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In Jules Vernes Werk 'Der Einbruch des Meeres: Abenteuerroman' entfaltet sich eine faszinierende Geschichte, die den Leser auf eine abenteuerliche Reise unter die Meeresoberfläche mitnimmt. Mit seinem typischen wissenschaftlichen Ansatz und detaillierten Beschreibungen entführt der Autor die Leser in eine Welt voller Geheimnisse und spannender Entdeckungen. Der Roman zeichnet sich durch seinen fesselnden Schreibstil und eine Mischung aus Science-Fiction und Abenteuer aus, die typisch für Vernes Werke ist. Gesellschaftliche und technologische Themen verweben sich gekonnt mit den Abenteuern der Protagonisten und schaffen eine atmosphärische Erzählung.
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Seitenzahl: 305
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»Ja... was weißt du nun?
– Nur das, was ich am Hafen gehört habe.
– Dort sprach man von dem Schiffe, das Hadjar aufnehmen... das ihn fortführen soll?...
– Ja, nach Tunis, wo man ihn aburteilen...
– Ihn verurteilen wird?...
– Leider... verurteilen.
– Allah kann das nicht zulassen, Sohar!... Nein, Allah wird es nicht gestatten!
– Still... still!« rief Sohar erregt und lauschte, als ob er ein Geräusch von Schritten auf dem Sande vernähme.
Ohne sich aufzurichten, schlich er nach dem Eingange des verlassenen Marabout, wo diese Worte gewechselt wurden. Noch war es einigermaßen hell, doch mußte die Sonne bald hinter der Dünenkette versinken, die hier die Küste der Kleinen Syrte umrahmte. Anfang März dauert unter dem vierunddreißigsten Grade nördlicher Breite die Dämmerung nicht lange. Das Tagesgestirn folgt dann keiner schrägen Linie nach dem Horizonte, sondern scheint wie ein dem Gesetz der Schwere folgender Körper lotrecht herabzufallen.
Sohar hielt an und machte dann einige Schritte über die vom Sonnenbrande halb zerbröckelte Schwelle hinaus. Sein Blick schweifte einen Augenblick forschend über die benachbarte Ebene.
Im Norden ragten die grünenden Wipfel einer Oase empor, die etwa anderthalb Kilometer von hier entfernt lag. Im Süden verlief über Sehweite hinaus der gelbliche Strand, überspült vom Schaume der Brandung bei der jetzt zunehmenden Flut. Im Westen hob sich der Dünenkranz noch scharf vom Himmel ab, und im Osten glänzte die weite Meeresfläche, die den Golf von Gabes bildet und die tunesische Küste bespült, die sich in der Richtung nach Tripolis tief einbuchtet.
Der leichte Westwind, der am Tage die Luft etwas gekühlt hatte, war am Abend völlig eingeschlafen. Kein Geräusch schlug an Sohars Ohr. Vorher hatte er geglaubt, jemand in der nächsten Umgebung des alten, weißen, von einer Palme überdachten Gemäuerwürfels gehen zu hören, er erkannte jetzt aber seinen Irrtum.
Weder nach den Dünen noch nach dem Strande zu war jemand zu entdecken. Er umkreiste das kleine Bauwerk... niemand, und keine Fußspuren im Sande, außer denen von ihm und seiner Mutter, die sie vor ihrem Betreten des Marabout zurückgelassen hatten.
Kaum war Sohar eine Minute ins Freie hinausgetreten, als seine Mutter, unruhig, ihn nicht wieder zurückkommen zu sehen, schon auf der Schwelle erschien.
Ihr Sohn, der eben um die Ecke des Marabout herumkam, beruhigte sie mit einer Handbewegung.
Djemma, eine Afrikanerin aus dem Stamme der Tuaregs, war über sechzig Jahre alt, von großer, kräftiger Gestalt und gerader, Energie verratender Haltung. Aus ihren, wie aller Frauen ihrer Herkunft, blauen Augen leuchtete ein Blick, worin sich Feuer und Stolz paarten. Eigentlich von weißer Hautfarbe, erschien sie doch gelblich von der Ockerfärbung die ihre Stirn und Wangen bedeckte. Sie war mit dunkelm Stoffe bekleidet, mit einem weiten Haïk aus der Wolle, die die Herden der in der Umgebung der Sebkhas oder Schotts von Niedertunis siedelnden Hammama in so reicher Menge liefern. Ein weiter Capuchon bedeckte ihren Kopf, in dessen dichten Haarschmuck sich erst wenige Silberfäden verirrt hatten.
Djemma blieb unbeweglich stehen, bis ihr Sohn an sie herantrat. In der Umgebung hatte er nichts Verdächtiges bemerkt, und die Stille ringsum unterbrach nur der klagende Gesang des Bou-Habibi, des Sperlings von Djerid, von dem einige Paare an der Seite der Dünen umherflatterten.
Djemma und Sohar zogen sich wieder in den Marabout zurück, um hier die Dunkelheit abzuwarten, die es ihnen ermöglichen sollte, unbemerkt nach Gabes zu gelangen.
Flüsternd setzten sie jetzt das unterbrochene Gespräch fort.
»Das Schiff hat La Goletta verlassen?
– Ja, Mutter, und schon heute morgen hat es das Kap Bon umsegelt. Es ist der Kreuzer 'Chanzy'.
– Und der wird noch heute hier eintreffen?
– Noch diese Nacht, wenn er nicht erst noch Sfax angelaufen hat. Wahrscheinlich aber geht er nur vor Gabes vor Anker, wo dein Sohn, mein Bruder, an ihn übergeben werden wird.
– Hadjar... Hadjar! murmelte die alte Tuareg, zitternd vor Zorn und Schmerz. Mein Sohn... mein Sohn! rief sie dann schluchzend, diese Rumihs1 werden ihn töten, und ich werde ihn nicht wieder sehen... er wird nicht mehr zur Stelle sein, die Targui zum heiligen Kriege zu entflammen! Nein, nein, das kann Allah nicht zulassen!«
Und als ob dieser Ausbruch des Schmerzes ihre Kräfte erschöpft hätte, sank Djemma in einer Ecke des kleinen Raumes auf die Knie nieder und blieb schweigend liegen.
Sohar war wieder auf die Schwelle hinausgetreten und lehnte sich an die Tür... stumm, als wäre er selbst aus Stein geformt, wie die Statuen, die zuweilen den Eingang zu den Marabouts schmücken. Kein beunruhigendes Geräusch weckte ihn aus seiner regungslosen Haltung. Im Osten wuchs das Schattenbild der Dünen, je tiefer die Sonne am Horizonte niedersank. Im Westen der Kleinen Syrte stiegen die ersten Sterne empor. Die schmale Sichel des Mondes in seinem ersten Viertel leuchtete matt über dem Nebelmeere in der Ferne. Alles deutete auf eine ruhige, aber finstre Nacht, da die aufsteigenden Dunstmassen die Sterne bald zu verhüllen drohten.
Kurz nach sieben Uhr gesellte sich Sohar wieder zu seiner Mutter.
»Es ist nun Zeit, sagte er leise.
– Ja, antwortete Djemma, höchste Zeit, Hadjar den Händen jener Rumihs zu entreißen. Vor Sonnenaufgang muß er aus dem Gefängnisse von Gabes befreit sein... morgen... morgen wär' es zu spät!
– Es ist alles vorbereitet, Mutter, versicherte Sohar. Unsere Gefährten warten nur auf uns. Die in Gabes haben die Entführung vorbereitet, die von Djerid werden Hadjar als Geleite dienen, und ehe der Tag graut, werden alle weit draußen in der Wüste sein.
– Und ich mit ihnen, erklärte Djemma, ich werde meinen Sohn nicht verlassen!
– Und ich mit dir, rief Sohar, ich werde mich weder von dir, noch von meinem Bruder trennen!«
Djemma erhob sich, zog ihn an sich und preßte ihn in die Arme. Dann schob sie den Capuchon ihres Haïks zurecht und trat über die Schwelle hinaus.
Auf dem Wege nach Gabes ging Sohar einige Schritte vor ihr her. Statt dem Uferrande zu folgen, den weithin reichende Anhäufungen von Seepflanzen bezeichneten, die von der letzten Flut ans Land getragen worden waren, schlichen beide am Fuße der Dünen hin, wo sie auf der etwa anderthalb Kilometer langen Wegstrecke unbemerkter fortzukommen hofften. Kein Lichtschein unterbrach die Dunkelheit ringsum. In die fensterlosen arabischen Häuser dringt das Licht nur von dem Hofe her ein, und wenn es Nacht geworden ist, leuchtet kein Schein nach außen.
Jetzt wurde jedoch über der undeutlichen Silhouette der Stadt ein schimmernder Punkt sichtbar. Ein ziemlich glänzender Strahl war es, der aus den höher gelegenen Teilen von Gabes kommen mußte, entweder von dem Minaret einer Moschee, oder von dem Schlosse her, das die Stadt beherrschte.
Sohar erkannte das sofort und wies mit dem Finger darauf hin.
»Der Bordj... sagte er.
– Und dort ist es, Sohar?...
– Ja... dort haben sie ihn eingekerkert, Mutter!«
Die alte Frau war stehen geblieben. Ihr war's, als ob dieser Lichtstrahl eine Art Verbindung zwischen Sohn und Mutter bildete. Stahl sich das Licht auch nicht aus der Zelle, worin jener gefangen saß, so kam er doch aus dein Fort, wohin man Hadjar geschleppt hatte. Seitdem er, der mächtige Führer der Tuaregs, den französischen Soldaten in die Hände gefallen war, hatte Djemma ihren Sohn nicht wiedergesehen, und darauf mußte sie jedenfalls für immer verzichten, wenn er nicht diese Nacht durch eine glückliche Flucht dem Schicksale entging, das ihm durch den Spruch des Kriegsgerichtes bevorstand. Sie blieb deshalb wie eingewurzelt auf der Stelle, so daß Sohar sie zweimal durch ein »Komm doch, Mutter, komm!« zum Weitergehen bewegen mußte.
Der Weg führte noch immer am Fuße der Dünen hin, die in einem Bogen bis zur Oase von Gabes reichten, zu der Vereinigung von kleinen Ortschaften und einzelnen Häusern... übrigens der größten auf dem Festlandsufer der Kleinen Syrte.
Sohar wendete sich jetzt der Häusergruppe zu, die die Soldaten Coquinville (Schelmenstadt) zu nennen pflegen. Eigentlich besteht diese nur aus einem Haufen hölzerner Hütten, worin ausschließlich Kleinkrämer und Straßenhändler wohnen, was dem Ortsteile auch seinen ganz gerechtfertigten Namen verschafft hat. Er liegt nahe der Eintrittsstelle des Oued, eines Baches, der sich unter dem Schatten der Palmen in vielfachen Bogen durch die Oase hinwindet. Dort erhebt sich auch der später Fort Neuf genannte Bordj, den Hadjar nur verlassen sollte, um nach dem Gefängnisse von Tunis übergeführt zu werden. Und aus diesem Bordj hofften ihn seine Gefährten, die alle Vorbereitungen zu seiner Flucht getroffen hatten, noch diese Nacht zu entführen. Das Vorhaben mußte bis zu einem gewissen Punkte erleichtert werden durch den Umstand, daß der bei den umfänglichen Arbeiten in seiner Nachbarschaft umgebaute Bordj jetzt ziemlich verlassen war.
In einer der Hütten von Coquinville erwarteten die Genossen Djemma und deren Sohn. Es galt aber die größte Vorsicht, daß diese sich nicht in der Nähe des Ortes oder Fleckens erblicken ließen.
Mit welch ängstlicher Unruhe richteten sie die suchenden Blicke hinaus nach dem Meere! Wie fürchteten sie die Ankunft des Kreuzers noch an diesem Abend, und daß der Gefangene dann auf diesen übergeführt werden könnte, ehe seine Flucht ins Werk gesetzt war. Voll Spannung schauten sie danach aus, ob ein weißes Licht auf dem Golf der Kleinen Syrte auftauchte, ob sie das Zischen von Dampf vernähmen oder die stöhnende Stimme der Sirenen, die die auf den Ankerplatz einlaufenden Schiffe ankündigen. Doch nein, auf dem tunesischen Gewässer schimmerten nur die Laternen der Fischerboote und kein scharfer Pfiff zerriß hier die Luft.
Es war noch nicht acht Uhr, als Djemma und ihr Sohn das Ufer des Oued erreichten; noch zehn Minuten, und sie mußten am Orte des Stelldicheins sein.
Eben als beide sich dem rechten Ufer näherten, trat ein Mann, der hinter den Kaktuspflanzen am Bachesrande verborgen gewesen war, geräuschlos halb her vor.
»Sohar?... flüsterte er mit tonloser Stimme.
– Bist du es, Ahmet?
– Ja... und deine Mutter?...
– Sie folgt mir.
– Und wir, wir folgen dir, sagte Djemma.
– Hast du neue Nachrichten? fragte Sohar.
– Nein... keine einzige, antwortete Ahmet.
– Unsere Genossen sind zur Stelle?
– Sie warten nur auf euch.
– Im Bordj hat noch niemand Verdacht geschöpft?
– Gewiß niemand.
– Und Hadjar ist bereit?
– Ja.
– Doch woher weißt du das?
– Ich hab's von Harrig gehört, der heute Morgen freigelassen wurde und sich jetzt bei unsern Gefährten befindet.
– Dann also vorwärts,« sagte die alte Frau.
Alle drei folgten dein Ufer des Oued.
Infolge der Richtung, die sie einhielten, war die dunkle Masse des Bordj durch das dichte Laubgewölbe jetzt nicht zu sehen; ein wirklicher Palmenwald ist es ja, der die Oase Gabes bildet.
Ahmet wußte hier genau Bescheid und ging sichern Schrittes voraus. Zuerst führte der Weg durch das auf beiden Seiten des Oued liegende Djara. In diesem früher befestigten Flecken, der im Laufe der Jahrhunderte karthagisch, römisch, byzantinisch und arabisch gewesen war, wird der größte Markt von Gabes abgehalten. Augenblicklich waren die Leute von diesem voraussichtlich noch nicht heimgekehrt, und Djemma und ihr Sohn mußten einige Mühe haben, hier durchzuschleichen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Die Straßen der tunesischen Oase sind freilich noch nicht elektrisch, nicht einmal durch Gas beleuchtet, und außer in der Nähe einiger Kaffeehäuser lagen sie überall in tiefer Finsternis.
Der kluge und umsichtige Ahmet raunte Sohar trotzdem wiederholt zu, daß hier die größte Vorsicht zu beobachten sei. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß so mancher in Gabes die Mutter des Gefangenen kannte, und ihre Anwesenheit hier genügte jedenfalls, die Wachsamkeit rund um das Fort zu verdoppeln. Obgleich von langer Hand vorbereitet, bot die Entführung schon allein genug Schwierigkeiten, und es war deshalb wichtig, daß die Aufmerksamkeit der Wachtposten nicht obendrein noch verschärft würde. Ahmet wählte deshalb auch nur die Wege, die nach der Umgebung des Bordj führten.
Übrigens war der mittlere Teil der Oase heute besonders belebt, da eben ein Sonntag zu Ende ging. Der letzte Tag der Woche wird allgemein in allen Städten gefeiert, die, in Afrika wie in Europa, Garnison und vor allem französische Garnison haben. Die ihren Urlaub genießenden Soldaten strömen dann gern in den Cafés zusammen und kehren erst spät nach den Kasernen zurück. Die Eingebornen mischen sich in den Trubel, vorzüglich in dem Viertel der Kleinkrämer, das Italiener und Juden bunt durcheinander beherbergt, und der fröhliche Lärm dauert hier bis zu später Nachtstunde an.
Wie schon erwähnt, konnte es recht gut der Fall sein, daß Djemma den Behörden in Gabes einigermaßen bekannt war. Seit der Verhaftung ihres Sohnes hatte sie sich mehrmals in die Nähe des Bordj gewagt, hatte sie ihre Freiheit, vielleicht gar ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Wir kennen schon den Einfluß, den sie auf Hadjar hatte, den bei dem Stamme der Tuaregs so mächtigen und auch durch deren Auswanderung nicht verminderten Einfluß der leiblichen Mutter. War die Frau, nachdem sie ihren Sohn zur Empörung getrieben hatte, denn nicht imstande, eine neue Revolte anzuzetteln, entweder um den Gefangenen zu befreien oder ihn wenigstens zu rächen, wenn das Kriegsgericht ihn in den Tod schickte?... Gewiß war das zu befürchten, denn alle Stämme würden sich auf ihren Ruf erheben und ihr auf dein Wege zum heiligen Kriege folgen. Schon hatte man ja wiederholt fruchtlose Versuche unternommen, sich ihrer zu bemächtigen... ergebnislos hatten Soldatenabteilungen das Gebiet der Sebkhas und der Schotts durchstreift. Von ihren Stammesgenossen und allen andern beschützt, war es Djemma bisher stets gelungen, allen Versuchen, nach dem Sohne auch die Mutter einzufangen, glücklich zu entgehen.
Und doch war sie jetzt wieder nach dieser Oase gekommen, wo ihr so viele Gefahren drohten. Sie hatte die Stammesgenossen begleiten wollen, die in Gabes zusammengekommen waren, die Entführung zu bewerkstelligen. Gelang es Hadjar, die Aufmerksamkeit seiner Wächter abzulenken, und konnte er die Mauern des Bordj übersteigen, so wollte sich seine Mutter mit ihm zunächst wieder nachdem Marabout begeben, und einen Kilometer weiter draußen in einem dichten Palmenhaine standen für den Flüchtling Pferde bereit. Das war dann die wiedergewonnene Freiheit, stellte aber auch einen neuen Versuch der Auflehnung gegen die französische Herrschaft in Aussicht.
Weiter... weiter führte der Weg... Da und dort standen Gruppen von Franzosen und Arabern; keiner ahnte aber unter dem Haïk, der sie bedeckte, die Mutter Hadjars. Zuweilen kam auch von Ahmet ein leiser Warnungsruf, und alle drei verbargen sich dann an einer dunklern Stelle, hinter einer vereinzelten Hütte oder unter dem Laubdache von Bäumen, und nahmen ihren Weg erst wieder auf, wenn dieser frei war.
Da, als sie nur noch drei bis vier Schritte von dem vereinbarten Treffpunkte entfernt waren, sprang ihnen plötzlich ein Tuareg entgegen, der sie erwartet zu haben schien.
Die Straße oder der Weg, der schräg nach dem Bordj hinaufführte, war jetzt menschenleer, und wenn sie diesem wenige Minuten folgten, brauchten sie nur ein schmales Seitengäßchen hinauszugehen, um den Gourbi, das Ziel Djemmas und ihrer Begleiter, zu erreichen.
Der Tuareg stand dicht vor Ahmet, den er mit einer Handbewegung aufhielt.
»Nicht weiter... nicht weiter! flüsterte er.
– Was gibt es, Horeb? fragte Ahmet, der in ihm einen Tuareg von seiner Sippe erkannte.
– Unsre Genossen sind nicht mehr im Gourbi.«
Die alte Mutter war stehen geblieben.
»Sollten die Hunde von Rumihs schon etwas gemerkt haben? fragte sie Horeb mit ängstlicher, zornerfüllter Stimme.
– Nein, Djemma, versicherte Horeb. Auch die Wächter im Bordj haben keinerlei Verdacht...
– Warum sind unsre Genossen dann nicht mehr im Gourbi?
– Weil dienstfreie Soldaten dahin kamen, die zu trinken verlangten, und wir wollten mit ihnen natürlich nicht zusammenbleiben. Da war auch der Spahi-Unteroffizier Nicol dabei, der euch kennt, Djemma.
– Ja, murmelte diese. Er hat mich da draußen... im Douar gesehen, als mein Sohn seinem Kapitän in die Hände fiel. Ha, dieser Kapitän! Wenn der jemals...«
Und der Brust der Frau, der Mutter des gefangenen Hadjar, entrang sich's drohend, wie das drohende Murren eines Raubtieres.
»Wo treffen wir nun unsre Genossen? fragte Ahmet.
– Kommt nur mit mir,« antwortete Horeb.
Vorausgehend betrat er einen kleinen Palmenhain, der in der Richtung nach dem Fort lag.
Das jetzt verlassene Gehölz war nur an den Tagen mehr belebt, wo in Gabes großer Markt abgehalten wurde. Höchstwahrscheinlich traf man hier niemand bis ganz nahe am Bordj, in den einzudringen übrigens unmöglich war. Genoß die Besatzung heute auch ihren Sonntagsurlaub, so hätte man daraus doch nicht schließen dürfen, daß die Wachtposten unbesetzt wären. Eine besonders strenge Überwachung erschien ja nötig, solange der Rebelle Hadjar sich als Gefangener im Fort befand und solange er noch nicht auf den Kreuzer übergeführt war, der ihn ans Kriegsgericht ausliefern sollte.
Die kleine Gruppe zog, von den Bäumen geschützt, weiter und erreichte bald die Grenze des Palmenwäldchens.
Hier lag ein Haufen etwa von zwanzig Hütten, aus denen da und dort ein Lichtschein herausblitzte. Von hier aus war es bis zu dem Orte des Stelldicheins ungefähr noch einen Flintenschuß weit.
Kaum hatte Horeb aber ein gewundenes Gäßchen betreten, als ein Geräusch von Schritten und Stimmen ihn zum Stehenbleiben veranlaßte. Ein Dutzend Soldaten – es waren Spahis – näherten sich singend und lachend von der andern Seite her. Die Leute mochten in den benachbarten Schenken wohl etwas zu lange beim Glase gesessen haben.
Ahmet hielt es für geraten, der Begegnung mit ihnen auszuweichen, und zog sich mit Djemma, Sohar und Horeb nach einer finstern Bodensenkung in der Nähe der französisch-arabischen Schule zurück.
Hier unten lag ein Brunnen mit hohem, hölzernem Überbau, der die Welle trug. um die die Kette der Schöpfeimer gewunden war.
Sofort flüchteten sich alle hinter diesen Brunnen, dessen hohe Einfassung sie vollständig verbarg.
Der Soldatentrupp kam näher und hielt sogar an, als einer davon rief:
»Zum Henker... ich konnte um vor Durst!
– So trink' doch, da ist ja ein Brunnen, antwortete der Wachtmeister Nicol.
– Wasser trinken? Das fehlte mir gerade noch, Marchef!2 erwiderte der Brigadier Pistache.
– So rufe Mohammed an, vielleicht verwandelt er das Wasser in Wein.
– Ah, wenn ich das wüßte!
– Da würdest du wohl auf der Stelle Mohammedaner?
– Nein, Marchef, das doch nicht, und da Allah seinen Gläubigen den Wein verboten hat, würde er für Ungläubige ein solches Wunder wohl kaum zulassen.
– Gut gebrüllt, Pistache! rief ihm der Wachtmeister launig zu, doch dann vorwärts nach unserm Posten!«
Als ihm die Soldaten schon folgen wollten, parierte er aber noch einmal sein Pferd.
Zwei Männer kamen die Straße herauf, und der Wachtmeister erkannte in ihnen einen Kapitän und einen Leutnant von seinem Regimente.
»Halt! kommandierte er seinen Leuten, die die Hände stramm an ihre Chechia legten.
– Ah, rief der Kapitän, das ist ja der wackre Nicol?
– Herr Kapitän Hardigan? antwortete der Marchef mit etwas Überraschung im Tone seiner Stimme.
– Derselbe.
– Wir sind eben erst von Tunis eingetroffen, setzte der Leutnant Vilette hinzu.
– Und werden bald zu einer Expedition aufbrechen, der Sie sich auch anzuschließen haben, Nicol.
– Zu Befehl, Herr Kapitän, antwortete der Unteroffizier, stets bereit, Ihnen zu folgen, wohin es auch sei.
– Ja ja... das weiß ich! sagte Kapitän Hardigan. Und Ihr alter Bruder, wie geht's dem?
– Vortrefflich... der ist fest auf seinen vier Beinen; ich sorge schon dafür, sie nicht rosten zu lassen.
– Recht so, Nicol! Und wie steht's mit Coupe-à-Coeur? Immer noch befreundet mit dem alten Bruder?
– Noch wie seither, Herr Kapitän. Mir kommt's manchmal vor, als ob die beiden Zwillinge wären.
– Das wäre ja drollig... ein Pferd und ein Hund! rief der Kapitän lachend. Na, seien Sie darüber ruhig, Nicol, die sollen auch nicht getrennt werden, wenn wir abmarschieren.
– Wahrlich, das überlebten sie auch nicht, Herr Kapitän.«
Eben dröhnte jetzt ein dumpfer Knall vom Meere her.
»Was bedeutet das? fragte der Leutnant Vilette.
– Jedenfalls war es ein Kanonenschuß von dem Kreuzer, der im Golfe ankert.
– Und der den Schurken Hadjar abholen soll, setzte der Wachtmeister hinzu. Ein guter Fang, der Ihnen da gelungen ist, Herr Kapitän.
– Sie können wohl sagen, daß wir den zusammen gemacht haben, erwiderte der Offizier.
– Ja, und der alte Bruder und Coupe-à-Coeur hatten auch ihr Teil daran«, erklärte der Marches.
Die beiden Offiziere setzten darauf ihren Weg nach dem Bordj fort, während Nicol und seine Leute nach den untern Quartieren von Gabes hinunterritten.
1 Rumihs ist die Bezeichnung der Eingebornen für die Christen.
2 Soldatenjargon für maréchal de logis, d.h. Wachtmeister.
Die Targui (Mehrzahlform von Tuareg), eine Berberrasse, bewohnten ursprünglich Ixham, das Gebiet zwischen Touat, der großen, fünfhundert Kilometer südöstlich von Marokko gelegenen Oase, und Timbuktu im Süden, dem Niger im Westen und Fezzan im Osten. Zur Zeit, wo die vorliegende Geschichte spielt, hatten sie sich aber weiter nach dem Osten der Sahara zurückziehen müssen. Ihre zahlreichen, teils seßhaften, teils nomadisierenden Stämme sammelten sich damals in der Mitte der ausgedehnten, sandigen Ebenen, die in arabischer Sprache mit Outha bezeichnet werden, d. h. in der Gegend, wo die algerische Wüste mit der tunesischen zusammenstößt.
Schon seit einer Reihe von Jahren, nach dem Auflassen der Vorarbeiten für die Schaffung eines Binnenmeeres im Lande Ared, das westlich von Gabes liegt – ein Unternehmen, dessen Schöpfer der Kapitän Roudaire gewesen war – hatten der General-Resident und der Bey von Tunis die zahlreichen Targui aufgefordert, sich in der Oase um die Schotts (Salzsümpfe) anzusiedeln. Im Hinblick auf die kriegerische Natur hatte man sich mit der Hoffnung getragen, daß sie vielleicht die Gendarmen der Wüste werden könnten. Ein Irrtum... noch mehr: wenn die Herstellung eines Meeres der Sahara je wieder in Angriff genommen werden sollte, würden sich alle jene Stämme der Überflutung der Schotts entschieden widersetzt haben.
Vor der Öffentlichkeit diente der Tuareg zwar als Führer, selbst als Beschützer der Karawanen, seine Plünderungssucht und seine Räubernatur hatten ihn aber in so schlechten Ruf gebracht, daß man ihm nur mit Mißtrauen begegnen konnte.
Als der Major Paing, schon vor vielen Jahren, durch die gefährlichen Gegenden des »schwarzen Landes« zog, war er in höchster Gefahr gewesen, bei einem Überfalle durch die schrecklichen Eingebornen hingechlachtet zu werden, und bei der 1881 unter Leitung des Kommandanten Flatters von Ouargla ausgegangenen Expedition war der mutige Offizier samt seiner Begleitmannschaft in Bir-el-Gharama elend umgekommen. Die Militärbehörden von Algerien und Tunis mußten sich unausgesetzt zur Verteidigung bereit halten, um die Überfälle der an Kopfzahl reichen Stämme abzuwehren.
Unter den Targuistämmen galt der der Ahaggar mit Recht als einer der kriegslustigsten. Deren angesehenste Häuptlinge traf man gewiß bei jeder der örtlich beschränkten Erhebungen an, die die Erhaltung des französischen Einflusses an der langen Grenze der Wüste so schwierig machen. Der Gouverneur von Algerien und der General-Resident von Tunis, die immer scharf aufpaßten, hatten besonders die Gegend der Schotts oder Sebkhas im Auge zu behalten. Die hohe Bedeutung des Planes – der den Hauptgegenstand dieser Erzählung bildet – der Schaffung eines großen Binnenmeeres, leuchtet deshalb wohl von selbst ein. Dieser Plan bedrohte vor allem die Targuistämme, er mußte sie eines beträchtlichen Teiles ihres Einkommens berauben, das sie aus der Führung von Karawanen bezogen, und wegen der erhöhten Leichtigkeit, sie zu unterdrücken, die Überfälle seltener machen, denen bisher so viele zum Opfer gefallen waren.
Die Familie Hadjars gehörte im engern Sinne dem Stamme oder der Sippe der Ahaggars an und zählte zu den einflußreichsten unter diesen. Wegen seiner Tatenlust, seiner Kühnheit und Unbarmherzigkeit galt der Sohn Djemmas von jeher als einer der gefährlichsten Anführer der ruchlosen Horden des ganzen Gebietes, das sich bis zum Süden der Auresberge hin erstreckt. Im Laufe der letzten Jahre waren zahlreiche Überfälle auf Karawanen oder auf schwache Soldatenabteilungen von ihm ausgeführt worden, und sein Ansehen wuchs immer mehr bei den Stämmen, die sich allmählich nach dem Osten der Sahara, der ungeheuern vegetationslosen Sandwüste dieses Teiles des afrikanischen Festlandes, zurückgedrängt sahen. Die Schnelligkeit seiner Bewegungen war geradezu verblüffend, und obgleich die Behörden die Führer der Soldaten beauftragt hatten, sich seiner um jeden Preis zu bemächtigen, hatte er sich doch jeder Verfolgung zu entziehen gewußt. Wurde seine Anwesenheit in der Nähe einer Oase gemeldet, so erschien er gewiß plötzlich in der Umgebung einer andern. An der Spitze einer zahlreichen Rotte von Targui, die ihrem Anführer an Wildheit gleichkamen, durchstreifte er das ganze Land von den Schotts Algeriens bis zur Kleinen Syrte. Die Kafilas wagten sich gar nicht mehr durch die Wüste oder doch nur unter dem Schutze einer mannstarken Eskorte. Auch der so umfängliche Handelsverkehr zwischen den tripolitanischen Märkten litt sehr fühlbar unter diesem Zustand der Dinge.
Dennoch fehlte es nicht an Militärposten, weder in Nefke noch in Gafsa oder in Tozeur, dem politischen Hauptorte dieser Gegend. Alle Expeditionen aber, die gegen Hadjar und seine Bande unternommen worden waren, hatten niemals den gewünschten Erfolg, und dem abenteuerlustigen Krieger war es stets geglückt, seinen Häschern zu entschlüpfen. bis zu dem – jetzt einige Wochen zurückliegenden – Tage, wo er einer französischen Truppenabteilung in die Hände fiel.
Dieser Teil des nördlichen Afrikas war damals der Schauplatz einer jener Katastrophen gewesen, die im schwarzen Erdteile ja keine Seltenheit sind. Es ist bekannt, mit welcher Leidenschaft, welcher Hingebung und Unerschrockenheit seit einer Reihe von Jahren so viele Forscher, die Nachfolger eines Burton, Spike, Livingstone, Stanley und noch andrer, hier auf Entdeckungen ausgezogen sind. Man könnte deren Hunderte aufzählen, und wie viele werden auf diese Liste noch bis zu dem Tage kommen, wo dieser vierte Teil der Alten Welt alle seine Geheimnisse enthüllt haben wird! Wie viele dieser gefahrenreichen Forschungszüge sind aber auch unglücklich abgelaufen!
Der neueste betraf einen mutigen Belgier, der sich mitten in die wenig besuchten und wenig bekannten Gebiete des Touat gewagt hatte.
Nach Zusammenstellung einer Karawane in Konstantine verließ Karl Steinx diese Stadt in der Richtung nach Süden. Viele Leute zählte seine Karawane freilich nicht: im ganzen nur zehn Männer, in der Umgebung angeworbene Araber. Pferde und Meharis (eine gewisse Art sehr schnellfüßiger Dromedare) dienten ihnen zum Reiten und auch als Zugtiere für die beiden Wagen mit dem Material der Karawane.
Zunächst erreichte Karl Steinx Ouargla auf dem Wege über Biskra, Tougourt und Negoussia, wo er alle seine Vorräte leicht ergänzen konnte. Die genannten Städte sind auch der Sitz von französischen Beamten, die es sich angelegen sein ließen, den Forschungsreisenden zu unterstützen.
In Ouargla unter dem zweiunddreißigsten Breitengrade befand er sich schon sozusagen im Herzen der Sahara.
Bisher war der Zug recht gut verlaufen, zuweilen zwar unter recht großer Anstrengung, doch ohne ernsthaftere Gefahren. Bis in diese schon recht entlegenen Gebiete machte sich freilich der französische Einfluß geltend. Die Targui erwiesen sich, wenigstens dem Anscheine nach, als unterworfen, und die Karawanen konnten ohne besondres Risiko dem Handel im Innern nachgehen.
Während seines Aufenthaltes in Ouargla sah sich Karl Steinx aber zu einigen Veränderungen in seiner Begleitmannschaft genötigt. Mehrere von den Arabern, die bis hierher mitgegangen waren, weigerten sich plötzlich, ihm noch weiter zu folgen. So mußte er sie wohl oder übel ablohnen, was aber nicht ohne Schwierigkeiten abging, da die Leute unverschämte Forderungen stellten. Immerhin erschien es ratsamer, sich ihrer zu entledigen, da sie sich entschieden widerwillig zeigten, und es gefährlich erschien, sie unter der Eskorte zu behalten.
Anderseits hätte der belgische Reisende gar nicht weiterziehen können, ohne die Fehlenden zu ersetzen, und erklärlicherweise hatte er unter den vorliegenden Verhältnissen keine große Wahl. Er glaubte sich auch aus aller Verlegenheit gezogen zu haben, als er die Dienste mehrerer Targui annahm, die sich ihm anboten und, wenn sie auch hohe Lohnforderungen stellten, doch versprachen, ihm bis zum Ziele seiner Reise, gleichviel ob an der West- oder der Ostküste des afrikanischen Festlands, zu folgen.
Obwohl Karl Steinx gegen die Zugehörigen des Tuaregstammes ein gewisses Mißtrauen hegte, kam ihm doch keine Ahnung, daß er Verräter in seine Karawane aufgenommen hätte und daß diese schon seit ihrem Abzuge aus Biskra von der Rotte Hadjars heimlich beobachtet wurde, da dieser schreckliche Häuptling nur die Gelegenheit abwartete, sie zu überfallen. Jetzt, wo er Genossen Hadjars unter seinen Leuten hatte, konnten diese ihn leicht dahin führen, wo Hadjar dem Reisenden auflauerte.
Und so kam es auch. Von Ouargla aus zog die Karawane weiter nach Süden, überschritt den Wendekreis und erreichte das Land Ahaggar, von wo aus sie sich, nach Südosten abweichend, nach dem Tschadsee begeben sollte. Vom vierzehnten Tage nach seinem Aufbruche an traf jedoch von Karl Steinx und seinen Leuten keinerlei Nachricht mehr ein. Was mochte der Grand dafür sein? Hatte die Kafila das Seengebiet des Tschad erreicht und befand sie sich wohl gar schon auf dem Heimwege nach Osten oder Westen?
Die Expedition des jungen Belgiers hatte natürlich das lebhafteste Interesse vorzüglich bei den geographischen Gesellschaften erweckt, die sich besonders mit den Reisen nach dem Innern Afrikas beschäftigten. Bis Ouargla waren sie über den jetzigen Zug auf dem Laufenden erhalten worden. Noch von hundert Kilometern über diese Stadt hinaus trafen dann noch einige Nachrichten ein, die Nomaden aus der Wüste mitgebracht und den französischen Behörden mitgeteilt hatten. Man hoffte darauf hin, daß Karl Steinx binnen einigen Wochen und unter glücklichen Verhältnissen am Tschadsee eingetroffen sein wurde.
Jetzt vergingen aber Wochen und Monate, ohne daß irgend eine Nachricht von dem kühnen belgischen Reisenden eintraf. Man schickte deshalb Sendboten bis nach Ouargla hinaus. Die französischen Militärposten unterstützten die Nachforschungen, die durch sie in verschiedenen Richtungen noch weiter ausgedehnt wurden. Alle Bemühungen blieben jedoch erfolglos, und man mußte also befürchten, daß die Karawane, sei es bei einem Überfalle durch die Nomaden des Touat oder infolge von Strapazen und Krankheiten, inmitten der grenzenlosen Einöde der Sahara ihren Untergang gefunden habe.
Die geographische Welt wußte nun nicht mehr, was sie glauben sollte, und begann schon nicht nur die Hoffnung auf eine Wiederkehr des mutigen Karl Steinx aufzugeben, sondern auch die, daß ihr jemals noch eine diesen betreffende Nachricht zugehen werde, als drei Monate später in Ouargla ein Araber eintraf, der das über der unglücklichen Expedition lagernde Geheimnis enthüllte.
Der Araber, vorher selbst ein Zugehöriger des Personals der Karawane, war deren traurigem Schicksale glücklich entgangen. Durch ihn erfuhr man, daß die in den Dienst des Forschers eingetretenen Targui diesen verraten hatten. Der von ihnen auf einen falschen Weg geführte Karl Steinx sah sich plötzlich von einer Rotte Targui überfallen, die gegen ihn unter der Führung ihresStammeshäuptlings Hadjar anstürmte, welcher sich durch die Beraubung und Niedermetzelung verschiedner Kafilas schon einen gefürchteten Namen gemacht hatte. Karl Steinx hatte sich mit den ihm treu gebliebnen Leuten mutig verteidigt und von einer verlassenen Kouba aus achtundvierzig Stunden lang die Angreifer abgewiesen. Die Minderzahl seiner kleinen Truppe machte ihm aber jeden weitern Widerstand unmöglich, so daß er schließlich den Targui in die Hände fiel und samt seinen Begleitern ermordet wurde.
Natürlich erregte diese Nachricht einen wahren Sturm der Entrüstung, und überall ertönte nur der Ruf, den kühnen Forscher zu rächen, ihn an dem grausamen Tuareghäuptling zu rächen, dessen Name von allen Seiten verflucht wurde, zumal da man ihm noch viele andre Angriffe auf Karawanen gewiß nicht mit Unrecht zuschrieb. Die französischen Behörden beschlossen deshalb auch, eine Expedition auszurüsten, die sich seiner bemächtigen sollte, um den Verbrecher nach Gebühr zu bestrafen und seinem unheilvollen Einfluß auf die Eingebornen ein für allemal ein Ende zu machen. Es war ja bekannt, daß sich die in Frage kommenden Stämme immer mehr nach dem Osten Afrikas hinzogen und daß sie versuchten, in den südlichen Gebietsteilen von Tunis und Tripolis festen Fuß zu fassen. Das hätte aber zu einer schweren Störung, vielleicht gar zur Vernichtung des lebhaften Handelsverkehres jener Gegenden führen müssen, wenn die Targui nicht zu endgültiger Unterwerfung gezwungen wurden.
So wurde also eine Expedition gegen diese ausgesendet, und der Gouverneur von Tunis wie der General-Resident von Tripolis hatte Sorge getragen, daß sie in allen Garnisonsstädten im Gebiete der Schotts und der Sebkhas die erforderliche Unterstützung fände. Die Expedition bestand aus einer Schwadron Spahis unter Führung des Kapitäns Hardigan, der für die schwierige Aufgabe, von der man so wichtige Folgen erwartete, vom Kriegsministerium ausersehen worden war.
Der »Chanzy« beförderte also eine Abteilung von sechzig Mann nach dem Hafen von Sfax. Wenige Tage nach ihrer Ausschiffung verließ sie mit dem nötigen Proviant und ihren von Kamelen getragenen Zelten unter arabischen Führern schon die Küste und brach nach Westen hin auf. In mehreren Städten und Flecken des Binnenlandes, wie in Tozeur, Gafsa u.a., fand sie jedenfalls Gelegenheit zur Ergänzung ihrer Vorräte, denn an Oasen fehlt es im Gebiete des Djerid nicht.
Unter dem Befehle des Kapitäns standen ein Oberleutnant, zwei Leutnants und mehrere Unteroffiziere, darunter auch der Wachtmeister Nicol.
Gehörte der letztere aber zu der Expedition, so war es selbstverständlich, daß auch dessen »alter Bruder« Va d'l'avant und sein getreuer Coupe-à-Coeur dabei nicht fehlten.
Die Expedition bemaß ihre Etappen mit einer Regelmäßigkeit, die den Erfolg des Zuges sichern mußte, und marschierte so durch das ganze tunesische Sahel. Dabei kam sie über Dar-el-Mehalla und El Guettar und machte hierauf in Gafsa, im Herzen des Gebietes von Henmara, für achtundvierzig Stunden Rast.
Gafsa ist in einem weitausladenden Winkel erbaut, den der Oued Bayoeh bildet. Die Stadt erhebt sich auf einer von Hügeln eingerahmten Terrasse, hinter der, einige Kilometer weiter draußen, mächtige Bergzüge aufragen. Von den verschiedenen Städten des südlichen Tunis hat sie die größte Zahl von Einwohnern, die einen umfänglichen Haufen von Häusern und Hütten bevölkern. Die die Stadt beherrschende Kasbah, früher ein Standquartier tunesischer Soldaten, steht jetzt unter der Obhut eines französischen Militärpostens. Gafsa rühmt sich auch, ein Mittelpunkt wissenschaftlicher Ausbildung zu sein, und es blühen hier mehrere Schulen zum Vorteil der arabischen und der französischen Sprache. Daneben wird eine lebhafte Industrie betrieben, die eine ausgedehnte Stoffweberei, die Fabrikation seidener Haïks, sowie die von Decken und Burnussen umfaßt, wozu die zahlreichen Schafe der Hammamma die Wolle liefern. Hier sieht man ferner noch die Termil genannten, aus der Römerzeit herrührenden Wasserbassins und neben diesen warme Quellen mit Temperaturen von neunundzwanzig bis zu zweiunddreißig Zentigraden.
In dieser Stadt erhielt nun Kapitän Hardigan zuerst bestimmtere Nachrichten über Hadjar, wonach die Bande der Targui sechzig Kilometer weiter westlich, in der Umgebung von Ferkane aufgetaucht sein sollte.
Bis dahin war es ja eine recht große Strecke: Spahis kümmern sich aber um Strapazen ebensowenig wie um Gefahren.
Als dann die Abteilung erfuhr, was die Führer von ihrer Tatkraft und Ausdauer erwarteten, verlangte sie nichts mehr, als schleunigst aufzubrechen. – »Übrigens – erklärte der Wachtmeister Nicol launig – hab' ich mit dem 'alten Bruder' gesprochen, und der hat sich bereit erklärt, wenn nötig doppelte Etappen zurückzulegen; Coupe-à-Coeur aber wartet nur darauf, vorauszutraben!«
Mit allem Nötigen wohl ausgerüstet, zog der Kapitän mit seinen Leuten ab. Der Trupp mußte dabei zuerst, im Südwesten von der Stadt, einen Wald passieren, der nicht weniger als hunderttausend Palmen zählte und dem sich ein zweiter, nur aus Obstbäumen bestehender anschloß.
Zwischen Gafsa und der algerisch-tunesischen Grenze lag nur der einzige Ort Chebeka, wo man die frühern Mitteilungen über den Aufenthalt des Tuareghäuptlings bestätigt fand. Er schweifte zur Zeit zum großen Schaden der Karawanen umher, die durch die entlegensten Gebiete von Konstantine zogen, und sein schon seither schwer belastetes Sündenregister schwoll immer mehr an durch die neuen Verbrechen, die er gegen Personen und Eigentum beging.
Als der Kommandant von Chebeka aus nach einigen Tagemärschen die Grenze überschritten hatte, trieb er seine Leute zur größten Schnelligkeit an, um den Flecken Negrine, am Ufer des Oued Sokhna, so bald wie möglich zu erreichen.
Am Vorabend seines Eintreffens daselbst waren die Targui wenige Kilometer weiter westlich gesehen worden, genau zwischen Negrine und Ferkane längs des Oued Djerech, der nach den großen Schotts dieser Gegend hin verläuft.
Laut eingezogenen Erkundigungen sollte Hadjar, den auch seine Mutter begleitete, mindestens hundert Mann bei sich haben; obgleich der Kapitän Hardigan aber nur über wenig mehr als die halbe Anzahl Spahis verfügte, zögerten er und seine Leute gewiß keinen Augenblick, die Wüstenräuber anzugreifen.
Ein Stärkeverhältnis von zwei gegen einen ist nicht dazu angetan, afrikanische Truppen zu erschrecken, und diese haben oft unter noch ungünstigeren Umständen mit Erfolg gekämpft.
Das wiederholte sich auch bei dieser Gelegenheit, als die Abteilung in die Umgebung von Ferkane vorgedrungen war. Hadjar, der das erfahren hatte, dachte jedenfalls nicht daran, sich sofort in einen Entscheidungskampf einzulassen. Ihm mußte es ja vorteilhafter erscheinen, die Schwadron weiter in das schwierige Terrain der großen Schotts zu verlocken, sie durch unaufhörliche Scheinangriffe zu ermüden und sich die Unterstützung der nomadisierenden Targui zu sichern, die in dieser Gegend stets umherziehen und es gewiß nicht abschlugen, sich Hadjar anzuschließen, der ja bei allen Stämmen in hohem Ansehen stand. Anderseits ließ ihn der Kapitän Hardigan, einmal auf der Fährte des Räubers, gewiß nicht wieder von der Klinge und folgte ihm so weit das nötig würde, wäre es auch bis Tourgourt im El Erg gewesen.
Hadjar hatte auch wirklich beschlossen, zunächst einem Zusammenstoße auszuweichen, und wenn es ihm gelang, der Schwadron den Rückzug abzuschneiden konnte er nach Heranziehung weiterer Parteigänger wohl hoffen, die kleine, gegen ihn ausgesandte Truppe aufzureiben... im Falle des Gelingens eine weitere, tief beklagenswerte Katastrophe nach der des Karl Steinx.
Hadjars Plan wurde jedoch vereitelt, als seine Bande längs des Oued Sokhua abziehen wollte, um weiter im Norden den Fuß des Djebel Cherchar zu erreichen.