Der Condor - Adalbert Stifter - E-Book

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Adalbert Stifter

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Beschreibung

In "Der Condor" entfaltet Adalbert Stifter eine fesselnde Erzählung, die sich mit den Themen Identität, Natur und der menschlichen Psyche auseinandersetzt. Der Autor verwendet einen klaren, poetischen Stil, der die bildhafte Darstellung außergewöhnlicher Landschaften und innere Konflikte seiner Protagonisten vereint. Die Erzählung ist zugleich ein Spiegel der Romantik und des Biedermeiers, in der sich Stifter in der Tradition der Naturlyrik und der sensiblen Betrachtung des Ichs übt. Durch die eindrücklichen Beschreibungen der Tiere und der Natur wird der Leser zu einer tiefen Reflexion über das Leben angeregt. Adalbert Stifter, ein österreichischer Schriftsteller und Maler des 19. Jahrhunderts, wird oft als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Literatur betrachtet. Seine Erlebnisse in den Alpen und der Wunsch, die Schönheit der Natur zu erfassen, prägten seine literarische Stimme. Stifter war ein Verfechter der Harmonie zwischen Mensch und Natur und wandte sich in seinen Werken häufig den philosophischen und sozialen Fragestellungen seiner Zeit zu. Dies spiegelt sich auch in "Der Condor" wider, das von einem starken Bewusstsein für das menschliche Dasein zeugt. Leser, die sich für tiefgründige Erzählungen mit philosophischen Untertönen und einer klaren Verbindung zur Natur interessieren, werden von "Der Condor" begeistert sein. Stifters Werk fordert nicht nur zur Selbstreflexion auf, sondern öffnet auch eine Tür zu den tiefen Beziehungen zwischen Mensch und Tier sowie zur fragilen Schönheit der Welt. Das Buch ist somit nicht nur ein literarisches Kunstwerk, sondern auch ein zeitloses Plädoyer für den Erhalt der natürlichen Harmonie.

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Adalbert Stifter

Der Condor

Eine Geschichte von Adel, Romantik und der Suche nach Freiheit im Schatten der Natur
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2024
EAN 8596547836032

Inhaltsverzeichnis

1. Ein Nachtstück
2. Tagstück
3. Blumenstück
4. Fruchtstück
Anmerkungen zu dem Condor

1. Ein Nachtstück

Inhaltsverzeichnis
1.
Ein Nachtstück.

Um zwei Uhr einer schönen Junimondnacht ging ein Kater längs des Dachfirstes und schaute in den Mond. Das eine seiner Augen, von dem Strahle des Nachtgestirnes schräg getroffen, erglänzte, wie ein grüner Irrwisch, das andere war schwarz, wie Küchenpech, und so glotzte er zuletzt, am Ende der Dachkante ankommend, bei einem Fenster hinein – und ich heraus. Die großen freundlichen Räder seiner Augen auf mich heftend, schien er befremdlich fragen zu wollen: „Was ist denn das, du lieber alter Spiel- und Stubengenosse, daß du heute in die späte Nacht dein Gesicht zum Fenster hinaushältst, das sonst immer roth und gesund auf dem weißen Kissen lag und ruhig schlummerte, wenn ich bei meinen Nachtgängen gelegentlich vorbeikam und hineinschaute?“

„Ei, Trauter,“ erwiederte ich ihm auf die stumme Frage, „die Zeiten haben sich nun einmal sehr geändert, das siehst du; – die weißen Kissen liegen unzerknittert dort auf dem Bettgestelle, und der Vollmond malt die lieblich flirrenden Fensterscheiben darauf, statt daß er in mein schlummerndes Angesicht schiene, welches Gesicht ich dafür da am Simse in die Nacht hinaushalten muß, um damit schon durch drei Viertheile derselben auf den Himmel zu schauen; denn an demselben wird heute das seltenste und tollste Gestirn emporsteigen, was er je gesehen. Es wird zwar nicht leuchten, aber wenn nach Verdienst gerichtet würde, so ist etwas in ihm, das strahlenreicher ist, als der Mond und alle Sterne zusammengerechnet, deine glänzenden Augen nicht ausgenommen, Verehrtester.“

So sagte ich ungefähr zu dem Kater, er aber drehte seine Augen, als verstände er meine Rede, noch einmal so groß und noch einmal so freundlich gegen mich, daß sie wie Glimmerscheiben leuchteten, und die Seite seines weichen Felles gegen meine Hand krümmend und stemmend, hob er sofort sein traulich Spinnen an, während ich fortfuhr, mit ihm zu kosen: „Man sieht viel in einer langen Mondnacht, das wirst du wissen, Lieber, wenn du sonst Beobachtungsgeist besitzest; aber siehe, ich wußte es nicht, da ich nie Zeit hatte, eine so recht von Herzen anzuschauen, allein in diesem Harren und Schauen nach dem Himmel, namentlich da der gehoffte Weltkörper immer nicht kam, hatte ich Muße genug den Lebenslauf einer Frühlingsnacht zu studiren.“

Da aber alles wahr ist, was ich da meinem lieben Freunde Hinze eröffnete, so sehe ich nicht ab, warum ich es nicht auch einem noch liebern Menschenauge eröffnen, dem einst dieses Blatt vorkommen könnte, warum ich nicht sagen sollte, daß mich wirklich ein närrisches und unglückliches Verhängniß an dieses Fenster kettete, und meine Blicke die ganze Nacht in die Lüfte bannte. Es will fast närrisch sein, aber jeder säße auch bei mir hieroben, wenn er vorher das erlebt hätte, was ich.

Die Zeit war zäh, wie Blei.

Leider war ich schon viel zu früh heraufgestiegen, als sich noch das leidige Abendgetümmel der Menschen durch die Gassen schleppte, und eine wunderliche Dissonanz bildete zu dem lieben Monde, der bereits mit rosenrothem Angesichte dort drüben zwischen zwei mächtigen Rauchfängen lag und auf meine zwei Fenster herübergrüßte.

Allmälig puppte sich denn doch alles, was Mensch heißt, in seine Nachthüllen ein, und nur die Rufe der Schlemmer tönten hie und da herauf, wie sie ihren späten Nachtweg nach Hause suchten – dann hob jene Zeit an, die die Philosophen, Dichter und Kater lieben, die Nachtstille – mein vierpfotiger Freund hat eben nicht den übelsten Geschmack für die Zeit seiner Spaziergänge. – Der Mond hatte sich endlich von den Dächern gelöset, und stand hoch im Blau – ein Glänzen und ein Flimmern und ein Leuchten durch den ganzen Himmel begann, durch alle Wolken schoß Silber, von allen Blechdächern rannen breite Ströme desselben nieder, und an die Blitzableiter, Dachspitzen und Thurmkreuze waren Funken geschleudert. Ein feiner Silberrauch ging über die Dächer der weiten Stadt, wie ein Schleier, der auf den hunderttausend schlummernden Herzen liegt. Der einzige Goldpunkt in dem Meere von Silber war die brennende Lampe drüben in dem Dachstübchen der armen Waschfrau, deren Kind auf den Tod liegt.

So schön das alles war, so wurden doch die Stunden eine nach der andern länger – die Schatten der Schornsteine hatten sich längst umgekehrt, die silberne Mondkugel rollte schon bergab auf der zweiten Hälfte ihres dunkeln Bogens – es war die tödtlichste Stille – nur ich und jenes Lämpchen wachten.

Was ich aber suchte, das erschien nicht.