vereinigten Vityliner mit großer Lebhaftigkeit. Welcher Art Fahrzeug war es, das der Mönch ihnen anmeldete? Mit der nordnordwestlichen Brise, die beim Einbruch der Nacht noch auffrischte, glitt das Schiff mit Backbordhalsen schnell dahin. Es schien möglich, dass es beim Lavieren das Kap Matapan ziemlich streifte. Seinem Kurs nach schien es aus der Gegend von Kreta zu kommen. Schon begann sein Rumpf sich zu zeigen über dem weißen Kielwasser, das es hinter sich ließ; seine Segel alle bildeten jedoch für das Auge eine unkenntliche Masse. Es war also schwierig zu sagen, welcher Klasse das Fahrzeug angehören möge, was auch die verschiedensten, von einer Minute zur anderen sich widersprechenden Äußerungen veranlasste.
»Es ist eine Schebeke«, erklärte einer der Seeleute, »ich sehe ihre viereckigen Segel am Fockmast!«
»Nein«, erwiderte ein anderer, »es ist eine Pinke! Man sieht ja den erhöhten Achter und starkgekrümmten Vordersteven!«
»Schebeke oder Pinke! Wer könnte dieselben auf eine solche Entfernung unterscheiden?«
»Sollte es nicht vielmehr eine Polake mit viereckigen Segeln sein«, bemerkte ein anderer Seemann, der aus den halbgeschlossenen Händen sich eine Art Fernrohr gemacht hatte.
»Gott helfe uns!« antwortete der alte Gozzo. »Polake, Schebeke oder Pinke, jedenfalls sinds drei Maste, und drei Maste sind allemal besser als zwei, wenn sichs darum handelt, hier bei uns mit einer tüchtigen Ladung Wein aus Candia oder mit Stoffen aus Smyrna zu landen!«
Nach dieser weisen Bemerkung blickten alle mit noch größerer Aufmerksamkeit hinaus.
Das Schiff näherte sich und schien allmählich zu wachsen; weil es aber so dicht am Winde fuhr, konnte man es nicht von der Seite sehen. Es wäre also schwierig gewesen, zu sagen, ob es zwei oder drei Maste führte, das heißt, ob sein Tonnengehalt ein größerer oder ein geringerer sein werde.
»Oh, das Unglück verfolgt uns, und der Teufel hat sein Spiel!« rief Gozzo, indem er noch einen Fluch hinzusetzte, mit dem er alle Sätze zu verstärken pflegte. »Das Ding ist weiter nichts als eine Feluke …«
»Oder gar nur eine Speronare!« rief der Mönch nicht weniger enttäuscht als seine Zuhörer.
Dass diese beiden Bemerkungen mit nicht sehr wohlwollenden Rufen aufgenommen wurden, braucht wohl kaum versichert zu werden. Aber welcher Art das Fahrzeug auch war, so konnte man doch schon beurteilen, dass es höchstens hundert bis hundertfünfzig Tonnen messen konnte. Freilich kam es ja nicht auf die Menge der Ladung an, wenn diese sonst eine wertvolle war. Man trifft einfache Feluken oder selbst Speronaren, welche eine Fracht an kostbaren Weinen, feinen Ölen oder teuren Geweben führen. In solchen Fällen verlohnt es sich schon der Mühe, sie zu plündern, denn sie geben oft reiche Beute für geringe Mühe. Zu verzweifeln war also noch nicht. Dazu entdeckten die älteren Leute der Bande, dass das Schiff ein gewisses elegantes Äußeres hatte, welches, langjähriger Erfahrung nach, immerhin zu seinen Gunsten sprach.
Schon begann die Sonne hinter dem Horizont im Westen des ionischen Meeres zu verschwinden; die Oktoberdämmerung musste jedoch noch eine Stunde lang hinreichendes Licht verbreiten, um das Schiff vor Einbruch völliger Dunkelheit zu erkennen. Nachdem dasselbe das Kap Matapan umsegelt, wendete es sich um zwei Viertel, um besser in den Golf einlaufen zu können, und zeigte sich damit den Beobachtern in bequemer Stellung. Gleich nachdem dies geschehen, entfuhr auch schon den Lippen des alten Gozzo das Wort »Sacoleve«!
»Eine Sacoleve!« wiederholten seine Genossen, welche ihrem Unmut durch rohe Flüche Luft machten.
Über den Gegenstand wurde indessen nicht weiter gesprochen, weil Zweifel über denselben nicht obwalten konnten. Das Fahrzeug, welches dem Golfe von Coron zusteuerte, war sicherlich eine Sacoleve. Übrigens taten die Leute aus Vitylo sehr unrecht, gleich über Unglück zu schreien. Es ist gar nicht selten, dass man gerade auf diesen Sacoleven sehr kostbare Ladungen antrifft.
Man bezeichnet mit diesem Namen übrigens ein levantinisches Fahrzeug von mittlerem Tonnengehalt, dessen Verdeck einen gedrückten Bogen bildet, indem es sich nach hinten zu ein wenig erhebt. Auf seinen schlanken Masten trägt es mannigfaches Segelwerk. Der stark nach vorn geneigte, in der Mitte stehende Großmast hat gewöhnlich ein lateinisches Segel, ein Rot-, ein Mars-und ein Topsegel. Zwei Klüversegel vorn, zwei sehr spitze an den beiden Hintermasten vervollständigen seine Takelage,4 die ihm einen auffallenden Anblick verleiht. Die lebhaften Farben des Rumpfes, die Ausbiegung des Vorderstevens, die Verschiedenheit der Maste, die fantastische Gestalt seiner Segel selbst stempeln es zu einem der merkwürdigsten Muster jener schlanken Fahrzeuge, welche man zu hunderten in den engen Wasserstraßen des Archipels manövrieren sieht. Es gewährte einen wirklich schönen Anblick, das leichte Fahrzeug sich bäumen und mit der Welle wieder aufrichten zu sehen, wenn es sich mit weißem Schaum bekränzte oder mühelos fast hüpfte, gleich einem ungeheuren Vogel, dessen Flügel das Meer streiften und dessen Gefieder in den letzten Strahlen der Abendsonne schimmerte.
Obwohl die Brise auffrischte und der Himmel sich allmählich mit »Wasserhosen« bedeckte – ein Name, den die Levantiner gewissen Wolken ihres Himmels zulegen – verminderte die Sacoleve ihre Segelfläche doch nicht im mindesten. Sie hatte sogar das Topsegel beibehalten, welches ein minder kühner Seemann gewiss schon hätte reefen lassen.
Offenbar lag es in der Absicht des Kapitäns, ans Land zu gehen und nicht etwa die Nacht auf dem schon ziemlich bewegten Meer, welches noch mehr aufgeregt zu werden drohte, zuzubringen.
Wenn die Seeleute von Vitylo nun nicht mehr in Zweifel sein konnten, dass die Sacoleve in einen Hafen einlief, so fragten sie sich doch, ob sie gerade in ihrem Hafen anlegen würde.
»Ah«, rief einer von ihnen, »man möchte sagen, dass sie sich immer nur am Winde zu halten, aber nicht einzulaufen suchte.«
»Da soll sie der Teufel ins Schlepptau nehmen!« versetzte ein anderer. Sollte sie wirklich nur lavieren und wieder auf die hohe See gehen?
»Steuert sie überhaupt auf Coron zu?«
»Oder vielleicht auf Kalamata?«
Beide Voraussetzungen hatten etwa gleichviel für sich. Coron ist ein von Handelsfahrzeugen der Levante stark besuchter Hafen der maniatischen Küste, wo ein bedeutender Ausfuhrhandel von Öl aus dem südlichen Griechenland stattfindet. Dasselbe gilt für Kalamata am Grunde des Golfes, dessen Bazare mit Manufakturwaren, Stoffen oder Geschirren gefüllt sind, welche von Westeuropa hier eingeführt werden. Es war also möglich, dass die Sacoleve nach einem dieser zwei Häfen bestimmt war, ein Umstand, der die raub- und plünderungslüsternen Vityliner sehr enttäuschte.
Während sie so mit ziemlich interessierter Aufmerksamkeit beobachtet wurde, glitt die Sacoleve rasch vorwärts. Bald befand sie sich auf der Höhe von Vitylo. Jetzt musste ihr Schicksal sich entscheiden. Wenn sie noch weiter auf den Hintergrund des Golfes zuhielt, mussten Gozzo und seine Spießgesellen jede Hoffnung, sich ihrer zu bemächtigen, aufgeben. Selbst wenn sie sich in ihre schnellsten Boote warfen, hatten sie keine Aussicht, jene einzuholen, umso viel war sie ihnen durch das ungeheure Segelwerk, welches sie trug, an Geschwindigkeit überlegen.
»Sie kommt hierher!«
Diese drei Worte rief der alte Seemann, dessen Arm mit niedergebogener Hand sich gleich einem Enterhaken nach dem kleinen Schiff zu ausstreckte.
Gozzo täuschte sich nicht. Das Steuerruder wurde in den Wind gelegt, und die Sacoleve richtete sich jetzt auf Vitylo. Gleichzeitig wurden das Topsegel und ein Focksegel eingezogen und andere Segel wenigstens halb gereeft. Auf diese Weise von einem Teil des auf ihr lastenden Winddrucks befreit, gehorchte sie nun leichter der Hand des Steuermanns.
Jetzt dunkelte es allmählich mehr. Die Sacoleve hatte gerade nur noch Zeit, in die Einfahrt von Vitylo einzulaufen. Hier liegen unter dem Wasser Felsen verstreut, welche wegen der Gefahr, daran vollständig zu scheitern, sorgsam vermieden werden müssen. Trotzdem stieg keine Lotsenflagge am Großmast des kleinen Fahrzeugs auf. Der Kapitän musste also mit dem ziemlich gefährlichen Fahrwasser selbst genügend vertraut sein, weil er sich, ohne Beistand zu verlangen, in dasselbe wagte. Vielleicht misstraute er auch – und zwar ganz mit Recht – dem beliebten Verfahren der Vityliner, welche wohl nicht davor zurückgeschreckt wären, ihn irgendwo hier auf den Grund laufen zu lassen, wo schon so sehr viel Fahrzeuge auf diese Weise verlorengegangen waren.
Bisher erhellte übrigens noch kein Leuchtturm die Küste dieses Teiles von Magne. Ein einfaches Hafenlicht diente dazu, den Eingang in den engen Kanal zu bezeichnen.
Inzwischen näherte sich die Sacoleve. Bald befand sie sich nur noch eine halbe Meile von Vitylo. Sie musste gleich landen. Man merkte, dass eine erfahrene Hand sie führte.
Auch das war nicht dazu angetan, die Ungläubigen zu befriedigen; sie hatten ja weit mehr Interesse daran, das Fahrzeug auf irgendeinem Felsen stranden zu sehen; dann hatten sie die Brandung gewissermaßen als Bundesgenossen. Diese begann die Arbeit, welche sie nur zu vollenden hatten. Erst der Schiffbruch, dann die Plünderung, das war ihr gewöhnliches Verfahren. Das ersparte ihnen ja meist einen Kampf mit bewaffneter Hand, einen unmittelbaren Angriff, dem doch allemal einige von ihnen zum Opfer fallen konnten. Es gab in der Tat oft genug von einer mutigen Mannschaft verteidigte Fahrzeuge, welche sich nicht ungestraft überfallen ließen.
Die Genossen Gozzos verließen also ihren Beobachtungsposten und gingen nach dem Hafen hinunter, um alle verbrecherischen Vorbereitungen zu treffen, welche bei den Strandräubern, ob diese die Meere des Abendoder des Morgenlandes unsicher machten, so ziemlich die gleichen sind.
Es erschien ja so leicht, die Sacoleve in der engen Fahrstraße des Kanals stranden zu lassen, wenn man ihr falsche Weisungen erteilte, was die zunehmende Dunkelheit noch begünstigte, die, ohne gerade schon vollkommen zu sein, doch die Führung eines Schiffes einigermaßen erschwerte.
»Ans Hafenlicht!« befahl Gozzo, dem seine Gefährten ohne Zögern zu gehorchen pflegten.
Alle verstanden den alten Seemann. Schon zwei Minuten später erlosch dieses Licht – eine einfache, am Ende des Hafendammes an einem dort stehenden Pfahl befestigte Laterne – urplötzlich.
Im nämlichen Augenblick wurde es durch ein anderes Licht ersetzt, das zuerst zwar dieselbe Stelle einnahm; doch wenn das erste auf dem Molo5 feststehende dem Schiffer immer die gleiche Richtung anwies, musste diesen das bewegliche andere aus der Fahrstraße verlocken und der Gefahr, auf einen Unterwasserfelsen aufzulaufen, aussetzen.
Das falsche Licht bestand aus einer Laterne, deren Schein sich von dem des Hafenlichtes nicht unterschied. Diese Laterne hatte man aber an den Hörnern einer Ziege befestigt, welche langsam am Rande der Klippe hingetrieben wurde. Sie veränderte ihren Ort also mit dem Tiere und musste infolgedessen auch die Sacoleve zu falschem Manövrieren verleiten.
Es war nicht zum ersten Mal, dass die Leute in Vitylo auf diese Weise verfuhren. Nein, gewiss nicht! Und es war leider auch nur selten, dass ihnen ihre schändlichen Absichten misslangen.
Die Sacoleve lief nun in die Einfahrt ein. Nachdem auch das große Marssegel6 eingezogen war, trug sie nur noch die lateinischen Segel am hintersten Maste; doch mussten auch diese genügen, um bis zu dem Anlegepfosten zu gelangen.
Zum größten Erstaunen der dasselbe beobachtenden Seeleute bewegte sich das Schiff durch die Windungen des Kanals mit unglaublicher Sicherheit weiter. Um das von der Ziege getragene bewegliche Licht schien sich darauf kein Mensch zu kümmern. Selbst am hellen Tage hätte es nicht sicherer manövrieren können. Sein Kapitän musste also unbedingt die Umgebung von Vitylo schon wiederholt durchsegelt haben, umso bekannt zu sein, dass er selbst in finsterer Nacht wagen konnte, hier ans Land zu steuern.
Schon konnte man jetzt den kühnen Seemann wahrnehmen. Seine Gestalt hob sich noch ziemlich deutlich aus dem Schatten auf dem Vorderteil der Sacoleve ab. Er stand da, in die weiten Falten seiner Aba, einer Art wollenen Mantels, gehüllt, dessen Kapuze seinen Kopf bedeckte. Dieser Kapitän zeigte in der Tat kaum eine Ähnlichkeit mit jenen bescheidenen Küstenfahrern, welche während einer schwierigen Fahrt meist einen Rosenkranz mit großen Kugeln, wie sie in den Meeren des Archipels gebräuchlich sind, hin und her gleiten lassen. Nein, dieser hier begnügte sich, mit tiefer und ruhiger Stimme dem auf dem Hinterteil des Decks befindlichen Steuermann nur seine Anweisungen zu erteilen.
Da erlosch plötzlich die Laterne am felsigen Strande. Doch auch das störte die Sacoleve nicht, welche unbeirrt ihren Weg fortsetzte. Einen Augenblick hätte man vielleicht glauben können, dass sie bei einer Wendung einen gefährlichen Felsen anlaufen könne, der ziemlich bis zur Wasserfläche, eine Kabellänge vom eigentlichen Hafen, hinaufragte und den in der Dunkelheit unmöglich jemand sehen konnte. Eine leichte Wendung des Steuers genügte aber, die Richtung des Schiffes zu ändern, das zwar ganz nahe an diesem Riffe vorüberstreifte, dasselbe aber nicht im Geringsten berührte.
Dieselbe Gewandtheit entwickelte der Steuermann, als es notwendig wurde, eine zweite Untiefe zu passieren, welche nur eine ganz beschränkte Fahrstraße im Kanal übrig ließ – eine Untiefe, auf der schon manches Schiff festgefahren war, ob dessen Lotse nun ein Komplize der Vityliner war oder nicht.
Letztere hatten nun keine Aussicht mehr, auf einen Schiffbruch zu rechnen, der ihnen die Sacoleve fast wehrlos überliefert hätte. Binnen wenigen Minuten musste diese im Hafen verankert liegen. Um sich ihrer zu bemächtigen, galt es nun Gewalt zu gebrauchen.
Das wurde denn auch nach einer kurzen Verhandlung unter den Schurken von diesen beschlossen und sollte bei der eben herrschenden und einem solchen Unternehmen besonders günstigen Dunkelheit sofort ins Werk gesetzt werden.
»In die Boote!« rief der alte Gozzo, dessen Befehl ohne Widerspruch Geltung hatte, vorzüglich wenn es sich um eine Plünderung handelte.
Etwa dreißig kräftige Männer, von denen die einen mit Pistolen bewaffnet waren, die anderen Dolche oder Äxte schwangen, warfen sich in die am Quai befestigten Boote und ruderten, offenbar an Zahl der Besatzung der Sacoleve überlegen, auf diese zu.
Da ertönte an Bord der letzteren ein kurzes Kommando. Die Sacoleve, welche jetzt über den Kanal herausgekommen war, befand sich inmitten des Hafens. Ihre Hisstaue wurden gelöst, der Anker rasselte in den Grund, und sie lag, nach einem kurzen Stoß infolge der Anspannung der Ankerkette, unbeweglich.
Die Boote befanden sich nur noch wenige Faden von derselben entfernt. Ohne besonderes Misstrauen zu zeigen, hatte sich doch die ganze Besatzung, wohl bekannt mit dem üblen Ruf der Bewohner von Vitylo, ausreichend bewaffnet, um gegebenenfalls zur Verteidigung bereit zu sein.
Vorläufig geschah aber nichts. Der Kapitän der Sacoleve war, nachdem das Schiff fest lag, mehrmals auf dem Deck hin und zurück gegangen, während seine Leute, ohne sich besonders um die Annäherung jener Boote zu bekümmern, ruhig fortfuhren, die Segel in Ordnung zu bringen und das Verdeck frei zu machen.
Indes hätte man doch beobachten können, dass sie diese Segel nicht einbanden, sondern sie so weit frei ließen, um sofort wieder auslaufen zu können.
Das erste Boot legte neben dem Backbord der Sacoleve an. Die anderen drängten sogleich nach. Und da die Seitenwände des Fahrzeugs nur niedrig waren, brauchten die Angreifer, welche jetzt ein wütendes Geschrei ausstießen, sich nur in die Höhe zu schwingen, um sich auf dessen Verdeck zu befinden.
Die Verwegensten derselben eilten nach dem Hinterteil. Einer derselben ergriff eine brennende Stocklaterne und hielt sie dem Kapitän vor das Gesicht.
Da ließ dieser durch eine schnelle Handbewegung die Kapuze herabsinken, sodass sein Gesicht in vollem Licht erschien.
»Eh«, sagte er, »die Leute von Vitylo erkennen nicht einmal ihren Landsmann Nicolas Starkos?«
Der Kapitän kreuzte gelassen die Arme.
Bei diesen Worten kreuzte der Kapitän gelassen die Arme. Kurze Zeit darauf stießen die Boote eiligst wieder ab und zogen sich nach dem Hintergrund des Hafens zurück.
Die äußere Erscheinung von Lebewesen, insbesondere des Menschen und hier speziell die für einen Menschen charakteristischen Gesichtszüge. <<<
Kap Tenaro (auch: Kap Matapan) ist die Südspitze der Halbinsel Mani auf dem griechischen Peloponnes. <<<
Als Barbareskenstaaten wurden vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert die Staaten in der als Barbarei bezeichneten Region, namentlich das Sultanat Marokko und die osmanischen Regentschaften Algier, Tunis und Tripolis, bezeichnet. (Wikipedia) <<<
Die Takelage eines Schiffes umfasst alles für die Bemastung sowie die Besegelung erforderliche Tauwerk nebst Befestigungen. <<<
Mole <<<
(Meist) zweitgrößtes Segel eines Mastes <<<
Zehn Minuten später verließ ein leichtes Boot, eine Gig, die Sacoleve und führte nach dem Fuß des Molos ohne jede Begleitung und ohne Waffen den Mann, vor dem die Vityliner so schnell den Rückzug angetreten hatten.
Es war der Kapitän der »Karysta« – so nannte sich das kleine Fahrzeug, welches eben im Hafen vor Anker gegangen war.
Unter der dicken Seemannsmütze zeigte dieser nur mittelgroße Mann eine hohe stolze Stirn und in den grausamen Augen einen höchst entschlossenen Blick. Über seine Oberlippe lief der Klephte-Schnurrbart waagerecht nicht in Spitzen, sondern in starken Haarbüscheln aus. Seine Brust war breit, seine Glieder muskulös. In Locken fielen ihm die schwarzen Haare auf die Schultern. Wenn er fünfunddreißig Jahre überschritten hatte, konnte das nur um wenige Monate sein. Aber sein durch Sonne und Wind gebräunter Teint, die Härte seiner Züge und eine Falte auf der Stirn, die wie eine Furche vertieft erschien, in der kein guter Samen keimen konnte, ließ ihn entschieden älter erscheinen, als er in der Tat war.
Was die Kleidung angeht, die er eben trug, so bestand diese weder aus der Weste, noch dem Brustlatz oder der Fustanella des Palikaren. Der Kaftan, die Kapuze von brauner Farbe, welche wenig hervortretend gestickt war, die grünlichen Beinkleider mit den weiten Falten, welche sich in hohe Stiefel verloren, erinnerten weit eher an die Tracht eines Seemannes aus den Barbareskenstaaten.
Dennoch war Nikolas Starkos wirklich von Geburt ein Grieche und ein Eingeborener des Hafens von Vitylo. Hier hatte er seine ersten Jugendjahre verbracht. Als Kind und als Jüngling hatte er zwischen diesen Felsgebilden den Anblick des Meeres lieben gelernt. Auf diesen Gewässern war er, eine Beute des Windes und der Strömungen, so viel umhergefahren. Hier gab es keine Einbuchtungen, deren Wassertiefe und Landungsplätze er nicht gekannt hätte; kein Riff, keinen Grund, keinen Unterwasserfelsen, dessen Lage ihm verborgen geblieben wäre; keine Windung des Kanals, welche er selbst ohne Lotsen und ohne Kompass nicht hätte in Sicherheit befahren können. Das erklärt denn auch leicht, warum er trotz der falschen Signale seiner Landsleute die Sacoleve immer hatte mit ruhiger Hand leiten können. Daneben wusste er, wie wenig den Vitylinern Vertrauen zu schenken war. Er hatte sie schon gar zu oft in Tätigkeit gesehen. Und im Grunde missbilligte er vielleicht nicht einmal ihre räuberischen Gewohnheiten, wenigstens sobald er persönlich gesichert war, nicht davon zu leiden.
Doch wenn Nicolas Starkos seine Leute kannte, so war er nicht minder bei ihnen bekannt. Nach dem Tod seines Vaters, der unter den tausenden von Opfern fiel, welche die Grausamkeit der Türken hinschlachtete, lechzte seine von Rache erfüllte Mutter nur nach der Stunde, wo sie sich bei der ersten Erhebung gegen das türkische Joch auflehnen konnte. Er selbst hatte Magne mit achtzehn Jahren verlassen, um zur See zu gehen, wobei er vorzüglich im Archipel umherfuhr, und sich dabei nicht allein zum vortrefflichen Seemann, sondern auch in dem Handwerk des Räubers ausbildete.
Niemand hätte wohl zu sagen vermocht, an Bord wie vieler Schiffe er seitdem gedient, welche Flibustier- oder Seeräuberführer ihn unter ihrem Befehl gehabt, unter welcher Flagge er zuerst gekämpft, wie viel Blut seine Hand schon vergossen, Blut der Feinde Griechenlands ebenso wie solches seiner Verteidiger – dasselbe, welches auch in seinen Adern rollte. Wiederholt hatte man ihn schon in verschiedenen Häfen des Busens von Coron gesehen. Manche seiner Landsleute hätten wohl verschiedene Großtaten von ihm berichten können, wenn er sich mit ihnen verbündet hatte, Handelsschiffe zu überfallen und zu vernichten, um die reiche Beute mit ihnen zu teilen. Dennoch umgab den Namen Nicolas Starkos ein gewisses Geheimnis. Jedenfalls war er aber in den Provinzen von Magne so bekannt, dass sich alle vor seinem Namen verneigten.
Damit erklärte sich auch der Empfang, den dieser Mann bei den Bewohnern von Vitylo fand, ebenso der Umstand, dass schon seine Anwesenheit genügte, alle auf die geplante Plünderung verzichten zu lassen, sobald sie nur erkannt hatten, wer die Sacoleve befehligte.
Sobald der Kapitän der »Karysta« ein wenig hinter dem Quai den Hafen betreten hatte, bildeten die zu seinem Empfang herbeigelaufenen Männer und Frauen ehrerbietig eine Kette, um ihn hindurchzulassen. Als er ans Land stieg, wurde kein Ausruf laut. Es schien, als ob Nicolas Starkos hier einen hinreichenden Einfluss ausübte, um anderen schon durch sein Erscheinen Ruhe zu gebieten. Die Leute warteten, bis er sprechen würde, und wenn das – wie wahrscheinlich – nicht der Fall war, hätte sich gewiss niemand erlaubt, ein Wort an ihn zu richten.
Nachdem Nicolas Starkos seinen Matrosen der Gig befohlen, an Bord zurückzukehren, begab er sich nach dem Winkel, den der Quai im Hintergrund des Hafens bildete. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte in dieser Richtung getan, als er plötzlich stehenblieb. Dann wandte er sich an den alten Seemann, der ihm nachfolgte, als erwarte er von ihm noch irgendwelche Befehle.