Der Freigeist. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen verfertiget im Jahre 1749. Textausgabe mit Anmerkungen, Literaturhinweisen und Nachwort - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Der Freigeist. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen verfertiget im Jahre 1749. Textausgabe mit Anmerkungen, Literaturhinweisen und Nachwort E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Lessings Jugendwerk handelt vom "Freigeist" Adrast und dem jungen protestantischen Geistlichen Theophran, die um die Töchter des Lisidor, Henriette und Juliane, werben. Sie geraten darüber in einen unversöhnlichen Konflikt, doch in der Freundschaft und in der Liebe finden am Ende Gegensätze zueinander: Geist und Herz, Witz und Ernsthaftigkeit. Mit einem Nachwort und Anmerkungen sowie einer Übersicht über die Lustspiel-Produktion der Aufklärung. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Gotthold Ephraim Lessing

Der Freigeist

Ein Lustspiel in fünf Aufzügenverfertiget im Jahre 1749

Nachwort und Anmerkungen von Klaus Bohnen

Reclam

1980, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Bibliographisch ergänzte Ausgabe 2021

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961929-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014233-2

www.reclam.de

Inhalt

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Literaturhinweise

Nachwort

[5]Personen

ADRAST, der Freigeist

THEOPHAN, ein junger Geistlicher

LISIDOR

Töchter des Lisidor:

JULIANE

HENRIETTE

FRAU PHILANE

ARASPE, Theophans Vetter

JOHANN

MARTIN

LISETTE

EIN WECHSLER

 

Die Szene ist ein Saal.

[7]Erster Aufzug

Erster Auftritt

Adrast. Theophan.

THEOPHAN. Werden Sie es übelnehmen, Adrast, wenn ich mich endlich über den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhören, gegen mich zu äußern? Schon seit Monaten sind wir in einem Hause, und warten auf einerlei Glück. Zwei liebenswürdige Schwestern sollen es uns machen. Bedenken Sie doch, Adrast! können wir noch dringender eingeladen werden, uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie sie unter Brüdern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf bestanden? – –

ADRAST. Ebenso oft haben Sie gesehen, dass ich mich nicht einlassen will. Freundschaft? Freundschaft unter uns? – – Wissen Sie, muss ich fragen, was Freundschaft ist?

THEOPHAN. Ob ich es weiß?

ADRAST. Alle Fragen bestürzen, deren wir nicht gewärtig sind. Gut, Sie wissen es. Aber meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen Sie doch auch?

THEOPHAN. Ich verstehe Sie. Also sollen wir wohl Feinde sein?

ADRAST. Sie haben mich schön verstanden! Feinde? Ist denn kein Mittel? Muss denn der Mensch eines von beiden, hassen, oder lieben? Gleichgültig wollen wir einander bleiben. Und ich weiß, eigentlich wünschen Sie dieses selbst. Lernen Sie wenigstens nur die Aufrichtigkeit von mir.

[8]THEOPHAN. Ich bin bereit. Werden Sie mich aber diese Tugend in aller ihrer Lauterkeit lehren?

ADRAST. Erst fragen Sie sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer Lauterkeit gefallen würde?

THEOPHAN. Gewiss. Und Ihnen zu zeigen, ob Ihr künftiger Schüler einige Fähigkeit dazu hat, wollen Sie mich wohl einen Versuch machen lassen?

ADRAST. Recht gern.

THEOPHAN. Wo nur mein Versuch nicht ein Meisterstück wird. Hören Sie also, Adrast – – Aber erlauben Sie mir, dass ich mit einer Schmeichelei gegen mich selbst anfange. Ich habe von jeher einigen Wert auf meine Freundschaft gelegt; ich bin vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. Sie sind der Erste, dem ich sie angeboten habe; und Sie sind der Einzige, dem ich sie aufdringen will. – – Umsonst sagt mir Ihr verächtlicher Blick, dass es mir nicht gelingen solle. Gewiss, es soll mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Bürge; Ihr eigen Herz, Adrast, welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in gewisse groß scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wünschet.

ADRAST. Ich hasse die Lobsprüche, Theophan, und besonders die, welche meinem Herzen auf Unkosten meines Verstandes gegeben werden. Ich weiß eigentlich nicht, was das für Schwachheiten sein müssen (Schwachheiten aber müssen es sein), derentwegen Ihnen mein Herz so wohl gefällt; das aber weiß ich, dass ich nicht eher ruhen werde, als bis ich sie, durch Hülfe meines Verstandes daraus verdrungen habe.

THEOPHAN. Ich habe die Probe meiner Aufrichtigkeit kaum angefangen, und Ihre Empfindlichkeit ist schon rege. Ich werde nicht weit kommen.

[9]ADRAST. So weit als Sie wollen. Fahren Sie nur fort.

THEOPHAN. Wirklich? – – Ihr Herz also ist das beste, das man finden kann. Es ist zu gut, Ihrem Geiste zu dienen, den das Neue, das Besondere geblendet hat, den ein Anschein von Gründlichkeit zu glänzenden Irrtümern dahinreißt, und der, aus Begierde bemerkt zu werden, Sie mit aller Gewalt zu etwas machen will, was nur Feinde der Tugend, was nur Bösewichter sein sollten. Nennen Sie es, wie Sie wollen: Freidenker, starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwürdige Benennungen missbrauchen wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein Ungeheuer, es ist die Schande der Menschheit. Und Sie, Adrast, den die Natur zu einer Zierde derselben bestimmte, der nur seinen eignen Empfindungen folgen dürfte, um es zu sein; Sie, mit einer solchen Anlage zu allem, was edel und groß ist, Sie entehren sich vorsätzlich. Sie stürzen sich mit Bedacht aus Ihrer Höhe herab, bei dem Pöbel der Geister einen Ruhm zu erlangen, für den ich lieber aller Welt Schande wählen wollte.

ADRAST. Sie vergessen sich, Theophan, und wenn ich Sie nicht unterbreche, so glauben Sie endlich gar, dass Sie sich an dem Platze befinden, auf welchem Ihresgleichen ganze Stunden ungestört schwatzen dürfen.

THEOPHAN. Nein, Adrast, Sie unterbrechen keinen überlästigen Prediger; besinnen Sie sich nur: Sie unterbrechen bloß einen Freund, – – wider Ihren Willen nenne ich mich so, – – der eine Probe seiner Freimütigkeit ablegen sollte.

ADRAST. Und eine Probe seiner Schmeichelei abgeleget hat; – aber einer verdeckten Schmeichelei, einer Schmeichelei, die eine gewisse Bitterkeit annimmt, um desto [10]weniger Schmeichelei zu scheinen. – – Sie werden machen, dass ich Sie endlich auch verachte. – – Wenn Sie die Freimütigkeit kennten, so würden Sie mir alles unter die Augen gesagt haben, was Sie in Ihrem Herzen von mir denken. Ihr Mund würde mir keine gute Seite geliehen haben, die mir Ihre innere Überzeugung nicht zugestehet. Sie würden mich geradeweg einen Ruchlosen gescholten haben, der sich der Religion nur deswegen zu entziehen suche, damit er seinen Lüsten desto sicherer nachhängen könne. Um sich pathetischer auszudrücken, würden Sie mich einen Höllenbrand, einen eingefleischten Teufel genannt haben. Sie würden keine Verwünschungen gespart, kurz, Sie würden sich so erwiesen haben, wie sich ein Theolog gegen die Verächter seines Aberglaubens, und also auch seines Ansehens, erweisen muss.

THEOPHAN. Ich erstaune. Was für Begriffe!

ADRAST. Begriffe, die ich von tausend Beispielen abgesondert habe. – – Doch wir kommen zu weit. Ich weiß, was ich weiß, und habe längst gelernt, die Larve von dem Gesichte zu unterscheiden. Es ist eine Karnevalserfahrung: Je schöner die erste, desto hässlicher das andere.

THEOPHAN. Sie wollen damit sagen – –

ADRAST. Ich will nichts damit sagen, als dass ich noch zu wenig Grund habe, die Allgemeinheit meines Urteils von den Gliedern Ihres Standes, um Ihretwillen einzuschränken. Ich habe mich nach den Ausnahmen zu lange vergebens umgesehen, als dass ich hoffen könnte, die erste an Ihnen zu finden. Ich müsste Sie länger, ich müsste Sie unter verschiedenen Umständen gekannt haben, wenn – –

[11]THEOPHAN. Wenn Sie meinem Gesichte die Gerechtigkeit widerfahren lassen sollten, es für keine Larve zu halten. Wohl! Aber wie können Sie kürzer dazu gelangen, als wenn Sie mich Ihres nähern Umganges würdigen? Machen Sie mich zu Ihrem Freunde, stellen Sie mich auf die Probe – –

ADRAST. Sachte! die Probe käme zu spät, wenn ich Sie bereits zu meinem Freunde angenommen hätte. Ich habe geglaubt, sie müsse vorhergehen.

THEOPHAN. Es gibt Grade in der Freundschaft, Adrast; und ich verlange den vertrautesten noch nicht.

ADRAST. Kurz, auch zu dem niedrigsten können Sie nicht fähig sein.

THEOPHAN. Ich kann nicht dazu fähig sein? Wo liegt die Unmöglichkeit?

ADRAST. Kennen Sie, Theophan, wohl ein Buch, welches das Buch aller Bücher sein soll; welches alle unsere Pflichten enthalten, welches uns zu allen Tugenden die sichersten Vorschriften erteilen soll, und welches der Freundschaft gleichwohl mit keinem Worte gedenkt? Kennen Sie dieses Buch?

THEOPHAN. Ich sehe Sie kommen, Adrast. Welchem Collin haben Sie diesen armseligen Einwurf abgeborgt?

ADRAST. Abgeborgt, oder selbst erfunden: es ist gleich viel. Es muss ein kleiner Geist sein, der sich Wahrheiten zu borgen schämt.

THEOPHAN. Wahrheiten! – – Sind Ihre übrigen Wahrheiten von gleicher Güte? Können Sie mich einen Augenblick anhören?

ADRAST. Wieder predigen?

THEOPHAN. Zwingen Sie mich nicht darzu? Oder wollen [12]Sie, dass man Ihre seichten Spöttereien unbeantwortet lassen soll, damit es scheine, als könne man nicht darauf antworten?

ADRAST. Und was können Sie denn darauf antworten?

THEOPHAN. Dieses. Sagen Sie mir, ist die Liebe unter der Freundschaft, oder die Freundschaft unter der Liebe begriffen? Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die Freundschaft? Ich sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, dass unser Gesetzgeber die Freundschaft seines Gebotes nicht würdig geschätzt habe, dass er vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft gegen die ganze Welt gemacht hat.

ADRAST. Sie bürden ihm Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die ganze Welt? Was ist das? Mein Freund muss kein Freund der ganzen Welt sein.

THEOPHAN. Und also ist Ihnen wohl nichts Freundschaft als jene Übereinstimmung der Temperamente, jene angeborne Harmonie der Gemüter, jener heimliche Zug gegeneinander, jene unsichtbare Kette, die zwei einerlei denkende, einerlei wollende Seelen verknüpfet?

ΑDRAST. Ja, nur dieses ist mir Freundschaft.

THEOPHAN. Nur dieses? Sie widersprechen sich also selbst.

ADRAST. Oh! dass ihr Leute doch überall Widersprüche findet, außer nur da nicht, wo sie wirklich sind!

THEOPHAN. Überlegen Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht willkürliche, Übereinstimmung der Seelen, diese in uns liegende Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen allein die wahre Freundschaft ausmacht: wie können Sie verlangen, dass sie der Gegenstand eines [13]Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie nicht geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. Und wie können Sie es unserm Lehrer zur Last legen, dass er die Freundschaft in diesem Verstande übergangen hat? Er hat uns eine edlere Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch die unvernünftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine Freundschaft, die sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; welche sich nicht von der Natur lenken lässt, sondern welche die Natur selbst lenket.

ADRAST. Ο Geschwätze!

THEOPHAN. Ich muss Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich ebenso wohl wissen könnten, als ich; und auch wissen sollten. Was würden Sie selbst von mir denken, wenn ich den Verdacht nicht mit aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als mache mich die Religion zu einem Verächter der Freundschaft, die Religion, die Sie nur allzu gern aus einem wichtigen Grunde verachten möchten? – – Sehen Sie mich nicht so geringschätzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so beleidigende Art von mir – –

ADRAST(beiseite). Das Pfaffengeschmeiß! – –

THEOPHAN. Ich sehe, Sie gebrauchen Zeit, den ersten Widerwillen zu unterdrücken, den eine widerlegte Lieblingsmeinung natürlicherweise erregt. – Ich will Sie verlassen. Ich erfuhr itzt ohnedem, dass einer von meinen Anverwandten mit der Post angelangt sei. Ich gehe ihm entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben vorzustellen.

[14]Zweiter Auftritt

ADRAST. – – Dass ich ihn nimmermehr wiedersehen dürfte! Welcher von euch Schwarzröcken wäre auch kein Heuchler? – – Priestern habe ich mein Unglück zu danken. Sie haben mich gedrückt, verfolgt, so nahe sie auch das Blut mit mir verbunden hatte. Hassen will ich dich, Theophan und alle deines Ordens! Muss ich denn auch hier in die Verwandtschaft der Geistlichkeit geraten? – – Er, dieser Schleicher, dieser blöde Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden? – – Und mein Schwager durch Julianen? – Durch Julianen? – Welch grausames Geschick verfolgt mich doch überall! Ein alter Freund meines verstorbenen Vaters trägt mir eine von seinen Töchtern an. Ich eile herbei, und muss zu spät kommen, und muss die welche auf den ersten Anblick mein ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein glücklich leben konnte, schon versprochen finden. Ach Juliane! So warest du mir nicht bestimmt? du, die ich liebe? Und so soll ich mich mit einer Schwester begnügen, die ich nicht liebe? – –

Dritter Auftritt

Lisidor. Adrast.

LISIDOR. Da haben wir’s! Schon wieder allein, Adrast? Sagen Sie mir, müssen die Philosophen so zu Winkel kriechen? Ich wollte doch lieber sonst was sein – – Und wenn ich recht gehört habe, so sprachen Sie ja wohl gar [15]mit sich selber? Nu, nu! es ist schon wahr: ihr Herren Grillenfänger könnt freilich mit niemand Klügerm reden als mit euch selber. Aber gleichwohl ist unsereiner auch kein Katzenkopf. Ich schwatze eins mit, es mag sein, von was es will.

ADRAST. Verzeihen Sie – –

LISIDOR. Je, mit Seinem Verzeihen! Er hat mir ja noch nichts zuwider getan – – Ich habe gern, wenn die Leute lustig sind. Und ich will kein ehrlicher Mann sein, wenn ich mir nicht eine rechte Freude darauf eingebildet habe, den Wildfang, wie sie Ihn sonst zu Hause nannten, zu meinem Schwiegersohne zu haben. Freilich ist Er seitdem groß gewachsen; Er ist auf Reisen gewesen; Er hat Land und Leute gesehen. Aber, dass Er so gar sehr verändert würde wiedergekommen sein, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Da geht Er nun, und spintisiert von dem, was ist – – und was nicht ist, – – von dem, was sein könnte, und wenn es sein könnte, warum es wieder nicht sein könnte; – – von der Notwendigkeit, der halben und ganzen, der notwendigen Notwendigkeit, und der nicht notwendigen Notwendigkeit; – – von den Α – Α – – wie heißen die kleinen Dingerchen, die so in den Sonnenstrahlen herumfliegen? – – von den Α – Α – – Sage doch, Adrast – –

ADRAST. Von den Atomis, wollen Sie sagen.

LISIDOR. Ja, ja, von den Atomis, von den Atomis. So heißen sie, weil man ihrer ein ganz Tausend mit einem Atem hinunterschlucken kann.

ADRAST. Ha! ha! ha!

LISIDOR. Er lacht, Adrast? Ja, mein gutes Bürschchen, du musst nicht glauben, dass ich von den Sachen ganz [16]und gar nichts verstehe. Ich habe euch, Ihn und den Theophan, ja oft genug darüber zanken hören. Ich behalte mir das Beste. Wenn ihr euch in den Haaren liegt, so fische ich im Trüben. Da fällt manche Brocke ab, die keiner von euch brauchen kann, und die ist für mich. Ihr dürft deswegen nicht neidisch auf mich sein; denn ich bereichere mich nicht von einem allein. Das nehme ich von dir, mein lieber Adrast; und das vom Theophan; und aus allen dem mache ich mir hernach ein Ganzes – –

ADRAST. Das vortrefflich ungeheuer sein muss.

LISIDOR. Wieso?

ADRAST. Sie verbinden Tag und Nacht, wenn Sie meine mit Theophans Gedanken verbinden.

LISIDOR. Je nu! so wird eine angenehme Dämmerung daraus. – – Und überhaupt ist es nicht einmal wahr, dass ihr so sehr voneinander unterschieden wäret. Einbildungen! Einbildungen! Wievielmal habe ich nicht allen beiden zugleich recht gegeben? Ich bin es nur allzu wohl überzeugt, dass alle ehrliche Leute einerlei glauben.

ADRAST. Sollten! sollten! das ist wahr.

LISIDOR. Nun da sehe man! was ist nun das wieder für ein Unterscheid? Glauben, oder glauben sollen: es kömmt auf eines heraus. Wer kann alle Worte so abzirkeln? – – Und ich wette was, wenn ihr nur erst werdet Schwäger sein, kein Ei wird dem andern ähnlicher sein können. – –

ADRAST. Als ich dem Theophan, und er mir?

LISIDOR. Gewiss. Noch wisst ihr nicht, was das heißt, miteinander verwandt sein. Der Verwandtschaft wegen wird der einen Daumen breit, und der einen Daumen breit nachgeben. Und einen Daumen breit, und wieder [17]einen Daumen breit, das macht zwei Daumen breit; und zwei Daumen breit – – ich bin ein Schelm, wenn ihr die auseinander seid. – Nichts aber könnte mich in der Welt wohl so vergnügen, als dass meine Töchter so vortrefflich für euch passen. Die Juliane ist eine geborne Priesterfrau; und Henriette – – in ganz Deutschland muss kein Mädchen zu finden sein, das sich für Ihn, Adrast, besser schickte. Hübsch, munter, fix; sie singt, sie tanzt, sie spielt; kurz, sie ist meine leibhafte Tochter. Juliane dargegen ist die liebe, heilige Einfalt.

ADRAST. Juliane? Sagen Sie das nicht. Ihre Vollkommenheiten fallen vielleicht nur weniger in die Augen. Ihre Schönheit blendet nicht; aber sie geht ans Herz. Man lässt sich gern von ihren stillen Reizen fesseln, und man biegt sich mit Bedacht in ihr Joch, das uns andere in einer fröhlichen Unbesonnenheit überwerfen müssen. Sie redet wenig; aber auch ihr geringstes Wort hat Vernunft.

LISIDOR. Und Henriette?

ADRAST. Es ist wahr: Henriette weiß sich frei und witzig auszudrücken. Würde es aber Juliane nicht auch können, wenn sie nur wollte, und wenn sie nicht Wahrheit und Empfindung jenem prahlenden Schimmer vorzöge? Alle Tugenden scheinen sich in ihrer Seele verbunden zu haben – –

LISIDOR. Und Henriette?

ADRAST. Es sei ferne, dass ich Henrietten irgendeine Tugend absprechen sollte. Aber es gibt ein gewisses Äußeres, welches sie schwerlich vermuten ließe, wenn man nicht andre Gründe für sie hätte. Julianens gesetzte Anmut, ihre ungezwungene Bescheidenheit, ihre ruhige Freude, ihre – –

[18]LISIDOR. Und Henriettens?

ADRAST. Henriettens wilde Annehmlichkeiten, ihre wohl lassende Dreustigkeit, ihre fröhlichen Entzückungen stechen mit den gründlichen Eigenschaften ihrer Schwester vortrefflich ab. Aber Juliane gewinnt dabei – –

LISIDOR. Und Henriette?

ADRAST. Verlieret dabei nichts. Nur dass Juliane – –

LISIDOR. Ho! ho! Herr Adrast, ich will doch nicht hoffen, dass Sie auch an der Narrheit krank liegen, welche die Leute nur das für gut und schön erkennen lässt, was sie nicht bekommen können. Wer Henker hat Sie denn gedungen, Julianen zu loben?

ADRAST. Fallen Sie auf nichts Widriges. Ich habe bloß zeigen wollen, dass mich die Liebe für meine Henriette gegen die Vorzüge ihrer Schwester nicht blind mache.

LISIDOR. Nu, nu! wenn das ist, so mag es hingehen. Sie ist auch gewiss ein gutes Kind, die Juliane. Sie ist der Augapfel ihrer Großmutter. Und das gute, alte Weib hat tausendmal gesagt, die Freude über ihr Julchen erhielte sie noch am Leben.

ADRAST. Ach!

LISIDOR.