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Ann soll Oma Gundel bei der Apfelernte behilflich sein, die Arbeiter aus Polen sind spärlich eingetroffen. Kaum ist sie angekommen, stirbt Oma Gundel, was Kommissar Gribaldi auf den Plan ruft. Immerhin war Gundel bei bester Gesundheit.
Fortan agiert Oma als eine Stimme im Hintergrund, wenn es brenzlig wird. Sie gibt Ratschläge, die Ann nicht immer befolgt.
Ann will nur noch eins: Oma, Äpfel und allzu naseweise Verehrer schnellst möglichst loswerden und ihr eigenes Leben wieder aufnehmen.
So einfach ist es nicht, denn Oma klammert.
Zudem dreht sich Anns Liebeskarusell schneller und schneller.
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Personen im Überblick
Ann Hagemeier, Protagonistin
Friedel, Bruder
Oma Gundel
Opa Franz, der längst Verblichene
Oma Lore
Kommissar Dario Gribaldi
Pfarrer Alim Memek
Jan Hechel, Nachbar
Wulf Dublinski, Verehrer
Erika Lehmann, Bauerntrampel
Kater Wolle
Emil, Verehrer
Ann soll Oma Gundel bei der Apfelernte behilflich sein, die Arbeiter aus Polen sind spärlich eingetroffen.
Kaum ist sie angekommen, stirbt Oma Gundel, was Kommissar Gribaldi auf den Plan ruft. Immerhin war Gundel bei bester Gesundheit.
Fortan agiert Oma als Stimme im Hintergrund, wenn es brenzlig wird. Sie gibt Ratschläge, die Ann nicht immer befolgt. Nicht alles, was Gundel rät, ist ernst gemeint.
Ann will nur noch eins: Oma, Äpfel und allzu naseweise Verehrer schnellst möglich loswerden und ihr eigenes Leben wieder aufnehmen.
Doch so einfach ist es nicht, denn Oma klammert.
Zudem dreht sich Anns Liebeskarussell schneller und schneller.
Die Personen, deren Handlungen und die Orte, in denen sie stattfinden, sind rein fiktiv. Fantasie braucht Raum und schafft besondere Möglichkeiten, auch das, was unmöglich scheint.
Charlotte Enders
Erfahrungen sind wie Augentropfen
Sie öffnen den Blick
Charlotte Enders
Mit leiser Wehmut betrachtete ich das Land ringsum. Das Land, das ich bald würde verlassen müssen und das mir so vertraut war wie mein eigener Atem. Das sanfte Grün der Wiesen, das gewaltige, dunklere des Waldes, der sich beinahe bis zum Horizont erstreckte. Die üppigen Felder, von sattem Braunton, kraftstrotzend und energetisch. Der aufragende Kirchturm, der sich stolz über das Dorf erhob, aus dem ich stammte. Die letzte Abendsonne floss über die Baumwipfel und verlieh ihnen einen letzten, sterbenden goldenen Schimmer.
Du denkst nicht nach.
Diese Worte tauchten auf wie aus dem Nichts. Worte, die mein Vater einst an mich gerichtet hatte.
So ein Unsinn.
Natürlich tat ich das, wenn auch nicht so gründlich wie andere, möglicherweise. Nachdenken schmerzte manchmal, manchmal war es erheiternd, meistens führte es zu nichts.
Ich sagte mir, dass zu viel nachdenken mich auch nicht weiter brachte als diejenigen, die sich über alles und jeden den Kopf zerbrachen. Probleme zu wälzen lag mir nicht besonders gut, weshalb ich es oft genug unterließ.
Ich mochte den Himmel, der sich gerade mehr und mehr verdunkelte und mich mahnte, nach Hause zurück zu kehren. Den Geruch des Waldes, erdig, feucht und satt; den Geruch des Frühlings, der meinen Schritt so leicht machte wie ein Federkleid.
Den Geruch des Regens im Sommer, staubig, warm und vielversprechend, und den des Winters, wenn die schneidende Luft die Innenseiten der Nasenflügel gefror. Ich mochte mein Dorf, die Leute darin, meine Arbeit, selbst wenn sie etwas eintönig war. Hier passierte zu wenig, und die Menschen, die Rolands Kleinwarenladen betraten, kannte ich alle. Selten, dass sich Touristen zu uns verirrten, obwohl die Gegend prachtvoll war.
Die Aussichten auf einen Freund waren gering, Hans oder Emil, das war hier die Frage. Ein gestohlener Kuss hinter der Dorfdisco, mehr nicht.
Ich, Ann Hagemeier, war vierundzwanzig Jahre alt, einigermaßen passabel, lief immer noch solo herum. Weder Hans noch Emil sagten mir zu. Ich war nicht wählerisch, suchte aber den Kick, den Anreiz, mich spontan verlieben zu können. Ein wenig Abenteuer, ein Hauch von Aufgeregtheit. Bei Hans und Emil fehlte mir beides – ich kannte sie seit der Grundschule. Sie waren so aufregend wie Tofu.
Dabei sehnte ich mich so sehr nach dem Prickeln, von dem Dagmar mir erzählt hatte, welches sie am Anfang ihrer Beziehung in Friedels Nähe befiel, inzwischen aber geschmolzen war wie Eis.
Ich seufzte ein wenig, wie Kinder es manchmal tun, wenn sie sich ertappt fühlen, verabschiedete mich von freier Natur und lenkte meinen Schritt Richtung Dorf.
Bald würde sich alles ändern.
Ein Ruf hatte mich ereilt – der Ruf meiner Großmutter Gundel, dem ich Folge leisten musste, so verlangte es das Familiengesetz.
Oma brauchte Hilfe.
Mein Bruder Friedel, ein junger Bursche, kraftstrotzend wie die Felder ringsum, war leider unabkömmlich. Er, der wirklich niemals nachdachte und jeden Tag annahm wie er kam, knechtete neben der Arbeit an seinem neuen Haus, das dringend gebraucht wurde. Seine Verlobte Dagmar war schwanger geworden, zu einer Zeit, als niemand damit rechnete. Nun gab es für Friedel kein Zögern, Platz musste geschaffen werden, denn das Haus unserer Eltern war für Nachwuchs nun wirklich zu klein.
Zudem – und das wurde gern verschwiegen – sahen sich meine Eltern nicht in der Lage, Babygebrüll zu ertragen, sei es auch nur vorüber gehend. Meine Mutter litt an einer nie diagnostizierten Nervenkrankheit, die sie launisch und mitunter ungerecht machte, und mein Vater an einem Dachschaden, der ihm kaum helle Momente bescherte. So hieß es in Familienkreisen.
Ich schätzte, dass beide simulierten, weil sie zu faul zum Arbeiten waren und lieber ihre Renten kassierten.
Das Leben mit ihnen war kompliziert, ich kannte es nicht anders. Ich gab mir Mühe, die Mutter so gut es ging zu unterstützen und vergaß darüber hin und wieder meine eigenen Belange.
Nun auch noch Oma Gundel. Die Apfelernte stand an, Gundel holte sich dafür regelmäßig Pflücker aus dem Ausland. Doch dieses Mal war etwas schief gegangen, die Hälfte der Arbeitskräfte war zwischen Polen und Deutschland versickert, in welchen Kanälen, wusste kein Mensch.
Oma Gundel brauchte dringend Hilfe aus Familienkreisen.
Obwohl sie über einen funktionierenden Telefonanschluss verfügte, hatte sie einen seitenlangen Brief verfasst, in dem sie sich über die Unzuverlässigkeit bestimmter Leute beklagte, die Flachköpfe zum Mond wünschte und übelste Verwünschungen ausstieß. Hingegen fand sie zuckersüße Worte, als sie dringlich um Hilfe bat. Sie fragte an, wie viele Tickets sie schicken solle.
„Ja, Himmeldonnerwetter!“, wetterte mein Vater. Es war einer jener Momente, in denen er ganz wach und ganz bei sich war. „Was glaubt die denn, wie viele Leute ich losmachen kann wegen ein paar Äpfeln? Wir haben hier eigene Probleme, etwa nicht? Tickets schicken! Können wir uns keine leisten, oder was?“
Nachdem er sich ausreichend echauffiert hatte, versank er wieder in Lethargie. Zum Verständnis, Gundel war seine Schwiegermutter, nicht die eigene, sonst hätte er womöglich anders reagiert. Meines Wissens verstanden sich die beiden Schwiegermütter nicht besonders gut, weil Oma Lore, die Mutter meines Vaters, ein ganz anderes Kaliber war. Während der Fokus meiner Oma Gundel auf Äpfeln lag, schirmte sich Oma Lore gegen solche Banalitäten ab und gab sich der Pflege ihrer alternden Pfirsichhaut hin. Witwen sie beide.
Meine Mutter strich meinem Vater liebevoll über das lichte Haupthaar und stellte in den Raum, dass ich als Einzige für die Reise in Frage käme. Dass sie sogleich eine Nachricht diesbezüglich abschicken würde.
„Mama“, hob ich an. „Werde ich überhaupt nicht gefragt?“
„In diesem Fall leider nicht, liebe Ann. Es ist deine heilige Pflicht, zu gehen. Wir werden hier eine Zeit lang ohne dich zurecht kommen, dein Vater und ich.“ Leidend griff sie sich an die Stirn, fügte hinzu: „Auch wenn uns das schwer fällt. Opfer sind zu bringen innerhalb der Familie, das solltest du wissen.“
Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass ich mich neben der Arbeit um den elterlichen Haushalt kümmerte, weil Mutter regelmäßig nervliche Schübe bekam, wenn sie versuchte, der Unordnung Herr zu werden, die größtenteils mein Vater in seiner geistigen Umnachtung verursachte.
Er ließ alles fallen, bekleckerte sich und produzierte eine Menge Chaos. Die Tageszeitung las er gern – wobei schwer zu beurteilen war, wie viel von deren Inhalt er erfasste – zerlegte sie aber anschließend zu kleinen Schnitzeln, die er wie Konfetti in der Wohnung verteilte. An manchen Tagen war Mutter eben nicht schnell genug, um sie rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
Als ich das Haus betrat, wartete Mutter bereits mit dem Abendessen. Vater, dem zu warten nicht zumutbar war, hatte bereits angefangen und stopfte gerade ein Stück Käse in seinen Mund. Als er mich sah, lächelte er breit und Brösel fielen auf den Boden.
„Ann!“, rief er erfreut. „Wie zauberhaft du heute wieder aussiehst. So frisch und rosig.“
Man kann über meinen Vater ja sagen, was man will – mit Komplimenten hat er nie gegeizt, auch früher nicht, als er noch mehr bei sich war als heute. Das war mit ein Grund, weshalb Mutter ihn genommen hatte, glaube ich.
Ich dankte dem Himmel, dass er Mutter und mich noch erkannte, hatte uns der Arzt doch das Gegenteil in Aussicht gestellt.
Er spießte ein Stück Fleischwurst auf und schob es sich in den Mund. „Wann wirst du uns verlassen, reizendes Kind?“
„Ann fährt morgen“, fegte Mutter jeden Einwand meinerseits vom Tisch. „Mit dem Acht-Uhr-Zug. Dann ist sie gegen Mittag bei Gundel.“
„Hoffentlich kommt sie wieder.“ Vater hob den Zeigefinger, stach damit in meine Richtung. „Nicht, dass du dich in einen der Pollaken verknallst.“
„Papa!“, entrüstete ich mich.
„Heiner“, rügte auch Mutter. „Wo du wieder hin denkst.“
„Ha, ich kenne doch die Männer. So ein appetitliches Ding wie unsere Ann bleibt nicht lange allein. Katrin, wo bleibt das Essen? Mein Magen knurrt.“
Ich griff über den Tisch, schob seinen Teller näher in sein Blickfeld. Er strahlte mich an. „Danke, Liebes.“
Mutters Blick war streng. „Zwei Wochen“, sagte sie. „Diesen Zeitraum können wir gerade so überbrücken. Danach ist mir egal, ob alle Äpfel unten sind oder nicht.“
„Das ist mein Jahresurlaub“, warf ich ein, bestrich ein Brot dick mit Butter und legte Käse obenauf.
Heimlich freute ich mich sogar ein wenig. Die Gegend, in der Oma Gundel lebte, lag idyllisch in der Nähe des Bodensees, mit sanften Hügeln und reichlich Sonne. Ideal für Äpfel, aber auch für andere Gelegenheiten. Im Stillen rechnete ich mir freie Stunden aus, die ich in der nahe gelegenen Stadt verbringen und mir dort die Geschäfte ansehen, vielleicht ein Café besuchen würde. Möglicherweise sogar eine Bekanntschaft machen würde. Ein kleiner Flirt – wie himmlisch wäre das.
„Eben“, betonte Mutter. „Sieh zu, dass sie dich nicht die ganze Zeit einspannt und gönne dir mal was.“
„Aber keinen Pollacken“, polterte Vater. „Die saufen wie die Löcher. Apropos, bekomme ich heute nichts zu trinken? Der Käse ist staubtrocken.“
Ich schob das Glas näher zu ihm. Er warf einen Blick auf die klare Flüssigkeit. „Was ist das? Gibt es heute kein Bier?“
Er durfte keinen Alkohol trinken, weil sich das nicht mit seinen Medikamenten vertrug. „Warte“, sagte ich, stand auf und mischte hinter seinem Rücken etwas Apfelsaft unter sein Wasser.
Wieder strahlte er mich an. „Na also. Muss man immer alles erst reklamieren.“
Mutter und ich wussten, dass sein Glas unberührt bleiben würde, weil er viel zu wenig Flüssigkeit zu sich nahm.
Meine Eltern lebten beide von ihrer Rente, sie wegen der Nerven, er wegen dem Dachschaden. Sie waren angewiesen auf meinen Verdienst, von dem ich monatlich etwas für den Haushalt abzweigte. Geld war grundsätzlich knapp.
Ich war fast fertig mit der Mahlzeit, als es an der Tür läutete. Es war Emil, der nachfragte, ob ich Lust auf einen Spaziergang hätte. Noch kauend musterte ich ihn. Es war nicht so, dass Emil unattraktiv gewesen wäre, nur eben so langweilig wie der Käse, den ich gerade im Mund umdrehte. Tapfer schluckte ich ihn herunter.
„Ich dachte, ich hole dich ab, bevor du in die Äpfel fährst.“ Verlegen knetete Emil seine Hände. Manchmal holte er mich zu einem Spaziergang ab, mehr war da nicht.
„Hat sich wohl schon herum gesprochen.“
Emil grinste, etwas infantil. „In diesem Kaff bleibt nichts verborgen. Du fährst morgen, richtig?“
„Allerdings. Sollen wir um den Weiher herum gehen?“ Es wäre nicht so weit, in einer guten halben Stunde wären wir zurück und ich Emil los.
„Die einzige Attraktion im Dorf – außer dir natürlich“, rang Emil sich ab.
Ich merkte auf. Versuchte er gerade, einen Angriff zu starten? „Das hast du lieb gesagt. Warte, ich sage nur meinen Eltern Bescheid.“
Der Bonnhofer Weiher war eine Sehenswürdigkeit. Idyllisch lag er in einer Talsohle mit allerhand Pflanzen drum herum, hauptsächlich Schilf. Ein Paradies für Vögel, größtenteils Fischreiher.
Worüber wir uns unterhielten, muss hier nicht erwähnt werden, es war ohnehin immer dasselbe; Emil berichtete ein wenig von seiner Arbeit und ich von meiner. Viel zu sagen hatten wir uns nicht. In etwas weniger als einer halben Stunde waren wir zurück.
„Ich wünsche dir eine gute Zeit“, vermeldete Emil. „Vergiss unser Dorf nicht.“
Ich sah ihm an, dass er eigentlich meinte: Vergiss mich nicht, aber das zu sagen traute er sich nicht.
„Werde ich nicht, Emil. Danke.“
Er wippte auf seinen Zehen vor und zurück, als versuche er, noch etwas hinzuzufügen, stattdessen bekam er rote Bäckchen.
„Also, dann ...“
„Bis dann.“
Ich ging schnell ins Haus, langsam wurde es peinlich. Emil war gut und lieb, aber das reichte mir nicht. Was ich suchte, war Spannung, Aufregung, und wie gesagt, das Prickeln. Sehnsucht wollte ich spüren, Verlangen. Davon waren wir beide weit entfernt.
Vater saß in seinem Ohrensessel und las die Tageszeitung zum wiederholten Mal, und Mutter klapperte auffordernd mit dem Geschirr. Als sie mich entdeckte, fasste sie mit beiden Händen an ihre Schläfen.
„Ann, ich bin so unruhig und mein Kreislauf spinnt. Ich glaube, ich muss mich hinlegen. Kannst du das nicht machen?“
Damit hatte ich gerechnet. Es war mir ein Rätsel, wie sie die nächsten vierzehn Tage über die Runden kommen wollte.
Oma Gundel holte mich vom Bahnhof ab. Frisch sah sie aus, ein bisschen derb, beinahe bäuerlich, bekleidet mit einem groß blumigen Sommerkleid, das ihr fabelhaft zu Gesicht stand. Sie hatte kein Problem mit ihrer Pfirsichhaut, was daran lag, dass sie mehr an der frischen Luft war als sonst irgendwo. Sie bewegte sich viel, aß viel Obst – logisch – trank keinen Alkohol und rauchte nicht. Sie sah aus wie höchstens Mitte fünfzig, ging dabei schon fast auf die siebzig zu. Oma Gundel war von heiterem Gemüt und ich liebte sie.
Wir umarmten uns und küssten unsere Wangen. „Wie schön, dass du es geschafft hast, Ann, dich von der Arbeit frei zu machen. Ich kann jede Hand gebrauchen. Ich hoffe, du hast eine Menge Zeit mitgebracht. Wie geht es den Eltern?“
„Na ja“, sagte ich, nahm meinen Koffer auf und folgte ihr zum Wagen. „Wie immer.“
Sie zwinkerte mir zu. „Und die Liebe, Kind?“
Ich verdrehte die Augen. „Auch so.“
„Ach, Mädchen. Denk positiv. Der Richtige kommt schon noch. Alles zu seiner Zeit.“
Wie gewohnt sparte sie nicht mit Allgemeinplätzen.
Während sie meinen Koffer in den Kofferraum verfrachtete, lachte sie spitzbübisch. „Du solltest mal meinen neuen Nachbarn kennen lernen, den Jan. Das ist einer, sag ich dir. Der ist vielleicht aktiv. Hinter jedem Rock her. Also, nimm dich in acht.“
„Ich gehe davon aus, dass mir nicht viel Zeit für die Bekanntschaft deiner Nachbarn bleibt.“
„Da hast du auch wieder recht. Jetzt komm, lass uns fahren. Das Essen wartet schon auf uns. Ich habe alles vorbereitet.“
Ein angenehmer Gedanke. Wärme durchströmte mich.
Das Erste, was mir auffiel, als wir in Omas Hofeinfahrt fuhren, waren die vielen Kisten, die bereits angefüllt mit Äpfeln, dicht an die Hauswand geschmiegt standen. Sie bemerkte meinen Blick. „Mach dir keine Hoffnungen, Mädel“, lachte Oma. „Das ist nur der Anfang. Es gibt genug zu tun. Nach dem Essen geht es los.“
Als Kind hatte ich diese Arbeit gemocht. Zwei oder drei Mal hatte ich das Vergnügen bereits gehabt. Allerdings war ich die meiste Zeit auf dem kleinen Trecker gesessen, der die Züge zog, und hatte von den Früchten genascht.
Auf die Brotzeit, die es zwischendurch gab, war ich immer ganz verrückt gewesen, und nie hatte ein belegtes Brot leckerer geschmeckt als zur damaligen Zeit.
Wir betraten das Haus, in dem es immer ein bisschen nach Kuhstall roch. Früher, als Opa Franz noch lebte, hielten meine Großeltern Kühe. Seit seinem Dahinscheiden allerdings war es Oma Gundel zu viel geworden, sich auch noch um die Tiere zu kümmern, und so waren nur die Hühner und Kater Wolle übrig geblieben. Wolle deshalb, weil er immer etwas verwildert wirkte und sein scheckiges Fell auf zweideutige Abstammung schließen ließ. Er schien mich zu erkennen, kaum hatte ich das Haus betreten, strich er mir um die Beine und schnurrte friedliebend.
Oma Gundel und Opa Franz müssen das alte Bauernhaus noch vor meiner Zeit erworben haben. Es wurde gemunkelt, dass sie es zunächst entkernen mussten, um es dann aufwändig zu restaurieren. Mir hat sich nie erschlossen, weshalb man etwas Altes umbaut zu etwas noch Älterem. Ich hätte es moderner gestaltet, aber mich konnten sie damals nicht nach meiner Meinung fragen.
Sicher entbehrte das Haus nicht einem gewissen Charme – der Herd, auf dem Oma kochte, musste mit Holz beheizt werden; das Knistern war anheimelnd und gemütlich. Viel Fachwerk und hohe Decken gaben den Räumen einen bäuerlichen Touch.
Das Bett, in dem ich schlafen würde, hatte vier verschnörkelte Pfosten und einen Baldachin, super romantisch, wenn man auf so etwas steht. Das Holz war abgenutzt, sehr rustikal. Nur gut, dass Strom und Wasser einwandfrei funktionierte, wenn auch die Badewanne auf vier Klauenfüßen stand. Ich fürchtete stets, sie könnte sich losmachen und davon laufen, albern, ich weiß.
„Gib Wolle, was er braucht und stell den Koffer ab“, unterbrach Oma meinen Gedankengang. „Ich decke den Tisch. Schön, mal wieder für zwei zu decken.“
Vor sich hin summend ging sie in die in blau gehaltene Küche und ließ die Schiebetür offen. Ich warf einen Blick auf die Bauernmalerei, für die sie selbst zum Pinsel gegriffen hatte.
Verschiedene Düfte strichen um meine Nase. Meine Streicheleinheiten ließ Wolle sich gern gefallen, mit einer eleganten Bewegung rollte er sich auf den Rücken. Sein Schwanz peitschte auf den Fußboden. „Alter Schwerenöter.“
„Er liebt dich“, rief Gundel aus der Küche.
„Wenigstens einer, der das tut. Was hast du uns denn gekocht?“
„Gulasch. Spätzle. Salat. Kannst kommen, wenn du magst, Ann.“
Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Omas Gulasch war legendär. Viel Zwiebel, viel roter Paprika und kiloweise Tomaten. Zartes Fleisch, das auf der Zunge zerging. Und Spätzle. Echte, schwäbische Spätzle.
Ich aß mit gutem Appetit.
„Was ist mit den Polen?“, wollte ich wissen.
„Ach, keine Ahnung. Petar und seine Jungs sind aufgetaucht wie jedes Jahr, der Rest ist Schweigen. Keiner weiß was Genaues. Auf einmal ist ihr Deutsch nicht gut genug für Erklärungen. Schade, dass dein Bruder nicht kommen konnte. Einen jungen, gesunden Mann wie ihn hätte ich gebrauchen können.“
„Frag doch deinen windigen Nachbarn.“
„Den Hechel? Lieber nicht. Viel zu riskant.“ Sie schob sich eine Gabel in den Mund, kaute genüsslich.
„Riskant, wieso?“ Aber ich hatte schon so eine Ahnung.
„Deinetwegen, was denn sonst. Der bringt es fertig und verführt dich zwischen den Apfelbäumen, ohne groß zu fragen. Der macht die Weiber verrückt. Zu mehr ist er nicht zu gebrauchen.“
„Hach, wie romantisch.“ Ich lachte. „Du gönnst mir auch gar nichts. So eine romantische Liebelei in freier Natur wäre genau nach meinem Geschmack.“
Gundel knurrte: „Mit Liebelei gibt der sich nicht zufrieden. Das ist ein ganz Wilder. Nicht umsonst heißt er Hechel. Mich wundert, dass er noch keine geschwängert hat, so bunt, wie der es treibt. Ex und hopp, verstehst du. Es gibt wohl kaum eine ansehnliche Frau in der Umgebung, mit der er noch nichts hatte.“
Ohne es zu ahnen, stachelte Gundel meine Neugier an.
Wenn einer schon Hechel heißt …
Ich verscheuchte den Gedanken wie eine lästige Fliege. Es gehörte nicht zu meinen vorrangigen Zielen, mich schwängern zu lassen.
„Hast du anständige Arbeitskleidung dabei?“, hakte Gundel nach. „Wenn nicht, kriegst du einen blauen Anton von mir.“
„Du bist doch viel kleiner als ich, Oma.“
„Na und? Dann schauen halt die Knöchel raus. Ist doch ohnehin Mode bei euch jungen Leuten, und warm genug ist es auch. Hast du?“
„Klar. Ein paar alte Jeans und ein paar Shirts, die ihre besten Zeiten hinter sich haben.“
„Dann geh rasch und zieh dich um. Du weißt ja, wo dein Zimmer ist, oder? Es ist immer noch das Alte. In der Zwischenzeit räume ich hier auf.“
Noch ein Grund mehr, sich behaglich zu fühlen. Im Gegensatz zu meiner Mutter, machte Gundel noch alles selbst.
Ich trug meinen Koffer nach oben, warf ihn auf das Bett, das aussah, als hätte schon Napoleon darin genächtigt.