Der Dieb der Finsternis - Richard Doetsch - E-Book

Der Dieb der Finsternis E-Book

Richard Doetsch

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Beschreibung

Michael St. Pierre ist ein Meisterdieb, spezialisiert auf alte Artefakte. Eigentlich wollte er seine kriminelle Karriere beenden. Doch dann verschwindet sein bester Freund Simon im Nahen Osten unter mysteriösen Umständen. Er wurde in ein streng bewachtes Gefängnis gebracht, in dem man ungeliebte Staatsfeinde verschwinden lässt. Nur wenige Menschen wissen, dass dieser Ort überhaupt existiert. Michael weiß, dass sein Freund für eine archäologische Grabung arbeitete. Ist er dort auf etwas gestoßen, das ihn in diese Lage gebracht hat? Michael begibt sich auf eine Mission, der sich kein Dieb stellen möchte: der Einbruch in ein geheimes Hochsicherheitsgefängnis, aus dem noch niemand entkommen ist.

»Ein Meisterwerk!« JAMES ROLLINS

Die spannende Mystery-Thriller-Reihe um Meisterdieb Michael St. Pierre für alle Fans von Dan Brown und James Twining:

Band 1: Der dunkle Pfad Gottes
Band 2: Die Quelle der Seelen
Band 3: Der Dieb der Finsternis
Band 4: Die Legende der Dunkelheit

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Zitate

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Epilog

Danksagungen

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

Michael St. Pierre ist ein Meisterdieb, spezialisiert auf alte Artefakte. Eigentlich wollte er seine kriminelle Karriere beenden. Doch dann verschwindet sein bester Freund Simon im Nahen Osten unter mysteriösen Umständen. Er wurde in ein streng bewachtes Gefängnis gebracht, in dem man ungeliebte Staatsfeinde verschwinden lässt. Nur wenige Menschen wissen, dass dieser Ort überhaupt existiert. Michael weiß, dass sein Freund für eine archäologische Grabung arbeitete. Ist er dort auf etwas gestoßen, das ihn in diese Lage gebracht hat? Michael begibt sich auf eine Mission, der sich kein Dieb stellen möchte: der Einbruch in ein geheimes Hochsicherheitsgefängnis, aus dem noch niemand entkommen ist.

RICHARD DOETSCH

DERDIEB DERFINSTERNIS

Aus dem Englischen vonDiana Beate Hellmann

Für Virginia,meine beste Freundin.

Die schönste Erfahrung, die wir machen können,ist die Erfahrung des Unbegreiflichen.

– Albert Einstein

Die Märchen, die wahr werden, sind die,an die man fest genug glaubt.

Prolog

In der Wüste von Akbikistan

Das Staatsgefängnis Chiron erhob sich auf dem Gipfel eines mehr als neunhundert Meter hohen Felsplateaus und bot einen eindrucksvollen Blick über die rostfarbene Steinwüste von Akbikistan, einer kleinen abtrünnigen Republik im Norden Pakistans. Achtzig Kilometer fernab jeder Zivilisation hatte man den dreistöckigen Steinbau in den Gipfel des einsamen Berges gemeißelt und damit die einzige Orientierungshilfe in einer ansonsten toten, öden Wüstenlandschaft geschaffen. Um Mitternacht, wenn die Wachtürme erleuchtet waren, ähnelte der Bau einer Krone auf dem Haupt eines Dämons.

Das berüchtigte Zuchthaus war 1860 von den Briten errichtet worden, denen es als Kriegsgefangenenlager gedient hatte. Sah man davon ab, dass es inzwischen Strom gab, hatte sich in den hundertfünfzig Jahren, die seither vergangen waren, nicht viel verändert. Das knapp zwanzig Meter hohe Gebäude war ein Granitblock mit festungsartigen Mauern; an den vier Ecken stand jeweils ein achteckiger Wachturm.

Seinen Namen – Chiron – verdankte das Gefängnis dem obersten Wächter des siebten Höllenkreises in Dantes Inferno, doch eilte ihm der Ruf voraus, dass es dort noch wesentlich schrecklicher zuging als in den düstersten Visionen des italienschen Dichters.

In letzter Zeit war das Zuchthaus nur zu dreißig Prozent belegt, und das Wachpersonal war auf achtzehn Mann reduziert worden. Chiron standen keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung; außerdem war das Zuchthaus Endstation für jene Sorte von Verbrechern, denen von Amnesty International nur wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eine Haftstrafe in Chiron war selbst dann ein Todesurteil, wenn der Häftling gar nicht zum Tode verurteilt worden war. Und es spielte keine Rolle, ob er fünf oder fünfzig Jahre abzusitzen hatte. Kein Gefangener erlebte den Tag seiner Freilassung.

Der Tod kam auf unterschiedlichste Weise, meist durch Hinrichtung, je nach Laune des Gefängnisdirektors entweder auf dem elektrischen Stuhl oder durch Enthauptung. Bei einem Fluchtversuch starb man durch die Kugel eines Wachmanns, wenn man nicht vorher durch die Hand eines Mitgefangenen ums Leben kam. Die häufigste Todesart allerdings war Selbstmord.

Es gab nur eine Möglichkeit, nach Chiron zu gelangen – über eine ausgefahrene Straße, die sich über knapp zehn Kilometer Länge hinauf zum Plateau schlängelte und kaum breit genug war für einen Lastwagen.

Seit 1895 war niemand mehr aus dem Gefängnis ausgebrochen. Denn wer das Glück hatte, den meterdicken Mauern zu entkommen, hatte anschließend nur zwei Möglichkeiten: Entweder er rannte die zehn Kilometer lange Zufahrtsstraße hinunter – die vom einzigen Wachturm, der durchgängig besetzt war, rund um die Uhr beobachtet wurde – und trat anschließend einen aussichtslosen Marsch durch die tödliche Wüste an, oder er sprang von der tausend Meter hohen Klippe, die sich vor der Haftanstalt auftat, um fünfundzwanzig Sekunden die Luft der Freiheit zu schnuppern und dann von den Felsen am Fuße des Plateaus zerschmettert zu werden. Es war eines der wenigen Gefängnisse weltweit, die auf einen Stacheldrahtzaun verzichten konnten.

Chiron war ein Ort, der perfekt dazu geeignet war, Menschen verschwinden zu lassen. Es war ein Ort, an dem man keinen Gedanken an das Wohl der Insassen verschwendete und wo man Wirtschaftskriminelle, Schwerverbrecher und kleine Ganoven zusammenpferchte in der Hoffnung, dass sie sich gegenseitig umbrachten.

Simon Bellatori saß auf dem Lehmboden seiner zweieinhalb Quadratmeter großen Zelle; die Vollstreckung seines Todesurteils war für fünf Uhr früh angesetzt. Er hatte keine Ahnung, wer auf die Idee gekommen war, Hinrichtungen bei Morgengrauen vorzunehmen, aber er fand es barbarisch und unmenschlich.

Bellatoris Verbrechen war ein simpler Einbruch in das Büro eines Geschäftsmannes gewesen, um einen Brief zu stehlen, der illegal bei einer Auktion ersteigert worden war und großen antiquarischen Wert besaß. Ein muslimischer Großwesir hatte den Brief an seinen Bruder geschrieben, einen christlichen Erzbischof, und die Welt hatte niemals von seinem Inhalt erfahren sollen. Bellatoris Diebstahl war ein Verbrechen, für das man in der Welt von heute nie und nimmer mit der Todesstrafe belegt worden wäre, aber die moderne Welt existierte innerhalb der alten Gefängnismauern Chirons nur in den Träumen der Häftlinge.

Es war geplant gewesen, dass Simon und sein Partner so schnell wie möglich einbrachen, den Brief an sich brachten und schleunigst wieder verschwanden, um dann pünktlich um 21.00 Uhr in der Amsterdamer Altstadt unweit der Prinzengracht im Restaurant Damsteeg ein spätes Abendessen einzunehmen. Doch die besten Pläne von Mäusen und Menschen …

Jetzt, da er in Chiron in seiner Zelle saß, bereute Simon zutiefst, was er getan hatte. Nicht den Diebstahl oder eines der anderen Vergehen, die er sich im Lauf seines Lebens hatte zuschulden kommen lassen. Nein, er bereute nur, einen engen Freund in diese Sache mit hineingezogen zu haben, sodass dieser Freund jetzt in der Zelle nebenan saß. Es erfüllte ihn mit Bitterkeit, diesen Mann in diesem gottverlassenen Land an die Schwelle des Todes geführt zu haben – einen Mann, der ihm vertraute.

Denn morgen früh, wenn der neue Tag anbrach, würde man sie beide wecken und in den Raum nebenan führen. Dort würde der Henker auf sie warten, den Kopf unter einer mittelalterlich anmutenden Kapuze verborgen. Er würde sie über einen Tisch aus Zypressenholz legen, ihnen die Hände auf dem Rücken fesseln, ihre mit dem Gesicht nach unten liegenden Körper auf einem Holzblock festgurten und dann ihre Köpfe festschnallen.

Dann würde der Raum sich mit Zuschauern füllen. Die Wachen würden die anderen Gefangenen holen, damit diese sich das Spektakel zur Abschreckung anschauten.

Zum Schluss würde der Gefängnisdirektor den Raum betreten, in der Mitte Platz nehmen und den Todgeweihten zornig in die Augen und prüfend in die Seelen blicken. Irgendwann – mit einem angedeuteten Lächeln, da er in Gedanken bereits an seinem Frühstückstisch saß – würde er das Zeichen geben.

Und dann würde der Henker den Zeremoniensäbel ergreifen und den Delinquenten die Köpfe vom Rumpf trennen.

Drei Tage zuvor

Michael St. Pierre betrat das Wohnzimmer seines Bungalows in Byram Hills, eine Autostunde von New York City entfernt. Er warf seine Post auf das Ledersofa und ließ aus einer langen Pappröhre mehrere Entwürfe auf seinen Pooltisch fallen. Seine drei Berner Sennenhunde Hawk, Raven und Bear waren ihm gefolgt und ließen sich zu seinen Füßen nieder, als er die Schaltbilder der Alarmanlage auseinanderrollte und auf dem grünen Filz glattstrich. Vier Wochen hatte er damit zugebracht, die stecknadelkopfgroßen Kameras und die verschlüsselte Videoüberwachungs- und Alarmanlage zu konzipieren, die für ein Kunstlager bestimmt waren, das dem Milliardär Shamus Hennicot gehörte.

Michael konnte gut nachvollziehen, dass Hennicot seine Sammlung an Monets, Rockwells und van Goghs schützen wollte. Und indem er all seine Erfahrung und sein Wissen in das Projekt hatte einfließen lassen, hatte Michael ein Sicherheitssystem geschaffen, das es im Hinblick auf seine technische Unüberwindbarkeit mit den Systemen der CIA aufnehmen konnte.

Michael drehte sich um und blickte auf das große Gemälde, das über dem steinernen Kamin hing. Es zeigte einen majestätischen Engel mit weit ausgebreiteten Flügeln, der einem leuchtenden Baum entstieg – ein Gemälde, das mit seinem realistischen Pinselstrich und seinen warmen Farben das Zeitalter der Renaissance spiegelte. Es war ein Govier aus dem späten sechzehnten Jahrhundert, ein Geschenk von einer engen Freundin, die ihn gebeten hatte, das zweite Gemälde dieses Malers zu stehlen und zu vernichten. Diese Bitte hatte schwer auf Michael gelastet, denn sie war der letzte Wunsch dieser Frau gewesen – eine ungewöhnliche Bitte, die er erfüllt hatte.

Michael war ein Dieb gewesen, der gelobt hatte, der Welt des Verbrechens den Rücken zu kehren. Er hatte dieses Versprechen seiner Frau und sich selbst gegeben. Dann aber hatten äußere Umstände ihn rückfällig werden lassen. Seit damals hatte er jedoch nur wenige Dinger gedreht – vor allem, um sich Geld zu beschaffen, das er für die Krebsbehandlung seiner Frau benötigte. Außerdem hatte er mehrmals seinem Freund Simon geholfen. Jede dieser Taten war uneigennützig gewesen. Michael selbst hatte sich nicht bereichert. Was er getan hatte, war zum Wohle anderer geschehen – in Situationen, in denen er moralische Kompromisse hatte schließen müssen.

Aber das alles war nun endgültig Vergangenheit. Obwohl er immer noch ein Meisterdieb war, hatte Michael seine Talente in Rente geschickt. Er hatte sich ein legitimes Geschäft aufgebaut, ein Sicherheitsunternehmen mit einem wachsenden Kundenstamm. Seine Kunden wussten, dass Michael vor ein paar Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, weil er in ein Botschaftsgebäude eingebrochen war, um Diamanten zu stehlen. Dennoch erhielt er immer wieder neue Aufträge, weil er sich den Ruf erarbeitet hatte, Qualitätsarbeit zu liefern, und über die Fähigkeit verfügte, so zu denken wie diejenigen, die auf der anderen Seite des Gesetzes standen und die Absicht hatten, in bewachte Gebäude einzubrechen, Computersysteme zu manipulieren und Alarmanlagen zu zerstören. Michael dachte wie der Feind, der darauf aus war, Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen und in die Tresorräume von Banken einzudringen. Michael zu beauftragen war etwa so, als würde man einer Footballmannschaft eine Woche vor dem Entscheidungsspiel die Unterlagen stehlen, in denen der Trainer einstudierte Spielzüge notiert hatte. Man lernte, wogegen man sich verteidigen musste, wo die eigenen Schwachpunkte lagen und wie man sie minimieren konnte. Mit Michael St. Pierre lernte man das Siegen.

Michael rollte die Entwürfe zusammen, steckte sie zurück in die Pappröhre und legte diese zu der ungeöffneten Post aufs Sofa. Dann ging er ins Esszimmer. Der Tisch war für zwei gedeckt. Das marinierte Steak war im Kühlschrank und fertig für den Grill, der Wein war noch nicht geöffnet, die Kristallgläser warteten. In der Mitte des Tisches stand eine Vase mit frischen Blumen.

Nach achtzehnmonatiger Trauer um seine Ehefrau Mary zeigte Michael endlich wieder Interesse an Frauen. Mary war der Inbegriff seines Lebens gewesen. Nie hätte er gedacht, mit achtunddreißig Jahren allein dazustehen und ohne Mary leben zu müssen; niemals hätte er sich vorstellen können, wie schnell und wie bösartig Krebs sein konnte. Vor allem hatte er sich nicht vorstellen können, wie er jemals mit Marys Verlust fertig werden sollte.

Doch mit der Zeit und dank der Unterstützung seiner Freunde und seines Vaters hatte Michael langsam wieder Hoffnung geschöpft, hatte die Tragödie verdrängt, hatte sich stattdessen an Marys Lächeln erinnert und sich an den Worten erfreut: »Weine nicht, weil sie tot ist, sondern freue dich, weil sie am Leben war.«

Und so hatte er schließlich seinen Ehering vom Finger gestreift – er trug ihn seither an einer Kette um den Hals – und seinen engsten Freunden erklärt, er sei jetzt so weit.

Michael war ein attraktiver Mann mit dichtem braunem Haar, wachen dunkelblauen Augen und einem markanten Gesicht, dem anzusehen war, dass er in seinem Leben schon einiges hinter sich hatte. Er war eins achtzig groß und körperlich fit dank Bodybuilding, Freiklettern und Schwimmen. Er trug noch die gleiche Jeansgröße wie mit achtzehn und hatte auch nicht die Absicht, sich gehen zu lassen wie so mancher Altersgenosse. Das konnte er sich allein schon wegen seines Berufs nicht erlauben.

Seine Freunde Paul und Jeannie Busch hatten Michael an mehreren aufeinander folgenden Freitagabenden verplant. Vier verschiedene Frauen und vier Abendessen, bei denen geplaudert und gelächelt wurde und bei denen man sich Geschichten erzählte; viermal ein verlegenes »Gute Nacht« und verlegene Abschiedsküsse.

Erst beim fünften Rendezvous war alles anders gewesen. Diesmal war es keine Einladung zum Abendessen, sondern ein Basketball-Duell an einem Samstagnachmittag, ein Rendezvous, das Michaels Freund Simon arrangiert hatte – ausgerechnet Father Simon Bellatori, ein unkonventioneller Priester, der die Vatikanischen Archive leitete. Father Simon war Einzelgänger; seine Arbeit nahm ihn jede wache Minute in Anspruch und ließ ihm nur wenig Zeit für Freunde, sah man von Michael ab. Gemeinsam hatten er und Michael mehr als einmal dem Tod getrotzt. Sie hatten eine persönliche Beziehung aufgebaut, die zu einer Bindung gereift war, die enger war als Familienbande. Deshalb hatte Michael, als Simon Kathleen Colleen erwähnte – kurz »KC« –, die Gefühle des Freundes nicht verletzen wollen, obwohl Michael sich nicht vorstellen konnte, dass ein Rendezvous, das sein Priester-Freund arrangiert hatte, zu irgendetwas führte.

Michael betrat den Außenplatz hinter der Byram Hills High School voller Vertrauen in seine Fähigkeit als Basketballer. KC war bereits da und warf Körbe, wobei sie sich mit geschmeidiger Eleganz bewegte. KC war groß, fast eins achtzig, und schlank. Ihr Haar besaß die Farbe von Mais und war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden; ihre smaragdgrünen Augen strahlten und waren wach und voller Leben. Sie war körperlich fit und doch durch und durch weiblich. Sie trug ein weißes T-Shirt über dunkelblauen Shorts. Michael konnte nicht anders und starrte auf ihre von der Sonne gebräunten, schlanken Beine, als er auf sie zuging.

»Hallo.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Michael.«

»KC«, erwiderte sie mit einem britischen Akzent, nahm seine Hand und schüttelte sie selbstbewusst.

Dann standen sie ein wenig verlegen da und wussten beide nicht, was sie sagen sollten. Schließlich gingen sie auf den Platz und warfen einander den Ball zu, als wäre dies eine Sprache, die sich leichter sprechen ließ als Worte.

Das Spiel fing freundschaftlich an. KC täuschte nach links, nach rechts, warf von der Drei-Punkt-Linie und versenkte den Ball. Bei jeder ihrer Bewegungen schwang ihr Haar mit. Dann lächelte sie und warf Michael den Ball zu. Der schnappte sich ihn, bewegte sich nach links, nach rechts – und KC schoss blitzschnell dazwischen, nahm ihm den Ball ab, hechtete auf den Korb zu und versenkte den Ball.

Michael starrte sie an, als wäre sie eine weibliche Ausgabe von Michael Jordan. Er kam sich vor wie der arme Trottel, den man bei einem All-Star-Game von der Tribüne geholt hatte, um sein fehlendes Talent vor fünfzehntausend Fans zur Schau zu stellen.

Dann aber fand Michael zurück zu seiner Form. Er warf drei Körbe hintereinander, und so wurde das Spiel während der nächsten halben Stunde zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Jedes Mal, wenn Michael einen Ball versenkte, zog KC nach.

»Achtunddreißig zu achtunddreißig«, sagte sie schließlich.

»Der nächste Korb bringt die Entscheidung«, keuchte Michael.

KC nickte und dribbelte vor, aber Michael nahm ihr den Ball ab, drehte sich nach links, riskierte den Wurf und verfehlte den Korb. KC schnappte sich den Ball und hechtete auf den Korb zu, aber Michael nahm ihr erneut den Ball ab. Er tat so, als wollte er zur Drei-Punkt-Linie stürmen, warf den Ball aber aus dreizehn Metern Entfernung und versenkte ihn.

»Guter Wurf.« KC lächelte.

»Danke.« Michael stützte die Hände auf die Knie und versuchte, zu Atem zu kommen.

»Ich dachte schon, ich hätte dich.« KC schob sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

»Vielleicht beim nächsten Mal«, erwiderte Michael, hoffte allerdings, eine Revanche vermeiden zu können.

***

Das Abendessen fand im Valhalla statt, der Bar in Byram Hills, die Paul und Jeannie Busch gehörte. KC und Michael saßen in einer schummrigen Ecke wie zwei Teenager, die zum ersten Mal ein Rendezvous hatten. Obwohl sie beide hungrig waren, rührten sie ihre Steaks kaum an, denn sie unterhielten sich die ganze Zeit.

»Gibt es irgendeinen Sport, den du nicht treibst?«, fragte Michael, nahm einen Schluck Cola und stützte die Arme auf den Tisch.

»Es gibt jedenfalls keinen, den ich nicht ausprobieren würde«, antwortete KC. »Obwohl ich am liebsten Sportarten mache, bei denen es schnell und ein bisschen gefährlich zugeht.«

»Gefährlich?«

»Ja. Deshalb liebe ich die USA so sehr. Sie sind für Extremsportler wie ein Spielplatz. Du hast den Colorado River zum Wildwasser-Rafting, die Rocky Mountains zum Klettern, Kalifornien fürs Surfen, Lake Placid fürs Rodeln und Bobfahren und Wyoming für das Reiten und Drachenfliegen.«

»Ein Extremsport-Junkie.« Michael lachte. »Hast du schon mal Bungee-Jumping probiert?«

»Wenn ich an meinen ersten Sprung zurückdenke, kann ich immer noch den Schweiß auf meinen Handflächen spüren.«

Michael saß da und ließ sie auf sich wirken – ihre Worte, ihr Lächeln – und begriff plötzlich, warum Simon gewollt hatte, dass sie einander kennen lernten.

»Woher kennst du Simon?«, fragte er.

»Ich habe vor ein paar Jahren einen Artikel über den Vatikan geschrieben«, erwiderte KC.

»Du bist Journalistin?«

»War ich früher mal. Woher kennst du Simon?«

»Wir helfen einander von Zeit zu Zeit.« Michael hoffte, dass die Lüge nicht allzu offensichtlich war. »Er ist einer meiner engsten Freunde.«

»Für mich auch«, sagte KC. »Ich treffe mich sonst nie mit Unbekannten, aber er hat förmlich darauf bestanden. Es ist ein bisschen peinlich, wenn Freunde dir die Rendezvouspartner aussuchen. Es gibt dir das Gefühl, als wärst du selbst nicht in der Lage dazu.« Sie lächelte. »Was machst du beruflich?«

Michael überlegte einen Moment und sprach dann von der Gegenwart, ohne auf seine Vergangenheit anzuspielen. »Ich habe ein Sicherheitsunternehmen.« Rasch wechselte er wieder das Thema. »Und du? Schreibst du noch?«

»Nein, ich tauge nicht zur Autorin. Ich arbeite als Beraterin für die Europäische Union auf dem Gebiet des Kulturaustausches.«

»Hört sich aufregend an«, erwiderte Michael lachend.

»Jetzt verstehst du sicher, warum ich gerne mit einem Gummiband um die Fußknöchel von Brücken springe.« Sie grinste. »Aber mal im Ernst: In meinem Beruf komme ich viel herum und kann mir meine Arbeit selbst einteilen. Und was noch besser ist – die meisten Europäer haben im August Ferien, sodass ich meinen Hobbys nachgehen kann.«

»Den ganzen August? Wow. Als ich noch ein Junge war, hat mein Dad nie Ferien gemacht. Er war Buchhalter.«

»Meine Mutter hatte auch nie Urlaub«, erwiderte KC, und dabei schwang ein Hauch von Traurigkeit in ihrer Stimme.

»Hast du Geschwister?«, fragte Michael.

»Eine jüngere Schwester. Sie arbeitet in London für Goldman Sachs. Und du? Hast du auch Geschwister?«

»Ich bin Einzelkind. Hast du ein enges Verhältnis zu deiner Schwester?«

»Ja. Obwohl sie ständig jammert, weil sie ihre eigene Firma aufmachen will. Langsam wird es nervig.«

»Wenn sie mal Hilfe braucht …« Michael zückte seine Brieftasche, nahm eine Visitenkarte im Prägedruck heraus und reichte sie KC.

»Stephen Kelley«, las sie laut von der Karte ab.

»Er ist ein Finanzmensch, und wir stehen uns sehr nahe. Er könnte deiner Schwester vielleicht helfen. Sag ihr, sie soll Stephen sagen, dass sie mich kennt.«

»Vielen Dank.« KC lächelte. Sie griff über den Tisch und nahm Michaels Hand.

***

Während der nächsten Wochen trafen KC und Michael sich häufig. Sie spielten Golf und Tennis, aßen gemeinsam zu Abend und gingen zum Mittagessen ins Shun Lee Palace. Und ihre sportlichen Zweikämpfe waren zwar stets ernsthafter Natur, aber erfüllt von Lachen, Witzeleien und geistreichem Schlagabtausch.

Der jeweilige Sieger erwarb sich das Recht, das Restaurant auszusuchen. Die Zahl der Siege war gleichmäßig verteilt. Die Spiele waren stets ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und der Verlierer kam am Ende immer mit der gleichen optimistischen Plattitüde: »Morgen ist ein neuer Tag.«

Ihre zunehmend engere Beziehung war mit nichts zu vergleichen, was Michael bisher erlebt hatte; es war, als wäre KC eine Freundin, die er schon ewig kannte. Sie konnten stundenlang miteinander reden, über alles und jeden. Manchmal saßen sie einfach nur da und erfreuten sich an der Gegenwart des anderen.

Michael verspürte ein Gefühl innerer Ruhe, wenn er in KCs Nähe war, und fand sie doch verlockend und sexy zugleich. KC wiederum besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor, mit dem sie sich gern selbst auf die Schippe nahm.

Fast ein Monat war vergangen, seit sie einander zum ersten Mal begegnet waren. KC respektierte Michaels Gefühle und den Schmerz über den Verlust, den er erlitten hatte. Sie wusste, dass man manche Dinge nicht übereilen durfte; dass Intimität nur entstehen konnte zwischen Menschen, die mit sich im Reinen waren und keinerlei Schuldgefühle empfanden.

Michael hatte das Abendessen zubereitet. Die marinierten Steaks lagen bereits auf dem Grill. Auf dem gedeckten Tisch standen frische Blumen, und der Wein war entkorkt und dekantiert. Als KC zur Tür hereinkam, sah sie die kleine Schachtel, die auf ihrem Teller lag. Sie war von Tiffany’s, rechteckig und blassblau.

Sie lächelten einander an; dann öffnete KC die Schachtel und nahm eine Kette mit einem kleinen silbernen Amulett heraus. Behutsam drehte sie sie um und las die Gravur:

Morgen ist ein neuer Tag.

Sie hielt das Amulett in der Hand und spürte, wie ihr warm ums Herz wurde. Als sie aufblickte, konnte sie durch Michaels Augen in sein Inneres schauen: Er schenkte ihr viel mehr als nur dieses Schmuckstück.

Das Abendessen fand nie statt. Das Steak verbrannte.

Michael nahm KC in die Arme. Es war wie sein erster Kuss, wie sein erstes Mal. Es war lange her, doch verlor er sich in der Intimität ihrer Umarmung. Beide konzentrierten sich nur auf den anderen, vergaßen Zeit und Raum. Die Leidenschaft riss sie davon.

Als sie später nebeneinanderlagen, genossen sie die Stille und das Wissen, dass ihnen kein Leid geschehen konnte, solange sie einander in den Armen hielten.

Am nächsten Tag kam der Anruf: KC musste abreisen. Eine Geschäftsreise nach Paris stand an. In einer Woche würde sie zurück sein.

Der Abschied ging zügig vonstatten, als wären sie bereits geübt darin. Als Michael beobachtete, wie KC von seiner Auffahrt fuhr, lächelte er glücklich. Er hatte etwas gefunden, von dem er geglaubt hatte, es für immer verloren zu haben.

***

Jetzt, da er auf den Abendbrottisch starrte, auf die ungeöffnete Flasche Wein und die frischen Blumen, fragte er sich, wie er so dumm hatte sein können. Schon vor vier Tagen hatte KC zurück sein wollen. Sie hatte nicht angerufen, hatte sich nicht gemeldet. Er selbst hatte ihr zahlreiche Nachrichten hinterlassen, aber keine Antwort erhalten. Er fühlte sich wie ein Narr, der sein Herz geöffnet und seine Seele ausgebreitet hatte, weil er so naiv gewesen war zu glauben, noch einmal Liebe zu finden.

Michael tröstete sich mit dem Gedanken, dass er Mary gehabt hatte. Er verdrängte seine Gefühle und vertrieb Katherine Colleen Ryan aus seinem Gedächtnis.

Er räumte gerade die unbenutzten Teller vom Tisch, als es an der Haustür klopfte. Das Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, und seine drei Hunde begannen wie verrückt zu bellen.

Michael ging durchs Wohnzimmer, bedeutete den Hunden, still zu sein, und öffnete die Haustür. Ein hochgewachsener, schlanker, durchtrainierter Mann stand auf der Vortreppe. Seine Augen waren wach und klar, das graumelierte Haar perfekt frisiert. Er trug eine blaue Sportjacke und eine hellbraune Hose mit scharfen Bügelfalten. Alles an dem Mann war exakt und präzise.

»Hi, Michael«, sagte Stephen Kelley.

»Hi, Dad«, erwiderte Michael erstaunt.

»Bist du allein?«, fragte sein Vater und lugte an ihm vorbei ins Haus.

»Könnte man sagen. Komm rein. Was ist los?«

»Es geht um Simon.«

Kapitel 1

Der orkanartige Wind zerrte an Michaels Haar und seiner Kleidung und ließ die Haut auf seinen Wangen brennen. Sein Körper befand sich in perfekter Lage: Arme und Beine waren zur Seite ausgestreckt, um die Richtung des Falls beeinflussen zu können. Erst fünf Sekunden waren vergangen, seit er aus dem Flugzeug gesprungen war, und doch hatte er bereits eine Fallgeschwindigkeit von zweihundert Stundenkilometern erreicht.

Michael warf einen kurzen Blick auf den Höhenmesser an seinem Handgelenk und sah, wie die Zahlen immer weiter in Richtung der Viertausend-Fuß-Marke fielen, an der sich der Fallschirm öffnen musste. Obwohl er ein erfahrener Fallschirmspringer war, ging er kein Risiko ein und zog die Reißleine, kaum dass er den kritischen Punkt erreicht hatte. Der Fallschirm öffnete sich und riss ihn wieder ein Stück in die Höhe.

Jedes Mal, wenn Michael seinen Fallschirm öffnete, vergewisserte er sich, dass er jederzeit nach dem Hakenmesser an seinem Gürtel greifen konnte. Obwohl er den Schirm vor jedem Sprung selbst packte, befürchtete er stets, sich darin zu verfangen; dann hätte er den Hauptschirm wegschneiden müssen, um noch rechtzeitig den Reserveschirm öffnen zu können. Er wusste, dass beim Fallschirmspringen nur in den seltensten Fällen ein Anfänger zu Tode kam; viel häufiger ereilte dieses Los erfahrene Springer, die sich zu viel zutrauten.

Michael griff nach den Steuerleinen des Gleitschirms und schwebte auf den Rand des Plateaus zu. Das Zuchthaus stand auf einer Klippe, die eher einem Tafelberg in Wyoming ähnelte als einem Berg in der Wüste Akbikistans. Die Lichter des Gefängnisses waren im Umkreis von achtzig Kilometern die einzigen Anzeichen von Zivilisation. Chiron war ein imposantes Bauwerk, das aussah, als wucherte es aus der Erde heraus – oder aus der Hölle, was besser gepasst hätte. Es gab keinen Stacheldraht und keine Zäune; die Lage und die Höhe des Gefängnisses – tausend Meter über der lebensfeindlichen Wüste – waren viel wirksamer als jeder Drahtverhau.

Der Halbmond am wolkenlosen Nachthimmel tauchte die Welt in einen dunklen Blauton, ließ die Felsklippen weniger scharf erscheinen und färbte auch die Wüste, sodass sie fast so beruhigend wirkte wie das Meer.

Einen halben Kilometer vom Gefängnis entfernt landete Michael weich auf der Kante des Tafelberges. Er zog den Gleitschirm ein, rollte ihn zusammen, legte das Gurtzeug ab und stopfte es unter einen Baum. Dann löste er den Karabinerhaken, an dem vor seiner Brust die schwarze Tasche hing, kniete sich auf den Boden und öffnete sie.

Er nahm zwei 9mm-Pistolen heraus – geölt und im Holster – und legte sie sich um. Michael hasste Schusswaffen und hatte nie welche eingesetzt, bis Simon ihm beigebracht hatte, wie man sie benutzte, aber an seiner Abneigung hatte das nichts geändert. Doch weil er allein in das Gefängnis eindrang und es mit einer Gruppe bewaffneter Wachen zu tun bekommen würde, hatte er keine andere Wahl.

Er zog zwei kleine Rucksäcke hervor, sogenannte Hilfsschirme. Im Unterschied zu dem Gleitschirm, den er gerade benutzt hatte, waren sie mit einer Vorrichtung versehen, die der Springer beim Absprung aus niedrigen Höhen in der Hand hielt; ließ er sie los, öffnete sich der Schirm.

Dann packte er drei Stück C4-Plastiksprengstoff aus. Zwei versah er mit einem Zeitzünder; den dritten steckte er sich in die Hosentasche. Anschließend öffnete er eine der Seitentaschen und zog eine kleine elektrische Dose heraus, einen Frequenz-Scrambler, der nicht nur alle tragbaren Funkgeräte, sondern auch sämtliche Mobiltelefone unbrauchbar machen konnte.

Michael hatte Kunstgegenstände gestohlen, Diamanten und goldene Schatullen, aber so etwas wie diesmal hatte er noch nie getan: In dieser Nacht stahl er einen Freund aus einem berüchtigten Foltergefängnis.

Michael arbeitete sich um das gesamte Gefängnis herum. Es waren keine Wachen auf Streifengang, und es standen keine Posten auf den Gefängnismauern; nur in den Türmen im Norden und Osten waren zwei Wachmannschaften stationiert, aber die interessierten sich wahrscheinlich mehr für das Fußballspiel, das auf ihren kleinen Fernsehern lief.

Michael schaute über das öde Landstück, das sich vor dem Gefängnis über ungefähr hundert Meter erstreckte; dann glitt sein Blick über das felsige Terrain in Richtung des Klippenrands. Er vergewisserte sich, dass es dort keine Hindernisse gab. Der Schatten des Gefängnisbaues hinter ihm sorgte dafür, dass das Gelände im Schatten lag. Wenn sie ungefähr fünfzehn Sekunden rennen konnten, ohne von einer Kugel getroffen zu werden, hatten sie eine hauchdünne Chance.

Michael holte ein Stück C4 hervor und vergrub den Plastiksprengstoff an der Südseite des Gefängnisses. Die rote LED-Anzeige leuchtete kaum merklich durch den Staub.

Michael schlich hinter das Gefängnis und lief die etwa achthundert Meter zum Kraftwerk, wo das Dröhnen des Generators von den Mauern widerhallte. Stromleitungen und Elektrizität waren immer noch Fremdworte in diesem abgelegenen Teil des Landes. Aufgrund der geographischen Lage war man in Chiron gezwungen, eigenen Strom zu erzeugen, was mittels eines Generators geschah, der mit Benzin betrieben wurde. Der Strom wurde für die minimale Beleuchtung des Gefängnisses genutzt sowie für die Funkgeräte, Satellitentelefone und Suchlichter der Wachtürme, die nur eingeschaltet wurden, wenn jemand zu fliehen versuchte. In erster Linie sicherte die erzeugte Elektrizität allerdings den Komfort des Gefängnisdirektors.

Das Benzinlager enthielt zwei Zwanzigtausend-Liter-Tanks, die alle zwei Monate von einem Lastwagen nachgefüllt wurden, dessen Fahrer den dreifachen Lohn dafür erhielt, dass er den schmalen Gebirgspass hinauffuhr. Er wurde immer im Voraus bezahlt, denn das Geld sorgte dafür, dass der Mann die Konzentration nicht verlor, wenn er an den verkohlten Überresten vorüberkam, die die Tanklaster seiner Vorgänger gewesen waren und die jetzt im Tal verstreut lagen.

Vorsichtig befestigte Michael ein Stück C4 an dem ersten der beiden Treibstofftanks und überprüfte drei Mal die Fernzündung. Dann kroch er zum Generator und fand den Verteilerkasten für den Strom. Er brach das Schloss fast ebenso schnell auf, wie er es mit einem Schlüssel geöffnet hätte. Er fand die Hauptsicherung und legte den Hebel um, ohne zu zögern. Schlagartig erloschen im Gefängnis die Lichter. Michael schloss den Verteilerkasten, legte das Schloss wieder vor und versteckte sich in der Dunkelheit.

Es dauerte fünf Minuten, bis er die Taschenlampen der beiden Wachmänner sah, die bei jedem Schritt, den sie näher kamen, auf und nieder hüpften. Die Glut ihrer Zigaretten glimmte in der Nacht. Wegen des Lärms, den der Generator machte, konnte Michael die zwei Männer nicht hören, doch er sah, dass sie das Schloss vom Verteilerkasten entfernten, den Hebel der Hauptsicherung wieder umlegten und die Stromversorgung wiederherstellten.

Michael wartete, bis die Männer wieder im Gefängnisbau verschwunden waren; dann öffnete er den Verteilerkasten und schaltete erneut das Licht ab. Dieses Mal erschienen die beiden Wachmänner sehr viel schneller; in jedem ihrer raumgreifenden Schritte war die Wut abzulesen, dass man sie erneut gestört hatte.

Michael versteckte sich rasch auf der anderen Seite, genau gegenüber von der Gefängnistür, aus der die Männer gekommen waren, und wartete. Sie schalteten den Strom wieder ein. Michael beobachtete, wie sie zum Gefängnisbau zurückgingen. Der leitende Wachmann nahm einen Schlüsselring vom Gürtel und öffnete die Tür. Dann verschwanden beide im Innern. Die Tür fiel hinter ihnen krachend ins Schloss.

Michael schlich zurück zum Verteilerkasten, stellte den Strom ein drittes Mal ab und versteckte sich wieder in der Dunkelheit.

Dieses Mal dauerte es zehn Minuten, bis die Wachmänner kamen, und dieses Mal konnte man sie trotz des Dröhnens des Generators laut und deutlich fluchen hören. Vor Zorn fiel ihnen Michael gar nicht auf, obwohl er nur einen Meter von ihnen entfernt in der Dunkelheit stand.

Michael zog eine der Pistolen und drückte ab.

Beide Wachmänner waren tot, bevor sie auf dem Boden aufschlugen.

Michael steckte die Pistole rasch zurück in seinen Holster, bückte sich und nahm den beiden Wachmännern ihre Waffen, Schlüssel und Funkgeräte ab. Dann nahm er sich die Jacke des leitenden Wachmanns, zog sie an, setzte den Hut des Mannes auf und machte sich auf den Weg zum Gefängnis.

***

Michael schob den Schlüssel in die Seitentür, die in den Gefängnisbau führte. Ein eisiger Schauer durchlief ihn; er hasste Gefängnisse mehr als alles auf der Welt. Für ihn waren sie Orte, an denen man bereits mit einem Fuß in der Hölle stand. Er hatte drei Jahre in Sing Sing verbracht, und diese Zeit bereitete ihm immer noch Albträume.

Doch er schüttelte diese Gedanken ab, konzentrierte sich, öffnete die Tür und betrat einen rechteckigen, verliesartigen Raum. Ein stechender Geruch hing in der Luft. Es gab nur zwei Möbelstücke: einen Tisch und einen Stuhl, die einander direkt gegenüberstanden. Der Fußboden war zur Mitte hin leicht abschüssig. Dort befand sich ein Abfluss, von dunklen Flecken umgeben, die nach außen auf die Möbelstücke zuliefen. Michael sah sich beides genauer an. Die Möbel waren klobig, aus dickem, schwerem Holz und mit dunklen Rückständen verklebt, die einen scheußlichen Geruch verströmten. Michael taumelte zwei Schritte zurück, als ihm klar wurde, was er vor sich hatte: Der schwere Tisch verdankte seine Kerben den zahllosen Enthauptungen, und beim elektrischen Stuhl waren die Brandspuren an den Armlehnen und der Rückenlehne zu sehen.

Michael machte, dass er aus dem grauenvollen Raum herauskam. Er gelangte auf einen Gang und hielt erst einmal inne, um sein Entsetzen niederzukämpfen.

Aus den Informationen, die er auf die Schnelle hatte sammeln können, war hervorgegangen, dass Chiron unter Geldmangel litt, was sich schon daran zeigte, dass hier keine Wachen patrouillierten. Michael wusste, dass das Gefängnis auf planlose, beinahe chaotische Art und Weise geführt wurde und dass das Pflichtgefühl der Wachmänner von Bitterkeit und Zorn geschmälert wurde, da sie kaum besser behandelt wurden als die Gefangenen. Der Gedanke, dass jemand versuchte, hier auszubrechen, wurde mit schallendem Gelächter quittiert; deshalb wusste Michael, dass man mit einen Einbruch am allerwenigsten rechnete. Aus welchem Grund sollte sich jemand, der bei gesundem Verstand war, in diese Hölle auf Erden begeben?

Fast lautlos eilte Michael den Gang hinunter, lauschte auf Geräusche und hielt nach Bewegungen Ausschau. Vor Anspannung schlug ihm das Herz bis zum Hals. Normalerweise machte es ihm Spaß, Sicherheitssysteme zu überlisten, doch hier empfand er nichts als Furcht, denn er hatte keine Ahnung, in welchem Zustand sein Freund Simon war. Wenn er verletzt war, würde Michael ihn hinaustragen müssen.

Er bahnte sich seinen Weg durch den Gang und blickte durch die schmalen, schlitzförmigen Fenster, die jeweils in die Mitte der massiven Holztüren eingelassen waren. Die Zellen dahinter waren klein und dunkel. Beißend hing der Gestank menschlicher Exkremente in der Luft.

Michael huschte den Gang hinunter. Es gab zehn dieser Türen, doch die ersten sechs Zellen waren leer. Er erreichte die siebte Zelle und lugte durch die schmale, mit Gitterstäben gesicherte Öffnung. Eine Gestalt kauerte auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand. Michael konnte nur mit Mühe die Umrisse erkennen.

»Simon?«, flüsterte er.

Der Kopf der Gestalt ruckte hoch. Kein Wort fiel, als sie sich erhob und zur Tür kam.

Erst jetzt erkannte Michael, dass es nicht Simon war. Diese Person hier war kleiner, die Schultern schmaler. Michael hob seine Taschenlampe, knipste sie ein und leuchtete in die Zelle. Da das schmutzige Haar nicht das ganze Gesicht bedeckte, konnte Michael die Augen sehen, die ihn mit voller Furcht, Zorn und Scham anblickten. Die smaragdgrüne Farbe dieser Augen wirkte stumpf.

Michaels Herz setzte aus. Für einen Moment war er fassungslos über den unerwarteten Anblick der Frau, die hier im Todestrakt saß.

Es war die Frau, die er erst vor zwei Wochen in seinen Armen gehalten hatte.

Michael blickte bestürzt in KCs Augen.

***

Dreiundsechzig Stunden zuvor hatte KC in die dunkle Vertiefung eines sechzig mal sechzig Zentimeter großen Wandsafes geblickt. Sie stand mitten in einem Büro in Amsterdam, das sich im obersten Stock eines Wolkenkratzers befand. Die mitternächtliche Welt um sie her war stockdunkel. Der Raum war aufwendig eingerichtet mit Tischen und Stühlen von Hancock & Moore, antiken Perserteppichen, kostbaren Kunstwerken und teuren elektronischen Geräten. Um den Kopf trug KC ein schmales Stirnband; die in der Mitte des Bandes befestigte Leuchte erhellte den offenen Wandsafe vor ihr. Mit der Hand umfasste sie einen vergilbten Brief, der in einer durchsichtigen Plastikhülle steckte. Der Brief war uralt; die Tinte der mit der Hand geschriebenen schwarzen Buchstaben war verlaufen. Da der Brief in Türkisch geschrieben war, konnte KC ihn nicht entziffern; sie erkannte nur die ineinander verschlungenen Symbole von Christentum, Judentum und Islam, die im rechten oberen Eck zu sehen waren.

Sie reichte Simon den Brief, der ihn rasch durch einen tragbaren Scanner laufen ließ, der an sein Mobiltelefon angeschlossen war; auf diese Weise schickte er Fotos des Briefes direkt an sein Büro in Italien.

Behutsam schloss KC die Tür des Safes und achtete darauf, dass sie nicht über das Alarmsystem stolperte, dem sie fünfzehn Minuten zuvor so gekonnt ausgewichen war. Sie hängte das Bild wieder über die Safetür und stellte den Schnickschnack und die Kuriositäten, die das Regal darunter zierten, wieder richtig hin.

Sie hatte sich bereits zum Gehen gewandt, als sie plötzlich das Gemälde erblickte, das an der Wand neben dem Schreibtisch hing. Es hieß »Das Leiden« und war von Goetia, ein Meisterwerk aus dem Jahre 1762, das entstanden war, als der Künstler den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte. KC kannte es gut, wahrscheinlich besser als irgendein anderes Gemälde auf der Welt. Sie hatte recherchiert, wem es in der Vergangenheit gehört hatte, kannte den Lebenslauf des Künstlers, wusste, welche Art von Farbe er benutzt und auf welche Leinwand er gemalt hatte. KC war Expertin in Sachen Goetia geworden, denn »Das Leiden« war das erste Stück gewesen, das sie gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verkauft hatte.

KCs Gedanken überschlugen sich. Sie starrte Simon an.

»Was ist?«, fragte Simon, als er ihre sorgenvolle Miene sah.

»Ich habe das Gemälde vor zehn Jahren gestohlen«, erwiderte KC und ließ dabei den Blick durch den Raum schweifen. »Wir müssen hier weg, sofort.«

Simon förderte einen bereits adressierten und frankierten Briefumschlag zutage und eilte aus dem Büro. Er steckte den mit Plastik verhüllten Brief in den Umschlag, rannte in die Lobby und warf den Umschlag in den Hauptbriefkasten.

KC eilte zu ihm. »Meinst du, das war eine Falle?«

Simon blickte sie an. »Nein. Ich …«

Bevor er weitersprechen konnte, öffneten sich die Türen des Fahrstuhls. Im Innern war das Licht abgeschaltet. Drei Wachleute stürzten heraus, während zwei Männer in der Dunkelheit der Kabine verharrten und schweigend beobachteten, wie Simon und KC sich ergaben. Obwohl KC die Gesichter der Männer nicht sehen konnte, wusste sie genau, wer der Kleinere der beiden war. Es lag nicht nur an seiner Silhouette, es hatte vor allem mit einer plötzlichen Veränderung der Atmosphäre zu tun, einem Gefühl von Angst und Schrecken, das sie nicht mehr empfunden hatte, seit sie ein Teenager gewesen war.

***

Barabas Azem Augural, seines Zeichens Direktor von Chiron, saß in seiner Wohnung im obersten Stock des Gefängnisbaues. Es war ein hundertzehn Quadratmeter großes Reich, dessen luxuriöse Einrichtung einen beinahe aberwitzigen Kontrast zum tristen Gefängnis bildete.

Die Wände waren mit Holz verkleidet und mit Kunstwerken und antiken Spiegeln behängt. Die Einrichtung war elegant und gediegen zugleich: Sofas aus Wildleder, mit Seide bezogene Ohrensessel, Schränke und Truhen aus Edelholz. Aus den großen Fenstern hatte man einen Blick über die Wüste, deren Sand im Mondlicht schimmerte und deren Felsgestein sich bis zum Horizont erstreckte.

Es war angenehm kühl in den Räumlichkeiten, doch der Generator war defekt, und allmählich kroch Feuchtigkeit in die Zimmer. Barabas fluchte. Es würde Wochen dauern, bis der Generator repariert war.

Zehn Minuten waren vergangen, seit Jamer und Hank zum dritten Mal an diesem Abend losmarschiert waren, um den Strom wieder einzuschalten. Barabas wusste, dass er sich persönlich darum hätte kümmern sollen. Es gab in diesem Gefängnis niemanden, der auch nur über einen Funken Intelligenz verfügte, abgesehen von ihm selbst natürlich.

Er hatte in der akbikischen Armee Karriere gemacht und den Rang eines Colonels erreicht – durch Ehrgeiz, Bestechung und die Beseitigung eines Generals, der Barabas’ Neigung zur Unmenschlichkeit kritisiert hatte. Bald darauf hatte Barabas sich in den Ruhestand versetzen lassen und bezog jetzt eine üppige Rente. Daneben besaß er ein dickes Bankkonto, das er seinem ausgeprägten Geschäftssinn und seiner Fähigkeit verdankte, die Menschen und das Land, die er zu schützen gelobt hatte, zu erpressen und unter Druck zu setzen. Die Stelle als Gefängnisdirektor hatte er nur deshalb angenommen, weil Chiron für ihn die perfekte Oase war, von der aus er seine Geschäfte tätigen konnte, zu denen auch das Verschwindenlassen von Menschen gehörte, von denen manche hierher nach Chiron kamen, ohne verurteilt worden zu sein. Barabas ließ sie zunächst in den Eingeweiden des Gefängnissen und schließlich in namenlosen Gräbern verschwinden.

Nun leuchtete er mit der Taschenlampe durch sein Apartment, entdeckte sein Funkgerät und drückte den Daumen auf die Sprechtaste. »Jamer!«, brüllte er. »Wenn der Strom nicht innerhalb von dreißig Sekunden wieder da ist, lass ich dich einen Kopf kürzer machen!«

Er wartete auf Antwort, doch sie blieb aus. Barabas kochte vor Wut. Jeder, der nicht blind gehorchte oder ihm in die Quere kam, zahlte einen hohen Preis. Und Jamer würde den höchsten Preis überhaupt zahlen. Barabas’ Männer wussten, dass er keine Hemmungen kannte, einem Untergebenen eine Kugel durch den Kopf zu jagen und seine Leiche von der Klippe ins Tal zu werfen. Sie wussten, dass er in Kriegszeiten Unschuldige wegen einer Flasche Wodka abgeschlachtet hatte.

Barabas ging zum Kleiderschrank und streifte sich seine Uniform über, wobei er die beiden Wachmänner die ganze Zeit verfluchte. Er schnappte sich seine Pistole, sein Funkgerät und eine Taschenlampe. Dann stürmte er zur Tür hinaus.

***

Das Wachpersonal erging sich in tatenloser Trägheit. Dass dreimal hintereinander der Strom ausgefallen war, hatte bei den Männern die Befürchtung aufkommen lassen, dass das Wetter schließlich seinen Tribut gefordert und dem hoffnungslos überlasteten Generator den Garaus gemacht hatte.

Den meisten war die Dunkelheit im Grunde sogar recht – auf diese Weise merkte wenigstens niemand, dass sie in der Gluthitze von über vierzig Grad einnickten.

Als sie Barabas’ Wut über den Äther ihrer Funkgeräte kommen hörten, grinsten sie vor sich hin. Obwohl keiner seine Meinung kundgetan hätte aus Angst vor Repressalien, jubelten sie innerlich, denn vielleicht musste der Direktor ja endlich mal selbst die Wüstenhitze ertragen, unter der sie ständig zu leiden hatten.

Die Gefangenen schliefen und bekamen nichts mit, da ihre Zellen weder über Licht noch über Strom verfügten; Sonne und Mond waren die einzigen Lichtquellen, die es seit anderthalb Jahrhunderten in den Gefangenenblöcken gab.

Den Häftlingen und dem Wachpersonal machte der Stromausfall deshalb nichts aus, nicht einmal dann, wenn er tagelang anhielt. Sie brauchten den Strom schließlich nicht. Und es war ja nicht so, als hätten sie wichtige Termine.

***

Michael steckte den Schlüssel, den er dem Wachmann abgenommen hatte, ins Schloss. Dabei richtete er den Blick auf KCs Augen. Ihr Gesicht war starr wie eine Maske. Sie trug einen schwarzen zerrissenen Overall, der nicht die Standardkleidung des Gefängnisses war, dazu passte er zu perfekt. Ihr Gesicht und ihre Hände waren mit Schmutz und Unrat verschmiert. Michael konnte vor Verwirrung keinen klaren Gedanken fassen, als er auf die Frau blickte, die ihn vor zehn Tagen verlassen und seither kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte.

Doch die Verwirrung wandelte sich rasch in Wut. KC war zu klug und zu geschickt, als dass sie aus Versehen hier sein konnte. Michael begriff, dass der eine Monat, den sie miteinander verbracht hatten, nichts als Lüge gewesen war. Sie hatte ihn getäuscht.

Plötzlich erklang aus dem Funkgerät des Wachmanns, das an Michaels Gürtel hing, das Kreischen atmosphärischer Störungen, dem Worte in einer unverständlichen Sprache folgten.

KC blickte Michael an und brach endlich ihr Schweigen. »Über Funk wird gerade durchgegeben, dass jemand eingebrochen ist«, erklärte sie. »Niemand dürfe lebend hier rauskommen. Es soll ohne Warnung geschossen werden.«

Michael hörte, wie in dem bislang totenstillen Gefängnis in den Etagen über ihnen Chaos ausbrach. Rasch verdrängte er seine Gefühle – wie auch die verwirrte Frage, woher KCs Fremdsprachenkenntnisse stammten –, und erkundigte sich mit leiser Stimme: »Wo ist Simon?«

»Michael?«, rief in diesem Moment jemand aus der angrenzenden Zelle.

Michael schloss die Tür zu seiner Linken auf – und riss sie im nächsten Moment beinahe aus den Angeln. Simon stand da, in seiner ganzen Länge von eins fünfundachtzig, bekleidet mit dunklem Hemd und dunkler Hose, beides schmutzig und zerrissen. Er sah wie ein Soldat aus, nicht wie ein Priester. Sein zerfurchtes Gesicht war mit Blutergüssen und Schürfwunden übersät, sein tiefschwarzes Haar verfilzt, wodurch die grauen Strähnen noch deutlicher auffielen als sonst. Auf seinen schwieligen Fingerknöcheln waren Striemen, die erkennen ließen, dass er seine Hände nicht nur zum Beten benutzt hatte.

Simon sagte kein Wort, blickte Michael nur an. Michael warf ihm eine der Pistolen zu, die er den Wachmännern abgenommen hatte. Simon zog den Schlitten zurück, warf das Magazin aus, überprüfte die Waffe und machte sie schussbereit.

»Verschwinden wir!«

Als die drei den Gang hinuntereilten, wurde Michael klar, dass sein Einbruch ins Gefängnis soeben außer Kontrolle geraten war. Wenn er nicht schleunigst einen Ausweg fand, würde keiner von ihnen überleben.

***

Michael, Simon und KC schlüpften durch die Hintertür in die Nacht hinaus. Wieder drang die quäkende Stimme aus dem Funkgerät des Wachmanns. Michael öffnete seine schwarze Tasche, zog den Frequenz-Scrambler heraus, dessen Rückenteil mit einem Magnet versehen war, und befestigte ihn an einem Rohr neben der Tür. Dann legte er den Schalter um und beobachtete, wie die kleinen roten Lichter zu glühen und zu flackern begannen. Er horchte auf das Funkgerät des Wachmanns; es gab nur noch kreischende Geräusche von sich. Der kleine schwarze Kasten hatte sämtliche Funkverbindungen blockiert.

Michael griff erneut in seine Tasche, zog die beiden Objektsprung-Hilfsschirme heraus und reichte KC einen davon.

»Weißt du, wie man so ein Ding benutzt?«, fragte er.

»Was meinst du wohl?«, erwiderte KC.

»Ja oder nein?«

»Ja!«

»Dann streif ihn dir über.«

»Und wohin gehen wir?«, fragte KC, als sie sich den Schirm auf den Rücken schnallte.

Michael wies zum Rand des Felsplateaus, das etwa hundert Meter entfernt war und am anderen Ende des offenen Geländes vor dem Gefängnis lag.

Michael warf Simon den zweiten Fallschirm zu. »Du weißt, wie man …«

Simon hob die Hand und legte sich rasch die Gurte an.

In diesem Moment fiel KC und Simon auf, dass Michaels schwarze Tasche – seine Zaubertasche – leer war.

»Und was ist mit dir?«, fragte KC und stopfte ihr langes blondes Haar in den Overall.

»Macht euch um mich keine Sorgen. Wir treffen uns da unten.«

»Kommt gar nicht infrage.« Simon funkelte Michael zornig an. »Nimm meinen Schirm. Ich finde einen anderen Weg.«

»Ich habe doch gesagt, ihr sollt euch um mich keine Sorgen machen. Ich schaff es schon da runter.« Michael wies auf das Geländestück, das sie überqueren mussten. »Auf mein Zeichen rennt ihr beide los und springt so weit von der Klippe weg, wie ihr könnt. Zählt bis drei, dann öffnet den Schirm und steuert ihn in die Wüste.«

»Wir können doch nicht achtzig Kilometer durch die Wüste rennen«, sagte KC.

Michael schaute sie grinsend an. »Ich dachte, du stehst auf Extremsport.«

Simon und KC blickten auf das freie Stück Land, das sich vor ihnen auftat, zogen die kleinen Hilfsschirme aus den Rucksäcken und hielten sie fest umschlungen.

Michael streckte den Arm aus, um ihnen zu bedeuten, dass sie noch warten sollten. Kurz blickte er auf die Armbanduhr, sah, wie die Sekunden dahintickten, und zog die Fernbedienung aus der Hosentasche, deren hohe Frequenz über denen der blockierten Funkverbindung lagen. Dann drückte er auf den Knopf.

Die Explosion auf der anderen Seite des Gefängnisses ließ die Dunkelheit erzittern.

Simon und KC sprinteten in Richtung Klippe, während Michael in die entgegengesetzte Richtung davonrannte.

***

Barabas starrte auf die leeren Zellen der beiden Europäer. Er hatte gleich gewusst, dass er auf das Ritual der morgendlichen Hinrichtung hätte verzichten sollen. Hätte er dem Mann und der Frau doch sofort bei ihrer Ankunft einen Kopfschuss verpasst!

Barabas versuchte, eine Funkverbindung herzustellen, hörte aber nur atmosphärische Störungen. Er fluchte wild. Jetzt hatten sie kein Licht und keinen Strom mehr, und die tragbaren Funkgeräte streikten ebenfalls. Wenigstens hatte er noch seine altmodische, aber solide Waffe. Das war keine empfindliche Elektronik, sondern zuverlässige Mechanik. Barabas zog den Schlitten zurück, lud durch und durchquerte den Hinrichtungsraum.

Plötzlich erschütterte eine Explosion das Gebäude. Barabas erschrak. Voller Wut und Entsetzen stürmte er am elektrischen Stuhl und dem Hackbrett vorüber zur Tür.

Man hatte Barabas fünfzigtausend Dollar gezahlt, damit er dafür sorgte, dass der Mann und die Frau zu Tode kamen. Er hatte die beiden von jemandem übernommen, der als ihr Ankläger und Richter fungiert hatte – von einem Mann, der ihm dreißigtausend Dollar mehr bezahlt hatte, als Barabas normalerweise für solche Aufträge kassierte, weil er ganz sicher sein wollte, dass Barabas schnell und diskret vorging. Barabas stand in dem Ruf, effizient und skrupellos zu sein. Er hatte sich noch nie vor jemandem gefürchtet und hatte noch bei keiner seiner Unternehmungen versagt. Doch der Ankläger und Richter hatte in Barabas ein Gefühl entfacht, das er nicht kannte: Angst. Wenn er nicht dafür sorgte, dass die beiden geflohenen Sträflinge starben, hatte er keinen Zweifel, dass der Ankläger und Richter zurückkommen würde, um ihn, Barabas, zu töten.

Barabas stürmte aus der Hintertür und blickte sich um. Er sah den kleinen schwarzen Kasten mit den blinkenden Lichtern, der neben der Tür befestigt war, riss ihn von der Wand, warf ihn auf den Boden und zertrampelte ihn mit dem Stiefel. Dann legte er an seinem Funkgerät den Schalter um und lächelte vor sich hin, als das Gerät zu neuem Leben erwachte.

»Es sind Gefangene ausgebrochen. An alle Wachen: gezielt schießen!«

Er schaute auf seinen Jeep, der auf dem Hof stand, ein 72er Modell, das noch über keinerlei nennenswerte Elektronik verfügte. Er schwang sich in den Sitz. Als der Wagen auf Anhieb startete, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Er schaltete die Scheinwerfer ein, trat das Gaspedal durch und schoss vom Parkplatz in Richtung der Vorderseite des Gebäudes.

***

KC und Simon rannten über das offene Gelände vor dem Gefängnis. Simon war schnell, aber KC zog glatt an ihm vorbei. Sie rannte federleicht, mit perfektem Laufstil und ebensolcher Armhaltung, wie ein Schatten in der Nacht. Sie waren umhüllt von Dunkelheit, konnten aber die bläulichen Konturen der Klippe erkennen, die sich vor ihnen auftat. Ganz fest hielten sie ihre kleinen Hilfsschirme in den Händen. Simon schaute sich nicht nach den Türmen und Mauern des Gefängnisses um; er wusste aber so, dass die Kugeln jede Sekunde fliegen würden. Und obwohl die Wachen ihre rennenden Zielscheiben vermutlich nicht sehen konnten, würden sie mit ihren Schnellfeuerwaffen sehr wahrscheinlich ihre Ziele treffen. Simon hatte bereits in der Vergangenheit unter Beschuss gestanden, wusste aber nicht, ob KC je erlebt hatte, wie groß die Furcht war, die man empfand, wenn man einem Kugelhagel ausgesetzt war. Sie war eine hervorragende Diebin, genauso gut wie Michael. Dass man sie beide geschnappt hatte, war nicht KCs Schuld gewesen. Sie waren Opfer von Umständen geworden, die keiner von ihnen hatte voraussehen können.

Obwohl die Schießerei jeden Moment losbrechen konnte, war ihre jetzige Situation immer noch besser, als in dem grauenhaften Gefängnis zu sitzen, das sich düster und dräuend hinter ihnen erhob. Jetzt hatten sie zumindest eine Chance – eine Chance, die sie Michael verdankten. Simon konnte nur hoffen, dass Michael sich nicht opferte, damit sie überlebten.

Aber jetzt galt es erst einmal, von diesem verdammten Felsen herunterzukommen.

***

Im Gefängnis herrschte das Chaos. Die Wachen brüllten zornig, während sie durch die dunklen Korridore stolperten. Einer rief den anderen. Irgendwann stimmten auch die Gefangenen mit ein, weil sie mit einem Mal begriffen, dass einer ihrer Leidensgefährten das sinkende Schiff verlassen hatte. Sie begannen zu kreischen und zu jubeln und schlugen mit allem, was ihnen in die Finger kam, gegen die Wände ihrer Zellen. Es war ein Lärm, als hätten sich die Pforten der Hölle geöffnet.

Die Wachen wussten nicht, was sie tun sollten. Sie rannten zu den Gefängnismauern und spähten in die Nacht, konnten aber nichts sehen. Dennoch hoben sie ihre Gewehre.

***

Simon und KC hörten, wie sich hinter den Gefängnismauern ein Höllenlärm erhob. Simon riskierte einen Blick über die Schulter und sah die Konturen der Wachen, die mit erhobenen Waffen über die Mauern huschten. Er machte sich auf die unvermeidliche Schusssalve gefasst, drehte den Kopf wieder nach vorn und rannte noch schneller.

Und dann fielen die ersten Schüsse. Kugeln schlugen um sie her in den felsigen Boden und sirrten als Querschläger durch die Luft. Simon konnte das Zischen der Projektile hören, die an ihm vorübersurrten. Die Schussdetonationen der Gewehre klangen wie Donner und hallten von den Bergen wider.

Zehn Meter voraus erblickte Simon den Klippenrand. Er drehte sich zu KC und sah, wie sie sich konzentrierte. Seite an Seite erreichten sie den Felsen. Ohne zu zögern oder auch nur eine Spur langsamer zu werden, stießen sie sich vom Klippenrand ab und sprangen vom Plateau, segelten hinein in die Nacht.

***

Als Michael zu dem Waldstück rannte, hörte er das Getöse, das aus dem Innern des Gefängnisses drang, in dem offenbar ein Aufstand der Häftlinge drohte. Er wusste nicht, welche Verbrechen diese Leute begangen hatten und was für Menschen sie waren, aber eine Haftstrafe in Chiron war der sichere Tod. Dies hier war kein Ort, an dem Menschen eine gerechte Strafe verbüßten, sondern eine Hölle auf Erden, in der Schuld oder Unschuld keine Rolle spielten.

Im Schutz der Dunkelheit rannte Michael die vierhundert Meter bis zu der Stelle, an der er seinen Fallschirm versteckt hatte. Er hoffte, dass seine Kraft reichte, denn er musste es zuerst bis dorthin schaffen und dann den ganzen Weg zurück zur Klippe bewältigen. Michael verfluchte sich selbst, verfluchte alles um sich herum. Er war immer vorsichtig gewesen, hatte sich aber entschieden, keinen zusätzlichen, überflüssigen Hilfsschirm mitzunehmen. Wie hätte er auch damit rechnen können, zwei Menschen zum Ausbruch verhelfen zu müssen? Erst recht hatte er nicht ahnen können, dass es sich bei der zweiten Person um KC handeln würde. Michael hatte Mühe, die Konzentration zu wahren, weil der Strudel von Emotionen seine Denkfähigkeit einschränkte. Seine Gefühle schwankten zwischen Liebe und Hass, Furcht und Wut, Zuversicht und Niedergeschlagenheit. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, warum KC und Simon hier waren oder was sie getan hatten. Er wusste nur, dass er Antworten wollte, wenn es ihnen gelang, hier herauszukommen.

Michael erreichte das Waldstück. Es dauerte nicht lange, und er fand den Fallschirm. Er zog sein Messer und schnitt den Hauptfallschirm vom Haltegurt, legte sich das Gurtzeug wieder um und betete, dass der Reservefallschirm korrekt gepackt war.

Ohne einen Moment weiter nachzudenken rannte er zurück, auf das Gefängnis zu.

***

Barabas’ Jeep bog um die Kurve. Die Scheinwerfer erfassten einen Mann im vollen Sprint. Es war keiner der beiden Gefangenen, weder der Mann noch die Frau. Barabas wusste nicht, um wen es sich handelte, aber es lag auf der Hand, dass der Unbekannte für den Ausbruch verantwortlich war. Der Gefängnisdirektor steuerte seinen Jeep geradewegs auf den rennenden Mann zu. Dann lehnte er sich aus der türlosen Seite des Fahrzeugs, zielte mit seiner Waffe und gab Gas.

Die Scheinwerfer erregten die Aufmerksamkeit der Wachen. Sie schauten von den Mauern herunter und sahen, wie der Jeep sich rasch dem rennenden Mann näherte. Sofort hoben alle ihre Gewehre und begannen zu feuern. Schüsse peitschten durchs Tal. Die Wachmänner ergötzten sich daran, Jagd auf den Flüchtenden zu machen. Was nur ein stumpfsinniger, langweiliger Abend gewesen war, wurde plötzlich zu etwas Aufregendem. Die Männer johlten jedes Mal, wenn sie den Abzug betätigten.

Auch Barabas zielte nun auf die Gestalt, die fünfzig Meter vor seinem Wagen her rannte. Obwohl er mit der anderen Hand den Jeep lenkte, brachte er seine Schusshand in die richtige Position und drückte ab.

Furcht erfasste Michael. Er hatte nicht damit gerechnet, im Fadenkreuz sämtlicher Wachmänner zu enden. Die fünfzehn Mann starke Truppe feuerte aus allen Rohren auf ihn. Die Kugeln prasselten hinter ihm auf den Boden, während er auf die Klippe zuhielt. Der Klippenrand tat sich vor ihm auf; dahinter war völlige Dunkelheit. Michael rannte schneller als je zuvor in seinem Leben, denn er wusste, dass alle Mühe vergeblich gewesen war, wenn er es nicht schaffte.

Aber die Kugeln kamen immer näher. Manche schlugen nur Zentimeter neben ihm ein. Es würde nur noch Sekunden dauern, bis einer der Schützen Glück hatte.

Ohne sein Tempo zu verringern, griff Michael in die Hosentasche und zog die kleine Fernsteuerung heraus. Mit dem Daumen öffnete er die Abdeckung und drückte den roten Knopf.

Hinter dem Gefängnis schoss ein gewaltiger Feuerball in den Himmel und erleuchtete die Welt um ihn her. Der Treibstofftank in Verbindung mit dem Plastiksprengstoff schuf einen Regen der Zerstörung, der über dem Kraftwerk niederging. Selbst aus der Ferne konnte Michael die Hitze der Explosion spüren.

Der Kugelhagel endete, als die Wachmänner in Deckung flohen.

***

Noch dreißig Meter. Barabas ließ sich nicht beirren. Er schaute nicht eine Sekunde in Richtung des Feuerballs, war völlig auf Michael fixiert und ließ sich von nichts ablenken. Dabei feuerte er, bis das Magazin seiner Waffe leer war. Er hatte keine Zeit, sie neu zu laden; stattdessen trat er das Gaspedal noch mehr durch. Nur noch Sekunden, und er würde den Mann überrollen, der sein Gefängnis zerstört, seine Gefangenen befreit und sein Leben ruiniert hatte.

Michael hörte hinter sich das Dröhnen des Motors, das immer lauter wurde, als der Wagen mit unverminderter Geschwindigkeit näher kam. Er konnte das Mahlen der Reifen und das Prasseln der Steinchen hören, die unter die Bodenwanne des Jeeps schlugen. Die Scheinwerferlichter wurden heller und erleuchteten den Klippenrand, der nur noch einen Meter entfernt war …

Michael sprang in die Nacht. Ein heftiger Wind erfasste seinen Körper. Ohne einen Hilfsschirm konnte er nur beten, dass der Reserveschirm ordnungsgemäß gepackt war und sich schnell genug öffnete. Er hielt die Reißleine fest umschlungen, als er im freien Fall in die Finsternis stürzte.

***

Barabas sah den Abgrund zu spät. Seine Aufmerksamkeit hatte ausschließlich dem fliehenden Mann gegolten. Nun trat er verzweifelt auf das Bremspedal. Der Jeep schlitterte nach links und rechts, als hätte er es darauf abgesehen, über die Felsenkante zu rutschen. Barabas riss das Steuer hart nach links und hoffte, das Unvermeidliche noch abwenden zu können, doch es war zu spät.

Der Jeep rutschte seitwärts weg und stürzte über den Klippenrand ins Vergessen.

***

Michael hörte das schabende Geräusch, als der Jeep über den Rand der Klippe schoss. Er spähte in die Höhe und sah die Scheinwerfer durch die Luft taumeln, als der Wagen sich immer wieder überschlug. Michael wartete damit, die Reißleine zu ziehen, weil er Angst hatte, unter das zwei Tonnen schwere Fahrzeug zu geraten, das genau in seine Richtung stürzte.

Michael drehte seinen Körper und dehnte ihn, um größtmöglichen Luftwiderstand zu schaffen und seine Fallgeschwindigkeit zu reduzieren. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis er entweder vom fallenden Jeep getötet wurde oder auf dem Boden aufschlug.

Wie in Zeitlupe segelte der Jeep neben ihm her. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Michael den Fahrer, sah das Entsetzen auf dem Gesicht des Mannes, der verzweifelt das Lenkrad umklammerte, als könne ihn dies vor dem sicheren Tod bewahren.

Dann zog Michael die Reißleine.

Der Fallschirm schoss aus dem Container und wurde vom Wind nach oben in die Nacht gerissen. Der Schirm öffnete sich und bremste mit einem brutalen Ruck Michaels Fall. Michael sah, wie die Lichter des Jeeps weiter nach unten stürzten und zu winzigen Nadelspitzen wurden. Dann erglühte eine feurige Explosion am Fuß der Klippe. Die orangeroten Flammen loderten hoch auf, als versuchten sie, nach ihm zu greifen. Erst Sekunden später hallte ein dumpfes Dröhnen zu Michael hinauf.

Er drehte seinen Körper und steuerte den Fallschirm durch die Fahnen des aufsteigenden Rauchs nach Norden in die Wüste. Langsam kam er wieder zu Atem. Kurz darauf flackerten unter ihm Scheinwerfer und erhellten einen Teil der Wüstenlandschaft. Ehe er weich im Sand landete, sah Michael, dass KC und Simon an einem Land Rover lehnten. Ein hünenhafter Mann, dessen blondes Haar von der nächtlichen Sommerbrise zerzaust war, lief Michael entgegen.

»Du kommst zu spät, wie immer«, sagte Paul Busch, ehe er seine gewaltigen Arme um Michael schlang und ihn an sich zog.