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"...Ich habe allezeit Machiavellis Buch von der Regierungskunst eines Fürsten als eines der allergefährlichsten Bücher angesehen, die jemals in der Welt verbreitet worden. Es ist ein Buch, welches natürlicherweise den Fürsten und denjenigen, welche Geschmack an der Staatskunst finden, in die Hände fallen muß. Es ist dabei nichts leichter, als wenn ein junger, ehrgeiziger Mensch, dessen Gemüt und Verstand noch nicht hinlänglich geschickt sind, das Gute von dem Bösen richtig zu unterscheiden, durch Regeln, welche seinen Leidenschaften schmeicheln, verdorben werde..." (Friedrich der Große, aus der Vorrede zum "Antimachiavell") In diesem Band sind der "Fürst" des Niccolo Machiavelli und sein Gegenstück, der "Antimachiavell" des berühmten Preußenkönigs Friedrichs des Großen vereint, so daß man die Ausführungen Machiavellis und die Widerlegung derselben, durch Friedrich II. Kapitel für Kapitel zu vergleichen vermag.
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Seitenzahl: 409
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Der Fürst
Einleitung.
Zueignung.
1. Verschiedene Arten der Herrschaft.
2. Von erblichen Fürstentümern.
3. Von vermischten Herrschaften.
4. Warum das Reich des Darius nach Alexanders Tod gegen seine Nachfolger nicht aufstand.
5. Wie Städte und Fürstentümer zu behandeln sind, die vor der Eroberung ihre eigene Verfassung hatten.
6. Von neuen Herrschaften, die durch eigene Waffen oder Tapferkeit errungen werden.
7. Von neuen Fürstentümern, die durch fremde Unterstützung und durch Glücksfälle erworben werden.
8. Von denjenigen, welche durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen.
9. Vom Volk übertragene Herrschaft.
10. Wie die Kräfte der Fürstentümer zu schätzen sind.
11. Von geistlichen Fürstentümern.
12. Von den verschiedenen Arten der Truppen.
13. Von Hilfstruppen.
14. Was der Fürst im Kriegswesen zu beobachten hat.
15. Wodurch die Fürsten Lob und Tadel erwerben.
16. Von der Freigebigkeit und dem Geiz.
17. Von der Grausamkeit und Milde.
18. Inwiefern ein Fürst sein Wort halten muß.
19. Verachtung und Haß sind zu vermeiden.
20. Ob Festungen und andere Sicherheitsanstalten der Fürsten nützlich oder schädlich sind.
21. Wie ein Fürst sich zu betragen hat, um großen Ruhm zu erwerben.
22. Von den Ministern.
23. Schmeichler sind zu fliehen.
24. Wie die Fürsten Italiens ihre Herrschaft verloren haben.
25. Welchen Einfluß das Glück auf die Angelegenheiten der Menschen hat.
26. Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft zu befreien.
Antichiavell
Einleitung.
Vorrede.
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
6. Kapitel.
7. Kapitel.
8. Kapitel.
9. Kapitel.
10. Kapitel.
11. Kapitel.
12. Kapitel.
13. Kapitel.
14. Kapitel.
15. Kapitel.
16. Kapitel.
17. Kapitel.
18. Kapitel.
19. Kapitel.
20. Kapitel.
21. Kapitel.
22. Kapitel.
23. Kapitel.
24. Kapitel.
25. Kapitel.
NIEMALS hat eine politische Schrift so gewaltiges Aufsehen erregt, und so viel gewirkt, als Machiavellis hochberühmtes Buch vom Fürsten. Der Name des Verfassers ist durch die sogar in Staatsschriften als Kunstausdruck übliche Benennung des Machiavellismus auch der großen Menge bekannt geworden, die das Buch selbst nicht gelesen hat. Aber unter den Großen und ihren Ministern haben sich viele danach gebildet. Hier glaubten sie das, was sie in einzelnen schlimmen Augenblicken getan, oder noch zu tun Lust hatten, durch zusammenhängende Grundsätze gerechtfertigt zu finden. Die es so benutzten, mögen oft ungehalten darüber geworden sein, daß alles, was sie sich, aber auch nur sich selbst, und als Ausnahme von der Regel erlauben wollten, in allgemeinen Maximen öffentlich aufgestellt, und dadurch Verdacht gegen ihre Absichten erregt ward. Daher ist es am lautesten von denen angeklagt, die am meisten daraus gelernt hatten. Andere Leser sind durch den Widerspruch, in welchem dieser Inbegriff fürstlicher Weisheit mit der gewöhnlichen Moral steht, zu dem Zweifel veranlaßt worden, ob das Buch wohl im Ernst geschrieben sei? Da sie die Bewunderung, welche der durchdringende Beobachtungsgeist und das treffende Urteil des Verfassers jedem abnötigt, der politische Verhältnisse zu beurteilen vermag, mit ihrem Widerwillen gegen die freche Immoralität, zu welcher seine Grundsätze führen, nicht zu vereinigen wußten, so haben sie geglaubt, Machiavelli möge wohl das vollständige Gemälde der Tyrannei und der Mittel zu ihr zu gelangen, in der Absicht entworfen haben, um den Tyrannen in der verabscheuungswürdigsten Gestalt darzustellen.
Mehrere italienische Schriftsteller haben diese Auslegung sehr früh gemacht, um dem Geschrei zu begegnen, das sich bald nach der öffentlichen Bekanntmachung des Werkes erhob. Die Vermutung erhält einigen Anschein durch den Widerspruch, in welchem die Gesinnungen, welche in diesem Buch herrschen, mit anderen Schriften des Verfassers zu stehen scheinen, und der um so auffallender ist, da das Buch vom Fürsten und die Betrachtungen über den Livius offenbar nicht in ganz verschiedenen Perioden seines Lebens geschrieben sind. Er bezieht sich in jeder derselben auf die andere, und hat sie also, wenigstens späterhin, zugleich wieder überarbeitet. Aber man kann dieser Erklärung durchaus keinen Beifall geben, sobald man das Buch selbst unbefangen liest. Es ist mit solchem Ernst geschrieben, mit solchem Nachdruck, und was noch mehr ist, es enthält auf jeder Seite so viel Wahrheit, daß man das Ganze unmöglich für Ironie halten kann. So treffende Lehren können nicht aus republikanischem Haß gegen die Tyrannei gegeben sein, damit der Tyrann ins Verderben renne: diesen Zweck hätten sie sicherlich verfehlt! Wer den Verfasser aus der Geschichte kennengelernt hat, wird auch nicht durch die Erklärung befriedigt, daß er hier die Naturgeschichte der Tyrannei gezeichnet habe, so wie er die Theorie der Republik in den Diskursen über den Livius abhandelt. Machiavelli war kein gleichgültiger Zuschauer und bloßer Beobachter der politischen Welt. In allen seinen Schriften herrscht ein praktischer Geist. Seine Diskurse beweisen das lebhafteste Interesse an der Erhaltung und der Größe einer Republik. Sie sind ganz im Ton eines Mannes geschrieben, der selbst dazu mitwirken möchte, sie zu errichten oder zu befestigen. Ebenso kräftige Ratschläge für den, der sich auf der errungenen Stelle eines Regenten erhalten will, ebenso nachdrückliche Empfehlungen der wirksamsten Mittel, ebenso lebhafte Verachtung des Zweckwidrigen, findet man in dem Buch vom Fürsten.
Die Auflösung dieses rätselhaften Widerspruchs ist in dem Zustand Italiens und in der Lebensgeschichte des Verfassers zu suchen.1 Man versteht ja überhaupt keinen ausgezeichneten Schriftsteller vollkommen, wenn man nicht eine lebendige Kenntnis von seiner Nation und seinem Zeitalter, und ein feineres Gefühl für ihre Art zu empfinden, aus den einheimischen Geschichtsschreibern erlangt hat, welche selbst die Gesinnungen ihrer Nation teilen, und nicht bloß die Handlungen der Menschen, sondern ihre Quelle, die eigentümliche Gemütsart, darstellen. Aus solchen erhält man eine ganz andere Einsicht in den Zusammenhang der Begebenheiten, als aus der genauesten und sorgfältigsten Erzählung eines Fremden.
Die italienische Nation zeichnet sich durch eine ungemeine Lebhaftigkeit aller Empfindungen und Leidenschaften aus, die ihren Gegenstand mit dem Feuer unauslöschlicher Begierde ergreift, und nie abläßt. So wie man von den Franzosen nicht ohne Grund sagt, daß sie aus allem Ernst Scherz machen, und dadurch so oft selbst ein Spiel ihrer eigenen witzigen Laune werden, so machen die Italiener aus allem Scherz Ernst. In allen Handlungen der Franzosen erscheint ein feines und unaufhörlich reges Ehrgefühl als die herrschende Triebfeder. Dieses zeigt sich in den schlechtesten, wie in den vorzüglichsten Individuen der Nation, auf verschiedene Art, aber immer gleich stark. Alle französischen Raisonnements über sittliche Gegenstände erhalten dadurch eine ganz eigene Farbe, und in der Geschichte des Volks spielt es die Hauptrolle. Aus der Verbindung dieses äußerst reizbaren Ehrgefühls, und der feinen Beobachtung aller Konvenienzen des Augenblicks, worin die Franzosen allen anderen so sehr überlegen sind, mit ihrer launigen Gemütsstimmung, entspringt eine Versatilität, von der man in der Geschichte der Italiener keine Spur findet. Diesen kommt es immer auf die Sache an, die sie wollen. Die bürgerlichen Unruhen, die ganz Italien so viele Jahrhunderte lang zerrissen haben, wären durch bloße Begebenheiten und Zufälle nicht so lange unterhalten. Ihr Charakter ist wesentlich verschieden von dem Fraktionsgeist in der französischen Geschichte. Mit der Tenazität der Italiener ist eine tiefe Verschmitztheit nahe verwandt, die mit der Falschheit eines versatilen Menschen, der sein Vergnügen daran findet, mit anderen zu spielen, und schon dadurch befriedigt wird, wenn er sie äfft, durchaus keine Ähnlichkeit hat. Es ist bekannt, daß nichts in der Welt mit der Politik des römischen Hofes verglichen werden kann, und daß die geistliche Intrige, als ein zusammenhängendes System die Zwecke der Herrschsucht zu erreichen, für das vollkommenste Erzeugnis des menschlichen Geistes in seiner Art angesehen werden muß. Dies Meisterstück eines feinen und dauerhaften Gewebes konnte nur in Italien zustande gebracht werden, und hat wieder einen großen Einfluß auf die Denkungsart der italienischen Staatsmänner gehabt, die ihre Aufmerksamkeit unaufhörlich auf den päpstlichen Stuhl richten mußten, welcher durch seine Bemühungen, die christliche Kirche zu beherrschen, zugleich mit in alle weltlichen Händel von Italien verwickelt ward.
In diesem ganzen Lande ist von alters her ein republikanischer Geist verbreitet gewesen, und hat viele Jahrhunderte lang einen unaufhörlichen Kampf mit der Herrschsucht einzelner Häupter geführt, die in den inneren Bewegungen übel geordneter Gemeinden die Mittel fanden, sich zu erheben.
Unter der großen Zahl italienischer Republiken war allein Venedig schon früh zu einer festen Verfassung und inneren Ruhe gelangt. In allen übrigen verfolgten und vertrieben einander Parteien: ebenso wie vormals in den griechischen Freistaaten einzelne Geschlechter mit ihrem Anhang, und Fraktionen, von Optimaten, von Bürgern, und von kleinem Volk, alles untereinander kämpfte, und sich wechselweise austrieb. Solchem inneren Zwist war ganz vorzüglich das Vaterland des Machiavelli unterworfen; eine der stürmischsten Republiken, die jemals existiert haben.
Die Geschichte der letzten hundert Jahre, wo Florenz als Freistaat bestand, von 1432 an, da Cosmus der Große von Medici zurückberufen ward und die Leitung aller öffentlichen Angelegenheiten ergriff, bis zu der endlichen Ernennung eines seiner Seitenverwandten, Cosmus I., zum Herzog, im Jahre 1536, gehört zu den interessantesten Partien der ganzen Weltgeschichte. Vorzüglich ist die letzte Hälfte dieses Zeitraums äußerst lehrreich, wegen der mannigfaltigen Abwechslungen der Verfassung, die beinahe zu allen Lehrsätzen der Politik Beispiele wirklicher Erfahrung bieten.2
Florenz war während des 15. Jahrhunderts durch das überwiegende Ansehen zweier Männer aus dem Hause Medici beruhigt, und in die Zeiten des letzteren von ihnen fiel Machiavellis Jugend. Cosmus der Große und Lorenzo, sein Großsohn, hatten als einfache Bürger die Angelegenheiten ihres Vaterlandes geleitet, und großen Einfluß auf das Schicksal von ganz Italien gehabt. Machiavelli kannte den ganzen Umfang ihrer Talente und Verdienste: er redet von ihnen mit Wärme und mit dem Wohlgefallen, welches niemand, ungeachtet aller Verschiedenheit der Grundsätze und Gesinnungen, demjenigen versagen kann, durch welchen das Vaterland zu Ehre, Macht und Reichtum gelangt ist. Die Größe des letzten von jenen beiden ausgezeichneten Männern hatte Machiavelli selbst noch gesehen. Er war etwas über zwanzig Jahre alt, als Lorenzo von Medici starb, dessen Tod allgemein als die Epoche angegeben wird, mit welcher die Zeit des Genusses und des Ruhms aufhörte, und eine endlose Reihe von Unglück und Elend begann, das der Ehrgeiz fremder Monarchen, die unverständige und leidenschaftliche Herrschsucht einheimischer Großen, der unbändige Geist kühner Abenteurer und schamloser Emporkömmlinge über Italien gebracht hatten. „Mit dem Tode Lorenzos von Medici fing der Same des Übels an aufzugehen, wodurch, da niemand mehr lebte, der ihn auszurotten verstand, Italien zugrunde gerichtet ist, und noch immerfort zugrunde gerichtet wird.“ Mit diesen Worten schließt Machiavelli seine florentinische Geschichte. Guicciardini beginnt seine Geschichte von Italien mit derselben Bemerkung. Die Schriftsteller aller Parteien stimmen darin überein.
Nach des großen Mannes Tode ward sein unfähiger Sohn Piero mit seinen vornehmsten Anhängern vertrieben. Achtzehn Jahre lang war Florenz ein Spiel republikanischer Unruhen. Die Republik, die unter der Leitung des Lorenzo auf die Verhältnisse der großen Mächte von Europa so großen, oft entscheidenden Einfluß gehabt hatte, ward mit allen übrigen italienischen Staaten in den allgemeinen Strudel hineingezogen, den der Ehrgeiz der französischen Könige erregte. Von den Heereszügen Karl VIII. und Ludwig XII. ward ganz Italien wie von Meereswellen verschlungen. Während dieser Periode war Machiavelli Staatssekretär der florentinischen Republik, und mehr als zwanzig Mal Gesandter an großen und kleinen Höfen, in den wichtigsten Angelegenheiten. Diese Aufträge führten ihn zu intimen Verhältnissen mit den mächtigsten Männern der Zeit: unter anderen mit dem Pandolfo Petrucci, der sich in Siena vom Führer einer Partei bis zum Oberhaupt des Staats emporgeschwungen hatte, und denselben von 1487 bis an seinen Tod, 1512, ungefähr durch Künste, wie sie Machiavelli lehrt, fast unumschränkt beherrschte. Dieser Petrucci hatte den Anfang seiner Größe damit gemacht, zwei der wichtigsten Personen der Gegenpartei aus dem Wege zu räumen, und ließ darauf seinen eigenen Schwiegervater, den Giovanni Borghese, einen sehr angesehenen und wegen seiner Gelehrsamkeit berühmten Mann, dessen Einfluß er fürchtete, ebenfalls ermorden. Er hielt es seinem Interesse angemessen, sich mit den Florentinern zu verbinden, und überließ ihnen Monte Pulciano, über dessen Besitz sie mit den Sienesern in einen alten Streit verwickelt waren. Bei der politischen Freundschaft zwischen dem Pandolfo und dem damaligen Gonfaloniere Piero Soderini, war Machiavelli nicht allein der Mittelsmann, sondern er unterhielt auch selbst eine genaue Verbindung und freundlichen Briefwechsel mit dem Tyrannen von Siena, wie der Geschichtsschreiber desselben3 ausdrücklich bemerkt. Die Medici wurden 1512 in Florenz wieder eingeführt. Gleich im ersten Jahr entspann sich eine Verschwörung gegen sie, deren Häupter Niccolo Valori und Giovanni Folchi, mit dem Leben büßten. Machiavelli geriet als Teilnehmer in Untersuchung, ward gefoltert und verbannt, bald darauf aber von der Familie, welche die Oberhand behalten hatte, wegen seiner großen Talente gesucht. Nicht volle zwei Jahre darauf zog ihn Papst Leo X. durch seinen Freund, den gemeinschaftlichen Landsmann und florentinischen Gesandten zu Rom, Veltori, über die verwickelten Angelegenheiten Italiens, und über die Verhältnisse zu den fremden Mächten, welche er als Staatssekretär der Republik und als Gesandter so genau kennengelernt hatte, zu Rate, wie aus den Briefen des Vettori erhellt. Aber noch näher als alles dieses lag dem Machiavelli die Frage, wie die Medici das wiedererlangte Übergewicht in ihrem Vaterland benutzen würden?
Die Ahnherrn ihres Geschlechts hatten, wie gesagt, als einfache Bürger die öffentlichen Angelegenheiten desselben aus ihrem Kabinett geleitet, ohne die äußere Dekoration einer höheren Würde zu verlangen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. In Frankreich, in Spanien, in Deutschland hatten sich seit kurzem kräftige Monarchien erhoben. Italien hingegen ward von inneren Zwistigkeiten zerrissen. Insbesondere war Mittelitalien voll kleiner Herren, die sich alles erlaubten, um zu der höchsten Gewalt in ihrer Vaterstadt, und zu der Herrschaft über kleine Distrikte umher, zu gelangen. Mehrere Päpste hatten mit einigem Erfolg gesucht, in ihren Familien Herrschaften zu gründen, die dahin führen konnten, die italienischen Freistaaten und Fürsten zu einem Bund unter Leitung eines angesehenen Oberhauptes zu vereinigen. So hatte sich das Haus della Rovere durch zwei Päpste, Sixtus IV. und Julius II., aus dem Staub zu der herzoglichen Würde von Urbino emporgeschwungen. Mit größerem Nachdruck hatte Alexander VI. seinen Sohn Cesare Borgia zu einem gefürchteten Herrn in Romagna gemacht. Leo X. konnte seinen Verwandten noch mit ganz anderer Kraft unterstützen, als Alexander den seinigen. Denn was der Spanier Borgia bloß durch sein päpstliches Ansehen zustande bringen mußte, das unternahm Leo mit dem ganzen Gewicht des Hauses Medici, welches im mächtigen und reichen Florenz so tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Ein Kind seiner Zeit war er nicht damit zufrieden, seinem Geschlecht die Lage im Vaterland zu sichern, in der sich seine Vorfahren befunden hatten. Der große Lorenzo war schon von der Lebensart derselben etwas abgewichen: er hatte sich mit einer Prinzessin Orsini vermählt, und seinen Reichtum angewandt, Landgüter zu kaufen, die mehr der Grundlage eines Fürstentums, als Privatbesitzungen eines Bürgers glichen. Leo X. machte seinen Neffen Lorenzo zum Herzog von Urbino, und legte es darauf an, diesem und nach ihm immer dem Haupt der Familie einen Anteil an der Regierung von Florenz zuzuwenden, der in seinem Umfang und in der Art der Ausübung einige Ähnlichkeit mit der Herrschaft hatte, die Augustus in Rom nach der Auflösung der Triumvirate führte.
Lorenzo ward Oberhaupt der Kriegsmacht, und führte den Titel: Il Magnifico (der Prächtige). In den öffentlichen Angelegenheiten durfte nichts ohne seine Genehmigung geschehen. Dennoch bestanden alle republikanischen Formen, und er überließ die gesamten Stellen in der Verwaltung Bürgern, die jedoch nur unter seinem Einfluß gewählt wurden. Im wesentlichen war es ebenso schon damals zugegangen, als seine großen Vorfahren regierten. Seit undenklichen Zeiten war aus republikanischer Eifersucht die obrigkeitliche Gewalt nur auf wenige Monate verliehen. Jahrhundertelang bildeten bald acht, bald zehn, bald zwölf Personen, unter dem Titel: Priori dell’ arti, Priori della Libertà, Otto della pratica, oder anderen Namen, den obersten Rat der Republik, der unter dem Vorsitz des Gonfaloniere meist alle zwei Monate wechselte. Die Personen, welche bestimmt waren, nach und nach einzutreten, wurden von einem Ausschuß von Bürgern auf eine Reihe von Jahren im voraus gewählt. Diesen Ausschuß aber setzte die mächtigste Partei des Augenblicks, die sich unter dem Namen balia eine außerordentliche Gewalt anmaßte, willkürlich zusammen. Bei diesem beständigen Wechsel der Staatsbeamten ward eine geheime Direktion der öffentlichen Angelegenheiten notwendig. Diese ging lange von dem Kabinett der Medici aus, und eben in jenen unaufhörlichen äußeren Veränderungen, wodurch die Verfassung den Anschein einer Demokratie erhielt, lag ein Mittel, das Ansehen der Familie zu befestigen, welche sich durch ihren Reichtum, ihre Verwandtschaften, den Verstand und die Regierungsweisheit einiger ausgezeichneten Häupter, einen so großen Anhang gemacht hatte. So oft die Medici nach einem kurzen Exil in ihr Vaterland zurückgekehrt waren, hatten sie die republikanischen Formen, die sie für sich selbst so vorteilhaft fanden, beschützt. Es scheint, Leo X. wollte ungefähr auf gleiche Art sein Vaterland beherrschen. Aber der ehrgeizige eitle Neffe, der mehr auf seinen Vater, den Piero, der wegen seines unverständigen Leichtsinns vertrieben war, als auf seinen weisen Großvater Lorenzo artete, verlangte mehr. Machiavelli, der ihn daran nicht hindern konnte, der weder in Florenz eine Partei hatte, die mächtig genug gewesen wäre, die Republik herzustellen, noch Einfluß genug auf den Papst, um die Angelegenheiten seines Vaterlandes auf diesem Wege zu leiten, wandte sich an den neuen Herzog von Urbino und gab ihm in dem Buch, welches er ausdrücklich für diesen Zweck schrieb, Ratschläge, wie er sich zum Herrn machen und wie er die Herrschaft behaupten könne. Von seiner persönlichen Verbindung mit diesem Fürsten ist übrigens nichts Näheres bekannt. Sein ganzes Leben in dieser Zeit ist beinahe noch völlig im Dunkeln.
Der frühe Tod des Herzogs von Urbino unterbrach 1519 die Pläne, die Machiavelli auf den unternehmenden Geist desselben gebaut haben mochte; nun benutzte er seine Verbindung mit dem Papst Leo, diesem einen Entwurf vorzulegen, wie Florenz durch eine neue Verfassung beruhigt werden könne, indem die Liebe der Einwohner zur Republik befriedigt, und zugleich dem Papst Leo ein dauernder Einfluß auf dieselbe für die Zeit seines Lebens gesichert würde. Diesen Entwurf wird jeder, der die Geschichte von Florenz seit dem Tode des großen Lorenzo, die Parteien, die das Gemeinwesen zerrissen, ihre Wünsche und die Bedürfnisse des Staats aus den Quellen kennengelernt hat, für ein Meisterstück erkennen. Der Verfasser desselben hatte nicht die Befriedigung, seine Ideen ausgeführt zu sehen, die vermutlich dem Ehrgeiz der Medici noch nicht genug einräumten.
Lorenzo war so jung gestorben! Papst Leo folgte ihm bald darauf in seinen besten Jahren. Dennoch entstand keine Veränderung in der Lage des florentinischen Staates. Das Schicksal rief viele Generationen hindurch die einzelnen Häupter der Medici frühzeitig ab: der Familie hatte es die Herrschaft von Florenz bestimmt. Seit dem großen Cosmus war kein bedeutender Medici fünfzig Jahre alt geworden; aber so oft einer aus diesem Haus den Schauplatz verließ, trat allemal ein anderer wieder auf, freilich mit sehr verschiedenem Maße von Talenten ausgerüstet, und mit abwechselndem Glück. Jetzt traf die Reihe den Julius, der zuerst als Kardinal und bald darauf als Papst Clemens VII. Haupt der Familie ward. Von ihm hing nunmehr das Schicksal der Republik ab. Eine Partei, die aus den vorzüglichsten jungen Männern von Florenz bestand, mit denen Machiavelli in der intimsten Verbindung lebte, und zu deren Belehrung er seine Betrachtungen über den Livius geschrieben, die zweien derselben, dem Zanobi Buondelmonti und Cosimo Ruccellai, zugeeignet sind, – dieser Club, der von den Gärten Ruccellai, wo er sich versammelte, benannt ward, machte Pläne zu einer Herstellung der Republik, die dem Kardinal Giulio vorgelegt wurden. Die Hoffnung, die man auf seine anscheinende Mäßigung gebaut hatte, ward vereitelt. Er bewies auch hier die furchtsame verschlossene Falschheit, die sein ganzes Leben charakterisiert. Er hatte nie die Absicht gehegt, zu willfahren, oder er änderte seine Entschließung, als er sah, wohin die Pläne, die man ihm angab, führen würden. Aber der Patriotismus jener Freunde der Freiheit war ernstlich gemeint. Sie machten (1523) Anstalt, ihren Entwurf mit Gewalt auszuführen, und den Kardinal, der im Wege stand, wegzuräumen. Die Verschwörung ward entdeckt. Luigi Alamanni und Jacopo da Diaceto verloren das Leben auf dem Blutgerüst. Zanobi Buondelmonti, ein anderer Ludovico Alamanni, (dem Machiavelli sein Leben des Castruccio Castracani zugeeignet hat), Batista della Palla, Anton Bruccioli und einige ihrer Anhänger geringeren Standes wurden verbannt. Machiavelli war ebenfalls in diese Unternehmung verwickelt: er entfloh.4 Die Medici fühlten sich noch nicht stark genug, den republikanischen Geist der Florentiner zu unterdrücken: sie versuchten es, ihn einzuschläfern, indem sie die letzten Vorfälle möglichst geschwind vergessen ließen. Der Kardinal fürchtete Erbitterung zu erregen, die seinen Absichten auf den päpstlichen Stuhl hinderlich gewesen wäre. Als er diesen ein Jahr darauf wirklich bestieg, suchte Machiavelli sich wieder an ihn anzuschließen, und erhielt Aufträge von Wichtigkeit, von ihm und von der florentinischen Regierung. Wenige Jahre darauf erlaubten die Umstände noch einen Versuch zur Wiederherstellung der Republik zu machen. 1527 wurden die Medici aufs neue vertrieben und die Freiheit proklamiert. Machiavelli erschien sogleich in seiner Vaterstadt. Allein die Bemühungen seiner Freunde Zanobi Buondelmonti und Luigi Alamanni, ihn in den Rat von zehn Männern wählen zu lassen, dem die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten übergeben werden sollte, wurden durch die allgemeine Abneigung vereitelt, die das Volk gegen den Ratgeber der Medici und den Verfasser des Buchs vom Fürsten gefaßt hatte. Vergeblich suchte er die Schrift zu unterdrücken, welche seine Gesinnungen so verdächtig machte.5Der Verdruß über die fehlgeschlagenen Versuch, sich wieder zu heben, hatte vermutlich Anteil an seinem Tode, der bald darauf erfolgte.
Die Republik, die der Enthusiasmus des Volks unter günstigen Umständen errichtet hatte, unterlag nach zwei Jahren der vereinten Macht des Papstes und des Kaisers. Nachdem Clemens VII. sie durch Unterstützung Karl V. bezwungen hatte und mit ihr nach Gefallen walten konnte, erneuerten die Freunde des Machiavelli zum letzten Mal ihre Bemühungen. Sie baten den Papst, neben der ersten Stelle in der Republik, die er seinem angeblichen Neffen Alessandro zuwenden wollte, die Hauptzüge einer republikanischen Verfassung bestehen zu lassen, welche schon Machiavelli dem Papst Leo X. empfohlen hatte. Das wesentliche dieses Entwurfs, wodurch die Bürger einen wirklichen Anteil an der Verwaltung des Staats erhalten hätten, verwarf Clemens: den Anschein behielt er anfangs bei, nahm bald aber auch dieses Schattenbild eines Gemeinwesens weg. Alessandro ward 1531 unumschränkter Herr, und genoß seine Größe als ein echtes Kind des Glücks, das weder durch Talente, noch durch eigene, seien es rühmliche, seien es ruchlose Unternehmungen, sondern bloß durch die Macht eines anderen erhoben war. Mit Dirnen und Buhlknaben, wie Tacitus vom Domitian sagt, spielte er den Fürsten, zog Schmausereien und Maskenbälle fürstlichen Beschäftigungen vor, zu denen es ihm mehr an Lust als an Geschicklichkeit fehlte, und erhielt nach fünf Jahren von einem Vetter Lorenzino von Medici den Lohn seiner Nichtswürdigkeit, ohne daß dieser Mord den florentinischen Republikanern zugute gekommen wäre. Ein anderer Medici, Cosmus, ward 1536 zum Herzog ausgerufen, und nach einem Sieg über die republikanische Partei, die sich zum letzten Mal unter Anführung des Filippo Strozzi erhob, wirklicher Beherrscher von Florenz. Dieser beruhigte endlich das Volk: er bezähmte die Widerspenstigen, besänftigte die Gemüter, lähmte jede gefährliche Kraft, schmeichelte dem Talent, beschenkte, versorgte, ehrte alle, die berechtigte oder unberechtigte Ansprüche machten6; und erstickte damit das ganze Geschlecht vorzüglicher Männer aller Art, wodurch Florenz bis auf seine Zeiten als der hellste Stern in der neuern Geschichte der Kultur des menschlichen Geistes geglänzt hatte.
In die Mitte dieser Periode fällt das Leben des Machiavelli (von 1469 bis 1527). In der an Talenten, Künsten und Wissenschaften aller Art reichen Stadt, in einem Volk, das sich durch den lebhaftesten Verstand und die heftigsten Leidenschaften auszeichnete, unter den Stürmen einer unsicheren Verfassung und den häufigen Katastrophen derselben war er selbst unaufhörlich tätig. Die Geschäftswelt hatte ihn gebildet. Der eigenen Erfahrung verdankte er es, daß er aus den großen Schriftstellern des Altertums mehr lernte, als andere darin finden. Sie gab seinem Urteil über die frühere Geschichte und über die Ereignisse seiner Zeit die treffende Schärfe, die man immer mehr bewundert, je mehr man seine Bemerkungen mit dem vergleicht, was seinem Vaterland nach seinem Tode widerfuhr. Die Verhältnisse, in die er verwickelt war, hatten ihm das Innere der Republiken und die Geheimnisse der Fürsten aufgedeckt. Er verstand sich auf die Politik jeder Partei. Man findet ihn aber auch in den entgegengesetztesten Fraktionen.
Er liebte die Verfassung, in der er geboren und so lange Zeit auf die glänzendste Art tätig gewesen war. Aber er mochte wohl in gewissen Augenblicken daran verzweifeln, eine dauernde Republik in Florenz hergestellt zu sehen. Er zeigt selbst im 17. Kapitel des dritten Buchs seiner Discorsi, daß ein verdorbenes Volk sich schwerlich bei der Freiheit erhalten könne; und im folgenden Kapitel, daß es ebenso schwer sei, die verlorene Freiheit wieder herzustellen. Er sagt es geradeheraus, einem solchen Volk sei es besser, daß sich seine Staatsverfassung der Alleinherrschaft eines Einzigen nähere: und die Anwendung auf sein Vaterland liegt nahe genug!
Im Anfang des siebenten Buchs seiner Geschichte bemerkt er, daß die inneren Uneinigkeiten das Leben der Republiken ausmachen, und ihre Stärke vermehren, so lange sie nicht in Anhang einzelner Häupter oder Familien ausarten; sobald aber dieses eintritt, den Staat schwächen und das Wesen der Republik vernichten. In Florenz, sagt er selbst, waren alle inneren Zwistigkeiten von dieser verderblichen Art. „Daher wissen die Florentiner die Freiheit nicht zu behaupten, und können die Knechtschaft nicht ertragen.“
In der Tat, wenn man die innere Geschichte von Florenz überdenkt, deren letzte Katastrophen oben angegeben sind, so findet man, daß die Republik in den schlechten Zeiten nur elende Anarchie, in den besseren maskierte Monarchie gewesen war.
Von der früheren Zeit sagt Machiavelli im Anfang des dritten Buchs seiner Geschichte: „Die inneren Uneinigkeiten, welche in Rom Wetteifer und Streit erregten, sind in Florenz sehr früh in Fraktionen und inneren Krieg ausgeartet. In Rom veranlaßten sie neue Gesetze, um abzuhelfen: in Florenz endigten sie stets mit Mord und Verbannung angesehener Bürger. In Rom dienten sie dazu, daß einzelne große Häupter sich erhoben. In Florenz haben sie alles gleich gemacht. In Rom wollte das Volk der größten Ehren gleich dem Adel teilhaft werden. In Florenz wollte es ausschließlich herrschen. Die neuen erzwungenen Gesetze waren daher ungerecht gegen den Adel. In Rom wurden die Niedriggeborenen immer edler und fähiger, die Stellen zu bekleiden, nach denen sie strebten. Durch ihre zunehmende Kraft und Talente ward der Staat groß. In Florenz wurden die Edlen aus den öffentlichen Ämtern vertrieben, und mußten dem niedrigen Volk gleich werden, um zu jenen zu gelangen. Die edlen Eigenschaften, wodurch die Männer aus dem Volk in Rom den Edelgeborenen gleich zu werden trachteten, wurden in Florenz auch im Adel ausgelöscht. So ward der Staat immer niedriger und verächtlicher. So wie Rom durch den Übermut der Bürger dahin geriet, daß es nicht mehr ohne einen Herrn bestehen konnte, so kam es mit Florenz dahin, daß jede Verfassung durch eine geschickte Hand aufgedrungen werden konnte.“
Die alten Zwistigkeiten des Adels mit dem Volk, von denen Machiavelli hier redet, endigten um die Mitte des 14. Jahrhunderts mit der Tyrannei des Herzogs von Athen7, der den Florentinern durch neapolitanische Waffen aufgedrungen ward. Aber nach der Vertreibung desselben teilte sich das Volk aufs neue in Fraktionen der Bürger und des gemeinen Pöbels, welche abermals den Staat zerrissen, bis die Familie Medici im 15. Jahrhundert mächtig genug ward, ihm Festigkeit und innere Ruhe zu geben, die jedoch von Zeit zu Zeit durch gewaltsame Katastrophen unterbrochen ward. Als dieser Zustand 1492 mit dem Tode des Lorenzo von Medici endigte, und das ganze Geschlecht desselben vertrieben ward, lebte der demokratische Geist wieder auf. Aber in einem Staat, in dem man so wenig Bürgergeist, dafür desto mehr Parteiwut kannte, war es nicht möglich, einen dauerhaften Zustand zu begründen. Die Familie der Medici, welche sechzig Jahre lang (von 1432 bis 1492) mit so großem eigenen Ruhm ihr Vaterland zu Größe, Ehre und Ruhm geführt, und innerlich einigermaßen ruhig gehalten hatte, konnte dies nur dadurch bewirken, daß sie den Staat durch eine Partei regierte, die sich hinter republikanische Formen versteckte, ohne dem Volk wahren Anteil an der Verwaltung zu verstatten. Sie hatte beständig, wie man sich in unseren Tagen ausdrücken würde, eine Art von revolutionärer Regierung geführt. Sie behaupteten nämlich, wie Machiavelli ihnen vorwirft, daß Florenz nicht anders regiert werden könne, als durch eine von fünf zu fünf Jahren zu wiederholende außerordentliche Maßregel, (Ripigliar lo Stato genannt), wodurch die gefährlichen Bürger willkürlich aus der Stadt oder von öffentlichen Ämtern entfernt, diese aber ebenso willkürlich mit Hintansetzung aller vorgeschriebenen Formen besetzt wurden: das heißt, sagt Machiavelli, alle fünf Jahre den Schrecken und die Furcht erneuern, wodurch das erste Mal diejenigen Menschen in die Flucht geschlagen waren, welche, mit den Medici zu reden, schlecht gehandelt hatten.
Wahrlich, eine schöne Republik, in welcher die Formen, Gleichheit und Teilnehmung so vieler Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten vorspiegeln, in der Tat aber eine Familie unumschränkter herrscht, als ein Fürst nur immer könnte; wo diese Familie um desto eifersüchtiger alle entfernt, deren Ansprüche sie fürchtet, weil sie das öffentlich anerkannte Recht allezeit gegen sich hat! Cosmus ist ein großer Mann, Lorenzo ein noch größerer Mann gewesen. Aber ist der Staat frei zu nennen, wo solche Männer ausschließlich regieren, und die anderen alten Geschlechter angesehener reicher Bürger, in der Verzweiflung ihr Recht nicht durchsetzen zu können, zu verräterischen Anschlägen ihre Zuflucht nehmen?8 Wo die Soderini sich herablassen müssen, Klienten zu werden, und den Pazzi, unterdrückten Nebenbuhlern, nur Meuchelmord übrig bleibt, um sich Luft zu machen: wo daher selbst ein Mann wie Lorenzo von Medici seines Lebens nicht sicher ist!
So dachte Machiavelli über die Verfassung seines Vaterlandes vor dem Exil der Medici: das beweist der ganze Ton aller seiner Schriften, in denen er von den großen Männern aus jenem Haus stets mit Lob redet, ihre Nebenbuhler und die Verschwörungen gegen sie nie tadelt.
Nach der Vertreibung dieser herrschenden Partei, 1494, war zwar eine republikanische Verfassung hergestellt, allein es hatte weder der demokratische Fanatiker Savonarola, den das Volk eine Zeitlang als einen Propheten verehrte, und als er einige Prophezeiungen vorbrachte, die nicht gefielen, mit Jubel verbrennen sah; noch der redliche Freund republikanischer Gleichheit und allgemeiner Gerechtigkeit, Piero Soderini, der einige Jahre als Gonfaloniere vergebliche Bemühungen anwandte, die Verfassung zu befestigen, etwas Dauerndes zustande bringen können. Dem letzten wirft Machiavelli vor, daß er sich die eitle Hoffnung gemacht, allen gärenden Stoff im Staat durch Geduld und Güte zu beruhigen, die Feindschaften mit Wohltaten auszulöschen, und die Republik dadurch zu befestigen, daß er selbst das Beispiel gab, die Gesetze nie zu übertreten. Ein solcher Charakter kann nicht verfehlen, die allgemeinste Hochachtung zu erregen: er wird sogar von den Feinden der öffentlichen Ruhe gepriesen, – von diesen aber eigentlich, weil seine Tugenden ihnen selbst ihr Spiel erleichtern. Etwas kräftiger noch drückte Machiavelli sein Urteil in einem Sinngedicht aus, das er in einer launigen Stunde auf seinen demokratischen Freund und Gönner machte.
In der Nacht, da Piero Soderini starb, fuhr die arme Seele zur Hölle hinab. Törichter Geist, rief Pluto ihr entgegen, was willst du in der Hölle? Geh du zum unschuldigen Kinderteich!
Machiavelli behauptet, und das wohl nicht mit Unrecht, daß Soderini eine außerordentliche Gewalt hätte anwenden müssen, um sich in den Stand zu setzen, für die Zukunft eine Herrschaft der Gesetze zu gründen. „Wenn in einem verdorbenen Zustand der Dinge noch etwas zu hoffen ist“, sagt er, „so ist es von einem mächtigen Mann, der sich vorläufig zum Herrn aufwirft, um eine freie Verfassung vorzuschreiben. Auf andere Art ist es unmöglich.“
Wer die Eigenschaften besitzt, wodurch man sich zur Herrschaft emporschwingt, der wird sich freilich nicht dazu verstehen, einen solchen Gebrauch von ihr zu machen: und das wußte Machiavelli selbst sehr gut. Indessen könnte er dennoch wohl einen Plan entworfen haben, durch einen anderen und auf andere Art auszuführen, was damals fehlgeschlagen war. Den, der geboren ist zu handeln, kann sein eigenes treffendes Urteil, die vollkommenste Kenntnis der Welt, die lebendigste Überzeugung, daß nichts mehr auszurichten stehe, nicht abhalten, Versuche zu machen, die ihm selbst vergeblich scheinen. Er sieht ein, daß es besser wäre, alle Pläne aufzugeben, wenn die Werkzeuge zu ihrer Ausführung nichts taugen. Er verspottet vielleicht die eitle Hoffnung derer, die es unternehmen, mit schwachen törichten Menschen Dinge auszurichten, wozu Kraft, Verstand, Beharrlichkeit nötig sind. Und in demselben Augenblick entwirft er selbst wieder Pläne, die Verstand, Mut, Beharrlichkeit erfordern: weil der Mann von kräftigem Verstand immerfort unwillkürlich solche Entwürfe gebiert, wie ein tüchtiger Baum gute Früchte trägt.
Das ist nicht poetische Schwärmerei. Es gibt solche Menschen, und die größten Dinge geschehen durch solche, die sich nicht lange besinnen, ob ein edler Entwurf ausführbar sei; die nicht warten zu beginnen, bis der Zufall und andere Menschen das Beste getan haben; sondern die im Vertrauen auf die gute Sache wagen, und hoffen, die Umstände werden ihnen zu Hilfe kommen. Diese finden denn auch oft unerwartete Unterstützung: denn sie selbst beleben andere, und wecken Kräfte, deren Dasein man nicht ahnte, weil sie ohne solchen Antrieb nie erwacht wären.
Auf Machiavelli möchte dies alles freilich nicht recht anwendbar sein. Der dachte immer zunächst daran, was ausgeführt werden könnte.
Wenn es nun aber durchaus unmöglich war, die Verfassung aufrecht zu halten, auf die sich alle Entwürfe in glücklichen Zeiten bezogen, und die Notwendigkeit einleuchtete, sich neuen Verhältnissen zu unterwerfen, so konnte auch wohl ein redlicher Freund der bürgerlichen Gleichheit dahin gebracht werden, ihr nicht bloß zu entsagen, sondern selbst Hand anzulegen, etwas Erträgliches zu schaffen, um nicht das Unerträgliche untätig zu leiden. So haben auch in Florenz späterhin, als das Schicksal durch den Untergang des Filippo Strozzi die letzten Auswege zur Herstellung der Republik versperrt hatte; als alles, was sich auf das Alte bezog, Entwürfe des Staatsmannes und Verpflichtungen des Bürgers, gleich Träumen verschwanden; als nichts mehr existierte, worauf eine Hoffnung gegründet werden konnte, und die neuen Verhältnisse unter der schnell entwickelten Übermacht Karls V. es durchaus erforderten, daß Florenz einen Herrn erhalte, der sich des mächtigen kaiserlichen Schutzes sicher halten konnte, die geistvollsten und angesehensten Männer der Republik den Herzögen gehuldigt.
Unter allen diesen Umständen, aber auch nur unter solchen, konnten Männer von Ehre zu der neuen herrschenden Partei übertreten. Machiavelli tat diesen Schritt sehr früh, und wie es sich bald zeigte, voreilig.
Es war zwar schon zu seiner Zeit manches geschehen, das eine innere große Veränderung in Italien notwendig nach sich ziehen mußte. Franzosen, Spanier, Deutsche kämpften um den Besitz dieses schönen Landes. Durch innere Uneinigkeit war es dahin gekommen, daß es schien, die Frage könne nur sein, welche auswärtige Macht Herr werden solle. Das Volk haßte alle diese Fremden in dem Grade, wie die südlichen Völker hassen, und wie der Unwille unterdrückter und mißhandelter Völker haßt. Aber wie konnten die Italiener die Unabhängigkeit wieder erlangen, die für jedes Volk, das eigentümliche Denkart, Sitten, Sprache, Gesetze und Verfassung hat, das höchste Gut, und die Bedingung aller Glückseligkeit ausmacht? Dazu mußten die gesamten Kräfte der Nation in Verbindung gebracht werden, und eine einzige Richtung erhalten. Dies konnte im damaligen Augenblick schwerlich durch einen anderen geschehen, als durch einen Medici. Wenn denn Italien der Herrschaft der Barbaren auf keine andere Art entrissen werden kann, und er das Vaterland nicht anders erlösen will, als wenn Florenz sich unterwirft, – nun so herrsche Lorenzo über Florenz und über Italien. Wenn er das Land befreit haben wird, so mögen sich die Florentiner selbst wieder von ihren Tyrannen befreien und die Republik herstellen, – wenn sie können. So mag Machiavelli gedacht haben, als er dem Lorenzo den Weg zeigte, zur Herrschaft zu gelangen: damit mag mancher Italiener einverstanden gewesen sein.
Eine solche Entsagung konnte ihm lange nicht so viel kosten, als anderen Anhängern der Republik. Seine Liebe zu ihr war ernstlich: aber sie beruhte nicht auf dem tiefen Gefühl des Bürgers, dem Gleichheit das erste Gut ist, und der alles lieber duldet, als jemanden über sich zu sehen. Sie entsprang nicht aus unerschütterlicher Anhänglichkeit an väterliche Sitte und ererbte Verhältnisse. Das Nachdenken über vergangene Zeiten und Beobachtung der neuen hatte ihn gelehrt, daß in republikanischen Staaten die Leidenschaften geistvoller Männer den größten Spielraum erhalten. Aus diesem Gesichtspunkte beurteilt er in seinen Diskursen über den Livius die römische Republik. An der Erhaltung des Bestehenden lag ihm wenig. Ihm kam es nur darauf an, seinen Trieb zu unruhiger Tätigkeit zu befriedigen. Fand in seinem Vaterland die Verfassung nicht mehr statt, die er selbst vorgezogen hätte, so ergriff der von Catonischem Eigensinn weit entfernte praktische Geist, dem auf echt Italienisch virtù nur Tatkraft und Verstand sie zu leiten bedeutete, mit eben der Lebhaftigkeit die Idee, die den neuen Umständen und den Gesinnungen der Mächtigen angemessen war, und ließ sie ebenso geschwind wieder fahren. Machiavelli hat nicht etwa in einer großen Katastrophe seine Grundsätze verändert und ist zu einer Gegenpartei einmal übergetreten: sondern er hat sich bald der einen, bald der anderen ergeben, und nur darauf gedacht, für den Augenblick den Entschluß zu fassen, der ihm der klügste dünkte, weil er in den Verhältnissen des Tages der ausführbarste schien. Er hielt es damals für unvermeidlich, daß Florenz sich unterwerfe: so gab er dem Lorenzo Ratschläge, um ihm die Herrschaft zuzuwenden, damit er es sei, dem der neue Fürst sie, wenigstens zum Teil, verdanke.
Wer das wollte, durfte nicht vielen Bedenklichkeiten über die Wahl der Mittel Gehör geben: und alles, was in der Zeit vorging, hätte auch wohl einen Mann von strengerer Sittlichkeit, als Machiavelli, verleiten können, sich über das Gefühl der Menschlichkeit, die gewissenhafte Redlichkeit und die Scheu vor moralischen Geboten wegzusetzen, um einen großen Plan zum Besten des Volks auszuführen. Auch ein solcher hätte wohl sagen können: es muß einmal regiert werden, damit das Volk der Erfüllung seiner eigenen Wünsche teilhaft und glücklich werden könne; welches letztere wieder in Machiavellis und seiner Zeitgenossen Sinne nichts anderes heißt, als politische Leidenschaften befriedigen. Da sich aber die Völker nicht demjenigen unterwerfen, der durch sittliche Vorzüge über sie hervorragt, und durch diese verdiente zu regieren, so möge denn derjenige, der zu herrschen versteht und die Herrschaft zu ergreifen vermag, sich derselben auf jedem Wege bemächtigen, auf dem man zu ihr gelangt.
Die Geschichte der Zeit enthält nichts als Mord, Treulosigkeit, Verräterei, Gewalttätigkeit durch gedungene Streiter. Was zur Herrschaft führt, ist gut: so der allgemeine Wahlspruch. Jeder erlaubte sich alles, was den Weg dazu bahnen konnte: alle aber verfehlten ihren Zweck, weil sie nicht Einsicht genug hatten, die rechten Mittel zu wählen, und weil es ihnen in der gefährlichen Unternehmung an der Selbstbeherrschung fehlte, die dem Mächtigen so schwer wird, und doch so nötig ist, zu verfolgen. So ging jeder Gewalthaber zugrunde, die ganze Nation ward eine Beute fremder Eroberer. Machiavelli sah, daß der neue Herzog von Urbino denselben Weg betreten würde, auf dem so viele vor ihm verunglückt waren. Wenn denn niemand Anstand nimmt, Verbrechen zu begehen, wodurch er zur Herrschaft zu gelangen hofft, so begeht, ruft Machiavelli dem zu, der danach strebt, so begeht Eure Untaten doch nur so, daß sie auch wirklich zum Zweck führen.
Die Lehren, welche Machiavelli hierzu erteilt, haben den eigentümlichen Charakter, der alles auszeichnet, was aus dem wirklichen Leben geschöpft ist. Sie sind nicht bloße Erzeugnisse des Nachdenkens, Resultate allgemeiner Beobachtungen. Sie haben die ergreifende Wahrheit der Gemälde, dergleichen das überlegenste Talent nicht hervorbringt, ohne durch wirkliche Anschauung belebt zu sein. Man hatte in Italien oft genug gewaltige Menschen auftreten sehen, die sich in dem leidenschaftlichen Streben nach der Herrschaft über jede Beschränkung durch Gesetz, sittliches Gefühl und menschliche Empfindung gänzlich wegsetzten. Aber keiner von ihnen hatte das Maß des Verstandes besessen, ohne den die Immoralität sich selbst zugrunde richtet. In Cesare Borgia, mit dem Machiavelli durch Verhandlungen über die Angelegenheiten seines Vaterlandes in genaue Verbindung geraten war, glaubte er das vollendete Ideal eines Mannes zu erkennen, der das wirklich leisten könnte, wonach so viele vergeblich gestrebt hatten. Von dieser Vorstellung war er ergriffen. Alles, was er über die Gesinnungen und Talente geschrieben hat, die zur Befriedigung der Herrschsucht führen können, ist durch das Bild von jenem Unhold, der durch die Schärfe des Verstandes und Entschlossenheit des Geistes anderen ebenso schlechten Menschen so sehr überlegen war, beseelt.
Lorenzo von Medici war nicht der Mann, etwas Ähnliches zu leisten. Er konnte wohl durch den Einfluß seines Oheims, des Papstes Leo, Herzog von Urbino werden, aber nicht Herr von Florenz, noch weniger Haupt eines italienischen Bundes. Hat Machiavelli ihn nicht genug gekannt? Oder hat er ihm den Rat, sich zur Herrschaft emporzuschwingen, vielleicht so gegeben, wie er selbst im dritten Buch seiner Diskurse im fünfunddreißigsten Kapitel sagt, daß man den Großen raten müsse? „Diejenigen“, heißt es hier, „welche einer Republik oder auch einem Fürsten raten, kommen in ein Gedränge, indem sie ihre Pflicht verletzen, wenn sie nicht ohne alle andere Rücksicht den Rat erteilen, der ihnen für den Staat oder den Fürsten der nützlichste scheint; so oft sie aber wirklich solche Ratschläge angeben, Gefahr laufen, das Leben oder doch ihre Stelle zu verlieren: weil alle Menschen doch darin blind sind, daß sie jeden guten oder schlechten Anschlag nur nach dem Ausgang beurteilen. Ich sehe keinen anderen Ausweg, als seine Meinung ohne Leidenschaft und mit Mäßigung vorzutragen, so daß der Fürst, wenn er sie befolgt, seinen eigenen Willen zu tun glaube, und daß er nicht vom Ratgeber mit Ungestüm verleitet zu werden scheine. Wenn du auf diese Art deinen Rat erteilt hast, so ist es nicht wahrscheinlich, daß Volk oder Fürst dir übel wollen werden, da dein Rat nicht gegen den Willen anderer durchgesetzt worden. Die Gefahr entsteht, wenn viele widersprechen, die, wenn die Sache übel ausfällt, sich vereinigen, den Ratgeber zu stürzen. Bei jenem Verfahren geht freilich der Ruhm verloren, der einzuernten ist, wenn man Ratschläge gegen den Willen vieler durchsetzt, und die Sache gut ausfällt: aber dagegen entstehen zwei Vorteile. Erstens wird die Gefahr vermieden, und zweitens kannst du große Ehre einlegen, wenn du einen Rat mit Mäßigung erteilst, derselbe nicht befolgt wird wegen des erhobenen Widerspruchs und der Ratschläge anderer, und alsdann großes Ungemach entsteht.“
Hat Machiavelli vielleicht seine Anschläge, zur Herrschaft zu gelangen, dem Lorenzo von Medici in diesem Sinne gegeben? Hatte derselbe Verstand genug, sie ganz zu fassen, Urteil genug, sie richtig anzuwenden, Dreistigkeit und Beharrlichkeit, sie auszuüben – gelang alles: gut, so verdankte er seine Größe dem Unterricht, und der Ratgeber konnte auf alle Belohnungen Anspruch machen, die einen solchen Dienst bekrönen. Fehlte es in irgendeinem Stück, so fiel Lorenzo durch seine eigene Schuld. Er hatte nicht recht begriffen, nicht recht angewandt, oder die Ausführung war unvollkommen gewesen. Warum unternahm er ein so schweres Werk, dem er nicht gewachsen war, und dessen ganze Schwierigkeit Machiavelli ihm selbst so lebendig vor Augen gestellt hatte? Diesem blieb alsdann immer noch übrig es zu machen, wie der Graf von Shaftesbury, der dem König Karl II. Ratschläge gab, die die Freiheit der englischen Nation untergruben, und darauf selbst diesen übermütigen, leichtsinnigen und dennoch hinterlistigen Fürsten, da er seine Sache verdorben hatte, im Parlament wegen jener Verrätereien gegen die Nation anklagte.
Warum hätte Machiavelli Bedenken tragen sollen, selbst mit einem Fürsten ebenso umzugehen, wie er diesen lehrt, andere Menschen zu behandeln, die ihm zu Werkzeugen dienen? Wir haben keinen Timoleon vor uns, keinen Junius Brutus, keinen Hampden, keinen Wilhelm Tell: sondern den verschmitzten Unterhändler am französischen Hof, Freund des Tyrannen von Siena, Verehrer des Königs aller Teufel seiner Zeit, des Cesare Borgia. Der Staatsmann muß auch mit solchen Menschen umzugehen wissen. Er muß sich darauf verstehen, sie zu behandeln; er muß seine Gefühle in sich verschließen können, um unvermeidliche Verhältnisse mit ihnen zu benutzen, oder doch unschädlich zu machen. Aber das unaufhörliche Treiben in solchen Verbindungen ist stets gefährlich. Es ist sehr schwer, dabei sein eigenes Gemüt unbefleckt zu erhalten. Die Gewohnheit, seine Empfindungen zu verleugnen, stumpft sie ab. Man vergißt am Ende die natürlichsten Gesichtspunkte, die einfachsten Wahrheiten, und wird durch die Kunstgriffe seines eigenen Verstandes aus seinem wahren Charakter herausgeworfen: man weiß selbst nicht, wie.
Ein Werk, wie das Buch vom Fürsten, einem großen Herrn vorzulegen, und es von sich bekannt werden zu lassen, daß man solche Ratschläge gebe, war ein gewagtes Stück. Aber Machiavelli überließ sich der politischen Intrige mit vollkommener Zuversicht zu sich selbst. Er glaubte damit spielen zu können, weil er sich auf seine Kraft des Verstandes, die Sicherheit seines Urteils und seine dreiste Entschlossenheit verließ. Wie manche Menschen, denen niemand diese Vorzüge zugestehen wird, möchten ihm dennoch gern nachahmen! Alle, die sich ihn zum Muster nehmen und mit einer Geschmeidigkeit des Verstandes, die sie Machiavellisch nennen, die Schwäche ihres Charakters, ihre Eitelkeit, ihren Leichtsinn zu beschönigen suchen, mögen sich zur Warnung dienen lassen, was ihrem angeblichen Vorbild begegnete, als der Tod des Herzogs von Urbino Gelegenheit zu neuen Versuchen für die Herstellung der Republik gab, und einer derselben endlich gelang. Welchen häßlichen Kontrast damit bildete das Buch vom Fürsten! Der Verfasser hätte das Meisterstück seiner Feder gern unterdrückt: aber es hatte sogleich, nachdem er es aus den Händen gegeben, zu viele Bewunderer gefunden: so verlor er den endlichen Lohn so vieler gefahrvoller und mit schwerem Leiden verbitterter Unternehmungen, weil er nicht, einer Partei standhaft ergeben, mit Beharrlichkeit hatte erwarten mögen, ob das Schicksal ihr vergönnen würde, das Haupt wieder zu erheben.
Wer unter allen Umständen etwas bedeuten will, jedem Herrn und zu jedem Zweck dient, nur damit er etwas gelte, verfehlt das Ziel, nach dem er mit allzu großer Begierde sich übereilt. Aller Aufwand von Verstand und Talenten ist unzureichend, um eine wirklich große Rolle zu spielen: dazu gehört ein großer Charakter. Durch die allzu rege unruhige Eitelkeit wird das schärfste Urteil irre gemacht, und die Dreistigkeit im Denken ist oft nur eine Versuchung mehr, sich verderblichen Anschlägen zu überlassen. Überhaupt hat derjenige, der mit besonnener Mäßigung nach dem Besitz äußerer Güter strebt, weit mehr Wahrscheinlichkeit sie zu erhalten, als der, dem sie um keinen Preis zu teuer sind, und der sie unter jeder Bedingung besitzen will. Der Eigensinn der rastlosen Begierde erregt gemeiniglich selbst unüberwindliche Schwierigkeiten. Sogar die öffentliche Achtung, welche den Gegenstand des edelsten Triebes ausmacht, darf nicht allzu begierig gesucht werden. Sie ist von der freien Gesinnung der Menschen, mithin auch von ihrer Laune abhängig. Sie läßt sich nicht abbringen, folgt aber freiwillig dem, der sie verdient, ohne sie zu begehren. Bemerken die Menschen, daß man sich ängstlich um ihren Beifall bemüht, so widerstrebt ihre Selbstsucht. Der Neid versteckt sich hinter dem Vorwand, es sei nur auf die Befriedigung des Ehrgeizes und der Herrschsucht abgesehen. Wer sich aber nicht in seinen Bemühungen für Zwecke, die den Beifall der Menschen verdienen, durch die Begierde nach dem Genuß dieses äußeren Lohns irre machen läßt, und niemals seinem eigenen Bewußtsein die fremde Bewunderung vorzieht, dem wird auch diese letzte nicht entgehen.
Wenn man das Buch vom Fürsten richtig schätzen will, so muß man nicht vergessen, daß der Verfasser nirgends in der Geschichte als Hauptperson erscheint, sondern immer nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es rührt von einem trefflichen Beobachter her, der in die handelnde Welt mit eingegriffen hatte, sich aber nicht berufen fühlte, seine Lehren selbst in Ausübung zu bringen. Die Schriften solcher Männer, welche die Grundsätze, die sie aufstellen, aus ihren eigenen Handlungen nehmen, haben einen ganz anderen Charakter. Vielleicht ist mehr Wahrheit in den Erzählungen einfacher Beobachter; denn es hat doch schwerlich jemals ein Mann, der große Dinge geleistet hatte, von sich selbst geschrieben, ohne daß sein Wunsch, der Welt etwas anderes zu erscheinen als in seinem eigenen Bewußtsein, einigen Einfluß auf seine Darstellung gehabt hätte. Aber dagegen sprechen die Empfindungen mit mehr Lebendigkeit in den Werken derer, die von eigenen Handlungen reden. Es ist doch etwas anderes, zu sagen, was man selbst getan, oder in allem Ernst bereit ist zu tun; oder Pläne anzugeben, die andere ausführen sollen. Bei diesen Spielen des Verstandes setzt man sich über alles weg: sobald man aber selbst handeln soll, erscheinen die Dinge ganz anders, und alsdann lassen die Einwendungen des Gewissens sich nicht so abweisen. Es ist noch immer die Frage: ob Machiavelli, wenngleich er nach den Aussagen von Schriftstellern, die ihm nicht aus politischen Gründen abgeneigt waren, im Privatleben ein „schlechter Mensch“ gewesen sein soll, das alles hätte tun mögen, was er, der wohl wußte, daß er nicht Fürst werden würde, demjenigen riet, der danach strebte.
Es gibt Menschen, bei denen alle Kräfte in den Kopf treiben; die mit der durchdringendsten Schärfe des Verstandes alles durchschauen und zu jedem möglichen Zweck die Mittel auf das Treffendste anzugeben wissen: die aber in der Beurteilung der Zwecke von ihrer eigenen Einbildungskraft oder von Vorspiegelungen anderer leicht irregeführt werden. Solche Männer sind recht gemacht, als Ratgeber zu glänzen. Man hört sie gern, weil sie nichts gegen die Absichten einwenden, die die Neigung einflößt und sich so gut darauf verstehen, diese Zwecke zu erreichen. Aber sie sind gefährliche Ratgeber. Denn weil die Zweckmäßigkeit aller Mittel sie weit mehr interessiert, als die Beschaffenheit der Zwecke selbst, so überlassen sie sich dreist allen Kombinationen des Witzes; und das um so viel mehr, wenn sie nicht selbst ausführen sollen, was sie ausgedacht haben. Man findet daher auch bei ihnen mit dem bewunderungswürdigsten Verstand eine Versatilität in den Grundsätzen und Absichten, die unbegreiflich scheint, bis man bemerkt, daß es nicht die Sachen selbst sind, an denen sie Freude finden; daß es in einem wie im anderen Fall nur das Spiel des Verstandes ist, das sie interessierte. Ist vollends das Talent des Redners oder Schriftstellers mit jenen Vorzügen verbunden, so werden leicht die edelsten Gesinnungen und größten Ideen nur als Mittel angesehen, Pläne des Augenblicks auszuführen, und nach der Wirkung, die der Ausdruck derselben auf den Zuhörer oder Leser macht, geschätzt.