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Examensarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Philosophie - Philosophie des 20. Jahrhunderts, Note: 1,0, Universität Hamburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Sartres Leben und Werk sind vor allem durch sein immer währendes Engagement für die Freiheit geprägt. Ob als Philosoph, Staatsbürger, Dramaturg oder Schriftsteller stets galt das Hauptinteresse Sartres dem Thema der Freiheit. Da der Mensch die Erfahrung der Freiheit macht, d.h. sich als selbstbestimmt handelnd und denkend versteht, erhebt sich die Frage einer philosophischen Begründung der Freiheit. Sartre fasst die Freiheit nun aber nicht wie zum Teil in der Tradition vor ihm als eine Eigenschaft des Menschen auf, sondern als eine Grundbestimmung des menschlichen Seins, die von seiner Existenz nicht zu trennen ist. Zunächst versteht Sartre wie auch Kant Freiheit als Freiheit von Kausalität. Eine freie Tat ist als eine absolut neue Schöpfung zu verstehen, deren Keim nicht in einem früheren Zustand der Welt enthalten ist, denn dann wäre sie ja nicht frei, sondern kausal bestimmt. Infolgedessen sind Freiheit und Schöpfung eins. Während Kant die Frage der Vereinbarkeit von Naturkausalität und Freiheit löst, indem er eine Trennung von Ding-an-sich und Erscheinung vornimmt, versucht Sartre ohne eine solche Trennung auszukommen, indem er Freiheit vor aller Bestimmung im Sein des Menschen verankert. Die vorliegende Arbeit zeichnet diese ontologische Begründung der Freiheit nach, stellt die zentrale Bedeutung der Intentionalität und Negativität heraus und zeigt, inwiefern dem Bewusstsein eine Schlüsselstelle in der Sartreschen Philosophie zukommt. Ausgangspunkt ist die Auseinandersetzung Sartres mit der Phänomenologie Husserls auf deren Basis Sartre seine eigene Philosophie weiterentwickelt und schließlich zur phänomenologischen Ontologie gelangt, wie sie sich in "Das Sein und das Nichts" findet. Verdeutlicht werden der besondere Stellenwert des präreflexiven Bewusstsein und die sich daraus ergebenden weit reichenden Konsequenzen für den ontologischen Freiheitsbegriff Sartres, sowie die darauf aufbauende Grundunterscheidung des Seienden in ein solides nicht bewusstes An-sich und in ein Negation schaffendes bewusstes Für-sich. Schließlich wird das Handeln des Menschen im Zusammenhang von Freiheit und Faktizität betrachtet. Dabei zeigt sich, dass dem Faktum der Existenz des Anderen eine besondere Bedeutung unter dem Gegebenen zukommt. Die Frage nach dem Anderen leitet über zur Frage nach der Vereinbarkeit von Moralphilosophie und Ontologie. Abschließend wird ein Ausblick über die moralphilosophische Entwicklung Sartres gegeben.
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Sartres Leben und Werk sind vor allem durch sein immer währendes Engagement für die Freiheit geprägt. Ob als Philosoph, Staatsbürger, Dramaturg oder Schriftsteller stets galt das Hauptinteresse Sartres dem Thema der Freiheit. So schreibt er 1947 über das Dasein des Schriftstellers: „ober nur von den individuellen Leidenschaften spricht oder das System der Gesellschaft angreift, als freier Mensch, der sich an freie Menschen wendet, hat er nur ein einziges Sujet: die Freiheit“(L S.54)1. Auch für Sartres späteres Denken bleibt der in seinem philosophischen HauptwerkDas Sein und das Nichts2aus dem Jahre 1943 unternommene Versuch einer ontologischen Begründung der Freiheit grundlegend. Da der Mensch die Erfahrung der Freiheit macht, d.h. sich als selbstbestimmt handelnd und denkend versteht, erhebt sich die Frage einer philosophischen Begründung der Freiheit. Sartre fasst die Freiheit nun aber nicht wie zum Teil in der Tradition vor ihm als eine Eigenschaft des Menschen auf, sondern als eine Grundbestimmung des menschlichen Seins, die von seiner Existenz nicht zu trennen ist. Deshalb sagt Sartre: „jeder Menschistoffensichtlich Freiheit“ (CF 103)3.
Zunächst versteht Sartre wie auch Kant Freiheit als Freiheit von Kausalität. Eine freie Tat ist als eine absolut neue Schöpfung zu verstehen, deren Keim nicht in einem früheren Zustand der Welt enthalten ist, denn dann wäre sie ja nicht frei, sondern kausal bestimmt. Infolgedessen sind Freiheit und Schöpfung eins. Während Kant die Frage der Vereinbarkeit von Naturkausalität und Freiheit löst, indem er eine Trennung von Dingan-sich und Erscheinung vornimmt, versucht Sartre ohne eine solche Trennung auszukommen, indem er Freiheit vor aller Bestimmung im Sein des Menschen verankert: „sie [sc. die Freiheit]ist keine hinzugefügte Qualität oderEigenschaftmeiner Natur; sie ist ganz genau der Stoff meines Seins“(SN 762/514).
In der vorliegenden Arbeit soll es darum gehen, diese ontologische Begründung der Freiheit nachzuzeichnen. Dabei soll die zentrale Bedeutung der Intentionalität und Negativität herausgestellt und gezeigt werden, inwiefern dem Bewusstsein eine Schlüsselstelle in der Sartre´schen Philosophie zukommt. Schließlich sollen auch die aus
1Sartre: Was ist Literatur? (Im Folgenden abgekürzt mit „L“).
2Im Folgenden abgekürzt mit „SN“. (Die Ziffern an zweiter Stelle verweisen auf die Seitenzahl der französischen Originalausgabe von 1943.)
3Die cartesianische Freiheitaus dem Jahre 1945. In: Sartre, Philosophische Schriften 1, Band 4. (Im Folgenden abgekürzt mit „CF“.)
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dem Sartre´schen Freiheitsverständnis resultierenden Konsequenzen für das Handeln des Menschen thematisiert werden.
Das erste Kapitel geht zunächst auf die SchriftDie Transzendenz des Ego4aus dem Jahre 1936 ein. In dieser spiegelt sich die Auseinandersetzung Sartres mit der Phänomenologie Husserls wider, auf deren Basis Sartre seine eigene Philosophie weiterentwickelt und schließlich zur phänomenologischen Ontologie gelangt, wie sie sich inDas Sein und das Nichtsfindet. Sartre besteht auf der völligen Leere des Bewusstseins und übernimmt von Husserl die Auffassung, dass Bewusstsein sei immer intentional auf etwas außerhalb seiner selbst gerichtet. Ausgangspunkt Sartres ist das Cogito. Herausgestellt werden soll, dass es Sartre in seiner Untersuchung gerade nicht um eine erkenntnistheoretische Frage geht, sondern um die Seinsweise des Bewusstseins, die er als „Abwesenheit von sich“ kennzeichnet. Die besondere Bedeutung des präreflexiven Bewusstsein und die sich daraus ergebenden weit reichenden Konsequenzen für den Freiheitsbegriff Sartres werden im Verlauf der Arbeit immer deutlicher hervortreten. Im zweiten Kapitel geht es dann bereits um die sich aus Sartres phänomenologischen Untersuchungen des Bewusstseins ergebende Schlussfolgerung, dass es neben dem Bewusstsein noch ein anderes, ein nicht bewusstes Sein geben muss. Dabei wird sich herausstellen, dass auf diese Grundunterscheidung des Seienden in ein solides nicht bewusstes An-sich und in ein Negation schaffendes bewusstes Für-sich die Bestimmung der Freiheit aufbaut. Zentrale Bedeutung kommt dem Nichts als ontologisches Kriterium des Für-sich zu. Denn das Nichts macht gerade die ständige Möglichkeit des Menschen aus, sich von den Gegebenheiten durch einen nichtenden Abstand zu lösen. Gezeigt werden soll, dass gerade diese ständige Möglichkeit der Loslösung von den Kausalreihen−Sartre spricht auch von einem nichtenden Bruch mit der Welt−eins ist mit der Freiheit.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Handeln als einer der Hauptkategorien der menschlichen Realität. Hier wird die Frage aufgeworfen, inwiefern davon gesprochen werden kann, dass der Mensch frei und damit selbstverantwortlich handelt. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Bedeutung des durch die Nichtung realisierten Mangels gerichtet, der durch das Handeln des Menschen überwunden werden soll. Denn die Freiheit offenbart sich gerade in der permanenten Möglichkeit, eine bestimmte Situation durch Losreißen und Überschreiten des Gegebenen als mangelhaft zu erfahren.
4Im Folgenden abgekürzt mit „TE“
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Ausgehend von der Freiheit als der ersten Bedingung des Handelns sollen schließlich Begriffe wie Antrieb, Motiv und Zweck aufgegriffen und in ihrer Bedeutung für den Sartre´schen Handlungsbegriff dargestellt werden.
Das vierte Kapitel greift die von Sartre so benannte „Rückseite“ der Freiheit auf, also den Zusammenhang von Freiheit und Faktizität. Für Sartre stehen Freiheit und Faktizität, also das Verhältnis zwischen autonomem Handeln und dem Widerstand der Dinge, in einem engen Zusammenhang. Dabei zeigt sich, dass dem Faktum der Existenz des Anderen eine besondere Bedeutung unter dem Gegebenen zukommt. Sartre geht auch bei der Frage nach dem Anderen vom Cogito aus und versucht zu zeigen, dass es auch in der Auseinandersetzung mit dem Anderen um eine Seinsverbindung geht. Dabei offenbart sich auch hier die Freiheit in der Möglichkeit der Negation, die in der Auseinandersetzung mit dem Anderen eine wechselseitige interne Negation ist. Die Auffassung Sartres, die grundlegende Beziehung zum Anderen sei der Konflikt, spielt gerade im Zusammenhang der Frage nach der Möglichkeit einer Ethik eine besondere Rolle.
Im letzten Kapitel geht es dann schließlich um die Frage nach der Vereinbarkeit von Ethik und Ontologie. Dabei wird sich herausstellen, dass bei Sartre, anders als bei Kant, der über die Bestimmung des Menschen als vernünftiges Wesen zu einem allgemeinen Sittengesetz kommt, die Freiheit völlig unbestimmt bleibt. Das Fehlen jeglicher inhaltlicher Bestimmung der Freiheit führt zu besonderen Schwierigkeiten, wenn es um die Frage der Möglichkeit einer Ethik geht. Es soll herausgearbeitet werden, in welchem Sinne Begriffe wie „Wert“ oder „Verantwortung“, die sich in Sartres Werk finden, zu verstehen sind. Besonderes Augenmerk kommt dem VortragDer Existentialismus ist ein Humanismus5zu, in dem Sartre seine Vorstellungen zur Ethik konkretisiert. Abschließend wird ein Ausblick über die moralphilosophische Entwicklung Sartres gegeben.
5In: Philosophische Schriften 1, Band 4. (Im Folgenden abgekürzt mit „EH“.)
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1.2 Intentionalität
Sartres Ausgangspunkt findet sich in der Frage nach der ontologischen Verbindung zwischen den zwei radikal verschiedenen Seinstypen Bewusstsein und Welt. Sartre schließt damit an die cartesianische Tradition an, dessen skeptische Position mit dem Cogito als einzig verlässlicher Basis des Erkennens, in den das philosophische Denken bis heute prägenden Dualismus von „res cogitans“ und „res extensa“ gipfelte. Das cartesianische Motiv radikaler Selbstbesinnung führt zur Erkenntnis, dass das Bewusstsein Voraussetzung allen Zweifelns ist und somit das Einzige, über das sich verlässliche Aussagen machen lassen. Nach methodischem Herausreflektieren aller dem Bewusstsein äußerlichen Vorurteile kann dann ein absolut sicheres Erkenntnisfundament aufgefunden werden: das Cogito. Damit hat sich nun eine Kluft aufgetan zwischen dem Bewusstsein und der Welt, die Descartes in seiner SchriftMeditationes de prima philosophiadurch den „Nachweis“6eines Gottes, der die Wahrheit der Erkenntnisse über die Welt garantieren soll, zu lösen versucht.
Die Husserl´sche Phänomenologie, die sich nicht mehr auf einen Gott als Garanten der Erkenntnis beziehen kann, versucht mit Bezug auf Descartes zu zeigen, dass eine Aufspaltung der Welt in Subjekt und Objekt verfehlt ist, da sich die Welt erst im Zusammenspiel von Bewusstsein und Welt konstituiert. An diese Position schließt Sartre an. Da auch für ihn Bewusstsein und Welt „beideauf einmal gegeben“7sind, geht es ihm darum, eine Verbindung zwischen beiden aufzuzeigen. Dabei greift er Husserls berühmte Wendung „AllesBewußtsein ist Bewußtsein von etwas“8auf, und meint so dem sowohl mit der Position des Realismus als auch mit der Position des Idealismus verbundenen Problem
6Diesen ontologischen Gottesbeweis hat Kant in derKritik der reinen Vernunftwiderlegt: „DerBegriff eines höchsten Wesens ist eine in mancher Absicht sehr nützliche Idee; sie ist aber eben darum, weil sie bloß Idee ist, ganz unfähig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkenntnis in Ansehung dessen, was existiert, zu erweitern.... Es ist also an dem so berühmten ontologischen (Cartesianischen) Beweise, vom Dasein eines höchsten Wesens, aus Begriffen, alle Mühe und Arbeit verloren...“[Kant, Kritik der reinen Vernunft B630]. (Im Folgenden abgekürzt mit „KrV“.)
7Eine fundamentale Idee der Phänomenologie Husserls: die Intentionalität S.33. In: Gesammelte Werke, Philosophische Schriften I: Band 1. (Im Folgenden abgekürzt mit „FIH“.) Sartre schreibt in diesem Zusammenhang an anderer Stelle: „Aberman kann festhalten, daß man die beiden Glieder eines Verhältnisses nicht erst trennen kann, um dann zu versuchen, sie wieder zusammenzubringen:das Verhältnis ist Synthese.“SN S.49/37 (Herv. v. m.). Seel sieht gerade in “demProblem einer Theorie des konkreten Subjekts in seinem Verhältnis zur konkreten Welt”ein zentrales Problem, an dem die Philosophie Sartres orientiert ist [Seel, Sartres Dialektik, S.34].
8Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen § 14, S.35
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der Erklärung der jeweils dem Ausgangspunkt gegenüberstehenden Seinsart zu entgehen. Dieses Problem des Dualismus, also der Getrenntheit beider Seinsweisen, hatte Husserl gelöst, indem er dem Bewusstsein Intentionalität zuschrieb: „Bewußtseinserlebnisse nennt man auch intentionale, wobei aber das Wort Intentionalität dann nichts anderes als diese allgemeine Grundeigenschaft des Bewußtseins, Bewußtsein von etwas zu sein, alscogitoseincogitatumin sich zu tragen, bedeutet.“9
Die Kennzeichnung des Bewusstseins als intentional impliziert, dass es immer auf etwas außerhalb seiner selbst gerichtet ist. Somit kann das bewusste Leben sich niemals in pure Subjektivität auflösen oder sich verdinglichen. Intentionalität meint allerdings nicht nur den von Erkenntnisinteresse getragenen Bezug zur Welt, sondern jegliche Art subjektiver Reaktion auf die Welt außerhalb. Sartre betont, dass nach Husserl nichtsimBewusstsein sei, sondern das Bewusstsein immer nach außen, also auf die Welt gerichtet sei. „In einer Hinsicht ist es (sc. das Bewußtsein) einNichts[rien], da alle ... Objekte, alle Wahrheiten, alle Werte außerhalb seiner sind (...). Dieses Nichts ist jedochAlles,weil esBewußtsein vonall jenen Objekten ist. Es ist kein>Innenleben<mehr (...).“ (TE 83).