Der Fuchs von Aramir - Katja Brandis - E-Book

Der Fuchs von Aramir E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Das neue mitreißende Fantasyabenteuer von Bestsellerautorin Katja Brandis für alle Fans von Woodwalkers, der Jaguargöttin und magischen Fabelwesen ab 12 Jahren Ein Fuchs wird zum Gejagten … In der Hafenstadt Aramir sind die mächtigen Familien mit Greifen, Phönixen, Einhörnern, Meeresdrachen und anderen Fabelwesen verbündet. Das charmante Schlitzohr Devan gehört zu keiner dieser Familien. Er ist in Armut aufgewachsen, kann sich aber auf seinen scharfen Verstand verlassen und löst als sogenannter Fuchs für die Reichen und Mächtigen von Aramir jedes Problem. Unterstützung bei seinen Aufträgen erhält er von seiner rebellischen besten Freundin Rouka. Doch dann erpresst der Fürst von Aramir Devan und verlangt, dass er ihm einen unmöglichen Wunsch erfüllt. Während Devan ins Reich der Elfen reist, um eine der unberechenbaren Singelfe zu finden, erschüttert eine Intrige die Grundfesten Aramirs. Plötzlich steht nicht nur Devans und Roukas Zukunft auf dem Spiel, sondern die der gesamten Stadt und ihrer Fabelwesen.   Weitere Jugendbücher von Katja Brandis im Arena Verlag: Die Jaguargöttin (1) Der Panthergott (2) Khyona (1). Im Bann des Silberfalken Khyona (2). Die Macht der Eisdrachen Gepardensommer Koalaträume Delfinteam (1). Abtauchen ins Abenteuer Delfinteam (2). Der Sog des Bermudadreiecks Delfinteam (3). Ritt auf der Brandung

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Seitenzahl: 583

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Weitere Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag:

Die Jaguargöttin

Der Panthergott

Khyona (1). Im Bann des Silberfalken

Khyona (2). Die Macht der Eisdrachen

Delfinteam. Abtauchen ins Abenteuer

Delfinteam. Der Sog des Bermudadreiecks

Delfinteam. Ritt auf der Brandung

Gepardensommer

Koalaträume

Woodwalkers (1). Carags Verwandlung

Woodwalkers (2). Gefährliche Freundschaft

Woodwalkers (3). Hollys Geheimnis

Woodwalkers (4). Fremde Wildnis

Woodwalkers (5). Feindliche Spuren

Woodwalkers (6). Tag der Rache

Woodwalkers – Die Rückkehr (1). Das Vermächtnis der Wandler

Woodwalkers – Die Rückkehr (2). Herr der Gestalten

Woodwalkers – Die Rückkehr (3). Das Grollen der Löwin

Woodwalkers – Die Rückkehr (4). Der Club der Fabeltiere

Woodwalkers and Friends. Katzige Gefährten

Woodwalkers and Friends. Zwölf Geheimnisse

Woodwalkers and Friends. Wilder Kater, weite Welt

Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten

Seawalkers (2). Rettung für Shari

Seawalkers (3). Wilde Wellen

Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres

Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser

Seawalkers (6). Im Visier der Python

Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Die Jaguargöttin, Khyona, Ruf der Tiefe oder White Zone. Ihre Fantasy-Reihen Woodwalkers und Seawalkers (ab 10) sind regelmäßig auf den oberen Plätzen der Bestsellerlisten zu finden. Wichtig ist ihr, sich für Naturschutz einzusetzen – das fließt oft in ihre Romane ein. Katja Brandis lebt mit Mann, Sohn und zwei Katzen in der Nähe von München.

www.woodwalkers.de | www.katja-brandis.de

YouTube: Katja Brandis

Für meine tapfere Mutter Uschi

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2024

© 2024 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München)

Umschlagillustration und Innenvignetten: Claudia Carls

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

Gedruckt auf Umweltschutzpapier

E-Book-ISBN 978-3-401-81076-8

Besuche uns auf:

www.arena-verlag.de

@arena_verlag

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DIE CLANS VON ARAMIR

Reiche und einflussreiche Familienclansund ihre Anderwesen-Verbündeten

SiManao

Greife. Intelligente, starke und aggressive Mischwesen aus Adler und Löwe. Die SiManao haben mit ihren Greifen den letzten Großen Wettbewerb gewonnen und herrschen derzeit über die Stadt, daher tragen sie den Beinamen »Fürst/Fürstin«.

KiRea

Einhörner. Sie sind zwar sozusagen bewaffnet, aber friedlich und schwer zum Kampf zu motivieren.

EaMaris

Meeresdrachen. Riesige Anderwesen, die in manchen Gegenden die Flüsse hochschwimmen und deshalb von einigen Völkern »Flussdrachen« genannt werden, aber hauptsächlich im Meer leben.

ViCareto

Phönixe. Etwa pfauengroße Feuervögel, die sich selbst verjüngen können und daher sehr lange leben.

MeTanek

Minotauren. Mensch-Stier-Mischwesen, die hauptsächlich in der Stadtwache Dienst tun.

OgUram

Eisenfresser. Große, nicht allzu intelligente Anderwesen, die sich von Erz und Rohmetallen ernähren und schwer unter Kontrolle zu halten sind.

Kapitänsclans

Beispielsweise DoMaris, AiTinho, LaZenya – ihnen gehören mehrere Schiffe, sie sind aber nicht mit Fabelwesen verbündet.

Arme Familienclans und ihre Verbündeten

DaEwinh

Kobolde. Sie sind nur etwa schienbeingroß und sehr haarig; viele Kobolde verdienen sich als Boten etwas dazu, klauen aber auch viel.

JarDan

Hunderthänder. Sie sind ungefähr katzengroß und haben viele kleine, menschliche Hände, auf denen sie sich fortbewegen. Sie helfen häufig auf den Obstplantagen mit, wo viele ihrer Verbündeten als Tagelöhner arbeiten.

LoWak

Pukas. Mischwesen mit einem menschlichen Oberkörper und Ziegenbeinen, sie übernehmen oft einfache Dieneraufgaben.

Alle Clans aufzulisten, ist hier leider nicht möglich … es gibt zwar nicht ganz so viele wie bei uns Familiennamen, aber immer noch eine Menge!

DIE ELISCAN-VÖLKER IM REICH KHORAT

von den Menschen »Elfen« genannt

Elis Cantája

das singende Volk (Singelfen)

Elis Jithra

Schneevolk (Schnee-Elfen)

Elis Loy

Volk des Regens (Regenelfen)

Elis Sarkorr

Blutvolk (Blutelfen)

Elis Uthín

Volk des Moores (Moorelfen)

Elis Aénor

Volk des Mondes (Mondelfen)

TIEF IN SCHWIERIGKEITEN

Devan

Argumentiere nie mit einem Greif, der sowieso schon sauer auf dich ist, weil du ihn aus dem Tiefschlaf geweckt hast. Aber was hätte ich machen sollen? Das Wesen hatte anscheinend beschlossen, den Tag gemütlich vor dem geheimen Eingang des SiManao-Palasts verbringen. Durch den ich reinmusste, und zwar so schnell wie möglich.

»Ich soll zur Seite gehen … ist das dein Ernst, Junge? Es ist sehr gemütlich hier!«, grollte der Greif, der hoch über mir aufragte und auf mich hinabblickte. »Falls du wirklich etwas im Palast der SiManao zu suchen hast, kannst du doch durch die Vordertür rein.« Er öffnete den Adlerschnabel drohend und faltete die schwarzen Schwingen so auseinander, dass sie mir noch gründlicher den Weg versperrten. Sein Löwenschwanz peitschte von einer Seite zur anderen und seine wolkenweißen Halsfedern hatten sich gesträubt.

Normalerweise hätte ich bei diesem Anblick Mühe gehabt, mir nicht in die Hosen zu machen. Aber an diesem Morgen war nichts normal. Noch konnte ich nicht glauben, was für eine unglaubliche Rattenkacke in der letzten Nacht passiert war. Erschöpft, aufgedreht, völlig zerstört … ich wusste noch gar nicht, wie ich mich fühlen sollte.

»Wenn ich durch die Vordertür gehe, könnte ich gesehen werden«, erklärte ich höflich. »Und glaub mir, das will Fürst Jolon nicht. Könnte ja jemand wissen, wer ich bin.«

Gereizt zog der Greif seine Vorderklauen über den Granitboden vor dem Palast. Sie hinterließen tiefe Furchen. »Ich weiß, wer du bist. Du bist doch dieser Devan, einer dieser Leute, die sie Füchse nennen, oder? Die behaupten, sie könnten alle Probleme lösen und auch unmögliche Wünsche wahr machen.«

»Genau.« Ich verbeugte mich formvollendet, obwohl meine Knie weich waren wie ungekühlte Schafsmilchbutter und sich um meine Füße herum eine Wasserpfütze gebildet hatte. »Und ich bin ganz sicher, dass Fürst Jolon mich jetzt sofort sehen möchte.«

»Ha! Du weißt doch, wie man Probleme löst. Dann lös mal dieses.« Feixend setzte sich der schwarz-weiße Greif auf seine Hinterläufe und lehnte sich an die Mauer, in der die Tür verborgen war.

Ich sagte nichts, beobachtete ihn nur und wartete ab. Und merkte, wie er langsam unsicher wurde.

»Wassss?«, zischte er schließlich.

»Hast du gewusst, dass sie diese Tür mit Kontaktgift präpariert haben, damit keiner durchkommt, der im Palast nichts zu schaffen hat?«

»Unsinn.« Er bewegte sich nicht von der Stelle. »Das ist ein Trick.«

Ich zuckte die Schultern. »Du wirst es selbst bald merken. An der betroffenen Stelle fängt dein Fell an zu jucken.«

Der Greif zögerte und schien in sich hineinzulauschen. Geduldig wartete ich ab. Es dauerte nur ein paar Atemzüge, bis das riesige Wesen von der Mauer abrückte und beunruhigt sein Hinterteil betrachtete. Garantiert juckte das Fell dort tatsächlich.

»Danke«, sagte ich und ging zum geheimen Eingang. Einen Moment lang tastete ich über den rauen Sandstein, dann fanden meine Finger die richtige Stelle und drückten zu. Mit einem äußerst üblen Gefühl in der Magengrube sah ich zu, wie ein Teil der Mauer nach innen schwang. Was würde Fürst Jolon mit mir machen, wenn ich ihm das Fiasko gestand? Sehr bald würde ich es wissen.

»He! Warte!« Der Greif versuchte, seinen weiß gefiederten Hals in die nur für Menschen gemachte Türöffnung zu stecken. »Gibt es ein Gegenmittel? Sprich schnell oder stirb!«

»Tut mir leid, ich habʼs eilig«, sagte ich über die Schulter zurück. »Aber keine Sorge, ich bin ziemlich sicher, dass Anderwesen immun sind.« Wenn ich ihm erklärte, dass ich mir das mit dem Gift ausgedacht hatte, würde er sich das nächste Mal noch genüsslicher breitmachen.

Dann war ich durch die Tür hindurch und im Inneren des Palasts. Zum Glück waren keine anderen der mit den SiManao verbündeten Greife in Sicht, sie schliefen gerne lang und draußen war gerade erst die Sonne aufgegangen. Meine nassen Lederstiefel quietschten ein bisschen auf dem Marmor, als ich die Treppe in den ersten Stock hinaufeilte. Um mich zu beruhigen, sog ich tief die Luft ein, die nach Fackelrauch, geröstetem Brot und Stein roch. Würde schon alles gut gehen. So eine Panne konnte mal passieren und hatte ich nicht schon ganz andere Dinge gemeistert? Neuer Tag, neues Glück! Als ich vor Fürst Jolons Gemächern angekommen war, hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich eine gleichmütige Miene schaffte.

»Also?«, fragte Fürst Jolon, als ich endlich vor ihm stand. »Habt Ihr es geschafft, meine Waffenlieferung vom Meeresgrund hochzuholen?« Angewidert betrachtete er, wie ich seinen Marmorboden volltropfte.

Jolon, der vierundzwanzig Winter alt war, gehörte zu einem der mächtigsten Familienclans Aramirs – dem, der gerade über Aramir herrschte, weshalb Jolon den Beinamen »Fürst« tragen durfte. Darüber hinaus war er ein berühmter Musiker und von größerer Schönheit, als gut für ihn war. Anscheinend war er gerade erst aufgestanden, denn er trug nur eine enge Stoffhose und über dem bloßen, durchtrainierten Oberkörper eine mit Greifenfedern geschmückte Lederweste im Gelb der SiManao. In seine langen dunkelbraunen Haare und in seinen Bart hatte er gerade erst goldene Strähnchen hineinfärben lassen, die im Licht der Kerzen schimmerten. Hätten seine vielen Verehrerinnen ihn so sehen können, hätten sie noch inniger von einer Hochzeit mit ihm geträumt.

»Es gab eine Panne«, musste ich zugeben.

»Eine Panne? Was heißt das?«

»Der erste Teil der Mission ist gut verlaufen«, berichtete ich. »Die Waffen lagen zwar zu tief, um sie tauchend zu erreichen, und die Meeresdrachen wollten Euch nicht helfen, das wisst Ihr ja …«

»Ghalils Schande, kommt zum Punkt!«

»Ich habe die Schwerter mit starken Magneten hochgefischt.«

»Mit Magneten?« Wider Willen wirkte Jolon interessiert.

»Diesen neuartigen Dingern aus Isslar«, erklärte ich. »Sie ziehen bestimmte Metalle zu sich hin.«

»Großartig. Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?« Jolon nickte wohlwollend.

Jetzt kam der unangenehme Teil. »Als wir die Waffen oben hatten, ist leider ein großes Boot durch die Reihen meiner Leute gebrochen und so nah an uns vorbeigefahren, dass seine Bugwelle uns zum Kentern gebracht hat. Das Boot gehört einem Euch sicher bekannten Mann, der ebenfalls als Fuchs hier in Aramir arbeitet.« Zum Glück war wenigstens meiner besten Freundin Rouka dabei nichts passiert – sie konnte ziemlich gut schwimmen.

»Ah.« In Jolons Stimme klirrte das Eis. »Ihr habt Euch also sabotieren lassen. Schwach. Ich hätte gleich Ignis beauftragen sollen und nicht Euch!«

Ich neigte schweigend den Kopf und biss die Zähne zusammen. Er hatte recht. Wieso hatte ich Hohlkopf kein größeres Fahrzeug gemietet? Meine Ablenkungsmanöver und Vorsichtsmaßnahmen waren nicht gut genug gewesen. Wahrscheinlich hätte mein Konkurrent Ignis – Mitte vierzig, bequem und dem Luxus zugeneigt – viel dafür gegeben, bei dieser Demütigung dabei sein zu können. Aber nach dem, was ich gehört hatte, trat er nie selbst in Erscheinung und schickte immer seine Leute vor; ich hatte ihn nie gesehen.

Jolon fragte: »Was spricht dagegen, es noch mal mit den Magneten zu versuchen?«

Ich sagte es ihm nur sehr ungern. »Die Magnete sind auch versunken. Und die Schwerter liegen jetzt an einer Stelle, die noch tiefer ist, und haben sich dort in Steinen und Giftkorallen verkeilt. Die Lieferung ist verloren.«

Fürst Jolon trat näher an mich heran, so nah, bis sein parfümierter Atem meine Wange streifte. »Wisst Ihr, dass diese Schwerter tausend Silber wert waren?«, flüsterte er mir ins Ohr.

»Ja. Ja, ich erinnere mich.« Da fiel es kaum ins Gewicht, dass auch die geliehenen Magneten dreißig Silber wert gewesen waren.

»So, wie ich es gerade sehe, hattet Ihr die Schwerter schon in Eurem Besitz und habt sie dann wieder verloren. Das heißt, Ihr schuldet mir tausend Silber, Devan.«

Ich hatte mir natürlich schon gedacht, dass er so reagieren würde, trotzdem durchrieselte mich ein eisiges Gefühl. »Als Ausgleich mache ich Euch ein Angebot. Ich arbeite so lange umsonst für Euch und löse all Eure Probleme, bis diese Schuld abgetragen ist.«

»Ach wirklich?« Mit einem raubtierhaften Grinsen beobachtete mich Jolon. »Abgelehnt! Ihr habt bis morgen Zeit, um das Geld zu beschaffen und es mir zu übergeben.«

Ich schwieg einen Moment lang, während mein Hirn schneller arbeitete als wahrscheinlich je zuvor. »Was passiert, wenn ich das nicht schaffe?«

»Im Hafen liegt gerade eine Galeere aus Aelius, sie muss nach einem Gefecht repariert werden«, sagte Fürst Jolon gut gelaunt. »Ich habe gehört, dass der Kapitän gerade Ruderer anheuert … oder kauft. Einen kräftigen jungen Burschen wie Euch können die bestimmt gebrauchen.«

Üblicherweise erkenne ich einen Witz, wenn ich einen höre. Das hier war keiner. Eigentlich war Sklaverei in unserem Stadtstaat und den meisten umliegenden Ländern längst abgeschafft. Aber in dem von Kriegskunst besessenen, harschen Land Aelius gab es sie noch. Und so manche Schuldner mussten sich oder Mitglieder ihrer Familie in die Sklaverei verkaufen, wenn sie auf andere Art hohe Schulden nicht tilgen konnten.

»Na dann.« Jolon ließ mich nicht aus den Augen. »Morgen, also an Jilderstag, zur zehnten Tagesstunde. Hier im Palast. Ich bevorzuge Münzen, die in Aramir geprägt worden sind, aber alle anderen sind mir auch recht. Nur bitte nicht zu viel Kleingeld, Kupfermünzen nehmen in der Börse immer so viel Platz weg.«

Wie betäubt nickte ich, drehte mich um und setzte mich in Bewegung.

Der schwarz-weiße Greif lungerte noch immer vor der geheimen Tür herum, aber vielleicht kapierte er, dass ich nicht angesprochen werden wollte. Ich starrte geradeaus und meine Füße bewegten sich wie von selbst fort vom Stadtpalast der SiManao.

VERBÜNDETE

Devan

Noch immer konnte ich kaum klar denken – die Galeeren! Das konnte dieser Drecksack nicht ernst meinen?! Außerdem war mir schwindelig. So viel Meerwasser zu schlucken, war ganz sicher nicht gesund.

Ich wollte nur noch raus aus dem Palastviertel und Rouka und meinen anderen Freunden alles berichten. Doch dann riss ich mich zusammen. Wenn man in meinem Beruf blindlings durch die Gegend taumelt, garantiert einem das ein kurzes Leben. Jede Wette, dass Jolon mir ein paar seiner Leute nachgeschickt hatte – er versuchte schon lange herauszufinden, wo ich lebte.

Also erst mal ein Umweg durchs Glasmacherviertel. Rauchgeruch stieg mir in die Nase, als ich mich zwischen zwei der Werkstätten hindurchschlängelte, deren Öfen Tag und Nacht brannten. Ich umging die Fässer mit Quarzsand, Pottasche und Kalk, dann glitt ich hinter ein Holzlager. Der Zwergdrache, der dort Wache hielt, wirkte alarmiert, doch als er meine Witterung erkannte, beruhigte er sich wieder. Ich tätschelte ihm den ledrigen gelben Kopf, bat ihn: »Könntest du bitte jeden beißen, der mir nachkommt?«, und ging mit schnellen Schritten weiter. Kaum war ich außer Sicht, hörte ich wütendes Fauchen und einen Schrei. Jede Wette, dass jemandem nun ein großes Stück aus der Wade fehlte. Doch aus dem Augenwinkel sah ich, dass noch mindestens ein Verfolger übrig war.

Rasch durchquerte ich die Werkstatt eines Waffenmachers – die Gesellen grüßten mich beiläufig. Dann tauchte ich ein ins Gewimmel des Hafenviertels. Einer der großen Clipper würde heute ablegen, einer seiner Offiziere brüllte von der Reling aus Kommandos, während Helfer Kisten, Säcke und Fässer an Bord schafften. Etwas weiter westlich luden Fischerboote ihren Fang aus; der Geruch nach Fisch, Algen und Salzwasser stieg mir in die Nase.

Und da war auch die verdammte Galeere mit ihren dreißig Rudern auf jeder Seite. Der Familienclan, der vor den SiManao unsere Stadt beherrscht hatte, hätte nicht geduldet, dass ein Sklavenschiff hier anlegte, doch Jolons Clan steckte die Liegegebühren gerne ein. Seit die SiManao regierten, konnte man in Aramir alles kaufen, wenn man es sich leisten konnte.

Der Rumpf der Galeere war mit goldenen Ornamenten verziert, doch ihr Gestank wehte mit dem Morgenwind zu mir herüber. Er stammte von den Sklaven, die unter Deck Tag und Nacht auf den Ruderbänken angekettet blieben. Ein kalter Schauer kroch über mein Rückgrat. Niemand überstand diese Arbeit lange.

Aber das war es nicht, was mir so an die Nieren ging … sondern der Gedanke, dass auf einen Schlag alles weg sein könnte, was ich mir in Aramir aufgebaut hatte. Obwohl die SiManao die Rechte der weniger Wohlhabenden mit Füßen traten, hatte ich hier meinen Platz in der Welt gefunden. Noch einmal alles zu verlieren, würde ich nicht überleben.

Um mich von den düsteren Gedanken abzulenken, schaute ich in die andere Richtung, wo sich vor »Aramirs bestem Spezialitätenladen« Kisten mit frisch angelieferten gerösteten Vogelspinnen, eingelegten Veilchen und Palmnüssen stapelten. Ein Regen-Elf, einer der seltenen nichtmenschlichen Gäste in Aramir, betrachtete die Waren. Sein langes Haar hatte einen silbrigen Schimmer und über seine Haut zogen sich verschlungene silberne Linien. Soweit ich gehört hatte, gab es noch andere Elfenarten, aber die ließen sich bei uns nicht blicken, mit Menschen wollten sie nichts zu tun haben.

Rasch ging ich weiter und sah beim Blick ins Schaufenster, wen ich loswerden musste – eine hochgewachsene, kriegerisch wirkende Frau. Zum Glück hatte ich schon eine Idee, was ich mit ihr machen konnte.

Die Wirtin des »Lachenden Wals« lächelte mir zu, während sie einen Eimer Meerwasser über das Straßenpflaster goss, um den Unrat der Nacht wegzuspülen. Zwei Bettler wichen rechtzeitig aus, doch ein besoffen herumliegender Seemann wurde durchnässt; er rappelte sich auf und stolperte davon. Mitten in den Pfad der Frau, die mir auf den Fersen war. Ineinander verknäult, gingen die beiden zu Boden. Bis mein Schatten sich aufgerappelt hatte, war ich schon im Inneren der Schenke und auf dem Weg zur Hintertür. Aber ich hörte noch, wie die Wirtin meiner Verfolgerin die Vordertür mit einem lauten »Ist noch geschlossen!« vor der Nase zuknallte und verriegelte.

Konnte ich jetzt endlich heim oder war mir noch jemand auf den Fersen? Zur Sicherheit nahm ich einen Umweg durch die Wellengasse. Na also, dort saßen Kia und Quinta gegen eine Hauswand gelehnt – ein blindes Mädchen und ihre zerlumpte kleine Schwester. Noch war kein rostiger Ulder in der Schale, die vor ihnen stand. Als ich mit schnellen Schritten an ihnen vorbeiging, nickte Quinta – deren scharfen Augen nichts entging – mir zu und hob einen Finger. Ah, es gab also noch einen weiteren Verfolger. Ich stellte fest, dass es ein nicht sehr großer, aber muskulöser Mann mit kurz geschorenen blonden Haaren und kaltem Blick war. Den kannte ich schon, er hieß Gonjak. Sein Beruf war, Leuten das Leben schwer zu machen … und darin war er richtig gut. Er arbeitete nicht für einen bestimmten Clan, sondern für jeden, der ihm genug Geld gab – so wie ich also, nur mehrere Nummern übler.

Etwas weiter die Straße entlang zankten sich zwei Kobolde auf dem Dach einer Herberge. Als sie mich sahen, unterbrachen sie ihren Streit, um mir zuzugrinsen. Ich gab ihnen ein Zeichen und mit Begeisterung unterbrachen sie ihren Streit und begannen stattdessen, mit Dachziegeln zu werfen. Und zwar nicht nur mit den kleinen. Sie konnten verdammt gut zielen. Ich wandte mich nicht um, Gonjaks Fluchen sprach für sich. Während er damit beschäftigt war, Geschosse abzuwehren, schaffte ich es mit einem weiteren schnellen Umweg, ihn abzuschütteln.

Blöderweise war ich dadurch in die Nähe des Labyrinths geraten. Normalerweise mache ich einen Bogen um dieses verdammte Ding, doch diesmal schimmerten die schneeweißen, fugenlosen Mauern direkt vor mir zwischen den Häusern hervor.

Zu dieser frühen Uhrzeit waren kaum Besucher aus anderen Fürstentümern da, um das Bauwerk zu bestaunen. Es war noch ruhig auf dem Platz, über dem sich der stahlblaue Himmel wölbte. Einen Moment lang stand ich einfach da, betrachtete das etwa vier Häuserblocks große Bauwerk, dessen Existenz meine Familie zerstört hatte … und fühlte ausnahmsweise mal nichts. Wahrscheinlich war ich zu erschöpft und durcheinander.

Leider waren die Fremdenführer schon eingetroffen, darunter Arri LaVenta. Bevor ich mich’s versah, steuerte er schon auf mich zu. Arri hatte einen blonden Bart, auf den er sehr stolz war, ein rundes Gesicht (meines war eher kantig) und Augengläser aus Silberdraht, hinter denen sich gutmütige blaue Augen verbargen. »Xatosʼ Rache, du siehst schrecklich aus!«, begrüßte er mich.

Ich zog einen Mundwinkel nach oben. »Das liegt möglicherweise daran, dass ich bis morgen tausend Silber auftreiben muss und noch nicht weiß, wie.«

»Oh«, sagte Arri und warf einen halb faszinierten, halb erschrockenen Blick auf das Labyrinth. »Aber du denkst nicht etwa daran …?«

»Sehe ich aus, als wäre ich irre?«, fragte ich und jetzt kam er doch in mir hoch, der Hass. Es war nicht umsonst verboten, das uralte Labyrinth zu betreten. Jeder Zehnte, der das getan hatte, hatte darin irgendeinen kostbaren magischen Gegenstand gefunden, wenn auch nicht den großen Goldklumpen, der angeblich in der Mitte lag. Nur leider hatten die übrigen neun darin ihren Verstand verloren oder waren nie wieder zum Vorschein gekommen.

So wie Kelsy.

So wie meine große Schwester, die immer Spaß daran gehabt hatte, die Regeln zu brechen. Die immer am Rand des Abgrunds getanzt hatte … bis sie eines Tages reingefallen war. Sie war ins Labyrinth gegangen und nie wieder zum Vorschein gekommen. Wir hatten nie herausgefunden, was aus ihr geworden war.

»Gerade haben Forscher eine neues Experiment begonnen – man versucht nun, trainierte Zwergdrachen hineinzuschicken, damit sie Bericht erstatten«, erzählte Arri, betrachtete das Labyrinth weiterhin und schob seine Augengläser auf seiner Nase hoch. »Das wird großartig, da bin ich ganz …«

»… so wie der Versuch mit den Vögeln, die es von oben auskundschaften sollten?«, fragte ich bitter. Die armen Tiere waren tot vom Himmel gefallen, als sie über das Labyrinth hinweggeflogen waren. Ein junger Phönix, der sich im letzten Sommer zu diesem Wahnsinn hatte überreden lassen, hatte nur knapp überlebt und seither mit niemandem mehr gesprochen.

»Nein, nein, das war natürlich ganz anders«, empörte sich Arri. »Ah, da kommen die ersten Gäste, ich muss los … mögen die Götter dich beschützen, Dev.«

Ich marschierte los und warf dabei einen kurzen Blick auf das große Plakat, das verkündete: »Nur noch 28 Tage bis zum Großen Wettbewerb!« Ein paar Leute standen darunter und diskutierten, wer diesmal die besten Chancen hatte. Manche von ihnen wirkten nervös – es hing so viel davon ab, welcher Familienclan triumphierte. Immerhin würden die Gewinner Aramir die nächsten sieben Jahre lang beherrschen.

Von hier aus waren es nur noch drei Straßen bis zum Spiegelviertel von Aramir, in dem ich wohnte. Es ist nicht gerade eine beliebte Wohngegend. Die fensterlosen, von oben bis unten mit Spiegeln verkleideten Gebäude sind einst gebaut worden, um dem Angriff von Medusiden aus dem Meer zu trotzen. Man wird zu Stein, wenn man einen Medusiden anschaut, aber wenn die Biester sich selbst sehen, finden sie das anscheinend auch nicht prickelnd und ziehen sich zurück. Der letzte Angriff ist schon zwanzig Winter her und viele der Spiegelhäuser stehen leer, aber vorsichtige Leute pflegen und polieren die silbernen Wände noch immer.

Ich überprüfte in den vielen spiegelnden Flächen, ob mich jemand beobachtete – ein Riesenvorteil dieses Viertels! –, dann schlüpfte ich durch den oberen Eingang in mein Versteck.

Rouka

Angeblich war ich ein süßes Kind. Samtig braune Haut, goldblonde Haare bis zum Po und ein Lächeln, dem die Götter nicht hätten widerstehen können. Tja, das war früher. Mit zehn wurde ich zum ersten Mal auf einer Familienfeier rausgeworfen. Als ich elf war, musste meine Mutter sich bei den regierenden Fürsten – damals die mit den Meeresdrachen verbündeten EaMaris – für meine taktlosen Bemerkungen entschuldigen. Mit dreizehn war ich für kurze Zeit Stadtgespräch, weil ich versucht haben sollte, einen Kobold zu grillen (das Ganze war ein Missverständnis). Zu dem Zeitpunkt sah ich noch immer niedlich aus, war aber eine erfahrene Ausreißerin. Ich hatte es sogar geschafft, mich bis zu einer der Inseln vor unserer Küste durchzuschlagen. Mein Clan war nicht begeistert – ich hatte ausgerechnet die Insel Fern erwischt, auf der Kranke in Quarantäne untergebracht werden.

Inzwischen war ich sechzehn, also volljährig, und meine Familie war nicht gut auf mich zu sprechen. So selten wie möglich übernachtete ich daheim. Das Versteck im Spiegelviertel, in dem Devan lebte, war zwar ganz schön abgeranzt, aber deutlich gemütlicher als der Palast der ViCaretos, ein alter Steinkasten. Besonders mochte ich bei Dev die vielen Kissen, die auf dem Boden herumlagen, und die Holzkisten, in denen früher Schiffszwieback war; inzwischen mussten sie als Sitzgelegenheiten, Schränke und Bücherregale herhalten. Es roch ein bisschen staubig hier, nach Holz, getrocknetem Seetang … und natürlich nach Zwieback.

Diesmal musste ich mich erst mal umziehen, bevor ich mich in die Kissen werfen konnte – meine Klamotten waren vom nächtlichen Chaos klatschnass. Gottlos müde, aber in frischen Sachen, ließ ich mich auf den Boden nieder, um auf Devan zu warten.

Immer wieder versuchten meine Augenlider, nach unten zu sinken. Abwesend strich ich meinem Phönixküken Zhóra, das auf meiner Schulter hockte, über das orangefarbene Jugendgefieder. Toll, wie viel Wärme es ausstrahlte.

War Dev wirklich klar, mit wem er es sich da verdorben hatte durch diesen verpatzten Auftrag? Vielleicht konnte nur jemand, der die mächtigen Clans persönlich kannte, wirklich kapieren, wie gefährlich jemand wie Jolon SiManao sein konnte. Mein eigener Clan gilt auch als gefährlich – die ViCareto sind mit den Phönixen verbündet. Aber ich persönlich finde die Minotauren der MeTanek weitaus unangenehmer. Falls die den nächsten Großen Wettbewerb gewannen und dadurch die regierenden Fürsten von Aramir wurden, würde unsere arme Stadt wahrscheinlich noch tiefer in Unrat, Vetternwirtschaft und Gewalt versinken.

Er kommt, meldete mir Zhóra nach einer Weile, gurrte und streckte die Flügel.

Freude durchzuckte mich und meine Müdigkeit war weg, einfach so. Kurz darauf hörte ich selbst, wie Devan die verschiedenen versteckten Schlösser entriegelte und sich durch eine Luke im Dachbereich hineinschob. Geschickt kletterte er über sein Hochbett und die Leiter nach unten zu mir. Er war noch nicht getrocknet, ließ sich aber trotzdem neben mich auf eins der Kissen fallen.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte ich besorgt, während Zhóra versuchte, von meiner Schulter zu starten. Es klappte nicht, sie fiel kopfüber auf Devans feuchtes Kissen. Es dampfte ein wenig.

»Rattig«, sagte Devan, nahm Zhóra hoch und setzte sie wieder auf meine Schulter. »Er will mich als Galeerensklave nach Aelius verkaufen, wenn ich ihm das Geld für die Schwerter nicht erstatte.«

Ich musste lachen. Hörte aber wieder damit auf, als mir klar wurde, dass das kein Witz war. »Du … aber das … kannst du überhaupt rudern?«, war das Einzige, das mir einfiel.

Devan grinste schief. Seine Gesichtsfarbe wirkte ungesund fahl und seine sonst so wachsamen grünen Augen starr. Doch, ihm war klar, dass Jolon so etwas wirklich tun würde. »Ach, das Rudern würde ich schon hinkriegen. Aber du weißt, wie leicht ich seekrank werde«, sagte er und fuhr sich mit den Fingern durch das widerspenstige rotbraune Haar. »Ich würde alle anderen Sklaven vollspucken, an die sie mich angekettet haben.«

»Widerlich«, sagte ich, zog das Wurfmesser, das ich eingesteckt hatte, und donnerte es in eine Holzkiste. »Jolon! Diese schleimtriefende Zecke, die aus dem Hintern einer Viper rausgekrochen ist, diese …«

Trotz allem musste Devan grinsen. »Ganz deiner Meinung. Leider ist es diesmal meine Schuld, ich habe Ignis unterschätzt. Weil er so lange nichts gegen mich unternommen hat, war ich nicht vorsichtig genug.«

»Dieser räudige Maushund – wahrscheinlich hat er mit seiner Sabotage gewartet, bis richtig viel für dich auf dem Spiel stand!« Ich fühlte mich hilflos. »Er hat doch selbst genug Aufträge, warum macht er dir so viel Ärger?«

»Frag ihn, falls du ihn jemals siehst.« Devan zuckte die Schultern. »Weißt du, was dämlich ist? Im Sommer habe ich das Geld noch gehabt.«

»Ja, bevor du es wieder mit vollen Händen rausgehauen hast.« Ich seufzte tief und schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen in seinem Versteck um. Nirgendwo goldene Löffel oder seidene Wandteppiche. Devans Problem war, dass sein Herz deutlich weicher war als meins. Wenn er mitbekam, dass jemand aus dem Kobold-, Hafen- oder Glasmacherviertel ein Problem hatte, das man mit Geld lösen konnte, dann verschenkte er das Zeug. Und weil durch die Herrschaft der SiManao immer mehr Leute Schwierigkeiten hatten, ihre Familie zu ernähren, war es kein Wunder, dass der Lohn für seine erfolgreich gelösten Aufträge verdunstete wie eine Pfütze in der Sommersonne.

Ich dagegen hatte meinen Anteil meistens gespart. Leider hatte ich nach verschiedenen Investitionen auch nur dreihundertzweiundzwanzig Silber übrig.

Weil mein bester Freund anscheinend in düsteren Gedanken versank, schubste ich ihn. »He, Dev! Kopf hoch! Du bist verdammt gut darin, Probleme zu lösen!«

»Ja, aber komischerweise nicht bei meinen eigenen«, sagte Devan mit einer Grimasse. »Warum geht es diesmal nicht darum, eine Leiche verschwinden zu lassen? Einen so gut wie ausgestorbenen Schmetterling als Haustier zu beschaffen? Oder einem Fürsten Ärger mit seiner Ehefrau zu ersparen? Das war so schön einfach.«

»Na ja, ein paar Teile der Leiche sind nachher wieder aufgetaucht«, gab ich zu bedenken.

»Ach, solche kleinen Pannen können passieren. Bei der nächsten Leiche wird alles anders.« Dev schenkte mir ein schiefes Lächeln und straffte dann die Schultern. »Erst mal frage ich Grewyn. Falls ich ganz viel Glück habe, hat der gerade irgendwo tausend Silber rumliegen und leiht sie mir.«

Ich nickte. Seit Devans Eltern gestorben waren und er mit zwölf auf der Straße gelandet war, war Grewyn, der Clan-Führer der KiRea, so etwas wie ein Vaterersatz für ihn gewesen. Die KiRea waren mit den Einhörnern verbündet und hatten keine Chance, jemals die Stadt zu regieren. Ihre Verbündeten waren zwar hübsch, aber nicht gerade stark oder geschickt oder auch nur intelligent. Den Großen Wettbewerb hatten zuletzt die Greife gewonnen. Und davor die Meeresdrachen.

Dieses Jahr siegte hoffentlich jemand anders. Seit die SiManao am Ruder waren, wurden die Prachtgebäude immer prächtiger und die ärmeren Viertel verfielen immer mehr, während Steuereintreiber drei- statt zweimal im Jahr Ladenbesitzer und Gastwirte heimsuchten. Wagte jemand, sich zu beschweren, fand er sich nicht selten von Unbekannten verprügelt in der Gosse wieder. Es ärgerte mich, dass die Familienclans bisher stillgehalten hatten in der Hoffnung, dass sich nach diesen sieben Jahren alles ändern würde.

»Bestimmt hast du Glück«, versuchte ich ihn zu beruhigen.

»Oder ich kann irgendwas drehen, was mich rettet. Klappt ja meistens.« Schon war Devans verschmitztes Lächeln zurück. Seine Selbstüberschätzung war manchmal ein echter Segen.

»Wäre ja auch möglich, dass heute die Götter mit dir sind.« Meine Lieblingsgöttin Winib, die Tochter der Sonne, hatte manchmal ein Faible für charmante Schlitzohren.

Devan stemmte sich auf die Füße. »Falls die Götter heute nicht gerade etwas anderes zu tun haben. Kommst du mit zu Grewyn?«

»Nein – ich habe selbst noch eine Idee«, sagte ich und sprang auf. Ein empörtes Nicht so schnell erklang in meinem Kopf. Zhóras kleine Klauen gruben sich in meine Schulter, als sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten.

»Gute Übung für dich, also streng dich an, Federbündel«, sagte ich zu ihr.

Wenn Devan jetzt noch jemand helfen konnte, dann die Anderwesen, mit denen mein Clan verbündet war.

PHÖNIXFEDERN UND EINHORNTRÄNEN

Rouka

Immer langsamer wurden meine Schritte, als sie sich unserem Speisesaal näherten. Schon von hier konnte ich die durchdringende Stimme meiner Mutter hören. Anscheinend diktierte sie unserem Verwalter Anweisungen – das tat sie auch während der Mahlzeiten (außer natürlich, sie hatte an diesem Tag selbst gekocht). Schön, da hatte ich ja nicht viel verpasst.

»… und ordert baldmöglichst zehn Säcke Rosenpfeffer, die Nachfrage ist gerade groß. Ach ja, und bitte vereinbart ein Treffen mit dem gerade eingetroffenen Händler aus dem Norden, am besten an diesem Nachmittag, wenn es ihm genehm ist.«

»Sollen wir Frachtraum in einem Schiff nach Elisondo buchen, damit wir …«, hörte ich den Verwalter fragen. Doch er bekam keine Gelegenheit, seinen Satz zu beenden – kaum hatte ich den Raum betreten, scheuchte meine Mutter den Verwalter mit einer Handbewegung nach draußen. Einen Moment funkelten wir uns an. Ihre braune Haut war makellos gepudert (ich hasste Puder), ihr langes, lockiges Haar ordentlich aufgesteckt (während ich meins offen ließ) und sie hatte ihre schlanke Gestalt in ein rotes Samtkleid gehüllt, weil sie immer die Farben unseres Clans trug (ich versuchte, sie zu vermeiden, und mochte Hosen deutlich lieber).

»Wo warst du denn diesmal?«, fragte Farnella ViCareto. »Wir haben mit dem Frühstück auf dich gewartet, vergeblich natürlich!« Ihre Worte echoten im Speisesaal, der viel zu groß war für uns drei, seit mein Vater ausgezogen war. »Bestimmt haben die Nachbarn gemerkt, dass du erst jetzt nach Hause gekommen bist. Kannst du dir nicht vorstellen, wie peinlich das für uns ist?«

»Was sollten die nur ohne mich machen, sie hätten gar kein Gesprächsthema mehr«, sagte ich ernsthaft und kraulte Zhóra das Gefieder. Wenn ich meine Mutter gleich um Geld bitten wollte, musste ich wenigstens so tun, als könnte ich ihre Probleme nachvollziehen.

»Ich sag dir gleich, vom geräucherten Wildschwein ist nichts übrig«, informierte mich mein jüngerer Bruder Lonnef, der ebenfalls am Esstisch saß. Sein hoher, unbequem aussehender Samtkragen war bis auf den letzten Knopf geschlossen. Gerade war ein Diener dabei, seinen säuberlich geleerten Teller und Trinkpokal abzuräumen.

»Macht nichts«, sagte ich und lächelte ihn an.

Lonnef blickte misstrauisch drein. »Warum warst du gestern nicht beim Unterricht? Unser Hauslehrer hat nach dir gefragt.«

Ich dachte darüber nach, die Füße auf den Tisch zu legen. »Wie schön – was habe ich verpasst?«

Bevor Lonnef antworten konnte, meinte meine Mutter kühl: »Du hast uns versprochen, noch bis zum Ende deines siebzehnten Winters teilzunehmen, Rouka. Bildung ist keine Zeitverschwendung.« Gereizt zupfte sie an ihrem seidenen Halstuch – sie trug das Ding wegen der Brandnarbe an ihrem Hals. Die hatte ihre ehemalige Phönixpartnerin ihr verpasst, bevor sie auf Nimmerwiedersehen weggeflogen war.

»Bleibst du wenigstens heute zum Unterricht?«

»Weiß ich noch nicht.« Sollte sie nur versuchen, mich zu zwingen – sie würde schon sehen, was sie davon hatte.

Ich musste wieder daran denken, was für üble Probleme Devan gerade hatte. Leider klang meine Stimme gepresst, als ich Farnella fragte: »Sag mal, könnte ich siebenhundert Silber von dir leihen? Nur für kurze Zeit? Es ist wirklich wichtig – es geht sozusagen um Leben oder Tod.« Es war wirklich unglaublich, was Jolon Dev angedroht hatte!

»So viel Geld – was bildest du dir ein?«, kam es von Farnella zurück und ihre Lippen wurden noch ein wenig schmaler. »Das geht selbstverständlich nicht. Wir brauchen im Moment jeden Silber, um neue Karawanen auszurüsten – sobald dein Onkel von seiner Reise zurück ist, muss ich beginnen, neue Tauschwaren zu kaufen.«

»Ach so, natürlich«, sagte ich sarkastisch. Mich im Stich zu lassen, war eine ihrer Hauptbeschäftigungen. Sie hatte nicht mal gefragt, um wessen Leben oder Tod es ging. Ruckartig stand ich auf. »Bin bei den Vögeln, falls mich jemand sucht.«

Zhóra, die wahrscheinlich nur halb kapiert hatte, worum es ging, stieß ein erwartungsvolles Piepsen aus. Ja ja, bitte zu den anderen und fliegen üben!

Obwohl sich mein Magen zusammengezogen hatte wie eine Faust, klemmte ich mir ein Stück Pfannenbrot unter den Arm. Mit der einen Hand ergriff ich ein Stück Jakobsburger Wurst, mit der anderen ein paar der Kaschuggen, dann machte ich mich mit meiner Beute auf den Weg in mein Zimmer. Immerhin versuchte meine Mutter nicht, mich zurückzuhalten.

Ich verbrachte so wenig Zeit wie möglich in diesem Zimmer. Leider hatte mich damals niemand gefragt, was mir gefiel, meine Mutter hatte es einfach einrichten lassen. Hoffentlich hatte ich bald genug Geld beisammen, dass ich ausziehen konnte. Ich mochte weder die übertrieben kunstvoll geschnitzten Möbel aus weißem Holz noch das ursprünglich mit fließenden pfirsischfarbenen Stoffen drapierte Himmelbett (ich hatte das Zeug möglichst schnell abgenommen und verkauft). Früher hatte ich einen Bettpfosten für meine Wurfübungen mit den Messern benutzt, bis mein Vater mir widerwillig eine schlichte schwarz-rote Zielscheibe gekauft hatte. Sie war auch durchlöchert – jedes Mal, wenn meine Eltern mir Hausarrest verpasst hatten, hatte ich geübt wie besessen.

Nur der Blick aus meinem Zimmer gefiel mir, weil ein Fenster auf den Garten unseres Stadtpalasts hinausging – dort erhoben sich die vom Feuer geschwärzten Schlafbäume unserer Gefährten. Drei der Phönixe waren gerade da, ihr orangerotes Gefieder und ihre langen Schwanzfedern glänzten prachtvoll in der Sonne. Wie immer schlug mein Herz schneller, als ich sie sah.

Vor Aufregung pickte Zhóra mit ihrem kleinen, aber sehr spitzen Schnabel an meinem Ohr herum. Ich ächzte: »Das ist bestimmt lieb gemeint, aber aua, kannst du das bitte lassen?«

Will Galdo sehen, Galdo brennt bald, schickte mir die Kleine in den Kopf.

»Ich weiß«, sagte ich und starrte nach draußen. In einer Astgabel auf mittlerer Höhe hockte Galdo, einer der ausgewachsenen Phönixe und im Moment meine größte Hoffnung. Verdammt, ich musste mich beeilen – er hatte sein Nest schon fast fertig.

Hastig streifte ich mir die neue, feuerfeste Spezialkleidung über, die ich mir vor Kurzem gegönnt hatte, und zog die eng anliegenden schwarzen Handschuhe an. Ich schnappte mir ein paar Früchte, um sie im Gehen hinunterzuschlingen, und lief die gusseiserne Treppe zum Garten hinab. Dort blickte ich hoch zum Schwarmführer unserer verbündeten Anderwesen. Er war ungefähr so groß wie einer der Pfauen aus dem Garten des Stadtpalasts, hatte aber nur halb so lange Schwanzfedern, anders geformte Kopffedern und natürlich eine ganz andere Farbe.

Galdo warf mir einen freundlichen Blick zu und wünschte mir einen fedrigen Tag, beachtete mich aber nicht weiter, während ich begann, zu ihm hochzuklettern. So, wie ich es fast täglich tat, um die Nester unserer Freunde von Schattenläusen zu befreien.

»Was machst du da?«, sagte mein sehr blonder Bruder Lonnef und blickte drein, als hätte er etwas Verdorbenes gerochen. Gerade versammelte sich die ganze Familie inklusive Dienerschaft für das Ereignis; es kam nicht allzu oft vor, dass ein Phönix sich verwandelte.

Als Galdo zuletzt wiedergeboren worden war, war ich erst fünf gewesen. Man sah ihm an, dass er die Verwandlung dringend nötig hatte. Er wirkte alt und klapprig, sein Gefieder sah zerschlissen aus. In diesem Zustand waren die Federn am wertvollsten. Natürlich gab es immer Sammler, die Phönixfedern kauften, aber alte Federn strömten eine solche Hitze aus, dass sie selbst nasse Dinge trocknen und anschließend entzünden konnten. In feuerfeste Bayan-Kästen verpackt, waren sie auf Schiffen deutlich mehr als ihr Gewicht in Gold wert.

»Galdo … könntest du mir einen großen Gefallen tun?«, fragte ich, als ich mich am letzten Ast hochzog. Die Zweige seines Nests pikten mich schon fast in den Oberkörper. »Könntest du ein paar deiner alten Federn entbehren? Ich bräuchte sie dringend, um einem Mitglied meines Schwarms zu helfen.«

Erschrocken sah ich, dass es schon fast zu spät war. Der Phönix setzte sich in seinem Nest in Pose, die Flügel gespreizt, den rot und gelb gefiederten Hals gereckt, sodass sein Schnabel zum Himmel zeigte. Sein Blick war entrückt, hatte er mich überhaupt gehört?

»Galdo?«, rief ich zu ihm hinüber. Er musste mir einfach helfen, sonst war Devan verloren und ich …

Weg, weg, schnell weg!, piepste Zhóra. Ich konnte sie gerade noch packen und verhindern, dass sie sich von meiner Schulter in die Tiefe stürzte. Sie konnte noch nicht gut genug fliegen für so etwas.

»Komm da runter!«, brüllte meine Mutter zu mir hoch. »Was soll das, bist du hirnversengt?«

Einen Wimpernschlag lang überlegte ich, ob ich Galdo einfach ein paar Federn ausreißen sollte. Einmal zupacken, ein kräftiger Ruck, ein paar Hundert Silber bekam ich bestimmt dafür. Noch während ich zögerte, sah ich, wie ein Hitzeschauer über sein Gefieder lief. Es sah unheimlich aus, wie die Luft über dem Nest flimmerte. Ausnahmsweise hatte meine Mutter recht – ich musste hier weg!

Schnell kletterte ich abwärts, tastete mit den Füßen nach der nächsten Astgabel, hangelte mich nach unten. Zu spät. Keine halbe Menschenlänge über mir entfesselte sich ein Feuersturm, der den ganzen oberen Teil des Baumes einhüllte. Sengende Hitze schlug mir entgegen. Ich packte Zhóra, stopfte sie unter mein Wams, krümmte mich zusammen und zog mir die Kapuze über meinen Kopf. Meine Hände wurden zum Glück durch die Handschuhe geschützt. Ghalils Schande, war das heiß!

Lass los, lass los und lass dich fallen!, beschwor mich eine innere Stimme. Diese Hitze überstehst du nicht. Nein! Lieber Brandwunden abbekommen als mit gebrochenen Knochen da unten herumliegen.

Ein paar Menschenlängen vom Baum entfernt sah ich, dass unsere Diener hastig Löschschläuche herangeschafft hatten – noch zögerten sie, sie zu benutzen.

»Nicht löschen!«, brüllte ich über den Krach des Feuers nach unten. Wenn der alte Körper nicht richtig verbrannte, konnte Galdo nicht wiedergeboren werden!

Nach einer Ewigkeit war es endlich vorbei. Das Nest war nur noch eine geschwärzte Ruine. Schon regte sich in der Asche das schwarze Etwas, das von Galdo übrig geblieben war, es wandelte sich zu einem stolzen Vogel, dem prachtvolle neue Federn sprossen. Und hey, Winib sei Dank, ich lebte noch.

Mit weichen Knien kletterte ich auf den Boden, zog Zhóra unter meinem Wams hervor und setzte sie auf den nächstbesten Ast. Sie war deutlich weniger angesengt als meine Haare. Heiß, sagte sie vorwurfsvoll zu Galdo, der uns freundlich begrüßte und dann nicht mehr zuhörte, weil er zu sehr mit seinen neuen Federn beschäftigt war. Zum Glück behielte ein Phönix in seinem neuen Leben die alten Erinnerungen, natürlich erkannte er uns alle noch.

»Was für eine bodenlose Dummheit war das denn?!«, schrie mich meine Mutter an und riss die Hand hoch. Vielleicht wäre es ihr gelungen, mich zu ohrfeigen. Doch im selben Moment bückte ich mich nach einer Schwungfeder, die Galdo kurz vor der Verwandlung ausgefallen sein musste. Sie glühte mir zwar fast den Handschuh durch, war aber nicht sehr groß. Mehr als zwanzig Silber würde die nicht bringen.

Dev würde es selbst schaffen müssen, sich aus dieser Klemme herauszuholen.

Devan

Auf Rouka kann ich mich völlig verlassen, und wenn es irgendetwas Neues in meinem Leben gibt, dann ist sie es, der ich es sofort erzählen möchte.

Neben ihr ist der wichtigste Mensch in meinem Leben ein Mann, der aussieht, als wäre er auf seinem Anwesen der Gärtner. Ich fand Grewyn KiRea auf seinen Obstplantagen, auf denen Menschen, Hunderthänder und Kobolde gerade Goldpfirsiche und Honigbirnen pflückten. In ausgebeulten Hosen und einem löchrigen Hemd, die Hacke über der Schulter, wanderte er zwischen den Bäumen umher und probierte hier und da einen Pfirsich oder eine Birne. Eins der mit seinem Clan verbündeten Einhörner – Shiron, ein Apfelschimmel-Hengst – war an seiner Seite und trug über dem Horn einen Eimer mit Birnen. Er war so wie Grewyn schon alt und hatte wahrscheinlich gerade nichts Besseres vor.

Grewyns einst rote und inzwischen hellgraue Haarmähne leuchtete in der Sonne, und als er mich sah, leuchtete auch sein Gesicht auf. Das tat so gut, es ging mir gleich ein bisschen besser.

»Devan«, sagte er, betrachtete mich besorgt und lehnte seine Hacke gegen den nächstbesten Baumstamm. »Was ist passiert, mein lieber Junge?«

Ich war noch nie ein lieber Junge gewesen, aber es war irgendwie rührend, dass er mich so nannte. »Bisschen Ärger«, sagte ich und biss in eine Honigbirne. Es war ein Wurm darin. Eindeutig nicht mein Tag.

Grewyn lächelte verschmitzt. »Ah! Deine Art von Ärger ist immer interessant. Gehen wir in den Wald, da können wir in Ruhe reden.«

Die Hoffnung sang in meinen Adern. Immerhin führte Grewyn einen der sechs mächtigsten Clans von Aramir. Bestimmt konnte er mir helfen … und würde es auch tun. Immerhin hatte ich einmal verhindert, dass er sein Leben beendete. Als Dank hatte er mir meine ersten bezahlten Aufträge als Fuchs verschafft; damals, vor drei Wintern, war ich erst vierzehn gewesen, aber mehr als diese eine Chance hatte ich nicht gebraucht.

Die Obstplantagen grenzten an den Einhornwald im nördlichen Teil unseres Stadtstaates. Innerhalb weniger Minuten gingen wir im Schatten riesiger Bäume und schlenderten über Lichtungen mit hohem Gras, das von Blumen getupft wurde. Am Rand einer Lichtung stand Nimmu, eine junge kupferfarbene Einhornstute, und trabte Grewyn entgegen, als sie ihn sah. Bei ihrer freudigen Begrüßung hätte sie beinahe einen von uns aufgespießt.

»Na, na, nur langsam«, sagte Grewyn und klopfte Nimmu den Hals. Dann kratzte er ihr die verfaulten Reste eines Apfels vom Horn, die sie selbst anscheinend nicht wegbekommen hatte. »Geht es dir besser? Oje, immer noch diese Krämpfe? Ich werde eine Heilerin bitten, dir einen Eisenkrauttrank zu bereiten, hoffentlich hilft der.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile unhörbar miteinander, in Gedanken.

Ja, natürlich war ich neidisch. Nur wenige Clans haben verbündete Anderwesen, auch wenn es bei den ärmeren Familien nur Wesen wie Kobolde, Pukas oder Hunderthänder sind. Und nicht jedes Mitglied eines Familienclans bekam einen Anderwesen-Gefährten zugewiesen, dafür waren die meisten Clans zu groß.

Ich erzählte Grewyn, was es mit meinem derzeitigen Problem auf sich hatte, ohne die Galeere zu erwähnen – ich wollte nicht, dass er sich zu viele Sorgen machte.

Trotzdem blickte Grewyn erschrocken drein. »Tausend Silber! Leider habe ich kaum Geld im Haus, weil Melisande und Gyllo so viel ausgegeben haben in letzter Zeit.«

Irgendwie schaffte ich es, nicht das Gesicht zu verziehen. Grewyns älteste Tochter gab große Summen für Schmuck und Kleider aus. Mit den Einhörnern posierte sie nur, wenn sie Eindruck schinden oder sich malen lassen wollte. Sein Sohn war nicht besser, er stürzte sich in ein erfolgloses Geschäft nach dem anderen und hätte seinen Vater schon einmal fast ruiniert (das war das Problem gewesen, wegen dem sich Grewyn damals hatte umbringen wollen – zum Glück hatte ich es lösen können).

»So ist das nun mal«, sagte ich so gleichmütig, wie ich es schaffte.

In Grewyns gutmütigem Gesicht arbeitete es. »Was, wenn es mir gelänge, eins unserer Einhörner zum Weinen zu bringen?«

»Nein«, sagte ich sofort. Einhorntränen waren unfassbar wertvoll, weil sie fast jede Krankheit heilen konnten, doch leider waren die Vierbeiner nicht sehr sentimental. Bis die mal Tränen vergossen, musste so einiges passieren. »Das letzte Mal, als du das vorhattest, wolltest du dich umbringen, damit sie um dich trauern!«

»Damals war ich auf ernstliche Weise fehlgeleitet.« Grewyn verzog das Gesicht. »Aber es gibt bestimmt andere Wege.«

»Mir wird schon was einfallen«, sagte ich und umarmte ihn zum Abschied. »Danke für alles.«

Nun blickte er noch beunruhigter drein – natürlich hatte auch er gehört, dass das wie ein Abschied klang. Aber er ließ mich gehen.

Es war mir selbst nicht ganz geheuer, dass meine Füße sich schon zum zweiten Mal an diesem Tag in Richtung des Labyrinths bewegten. Inzwischen wimmelte es dort von Schaulustigen, hauptsächlich aus dem großen Nachbarreich Ouenda. Das Labyrinth scherte es nicht. Es war schon da gewesen, bevor hier eine Stadt gestanden hatte, Alegowa getauft und zur Hauptstadt ernannt worden war. Es hatte sich bestimmt ebenso wenig dafür interessiert, dass vom Fürstentum um Alegowa herum nach einem völlig überflüssigen Krieg nur noch dieser Stadtstaat übrig geblieben und Aramir getauft worden war. Obwohl das Labyrinth Jahrhunderte alt sein musste, vielleicht Jahrtausende, sah es noch immer so aus wie frisch erbaut.

Was war, wenn mir nichts anderes übrig blieb, als reinzugehen?

Was war, wenn meine Schwester noch irgendwo dadrin war und seit vielen Wintern verzweifelt darauf wartete, dass jemand sie rausholte? Meine Mutter hatte versucht hineinzugehen, sie zu retten, doch mein Vater hatte sie gerade noch rechtzeitig zurückgerissen … noch jemanden zu verlieren, hätten er und ich beide nicht ertragen.

Das war der Moment, in dem ich merkte, dass es jemand auf mich abgesehen hatte.

WEISSER STEIN

Devan

Der Mann, der mir mit verzerrtem Gesichtsausdruck und brennender Wut in den Augen entgegenkam, war Gonjak, einer meiner Verfolger von vorhin. Derjenige, den ich mithilfe der Kobolde als Letztes losgeworden war. Keine Ahnung, wie er mich doch noch gefunden hatte. Es war leicht zu sehen, was für ein Problem er hatte – sein Schädel und sein Gesicht waren blutüberströmt. Ziegelstaub und Blut befleckten seine betont unauffällige Seemannskleidung.

Gonjak war einer von denen, denen man in einer Kneipe zuraunen konnte: »Sorg dafür, dass dieser oder jener spurlos verschwindet«, während ich solche Anfragen immer höflich abgelehnt hatte.

»Bleib stehen, du Stück Dung!«, zischte er mir zu. Obwohl ich mich schnell wegdrehte, schaffte er es, mich am Arm zu packen und in eine dämmrige, schmale Seitengasse zu ziehen. »Niemand legt sich ungestraft mit mir an, verstehst du? Kann ich nicht durchgehen lassen, sonst verlieren die Leute den Respekt vor mir.«

Schon hatte er einen Dolch in der Hand – einen aus schwarzem Metall, das nicht im Sonnenlicht aufblitzt. Sehr gut geeignet für Attentäter. Und ausgerechnet heute trug ich mein eigenes, nicht teures, aber zuverlässiges Messer nicht.

»Die Kobolde haben es übertrieben, stimmt … gibt immer Ärger mit denen«, brachte ich heraus und schaute mich nach jemandem um, der mir helfen konnte. Zum Beispiel Chatai-die-Faust oder Féhan-die-Schnelle, die sicher gerade im Hafenviertel unterwegs waren und schauten, was so los war. Leider ging nur der Elis Loy – der Regenelf von vorhin – am Eingang der Gasse vorbei. Er warf uns einen Blick zu und ging weiter. Menschliche Angelegenheiten interessierten die Eliscan ungefähr so sehr wie uns das Gewusel in einem Ameisenhaufen.

Gonjaks Körper drückte sich unangenehm gegen mich. »Versuch nicht, dich rauszureden. Du hast ihnen gesagt, was sie tun sollen, und jetzt fühlt sich mein Schädel an wie ein Bergwerk. Du bist tot, Fuchs.«

»Tut mir leid. Hör zu. Ich verrate dir jetzt mal was, was sonst niemand ahnt …«

Natürlich wollte er es hören. Das gab mir genau den Atemzug Zeit, den ich brauchte, um mich nach unten gleiten zu lassen, herumzuwirbeln und ihm den Kopf in den Magen zu rammen. Hafenratten beißen, wenn man sie bedroht. Füchse auch.

Leider hatte der Kerl Bauchmuskeln aus Stahl. Er wich kaum einen Fußbreit zurück. Ein glühender Schmerz durchzuckte mich, als Gonjak mir seinen Dolch in den Arm rammte. Als ich losrannte, wusste ich, dass ich jetzt alles geben musste. Sonst würde Jolon SiManao keinen einzigen Silber von mir bekommen.

Im Zickzack lief ich durch die Menge der Schaulustigen und versuchte, Gonjak abzuschütteln, doch er blieb mir auf den Fersen und kam immer näher. Ich riss eine Warntafel los und schleuderte sie ihm in den Weg, doch er sprang glatt darüber hinweg. Innerlich fluchend raste ich weiter. Ein paar Besucher beobachteten uns staunend, jemand rief nach einer Stadtwache. Mein verletzter Arm tat scheußlich weh, wahrscheinlich hinterließ ich eine Blutspur. Wo blieben Chatai, Féhan und meine anderen Freunde? Die mussten mitbekommen haben, was hier passierte!

Rückwärtsgehend trat mir eine beleibte Frau im bunten Kaftan in den Weg. Ich stolperte gegen sie und ging zu Boden, hart trafen meine Knie und meine Schulter den Stein. Die Frau kreischte auf, als Gonjak sie grob aus dem Weg schubste und sich auf mich stürzte, Jagdfieber in den blassblauen Augen. Ich rollte weg und mit einem fiesen Klirren traf sein Dolch auf Stein.

»He! Was ist denn hier los?« Endlich mischte sich jemand ein. Leider war es nur Arri. Gonjak klatschte ihn aus dem Weg wie einen überreifen Pfirsich, sodass Arris Augengläser in die eine Richtung flogen und mein Fremdenführerfreund in die andere. Mit verblüfftem Blick sank er gegen die hohe Mauer des Labyrinths, hinter die nie jemand hatte blicken können. Blut besudelte den leuchtend weißen Stein.

Heiß rasten Wut und Angst durch meine Adern. Ich musste diesen Kerl loswerden. Direkt vor mir war der Eingang des Labyrinths. Konnte ich vielleicht …? Ja, das konnte funktionieren …

Aufgeregte Rufe und ein paar Schreie ertönten, als ich sämtliche Warnschilder ignorierte und auf den Eingang zurannte.

»Dev!«, hörte ich Arri brüllen.

Sehr weit konnte man nicht hineinblicken in dieses Reich aus weißem Stein, es ging etwa zwei Menschenlängen weit geradeaus, danach führte der Weg in sanftem Schwung zu beiden Seiten nach außen. Man musste sich zwischen rechts und links entscheiden. Wer hinter einer dieser Biegungen außer Sicht geriet, war so gut wie immer verloren. Welche Seite besser war, wurde seit Jahrzehnten debattiert, schien aber unwichtig zu sein.

Am rauen Atem und dem Klang seiner Stiefel hörte ich, dass Gonjak mir folgte. Er war dicht hinter mir, höchstens zwei Menschenlängen, und hatte ordentlich Tempo drauf. Gut so. Als wir uns dem Eingang näherten, merkte ich, dass er langsamer wurde, doch anscheinend war seine Wut größer als seine Angst.

Mit rasendem Puls lief ich hinein ins Labyrinth von Aramir … und Gonjak folgte mir. Er konnte nicht wissen, was mich mit diesem verdammten Ding verband. In den letzten Wintern – seit der Sache mit Kelsy – hatte ich jede Handbreit dieser Mauern untersucht, von außen natürlich, aber auch von innen bis zur ersten Biegung. Ich hatte alles gelesen, was je über diesen Ort geschrieben worden war, jeden befragt, der etwas darüber wissen konnte, mir sämtliche Geschichten angehört, die darüber kursierten.

Nur wenige Leute kannten die unauffälligen Vertiefungen im Stein an der rechten Seite kurz vor der Biegung, weil sie nur bei einem ganz bestimmtem Sonnenstand zu erkennen waren. Vertiefungen, die Platz für Hände und Füße boten.

Kurz vor der Abzweigung stoppte ich ab, griff in die Mulden und begann zu klettern. Mein verletzter Arm tat verdammt weh, aber die Angst machte mich flink. Als ich oben war, rannte ich über die Mauerkrone zum Eingang zurück, so schnell meine Füße mich trugen. Schwer atmend blieb ich oben auf der etwa drei Menschenlängen hohen Mauer stehen … und wagte zum ersten Mal einen Blick zurück. Ins Labyrinth hineinzublicken, war nicht möglich, dort sah man nur tiefe Dunkelheit, doch auch im Eingangsbereich war niemand mehr.

Von Gonjak war nichts mehr zu hören oder zu sehen.

Dafür standen in geschocktem Schweigen drei meiner Freunde – Rouka, die angesengt aussah, sowie Chatai und Féhan – auf dem Platz vor dem Labyrinth. Sie und alle anderen Leute im Umkreis starrten hoch zu mir. Féhan war gerade dabei, Arri aufzuhelfen, irgendjemand gab ihm seine Augengläser zurück. Es war totenstill, die drei Dutzend Besucher wirkten wie erstarrt. Eine solche Schau wie heute hatten sie bestimmt nicht erwartet.

»Ghalils Schande«, sagte Arri ehrfürchtig, hinkte zum Eingang und spähte hinein. »Sein Schwung hat ihn bis halb hinter die linke Biegung getragen und dann war er plötzlich weg.«

»Du bist verletzt … ich hätte bei dir sein müssen, Dev! Ich hätte dich beschützen müssen.« Chatais Stimme war nur ein raues Flüstern. Seine schmale Gestalt mit der kupferbraunen Haut wirkte, als säße ihm ein Riese auf den Schultern. Für geborene Aelier wie ihn waren Ehre und Pflicht ein großes Ding. Der Arme, er wusste noch gar nicht, was mir durch Fürst Jolon drohte.

»Alles gut – ich atme noch«, sagte ich, kletterte von der Mauer herunter, schlug ihm mit dem unverletzten Arm auf die Schulter und blutete vor mich hin, bis Chatai Verbandszeug beschafft hatte.

»Vielleicht kommt er stinkreich wieder raus und ist dir dann unglaublich dankbar«, murmelte Féhan, die wie ein Gegenstück zu Rouka aussah mit ihrer blassen Haut und den kurzen schwarzen Haaren; ihre langen Fohlenbeine wirkten jederzeit bereit, sie an einen anderen Ort zu tragen. Sie stützte ihren verkrüppelten rechten Arm mit der anderen Hand, um ihn zu entlasten.

Wir standen alle da, warteten und hielten das Bauwerk im Blick. Wahrscheinlich war ich nicht der Einzige, dem beklommen zumute war.

»He, Gonjak!«, rief Rouka, doch es kam keine Antwort. Stimmen drang nicht aus dem Labyrinth hinein oder hinaus.

»Wenn er bis jetzt nicht wieder da ist, kommt er nicht mehr … ihr wisst ja, dadrin vergeht die Zeit anders«, sagte Arri, kratzte sich den Bart und blickte mich an. »Gut gemacht, Dev. Vermissen wird den keiner.«

Stumm nickte ich. Ich war irgendwie fasziniert davon, was ich getan hatte.

Schritt für Schritt wagte sich Rouka (mitsamt des verschreckt wirkenden Phönixkükens) in den Eingangsbereich vor. Schließlich bückte sie sich, sodass ihr die langen hellen Haare übers Gesicht fielen, und hob den Dolch auf. Sie schlenderte zurück und reichte ihn mir. »Gehört jetzt dir, schätze ich. Gute Qualität.«

»Der ist aus Sternenstahl!«, sagte Chatai beeindruckt.

Ja, anscheinend. Dieses Metall können nur die Eliscan herstellen (die manche Leute Elfen nennen), es ist härter und schärfer als alles, was Menschen in einer Schmiede zustande bringen. Es musste aus dem geheimnisvollen Reich Khorat stammen, in dem unsere nichtmenschlichen Nachbarn lebten. Der Griff des Dolchs – ebenso schwarz wie die Klinge – war mit verschlungenen Mustern graviert, unter denen mir das Symbol dreier Tropfen besonders auffiel.

»Ich habe mal gehört, dass Sternenstahl sogar Erinnerungen speichern kann«, erzählte Chatai.

»Klingt gut. Für den Fall, dass ich mal das Gedächtnis verliere.« Ich schenkte Chatai mein bisheriges Messer und steckte den Sternenstahl-Dolch in meinen Gürtel, dann warf ich einen Blick in die Runde. »Einsatzbesprechung bei mir, sobald ihr es schafft. Achtet darauf, dass euch keiner sieht.«

Meine Freunde nickten kaum merklich und drifteten in die Menge der Neugierigen davon. Rouka und ich einigten uns mit einem schnellen Blick, dass wir zusammen hingehen würden.

Und so war sie dabei, als ich unerwartete Gesellschaft bekam. Ein Raunen erhob sich unter den Menschen auf dem Platz und ich merkte, dass die Leute jemandem Platz machten. Wem genau, das sah ich schon von Weitem – ein Greif ist schwer zu übersehen, ausgewachsen ist er doppelt so groß wie ein Pferd.

Inzwischen hatte sich Fürst Jolon SiManao in Stadtkleidung geworfen. Sein bodenlanger goldener Mantel leuchtete weithin, darunter trug er eine mit Greifensymbolen bestickte schwarzgoldene Weste, schwarze Hosen und Schnabelschuhe mit goldenen Schnallen und nach oben gebogener Spitze. Lässig schritt er neben seinem Verbündeten her – dem schwarzen Greifen mit dem weißen Kopf. Er wandte sein Adlerhaupt hin und her und schickte bedrohliche Blicke in alle Richtungen. Kein Wunder, dass niemand sich in seine Nähe traute, er sah nicht sehr gut gelaunt aus – war irgendwas passiert?

Zwei Leibwächter in Uniform folgten den beiden.

Recht bald wurde klar, dass der kleine Trupp mich und Rouka ansteuerte. Es fiel mir nicht ganz leicht, stehen zu bleiben, als sei alles in bester Ordnung. Arri und alle anderen Umstehenden trafen die weise Entscheidung, sich zu verdrücken. Nur Rouka blieb neben mir und blickte dem Fürsten entgegen; einzig daran, wie sie Zhóra auf ihrer Schulter kraulte, merkte man, dass auch sie angespannt war.

»Ihr habt mich doch nicht etwa gesucht, Fürst?«, fragte ich Jolon, als er vor mir stehen geblieben war.

»Oh doch«, sagte Jolon, verbeugte sich vor Rouka und lächelte mich unbeschwert an. Klar, er hatte ja auch keine Probleme – die hatte alle ich! »Kommt, wir gehen ein Stück.«

Der Greif beugte sich zu mir hinab und krächzte leise: »Kontaktgift, hm?«

Trotz allem musste ich grinsen. Anscheinend hatte er bei seinem Gefährten nachgefragt.

Als wir durch einen Park des Palastviertels schritten, weitab von Lärm und Geschäftigkeit der Stadtmitte, rückte Jolon endlich raus mit der Sprache.

»Ich habe über die ganze Sache nachgedacht. Ihr wisst schon: Eure Schulden bei mir.«

»Tatsächlich?«, fragte Rouka spitz. »Habt Ihr endlich erkannt, dass es nicht seine Schuld war und er Euch keinen rostigen Ulder schuldet?«

»Das nicht.« Jolon schritt energisch aus, das Kinn erhoben, der Blick hoffnungsfroh auf den Horizont gerichtet. »Aber falls Ihr zufällig Probleme haben solltet, Devan, das Geld zu beschaffen, gäbe es noch eine andere Lösung. Ist es nicht Eure Berufung, fast unmögliche Wünsche zu erfüllen? Ich hätte da einen.«

»Ich bin gespannt«, sagte ich und fühlte, wie sich Hoffnung in mir regte. Es war mir unheimlich, dass er ganz offen mit mir durch Aramir spazierte. Nur wenige Leute legten Wert darauf, mit einem Fuchs gesehen zu werden – sollte ja niemand argwöhnen, sie hätten irgendein Problem.

Ruckartig wandte sich Jolon mir zu. »Mein Wunsch ist zu heiraten.«

»Wie schön.« Ich freute mich für ihn oder tat zumindest so.

»Es gibt Damen, die spezialisiert sind auf die Vermittlung von …«, begann Rouka.

»Mein Wunsch ist, eine Singelfe zu heiraten – eine Elis Cantája«, verkündete Jolon. Und wartete auf eine Reaktion.

Es kam keine. Rouka und mir hatte es die Sprache verschlagen.

EIN UNMÖGLICHER AUFTRAG

Rouka

Eine Singelfe heiraten? Ghalils Schande! Hatte dieser Kerl Palmstroh dort, wo eigentlich ein Gehirn sein sollte? Hatte ihm einer seiner Greifen in den Kopf geschissen? Nein, wahrscheinlich dachte er nur, dass es für einen SiManao wie ihn keine Grenzen gibt. Obwohl nicht er die Stadt mit harter Hand regierte und die Kerker füllte, sondern seine Tante.

Es war mein kleines, schmutziges Geheimnis, dass ich früher mal für Jolon geschwärmt hatte. Der Kerl sah nun mal verdammt gut aus. Zum Glück war ich damals erst dreizehn gewesen und hatte mich nicht getraut, es ihm zu gestehen. Bei allen Göttern, war ich jetzt froh darüber!

Devan ließ sich seine Gedanken nicht anmerken. Er schlenderte einfach weiter. Und das, obwohl sein helles Hemd aussah, als hätte man damit die Straße gewischt, und der linke Ärmel fast durchgeblutet war. Er fragte nur: »Warum tutʼs nicht auch eine hübsche Fürstentochter?«

»Auch hier gibt es Frauen, die eine Wohltat fürs Auge sind. Doch die Eliscan sind schön wie ein Wunder … jedenfalls waren es die wenigen, die ich bisher gesehen habe«, schwärmte Jolon, während sein Greif mürrisch neben ihm herschritt. »Und die Elis Cantája, so sagt man, leben für die Musik – so wie ich. Ich wette, ihr Gesang ist herrlich und sie können mir ganz neue Welten des Klangs erschließen.«

Neue Welten des Klangs erschließen? Wenn der so weiterquatschte, würde gleich mein Frühstück die Straße dekorieren. Dev und ich tauschten einen Blick.

»Also, was ist?« Einen Atemzug lang wurde Jolons Gesichtsausdruck hässlich. »Schafft Ihr das, Devan, oder sollʼs doch eher die Galeere sein?«

»Ich übernehme den Auftrag«, sagte Dev.

Natürlich sagte er das, um Zeit zu gewinnen – wahrscheinlich würde er noch heute aus der Stadt fliehen. Das war ein so schrecklicher Gedanke, dass mir einen Moment lang der Atem wegblieb. Doch dann sah ich das Glitzern in Devs Augen. Moment mal, hatte der etwa vor, wirklich das zu tun, was dieser Kerl wollte? Aber …